Sehr LangÜbersetzung

On A Hill

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

I

Die
Ereignisse der vergangenen Tage haben mein Verständnis der Welt erschüttert und
mich in einem schmerzlichen und perplexen Zustand zurückgelassen. Jedoch
verspüre ich den Drang, diesen Ereignissen in meinen Gedanken eine Struktur zu
geben; die schrecklichen Dinge, die ich gesehen habe, zu verarbeiten, damit
ich sie besser verstehen und meinen Verstand ruhen lassen kann – ich muss
festhalten, was genau passiert ist.

Rein
zufällig bin ich John R. begegnet. Es war im Frühling und die frühen Krokusse
hatten sich gegen den kalten Griff des Winters durchgesetzt. Ich recherchierte
für einen Artikel den ich für eine, sagen wir mal weniger angesehene,
Publikation schrieb, als ich in einem kleinen Dorf in den Highlands rasten
musste.

Um es milde
auszudrücken, war die ganze Sache frustrierend und ermüdend. Ich hätte
eigentlich in dieser Nacht zurück in Glasgow sein müssen, um meine Notizen
abzutippen und den Nebel fortzuwischen, welcher meine Schreiberei oft
begleitete. Ich war wenig begeistert davon, in einem kleinen Dorf mit nur einer
Straße und einem Gasthof zu sein, welcher den Anschein erweckte, seit dem
Mittelalter nicht mehr umgestaltet worden zu sein. Vor allem nicht nach Wochen
des Herumreisens, langwierigen Interviews und mit mehr als nur einer Nacht in
heruntergekommenen Bed and Breakfast Hotels.

Ein Dorf
weiter hatte es einen Erdrutsch gegeben, weshalb der örtliche Bus nicht fuhr
und was noch wichtiger war, mich in Sicherheit brachte. Es wurde immer
offensichtlicher, dass ich, nach mehreren Telefonaten um alternative
Reisemethoden zu beschaffen, bis zum nächsten Morgen hier gestrandet war. Der
verschlafene Gasthof, welcher den liebreizenden Namen „Laird of Dungorth“ trug
und mit seinen verdrehten Holzbalken und einer noch mehr verdrehten Klientel
den Eindruck erweckte, mich jede Sekunde zu erschlagen, würde also mein
nächtliches Quartier darstellen.

Nachdem ich
mit dem Vermieter, ein großer, abgehärmter Mann mittleren Alters, sprach, wurde
mir freundlicherweise ein Zimmer im oberen Stock bereitgestellt, in welchem
allem Anschein nach schon länger nicht mehr geschlafen, geschweige denn geputzt
wurde. Dennoch waren die Menschen nett genug und nachdem ich einen Bissen der
leckeren, örtlichen Spezialitäten genoss, saß ich in einem bequemen Sessel
zusammen mit einigen Bechern Bier und einer Weinflasche. Vor mir tanzten die
Flammen herum und als die Nacht und die Trunkenheit über mich hereinbrachen,
ging es mir ziemlich gut – fast schon so, als ob ich diese ländliche Umgebung
genoss. Das Dorf mag wohl etwas düster vorgekommen sein, aber gegen die kalten
Winde draußen und die einsetzende Dunkelheit wirkte der Gasthof recht
behaglich.  

Von der
Hitze des Kaminsims und einiger Weingläser benebelt, wusste ich nicht, wie
lange er schon dort saß, doch war es offensichtlich geworden, dass sich ein
weiterer Besucher des Gasthofs zu mir gesellt hatte. Er saß mir in einem
breiten, ausgefranzten Sessel auf der anderen Seite des Kamins gegenüber und
starrte in die tanzenden Flammen.

Seine Erscheinung
schien merkwürdig. Äußerlich machte er den Eindruck, als wäre er Mitte dreißig,
jedoch wirkte er sehr zerbrechlich, was man von einem Mann seines Alters nicht
erwarten würde. Sein Gesicht wurde vom Schein des Feuers erhellt und offenbarte
Besorgnis, sowie Falten, welche eine innerliche Zerrissenheit verrieten. Seine
Augen unkoordiniert, starr, und seine Hände zitterten leicht, als er sich an
den glühenden Kohlen wärmte.

„Gibt es ein
Problem?“ Ich hörte diese Worte, nahm von ihnen jedoch erst Notiz als sie
wiederholt wurden.

„Entschuldigen
Sie, gibt es ein Problem?“, sprach der Mann mich forsch an und ich merkte erst
jetzt, dass ich ihn seit einigen Minuten einfach nur angestarrt hatte.

„Nein,
überhaupt nicht“, entschuldigte ich mich: „Ich…ich dachte ich hätte sie schon
einmal gesehen.“

Als er mich
ansah, offenbarte sein Gesicht ein Ausdruck des Unglaubens bezüglich meiner
offensichtlichen Lüge, jedoch nicht ohne einen Tropfen von Humor.

„Es tut mir
Leid, dass ich Ihnen gegenüber so forsch war“, sprach er: „Wissen Sie, es nervt
mich, dass die Leute hier in der Gegend mich immer anstarren.“ Am Ende des Satzes
hob er seine Stimme und beäugte die verstreuten Trinker und Beobachter, welche
sich in dem Gasthof befanden. Man merkte ihnen an, dass sie sich wünschten,
sich seinem Blick entziehen zu können.

Wir gaben
uns dann eine Stunde dem Smalltalk hin. Sein Name war John R. Er stammte aus
London und war im Geschäft der Landaneignung tätig. Er behauptete, auf eine
nahegelegene Örtlichkeit zu spekulieren, welches ein örtlicher Bauer gewillt
war an Bauunternehmer zu verkaufen. Jedoch merkte ich schnell, dass es John
unangenehm war, über seine Arbeit zu sprechen. Ehrlich gesagt, wechselte er das
Thema der Konversation auf mich; meine Arbeit, mein Leben, meine Familie, ganz
gleich was. Es schien fast so, als wolle er die Konversation fortführen, in dem
verzweifelten Versuch, von seiner versteckten Unruhe abzulenken. Jedes Mal,
wenn ich ihm eine Frage bezüglich seines Lebens stellte, gab er nur Antworten
mit einem oder zwei Worten von sich, oder ignorierte alles und fuhr schnell mit
einer eigenen Frage fort.

Letztendlich
flaute die Konversation ab – was bei nur einem wirklichen Redner zu erwarten
war – und eine Weile saßen wir nur still da. Die einzigen Geräusche kamen von
einigen Einheimischen die zur Bar gingen, sowie von leeren Gläsern, welche vom Vermieter
gespült und getrocknet wurden.

Der Gasthof
war nun merklich dunkler geworden, das meiste Licht kam von den hängen Lampen
und dem Feuer, welches den ganzen Nachmittag vor sich hin gebrannt hatte.
„Wieso starren die Leute Sie an, John?“ fragte ich ohne nachzudenken.

Eine Stille
breitete sich aus als ich John ansah, eine Antwort erwartend. Seine Augen waren
auf den Boden gerichtet, sein Gesicht strahlte Sorge aus. Aufgrund der kurzen
Konversation, hatte ich keine ausladende Antwort erwartet, weshalb ich weiter
meinen Wein trank, als John plötzlich in einem leichten Tonfall antwortete:
„Alle wissen es, aber sie haben nicht den Mut, darüber zu reden.“ Er drehte
sich zu seinen Trinkgenossen, die immer noch im Gasthof waren, um und rief:
„Sie fürchten sich alle!“

Merkwürdigerweise
kam vom Vermieter, wie auch den Gästen, keine Antwort. Es schien so, als
ignorierten sie Johns Anschuldigung komplett. Nur ihre sporadischen Bewegungen
und Gespräche zeugten davon, dass sie den Wutausbruch überhaupt gehört hatten.
Ich hatte eine derartige, verletzende Antwort nicht erwartet, doch man konnte
die Verzweiflung darin hören; voller Angst und Frustration. John sah mich auf
eine Art und Weise an, die ich nur als Mischung aus Angst und Schmerz
beschreiben konnte, öffnete seinen Mund, als ob er etwas sagen wollte, ehe er
erneut zögerte. Ich spürte, dass der Man tief in seinem Innersten den Drang
verspürte, sich von dieser Last zu lösen, als ob eine Art giftige Information
sich in seine Seele bohrte.

Da ich ein
Autor bin, wurde meine Neugier geweckt, hier möglicherweise auf eine spannende
Geschichte gestoßen zu sein. Vielleicht eine, die in Zukunft als Grundlage
eines Artikels oder eines Berichts verwenden konnte. Annehmend, dass er nun nur
noch einen kleinen Ruck brauchte, um mir die Geschichte zu erzählen, lehnte ich
mich vor und flüsterte mit einem gemischten Gefühl im Bauch: „Was ist
passiert?“ Ich fühlte, dass ich nun Zeuge von etwas Wichtigem sein würde, doch
aufgrund seines Schüttelns und seiner angespannten Haltung hatte ich Angst vor
dem, was gleich folgte.

Ein weiterer
Moment verstrich und es fühlte sich an, als ob sich eine gespenstische Ruhe
über den Raum gelegt hätte und nahegelegene Personen hörten uns aus ihren
dunklen und unwirtlichen Ecken zu. Dann sprach er: „Wenn Sie so gütig sind,
Ihren Wein mit mir zu teilen, dann erzähle ich Ihnen die Geschichte.“

Das ließ ich
mir nicht zweimal sagen. Ich stand aus meinem Sessel auf und fragte den Wirt
nach einer zweiten Flasche und einem Glas, um es mit John zu teilen. Der Wirt
nahm beides aus einem Regal hinter ihm und stellte beides auf den Tresen vor
mir, alles mit einem verwunderlichen Zögern. Als ich zu meinem Sessel
zurückkehrte, wusste ich, dass alle Anwesenden mich nun beobachteten und ich
bemerkte ihre erdrückenden und unbequem wirkenden Blicke; verborgene,
bezichtigende Blicke, von Angst befallen.

Ich füllte
eines der Gläser mit Wein, welches John mit nur einem Zug leerte – ein Anblick,
den ich gut kannte: ein Mann, der eine in ihm wohnende Bosheit ertränken
wollte. Nachdem ich ihm nachfüllte, stellte ich die Flasche zwischen uns ab und
wartete gespannt auf seine Geschichte.

Nachdem er kurz
zu seinem Glas sah, hob er seinen Kopf und sah mich durchdringend an, als das
Feuer vor sich her brannte. Und dann, als ob er eine Last von seiner Seele
austrieb, fing er an.

II

Anfangs
hatte John vorgehabt, nicht mehr als einige Tage in diesem Dorf zu verbringen.
Selbst nachdem er den ganzen Tag von London hierher gereist war und der
Nachmittag den kalten Griff des schottischen Winters mit sich brachte, hatte er
vorgehabt, sofort anzufangen – je schneller er anfing, desto eher war er wieder
zuhause.

Er
arbeitete für eine große Firma, welche im Bereich der Landbeschaffung tätig
war. Es war seine Aufgabe, reiche Klienten zu akquirieren, welche nach Land
suchten, das sie bebauen konnten. Die Person, für die er zu dieser Zeit
arbeitete, war vor allem daran interessiert, Ackerland mit einem wunderschönen,
rustikalen Ausblick zu kaufen, auf dem er eine Ferienwohnung für seine Familie
bauen wollte. Der besagte Ort war er kürzlich von einem örtlichen Bauern,
welcher aufgrund der wirtschaftlichen Lage in Geldnot geraten war, zum Verkauf
ausgeschrieben worden. John wurde daher damit betraut, das Land zu beurteilen
und einen Preis auszuhandeln, basierend auf den Empfehlungen, welche von einer
Gruppe von Gutachtern, welche die Woche davor dort gewesen waren, gemacht
wurden.

Nachdem
er sich im Gasthof „Laird of Dungorth“ ein Zimmer genommen hatte, fuhr er mit
dem Auto zum besagten Hof, welcher nur einige Kilometer außerhalb des Ortes
lag. Das gesamte Gebiet bestand aus großen, weit ausgedehnten Feldern, welche
bestellt wurden und auf dem Tiere grasten, einige Wälder,
sowie ab und zu ein Fluss oder ein plätscherndes Bächlein. Die Verhandlungen
waren vergleichsweise einfach. Der Bauer – ein älteren Mann namens Dale –
brauchte so schnell wie möglich eine Finanzspritze, um den restlichen Hof über
Wasser halten zu können, während der Käufer sich sehr über den potentiellen
Kauf freute und hoffe, das Geschäft so schnell wie möglich abschließen zu
können.

Ganz
gleich, John war stets vorsichtig damit, ein Geschäft abzuschließen, ehe er das
Land nicht selbst begutachtet hatte. In alle den Jahren hatte er sich den Ruf
erworben, genau das zu liefern, was der Klient wollte, ohne dass es
irgendwelche böse Überraschungen gab. Etwa Bodenabsenkungen oder andere
Planungsschwierigkeiten. Obwohl ihm die eigentliche Arbeit der Begutachtungen
nicht gefiel, war John durchaus qualifiziert alles zu bemerken, was zu einem
späteren Zeitpunkt Probleme verursachen konnte. Trotz dieser genauen Art, Dinge
anzugehen, hoffte er dennoch, möglichst am nächsten Tag zurück in der Stadt zu
sein, sofern alles gut lief.

Der
Bauer Mr. Dale hatte John dankbar angeboten, diesen per Traktor auf das Land zu
bringen und es war nicht ohne das leichte Gefühl von Reue, dass John sich
anhörte, wie der alte Mann von der Geschichte der Gegend erzählte. Wie seine
Familie an dem Land hing und weshalb es für ihn so wichtig war, den Ort zu erhalten.
Doch Geschäft war Geschäft und das Geld, welches Dale aus den beiden besagten
Feldern schlagen würde, würden ihm einen beträchtlichen Zuschuss gewähren –
hoffentlich genug, um ihm in seiner finanziellen Not zu helfen.

Die
Nacht brach erneut herein und John war erleichtert darüber, dass die hügelige
und unbequeme Fahrt nicht allzu lange gedauert hatte. Nach einer kurzen Weile
hielt Dale den Traktor an und deutete auf die beiden zusammenhängenden Felder,
die er verkaufen wollte. Die nächste halbe Stunde verbrachte John damit, in
seinen Gummistiefeln durch den Schlamm und das Gras zu laufen und Bilder der Orte
zu machen, an denen sein Klient gedachte zu bauen. Dabei hielt sich John an die
Angaben der Gutachter verglich diese mit seinen eigenen Beobachtungen verglich.
Dale beteiligte sich nicht an der Begutachtung und stand daher nur am Rande der
Schotterstraße, dem Ganzen wie verlassen zusehend.

Endlich
war John fertig, doch gerade als das geschah, fielen seine Augen auf einen
Hügel einige Kilometer in der Ferne, welcher über dem gesamten Gebiet thronte.
Er schien unbewohnt zu sein, nur aufgrund einiger Wälder und etwas Gras zu
unterscheiden gewesen. Trotz seiner Entfernung schien der Hügel den Horizont zu
dominieren und ohne es zu sagen, fühlte John, dass der Hügel etwas Besonderes
und Einzigartiges war. Als er wieder zu dem Traktor zurückkam, deutete John auf
den Hügel, doch Dale schien nicht darüber reden zu wollen und beantwortete jede
Frage bezüglich des Hügels mit eisigem Schweigen. Es war Johns Aufgabe, ein
Portfolio von allem zu machen, von dem er dachte, dass es seine Klienten interessieren
könnten. Und da ihm dies wie ein wunderschönes Landschaftspanorama erschien,
war es wert zur Weiterentwicklung anzupreisen, vor allem an reiche
Geschäftsleute, denen die schottischen Highlands sehr am Herz lagen.

