
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Ich nahm einen Schluck von meinem Cappuccino. Er war viel zu stark gesüßt und außerdem kalt. Kein Wunder, schließlich stand er schon seit fast zwanzig Minuten dort neben dem kleinen künstlichen Blumentopf. Ein junger Mann, der garantiert für eine Modelagentur und nicht für das Franchise – Unternehmen, zu dem dieses Cafe gehörte, arbeitete, grinste mich von einem Pappschild daneben an, laut dem „VerkäuferInnen (m/w/d)“ gesucht wurden.
Mit einer ungeschickten Bewegung riss Sabine das Schild vom Tisch und mich aus meinen Gedanken als sie plötzlich mit eiligen Schritten an meinen Tisch gerannt kam und sich mir gegenüber setzte.
„Na? Was fällt dir an mir auf?“, presste sie völlig außer Atem hervor.
„Wie wär’s mit: Hallo Anja, entschuldige, dass ich fast eine halbe Stunde zu spät bin…“
„Jaja, aber was fällt dir an mir auf?“ Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.
Ich sah sie an. Meine beste Freundin hatte ein wirklich atemberaubend gelbes Kleid an, ihr Makeup war wie immer genug, um eine ganze Clownsschule für ein Jahr zu versorgen und ihre Haare…
„Warst du beim Friseur?“
„Warst du beim Friseur!“, imitierte sie mich, „Natürlich war ich beim Friseur! Bei der Neuen, in der Seestraße, du weißt schon mit dem komischen Namen.“
„Madame Furina“ , murmelte ich. Den Namen hatte ich in letzter Zeit öfter gehört. „Madame Furinas Haarwunder“ hieß ihr Salon, ein Name der klang als würde sie neben dem Frisieren auch noch Karten legen und die Geister verstorbener Ahnen beschwören.
Doch was Haare anging schien sie darin tatsächlich Wunder zu vollbringen, wie ich aus Berichten meiner Freunde und Bekannten gehört hatte.
„Genau die“, bestätigte Sabine, „Ich meine, schau dir das an, das ist doch unglaublich!“
Und das war es in der Tat. Ihr schwarzes Haar, dass sie anders als sonst offen trug, schien mindestens doppelt so voll, wie ich es in Erinnerung hatte und glänzte wie frisch poliertes Leder; fast schien es von innen heraus zu leuchten. In perfekten Wellen fiel es über ihre Schultern, gleichmäßig, ohne dass auch nur ein einziges Haar abstand.
Selbst ihr Gesicht, welches von den seidigen Strähnen umrahmt wurde, schien irgendwie jünger und frischer zu wirken als sonst, als hätte sie sich mit den Haaren auch gleich das Gesicht färben und glätten lassen.
„Du…“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Entgegen dem typischen Klischee war ich doch eher eine Frau weniger Worte. Nicht, dass ich nichts zu sagen gehabt hätte, es fiel mir einfach schwer meine Gedanken in Worte zu fassen.
„Und was hat das gekostet?“, fragte ich daher stattdessen.
Eine berechtigte Frage, wie ich fand, schließlich wusste ich, was einige meiner Freundinnen für ihre Hochzeitsfrisuren ausgegeben hatten, und bei einigen war das mehr als der Anzug des Bräutigams gekostet hatte.
„Das ist ja das Beste“, sagte Sabine begeistert, „Es hat gar nichts gekostet! Naja, bis auf ein Haar von mir…“
„Ein… Haar?“, fragte ich verdutzt.
„Sie wollte ein Haar von mir. Und zwar ein Ganzes, das hat sie betont: ‚Ganzes Chaar von Spietze bis Wurrzel!‘ “ Sie versuchte einen russischen Akzent nachzuahmen, was ihr nicht wirklich gelang.
„Und was wollte sie damit?“
„Keine Ahnung“, sagte Sabine, „Wen interessiert’s? Und wenn sie sich Socken daraus strickt, ist doch egal! Es hat sich jedenfalls gelohnt. Schau mich an!“
Sie drehte ihren Kopf, erst nach links, dann nach rechts, so dass ihre Haare sanft durch die Luft schwangen. Sie verströmten einen unglaublichen, süßlichen Duft, der mich kurz sprachlos machte.
