
Wolfsjagd – Die (unvollendete) Geschichte eines Mörders (1)
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
– Prolog –
Wann immer ich die Augen schloss sah ich stehts dieselben Bilder vor mir.
Ich befinde mich in einem dunklen, kaum beleuchteten Zimmer eines Hauses oder einer Wohnung, welches mir genauso unbekannt ist wie die Silhouette der hell erleuchteten Stadt, die sich jenseits der Fenster erstreckt. Benommen und schwer atmend liege ich auf dem Boden, ich sehe meine Arme neben mir liegen, die Haut ist bedeckt mit frischem Blut, welches netzartig aus zwei verschiedenen Wunden an ihr herunter rinnt, die winzigen Rillen der Holzpaneele füllt und durch die kleinen Spalten zwischen den vereinzelten Paneelen nach unten verschwindet. Ich versuche meine Finger zu bewegen, aber kann ich es genauso wenig wie zu versuchen aufzustehen, als ob mir mein Körper nicht mehr gehorchen will.
Ein Brennen erfüllt meine Lungen, mein Hals ist trocken, meine Luftröhre zwingt mich zu husten, wobei sich mein Mund mit Blut füllt und in kleinen Fäden oder Tröpfchen über meine Lippen spritzt, während der Rest als Rinnsal aus meinem Mundwinkel und über meine Wange fließt, bevor es auf halbem Wege das Holz des Bodens tränkt und eine kleine Lache formt, die sich langsam, aber stetig, ausbreitet. Verlangend ringe ich nach Luft, als ob jeder einzelne meiner Atemzüge der letzte sein könnte. Ich kneife die Augen zusammen und öffne sie wieder um zu versuchen die Benommenheit und den Schwindel abzuschütteln – vergebens. Beides ist so dominant, dass ich kaum die Ursache dafür finden kann, wäre da nicht der leichte, kühle Windhauch, der über das feuchte Blut streift, welches aus einer schweren Verletzung an der Schläfe über mein halbes Gesicht gelaufen ist.
Die ruhigen, dumpfen Schritte von schweren Stiefeln nähern sich.
Ich versuche die Person auszumachen, als sie in mein Blickfeld tritt und neben mir stehen bleibt. Man braucht keine besonderen Kenntnisse um zu erkennen, dass es sich dabei um Spezialanfertigungen handelte, auch wenn man diese womöglich nicht überall so einfach bekommen kann. Dicke Sohlen mit matten Stahlkappen an der Fußspitze, sowie drei Schnallen an der Außenseite, welche nicht nur zum Öffnen und Schließen der Stiefel dienen, sondern auch eine leere Scheide für eine Klinge halten. Ich blinzle erneut, als ich die Person dabei beobachte, wie sie sich zu mir dreht, mich einen Moment zu betrachten scheint und sich schließlich zu mir kniet.
Seine Gestalt ist unauffällig, aber dennoch kräftig, obwohl er sie zumeist unter etwas weiten, tief schwarzen Kleidern und einem bereits leicht abgenutzten Mantel aus schwerer Baumwolle verbirgt. Ich nehme das Geräusch eines Seufzen wahr, dann wie sich der schwere Stoff bewegt und eine Hand, welche gegen meine linke Schulter stößt und mich auf den Rücken rollt. Ein schmerzerfülltes Stöhnen entfährt mir, erneut muss ich husten und spucke einige Tropfen Blut, das sich erneut in meiner Luftröhre und den Lungen angesammelt hatte, um nicht gleichermaßen daran zu ertrinken und zu ersticken.
Ich schaue zu der Gestalt, welche ich aufgrund des ohnehin schon kaum beleuchteten Raumes nur schwerlich erkennen kann.
„Welch eine Schande, nachdem Sie so weit gekommen sind.“, sagt er mit einer ruhigen Stimme zu mir, in der Bedauern, aber auch eine Art von Mitgefühl und Erleichterung oder eine gewisse Form von Triumpf zu finden ist.
„W-Wer … wer si-sind … Sie?“, gurgle ich röchelnd mit der noch wenigen Kraft, die ich aufzubringen vermag. Ich beobachte ihn, wie er in seine Manteltasche greift, ein weißes Tuch hervorholt und mir damit sanft über die Lippen fährt, um die wenigen Tropfen des rotes Lebenssanftes wegzuwischen, der sie benetzt, bevor sie in kleinen Linien an mir herunter rannen.
„Sie wissen, wer ich bin, ansonsten wären Sie nicht hier, auch wenn ich es zugegebenermaßen ein wenig bedaure, dass unsere Begegnung nicht so verlaufen ist, wie ich es mir vorgestellt hatte.“ Ich versuche zu antworten, aber gelingt es mir nicht. Ich kneife die Augen zusammen um den immer stärker werdenden Schmerz zu verdrängen, der sich in mir ausbreitet als sei ich von einer Kugel getroffen oder einer Klinge verletzt worden. Im nächsten Moment spüre ich, wie er seine Arme unter meinen Körper und Kniee schiebt, mich vorsichtig hoch hebt und mich zum Bett trägt, auf das er mich mit einer solchen Behutsamkeit legt, als versuche er, dass sich die Verletzungen oder der Schmerz nicht weiter verschlimmerten als sie es ohnehin schon sind. Es ist angenehm weich und verleitet mich dazu die Augen zu schließen und mich auszuruhen, aber wenn ich das tun würde wäre dies das Ende. „Ich wusste von Beginn an, dass Sie mich im Gegensatz zu ihren Kollegen irgendwann und trotz allem, was Ihnen dabei widerfahren ist oder erdulden mussten, finden würden, meine Liebe.“ Er beugt sich zu mir vor, sodass ich die kunstvoll und doch schlichte Maske in Form eines Wolfkopfes erkennen kann, mit welcher er sein Gesicht vor mir und der Welt verbirgt. Liebevoll streichelt er mir mit seiner behandschuhten Hand über die Stirn, streicht die wenigen Strähnen, die durch den leichten Schweiß und das Blut an meiner Haut klebten, aus meinem Gesicht und fährt mir zärtlich durch die Haare, während er mich anschaut. Er seufzt. „Und selbst jetzt, angesichts des womöglich Unausweichlichem, bin ich mir sicher, dass Sie es schaffen werden, denn auch wenn Sie es noch nicht wissen, so sind Sie zu dem geworden, das Sie die ganze Zeit über verfolgt haben.“ Er schaut auf seine Taschenuhr. „Nun, es wird Zeit für mich zu gehen.“ Er steht auf, als ich meine ganze Kraft zusammen nehme und zitternd die Hand nach ihm ausstrecke, von der sich rote Linien in Richtung des hochgekrempelten Ärmels meines Hemdes bewegen oder zu Boden tropfen.
„B-Blei- … Bleiben Sie. B-Bitte.“, flehe ich beinahe bettelnd an und versuche weiterhin zu atmen.
Ich weiß nicht warum ich das zu ihm sage, aber habe ich einfach nur den verzweifelten Wunsch, dass jemand angesichts meiner Verletzungen bei mir ist und bleibt. Er schaut auf meine zitternde Hand, welche er mit einer eleganten Bewegung ergreift und fest hält, bevor er sich neben mich setzt. Ich spüre Tränen in meine Augen treten, schließe sie für einen kurzen Moment und mache mich auf das Unvermeidbare gefasst, während ich höre, wie er etwas metallisches unter dem Mantel hervor holt.
Es klickt demonstrativ, wodurch er mir zu verstehen gibt, was mich erwarten würde.
Ich öffne die Augen und wir betrachten uns einander einen schweigenden Moment lang, während er den rechten Arm angewinkelt und in dessen Hand er eine mattschwarze Pistole hält, die nur wenige Zentimeter neben seinem Gesicht ruhig und geduldig auf ihren Einsatz wartet. Schließlich folge ich seiner Hand, die sich in einer perfekten Bogenbewegung zu mir beugt und die Mündung der gepflegten und doch abgenutzten Pistole, die bereits manches Leben genommen haben musste, auf meine Brust richtet.