Auf
dem kurzen Weg zurück zum Hof verspürte John das Verlangen, immer wieder über
seine Schulter und in Richtung des Hügels zu blicken und war davon überzeug,
dass seine professionellen Instinkte ihm rieten, diesen Ort zu untersuchen.
Nachdem der Bauer Dale vehement abgelehnt hatte, brach dieser sein Schweigen und
schnitt das Thema kurz an, von diesem merkwürdigen Ort offensichtlich angewidert.
Als er gefragt wurde, wer das Land besäße, auch ob Dale vielleicht selbst der
Eigentümer war, spottete der Bauer bei dieser bloßen Behauptung und meinte nur:
„Dieser Ort gehört niemandem und niemand geht dorthin.“ Mehr wollte er nicht
sagen, doch bevor John im Begriff war, wieder zu dem Gasthof zu gehen, legte
der Bauer eine versichernde Hand auf Johns Schulter und gab ihm den Rat, den
Hügel in Ruhe zu lassen. Der Hügel sei gefährlich und Dale hoffte, nicht noch
einmal davon sprechen zu müssen. Während Dale sich fürchtete, das Thema
überhaupt anzusprechen, zeugte der vorrangige Ausdruck davon, dass der alte
Mann von einer grundlegenden Trauer dominiert war; eine, die man besser in Ruhe
ließ.

Auch
wenn er von den Warnungen des Bauers fasziniert war, war es nicht  das erste Mal, dass John auf regionale
Aberglauben gestoßen war – Aberglauben die er natürlich nicht abkaufte, hätte
er denn sonst die Chance auf ein gutes Stück Land verzichten müssen. Die Geschichten,
welche die Einheimischen ihm erzählten, schienen eher von den abgelegenen Orten
Britanniens zu handeln. In der Vergangenheit hatte er abstruse Geschichten von
verlassenen Häusern gehört, in dem ein Mord geschehen war, oder Wälder, die
nicht abgeholzt wurden, aus Angst vor dem, was in ihnen lebte, jedoch niemals
etwas Außergewöhnliches geschehen war. Es gab keine Grundlage für diese Mythen
und obgleich er es genoss, Geschichten von gruseligen  und ungewöhnlichen Wesen zu hören, die nachts
die Moore durchstreiften, konnte er bei seiner Arbeit keine Rücksicht darauf
nehmen. Derlei Geschichten waren ein lustiger Zeitvertreib, doch abgesehen von
guter Unterhaltung am Lagerfeuer erfüllten sie keinen weiteren Zweck.

Als
er zum Gasthof zurückkehrte, war er müde und erpicht, sich schlafen zu legen,
in der Hoffnung, das Geschäft am nächsten Tag abschließen zu können. Doch ehe
er sich in sein Zimmer zurückzog, gedachte er, einen kleinen Schlaftrunk an der
Bar zu genießen. Der Wirt schien dem nicht abgeneigt und froh darüber, dass
überhaupt jemand hier gastierte, da der Gasthof aufgrund seiner Lage meist leer
war. Jedoch wandelte sich seine frohe Haltung drastisch, als John den Hügel
erwähnte. Ähnlich wie Dale schien der Vermieter nicht gewillt, John nähere
Informationen zu geben, sprach ein Wort der Warnung aus und gab „schlechtes
Land“ als Grund an, die Gegend in Ruhe zu lassen. Geflüster und Abkehr machten
sich in den dunklen Ecken des Raumes breit, da die Einheimischen sich von Johns
Fragen beunruhigt fühlten. Niemand kam auf ihn zu, doch spürte er ihr Unbehagen
sehr wohl. Als er beiläufig im Scherz meinte, der Hügel sei verflucht, brachte dies
jedoch nur Schweigen hervor. Dies verriet John, dass er hier nicht erwünscht
war. Schnell leerte er sein Glas und stieg die Treppe hinauf zu seinem Zimmer. Doch
als er dies tat, kam eine junge Frau, welche kaum aus dem Teenager-Alter war,
auf ihn zu, berührte ihn an der Schulter und flüstere ihm ins Ohr: „Bitte gehen
Sie nicht zu dem Hügel. Niemand kommt jemals von dort zurück.“ Der Vermieter,
der dies mitgehört hatte, rügte die junge Frau dafür, den Hügel überhaupt
erwähnt zu haben, wandte sich dann wieder um, um ein Bierglas zu säubern und
stotterte: „Gute Nacht, Sir. Ich hoffe Sie schließen morgen Ihr Geschäft ab und
kehren so schnell wie möglich nach London zurück.“ Für John hörte es sich eher
wie eine Warnung, als ein einfaches „Gute Nacht“ an.

          *          *

Am
nächsten Tag stand John früh auf und ging die Treppe hinunter, um erneut vom Vermieter
begrüßt zu werden. Doch der Mann blieb relativ ruhig, was John etwas seltsam
fand, hatte John den Vermieter bei ihrem ersten Zusammentreffen doch als sehr
gesprächig erlebt. John tat dies nur damit ab, dass der Vermieter eben kein
Morgenmensch war, genoss ein schnelles Frühstück und machte sich dann auf zu
dem Hof, um den Kauf von Dales Land abzuschließen.

Als
er die ruhige Landstraße entlang fuhr und dabei die eindrucksvolle Landschaft
selbst bei schlechtem Wetter genoss, kam der Hof immer näher, in der Ferne
jedoch auch der Hügel. John war der Ansicht, dass dieser mit seiner schrägen
Struktur weitaus beherrschender und imposanter erschien als am Tag zuvor.
Jedoch verbannte er derartige Gefühle aus seinem Kopf und tat es als
Nachwirkung der Einheimischen und ihrem abergläubischen Verhalten ab. Und
dennoch war dieser Ort etwas Besonderes.

Da
es nur noch wenige verwaltungstechnische Angelegenheiten zu regeln gab, war
John hoffnungsvoll, dass er gen Nachmittag fertig war. Dann würde er die sieben
oder acht-stündige Fahrt nach London antreten, dort alles fertig machen und
wieder zu seiner Tagesroutine übergehen. Auf seinem Schreibtisch in seinem Büro
stand eine dreißig Jahre alte Flasche Balvenie Malt Wiskey, von dem er sich
nach jedem erfolgreichen Geschäft ein Glas genehmigte. Dazu eine oder zwei
Zigaretten – das einzige Mal, dass er rauchte, da er es sich nicht zur
Angewohnheit machen wollte – etwas von einem Schnellimbiss und einen freien
Tag, damit er tun konnte, was er wollte. Das waren die Momente, die er genoss;
das Abschließen eines Geschäfts und eine kleine Pause, ehe er erneut zu einem
abgelegenen Ort auf den Britischen Inseln geschickt wurde.

Als
er im Haus des Bauern Dale saß, genoss John die Behaglichkeit des Ortes und
seiner alten Dekorationen, welche ihn an das Haus seiner Großmutter aus
Kindertagen erinnerte. Viele der Verkleidungen waren im Originalzustand und er
war sich sicher, dass ein Großteil des Hauses zahlreiche Generationen kommen
und gehen gesehen hatte. Dale selber war in einer besseren Stimmung als am Tag
zuvor, da er seinem Gast eine Tasse Tee und etwas zu Essen anbot, während John
den Rest des Papierkrams erledigte.

Als
der alte Bauer mit einer Kanne und ein paar Tassen rumwerkelte, starrte John
aus einem nahegelegenen Fenster und bemerkte, dass man von dem Haus hinaus zu
dem namenlosen Hügel nur einige Kilometer entfernt sehen konnte. Ohne
nachzudenken, merkte er beiläufig an, dass die Leute im Gasthof sich ebenfalls
vor dem Hügel fürchteten.

Als
John seinen Tee bekam, setze sich Dale an die gegenüberliegende Seite des
Esstisches und rührte bedächtig in seinem Tee herum. Nun herrschte eine erneute
Stille gleich der, welche schon am vorherigen Nachmittag geherrscht hatte und
trotz der gemütlichen Atmosphäre fühlte John sich erneut unwohl. Dann, nach
einer Weile, wurde das unbehagliche Gefühl von einem des genervt seins
abgelöst. Warum fragte er die Leute nicht einfach, warum sie solche Angst vor
dem Hügel hatten? Es war nur Aberglaube und es war Wahnsinn anzunehmen, dass
Menschen in der heutigen Zeit noch von einfachen Geschichten umgestimmt werden
konnten.

Nachdem
er mit dem Gedanken spielte, die Dinge auf sich beruhen zu lassen, brach John letztendlich
die Stille: „Mr. Dale, ich möchte nicht unverschämt wirken, doch seitdem ich im
Dorf angekommen bin, verhalten sich die Menschen, was den Hügel angeht, komisch
und sie behandeln mich als ob ich ein Verbrechen begangen hätte, ihn auch nur
zu erwähnen.“

„Vielleicht
haben Sie das“, erwiderte Dale: „Vielleicht hätten Sie ihn überhaupt nicht
erwähnen sollen.“

„Bei
allem Respekt, ich wollte nur wissen, wer ihn besaß, da ich dachte, er würde
ein aufredendes Bauprojekt darstellen.“

„Bauprojekt“,
spottete Mr. Dale: „Das Einzige, was man mit dem Ort hätte machen sollen, ist den
Boden zu salzen.“

„Es
ist nur ein Hügel.“

„Nur
ein Hügel“, merkte der alte Bauer geistesabwesend an, als er aus dem Fenster
hinüber zum unbequemen Thema ihrer Diskussion blickte.

„Mr.
Dale“, sprach John, dieses Mal nur sanfter: „Ich habe viele schöne Orte überall
in Britannien besucht. Ich kenne die Geschichten einiger Orte, sie werden in
Verruf gebracht, wirken etwas furchteinflößend. Aber aufgrund meiner Erfahrung,
bin ich keiner begegnet, welche nicht als einfacher Aberglauben abgetan werden
konnte. Ich werde es sogar beweisen.“

„Was
beweisen?“ sprach Mr. Dale, auf einem Mal sehr besorgt.

„Ich
gedenke eine Wanderung zu machen, ehe ich wieder nach London zurückkehre. Ich
denke, ich werde mir das mal ansehen.“

Der
Bauer stand abrupt auf und wirkte nun eher angespannt als wütend. Seine
Oberlippe zitterte und er sah wie ein Mann aus, welcher eine zerstörerische
Menge an Stress von der Welt da draußen verbarg, darauf wartend, entfesselt zu
werden.

„Sie
dürfen dort nicht hin!“ rief er.

„Bitte,
Mr. Dale, ich wollte Sie nicht beleidigen.“ Johns Gedanken kamen wieder zum
Geschäft zurück; und da noch nichts unterzeichnet worden war, wollte John es
nicht durch seine Neugier in Gefahr bringen. Wie konnte er dies seinen Klienten
erklären?

Der
alte Mann sackte in seinem Sessel zusammen und seine Augen wurden trüb, als ob
er einen aussichtslosen Kampf gegen eine Übermacht schrecklicher Erinnerungen
führte.

„Ich
habe meinen Sohn an diesen Ort verloren“, sagte er geistesabwesend.

„Mein
Gott, das tut mir schrecklich leid, Mr. Dale. Bitte nehmen Sie meine
Entschuldigung an; vergessen wir das Ganze. “

„Nein,
es ist  nicht Ihre Schuld.“ Der alte
Bauer lächelte am anderen Ende des Tischs mit schmerzhafter Miene: „Niemand
spricht über meinen Jungen. Mir ist es nicht erlaubt. Die Einheimischen denken,
dass nur die bloße Erwähnung von ihm oder den anderen mehr Unheil über das Dorf
bringen wird.“

Nach
einer kurzen Denkpause brach er innerlich zusammen und sprach: „Er war ein
guter Junge. Wir sind nicht dafür geschaffen, unsere Kinder zu verlieren. Oh
Gott…“

Er
begrub seinen Kopf in seinen Händen und fing an ohne Unterlass zu weinen. John
wusste nicht, was er sagen sollte. „Es tut mir so leid. Gibt es…gibt es
irgendwas, dass ich für Sie tun kann?“ war alles, was er anbieten konnte.

Sich
die Tränen aus dem Gesicht wischend, saß Dale traurig in seinem Stuhl. Nach
einigem Ein- und Ausatmen beruhigte er sich und sprach dann, während seine
Stimme voller zurückgehaltener Emotionen zitterte: „Niemand weiß, wann es
anfing. Und niemand weiß, warum.“

„Wann
was anfing?“ fragte John, da sein
Mitgefühl nun von seiner Neugier übermannt worden war.

„Ich
wuchs in diesem Dorf auf und selbst als ich noch ein kleiner Junge war, hatten
die Menschen keine Ahnung. Sicher, man sprach von alten Legenden, über einen
Streit zweier Familien, der hunderte Jahre zurückging.“ Dale beugte sich nach
vorne und kratzte seine ergrauten Bartstoppeln, ehe er fortfuhr: „Doch deren
Namen kannte niemand, der gewillt war, über den Hügel zu sprechen. Die Besitzurkunden
für das Land liegen wahrscheinlich im Tresor von irgendeinem Anwalt und der Besitzer
lebt woanders in Saus und Braus – weiß nichts von dem Preis, den wir alle
bezahlt haben.“

„Sicher
gibt es doch Aufzeichnungen über die Besitzer?“

„Die
gibt es bestimmt, aber hier werden Sie niemanden finden, den das interessiert.
Im Laufe der Jahre haben vereinzelt Menschen die Warnungen missachtet und sind
hoch zum Hügel gelaufen.“ Normalerweise Kinder, die einander  als Mutprobe dazu treiben. Doch sie kommen
nie zurück. Dale wackelte ungemütlich ein seinem Stuhl als die Tränen wieder in
seine Augen flossen. „“ Mein Junge…Er hat nicht zugehört. Und wie die Anderen
ging er hoch und dann war er fort.“

„Sicher
haben Sie nach ihm gesucht?“ fragte John ungläubig.

„Ja,
das habe ich. Ich habe versucht hochzugehen, doch so von Trauer gebrochen wie
meine Frau und andere Kinder waren, zogen sie mich wieder zum Fuß des Hügels
zurück. Sie wussten, dass er mich auch holen würde“

„Ihr
eigener Sohn hätte also da ob sein können, verletzt, sterbend, und Sie sind ihm
wegen einem dummen Aberglauben nicht zu Hilfe gekommen?“ Der Gedanke, dass
Mythen und Lügen den Tod eines Jungen zur Folge gehabt hätten können, brachte
John zur Weißglut, doch fühlte er sich schuldig als die Worte seinem Mund
entsprangen.

Dale
sprang urplötzlich über den Tisch und griff seinen nun unwillkommenen Gast am
Kragen und drückte ihn gegen einen alten Kamin: „Mit wem glauben Sie wohl, dass
Sie reden!“ Dale schrie, seine Stimme erschütterte John bis ins Mark. Für einen
alten Mann hatte er immer noch die Stimme eines Ochsen.