Wäre ich lesbisch, ich hätte Sabine in diesem Moment vom Fleck weg geheiratet.
In der nächsten Zeit hatte ich noch etliche ähnliche Begegnungen. Freundinnen, Arbeitskolleginnen, selbst meine Nachbarin, die immerhin schon über 80 war, präsentierten mir voller Stolz ihre neu gewonnene Haarpracht.
Ich trug mich eine Weile mit dem Gedanken bis ich schließlich entschied, dass eigentlich nichts dagegen spräche, diese „Wunderfriseuse“ selbst einmal in Anspruch zu nehmen.
Und es wäre tatsächlich ein verdammtes Wunder nötig, um meine Haare zu retten!
Nach der Trennung von meinem Exfreund vor ein paar Monaten war ich vollkommen neben mir gewesen.
Mich überkam dieses unglaubliche Bedürfnis mich vollkommen zu verändern, und natürlich begann ich bei meiner Frisur.
Das resultierte darin, dass ich mir meine langen braunen Haare kurzerhand mit einer Küchenschere abschnitt und die Überreste blond zu färben versuchte, was aber mehr schlecht als recht gelang. Ich hatte im Prinzip schon während ich es tat gewusst, dass es eine schlechte Idee war, aber was tut man nicht alles, wenn man von Wut und Liebeskummer zerfressen ist.
Die Haare waren seitdem sehr ungleichmäßig nachgewachsen, weswegen ich dazu übergegangen war einfach all meine Haare über meinem Kopf zu einem großen Knäuel zusammenzubinden. Es sah nicht wirklich schön aus (ganz im Gegenteil sogar), aber es war besser als das strohige Gewirr offen zu tragen.
Ich suchte also den Salon auf und bekam erstaunlicherweise direkt einen Termin bei der „Haarzauberin“, wie sie mittlerweile schon genannt wurde.
Madame Furina war nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte, genau genommen war die sogar das komplette Gegenteil davon.
Nach all den Beschreibungen die ich gehört hatte, hätte ich einen verschrobenen Baba-Jaga-Verschnitt erwartet, eine uralte Frau, in seltsame Lumpen gehüllt, mit Talismanen und Hasenpfoten um den Hals und Armbändern aus Hühnerknochen um die knorrigen Handgelenke.
Stattdessen stand mir eine hübsche, zierliche Frau gegenüber, die ich vielleicht auf Mitte dreißig schätzte, wenn überhaupt. Sie trug ein schwarzes, eng anliegendes Kleid und eine Federboa, wie sie in den Zwanziger-Jahren modern waren.
Doch das auffälligste an ihr waren ihre Haare. Sie hatten die Farbe von poliertem Kupfer, rötlich glänzend, und sie schienen weich wie Seide zu sein. Sie schwangen leicht hin und her und fast sah es aus, als wären ihre Haare nicht fest, sondern flüssig; sie wogten sich mit jedem Lufthauch sanft umher, nur um einen Moment später wieder perfekt in die vorherige Position zu gleiten.
„Es ist gut, dass du kommst“, begrüßte mich die Madame.
Ich konnte mich nicht erinnern, ihr das „Du“ angeboten zu haben, dennoch nahm ich es hin, ohne es irgendwie zu hinterfragen.
„Ich … denke schon“, sagte ich und merkte wie sich eine Mischung aus Respekt und Unterwürfigkeit in meine Stimme mischte.
Dabei war ich sonst alles andere als unterwürfig, eigentlich nicht einmal besonders höflich. Ich redete zwar für gewöhnlich nicht viel, doch wenn mir jemand gegen den Strich ging war ich durchaus in der Lage ihn nach allen Regeln der Kunst zusammenzufalten.
„Komm mit“, wisperte Madame Furina und teilte einen dunkelroten Vorhang der den Vorraum von dem trennte, was wohl der eigentliche Salon war.