„Wir werden uns wiedersehen.“, sagt er mit einer ruhigen, beinahe zärtlichen Stimme zu mir, während er meine Hand, die er noch immer fest hält, auf meinen Bauch legte.
Ich höre mich keuchen, die Tränen trüben meine Augen.
Ich schließe sie. Atme ruhig. Mache mich bereit.
Dann …
… ist mit einem Mal alles still.
Kein Geräusch erklingt, nichts regt sich, als ob die Zeit still stehen würde.
Ich lasse den Atem sanft über meine Lippen streifen, während ich mich einfach fallen lasse.
– Kapitel 1 –
In demselben Moment, als ich das Klicken des Abzuges und die gleichzeitige Explosion in der Schusskammer hörte, als der Schlagbolzen das Zündhütchen traf und dadurch die Treibladung damit entfachte, durch die die Kugel durch den Lauf nach draußen gedrückt wurde, öffnete ich die Augen und schaute an die Decke meines Schlafzimmers. Es war bereits das neunte Mal, dass ich diese Begegnung mit ihm hatte und das neunte Mal, dass ich dieses Klicken hörte, das mich zurück in die Realität katapultierte.
Beim ersten Mal, wo ich diesen Traum hatte, war ich noch schweißgebadet und schwer keuchend aufgewacht, hatte geschrien und mir an die Brust gefasst um mich zu vergewissern, dass ich noch lebe. Wenn ich jetzt aus dem Traum in die Realität zurückkehrte, hatte sich lediglich mein Atem nur ein wenig beschleunigt, meine Pulsfrequenz aber blieb im ruhigen Bereich. Dennoch ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich immerzu über die Stelle, an der er die Mündung der Pistole ansetzte, tastete und verspürte dabei ein leichtes Drücken, als ob mich die Kugel tatsächlich getroffen hätte.
Ich atmete kurz durch, als sich mein Blick der Uhr auf dem kleinen Nachttisch zuwandte und mir die exakte Uhrzeit anzeigte – 3:45 Uhr morgens. Es würde noch etwa viereinhalb Stunden dauern, bevor die Nacht dem Tag weichen würde.
Ich seufzte, setzte mich auf und rieb mir den Nacken, bevor ich aus dem Fenster nach draußen schaute und mich dazu entschloss aufzustehen. Bevor ich mich anziehen würde betrat ich das Badezimmer, drehte den Wasserhahn auf und ließ mir eine Hand voll kaltes Wasser ins Gesicht spritzen, ehe ich mich im Spiegel betrachtete und mir wie die anderen Male zuvor die Frage stellte, was dieser wiederkehrende Albtraum zu bedeuten hatte, auch wenn sich die Antwort vermutlich niemals finden lassen würde.
Ich atmete tief durch und versuchte die Gedanken daran zu verdrängen, zog mich an und begab mich nach unten, wo ich mir einen Tee machte und mich mit der dampfenden Tasse an den Tisch setzte. Vor mir lag ein kleines, in Leder gebundenes Buch, welches ich aufschlug und meine Notizen durchlas, die ich darin niedergeschrieben hatte, wann immer dieser Traum zurückgekehrt war. Schon nach kurzer Zeit ist mir aufgefallen, dass sich dabei immerzu kleinere Details änderten, die kaum auffielen oder von den Hauptmerkmalen abwichen. Wann immer dieser Traum mit neuen Änderungen oder Details zurückkehrte, kam es mir so vor als wäre es wie eine Geschichte, die mit jedem weiteren Durchlesen des Autors verbessert wurde bis sie perfekt sein würde.
Eine recht passende Metapher, oder?
Das erste Mal, dass ich diesen Traum hatte, war jetzt drei Monate her.
Seitdem war er in unregelmäßigen Abständen wiedergekehrt, trotzdem werde ich mich wohl nie wirklich daran gewöhnen können. Ich nahm mir meinen Füller und begann damit bereits zum neunten Mal dieselben Geschehnisse niederzuschreiben und dabei die abgeänderten Details zu vermerken, die mir aufgefallen sind.
So war es dieses Mal beispielsweise als er das Blut, welches ich ausspuckte, mit einem weichen Taschentuch vorsichtig von meiner Haut wischte – eine Geste des Mitgefühls, die er zuvor noch nie getan hatte und auch als er meine Hand, die ich ihm in der Angst und der Verzweiflung in meinem Flehen zu bleiben entgegenstreckte, ergriffen und bis zum Ende festgehalten hatte war etwas völlig neues und unerwartetes gewesen.
Es waren immerzu nur zwei, drei, selten vier oder fünf kleinere Details, die sich änderten, aber schienen sie dennoch eine Bedeutung zu haben, auch wenn ich nicht wusste welche das sein sollte, wenn es denn überhaupt eine gab oder ich mich einfach zu stark auf diese Metapher mit der Geschichte stützte.
Es klopfte an der Tür.
Ein wenig irritiert hob ich den Blick und schaute zu ihr, bevor ich den Füller beiseite legte, das Buch schloss und zur Tür ging. Ich zögerte einen Moment, als meine Hand kurz davor war die Türklinke zu umfassen und nach unten zu drücken. Als ich sie schließlich öffnete, bemerkte ich Chief Inspector Hayle, ein hochgewachsener, rational denkender Mann mit einem markanten autoritären Gesicht, der es sicherlich zum Commander oder zum Commissioner bringen wird und sich trotz seines kräftigen Körperbaus mit der Haltung eines Soldaten gleichend immerzu förmlich und höflich auszudrücken verstand.
„Guten Morgen, Sergeant Winter.“, grüßte er und fasste sich dabei kurz an die Mütze. „Es tut mir leid, wenn ich Sie zu so früher Stunde störe, aber ich fürchte Sie müssen mich begleiten.“
„Ich … verstehe nicht.“, antwortete ich ihm zugegebenermaßen ein wenig verwirrt und noch mit einem kleinen Rest an Müdigkeit.
„Der Superintendent möchte Sie sehen.“, erwiderte er straff. „Es gab einen … Mord.“ Mit einem Mal verstand ich, denn wenn sich ein Mann wie er sich so ausdrückte musste es etwas schlimmes sein.
„Geben Sie mir einen Moment Zeit.“, sagte ich zu ihm. „Wollen Sie sich kurz setzen?“
„Danke, aber ich möchte Sie nicht belästigen.“, erwiderte er. „Ich warte hier draußen.“ Ein kleines Schmunzeln huschte über meine Lippen, als ich mir wieder ins Gedächtnis rief, dass dieser Mann der Inbegriff eines Gentleman sein konnte. Ich ließ die Tür einen Spalt breit offen und verlor keine Zeit, zog mir meine Schuhe an, ging zum Tresor und gab den Code ein, bevor ich die geladene Waffe aus ihm hervor holte und in mein Holster steckte. Schließlich nahm ich meine Mütze, setzte sie mir beim rausgehen auf und trat zum Chief Inspector nach draußen, während die Tür ins Schloss fiel.
Während der Fahrt vergingen einige Minuten des Schweigens, als sich mir eine Frage aufdrängte.
„Gibt es einen besonderen Grund, weshalb der Superintendent mich sehen will?“
„Er will nicht Sie alleine sehen, Sergeant.“, antwortete er ruhig und sachlich, ohne den Blick von der Straße abzuwenden. „Die ganze Abteilung soll antreten.“
„Mein Gott.“, entfuhr es mir leise, während ich den Blick wieder nach vorne richtete. Wenn der Superintendent die gesamte Abteilung antreten ließ bedeutete dies, dass das Verbrechen mehr war, als das sich lediglich drei oder vier Beamte darum kümmern sollten.