Für
einen kurzen Moment dachte John, der Bauer würde ihn schlagen, doch so schnell
wie alles begann, löste sich Dales griff schnell und er wandte sich um. „Wenn Sie
drei weitere Kinder durchfüttern müssen und eine Frau haben, der das Herz
gebrochen wurde, würden Sie ebenfalls zweimal darüber nachdenken, da hoch zu
gehen. Außerdem haben einige Jungen aus dem Ort meiner frau geholfen und, nun
ja, niemand wollte mich gehen lassen. Nicht weil man sich um mich sorgte –
naja, vielleicht taten das einige schon – aber hauptsächlich, weil Sie in
ständiger Angst vor dem Ort leben. Vor dem, was da oben lauert. Angst davor haben, dass es herunter käme, um uns allen einen
Besuch abzustatten.“

Seinen
Stuhl zurechtrückend, kritzelte der alte Bauer seine Unterschrift auf die noch
verbliebenen Papiere und bat John daraufhin zu gehen, was dieser dann auch tat,
nachdem er sich erneut entschuldigt hatte. An der Haustür verabschiedeten sich
beide höflich und Dale fügte lediglich hinzu: „Hier gibt es ein altes Sprichwort:
„Lieber in Ruhe lassen“ – Sie wären gut beraten, dem zu folgen.“

          *          *

Obgleich
er durch die flüchtigen Reaktionen des alten Bauers aufgebracht war, war John
sich dennoch sicher, dass er den Hügel besuchen würde. Da er wusste, dass die
Einheimischen sowohl physisch als auch mit Worten versuchen würden, ihn davon
abzuhalten, gedachte John, direkt vom Hof aus hochzufahren. Während er fuhr,
kam ihm der Gedanke, dass man dem Ganzen etwas Gutes abgewinnen konnte. Er
würde ihre Furcht vor diesem Ort brechen, doch war es nunmehr seine eigene
Sturheit, die ihn antrieb. Er wollte beweisen, dass er Recht hatte und wenn er
dadurch ein Stück Land entdeckte, welche sich hervorragend zur Bebauung
eignete, dann umso besser.

Dort
anzugelangen war mühsamer, als er es zunächst erwarte hatte. Obwohl es eine
kleine Landstraße gab, welche zum Fuß des Hügels führte, war sie scheinbar von
den Einheimischen versperrt worden. Eine Ansammlung großer Betonplatten, roter
Ziegelsteine, alter Holzpfosten und anderweitig entsorgtem Zeug war willkürlich
an die Ränder geworfen worden, was ein Passieren per Auto unmöglich und ein
Passieren zu Fuß sehr schwer machte.

Als
er die durchaus reale Kraft sah, welche die Einheimischen gewillt waren
aufzubringen, um jeden daran zu hindern, den Hügel zu betreten, spürte John ein
immer größeres Verlangen danach, den Gipfel zu erklimmen. Auch verspürt er den
Drang, ins Dorf zurückzukehren, um allen zu sagen, wie dumm sie doch gewesen
waren. Nachdem er sein Auto an einem der versperrten Eingänge abgestellt hatte,
kletterte er gekonnt über einen Schutthaufen, sicherstellend, dass er sich
nichts an etwas Heraushängendem schnitt und folgte der Straße. Eine Weile dachte
er darüber nach, was er wohl auf dem Hügel finden würde und die große
Wahrscheinlichkeit, dabei auf die Überreste eines vorherigen Besuchers zu
stoßen; Gedanken, die ihn an seiner momentanen Handlung zweifeln ließen.

Die
Straße war für ein Auto gerade breit genug und sie war offensichtlich Wind und
Wetter ausgesetzt worden. Große Schlaglöcher säumten ihre Oberfläche und immer
wieder war der Gehweg von Schlamm und Kies bedeckt. Als der Hügel langsam in
Sichtweite kam, war John erstaunt darüber, wie groß dieser im Gegensatz zu
Johns Ermessen tatsächlich war.  Aus der
Ferne nahm er eine kurze Wanderung zum Gipfel an, doch als er sah, wie sich das
Gefälle entgegen seiner Richtung wölbte, merkte er jedoch, dass er wohl zwei
Stunden brauchen würde, um den Gipfel zu erreichen. Und dass auch nur dann,
wenn der Weg gut war oder man wenigstens guten Halt unter den Füßen hatte. Als
John auf seine Uhr schaute, war es früher Nachmittag, doch er ging davon aus,
dass er genug Tageslicht hatte, um zum Gipfel zu steigen und heil wieder bei
seinem Auto anzukommen.

Hier
bemerkte er auch einige der seltsameren Eigenschaften des Ortes. Er stand ganz
alleine da, ohne irgendwelche anderen Hügel in der Umgebung, als ob er hier in
Isolation gelassen wurde, vom Land selbst unter Quarantäne gestellt. Seine
Steigung wirkte nun schiefer als sie es aus der Ferne her getan hatte;
asymmetrisch, auf eine bizarre Art und Weise zur Seite gelehnt und seine
Oberfläche war sporadisch mit Flecken von Bäumen bedeckt, während Grasflächen
wild und ungezähmt wucherten. Eine Mischung aus toten, gelben Gräsern, welche
von grünen, erfolgreicheren Sorten unterwandert wurden. Das Verblüffendste aber
war, dass es einen von Menschen gemachten Pfad gab, der zum Gipfel führte, den
John erfreut war, entdeckt zu haben. Auf ihm wuchs nicht das wilde, dürre Gras,
welche alles andere verschlungen hatte. Einen Moment dachte John, es handle
sich hierbei um einen Schwindel und dass er das Opfer eines gut ausgedachten
Scherzes sei, da der Pfad in gutem Zustand war, als würde er oft benutzt
werden. Doch dann machte sich ein weitaus düsterer Gedanke in Johns Kopf breit;
Dass der Hügel selber sich nach innen lehnte und Besucher anlockte, sie zu
einer unbekannten Bestimmung führte. Er verwarf diese Idee schnell und lief
weiter.

Ein
altes Tor versperrte den Weg. Es war aus Holz, offensichtlich vom schottischen
Wetter gezeichnet, da seine Oberfläche zum Teil von grünem Moss und Schimmel
aufgefressen worden war. Als es sich mit einem Knarren öffnete, trat John über
die Schwelle und als sich das Tor hinter ihm wieder schloss, lief ihm ein
kalter Schauer über den Rücken, zusammen mit einem üblen, aber dennoch mildem
Gefühl in seiner Kehle. Wäre er selbst abergläubisch gewesen, hätte er wohl
gesagt, dass dieser Ort schlimm sei, dass die Luft schlecht sei, doch derlei
Gedanken hatten auf ihn wenig Wirkung. Es war viel wahrscheinlicher, dass
etwas, das er gegessen hatte, ihm nicht bekam und nicht der Hügel war, welcher
anfing John zu entnerven.

Den
Weg entlang gehend, versuchte er, so schnell wie möglich zu sein. Er hatte nicht
das Bedürfnis, nachts den Weg nach unten zu gehen – ohne festen Halt unter den
Füßen oder zu sehen, wohin er ging. Zudem war der Himmel zu dieser Tageszeit
etwas dunkler geworden, weshalb John zielgerichtet weiterging und aufgeregt
war, die Aussicht von dort oben zu genießen.

Die
Steigung nahm langsam zu und mit ihr, die sporadische Natur um ihr herum. Das
lange Gras hatte alles außer den Weg überwuchert und als er nun an den
gelegentlichen Klumpen von Bäumen vorbeilief, fing er an zu verstehen, warum
die Einheimischen diesen Ort fürchteten – die Stränge toten Grases und das
Efeu, welche jeden Stamm umwickelten, suggerierten eine bösartige Absicht.
Einige der Bäume waren sogar entwurzelt, nahmen ungewöhnliche Postionen an
steilen Abhängen an, wirkten so, als wurden sie in die Erde gezogen – gebrochen
durch Finger aus Gras, welche an der Hülle griffen wie ein sehr lebendiges
Seeungeheuer. Und während die Idee fantastisch war, fühlte sich die Hügelseite
durchaus falsch an, an einigen Stellen unnatürlich. Und
als John hinaufstieg, kam eine Kälte über seine Arme. Er war schon vorher gewandert, und seine
Arbeit verlangte es, unerschrocken die Wildnis zu erforschen während er das
Land begutachtete. Doch dies fühlte sich anders an. Es schien so, als ob das
Land einen Einfluss auf die Temperatur hatte, statt das Wetter, was es
zunehmend schwieriger machte, die erdrückende Atmosphäre des Hügels zu
ignorieren.

Er
hielt einen Moment lang an, rubbelte seine Arme hastig, um sie zu wärmen und
bewertete seinen Fortschritt. Er war erstaunt darüber, wie weit er eigentlich
geklettert war. Er war nicht länger als zwanzig Minuten gelaufen, doch als er
in die Richtung sah, aus welcher er gekommen war, musste John mindestens auf
halber Strecke angekommen sein. Doch wie war das möglich? Nach jeder
Beurteilung der Größe des Hügels, schien es die vorherige Schlussfolgerung zu
widerlegen. Als ob dieser Ort an sich lebendig war. John lachte bei dem
Gedanken, so sehr von seiner Umgebung mitgenommen worden zu sein. Die Stille
bereitete ihm dennoch Sorgen. Keine Vögel, keine raschelnden Büsche mit Hasen,
keine Füchse, oder gar Insekten. Tatsächlich erschien die ganze Hügelseite tot.
Nein, nicht tot, dachte er, sondern als ob der Tod selbst hier tätig war. Es
war jedoch Winter, weshalb John sich eigentlich auf die Stille des Landes hätte
einstellen sollen. Die Stille beunruhigte ihn dennoch.

Dann
erregte ein weiteres ungewöhnliches Phänomen seine Aufmerksamkeit. Eine
Ungereimtheit. Etwas, dass seiner eigenen Erinnerung widersprach, seinen
eigenen Fähigkeiten. Der Weg hinter ihm hatte sich verändert. Während er
kletterte war John erstaunt darüber, wie überwucherter die Hügelseite im
Gegensatz zu dem nach oben führenden Weg war. Daraus schlussfolgerte er, dass
dieser Weg öfters benutzt wurde, doch als er den Hügel hinuntersah, schien der
Weg nun von der Natur verschluckt worden zu sein. Vielleicht nicht vollständig,
doch mit Sicherheit in einem größeren Maße als zuvor. Gras fegte über ihm,
während Büsche und Bäume in der Nähe wuschen, was auf ein schrofferes Land
hindeutete, als John zunächst angenommen hatte. Der Weg vor ihm war jedoch
frei.

Zu
der Welt dort draußen und dort unten blickend, wirkte alles so fern, auf eine
Art und Weise fast künstlich. Die Farben waren nicht so grell, die Weiden,
welche die Täler bedeckten, hatten ihre Lebhaftigkeit verloren und der Himmel
selbst filterte etwas in Richtung Boden, welches John nur als „falsches Licht
bezeichnen konnte.“

Er
kämpfte damit, seine unwillkommenen Gefühle abzutun, und als er fortfuhr zu
klettern, kam das Gefühl von Übelkeit, welches er zu Anfang verspürt hatte,
wieder zurück. Das kalte Gefühl in seinen Gliedmaßen hatte sich wie eine
Krankheit ausgebreitet, drang in sein Innerstes ein und fuhr ihm bis ins Mark.
John hatte sein Bestes versucht, den Gipfel zu erreichen, doch er war kein
Narr. Er wusste, dass kein Monat verstrich, ohne dass es eine Meldung über
einen verlorengegangen Wanderer in den Nachrichten kam und obwohl dieser Hügel
weitaus bescheidener als andere war, war John gewillt, vor dem Hügel zu
kapitulieren, die Kapitulation sogar willkommen zu heißen. Die Umgebung fühlte
sich bedrohlich an und seine jetzige, physische Verfassung reichte John aus, um
den Rückweg einzuschlagen.

Obgleich
er den Gipfel nicht erreicht hatte, entschied John, dass dies genug war, um
ihren Aberglauben zu beenden, falls er es zurück ins Dorf schaffte, nachdem er
auf dem Hügel gewesen war. Vielleicht würde er im Sommer wiederkommen, um das
Land zu begutachten, da er seine Entscheidung mehr als Aufschub als ein
Versagen ansah. Er wollte nicht mit dem Gedanken spielen, dass die
Einheimischen von Anfang an Recht gehabt hatten.

Doch
für sein Abenteuer musste es natürlich Beweise geben. John nahm sein Handy aus seiner
Tasche, welches er für seine Arbeit benutzte, und fing wieder zu zittern an,
als die eisige Kälte in seine Arme fuhr und er sich wünschte, wieder vor dem
warmen Kamin des Gasthofs zu sitzen. Mit ein paar Handgriffen fotografierte er
den umliegenden Hügel, dann als Scherz ein Bild von sich selbst wie er mit dem
Gras und den Bäumen im Hintergrund ein Lächeln fingierte.

Was
er sah, als er die Bilder begutachtete, jagte ihm ein Schauer über den Rücken.
Das erste Foto der Gegend sah aus wie er angenommen hatte, doch das zweite
verriet etwas versteckt hinter den Büschen hinter ihm – etwas, das aussah wie
ein Gebäude. Zunächst dachte John daran zu rennen, doch war er fasziniert von
der Idee einer verborgenen Ruine. Von der Außenwelt von einer Mauer aus Blättern,
Zweigen und Legenden abgetrennt.

Nachdem
er laut ein- und ausatmete, kroch John durch das dichte Gras, zog die Blätter
aus großen, niedrigen Bäumen zur Seite. Dort, auf dem Hügel, wo die Einheimischen
nicht wagten hinzugehen, stand etwas, das wie eine alte Kapelle oder Kirche
aussah. Ein kleiner Kirchturm ragte gen Himmel und die graue Steinwand war von
großen Kirchenfenstern gesäumt – die meisten davon zerstört und zeugten von
schöneren, besseren Tagen.

Johns
Herz fing wild zu pochen an, als er dies sah. Vielleicht war das der Grund,
weshalb der Hügel mit Mythen und Legenden behaftet war. Eine alte, verlassene
Kirche was sicherlich ein fruchtbarer Nährboden für angsteinflößende
Geschichten. Doch die Kirche an sich vertrieb Johns Sinn für Gefahr nicht. Als
er eine Wand aus Blättern, Gras und Efeu durchbrach, konnte er seine Angst
nicht zurückhalten. Schweiß begann sein Gesicht hinunterzulaufen während sein
Herz  das Blut in seinem Körper in einem
beunruhigendem, schwankendem Rhythmus pumpte.

Den
Hügel zu verlassen war immer noch seine Intension. Doch als er sich dem
steinernen Bogen, in welchem die Tür der Kirche eingelassen war, näherte, nahm
er an, dass die Einheimischen offener für seine herkömmliche Erklärung wären,
warum man diesen Ort fürchtete, wenn sie wüssten, dass er im Inneren der Kirche
gewesen war. Ohne das Innere der Kirche gesehen zu haben, würden die
Einheimischen wieder Geschichten und Falschheiten von  dem verbreiten, was sich darin verbarg.

Die
Tür bestand aus dunkler, brauner Eiche und zerkratze Metallstreifen zierten
ihre Oberfläche, jedoch schien die Tür verschlossen zu sein. John gab dieser
einige kräftige Schubser mit seinen Händen, woraufhin diese sich überraschender
weise mit einem Knarren leicht öffnete. Dies erschuf einen Spalt, der groß
genug war, damit er sich hindurchzwängen konnte. Durch den Spalt sah er, dass
der Boden mit Bruchstücken der Steinmetzarbeiten der Decke übersät war. Eine
große Ansammlung von Steinen lag aufgetürmt hinter der Tür, hielten diese mit
ihrem Gewicht zu und obwohl sie etwas nachgegeben hatten, bildeten sie genug
widerstand, sodass sich die Tür nicht vollends öffnen ließ.