Dieser war erstaunlich klein und dunkel, nur ein einziger, mit rotem Leder bespannter Friseurstuhl stand in der Mitte, dem Eingang zugewandt.
„Setz dich!“
Sie hatte tatsächlich einen Akzent, jedoch bei weitem nicht so stark, wie Sabine ihn dargestellt hatte. Man merkte es seltener an der eigentlichen Aussprache als vielmehr an der Sprachmelodie, diesem leichten Singsang, welchen viele Russischstämmige in ihrer Sprache haben.
Ich gehorchte aufs Wort. Ich hätte wahrscheinlich eher meiner eigenen Mutter widersprochen als dieser Frau. Was war nur los mit mir?
„Für das was ich tue möchte ich kein Geld von dir. Ich brauche nur ein Haar. Aber es muss ein ganzes Haar sein.“
„Ein ganzes Haar von Spitze bis Wurzel, ich weiß“, sagte ich ohne Nachzudenken.
Madame Furinas Gesicht verfinsterte sich. Sofort überkam mich ein schlechtes Gewissen, obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gab. Dann sagte sie mit einer plötzlich toternsten Stimme: „Du darfst niemand davon erzählen, was hier drin geschieht. Was hier drin geschieht, bleibt hier drin. Du wirst niemandem davon erzählen!“ Ihre Stimme wurde zwar nur geringfügig lauter, doch im Vergleich zu ihrem vorherigen Flüstern kam es mir fast vor, als hätte sie den letzten Satz geschrien. Verstört von ihrer plötzlichen Stimmungsschwankung brachte ich lediglich ein schwaches „Okay“ hervor.
„Gut“, brummte sie mit tonloser Stimme. Nach einigen Sekunden die sie abwesend ins Leere blickte zwang sie sich wieder zu einem Lächeln und sagte: „Ich brauche jetzt das Haar.“
Ich merkte ein kurzes Ziepen, wohin sie das Haar legte sah ich nicht.
„Nun beginnen wir“säuselte sie.
Ihre Hände griffen meinen Kopf und zogen ihn sanft nach hinten. Ich fühlte wie mein Hinterkopf in Wasser eintauchte, warmes, duftendes Warmes, angenehmes Wasser. Mein Kopf begann zu kribbeln, da wo das Wasser ihn berührte, wohlige Schauer überliefen mich. Die Madame massierte meinen Kopf nun sanft mit ihren Händen, sie strich durch meine Haare und ließ das kribbelnde Wasser darüber laufen.
Ich fühlte mich wohl bei ihr, ich fühlte mich geborgen, ich fühlte mich als wäre ich ein verstoßenes Kind, eine Waisin, die von einer liebenden Mutter aufgenommen wurde.
Die Stimme der Vernunft, die in meinem Kopf protestierte, wurde leiser und leiser, und sie verstummte vollständig, als Madame Furina zu singen begann.
Ich kannte das Lied nicht, das sie sang, ich kannte weder den Text noch die Melodie, ich war mir nicht einmal sicher, in welcher Sprache sie eigentlich sang, es war jedenfalls keine mir bekannte. Ich wusste nur eins: Es war wunderschön.
Hatte ich sie eben schon wie eine Mutter gesehen, sah ich sie nun wie eine Göttin, mächtig und gütig, zart und doch stark. Ihre engelsgleiche Stimme schien nicht nur durch den Raum, sondern direkt durch meinen Kopf zu hallen, ich war wie gelähmt, fast wie tot, aber es war kein schlimmer Tod, es war ein Tod, wie man sich ihn immer wünscht, ein sanftes Einschlafen.
Mein Atem wurde ruhiger, meine Gedanken weniger und schließlich schlief ich ein, so wunderbar, wie man in den Armen eines Engels einschlafen musste.
Als ich schlief hatte ich einen schrecklichen Traum.
Ich war eigentlich niemand, der häufig träumte und wenn überhaupt, dann waren es oft vollkommen sinn- oder belanglose Dinge, die nicht einmal interessant genug für ein Traumtagebuch gewesen wären, doch was ich nun träumte, verstörte mich.