Seit ich dieser Abteilung unterstand war es nur ein einziges Mal passiert, dass er die gesamte Abteilung, obgleich man Dienst hatte oder nicht, hatte antreten lassen.
Das lag jetzt schon etwa drei Jahre zurück.
Damals waren wir zu einem Tatort gerufen worden, welcher in erster Linie nach einem einfachen Brandanschlag aussah und dabei vier Person tötete. Als die Löscharbeiten jedoch beendet waren und man nach der Brandursache suchte, wurde erst das gesamte Ausmaß der Tat bekannt. Überall an den Wänden, die nicht vom Feuer vernichtet oder geschwärzt worden waren, fanden sich irgendwelche Kritzeleien, ganze Texte in einer fremden Sprache, sowie mehrfach Symbole, die sich nur schwer identifizieren oder deuten ließen.
Wie sich heraus stellte waren diese Zeilen und Symbole jedoch nicht mit normaler Tinte geschrieben worden, sondern mit Blut von mindestens vierzehn verschiedenen Menschen, welches mit Eisentinte vermischt wurde. Wir alle hatten uns an die Arbeit gemacht um heraus zu finden, was das zu bedeuten hatte, während die Medien ihre eigenen Theorien besaßen und dem Unbekannten den Namen „Der Teufelsautor“ gaben. Zwölf weitere Feuer forderten weitere Opfer, bis wir den Täter schließlich in einer der ältesten Kirchen der Stadt fanden. Sein Körper, übersäht mit weiteren Inschriften und Symbolen, lag mit ausgestreckten Armen vor dem Altar, beschienen durch das fahle Mondlicht, welches durch das Buntglasfenster drang und den Dutzenden von Kerzen um ihn herum.
Bei dem Unbekannten hatte es sich um einen Mann Mitte dreißig gehandelt, weder Name, noch Adresse oder mögliche Angehörige waren uns bekannt oder konnten ausfindig gemacht werden.
Mit dem Fund seiner Leiche wurde die Jagd, als auch der Fall kurzerhand geschlossen und dennoch blieben weiterhin viele Fragen darüber offen – Seine Identität, seine Geschichte, seine Beweggründe oder Absichten, die Texte und Symbole, welche noch immer nicht bestimmt oder übersetzt werden konnten.
„Ich hoffe nur, dass es nicht genauso wie das letzte Mal läuft.“, meinte der Chief Inspector nachdenkend, als ob er sich genauso daran erinnern musste wie ich.
„Warten wir es ab.“, erwiderte ich, wenn auch ein wenig abwesend und in Gedanken versunken.
„Jeder hätte genau dasselbe getan.“ Es war nett, dass er das zu mir sagte, obwohl er wusste, dass ich dem nicht zustimmte.
„Aber hat es niemand anderer getan.“, entgegnete ich. „Und trotzdem würde ich in derselben Situation genauso handeln, egal, was es für Konsequenzen nach sich zieht.“ Er schmunzelte.
„Ich hoffe, Sie wissen, dass es noch immer den einen oder anderen Kollegen gibt, der zu Ihnen steht und Sie respektiert, egal welchen Rang Sie haben.“ Ich ertappte mich dabei, wie ich kurz inne hielt und ernsthaft über seine Worte nachdachte.
„Ich weiß.“ Ich sah zu ihm. „Danke dafür.“
Wir erreichten den Tatort, an dem sich bereits mehrere Fahrzeuge und Dutzende von Beamten eingefunden hatten. Wir stiegen aus und begaben uns zu den anderen, die sich um den Superintendent versammelt hatten, einem Mann, der seinem Rang mehr als gerecht wurde und dementsprechend respektiert, aber auch gefürchtet wird.
„Sind alle anwesend?“ Er hielt einen Moment inne. „Gut. Ich will nicht lange um den heißen Brei reden, darum komme ich direkt zur Sache. Die Schwere des Verbrechens ähnelt stark dem von vor drei Jahren. Einige von ihnen haben bestimmt davon gehört, bevor sie zu uns gekommen sind, während andere sich sicherlich noch gut daran erinnern können. Es wird nicht lange dauern bis sich die Medien trotz unserer Bemühungen darauf stürzen werden, daher erwarte ich von jedem von Ihnen Höchstleistung, damit wir den Täter finden können, bevor es noch weitere Opfer gibt oder sich die Medien wieder ihre eigene Story ausdenkt und den Täter sogar noch darin bestärkt weiter zu machen.“ Die Beamten stimmten ihm zu, genauso wie ich, als ich daran denken musste wie die Presse unsere Abteilung mit dem Fall des Teufelsautors hatte mehr als schlecht aussehen lassen. Nach seiner Ansage begann er wie ein Offizier vor einem bevorstehenden Gefecht damit sämtliche Anwesende in kleine Gruppen einzuteilen und sie mit jeweiligen Aufgaben zu betrauen, bis ich schließlich als Einzige noch übrig geblieben war. „Sergeant Winter.“
Als er meinen Namen aufrief musste ich mich daran hindern dem instinktiven Impuls nachzugeben Haltung anzunehmen und zu salutieren. „Sir.“
„Sie kommen mit mir.“ Ich trat an seine Seite und folgte ihm in das Zelt, welches einige Meter entfernt errichtet worden war und von zwei Beamten bewacht wurde. Als ich das Zelt betrat stieg mir sofort der vertraute Geruch von frischem Blut in die Nase, der sich in dem gesamten Zelt ausgebreitet hatte.
Der Körper einer Frau erstreckte sich auf der Seite liegend vor mir.
Auf den ersten Blick war sie scheinbar auf dem Weg nach Hause oder zu Freunden gewesen, denn so, wie sie sich gekleidet hatte schien es nicht so zu wirken als ob sie auf die nächste Party gehen wollte – leicht abgenutzte Chucks in weiß und dunkelblau, eine schwarze, fein gebügelte Cargohose, ein Hemd mit Weste, dunkelblauer Krawatte und einer dunklen Jacke, welche wie die eines Offiziers aus dem späten 19. Jahrhundert aussah. Zuerst dachte ich, das Hemd hätte eine bordeauxfarbene Färbung, aber erkannte ich schnell dass es lediglich vom Blut des Opfer getränkt worden war, bevor es sich zu einer Lache entwickelt hatte, von der ihr Körper umschlossen wurde. Das Gesicht konnte ich zu meiner gleichzeitig leichten Überraschung, als auch Verwirrung nicht erkennen, denn wurde es von einer Maske bedeckt, die sicherlich ebenfalls zu der Ankündigung des Superintendent beigetragen hatte, als er meinte, die Schwere des Verbrechens ähnelte dem des Teufelsautors.
„Wissen wir schon, wer sie ist?“, fragte der Superintendent den Beamten Havelock, ein Officer, der trotz seiner durchschnittlichen Statur einen besonderen Charme und Charakter mit einem wachen Verstand besitzt, der es wie ich damals geschafft hatte sich schnell hoch zu arbeiten und nur einen Rang unter mir stand, aber vermutlich schon in Kürze weit über mir stehen würde. Er stand neben dem Körper der Frau, kniete sich auf Anfrage des Superintendent nieder, entnahm dem Karton, in welchem sämtliche Beweisstücke, die man beim Opfer sichergestellt hatte, eines von ihnen, das wie jedes andere auch einzeln verpackt und versiegelt worden war und betrachtete schließlich den darin befindlichen Ausweis.
„Laut dem einzigen Ausweis, den wir bei ihr finden konnten, wobei das Foto seltsamerweise geschwärzt worden ist, handelt es sich bei dem Opfer um eine Claire Tanner, zweiundzwanzig, Studentin an der örtlichen Universität. Laut den Daten auf ihrem Ausweis und dem Inhalt ihrer Tasche studiert sie im vierten Semester Kulturwissenschaften mit Nebenfach Literatur. Zudem besucht sie anscheint zwei Sprachkurse. Mehr konnten wir bisher nicht herausfinden.“, berichtete er.