Kalte,
modrige Luft kam aus dem Inneren und es roch muffig und nach Steinen die seit
langem in Vergessenheit geraten worden waren. Einen Moment lang dachte John
darüber nach, was er als nächstes tat. Ein solches Gebäude, das dem Verfall
Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte lang preisgegeben war, könnte
gefährlich sein. Allerdings brannte ein Verlangen weiter in ihm zu beweisen,
dass er mutig alles gesehen hatte, was es zu sehen gab. Dass es hier weder
Geister noch Kobolde gab, sondern lediglich Bruchstücke einer vergangen
Geschichte.

Er
nahm sein Handy, streckte seine Hand durch den Spalt und machte eine
Blitzlichtaufnahme. Das Licht erhellte das gesamte Kirchenschiff und
offenbarte, dass es mit Geröll eines zerfallenden Dachs gefüllt war, sich an
dessen Ende jedoch eine Art Altar befand. Von Johns Blickwinkel aus schien er
aus Stein gemacht, auf einer erhöhten Stufe ruhend, welche einige Meter hoch
war. Vor allem war John von der Anwesenheit einer Art Inschrift erstaunt,
jedoch konnte er von der Tür aus die Schrift nicht entziffern. Er seufzte als
er realisierte, dass der einzige Weg sie zu lesen der war, hineinzugehen. Die
Sorge verletzt, oder von etwas Fallendem eingesperrt zu werden, hatte höchste Priorität.
Allerdings hatte seine Neugier nun ihren Höhepunkt erreicht, sein Enthusiasmus
unterdrückte sowohl das mulmige Gefühl in seinem Magen als auch das Taubwerden
seiner Gliedmaßen.

Nachdem
er die Risiken noch einmal abwog, gedachte John so leise wie möglich zu sein,
um die Gefahr eines Einbruchs zu verringern. Er musste es sich ansehen. Er
atmete tief ein, dann wieder aus und schaffte es dann, sich durch den Spalt in
die Dunkelheit zu zwängen. Mittels eines kleines Lichts an der Rückseite seines
Handys könnte er nun einen besseren Blick auf seine Umgebung erhaschen. Die
Luft war merklich kälter, kratzte an der Rückseite seiner Kehle als er
einatmete und obwohl er erwartet hatte, dass es aufgrund der Menge an Stein
drinnen kälter war als draußen, kam ihm die Kirche eher wie eine Gruft, als ein
Ort der Anbetung vor.

Er
trat so vorsichtig auf wie nur möglich, versuchte die Haufen von Schutt weder
zu beunruhigen noch zu zerstören. John fixierte seinen Blick auf die Decke über
ihm, immer mit der Sorge, dass eine der Steinmetzarbeiten auf ihn fallen
könnte. Das Ausmaß der Zerstörung war nun offensichtlich, ab und an sah er
Lichtstrahlen durch wundartige Öffnungen von oben fallen; jedoch blieb das
Schiff überraschenderweise düster. John fand das merkwürdig, da er annahm, dass
das Innere um ihn herum nun noch sichtbarer sein sollte. Es schien so, als ob
das Licht von den Ecken des Schiffs absorbiert wurde, jedoch tat er diesen
Gedanken als fantasievoll ab und gab seine ausufernde Vorstellungskraft als
Grund genug an, die Nerven zu behalten – isolierte und unbekannte Umgebungen
konnten selbst den rationalsten Verstand ausschalten.

Nachdem
er über zwei große Hügel von Schutt geklettert war, dabei Acht nahm, mehreren
großen, scharfen Stücken gebrochenen Holzes unter ihm auszuweichen, fand er
sich schließlich am Ende des Kirchenschiffes wieder. Dort lag der Altar – ein
Tisch hergestellt aus Stein und von achtsamen und hingebungsvollen Händen geglättet.
Es war einfach sich vorzustellen, wie furchteinflößend ein Priester aus dem
finsteren Mittealter erschienen mochte, dort stehend und aus einer ignoranten
Position irgendwelche fürchterlichen Geschichten erzählte. Aus dem Mund
schäumte, während er von Verdammnis und dämonischen Kräften sprach, welche die
Seelen der Schwachen jagten.

Euphorie
und Aufregung schossen John durch den Kopf, neben etwas derart Historischem zu
stehen. Jedoch zog er durchaus in Betracht, dass der Altar wahrscheinlich von
genau diesem Hügel stammte, einem Stein tief im Erdreich entrissen, geboren
durch Abläufe, viel älter als die Menschheit selbst. Doch die Aufregung eines
so alten und seltenen Fundes ließ derlei Gedanken abflauen. Er war so von dem
Objekt fasziniert, dass er beinahe eine kleine, offene Tür rechts des Altars
übersah, welche scheinbar zu einer Treppe zu einer unterirdischen Kammer
führte, möglicherweise ein Gewölbe oder ein Grab. Zitternd bei dem Gedanken,
was sich da unten befand, wusste er, dass er selbst bei seinem Grad an Skepsis
nicht nach unten gehen würde. Aberglaube oder nicht, unterhalb des Bodens eines
verfallenden Gebäudes umherzulaufen war keine gute Idee.

Als
er den Lichtstrahl seines Handy in Richtung der Rückseite des Schiffes hielt,
gab es einen winzigen, jedoch einladenden Blick auf einige verstaubte Treppen
frei, welche zur Altarplattform hinaufführten. Eine natürliche Ansammlung von
der ein Priester oder Prediger vor Jahrhunderten seine Messe abhielt, jedoch
fühlte sich wenig daran natürlich oder beherbergend an. Erneut machte sich in Johns
Gedanken ein schleichendes Unbehagen breit, als er sich vorstellte wie ein
inbrünstiger, verärgerter Mann Gottes über allem thronte, kryptische und von
Unheil kündende Phrasen in Richtung einer zusammengekauerten, verwirrten und
sich fürchtenden Gemeine brüllte.

Während
er in Richtung der Plattform ging, erpicht darauf, die Inschrift an der Wand
näher zu untersuchen, wurde seine Aufmerksamkeit von dem Geröll beladenen Boden
abgelenkt, als sein Fuß sich an einem kaputten Stein stieß. Er stolperte
plötzlich vorwärts und John schlug sich seine Schulter an der Kante des
steinernen Altars an, ehe er eine Hand ausstreckte, um seinen Fall auf dem
kalten, harten Boden der Plattform zu bremsen. Der Lärm seines Falls gab ein
lautes Echo im gesamten Gebäude von sich und das Geräusch prallte von den
Wänden zu der Decke. Eine Sekunde glaubte er, ein leiseres Geräusch von
anderswo anders gehört zu haben. Es war nah, jedoch fern. Als ob sie antworten
würden, brachen vielen kleine Bruchstücke von oben herab, schlugen auf dem
Boden auf, um damit eine Reihe schwererer und tödlicheren Antworten zu necken
und heraufzubeschwören. Obgleich er froh war, dass das Objekt nicht größer
gewesen war und noch mehr, dass der Stein vor der Tür und nicht auf seinem Kopf
eingeschlagen hatte, traute John seiner Sicherheit nicht mehr.

Als
er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, stand er neben der Plattform auf,
hielt sich seine nun angeschlagene und geprellte Schulter und beobachtete nun
nervös die Decke. Bis auf einen leichten Wind, welcher durch die Löcher der
Kirche blies, war die Stille allmächtig. Ängstlich davor, dass weitere
Bewegungen das Gebäude in sich einstürzen ließen, wartete John noch einige
Minuten ab, bevor er sicher sein konnte, dass keine Steine mehr herunterfielen.
Langsamer und sicherer als zuvor, drehte John sich um und sah sich den Altar
genauer an. Religiöse Darstellungen säumten seine Seiten zusammen mit
merkwürdigen, gezackten Symbolen die John nicht wiedererkannte. Es war einfach,
sich eine Art Kommunion vorzustellen, die hier gegeben wurde, bei der jedes
Mitglied der Gemeinde


ungepflegt und unterernährt – langsam vortrat, um eine Segnung von einem
Priester zu erhalten, der mehr von Zorn als von Liebe sprach.

John
würde freilich jedem Bescheinigen, dass er von Natur aus nicht der Kreativste
oder der Einfallsreichste war. Doch hier, an diesem verlassenen Ort,
überraschte es ihn, wie lebhaft seine Eindrücke waren. Er konnte beinahe
diejenigen sehen, die hier gehuldigt hatten – bleiche Gesichter, die sich von der
bitteren Kälte des Winters in Sicherheit brachten. Körper, die aufgrund
schlechter Ernten abgemagert waren und deren Angst vor etwas Ungewöhnlichem und
Undefinierbarem jeden ihrer Gedanken erstickte. Ja, die Kirche war ein so
düsterer, kleiner Ort, sodass es leicht war, sich darin Geister und Seelen der
Verstorbenen vorzustellen. Natürlich hatte John keine Ahnung, wie genau oder
ungenau seine Spekulationen waren.

John
ließ seine Spekulationen beiseite und lachte bei dem Gedanken, so einfach von diesem
Ort beeinflusst worden zu sein und sah sich endlich die Inschrift an, welche
oben in eine schwarze Wand gemeißelt worden war. Er streckte seine Hand aus und
fühlte die Gruben und harten Kanten, die der Meißel des Autors hinterlassen
hatte. Es stand fest, dass die Nachricht auf der Wand hier nicht hingehörte,
war sie doch hastig geschrieben worden und jeder Buchstabe mit dem vorherigen
in Sachen Anordnung nicht übereinstimmte. Es schien so, als ob die Nachricht
von jemand in Eile geschrieben wurde – jemand, der so wenig Zeit wie möglich in
dieser Kirche verbringen wollte. John ging zurück und das Licht seines Handys
rückte die Worte nun stärker in den Blickpunkt.

Jene, die in Dungorth lebten, nahmen diesen Hügel 1472 in Besitz. 1481 gaben wir ihn in der Hoffnung zurück, dass jene, die wir gestört hatten, uns unseren Fehltritt
vergeben mögen.

Als
er über den Sinn der Inschrift nachdachte, stand er erneut regungslos da,
während die furchteinflößenden und rechtfertigenden Worte anfingen, ihn leicht
zu verunsichern. Entweder war diese Region heftig umkämpft und kürzlich von
einem anderen Klan besiedelt worden, oder die ursprünglichen Einwohner des
Hügels teilten die Beschäftigung mit Mythen und Aberglauben mit ihren
Potentaten unten im Dorf.

Zunächst
nahm er von dem Geräusch nicht wirklich Notiz. Erst als es in einem ungleichen
Rhythmus wiederholt wurde, erkannte er dessen Ursprung. Mit den Augen auf die
Inschrift gerichtet, sein Rücken immer noch in Richtung des Hauptschiffes
gedreht, kehrte die schleichende Kälte von draußen wieder in seine Arme ein. Sein
Körper zitterte als Antwort auf die Temperatur, welche nun alarmierend schnell
gefallen war, sein nun sichtbarer Atem paffte ängstlich vor seinem Gesicht.
Johns Körper zuckte erneut vor Angst zusammen, als ein Geräusch eines auf dem
Steinboden schlurfenden Fußes in der Nähe langsam von einem zweiten gefolgt
wurde. Doch wer würde sich an solch einem Ort aufhalten? Sicherlich keiner der
Einheimischen, hatten sie doch ständig aufgrund ihres Aberglaubens und den
Geschichten von bösen Omen vor dem Hügel gewarnt.

Die
Schritte fühlten sich nahe an und als er langsam seine Sicherheit verlor, waren
Johns einzige Gedanken, abzuhauen. Als das Geräusch lauter wurde, bedrohlich
näher kam, war es klar, dass er an der Person vorbeirennen musste, um es bis
zur Tür zu schaffen. Es gab keinen anderen Ausweg – er musste seine angestaute
Angst aus seinen Gedanken vertreiben. Langsam drehte er sich um, um wen auch
immer hinter sich entgegenzutreten. Einen Moment dachte John, er würde von
verzerrten Gesichtern aus seiner eigenen Einbildung konfrontiert werden. Doch
das Schiff war leblos und leer, doch hörte man in der Luft immer noch die
Schritte, welche auf dem Steinboden schlurften. Es hörte sich wie Papier auf
Haut an.

Johns
gefrorener Atem kam ihm aus dem Mund, als er sah, wie sich etwas am Rande
seines Blickfelds bewegte. Wärhend er sich schnell in Richtung des dunklen Eingangs
drehte, bewegte sich der Kopf einer undefinierbaren Figur mit jedem schlurfenden
Schritt nach oben. In seinen Adern breitete sich eine derartige Angst aus,
sodass seine Vernunft dahin schmolz und durch puren Instinkt ersetzt wurde.
Während er einen Satz von der Plattform machte und den Altar und die Inschrift
hinter sich ließ, spürte John eine tiefe und unbändige Furcht tief im Inneren.
Stolpernd als er landete, löste der Aufschlag mehr Bruchstücke von oben und
einige Steinstücke schlugen auf dem Kirchenboden auf, verfehlten seinen Kopf um
ein paar Meter.

Der
Ausgang kam näher und fieberhafte Gedanken füllte nun Johns Kopf, während er
über und durch Haufen von Geröll kletterte. Tote Haut, welche von dem uralten
Gebäude ohne Reue abgestreift worden war. Einen Moment lang hatte er das
Gefühl, von einem Mann Gottes umgeben und erdrückt zu werden, welcher von Sünde
und dem Bösen predigte, während eine bedauernswerte und geschrumpfte Gemeine
sich aus Angst vor dem, was in ihrer Nähe wandelte, versammelte.

Als
die Schritte auf dem dreckigen und staubigen Boden kratzten, bekam John wieder
einen klaren Kopf und als er anfing, über einen großen Hügel aus zerbrochenem
Holz und Steinen zu klettern, mit der Tür in Richtung Sicherheit auf der
anderen Seite, wurden seine Nerven von seiner Neugier für kurze Zeit beruhigt.
Die Angst, die er in seinem Magen spürte, sagte ihm, dass er weiterlaufen
sollte, hinaus auf offenes Gelände. Fort von diesem Ort. Doch sein Bedürfnis zu
verstehen war grenzenlos; er musste dem nachgehen. Tief ein- und ausatmend,
drehte er sich vorsichtig zum Altar um und schien vorsichtig mit dem Licht
seines Handys auf die verdunkelte Treppe. Die Luft des Schiffes wurde nun
kälter und Johns panisches Atmen war im fahlen Licht gut sichtbar. Die
Dunkelheit schien sein Sichtfeld zu beeinträchtigen, doch an dem, was er
ausmachen konnte, gab es keinen Zweifel. Eine große Gestalt stand nun bei dem
Eingang, jedoch machte sie den Eindruck, als ginge eine gequälte und
pervertierte Form der Menschlichkeit von ihr aus. Sowohl John, als auch die
Gestalt, starrten sich gegenseitig einige Sekunden nur an. Dann entschwand eine
krächzende Ansammlung von Silben deren Mund; eine lang vergessene Sprache. Und
obgleich John nicht wusste, was sie genau zu bedeuten hatte, konnte er das von ihrer
verachtender Art und Weise nicht sagen.