Ich lag auf einem langen Tisch in einem dunklen Raum, nur erleuchtet von einigen blutroten Kerzen. Ich lag auf dem Rücken, nackt, mein Gesicht zur Decke gerichtet, meine Augen geöffnet. Ich konnte sie nicht schließen. Ich konnte mich überhaupt nicht bewegen.
Ich konnte nichts tun, außer starr dazuliegen und zu beobachten, wie sich die Tür öffnete und Madame Furina eintrat. Sie sah anders aus, nicht mehr die hübsche, adrette Dame, nicht mehr die Mutter oder der Engel, der mich in den Schlaf gesungen hatte. Vielmehr sah sie so aus, wie in meinen Vorstellungen: Ihre Haut faltig, ihre Zähne gelb, spitz und schief aus ihrem Mund ragend.
Um ihren Hals hingen verschiedene Anhänger mit seltsamen Symbolen, darunter auch einige Pentagramme. Ihre Haare lagen nicht wie zuvor perfekt glattgekämmt auf ihrem Kopf, vielmehr standen sie in alle Richtungen ab als hätte sie in eine Steckdose gefasst und sie zappelten und wanden sich wie Tentakel, als wären sie lebendig. Statt dem herrlichen, süßlichen Duft verströmten sie nun einen furchtbaren Gestank, eine Mischung aus Schwefel, Kot, Blut und Verwesung.
Madame Furina grinste mich mit ihren spitzen, schiefen Zähnen an, ein Raubtier vor dem Sprung auf seine Beute.
Dann packte sie meinen Arm und stieß ihre Zähne hinein. Ein unsagbarer Schmerz durchfuhr mich, ich wollte schreien, ich wollte fliehen, doch ich lag stumm und unbeweglich da und tat nichts. Sie biss mir ein ganzes Stück Fleisch aus dem Arm, dann steckte sie ihre nun krallenartigen Hände in die offene Wunde, sodass diese voller Blut waren. Sie wischte sie an ihren immer noch kupferroten Haaren ab, und die lebendigen Haare nahmen mein Blut begierig auf, wie tausende kleine Zungen leckten sie es von ihren Händen. Madame Furina blickte mich an, einen seltsamen Blick auf dem Gesicht. „Wach auf!“, sagte sie, ihre Stimme schien sich trotz ihres abscheulichen Aussehens nicht verändert zu haben. „Wach auf! Wach auf!“
„Wach auf“, säuselte Madame Furinas sanfte Stimme, „Wach auf!“ Ich riss die Augen auf, verwirrt, ängstlich und doch erleichtert, dass ich wieder die zierliche Frau in Abendkleid und Federboa anstelle der Horrorhexe vor mir sah. Es war ein Traum, nichts weiter.
Die Madame hielt mir einen Handspiegel entgegen. „Hier. Schau dich an!“ Mein Kopf brauchte eine Weile um ihren Worten zunächst einen Sinn zu verleihen und meine Hand entsprechend reagieren und nach dem Spiegel greifen zu lassen und er brauchte noch länger um die schöne Frau mit den langen braunen Haaren im Spiegel als mich selbst zu erkennen. Das konnte nicht ich sein! Das war vollkommen unmöglich!
Wo waren die strohigen Haare? Wo war die tief in die Stirn gegrabene Sorgenfalte? Wo waren die spröden Lippen und die Narben von der aufgekratzten Akne? Das alles war weg. Stattdessen war dort ein Gesicht, das obwohl unverkennbar meins plötzlich eine unglaublich positive und freundliche Ausstrahlung hatte. Ich sah mich selbst und musste mich unwillkürlich freuen, dass ich ich war. Meine plötzlich wieder langen, braunen Haare kitzelten mein Gesicht und meinen Hals. Ihr süßer Duft stieg mir die Nase. Ich war schön. Endlich wieder schön!
„Danke“, war das erste, was ich hervorbringen konnte. „Danke!“, schrie ich fast schon. In meiner Euphorie wäre ich am liebsten aufgesprungen und wäre Madame Furina um den Hals gefallen.