Der Superintendent seufzte als er hörte, wie jung sie noch gewesen ist. Sein Blick fiel auf die Maske.
„Können Sie sie ihr abnehmen?“ Der Beamte nickte, legte den Ausweis zurück in den Karton und drehte die Studentin vorsichtig auf den Rücken, ohne dass die Maske rutschte oder gar zu Boden fiel. Sie zeigte das Bildnis einer Katze, auch wenn ich nicht wusste welche Art von Katze die Maske genau darstellte, wenn es nicht sogar eine Mischung aus Katze und einem anderen Tier oder eine aus der Fantasie des Schöpfers entsprungene Katzenart darstellte. Der Officer nahm sich seine Kamera und machte einige Fotos, während wir ihm schweigend dabei zusahen und darauf warteten, das Gesicht der jungen Frau zu sehen. Als er fertig war legte er die Kamera beiseite, beugte sich über sie und schaute, wo sich die Riemen für die Maske befanden, mit denen sie an Ort und Stelle blieb, aber zu seiner Verwunderung fand sich nichts dergleichen. Er überlegte einen Moment, legte schließlich die Finger an den Rand der Maske und versuchte sie vorsichtig zu entfernen, ohne dabei irgendwelche möglichen Spuren zu kompromittieren oder gar zu zerstören. Ich bemerkte, wie er sich zwar bemühte, sogar wie sich der Kopf der jungen Frau ein kleines Stück hob, aber trotz seiner Bemühungen tat sich nichts. Er versuchte es ein weiteres Mal, wobei ein leises, reißendes Geräusch zu hören war, bevor er wieder von ihr abließ und sich an den Superintendent wandte.
„Was ist los?“ Havelock atmete kurz durch.
„Ich kann Sie nicht lösen, Sir.“
„Was meinen Sie, Sie können sie nicht lösen?“
„Sie scheint … irgendwie festgeklebt worden zu sein, Sir.“, erwiderte er. Der Superintendent schaute zu mir.
„Wer klebt seinem Opfer eine einfache Maske auf das Gesicht?“
„Ich könnte es mit roher Gewalt versuchen, Sir, aber würde ich das dem Opfer nur ungern antun.“
„Schon gut.“, erwiderte er.
„Ich glaube nicht, dass es sich hierbei um eine einfache Maske handelt, die man sich eben irgendwo beschaffen kann, Sir.“, erwiderte ich nachdenkend um seine Frage zu beantworten.
„Und wie kommen Sie darauf, Winter?“ Ich kniete mich neben dem Gesicht der Frau nieder.
„Sehen Sie sich die Maske genauer an.“, antwortete ich ihm und deutete auf einige Stellen. „Die Maske scheint exakt für sie angefertigt worden zu sein, sehen Sie? Die Konturen der Gesichtsform sind trotz des Motivs stark ausgeprägt und einzigartig, was nur bedeuten kann, dass es sich hierbei um eine Spezialanfertigung und somit um ein Einzelstück handeln muss. Eine normale Maske, wie sie jeder tragen kann, hat solche Ausprägungen nicht, da sie sonst nicht passen würde.“ Ich seufzte lautlos, während ich meine Hand zurückzog und die Maske genauer betrachtete. Sie besaß ihren ganz eigenen Stil, war so kunstvoll und vermutlich per Hand angefertigt und bemalt worden, denn erkannte ich, wie die vereinzelten Farben mit einem Pinsel aufgetragen worden sein mussten und selbst die harten Kanten, welche mit einem Metallicblau verziert worden sind, waren keine perfekten Linien mit sauberen Außenkanten wie von einer Maschine, aber dafür perfekt für jemanden mit einer ruhigen Hand und einer präzisen Handhabung. „Ich glaube nicht, dass diese Maske reiner Zufall ist.“, meinte ich nachdenkend, während ich mich wieder erhob.
Die beiden Beamten tauschten einen kurzen Blick miteinander.
„Begleiten Sie mich nach draußen, Winter.“ Schweigend folgte ich seiner Anweisung und begaben uns ein wenig abseits des allgemeinen Geschehens, als ich den Superintendent dabei beobachtete, wie er sich die Augen rieb und nicht recht wusste, ob er diese Unterhaltung führen wollte oder nicht. „Cass, ich weiß nicht, was mir mehr Sorgen bereitet.“, begann er. ‚Cass‘ nannte er mich nur, wenn wir unter uns waren, damit die anderen Kollegen nicht mitbekommen konnten, wie nah wir beide uns standen. „Dieser Fall, wobei ich glaube dass dies lediglich der Anfang ist, oder die Tatsache, dass er mich an deinen Traum erinnert, von dem du mir erzählt hast als du mich darum gebeten hattest mehr Frühschichten zu übernehmen.“
„Sie … denken doch nicht, dass es einen Zusammenhang gibt, oder?“, fragte ich ihn ein wenig verunsichert. Er atmete kurz durch.
„Vielleicht mag ich mich auch einfach irren oder auch wenn es weit her geholt ist, aber das Bild der jungen Frau in dem Zelt mit dieser Maske scheint doch einige Parallelen aufzuzeigen.“
„Das mag schon stimmen, aber … es war nur ein Traum.“ Er wusste genauso gut wie ich, dass Träume nur chemisch projizierte Bilder unseres Vorstellungsvermögens während der Tiefschlafphase sind und somit nicht der Realität entsprechen, sofern es sich um keine Erinnerungen handelt, die wir wirklich erlebt haben.
„Wem hast du noch davon erzählt?“ Eine beklemmende Unruhe und Verunsicherung erfasste mich, als mir bewusst wurde, dass er mich gerade verhörte, wenn auch mehr auf freundschaftlicher Ebene und nicht auf dienstlicher.
„Sie glauben, dass …?“
„Ich weiß es nicht.“, widersprach er mir ruhig. „Vielleicht ist es auch nur ein dummer Zufall, aber du weißt genauso gut wie ich, dass wir nichts außer Acht lassen sollten, vor allem bei diesem Fall.“ Ich wusste, dass er recht hatte, schließlich hatte er mir das beigebracht. „Also, gibt es noch jemanden, dem du davon erzählt hast?“
„Herrn Kujima. Sie haben mich dazu aufgefordert einmal pro Woche zu ihm zu gehen, seit das alles angefangen hat. Sonst niemandem.“ Nach einem Moment des Zögern fügte ich hinzu: „Sie denken doch nicht …?“
„Nein.“, unterbrach er mich sofort. „Dafür kenne ich den Mann zu gut. Trotzdem werde ich mit ihm reden.“
„Sollte ich dann nicht besser mit Ihnen gehen?“
„Auch wenn ich das vor den anderen nicht laut aussprechen oder zugeben würde, aber ich weiß, dass du ein scharfes Auge und einen klaren Verstand besitzt, daher möchte ich, dass du dich um das Opfer kümmerst, denn ich glaube dass du bei ihren Angehörigen oder Freunden weitaus mehr erreichst als manch anderer Kollege.“
„Ist das eine Anordnung?“ Er lächelte wie ein stolzer Vater, der sich darüber bewusst war, dass er seine Tochter richtig erzogen hatte.
„Wenn du mich so fragst, ja, Sergeant.“
„Ich melde mich bei Ihnen, Sir.“ Mit einer Handbewegung entließ er mich und nahm seine gewöhnliche Haltung mir gegenüber an, während er sich einem Beamten zuwandte, der zu uns gekommen war und ich mich zurück zum Zelt aufmachte, wo sich bereits die Gerichtsmedizinerin und zwei ihrer Assistenten eingefunden hatten. Sie schlossen gerade den Reißverschluss des Leichensacks und hievten ihn vorsichtig auf die Bahre, als mich Doktor Layhne eintreten sah und sich an mich wandte.