Die
Gestalt am Eingang bewegte sich nun vorwärts und als sie merklich näher kam,
schrie John panisch auf, ergriff unbeholfen den Schutthügel in dem Versuch nach
oben und in Richtung Tür zu klettern. Nun war ihm Stille egal, seine
Kletterbewegungen hallten nun durch das ganze Schiff und einige Bruchstücke
vielen vom Dach. Als er die Spitze erreichte, drehte er sich noch einmal um,
nur um zu sehen, wie ein mannsgroßer Brocken auf ihn zuraste. Um sein Leben
springend, rollte er die andere Seite des Schutthügels hinunter. Als er
hinunterrollte, spürte er einen stechenden Schmerz an seiner Seite und während
er auf dem Boden aufschlug, ließ ihn die Wucht des Aufpralls kurz schummrig
werden. Sich aufrappelnd schaute John nach unten und fuhr entsetzt zusammen.
Ein großes Stück Holz hatte sich mehrere Zentimeter tief in seine rechte Flanke
gebohrt. Blut tropfte aus der Wunde, als er beinahe instinktiv an dem Holzstück
zog, es gegen seine inneren Organe drückte und es schließlich entfernte

Er
ließ einen schmerzhaften Schrei los. Doch als er dies Tat, drehte er sich
aufgrund eines Geräusches hinter ihm um. Der Schmerz an seiner Flanke war
unerträglich, doch was er sah, war schlimmer als jedes andere Gefühl. Der Bauch
der Gestalt am Eingang wand sich als diese mit unglaublicher Geschwindigkeit
über das Geröll und auf ihn zu kam. Ihr Körper war schwarz, die bandagierten
Überbleibsel eines weißen Gewands glitten leicht über den kantigen Boden.

Vor
Angst stolpernd, konnte sich John kaum bewegen. Dann fiel es ihm ein: die
Flucht war nahe. Schlecht hinkend machte er sich auf zur Tür, deren enge
Öffnung schon in Reichweite, schob seinen Körper hindurch in Richtung des
Lichts nach draußen. Die Tür drückte und stupste an seiner Wunde, was seinem
Unterleib große Schmerzen zufügte. Bei seinem letzten Drücken schrie er und die
Kraft dieses Augenblickes katapultierte ihn nach draußen. John sah durch den
Spalt und sah die Gestalt, wie sie ihren Arm ausstreckte und ein abscheuliches
und ohrenbetäubendes Stöhnen in Richtung der untergehenden Sonne abgab.

John
nahm sich nicht die Zeit, die Gestalt näher anzusehen. Er stand erneut auf,
seine Hand voller Blut als es die offene Wunde an seiner Flanke zuhielt. Er
bewegte sich so schnell wie möglich fort von diesem Ort, fort von der Kirche
und er war sich sicher, dass er Stimmen tief in ihrem Inneren hörte, als er
floh. Die Rufe und hasserfüllten Proteste einer lang untergegangenen
Priesterschaft und Gemeinde; verspottend, nachtragend und verabscheuend.

In
seiner Eile wusste er nicht mehr, aus welcher Richtung er gekommen war und die
Umgebung war unvertraut. Panisch humpelte so schnell er konnte weiter, jedoch erlangte
seine Desorientierung die Oberhand und noch ehe er wusste, warum und weshalb,
fand er sich umgeben von einem Labyrinth aus zerstören und umgestürzten
Grabsteinen wieder.

Schummrig
und nach Luft schnappend war es ihm nun egal, wo er war, solange er die Kirche
und dessen Einwohner hinter sich lassen konnte. Als er wieder Luft bekam,
konnte John den Friedhof inspizieren. Einige der Grabsteine waren groß und
thronten über ihm, andere waren bescheiden und zerstört. Dann, als ob er die
Wirkung eines langsam wirkenden Gifts spürte, drehte sich alles um ihn und als
er versuchte ein letztes Mal nach Luft zu schnappen, nahmen die Grabsteine eine
ominöse und boshafte Gestalt an. Gen Himmel ragend, die Sonne verdunkelnd,
eindringlich auf ihn starrend. Er befand sich nun nicht mehr in einem Friedhof,
sondern in einem Kreis aus verdrehten Steinen, mehrere Meter hoch. Sie hatten
schon viele Stürme überstanden – uralte und vergessene – lange bevor der
Grundstein der gottverlassenen Kirche gelegt worden war.

John
streckte eine Hand aus, befühlte die moosbewachsende Oberfläche, als er das
Bedürfnis verspürte, ihnen näher zu kommen. Augenblicke vergangener Zeiten
spielten sich nun in seinem Kopf ab, als er langsam das Bewusstsein verlor.
Seine Sicht war getrübt und die Welt begann sich zu drehen, als eine plötzliche
Übelkeit seine Sinne ergriff. Eine, welche so stark war, dass sie ihn in die
Knie zwang. Und obgleich er ihrer Kraft zu wiederstehen versuchte, fiel er
binnen Sekunden zu Boden, die Wunde sich bei jedem Herzschlag hebend und weitertropfend.
Während er auf seinem Rücken lag und nach oben starrte, schien der Himmel zu
pulsieren. Alles um ihn herum begann sich zu verzerren, als ob er von dieser
Welt abgekoppelt wurde und alles durch eine dicke, verdrehte Linse sah. Das
Licht bog sich unnatürlich nach innen und der Schleier der Welt zog sich
zurück, als John in die Leere dahinter starrte. Dann wurde er bewusstlos.

          *          *

John
erwachte zu der Stille der Erde. Spitzen brüchigen Grases berührten seine
Wange, ehe sie vom Wind an einen unbekannten Ort geweht wurden. Der Himmel war
schwarz, während sich nichts wirklich Lebendiges bewegte. John wusste nicht,
wie lange er bewusstlos gewesen war, doch die Sternendecke über ihm verriet ihm,
dass es wohl mehrere Stunden gewesen sein mussten. Die Übelkeit war nicht
verflogen, jedoch war sie nicht mehr so stark, allerdings tropfte aus der Wunde
an seiner Flanke immer noch Blut. Als er sich erhob wurde ihm klar, dass er
immer noch unter den Auswirkungen von was auch immer war, das sich auf dem
Hügel befand und durch ihren Rausch besaß die Welt immer noch eine flüssige,
wässrige, Form. Doch als John seine Augen für einen Moment schloss, hatte er
das Gefühl, dass er sich irgendwie daran gewöhnt hatte. Jedenfalls soweit, dass
er es ertragen und einen Weg fort von hier finden konnte.

Er
hatte Glück, dass ihm der Mond half, obgleich dieser trotzdem nur ein schwacher
Halbmond war. Dieser spendete John genug Licht, um die fremde Welt und deren
Formen um ihn herum bestimmen zu können. Er war sich nicht sicher, ob er am
gleichen Ort wie vorher war, da die uralten Steine, an die er sich noch gut und
ohne Angst erinnerte, nicht mehr da waren. Doch als er da stand und vergeblich
versuchte, das Blut mittels seiner Hand am fließen zu hindern, kam John ein
fürchterlicher Gedanke. John fiel es schwer, mir genau zu beschreiben, was es
war, doch er beschrieb es so, als ob „die Gesetze der Natur umgekehrt worden
waren“. Nichts ergab Sinn. Einen Moment lang wusste er nicht, wer er war, was
er dort wollte und was der abscheuliche Grund für sein Leiden war. Es schien
so, als konnte er sich noch an den Hügel und die Kirche erinnern, jedoch waren
seine Gedanken aufgewühlt und verstreut. Flüchtige Gedanken seiner Identität
wurden schlagartig von vollständiger Verwirrung übertrumpft und ersetzt. Doch
ganz gleich der Krankheit, eine Konstante blieb: seine Instinkte rieten ihm,
diesen Ort sofort zu verlassen. Aufgrund seines schwachen Geisteszustandes
konnte er jedoch nicht sagen, welchen Weg ihn nach unten und welche ihn wieder
nach oben zu wen auch immer oder was auch immer sich auf der Spitze verbarg,
führte. Der gefühlte Rausch war ein Gefühl wie kein zweites – die Welt
offenbarte sich ihm.

Ein
kränklicher Geruch erfüllte die Luft. Ob es sein eigenes Erbrechen war, oder
seine Krankheit ihm einen Streich spielte, wusste John nicht. Doch innerhalb
dieses Gestanks verbarg sich etwas Anderes. Ein Geruch von Nässe gemischt mit
dem verstörenden Geruch verbrannten Haares. Der Geruch  wurde so stark, dass er anfing in John’s
Augen zu kratzen, was seiner Orientierung keine Abhilfe schaffte. Obgleich
seine Augen von Tränen bedeckt waren und die Welt sich falsch anfühlte, spürte
er etwas, dass er nun als Präsens beschreiben konnte. Der faulige Geruch wurde
stärker und als er das tat, gab John ein lautes Husten von sich. Die Antwort
auf das Geräusch war eindeutig und obgleich er dachte, dass es unmöglich wäre,
jemandes Gedanken zu lesen, kam etwas auf ihn zu – mit Bosheit und Hass als seine
Gefährten.

Das
Gefühl der Angst wandelte sich nun in ein Gefühl der Flucht um, als John leise
an schattigen Bäumen und wildem Gras in der Hoffnung vorbeiging, einen Weg in
die Freiheit zu finden. Stolpernd, als er sich eine Weg durch die Dunkelheit
bahnte, wuchs der Schmerz in seiner Flankte ständig an. Und der Gedanke hier
auf dem Hügel zu sterben, ohne von seinen Geliebten jemals gefunden zu werden,
wurde nur allzu real. Einen Moment dachte er, er würde erneut zusammenbrechen. Doch
während die Übelkeit stärker wurde, wurde sie nun von dem Geräusch toten Grases
und verwitterten Grünzeugs begleitet, welche zur Seite gestoßen wurden, als
sich etwas in der Nähe bewegte. Johns Sicht war nun so schwach, dass er nicht
mehr wusste, wo vorne und hinten war. Und in den kurzen Momenten der Klarheit
ekelte er sich vor dem Gedanken, wieder bei der Kirche oder den Steinen oder
den Grabsteinen zu landen – nicht sicher seiend, was diese überhaupt waren. Er
war komplett orientierungslos und etwas näherte sich ihm, das diesen
widerlichen Hügel sein Zuhause nannte.

Sei
still

Doch
weder Stille noch Dunkelheit konnten ihn schützen. Kein Reich der Vergessenheit
konnte Unklarheit bringen. Denn ein Scheusal, so alt wie die Welt, jagte nun
einen Mann, der einst dem Aberglauben und den Mythen ins Gesicht gelacht hatte.
Die Luft wurde dichter und das spärliche Licht, welches der silberne Mond
abgab, zog sich zurück. So, als ob es in den Boden ohne Widerkehr gesogen wurde.
Dann, nichts. Der Lärm bewegter und brechender Zweige und Gras hörte auf;
abgelöst von einer schier unerträglichen Stille. John, nun ein nervliches
Wrack, gab jede Hoffnung auf eine Flucht auf. Es war nahe, sein Atem konnte man
in der Luft spüren; faulig, ranzig. Wie von etwas, das vor langer Zeit gelebt
und noch nicht das Verlangen, Schmerz und Leid zu verursachen, verloren hatte.
Dann, Bewegung. Tote Blätter knirschten unter dessen Gewicht. Das lange Gras,
welches so unzerstörbar aussah, wurde nun mit jedem Schritt zerbrochen. Das
Einzige, an das John jetzt denken konnte, war, sich zu verstecken. Sein Atem
stockte und leise nach Luft schnappend, tauchte er in das hohe Gras ein, lag
da. Still und angsterfüllt.

Die
Präsens kam näher und in der Dunkelheit konnte er die vage Form einer Gestalt
in der Nähe erkennen. Sie drehte langsame Kreise, kam näher und verschwand
wieder, so als ob sie den Boden gründlich absuchte. Dann, endlich, flaute das
Geräusch ihrer schwerfälligen Schritte ab und hörte dann auf. John stieß einen
erleichterten Seufzer aus.

Dann
berührte eine Hand sein Gesicht.

Sein
Überlebensinstinkt nahm die Oberhand und mit einem gewaltigen Angstschrei
drehte John sich zur Seite. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn, als sein
eigenes Gewicht einen unebenen Fleck Erde tief in seine Wunde drückte. Ein
leises Stöhnen kam von was auch immer vor ihm stand, woraufhin John durch einen
neuen Antrieb motiviert wurde, ohne zu wissen, wo es langging. Er sprang auf,
rannte in eine beliebige Richtung und hoffte entgegen jeder Wahrscheinlichkeit,
dass dies ihn aus diesem Wahnsinn führen würde. Aus diesem Albtraum.

Bäume
und Gras flogen im Dunkel der Nacht an ihm vorbei. Eine dichte Wolke aus
Krankheit und verbranntem Haar umgab alles; was in ihm beim Rennen einen
wiederkehrenden Würgereiz auslöste. Endlich wusste er, wo er war und hatte
einen Kurs. Einen, von dem er wusste, dass er nie wieder haben würde. Die
Kirche thronte groß und verdreht vor ihm. Etwas bewegte sich zwischen den
Bäumen hinter ihm und in kurzer Zeit würde es ihn einholen. Zumindest wusste
John, in welche Richtung er gehen musste. Er rannte zur Seite in Richtung des
Pfades, den er bereits entlanggegangen war. Ein alter Pfad, der ihn in
Sicherheit bringen würde. Doch das Land erschien unbekannt und unnatürlich.
Selbst die Gestalt und Beschaffenheit seiner Umgebung schien von einem bösen
Geist verdreht worden zu sein. John musste weitergehen, weg von dem, was ihn
verfolgte. Der Pfad musste in dieser Richtung sein!

Dann,
endlich, brach er durch eine Reihe von Büschen und Bäumen und gelangte zu einer
Lichtung. Sein Herz sank in Untiefen, die er nicht kannte. Da stand die Kirche
erneut, wirkte nun jedoch anders. Nachts schien das Gebäude viel düsterer und
bizarrer zu sein, als tagsüber. Einen Moment lang kam es John so vor, als ob
der Kirchturm nicht aus Fels, Stein oder Beton, sondern aus Ranken, Erde und
Holz bestand. Ein Kirchturm, welcher sich gen Himmel drehte, der den Turm schon
vor langer Zeit in die Welt geschleudert hatte.

Das
Rascheln toter Blätter ertönte erneut, als John stolperte und nach Luft
schnappte. Der Schmerz in seiner Wunde war nun unerträglich und jeder Schritt
nach vorne wurde von einem innerlichen, reißenden Gefühl begleitet. John war gezwungen,
über den Kirchgrund von seinem Verfolger zu fliehen und er bewegte sich so gut
er konnte. Stolpernd und humpelnd, schwach und erschöpft betrat er ein dichtes
Netzwerk aus Gestrüpp und Dornen. Seine Kleidung verfing sich, als die Stacheln
der Pflanze an seinem Gesicht und seinen Armen kratzen. Es hatte kein Zweck und
er konnte dem, was kam, nicht entrinnen. Als er über seine Schulter blickte,
sah er deutlich, wie etwas nur wenige Meter hinter ihm sich seinen Weg durch
die Zweige bahnte.

Angst
pumpte nun durch Johns Venen, als sein Verfolger immer näher kam. Es stieß
einen Schrei voller Schmerz und Qual aus, während es einen Moment lang anhielt
und Johns Kampf zusah, als dessen Hände von den Dornen zerschnitten und
zerkratzt wurden. John riss und griff nach dem Dickicht in dem Versuch
abzuhauen. Und um ihn noch einmal bis ins Mark zu erschüttern, starrte die
Gestalt hinter ihm ihn an und gab einen fürchterlichen Schrei von sich. Etwas,
dass sich sowohl wie ein Lachen, als auch ein Seufzer der Erleichterung
anhörte. Die Gestalt begann, sich in Windeseile zu bewegen, brach ohne große
Anstrengung durch das Gewirr aus Dornen und Zweigen, kam unaufhaltsam näher.