Doch die Rationalistin in mir hielt mich davon ab. Veränderungen wie diese waren nicht möglich. Nicht ohne eine lange, schwerwiegende Operation, und selbst dann hätte Madame Furina eine verdammt gute Chirurgin sein müssen, um mich danach vollkommen ohne Narben, Schmerzen oder andere Nebenwirkungen zu lassen. Eine zu gute Chirurgin, um sich nur mit einem Haar bezahlen zu lassen.
„Wie ist das möglich?“
„Das brauchst du nicht zu wissen“, sagte die Madame in plötzlich wieder erschreckend ernstem Ton. „Geh jetzt!“ Ich tat wie mir geheißen und stand noch eine Weile perplex vor der Tür, bevor ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Ich war verwirrt, hin- und hergerissen zwischen der Freude über mein unfassbares Glück und der rationalen Skepsis, da was gerade passiert war einfach nicht sein konnte. Letztlich überwiegte jedoch das erste.
Wen interessierte, was in diesem seltsamen Salon passiert war? Fakt war: Ich sah besser aus als jemals zuvor!
Auf dem Heimweg rief ich Sabine an. Jetzt, da ich aussah wie ein verdammtes Model, konnte ich nicht mehr raumlaufen wie ein obdachloser Clown. Ich brauchte neue Sachen, schöne Sachen.
Sabine begrüßte mich mit einem begeisterten Schrei als sie mich sah.
„Wer ist das heiße Ding da und was hat sie mit meiner Freundin gemacht?“
Wir lachten und umarmten uns, dann klapperten wir sämtliche Schuh- und Klamottenläden in unserem Städtchen ab.
Zum Schluss hatten wir vier Tüten neuer Schuhe, Kleider, Tops und Hosen.
Bei mir zu Hause forderte ich Sabine dann auf, gleich ein paar Fotos von mir zu schießen, was sie mit Begeisterung tat.
Eins davon schickte ich an meinen Ex-Freund, und gleich daran die Nachricht: „Sorry, vertippt, sollte nicht an dich gehen.“
Natürlich sollte es das. Und es zeigte Wirkung.
Keine zehn Minuten später fragte er, ob ich am Abend schon etwas vorhätte und ob wir uns nicht treffen und „nochmal über alles reden“ wollen.
Ha! Treffer – versenkt!
Ich sagte zu und lud ihn zu halb acht zum Abendessen zu mir nach Hause ein.
Nicht dass ich wirklich vorhatte, diesem Mistkerl noch eine Chance zu geben.
Er sollte nur noch einmal sehen, was er verpasste, er sollte mich ansehen, mich anschmachten, ich wollte ihm falsche Hoffnungen machen, nur um im letzten Augenblick sein aufgeblasenes Ego platzen zu lassen und ihn unverrichteter Dinge vor die Tür zu setzen.
Ich lachte fast auf bei dem Gedanken an sein dummes Gesicht, seine gestammelten Versuche, mich doch noch rumzukriegen.
Die ganze Zeit musste ich grinsen, während ich meine Wohnung für unser „Date“ am Abend auf Vordermann brachte, räumte, putze, saugte, herumliegende Verpackungen von Schokolade und Eiscreme entsorgte.
Ich lächelte auch noch als ich begann, das Gemüse für das Abendessen zu schneiden. Ich war wohl etwas zu sehr in meinen Rachefantasien versunken, denn ich schnitt mir in den Finger.
Instinktiv steckte ich mir diesen in den Mund, doch statt Blut schmeckte ich – etwas anderes. Verwirrt blickte ich auf meinen Finger und stellte fest, dass die Wunde tatsächlich nicht zu bluten schien. Stattdessen sah ich innern etwas Bräunliches schimmern, ein kleiner Zipfel davon ragte hervor.
Vorsichtig zog ich daran, zog und zog, bis das lange, dünne, glänzende etwas vollständig zum Vorschein kam. Ein Haar! Es war ganz eindeutig ein Haar, genau so ein Haar wie die, die ich seit heute wieder in Massen auf meinem neuerdings sehr schönen Kopf trug.