„Hey Cassandra. Habe gehört, dass man die gesamte Abteilung her zitiert hat.“, begrüßte sie mich ein wenig freudlos und gab das Signal, dass ihre beiden Assistenten das Opfer in den Wagen legen konnten. „Ein schrecklicher Anblick.“, kommentierte sie bedauernd, während die beiden Männer das Zelt verließen.
„Kannst du schon etwas sagen?“ Sie seufzte.
„Zurzeit noch nicht, aber werde ich mehr wissen, wenn ich sie auf dem Tisch habe.“
„Hättest du etwas dagegen, wenn ich mich dir anschließe?“ Sie lächelte, als ob sie insgeheim darauf gewartet oder gehofft hatte, dass ich sie das fragen würde.
„Ganz und gar nicht.“
Eine halbe Stunde später stand ich am Stahltisch, auf dem die junge Frau lag und wartete auf Doktor Layhne, die sich um die Formalitäten kümmerte, bevor sie anfangen konnte. Jetzt wo ich sie vor mir liegen sah und die Maske betrachtete musste ich an die Worte des Superintendent denken, auch wenn sie, wie er schon meinte, etwas weit hergeholt waren. Und dennoch keimte in mir der Gedanke auf, dass dies vielleicht kein Zufall sein konnte.
Bereits ohne dass Doktor Layhne die jungen Frau entkleidet hatte erkannte ich die tödliche Stichwunde in ihrer Brust. Irgendetwas scharfes hatte sie ohne besonders großen Widerstand durchdrungen und musste direkt das Herz durchstoßen haben, was bedeuten musste, dass der Täter sehr kräftig war.
Mein Blick wanderte zu ihrem Hals, an dem sich einige Würgemaler einer großen Hand fanden und schließlich zu der Maske, welche mich immerzu an die des Unbekannten aus meinem Traum erinnerte, auch wenn sie ein anderes Motiv besaß, zeichnete sich hier dennoch sehr deutlich derselbe Stil ab, mit dem die Maske gefertigt worden war. Unterhalb der Schläfe entdeckte ich ein Rinnsal von getrocknetem Blut, welches unter der Maske hervorgetreten war und schien auf eine Kopfverletzung an der Schläfe oder der Stirn hinzudeuten, die sie wohl benommen gemacht und ihr die Orientierung genommen hatte, wodurch der Täter die Oberhand gewonnen und schließlich zugestoßen hatte, was auf Kampfsporterfahrung oder eine militärische Ausbildung hindeutete. Gleichzeitig zeigte es mir aber auch auf, dass sich diese junge Frau bis zuletzt gewehrt haben musste, weshalb ich vorsichtig ihren rechten Arm nahm und mir ihre Hand betrachtete.
Sie war zierlich und wirkte beinahe … zerbrechlich, nicht zuletzt durch den Schnitt am Hautlappen zwischen Daumen und Zeigefinger und der Stichwunde in ihrer Handfläche, mit der sie die Klinge abgewehrt haben musste. Ich umrundete den Tisch und schaute mir ihre andere Hand an, an der sich sich zwar keine größeren Abwehrverletzungen fanden, dafür aber vermehrt Blutergüsse an den Knöcheln, dem Handrücken und Fingergelenken, mit denen sie wohl ein oder mehrfach zugeschlagen hatte. Als ich den Ärmel von ihrem Handgelenk schob zeigte sich ein weiterer Bluterguss, was bedeutete, dass sie auch mit dem Arm zugeschlagen und oder sich damit verteidigt haben musste, als auch eine zweite Stichwunde, die für mich danach aussah, als ob die Klinge zwischen Elle und Speiche in ihren Arm gefahren war. Anhand dessen wie rot die Haut ihres Armes durch das ausgetretene Blut war, musste sie dabei die Hauptarterie verletzt haben. Vorsichtig legte ich ihren Arm wieder auf den Tisch und beobachtete Doktor Layhne, die sich näherte um mit ihrer Untersuchung zu beginnen.
Ich beobachtete sie dabei, wie sie sich die Handschuhe überstreifte, sich zuerst der Maske zuwandte und diese kurz betrachtete.
„Dann wollen wir doch mal sehen.“, sagte sie mehr zu sich selbst und versuchte es zuerst wie der Beamte Havelock mit den Händen, ehe sie sich ein Skalpell nahm und es vorsichtig zwischen Maske und Haut schob, ohne dabei die Haut zu verletzen. Langsam und mit einer chirurgischen Präzision schnitt sie durch diesen winzigen Zwischenraum und wiederholte diesen auf der anderen Seite, als sie schließlich kurz durchatmete, erneut die Finger an die Maske legte und sie ihr vorsichtig entfernte. Das Geräusch von reißendem Kleber war zu hören, als dieser nachgab und das Gesicht der Studentin frei gab, welches von einem dünnen Rand von Kleberückständen eingerahmt wurde. Doktor Layhne legte die Maske auf dem Kopfende des Stahltisches ab, welcher als Ablagefläche für die Gerichtsmediziner diente und fuhr der jungen Frau sanft durch die Haare. „Noch so jung.“ Sie schaute zu mir. „Sie kann nicht älter als dreiundzwanzig sein.“
„Zweiundzwanzig. Man fand ihren Ausweis bei ihr.“, erwiderte ich. Seufzend atmete ich kurz durch und fragte mich wer einem solch jungen Menschen so etwas antun konnte. Auf Bitten Doktor Layhnes half ich ihr dabei, die junge Frau zu entkleiden und die vereinzelten Kleidungsstücke in Beweisbeutel zu stecken und zu beschriften, wobei mir anhand ihrer Unterwäsche auffiel, dass sie es nicht nur verstand sich oberkleidertechnisch elegant zu kleiden, sondern vermutlich noch jemanden um den Verstand bringen wollte, das sie trotz des schlichten und dabei doch eleganten Schnittes der beiden Kleidungsstücke sicherlich ohne viel Mühe geschafft hätte.
Während sie damit beschäftigt war den Körper der Studentin zu waschen um ihn anschließend besser untersuchen zu können, ging ich nach draußen um etwas frische Luft zu schnappen und dabei einen Kaffee zu trinken, in der Hoffnung er würde mir helfen nicht ständig daran zu denken, was diese Frau in den letzten Minuten ihres Lebens durchgemacht haben musste.
Eine Stunde später kam einer von Doktor Layhnes Mitarbeitern und sagte mir, dass sie nun fertig sei.
Ich bedankte mich bei ihm und nur wenige Minuten später stand ich erneut neben dem Tisch, ein wenig erleichtert darüber, dass zumindest Claires Intimbereiche, wenn auch mit einfachen Laken, bedeckt worden waren.
Mit einem aufmerksamen Blick betrachte ich ihren Körper.
Er war von durchschnittlicher Größe für eine junge Frau in ihrem Alter, sportlich und schön mit anzusehen. Eine schier makellose Haut mit leichtem Teint, geschmeidigen Rundungen und einem Brust-Taillen-Hüft-Verhältnis, welches nicht nur jeden jungen Mann in ihrem Alter den Kopf verdrehen, sondern auch so manches Model eifersüchtig machen konnte. Ihr Gesicht stand in diesen Dingen in nichts nach – weiche Rundungen mit wenigen Kanten und Proportionen, welche der Inbegriff von Perfektion zu sein schienen. Umspielt wurde es von mittellangen, schwarzen Haaren mit blau gefärbten Spitzen, wodurch es noch mehr zur Geltung kam und dabei keinerlei Make-up benötigte.
Die perfekte Frau kam es mir in den Sinn, auch wenn dies vielleicht nur meine persönliche Meinung ist.