Mit
einem Schrei des Schmerzes und der Erleichterung entkam John dem Griff der
Dornen, doch wurde er von Verzweiflung gepeinigt. Dort stand die Kirche erneut,
als ob sie ihn verspottete. Auf eine Art und Weise verzerrt und verzogen, wie
kein menschlicher Architekt es sich vorstellen konnte. Mit letzter Kraft, die
er noch besaß, stolpernd, passierte er die Kirche, während sein Verfolger durch
die Bäume preschte und auf John zu rannte. John erhöhte sein Tempo so gut er
konnte, doch brachte er nun nur wenig Kraft auf. Der Himmel öffnete sich und
Schwaden von Wasser ergossen sich über die Kirche, flossen zu Boden, welcher
bald durchnässt war.

Johns
Kraft verließ ihn und er sank zu Boden, gab auf wie ein gehetztes Tier, welches
letztendlich zusammenbrach. Dann, die Rettung. Aus der Ferne kam ein Licht.
Eines, welches durch das undurchdringliche Gestrüpp schien. Etwas, das Hoffnung
gab. Ein rettender Anker, ein Licht von außerhalb des fürchterlichen Hügels.
Als das Geräusch seines Verfolgers  näher
kam, durch das Gras in der Dunkelheit schleichend, erweckte ein letzter Funken
an Kraft John von seinem fürchterlichen Schicksal. Der Anblick von Licht und
Leben erweckte den letzten Funken Hoffnung in ihm. Er schrie vor Schmerz, als
er sich aufrichtete, als der Regen nun auf ihn niederprasselte, ihn durchnässte
und in das Loch an seiner Flanke strömte. Doch das kümmerte ihn nicht. Das
Einzige, was zählte, war das Licht und die Rettung, die es versprach.  So schnell wie möglich in dessen Richtung
humpelnd, stieß er sich durch die Ranken und Zweige des verwickelten Waldes;
seine Angst überstieg den Schmerz, den das Kratzen und Schneiden seiner Haut
verursachte.

Doch
machte er Fortschritte und das Licht wurde größer und größer; lebendig und
erhaltend. Es war nun klar, dass er den Hügel hinunterlief und die Wucht, mit
der er nach vorne schoss, ließ ihn nach jedem Fall stolpern, wodurch er
merklich schneller wurde. Augenblicke von Erinnerungen, die nicht seine eigenen
waren, durchfluteten schon wieder seinen Kopf. Gedanken voller Furcht und Hass
füllten sein Blickfeld; Bilder der Kirche, welche nie leer, jedoch ohne Lebende
war – während der Priester seine Hände er hob und die Mitglieder der Gemeinde
die Köpfe senkten.

Verwirrung
machte sich erneut in ihm breit und der Geruch von verbrannten Haaren kroch
erneut in die Welt. Obgleich schwerfällig, konnte er dennoch hören, wie sein
Verfolger an Geschwindigkeit zulegte. Jedoch hörte es sich nun erregter an;
wütend, vielleicht auch frustriert. In John kam die Übelkeit vor lauter Panik
zurück, das Blut strömte nun ohne Unterlass aus der Wunde an seiner Flanke. Gerade
als das Licht am nahesten erschien, rückte das Versprechen von Erlösung,
Sicherheit und einem Ausweg näher. John rollte ein steiles Grasgefälle
hinunter, rutschte durch den nassen Schlamm und stolperte mit hoher
Geschwindigkeit zu Boden. Schmerz, Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit nahmen
Oberhand als sein Körper, geschlagen und geprellt, auf einem großen,
umgefallenen Baumstamm zur Ruhe kam.

Die
kletternden Schritte kamen näher. Und während sie dies taten, sinnierte John,
ob das etwas, auf dem er lag, ebenfalls ein Opfer des brutalen und versteckten
Bösen war, welches den Hügel sein Zuhause nannte.

„Komm
schon! Stehen Sie auf!“ rief eine Stimme in der Dunkelheit, welche fast durch
das Brechen von Gras übertönt wurde.

Die
Welt schien verdreht, doch ein Bewusstsein kroch langsam wieder in seinen Kopf.
Sein Verstand kam zurück und John wusste nun, wo er war. Sein Körper war nicht
gegen einen Stamm, sondern gegen das hölzerne Tor gelehnt, welches die Grenze
dieses fürchterlichen Ortes darstellte.

Etwas
war nah. Das, was ihn verfolgt hatte, war nun wenige Meter entfernt.

„Los,
es hat Sie gleich eingeholt!“ rief die nun bekannte Stimme Dales.

Mit
einer letzten Bewegung, mit dem letzen Bisschen Kraft in ihm, öffnete John R
das Tor und fiel mit dem Gesicht nach vorne in eine Pfütze entlang der Straße.

III

Ich
saß wie angewurzelt da. Johns Worte kamen stotternd aus seinem Mund, doch mit
einer solchen Überzeugung und einem derartigen Realismus, die ich trotz meiner
Skepsis schwer fand zu ignorieren. Der Mann war fest davon überzeugt, dass
alles, was er mir sagte, der Wahrheit entsprach. Dale war John gegen den Willen
der Einheimischen gefolgt, hatte Dale doch vor langer Zeit seinen Sohn verloren
und wollte nun nicht, dass noch jemand Anderes der Bosheit des Hügels erlag.
Der Vermieter, ein alter Freund des Bauern, gab letztendlich nach und die
beiden machten sich zum Fuß des Hügels auf. Hoffend, dass John ihr Licht in der
Dunkelheit finden, ihm folgen und der Erste sein würde, welcher seit
Menschengedenken wieder heil zurückgekehrt war. Ganz gleich jedoch, wie sehr
die beiden John helfen wollten, wollten sie weder das Tor berühren, noch über
die Schwelle des Hügels treten. Das musste John selber tun und er tat es just
in dem Augenblick, als sein Verfolger sich über ihn gebeugt hatte.

Ich
erinnere mich, einen erleichterten Seufzer ausgestoßen zu haben, als er den
Wein vor dem Feuer vollkommen leertrank. Zwischen uns herrschte für einen
Augenblick Stille und ich merkte, dass die gesamte Bar voll angespanntem Zögern
war. Eines, welches fast greifbar erschien. So, als ob die Anwesenden sprechen
wollten, es jedoch nicht konnten.

Endlich
fing ich zu sprechen an und versuchte, so versichernd wir möglich zu klingen:
„Das ist eine fantastische Geschichte, John, aber eben nur eine Geschichte. Ich
bin mir sicher, dass es eine logische Erklärung gibt.“

Ernst
senkte er seinen Kopf und starrte zu Boden.

„Wenn
es nur eine Geschichte ist, warum kann ich dann nicht fort von hier?“ fragte er
und sah mich dabei mit einem Ausdruck an, welcher halb in Angst, halb in
Verzweiflung getränkt war.

„Wie
meinen Sie das, Sie können nicht weg?“

„Ich
sitze hier schon seit drei Monaten fest!“ rief er: „Manchmal wünschte ich mir,
Dale hätte mich dort zurückgelassen.“

„John“,
sagte ich, als ich mich nach vorne lehnte und meine Hand versichernd auf seine
Schulter legte: „Sie können gehen, wann immer Sie wollen.“

Doch
aufgrund seines Gesichtsausdrucks konnte ich sehen, dass er mir nicht glaubte.
Er hatte sich von den Mythen und Sagen vereinnahmen lassen, welche ihm die
Einheimischen eingetrichtert hatten und ich schloss daher, dass seine Psyche
vergiftet worden war. Natürlich hatte ich das Gefühl, dass der Vermieter und
die anderen es gut mit ihm meinten, doch ich war mir sicher, dass eine
vernünftige Erklärung ihn hoffentlich von seinem erkrankten Geist heilen würde.

„Ich
fahre morgen nach Glasgow“, sprach ich erfreut: „Wieso begleiten Sie mich
nicht? Der Bus wird gegen Nachmittag hier sein und wir können zusammen fahren.
Aber…oh, natürlich, ich vergaß, Sie sind ja mit dem Auto hergekommen. Bitte
gehen Sie nicht davon aus, dass ich auf eine Mitfahrgelegenheit spekulierte.“

Ich
lachte, doch John starrte mich nur ernst an und gab dann zurück: „Mein Auto
steht draußen, kaputt.“

„Wirklich?
Ich hoffe, es ist nicht allzu schlimm. Was ist passiert?“

„Ich
brauchte mehrere Tage, um mich von meinem Erlebnis auf dem Hügel zu erholen“, sagte
er traurig, eher er fortfuhr: „Doch als es mir besser ging, packte ich meine
Sache, dankte Dale und dem Vermieter und fuhr davon. Nachdem ich einige Kilometer
gefahren war, goss es in Strömen. Die Sicht war beschissen, doch ich wollte nur
noch fort. Ich verlor die Kontrolle über mein Fahrzeug und fuhr direkt in einen
Baum. Ich überlebte, aber das Auto konnte man vergessen.“

„Nun
ja, Unfälle passieren. Solange es Ihnen gut geht. Wie wär’s mit noch einem
Drink?“ Ich stand auf und als ich das tat, wurde ich von John gewaltsam
gepackt.

„Das
war kein Unfall. Auf der Straße war noch etwas Anderes. Ich sah ihn, wie er da stand.
Ein Mann…glaube ich. Zumindest sah es aus, wie ein Mann. Ich wich ihm aus.“

„Das
war gut. Das Letzte, was Sie bräuchten, wäre aus Versehen einen Einheimischen
umgefahren zu haben.“ Meine Witze besänftigten seine Frustration auch ein
zweites Mal nicht.

Ich
setzte mich wieder, als er mir von seiner misslichen Lage erzählte. Nach dem
Vorfall mit dem Auto, welches von Dale zurück zum Gasthof geschleppt worden
war, versuchte John alles, um von hier fortzukommen. Jedes Mal, wenn er
versuchte, den örtlichen Bus zu nehmen, gab es ein Problem. Der Bus würde
abschmieren, oder ein Erdrutsch würde diesen an der Weiterfahrt ins Dorf
hindern. Er hatte sogar behauptet, dass dies der Grund war, weshalb ich hier
eine Nacht verbringen musste – da er an diesem Tag vorgehabt hatte, dem Bus zu
nehmen.

Der
Mann ließ nicht nach. Seit drei Monaten war er Gast im ‚Laird of Dungorth‘ gewesen
und ganz gleich, wie sehr er es auch versuchte, konnte er das Dorf nicht
verlassen. Mehrere Male hatte er versucht, in das nächste Dorf zu wandern, doch
jedes Mal wurde er aufgrund des kalten und gefährlichen Wetters zurückgeworfen,
welches urplötzlich auftauchte. Er hatte sogar um Hilfe telefoniert; doch sein
Handy hatte keinen Empfang und wenn er es vom Festnetz aus versuchte, kam nur
ein statisches Rauschen. Dasselbe passierte auch denen, welche für ihn um Hilfe
baten.

Ich
war mir sicher, dass es für alles Vorgefallene eine vernünftige Erklärung gab,
obgleich ich nicht alles erklären konnte. Es schien absurd, dass jemand, der offensichtlich
so intellektuell und wortgewandt war, dazu gebracht wurde, derlei Unsinn zu
glauben.

„Sie
sind ein Opfer selbsterfüllender Prophetie“, sagte ich selbstsicher.

„Was
meinen Sie?“ erwiderte John.

„Ich
habe in vielen Orten wie diesen gearbeitet. Man kommt zu einem alten Teil des
Landes mit einer angsteinflößenden Landschaft. Im Gegensatz zum modernen Leben
in London wirkt es wie eine andere Welt. Dann füllt man deinen Kopf mit Stoff
für Paranoia. Ein Mythos über einen verfluchten Teil des Landes, den die
Einheimischen glauben. Mit all dem im Kopf, fährt man dann gegen einen Baum und
bevor man sich versieht, glaubt man dann an alles. Vielleicht haben Sie sich
die Gestalt auch nur eingebildet – vielleicht auch die ganze Begegnung.“

„Was
ist mit dem Hügel?“ fragte er, offensichtlich neugierig ob der Möglichkeit zur
Flucht.

„Bestimmt
ein Placebo-Effekt, heraufbeschworen von all den Geschichten, die sie gehört
haben. Oder, wer weiß, vielleicht hatten Sie eine Lebensmittelvergiftung oder
sich irgendeinen Virus eingefangen und das Ganze halluziniert. Vielleicht wohnt
da oben in Verrückter in der Kirche.“

Es
war offensichtlich, dass er mir nicht glaubte, doch sah ich es als meine
Pflicht an, diesem armen Menschen aus dem Dorf und mit nach Glasgow zu nehmen,
wo er hoffentlich die Heimreise antreten konnte. Ich hatte bereits den Schaden
gesehen, den unbegründete Ideen unter Menschen und Gemeinden anrichten konnten
und es widerte mich wirklich an.

„Morgen
nehmen wir den Bus zusammen nach Glasgow und ich spendiere Ihnen einen
ordentlichen Schluck.“

Er
sagte daraufhin nicht viel, außer, dass er zögernd und zustimmend nickte.

IV

Am
nächstem Tag stand ich mit einem einzigen Ziel vor Augen auf. Obgleich ich nach
Hause musste, m meinen Bericht zu schreiben, würde der Bus nicht vor Nachmittag
eintreffen. Das bot mir die Gelegenheit, John auf eine dramatische Art und
Weise davon zu überzeugen, mit mir zu kommen: Ich würde selber zu dem Hügel
gehen. Ich wusste, dass wenn ich ohne irgendwelche merkwürdige Vorkommnisse
wiederkehren würde, er den abergläubischen Unsinn, mit dem ihn die
Einheimischen infiziert hatten, vergessen und mit mir in den Bus steigen würde.
Ich muss gestehen, dass mich die Vorstellung an diesen Ort neugierig machte und
obwohl ich überhaupt keinen Zweifel hatte, dass Johns Erfahrungen falsch waren,
spürte ich, dass in dem Ganzen ein interessanter Bericht oder Geschichte
schlummerte. Als Autor bieten sich einem derlei Gelegenheiten nur selten an.

Bevor
ich aufbrach, sprach ich mit ihn, legte meine Intentionen offen. Er beschwor
mich, nicht zu gehen, dass sein Schicksal nicht das meine sein sollte. Doch
nach hinreichender Überzeugung sah er ein, dass ich mich nicht umstimmen ließ.
Und er stimmte zögernd zu, dass wenn ich ohne einen paranormalen,
übernatürlichen Vorfall erlebt zu haben, er mit mir nach Glasgow kommen würde.

Nachdem
ich Richtungsangaben erhielt – Angaben, welche von denen ich wusste, dass die
Einheimischen diese mir nur widerwillig geben würden, machte ich mich zum
angeblich verfluchten Hügel auf. Ich muss zugeben, dass er mir…komisch vorkam,
als ich ihn zum ersten Mal sah. Als ob er hier nicht hingehörte. Jedoch tat ich
es als unterbewussten Effekt von Johns Geschichte ab. Die Umgebung schien so,
wie John sie beschrieben hatte. Wenigstens stimmte das. Der Weg war von Müll
und Geröll versperrt worden und ich fand auch das hölzerne Tor am Fuße des
Hügels. Es hatte auch Blutflecken darauf, was das Ende seiner Geschichte
glaubhafter machte. Die Idee eines Irren da oben ließ mich nachdenken, doch
selbst wenn ein Verrückter John durch das Dickicht gehetzt hatte, war dieser
bestimmt von Dale und dem Vermieter verjagt worden. Immerhin schaffte es ein
verletzter John abzuhauen, weshalb ich mir nur wenig Gedanken machte.