Ich blickte wieder in die Wunde und erstarrte.
Braun. Alles darin war braun! Unsanft zwang ich Daumen und Zeigefinger meiner anderen Hand in die Wunde, drückte die Haut schmerzhaft zur Seite und zog heraus, was im Inneren war.
Haare. Ein ganzes Büschel brauner, glänzender Haare. Nochmal rein. Wieder ziehen. Mehr Haare.
Ich nahm das Messer vom Schneidebrett und rammte es mir ohne zu zögern in die Hand.
Der Schmerz war nebensächlich. Ich durchschnitt die Haut bis hoch zu den Fingern, steckte meine Hand hinein und riss sie unsanft zurück.
Da war kein Blut, keine Muskeln. Nur Knochen und Haare. Linienförmig angeordnete, glänzende, braune Haare.
Mir wurde schlecht. Ich beugte mich über das Spülbecken, wollte mich übergeben, doch – es kam keine Flüssigkeit.
Etwas, festes, weiches kroch meinen Hals hinauf, kitzelte meinen Rachen, verfing sich in meinen Zähnen.
Haare. Schon wieder Haare!
Mein ganzer verdammter Körper war voller Haare!
Ich packte das Knäuel in meinem Mund und versuchte es hervorzuziehen, doch es stattdessen zog ich nur mehr und mehr Haare aus meinem Hals hervor.
Ich konnte kaum noch atmen. Die Haare verstopften alles. Ich fühlte sie in meiner Nase, in meiner Luftröhre, in meinen Lungen.
Verzweifelt rannte ich mich zum Telefon, auch wenn ich nicht wusste, wen ich in meiner Situation überhaupt anrufen sollte.
Den Rettungsdienst? Die Polizei?
Und was sollte ich denen erzählen?
„Hilfe, eine als Friseuse getarnte Hexe hat mich -“
Ja, was eigentlich? Was hatte diese verfluchte Irre mit mir gemacht?
Mich verhext? Mich ausgesaugt und mit Haaren gefüllt? Mich in den Körper einer schöneren, mit Haaren gefüllten Doppelgängerin gesteckt?
Doch ich kam nicht dazu, das Telefon zu greifen, da meine Hand bevor ich es erreichen konnte blitzschnell von etwa gepackt wurde. Eine Schlinge aus braunen Strähnen hatte sich um mein Handgelenk gelegt, doch es waren nicht die Haare, mit denen mein Körper nun gefüllt zu sein schien – es waren die Haare auf meinen Kopf, die ähnlich wie die der Hexe in meinem Traum ein Eigenleben entwickelt zu haben schienen. Unsanft rissen sie meine Hand an meinen Kopf, während ich mit der anderen das Telefon zu fassen bekam und mit einem Finger hastig die „1-1-2“ tippte. Eine weitere Haarschlinge umfasste auch diese Hand und ließ Hand und Telefon unsanft gegen meine Schläfe schnellen, worauf das Telefon geräuschvoll zu Boden fiel.
Eine Frauenstimme meldete sich am anderen Ende, doch bevor ich einen Laut herausbringen konnte, schoben sich blitzschnell von beiden Seiten mehr Haare in meinen Mund, umklammerten meine Zunge, krochen in meinen Rachen. Ich versuchte meinen Mund zu schließen, riss verzweifelt an meinen Fesseln, doch es war vergeblich, die verdammten Haartentakel waren zu stark.
Die übrigen Strähnen verteilten sich nun über meinen Kopf, sie verdeckten meine Augen, verstopften meine Nase, schoben sich in meine Gehörgänge, umschlossen meinen Hals und drückten immer weiter zu.
Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf, dämliche Sprichwörter wie „Wer schön sein will, muss leiden“, Sabine, die mir erzählt, dass der Preis „nur ein Haar“ sei und schließlich der einschläfernd-tödliche Gesang von Madame Furina.
Langsam verdrängte der Gesang alles andere und hallte durch meinen Kopf, während ich nichts mehr sah, roch und fühlte, außer weicher, brauner, glänzender, duftender Haare und dann – nichts mehr.