Und nun mit anzusehen zu müssen, was man ihr angetan hatte, würde das Kommende nur noch verschlimmern, wenn ich ihren Angehörigen und Freunden die albtraumhafte Nachricht ihrer Ermordung mitzuteilen hatte.
Neben den bereits bekannten Verletzungen an Händen, Armen, Brust und Schläfe fanden sich mehrere Blutergüsse an Rippen und im unteren Brustbereich, sowie eine tiefe Stichverletzung in der Taille, die von den Massen von Blut bedeckt waren. Neben diesen frischen und erst kürzlich zugefügten Verletzungen fanden sich noch zwei bereits vor Jahren verheilte Verletzungen an ihrer rechten Augenbraue und der Unterlippe, wodurch die Schönheit ihres Gesichtes jedoch keinen Abbruch genommen hatte, sowie an ihrem rechten Arm, was entweder darauf schließen ließ, dass sie bereits schon vorher einmal Opfer einer Messerattacke gewesen ist oder sie sich selbst zugefügt haben musste, was auch immer der Grund dafür gewesen sein mochte.
Doktor Layhne, die ein wenig erschöpft und ratlos aussah, stützte sich mir gegenüber auf dem Tisch ab. „Die letzten Minuten müssen für sie voller Angst und Verzweiflung gewesen sein.“, begann sie.
„Und dennoch hat sie bis zuletzt gekämpft.“, merkte ich an, auch wenn das kein besonders großer Trost war.
„Das stimmt. Sie war wirklich eine Kämpfernatur. Aber wenigstens musste sie zum Ende hin nicht leiden. Was auch immer der Täter benutzt hat, es war sehr scharf und er muss mit aller Kraft zugestoßen haben, so sauber wie die Klinge das Brustbein durchdrungen und den Herzbeutel vollständig durchstoßen hat, was ich zugegebenermaßen bisher kaum gesehen habe.“
„Dann war dies die Todesursache?“
„Die Unmittelbare, aber hätte er das nicht tun müssen. Die Verletzungen an Arm und Taille, sowie die schweren Blutergüsse im unteren Thoraxbereich, die zu einer empfindlichen Verletzung des Zwerchfells und zwei gebrochenen Rippen führten, wodurch sich schwere innere Blutungen bildeten, hätten gereicht um sie innerhalb von wenigen Minuten zu töten. Der Stich ins Herz hat ihr dieses Leid jedoch erspart.“ Ihr Blick galt wieder mir. „Ihr sucht einen Täter, der Kenntnisse im Kampfsport besitzt, polizeilicher- oder militärischer Standard, wenn nicht sogar höher.“ Ich nickte, womit ich ihr zu verstehen gab, dass ich mir das merken werde.
„Tatzeitpunkt?“
„Ihrer Körpertemperatur nach und unter Berücksichtigung der Temperaturen zum Zeitpunkt ihres Todes vor etwa viereinhalb bis fünf Stunden.“ Mitten in der Nacht also.
„Finden sich irgendwelche Fremdspuren?“ Sie drückte sich vom Tisch ab und atmete tief durch.
„Nichts. Keine Fingerabdrücke, kein Haar, keine Hautfetzen, Dreck, Stoff, nichts, was auf Kontakt mit dem Angreifer hinweist, als ob sie … gegen einen Geist gekämpft hätte.“
„Kannst du etwas über die älteren Verletzungen sagen?“, fragte ich weiter, ohne mich von ihrer Aussage über das Fehlen jedweder Spuren irritieren zu lassen. Sie setzte sich ihre Brille wieder auf, die sie zuvor abgenommen hatte und schaute sich die Verletzung am Arm an, da die beiden im Gesicht scheinbar keine besondere Relevanz besaßen.
„Eine scheinbar selbst beigefügte Verletzung, die gut ausgeheilt ist. Schon mehrere Jahre alt. Könnte eine Verzweiflungstat gewesen sein, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wer ein solches Mädchen zu so etwas bringen würde.“
„Vielleicht ist sie nicht so unschuldig, wie es den Anschein hat.“
„Ich bitte dich, Cass.“, meinte sie verärgert und nahm demonstrativ die Brille ab. „Eine junge Frau wie sie, welche Kulturwissenschaften und Literatur studiert, nebenbei noch zwei Sprachkurse macht und sich dabei so unscheinbar kleidet, ist wohl kaum jemand der sich aus reinem Vergnügen Feinde macht und diese nicht ernst nimmt. Komm schon, du weißt es besser als jeder andere Kollege hier.“
„Das mag stimmen, aber du vergisst, was meine Aufgabe ist.“
„Ja.“, seufzte sie, als sie sich das wieder ins Gedächtnis rief. „Erst alles über das Opfer in Erfahrung bringen, bevor man sich ein Urteil erlauben darf. Trotzdem weißt du genauso gut wie ich, dass, wenn ich jemanden auf dem Tisch habe, schnell weiß, um welche Art von Mensch es sich handelt.“ Das wusste ich tatsächlich, da Doktor Layhne eine besondere Menschenkenntnis besitzt, auch wenn es sich dabei nur um stumme Zeugen eines Gewaltverbrechens handelte. „Und dieses Mädchen scheint mehr der unauffällige Typ gewesen zu sein, als jemand der sich mit jedem anlegt, der ihr nicht passt.“
„Du weißt, dass ich deine Meinung nur selten anzweifle, trotzdem will ich mir erst noch einige Informationen beschaffen, bevor ich mir ein persönliches Urteil erlaube.“ Sie lächelte.
„Du änderst dich wohl nie. Erst alle Fakten zusammentragen, wenn es möglich ist und dann erst auf sein Bauchgefühl hören.“
„Du hälst wohl nicht viel davon.“
„Süße, nachdem, was dir passiert ist, habe ich vollstes Verständnis dafür, schließlich will ich nicht noch einmal die Befürchtung haben, dich eventuell hier bei mir auf dem Tisch liegen sehen zu müssen.“ Wir schauten uns einen Moment an. „Ich mache den Bericht fertig und lasse ihn dir auf den Schreibtisch legen.“
„Danke, Doktor.“, erwiderte ich und ging.
Während ich mich auf dem Weg zum Campus der Universität befand musste ich immerzu an das Telefonat mit Claires Eltern denken, das ich nach meinem Besuch in der Gerichtsmedizin mit ihnen geführt hatte, wobei ich nicht wusste, was schlimmer gewesen ist – das Überbringen der Nachricht oder die Reaktionen der Eltern, die, auch wenn sie nicht persönlich vor mir saßen, recht kühl und abwesend ausgefallen waren. Es war, als ob der Tod ihrer Tochter für sie keinerlei oder nur eine geringe Bedeutung oder auch nur jedwedes Interesse hatte. Schon nach wenigen Minuten war das Gespräch zu Ende gewesen und mir stellte sich die Frage, was diese junge Frau neben ihrem letzten verzweifelten Kampf wohl noch alles hatte ertragen müssen.
Am Campus angekommen wartete bereits die Direktorin, die ich vor meiner Abfahrt angerufen und informiert hatte. Ich sah ihr an, dass ihr der Verlust einer Studentin, ob sie sie nun kannte oder nicht, merklich nahe ging. Nach einem kurzen Wortwechsel begleitete ich sie zum entsprechenden Gebäude, in welchem Claires Kurs gerade die letzten Minuten der momentanen Vorlesung beiwohnte. Auf dem Weg dorthin erzählte sie mir ein wenig von ihr, da sie zu eine der besten ihres Jahrganges gehörte. Genauere Informationen über Claires Verhältnisse zu anderen Kommilitonen, zu Freunden, Familie oder ihrem Privatleben konnte sie mir jedoch nicht geben, da sich Claire in diesen Dingen wohl sehr bedeckt gehalten hatte.
Schließlich erreichten wir den Vorlesungssaal.