Ich
fühlte nichts Ungewöhnliches, als ich über die Schwelle trat und obgleich das
verhedderte Gestrüpp von Bäumen und totem Gras das Gefühl von Verwesung
hervorrief, war ich überrascht, wie unauffällig und normal sich die Umgebung
anfühlte. Ich kletterte den steilen Pfad – welcher offensichtlich in letzter
Zeit oft benutzt worden war – nach oben und erreichte einen Punkt, der an Johns
Beschreibung erinnerte.

Und
dann sah ich sie – von der Welt durch eine Wand aus Blättern, modrigem Holz und
Gras verborgen: die Kirche. Ich war sichtlich überrascht, hatte ich doch
angenommen, das Gebäude sei Teil von Johns Wahnvorstellungen gewesen. Ich gebe
zu, dass mich ihre Existenz mulmig machte und zögerte einen Moment, ehe ich
weiterlief. Es ist mir peinlich zuzugeben, dass ich wohl gedachte,
zurückzukehren, wäre die Gegend nicht durch das morgendliche Licht erhellt
worden. Doch tat ich es nicht.

Die
Kirche war faszinierend und ich wollte wenigstens sehen, ob sie auch so war,
wie John sie beschrieben hatte; mit einem unberührten Altar darin. Es war nicht
schwer, in das Innere zu sehen, doch lief es mir kalt den Rücken hinunter, als
ich mich an die Beschreibung  bezüglich
der Schutthaufen erinnerte, welche die Tür blockierten. Allerdings stand sie
weit offen, unberührt, was mir Anlass gab, einmal kurze innezuhalten. Doch
stand ich da, an der Schwelle, sah hinein. Die Kirche war genau wie John sie
beschrieben hatte; der Boden war bedeckt mit Schutt des zerfallenen Daches, der
hohe Altar direkt vor mir, eine Inschrift. Eine, von der ich nun überzeugt war,
dass sie das aussagte, was John geschildert hatte – und der Eingang, welcher
nach unten zu einem unbekannten Ort führte.

Ihr
müsst verstehen, dass ich zu keinem Zeitpunkt ernsthaft geglaubt hatte, dass
hier etwas Übernatürliches hauste. Die Idee an sich war lachhaft, allerdings
fing ich durchaus an, meine Sicherheit in Frage zu stellen. Gedanken an einen
Landstreicher oder einen verrückten Irren, der in einer verlassenen Kirche
wohnte, machten mich nicht gerade mutiger.

„Hallo?
Ist hier wer?“ rief ich, während das Echo meiner Stimme bis hinauf zu den
Dachbalken klang.

Als ich keine Antwort erhielt, schellte ich mich
selbst ob meiner Paranoia und trat ein. Langsam bewegte ich mich durch den
Schutt und bemerkte Bluttropfen auf einem zerbrochenen Stück Holz von dem ich
annahm, dass es Johns Blut war. Wieder gingen mir Gedanken bezüglich einer
Blutvergiftung durch den Kopf: Hatte vielleicht die Wunde an seiner Flanke
diese Wahnvorstellungen hervorgerufen? Zumindest jene, welche danach passiert
waren? Das würde seine Orientierungslosigkeit erklären.

Der
Altar stand, wo John gesagt hatte. Ich zog mein Handy aus meiner Tasche und
machte einige Fotos des Inneren der Kirche, da ich einen Beweis dafür brauchte,
wirklich hier gewesen zu sein und um John dies versichern zu können. Mit jedem
Blitz leuchtete das Schiff auf, wobei ich wieder an Johns Beschreibung eines
eifernden Priesters und an eine verängstigte Gemeinde dachte, welche sich unter
dem Schutz der Kirche
versammelt hatte – doch Schutz wovor?

Ich
drehte mich in Richtung des dunklen Eingangs, welcher unter das Gebäude führte.
Ich fühlte, wie mein Herz schneller schlug bei der Möglichkeit, die steinerne
Treppe hinabsteigen zu können. Die Idee trieb mich an, obwohl nicht ganz aus
selbstlosen Gründen. Ja, ich wollte John zeigen, dass dort unten nichts war und
dass es keinen Grund für die Wahnvorstellungen gab, die ihn innerhalb der
Dorfgrenzen hielten. Allerdings wollte ich selbst ebenfalls wissen, was sich
dort unten verbarg. Wieso hatte eine Kirche ein Untergeschoss? Gab es eine
Krypta? Meine Neugier stieg ins Unermessliche und ich leckte mir die Lippen bei
dem Gedanken, einen Artikel zu veröffentlichen, in dem ich meinen Fund
beschrieb. Ein unbekannter, archäologischer Fund, vielleicht mit einem oder
zwei wertvollen Reliquien darin.  

Während
ich mich der Tür näherte, konnte ich die kalte Luft von unten kommend spüren.
Ich beruhigte meine Nerven, welche an mir gezerrt hatten, und mit dem Licht
meines Handys spähte ich vorsichtig hinein. Eine steile und enge Treppe wandte
sich in den Boden darunter. Die Wände hatten ein dunkles Grau und schienen mit
weitaus weniger Achtsamkeit als der Rest der Kirche gehauen worden zu sein. Ich
rief erneut nach unten, doch wieder kam keine Antwort und ich nahm daher an,
dass dieser Ort verlassen war. Als ich nach unten stieg, überraschte es mich,
wie lang die Treppe tatsächlich war und als ich endlich unten ankam, nahm ich
an, dass ich mich etwa fünfzehn Meter unter der Kirche befand. Es erschien
merkwürdig, dass ein Stockwerk so weit unterhalb sein würde und ich fragte mich
nach dessen Sinn. Wieso hatten die Architekten, Baumeister und die Gemeinde so
tief gegraben?

An
der letzten Treppe riss ich mich zusammen und drehte
mich um, nur um
einen verdunkelten Durchgang zu erblicken. Das blaue Licht meines Handys
erhellte alles um mich herum und was ich sah, verstörte
mich zutiefst;
eine große Kammer, der Boden übersät mit Lumpen, Stein und menschliche Knochen.
Ich  konnte nicht sagen, wie viele
Leichen hier zum Sterben zurückgelassen worden waren. so zahlreich waren sie.
Ich fühlte die kalte Luft nun stärker und diese ließ meinen ganzen Körper
erzittern. Nicht nur wegen des kalten Steins, der mich umgab, sondern auch von
dem betrübtem Gefühl in mir. Es schien fast so, als ob ich mir die Menschen
vorstellen konnte, wie sie hier unten zusammenkauerten; wie sie ihre letzten
Augenblicke in völliger Finsternis verbrachten. Ich hatte den Eindruck, dass
sie alle hier gestorben waren, jedoch wusste ich nicht, weshalb ich davon so überzeugt war. 

Ich
schoss einige Bilder ehe ich etwas betrat, dass ich nur als…Massengrab
bezeichnen kann. Vorsichtig wich ich den Knochen aus, jedoch muss ich zugeben,
dass ich dafür schäme, einige zertreten zu haben. Zu meiner Rechten gab es
einen weiteren Durchgang, welcher zu einer weiteren Kammer führte. Und obgleich
ich das Grab nicht mehr stören wollte, als ich es eh schon tat, wollte ich die
ganze Geschichte erfahren. Das befand sich dort unten.

Über
dem Durchgang stand ein steinerner Kerub-Engel, kunstvoll gestaltet, was ihn in
einem Raum voller Knochen fehl am Platz erscheinen ließ. Jedoch besaß sein
kindliches Gesicht ein komisches Grinsen. Nicht eines voller Freude oder
Verspieltheit, sondern eines voller Spott und Sadomasochistischem Schweigen. Es
auch nur anzusehen, löste in mir ein Gefühl des Ekels aus und so ging ich
schnell in die andere Kammer, um mich seinem Blick zu entziehen.

Darin
befand sich ein großer Raum, viel größer als der vorherige. Ich erkannte
schnell, dass sich hier etwas befand, das den Erbauern sehr wichtig gewesen
war. Die Wände waren mit wundervoll gemeißelten Symbolen verziert. Einige davon
waren christlichen Ursprungs, doch vielen war mir der
Ursprung unbekannt.
In der Mitte des Raums befand sich ein Brocken aus massivem Stein, circa
neunzig Zentimeter groß. Auf dem Boden an seiner Seite befand sich ein großes
Loch und an der Seite des Steins befand sich folgende Inschrift:

Hier ruht der Vater. Von einigen geliebt, von vielen verhasst.

Ich
grübelte über ihren Sinn nach, während ich in das Loch starrte. Das Grab war
leer, doch war ich froh, dass ich es gesehen hatte, ehe ich den Raum betrat.
Denn es war tief und weit genug, um darin hineinzufallen und dort unten mit
einem gebrochenen Bein zu liegen, war nicht etwas, auf das ich scharf war. Der
Dreck darin war mit einer Schwärze befleckt, die nach Kohle aussah, und der
Rand des Lochs war von einem runden Haufen Erde umgeben. Ich nahm an, dass sein
Leichnam schon vor langer Zeit von Grabräubern oder vielleicht von diesen
„Verhassten“ entfernt worden war.

Die
Luft des Ortes fing an, mir schwer zuzusetzen. Jedes Einatmen fühlte sich
kratzig und kalt an und das Unbehagen reichte aus, um mich zu überzeugen, dass
ich genug gesehen hatte. Während ich einige Fotos machte, um das Grab zu
dokumentieren, rückte etwas auf dem Boden in mein Blickfeld. Bedeckt mit Erde
und Dreck lag dort ein Buch, welches sich nur leicht vom Boden unterschied. Ich
hob es auf, blies den Staub vorsichtig von ihm ab und legte das Buch auf den
Steinbrocken.

Der
Einband war uralt, brach leicht ab, als ich meine Hand darüberfuhr. Der
dunkelrote Buchumschlag, von welchem ich nicht wusste, woraus er gemacht worden
war, sprach von einer vergangenen Zeit und vergessenen, jedoch wichtigen
Geschichten. Tief in mir wusste ich, dass ein solches Objekt eigentlich
vorsichtig entfernt und von Historikern untersucht werden sollte, doch als
Autor trieb mich die Leidenschaft einer guten Geschichte zu sehen, was darin
stand. Ich öffnete es und staunte nicht schlecht. Es war eine Chronik. Ein
handgeschriebener Bericht über die Geschichte der Kirche, ihrer Gemeinde und des
Hügels. Eine Momentaufnahme eines lang vergessenen Volkes.

Es
war in einem sprachlich verwirrenden Ton geschrieben, da die Wortwahl eine
Mischung aus Altem Scots und Phrasen in einer mir unbekannten Sprache. Ich nahm
an, dass es sich hierbei um Keltisch oder Gälisch handelte, jedoch
konnte ich die Absätze in Altem Scots teilweise lesen. Das nun Folgende ist
eine grobe Zusammenfassung dessen, was in den Absätzen stand.

          *          *

Im
15. Jahrhundert kam eine Gruppe von Flüchtlingen auf der Suche nach einem neuen
Zuhause in diese Gegend. Die Täler – oder Glens, wie sie in Schottland genannt
werden – waren zu dieser Zeit unbewohnt, so auch der merkwürdige Hügel, der die
Landschaft dominierte. Die Menschen stammten aus einem Ort namens Dungorth und
sie waren von ihrem Herrn geflohen, der Region zu dieser Zeit beherrscht hatte.
Sie flohen seiner Verfolgung, da er ein brutaler und gnadenloser Herrscher war
und jeden bestrafte, der seinem Glauben nicht folgte.

Sie
waren gerade einmal an die hundert Leute und während die Dorfältesten in den
Glens siedeln wollten, behauptete ein führender Priester unter ihnen, dass der
Hügel zuerst besiedelt werden sollte. Dadurch sollte sichergestellt werden,
dass das Land gesegnet wurde und die Gemeine kein Übel befiel. Der Hügel sollte
ein Leuchtturm der Heiligkeit werden, welcher seinen schützenden Schatten auf
alle darunter warf. Während einige ob des Mannes Faszination bezüglich des
Hügels argwöhnisch waren, war dieser für seine Nettigkeit und als jemand
bekannt, dessen Urteil  man trauen
konnte. Schweren Herzens folgten die Dorfältesten seinem Beispiel, wie es
damals unter Strenggläubigen übrig war. Dort, auf dem isolierten und
unheilvollen Hügel, bauten sie eine kleine Siedlung. Doch beinahe sofort fingen
einige Siedler an, sich krank zu fühlen. Eine Krankheit, welche nicht erklärt
werden konnte und welche oft in einen fiebrigen Wahnsinn mündete.

Der
Priester gab einigen freistehenden Steinen die Schuld, welche über das ganze
Land verstreut waren. Überbleibsel einer alten und – zumindest aus seiner
Sichtweise – ketzerischen Religion. Es wurde entschieden, dass unter seiner
Aufsicht eine Kirche gebaut wurde. Mit dem Vorhandensein von geheiligtem Boden
nahm man an, dass die Wirkung von was auch immer sich dort auf dem Hügel
verbarg, nachlassen würde.

Sie
lagen falsch.

Trotz
ihrer Bemühungen grassierte die Krankheit weiter und viele vermuteten, dass der
Priester selbst mit den abscheulichen Mächten im Bunde war, die all das
bewirkten. Einige der Dorfältesten begehrten gegen ihn auf, doch unter seiner
Führung richtete die Gemeinde jeden, der Widerstad übte, hin. Da sie um ihr
Leben fürchteten, flohen viele der Siedler, welche durch das Betragen des
Priesters und seiner Gefolgschaft erbost waren,  zusammen mit den Dorfältesten nachts in die
Täler. Viele schafften es, dem Hügel zu entkommen, jedoch kehrten einige
zurück. Sie glaubten, von undefinierbaren und unnatürlichen Gestalten verfolgt
worden zu sein und sie daher nicht fliehen konnten. Um ihr Leben zu retten,
schworen sie dem Priester und seiner Gemeinde unbändige Treue.

Durch
die Behauptung, Visionen vom Allmächtigen selbst empfangen zu haben,
versicherte der Priester den Siedlern, dass sie gerettet werden würden, würden
sie explizit seinen Anweisungen folgen. Jede Nacht versammelten sie sich in der
Kirche, wo der Priester seine Visionen und sein Verdammen von sich gab und Hass
gegen all jene schürte, welche geflohen waren. Einigen wurde klar, dass er
wahnsinnig wurde. Jedoch hatte der Man zu dieser Zeit schon eine rigide,
brutale und loyale Gefolgschaft um sich versammelt, die jedes seiner Worte und
Prophezeiungen glaubte und jedes Aufbegehren zu einem gewalttätigen, blutigen
und unsicherem Unterfangen machte.

Viele
sprachen von formlosen Träumen, von der Dunkelheit geblendet und mehrere
Familien fand man nachts erstickt in ihren Häusern vor. Der Priester gab die
Schuld denen, die geflohen waren, spann Geschichten darüber, wie jene der Grund
des Übels waren und seine Leute verfolgten. Und er verfluchte sie, bis an das
Ende ihrer Tage. Verbitterung und Wut machte sich in der Gemeinschaft breit und
einige Siedler wurden ausgewählt, um in das Tal zu gehen und die Dorfältesten
zu holen, über welche geurteilt werden würde und welche, falls nötig, geopfert
werden würden. Doch niemand konnte den Hügel verlassen. Gan gleich, wie sehr
sie es auch versuchten, thronte die Kirche groß über ihnen. Ganz gleich, ob sie
nach oben oder nach unten gingen, würden sie wieder am Ausgangspunkt sein. Verwirrt
und desorientiert.

Die
Krankheit breitete sich aus und die Dorfwachen fand man einen nach dem anderen
erstickt in den Straßen, mit Zeugen die aussagten, des Nachts merkwürdige
Gestalten jagend gesehen zu haben. Panisch hatten diejenigen, welche geblieben
waren, keinen anderen Ausweg als ihre Erlösung in ihrer Religion zu suchen. Sie
hofften, dass die Kirche sie beschützen würde. Unter ihrem Dach kauerten jene
voller Furcht vor dem Unheils außerhalb zusammen.

Hier
änderte sich das Geschriebene merklich, wurde zackig, eifrig und deutlicher.
Der Priester hatte den Dorfchronisten abgelöst, war dieser dem Priester
unzulänglich geworden. Daraufhin folgten mehrere Seiten auf denen Absätze in
Englisch zusammen mit Latein und einer Reihe merkwürdiger und undefinierbarer
Sprachen standen. Jede Seite war mit Schmerz und Verachtung gegenüber jenen
gefüllt, die abgehauen waren. Und dann hörten die Worte einfach auf.

          *          *

Ich
stand an diesem düsteren und unheilvollen Ort, strich meine Finger über den
Buchrücken und erkannte deutlich, dass die letze Seite herausgerissen worden
war. Was darauf geschrieben hätte sein können, wusste ich nicht.

Ich
fühlte mich von diesem Bericht übermannt, welchen ich gerade gelesen
hatte,  als eine sehr reale und spürbare
Furcht durch meinen Körper strömte. Es fiel mir auf, dass die Krankheit, welche
die Flüchtlinge aus Dungorth befallen hatte, Johns Erfahrungen sehr nahe kam.
Ich konnte diesen Zufall nicht einfach abtun und ich fing an zu glauben, dass
ihn wirklich etwas betroffen hatte – etwas Spürbares. Vielleicht ein Schadstoff
am Boden. Vielleicht ein Gift? Ich hatte von Wolken aus Methangas gelesen,
welche aus dem Erdreich und dem Meer auftauchten und viele getötet hatten. So
war es nicht abwegig anzunehmen, dass etwas Ähnliches, wenn auch in einer geringerer
Dosis, tatsächlich eine Massenhalluzination, Krankheit und sogar Wahnsinn
ausgelöst haben könnte. Es war die beste Erklärung, die mir einfiel. Doch wieso
war ich noch nicht davon betroffen? Vielleicht waren einige Menschen, wie in
der Chronik angemerkt, resistenter gegenüber den Schadstoffen als andere.

Ich
schenkte meine Aufmerksamkeit nun einem anderen Grab, oder viel mehr, was davon
noch übrig war. Ich fragte mich, was die Menschen mit der Leiche des geliebten
und verhassten Priesters gemacht hatten. Natürlich nur, wenn man annahm, dass
dieser mit „Vater“ gemeint war. Hatten sie ihn an einem anderen Ort beerdigt?
Vielleicht hatten seine Anhänger Angst gehabt, dass das Grab geschändet werden
würde. Die Antwort sprang mir in Windeseile ins Gesicht: Sie hatten ihn in
seinem Grab verbrannt, unter der gleichen Kirche, die er erbaut hatte. Das
Loch, in dem sein Körper einst gelegen hatte, war nun auf Ewig durch einen
schwarzen Fleck aus Ruß und Kohle bezeichnet worden. Ich schauderte bei dem
Gedanken, dass man ihn hineingeworfen und bei lebendigem Leib verbrannt hatte.

Die
Luft wurde nun merklich kälter, was jedoch nicht den Anfang meiner Tortur
markierte. Ich lehnte mich nach vorne, schaute genau auf das, was ich am Rande
des Grabes sah. Ich konnte es nicht glauben. Am Rande des Lochs befand sich ein
kalter Abdruck, vom früheren Diener der Kirche zurückgelassen. In der
Dunkelheit musste ich ihn wohl übersehen haben, doch nun war dieser
unverkennbar. Dort, am Rande des Grabes, war ein Handabdruck, eingeschwärzt und
verbrannt, als ob eine Person sich ihren Weg aus ihrem ewigen und verlassenen
Loch gekrallt hatte.

Mein
Atem kräuselte sich langsam aus meinem Mund, erkältete in meinem eisigen
Umfeld, während mein Herz bei der Möglichkeit bezüglich dem, was aus dem Loch
kam, wild zu pochen anfing. Als die Luft kälter wurde, erhob ich mich und
machte mich zum Fuß der Treppe auf.  Ich
musste fort von hier – ins Tageslicht, nach draußen. Dann hörte ich es.
Zunächst war es lediglich der Eindruck eines Geräuschs. Dann bestimmt,
intensiver und klarer. Etwas ging dort oben vor sich.

Menschen.
Viele von ihnen, stöhnend und wehklagend, gemeinsam um ihr Leben schreiend.
Rufe in der Dunkelheit, sowohl christlich als auch von etwas Älterem – von
einer bösartigen Religion, welche man lieber begraben hätte lassen sollen. Als
das Wehklagen lauter wurde, erhob sich eine einzelne Stimme über die
Kakophonie. Ohrenbetäubend und furchterregend sprach sie vom Weltuntergang, von
Verrat und zügelloser Sündhaftigkeit. Die Stimme rief und schrie, verdammte
alle, die nicht zuhörten – eine rachsüchtige Predigt, gehalten vor dem alten
Steinaltar über mir.

Ich
kann die Furcht, die ich spürte, nicht in Worte fassen. Ich war alleine in der
kalten Dunkelheit einer entehrten Krypta und mir blieb keine andere Möglichkeit
zu fliehen als nach oben. Hinauf in das Kirchenschiff wo etwas Fürchterliches
nun alte und schreckliche Zeiten nachahmte. Die Schreie wurden lauter, als das
Pochen und Scharren von Füßen in Richtung der Treppe und in meine Richtung kam.
So viel Schmerz in ihren Stimmen. Ich rannte voller Pein, als sie die alten
Treppen auf mich zu flogen.

Ohne nachzudenken,
sprang ich hinunter in das leere Grab, schaltete das Licht meines Handys aus
und kauerte, von den schmerzlichen Stimmen bis ins Mark erschüttert. Im Raum
daneben verfluchten sie die Welt und sich selbst – innerlich wie äußerlich vom
Hass auf das Böse und mit voller Verzweiflung in dessen Angesicht getrieben12.
Das schmerzliche Schreien wurde lauter, Männer, Frauen, Kinder weinten und
verfluchten den Gott, der sie ihrer Meinung nach verlassen hatte.
Anschuldigungen, Hetzreden und das Reißen von Fleisch waren zu hören. Dann,
Stille. Ich blieb auf dem Boden des verbrannten Grabes mit meinen Fingern tief
in das Erdreich gegraben. Jegliche Skepsis bezüglich des Unsichtbaren und
verborgenen Kräften war verflogen. Ich zitterte heftig in der Kälte, wartete
mehrere Minuten, ehe ich das Licht meines Handys wieder anschaltete.

Über
den Rand des Grabes schauend, zog ich mich lautlos wieder auf den Boden des
Raums. Die Räume waren leer, bis auf die unzähligen gebrochenen Knochen und
Schädeln zahlloser Leben, von dem zerstört, was auch immer böses sich auf dem
Hügel befand. Ich nahm meinen Mut zusammen und mit meinen Nerven und meinem
Glauben zerstört, stieg ich langsam die Treppen hinauf. Eine panische Angst
ging durch mich durch, als ich daran dachte, was wohl oben auf mich wartete.
Doch war es mein einziger Ausweg und ich würde verdammt sein, würde hier wie
diese armen Leute sterben – tief in der Dunkelheit kauernd.

Das
Schiff war leer. So leise wie möglich navigierte ich schnell durch den Schutt
und das Geröll, schnitt durch eine bedrückende Stille und entkam schließlich
durch die Vordertür nach draußen. Sobald ich aus der Kirche war, fiel ich zu
Boden, zitternd vor Angst, als ich versuchte das Erlebte zu verarbeiten. Dann
erinnerte ich mich an das, was im Grab gewesen war – und noch wichtiger: wo es
jetzt war. Dann wusste ich es. Ich rannte so schnell ich konnte durch Gebüsch
und Dickicht, kam schnell am Pfad an, ungehindert durch das unbekannte Böse,
welches die Siedler an der Flucht gehindert hatte. Doch ich machte keine Rast,
halb von der Furcht vor dem gefüllt, was auch immer mich jagte und halb
hoffend, dass meine Instinkte mich täuschten.

Die
Luft brannte in meinen Lungen als ich den Pfad hinunterrannte. Innerhalb von
Minuten kam das hölzerne Tor in Sichtweite und ich war fort von diesem
grässlichen Hügel. Einen Ort, den ich nicht wieder betreten würde. Nicht für
Geld, nicht für eine Geschichte, nicht für irgendwas. Ich hätte einen
erleichterten Seufzer bei diesem Gedanken ausgestoßen, doch dachte ich nicht
daran. Ich musste so schnell wie möglich zurück zum Gasthof. Ich rannte weiter
so schnell wie ich nur konnte, kämpfte gegen Erschöpfung und die Grenzen meines
eigenen Körpers an. Und nachdem ich Felder und Hecken durchquert hatte, kam der
„Laird of Dungorth“ in Sichtweite.

In
Richtung des alten Gebäudes stolpernd, hörte ich sie. Schmerzensschreie,
Schreie der Furcht und nach Gnade. Ich wusste urplötzlich woher und von dem sie
kamen. Ein neugefundener Schub an Ausdauer kam über mich, als sich erneut
sprintete und in die Tür und die Bar fiel. Im Raum herrschte Stille.
Einheimische saßen da, starrten ihre Getränke an während der Vermieter selbst
wie angewurzelt mit den Augen zu Boden starrend dastand. Die Schreie fuhren im
oberen Stockwerk fort. Ich flehte und bat jemanden, mir zu helfen, doch niemand
hörte mir zu. Da ich merkte, dass ich diesem Etwas alleine gegenübertreten
musste, rannte ich in Richtung der Treppe. Jedoch hielt mich der Vermieter
gewaltsam ab, zog mich zurück, seine Arme fest um meine Schultern geklammert.

„Lass
ihn, Junge, du kannst ihm nicht helfen!“ rief dieser als zwei weitere Männer
versuchten, mich festzuhalten.

Ich
schlug meinen Ellenbogen in den Bauch des Vermieters hinter mir und rannte an
den zwei Männern vorbei, einen von ihnen dabei zu Boden stoßend. Ich hastete
die Treppen hinauf, folgte den Schreien zu Johns Zimmer. Die Tür war
verschlossen. Mit meiner Schulter stieß ich wieder und wieder gegen sie, ließ
sie reißen und splittern. Mit jedem Stoß hörte ich, wie etwas mit entstelltem
Seufzen darin mir erwiderte. Endlich löste sich die Tür und ich trat ein.

Einen
Moment lang starrte ich auf etwas, das wie ein Mann aussah – wenigstens wie
etwas, das einst gelebt hatte. Geschwärzt und verbrannt drehte es seinen Kopf,
so als ob es mich anstarrte – jedoch kann ich nicht sagen, ob es mich wirklich
sah, konnte man denn nicht wirklich irgendwelche Augen erkennen. In seinen
Fängen befand sich der zerfallene, leblose Körper von John R.

Es
drehte sich um, wandte sich durch ein offenes Fenster und zog den Körper des
armen Mannes hinter sich her. Dann waren beide verschwunden.

Das
Zimmer nahm eine schwankende, flüssige Form an. Ob es an meiner eigenen
Verausgabung oder an der Nähe zu dieser abscheulichen Kreatur lag, wusste ich
nicht. Jedoch überkam mich eine Übelkeit, welche durch meinen Magen rannte, und
ich schrie vor Hilflosigkeit aus, als ich das Bewusstsein verlor.

V

Das
war vor einigen Tagen. Scheinbar hatte ich mir den Kopf beim Hinfallen auf dem
Boden aufgeschlagen und mir dabei irgendwie das Bein verletzt. Der Landarzt,
der mich untersuchte, verschrieb mir einige Antibiotika gegen etwas, das er als
Mageninfektion deutete, sowie ein Beruhigungsmittel, um mein Angstgefühl zu
lindern. Da ich mich mit nichts anderem beschäftigen konnte, habe ich alles
über dieses fürchterliche Erlebnis aufgeschrieben, an das ich mich erinnerte.
Immerhin ist es die Aufgabe eines Autors, zu schreiben.

Gestern
habe ich Johns Zimmer zum ersten Mal, seitdem er fortgeschleppt worden war,
besucht. Es war still und auf eine Art und Weise leer, wie ich sie bis dato
nicht gekannt hatte. Eine Abwesenheit des Lebens ist die einzige Möglichkeit,
wie ich es beschreiben kann. Der Raum war durchgewühlt, Johns Habseligkeit
waren immer noch auf dem Boden verstreut. Ich nahm an, dass niemand hier drin
gewesen war; der Vermieter hatte wohl zu viel Angst, was ich ihm nicht Übel
nahm. Als ich mich umdrehte, um das leere Zimmer zu verlassen, fiel mir ein
Gegenstand auf – einer, der hier nicht hingehörte. Auf Johns Bett lag ein
verkrumpeltes und beflecktes Papierstück. Ich wusste dessen Ursprung, ohne es
überhaupt gelesen zu haben – die letzte Seite der Chronik, der Bericht
derjenigen, die auf dem Hügel siedelten. Ein Labyrinth aus sich wiederholenden
Sätzen in obskuren und vergessenen Sprachen breitete sich über das verkrumpelte
und zerbrechliche Papier aus, jedoch stach ein Satz auf Englisch heraus:
Niemand entkommt.

Ich
weiß nicht, was ich über das alles noch denken soll. Ich bin entkräftet, doch
lasse ich die vergangenen Tage wieder und wieder in meinem Kopf Revue
passieren. Ich fühle mich von Schuld zerfressen. Irgendwie habe ich den
Eindruck, meine bloße Anwesenheit auf dem Hügel brachte, was auch immer das
war, hier herunter, um John zu holen. Weshalb hätte es so lang warten sollen?

Mein
letzter Gedanke an all die ist vielleicht der, dass ich einfach Glück gehabt
hatte. Dass ich den Hügel besucht hatte, als das Ding nicht dort war, was mir
das Leben rettete. Ganz gleich, wie die Einheimischen das erklären wollen,
werde ich Johns Verschwinden melden, sobald ich in Glasgow angekommen bin.
Zudem werde ich die Polizei darum bitten nachzusehen, wie viele Einwohner über
die Jahre als vermisst gemeldet worden waren. Ich denke, sie werden von der Anzahl
überrascht sein.

Mein
Zuhause scheint millionen von Kilometern entfernt zu sein, jedoch weiß ich,
dass ich es bald wiedersehen werde. In meinem Bett schlafen und in einer Welt
weit entfernt von den Ereignissen der vergangenen Tage sein werde. Vielleicht
gelingt es mir dort, diesem Wahnsinn einen Sinn zu geben. Ich hatte noch nie
ein solches Heimweh und hoffentlich werde ich in einigen Stunden dort sein. Der
Bus, der aus dem Dorf führt, scheint jedoch etwas Verspätung zu haben.

ENDE

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