Die Direktorin klopfte kurz an die Tür, ehe sie eine von ihnen öffnete und wir gemeinsam den Saal betraten.
Die Blicke sämtlicher Studenten richteten sich auf uns und eine eiserne Stille setzte ein, sodass man die Schritte ihrer High Heels und meiner Stiefel deutlich hören konnte. Der Dozent nahm ein wenig verwirrt über meine Anwesenheit die Brille ab und fragte die Direktorin, was diese zu bedeuten hatte. Während ich meinen Blick durch den vollen Saal streifen ließ und die Studenten dabei beobachtete, wie sie sich untereinander unterhielten und Vermutungen aufstellen, was für ein Vorfall meine Anwesenheit erklären konnte, klärte sie den Dozenten auf, ohne dass es jemand der anderen Anwesenden mitbekam.
Schließlich wandte sich die Direktorin an die Studenten und bat Claires Freunde darum noch einen Moment sitzen zu bleiben, sobald die Vorlesungszeit endete. Kaum hatte sie den Satz beendet, klingelte es. Schweigend oder in kleinen Gesprächen versunken nahmen sich die Studenten ihre Sachen und verließen bis auf die zuvor Aufgeforderten den Saal. Von den etwa einhundert Studenten waren es gerade einmal vier, die sitzen blieben.
Nicht besonders viel, da man doch eigentlich denken könnte, dass man als Studentin mehr als zwanzig Freunde haben musste, aber überraschte es mich auch nicht besonders angesichts dessen, welch unscheinbarer Typ Claire gewesen zu sein schien.
Anders als bei ihren Eltern fielen die Reaktionen ihrer Kommilitonen wie erwartet aus, als ich ihnen die bedauerliche Nachricht über den Tod ihrer Freundin übermittelte. Zuerst wollten sie es nicht glauben, widersprachen meiner Aussage, bis ich ihnen schließlich ein Foto aus der Gerichtsmedizin zeigte, damit sie sie identifizieren konnten.
Das Betrachten des Bildes brach jedweden Widerstand und Widerspruch.
Völlig fassungslos brachen zwei der drei Mädchen zusammen, die dritte, die mir noch gerade eben vehement widersprochen hatte, sank auf der Bank zusammen und versuchte nicht genauso wie die anderen beiden dem emotionalen Zusammenbruch zu erliegen. Und auch dem jungen Mann, der sich von einem der hinteren Ränge nach vorne gesetzt hatte, konnte ich ansehen, dass es ihm schwer fiel nicht in Tränen auszubrechen, sich aber beherrschte um für die anderen da zu sein und ihnen Trost zu spenden.
Ihre Gesichter, ihre Reaktionen über den Verlust einer guten Freundin mit ansehen zu müssen – solche Bilder brennen sich einem förmlich ins Gedächtnis, sodass man sie lange nicht vergessen würde und in einem nur noch den Wunsch weckten, dass Versprechen, den Verantwortlichen dafür zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen, unter allen Umständen einzuhalten.
Nachdem die Vier die gemeinsame Freundin und Kommilitonin identifiziert hatten bat ich sie darum, sich am nächsten Tag vor den Vorlesungen bei der Direktorin einzufinden, um sie zu Claire zu befragen, bevor ich die Studenten schweren Herzens entließ. Ich sah ihnen noch einen kurzen Moment hinter her, als ich mit der Direktorin alles weitere besprach, mich nach wenigen Minuten von ihr verabschiedete und mich zurück zur Wache aufmachte, wo ich damit begann einen vorläufigen Bericht für den Superintendent zu schreiben.
Am Ende dieses emotional anstrengenden Tages fühlte ich mich nur noch ausgebrannt und erschöpft.
Ich wollte nur noch unter die warme Dusche, ein Glas Wein trinken und anschließend ins Bett, auch wenn ich wusste, dass mich dieser Traum zum zehnten Mal heimsuchen könnte. Ich schloss die Tür hinter mir, lehnte mich gegen sie und atmete kurz durch, ehe ich die Mütze abnahm und sie neben die Schüssel, in die ich meine Schlüssel legte, auf der Kommode ablegte und plötzlich inne hielt.
Ich wusste nicht warum, aber verspürte ich mit einem Mal einen kalter Schauer, der sich wie eine zweite Haut um mich legte und mir eine Gänsehaut bereitete, während sich zugleich meine Haare aufstellten und mein Atem in ein leichtes Keuchen überging. Behutsam und unauffällig griff ich langsam nach meiner Waffe.
„Hallo, Vivien.“ Noch bevor ich mich fragen konnte, woher er von meinem zweiten Namen wusste, fuhr ich mit einem Mal herum, zog meine Waffe und richtete sie auf den Sessel, als inmitten der Bewegung weißes Licht vor meinen Augen explodierte und ich nur noch den dumpfen Aufschlag meines Körpers und der Waffe hörte, die mir beim Sturz aus den Händen geglitten war.
Wie lange ich der Bewusstlosigkeit erlegen war wusste ich nicht, aber müssen es nur wenige Minuten gewesen sein, als ich langsam wieder zu mir kam. Ich lag auf der Couch vor dem Kamin, auf die mich der Unbekannte gelegt haben musste, nachdem ich reglos am Boden lag. Vor dem Kamin machte ich seine Gestalt aus, gekleidet in einem weiten, langen und leicht abgenutzten Mantel mit Kapuze, während er ruhig dastand und die Flammen des kleinen Feuers betrachtete, dessen Holz bei dem warmen und leuchtenden Tanz der Flammen knisterte und von ihnen verzehrt wurde.
„Bitte entschuldigen Sie die grobe Behandlung, aber angesichts Ihres Vorhabens hätte ich sonst keinerlei Chancen gehabt Ihnen mitzuteilen, was ich zu sagen habe.“ Ein drückender Schmerz durchfuhr mich, ich spürte feuchtes Blut, das in kleinen Rinnsalen an meiner Schläfe über die Stirn und der Wange hinunter lief. Ich fasste mir an den Kopf und richtete mich langsam und stöhnend auf.
„Wer … Wer sind Sie?“, fragte ich ihn gegen die Schmerzen ankämpfend. Meine Frage schien ihn ein wenig zu amüsieren.
„Die Frage, die man immer als erstes stellt, wenn man einem Fremden gegenüber steht. Ist Ihnen das schon einmal aufgefallen?“
„Antworten Sie mir!“, forderte ich ihn auf und suchte nach meiner Waffe, ohne dass er es bemerkte.
„Sparen Sie sich die Mühe.“, sagte er gelassen, ohne sich vom Tanz der Flammen abzuwenden und zeigte mir meine Waffe, die er in der Hand hielt, als ob er jede meine Fragen oder Handlungen bereits im Vorfeld wusste. „Ob Sie mir glauben möchten oder nicht, aber will ich nur, dass Sie mir zuhören, Sergeant.“
„Und … warum sollte ich das?“, fragte ich noch immer gegen den Schmerz ankämpfend, der auf meinen Schädel drückte als befände er sich in einem Schraubstock, aber hatte zumindest die Blutung gestoppt. Ich beobachte den Unbekannten, wie er sich zu mir drehte, wobei sich mein Blick seinem Gesicht zuwandte, aber als ich es dann schließlich vor mir sah, erstarrte ich im selben Moment, als hätte ich einen Geist gesehen.
Mein Herz begann so laut und so schnell zu rasen, dass nicht nur ich, sondern auch er selbst es hören konnte, mein Atem ging in ein stockendes Keuchen über und das Blut in meinen Adern schien mit einem Mal zu gefrieren.
Mein Blick starrte noch immer unter die Kapuze, die er über dem Kopf trug, als ob nicht nur mein Körper, sondern auch er vor Angst erstarrt war, ohne jedwede Möglichkeit sich davon abzuwenden.
Die Maske.
Die Maske, dessen Form die eines Wolfes glich und deren Ohren durch zwei Schlitze in der Kapuze aus ihr heraus traten – es … es war dieselbe Maske. Dieselbe Maske, die ich immerzu in meinem Traum gesehen hatte, jene, die nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt war und mich betrachtete, während ich in dem Bett lag und gegen die Schmerzen und das Unvermeidliche ankämpfte.
„Was … was hat das zu bedeuten?“ Ein erheitertes Lachen drang durch die Maske, als erfreue ihn mein Anblick, meine Angst und aufkeimende Panik.
„Mein Erscheinen hier scheint Sie zu überraschen.“
„Das … das kann nicht sein. Das … das muss ein Traum sein.“, keuchte ich angsterfüllt, während sich meine Muskeln anspannten, darauf gefasst jederzeit entsprechend seiner Bewegungen zu handeln. „Du … du kannst nicht real sein.“
„Und dennoch stehe ich hier vor Ihnen.“ Er schaute mich einen Moment an. „Sie werden es bald verstehen, dessen bin ich mir sicher, aber fasse ich mich kurz, denn werden wir noch oft Gelegenheit bekommen miteinander zu reden. Sei es hier oder anderswo, wo dieses anderswo auch immer sein mag.“
„Was … was meinst du?“
Schweigend griff er in die Innentasche seines Mantels und holte ein kleines Etui heraus, dem er eine Spritze entnahm. „Dieser Traum, den Sie immer wieder durchleben, ist keine Einbildung, aber auch keine richtige Realität. Ich könnte jetzt versuchen es Ihnen zu erklären, aber so viel Zeit haben wir leider nicht.“
„W-Wovon sprichst du?“ Der Schmerz in meinem Kopf hielt weiter an, sodass ich schon beinahe an eine leichte Gehirnerschütterung dachte, nachdem er so kräftigt zugeschlagen hatte und mich immer noch ein wenig darin beeinträchtigte einen klaren Gedanken zu fassen. Ich beobachtete ihn, wie er zu mir trat und sich zu mir vorbeugte, während ich, so gut es mir möglich war, zurück wich. Schließlich legte er seine kräftige Hand auf meine Schulter, hielt sie aber nur mit sanfter Kraft fest, als wollte er alles daran setzen mich nicht zu verletzen.
„Wenn Sie sich wehren machen Sie es nur schlimmer und ich müsste zu anderen Methoden greifen, die ich nur ungern anwenden müsste, vor allem bei einer Frau wie Ihnen.“ Keuchend beobachtete ich die Nadel der Spritze.
„Was … was ist das?“
„Damit werden Sie mich finden, sei es in Ihrer oder meiner Welt.“ Er schien mir anzusehen, dass ich ihm nicht wirklich glaubte, geschweige denn verstand, wovon er eigentlich redete. „Wenn ich Sie hätte töten wollen, dann wären Sie es bereits und die Geschichte würde enden, bevor sie überhaupt richtig begonnen hätte.“ Ich wusste nicht warum ich es tat, aber hörte ich auf mich gegen ihn wehren zu wollen und ließ es einfach zu, wie er die Nadel ansetzte und mit einer wohl kalkulierten Präzision in meine Haut stach. Ein brennendes Drücken erfasste mich, als er die Flüssigkeit langsam in meine Halsvene injizierte, mir wurde schwindelig und ich fühlte mich schwach, während ich zugleich die Zähne zusammen biss, sodass mein Kiefer begann zu schmerzen, den Drang zu schreien unterband und seinen Arm packte, mit dem er mich fest hielt und zudrückte, ohne sich davon ablenken oder beirren zu lassen. Nach wenigen Sekunden zog er die Nadel wieder heraus und ließ mich erschöpft auf die Couch sinken. Ich keuchte und hustete ein wenig um meine brennenden Lungen mit Sauerstoff zu versorgen, nachdem ich bemerkte dass ich während der Injektion die Luft angehalten hatte. „Die Nebenwirkungen lassen in wenigen Tagen nach und werden keine bleibenden Schäden hinterlassen.“, erklärte er mir und steckte dabei die Spritze zurück ins Etui und dieses wiederum in seine Innentasche. „Aber bevor ich jetzt gehe, sollten Sie noch eines wissen.“
„W-Was … was soll ich wissen?“, erwiderte ich halb bei Bewusstsein.
„Claire, die junge Studentin, ist lediglich der Anfang der Geschichte. Unserer Geschichte.“ Schwach und völlig entkräftet schloss ich die Augen, ohne zu wissen was um mich herum passierte, obwohl ich weiterhin vergeblich versuchte sie offen zu halten. Schließlich kämpfte ich nicht mehr dagegen an und ließ mich einfach fallen.
Im nächsten Moment öffnete ich schlagartig die Augen und setzte mich auf.
Ich spürte wie mein Herz raste, wie einige Strähnen an meiner feuchten Haut klebten und mein Atem in ein Keuchen übergangen war. Ich schaute mich um, um mich zu vergewissern dass ich alleine war und bemerkte, dass ich mich im Bett meines Schlafzimmers befand. Ich versuchte mich zu beruhigen und rieb mir ein wenig erleichtert den Nacken, als ich mir sicher war, dass sich niemand anderer außer mir im Zimmer befand und daran dachte, dass dies nur ein weiterer dieser Albträume gewesen sein musste, auch wenn dieser völlig neu gewesen ist.
Mein Blick fiel auf die Uhr auf dem Nachttisch – 4:15 Uhr morgens.
Ich seufzte, stand auf und ging ins Badezimmer, wo ich den Wasserhahn aufdrehte und mir einen kalten Schuss Wasser ins Gesicht spritzen ließ. Ich atmete tief durch, drehte den Wasserhahn wieder zu und schaute in den Spiegel, als ich inne hielt.
Vorsichtig tastete ich nach der Verletzung an meiner Schläfe, die jemand gereinigt und mit einigen Pflasterstripes verschlossen hatte. Ein unangenehmer Verdacht schoss mir durch den Kopf, neigte diesen ein wenig zur Seite und ertastete mit immer stärker werdendem Keuchen und Zittern nach der kleinen Einstichstelle an meiner Halsvene. Kaum dass ich sie mit den Fingerspitzen meiner Hand berührte, um mich zu vergewissern dass ich sie mir nicht nur einbildete, stand ich kurz davor zu hyperventilieren, da mir bewusst wurde, dass die Begegnung mit jener Gestalt aus meinem Traum, die ich fälschlicherweise genauso für einen Traum gehalten hatte, keine Einbildung, sondern Realität gewesen war. Er war nicht nur in meiner Wohnung gewesen, hatte mich bewusstlos geschlagen, mit mir geredet und mir diese unbekannte Substanz in der Spritze verabreicht, sondern schien durch seine letzten Worte, die er an mich gerichtet hatte bevor er ging, auch jener gewesen zu sein, der für Claires Ableben verantwortlich gewesen ist.
Ich war ihm begegnet.
Ich war dem Mörder begegnet, und ich würde es vermutlich wieder tun, denn wie er es bereits sagte war dies lediglich der Anfang der Geschichte.
Unserer Geschichte.
Kapitel 2: Wolfsjagd (2) – Creepypasta-Wiki
Bin gespannt wie es weitergeht ^^
Ganz großes Kino! Danke für deinen Content, den du hier ablieferst!
Leider sind hier einige Sätze unnötig in die Länge gezogen, zu viele Kommas wurden gesetzt, anstatt den Satz final zu beenden. Auch das Setzen von der, die, das war an einigen Stellen falsch
Auch das Geschlecht des Protagonisten, mal ist es ein Mann, dann eine Frau? „Er war von durchschnittlicher Größe für eine Frau ihres Alters“ Würde bei sowas mehr aufpassen, weil das maximal verwirrt D: