Persecuted – Kapitel 2
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Keith zitterte noch immer, als er knapp zwanzig Minuten später die Haustür zu seiner Wohnung aufschloss, weshalb er Mühe hatte, den Schlüssel überhaupt ins Schloss zu bekommen, und kaum hatte er den dunklen Flur dahinter betreten schloss er die Tür wieder hinter sich und atmete ein paar Mal tief durch.
Noch immer konnte er kaum begreifen, was eigentlich geschehen war.
Dass dieser Anruf nichts weiter als ein dummer Streich gewesen war war zwar durchaus möglich, doch konnte er das einfach nicht glauben.
Dieses seltsame Rauschen…und diese Stimme… sie war ihm bekannt vorgekommen, sehr sehr bekannt, doch das konnte doch einfach nicht sein…und dazu noch die Sache zuvor im Café.
Das war einfach zu viel…was zur Hölle war bloß los? Was passierte hier?
„Das ist doch Schwachsinn!“, flüsterte er, während er in Richtung seines Zimmers ging, er wollte bloß noch ins Bett und einfach schlafen. Vielleicht würde morgen alles wieder ganz anders aussehen…ganz…normal…
Zu wenig Schlaf. Zu viel Stress. Vielleicht Krankheit…wie ein Mantra wiederholte er diese Dinge immer wieder gedanklich, doch brachte es kaum etwas, sein Herz raste noch immer, ihm war übel und er fühlte sich als habe er ungefähr drei Liter Kaffee getrunken.
An Schlaf war so nicht einmal zu denken.
In diesem Moment wünschte er sich, mit irgendjemandem reden zu können, doch seine Freunde hätten ihn allesamt für vollkommen irre gehalten oder ihn ausgelacht, wenn er ihnen erzählt hätte, was ihm passiert war, vielleicht hätten sie auch geglaubt, er würde sie verarschen.
Und das konnte er ihnen nicht einmal übelnehmen. Er konnte das alles ja selbst nicht wirklich glauben. Das Ganze wirkte wie aus einem Horrorfilm; das Erscheinen einer Lebenden Toten, ein Anruf aus dem Jenseits… so etwas konnte es doch eigentlich überhaupt nicht geben!
Kurz dachte er daran, Rebecca anzurufen, einfach, um mit jemandem reden zu können; die Stille um ihn herum und die Einsamkeit machten ihn wahnsinnig, doch auch diesen Gedanken verwarf er wieder, er hatte ihr zwar gesagt, er würde sich bei ihr melden, doch bestimmt nicht wegen irgendwelcher Hirngespinste.
Letztendlich fiel ihm nur eine einzige Person ein, mit der er über das Geschehene hätte sprechen können und die ihn nicht dafür ausgelacht hätte.
Zwar waren er und sein Mitbewohner nicht wirklich das, was man „Freunde“ nennen konnte, doch erstens war Kelso definitiv keine Person, die sich über andere Leute lustig machte, zweitens würde er auch niemandem von Keiths Problemen erzählen und drittens hatte er, als er noch auf der Uni gewesen war, Psychologie oder Medizin studiert. Womöglich wusste er also sogar, was solche Hirngespinste auslösen konnte…
Allerdings musste Kelso noch mindestens bis um zehn arbeiten.
Und so lange würde Keith bestimmt nicht herumsitzen, bloß mit diesen beängstigenden, quälenden Gedanken als Begleiter…
Nein.
Denn als er über seinen Mitbewohner nachgedacht hatte, war ihm noch etwas anderes eingefallen.
Kelso hatte extreme Schlafstörungen, und deshalb musste er auch jeden Abend Schlaftabletten nehmen.
Und wenn Keith jetzt etwas gebrauchen konnte, dann waren es Schlaftabletten.
Die Zimmertür quietschte leise, als Keith sie langsam aufdrückte, wie blind tastete er nach dem Lichtschalter, fand ihn, und gleich darauf wurde der Raum in ein warmes, grelles Licht getaucht.
Er betrat das Zimmer, schloss die Tür hinter sich, sah sich suchend um. Und sofort wurde ihm klar, dass es wohl alles andere als einfach sein würde, hier so etwas Kleines wie Schlaftabletten zu finden.
Keith selbst war ein absoluter Ordnungsvernatiker, und so wie es aussah, war das eine weitere Sache, in der sich Kelso ganz eindeutig von ihm unterschied.
Doch das würde ihn nicht aufhalten. Er würde diese Tabletten finden, und dann würde er ruhig schlafen können – an irgendwelche Nebenwirkungen eines solchen Medikamentes dachte er überhaupt nicht – und morgen würde alles wieder in Ordnung sein…
Er ließ seinen Blick über den Boden schweifen, auf dem mehrere aufgeschlagene Bücher, höchstwahrscheinlich Fachliteratur, herumlagen, dann über den Couchtisch, der vollgestellt war mit leeren Flaschen, über die mit Postern beklebten Wände, die vollgestellten Bücherregale…und blieb schließlich an der kleinen Kommode neben dem Bett hängen.
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Das war wohl eindeutig der wahrscheinlichste Ort, an dem man so etwas wie Schlaftabletten aufbewahren würde, das glaubte er zumindest.
Also schob er mit dem Fuß zwei der auf dem Boden liegenden Bücher beiseite, machte sich daran, den Raum zu durchqueren…und hielt nach bloß drei Schritten wieder inne.
Da war etwas. Zunächst konnte er nicht genau sagen, was es war, nur, dass dort etwas war, und dann wurde es deutlicher, lauter. Ein Rascheln.
Leise, so als würde eine Spinne oder etwas Ähnliches über die Poster krabbeln…und dazu mischte sich nun ein intensiver, metallischer Geruch.
Langsam, wie in Zeitlupe drehte Keith sich um, sein Atem ging schnell und flach und die Übelkeit wurde stärker…
Dieses Mal konnte er seinen Schrei nicht unterdrücken.
Stand wie eingefroren da, nicht fähig, den Blick von dem abzuwenden, was sich dort direkt vor seinen Augen abspielte.
An der Wand vor ihm, neben der Tür, quer über die Poster von Linkin Park, My Chemical Romance und Rise Against zogen sich langsam, ganz langsam fünf dünne, zueinander parallel verlaufende Blutspuren.
Als würde jemand mit blutigen Fingern die Wand entlangstreichen…
Doch dort war niemand.
Das war zu viel. Für alles andere hätte es noch irgendeine halbwegs logische Erklärung geben können -ein grauenhafter streich womöglich -doch das hier war vollkommen unmöglich.
Diese Blutspuren die sich wie von Geisterhand immer weiter über die Wand ausbreiteten, dieser durchdringende Geruch…ein weiterer Schrei löste sich aus seiner Kehle. Laut und Schrill, unfassbare Angst ausdrückend. Zurückstolpernd schlug Keith sich die Hände vors Gesicht, lies sie wieder sinken, doch nichts hatte sich verändert, der Anblick war noch immer derselbe, beinah noch grauenhafter als zuvor, der Geruch nach Blut wurde immer und immer stärker…
Und dann übertönte eine laute, zischende Stimme seine Schreie.
“Ich habe dich gefragt, warum! Antworte mir!“
Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Entsetzt riss er seinen Blick von der Wand los, fuhr herum, starrte auf bleiche und mit Blut befleckte Finger, die sich in sein Fleisch gruben, unkontrolliert zuckten…und erkannte in einer weiteren Welle des Schocks, dass diese Hand zu niemandem gehörte.
Es sah aus als hätte sie jemand sauber am Handgelenk abgetrennt, bloß der bleiche Knochen ragte noch ein Stück weit heraus…und dennoch wurde ihr Griff immer fester.
Es gelang ihm noch, einen letzten Schrei auszustoßen, der ein wenig wie „Hilfe!“, klang, bevor seine Beine unter ihm nachgaben, er stürzte, versuchte noch, sich abzufangen, doch noch im Fallen, wurde ihm schwarz vor den Augen und er spürte, wie er in ein tiefes, dunkles Nichts glitt.
Begleitet von einem schrillen, ohrenbetäubenden Lachen.
Wie viel Zeit verstrichen war, bis sich der undurchdringliche Schleier aus Dunkelheit um ihn herum langsam lichtete, er in der Lage war, seine Augen zu öffnen, vermochte Keith im Nachhinein nicht mehr zu sagen, doch irgendwann, von einer Sekunde auf die andere, fuhr er wie von der Tarantel gestochen hoch.
Keuchte, starrte an die Decke, unfähig, sich zu bewegen oder auch nur den Blick abzuwenden, er zitterte am ganzen Leib, war verschwitzt und fühlte sich, als habe er gerade einen Marathon gelaufen…wobei ein Marathon wohl kaum ein solch durchdringendes Gefühl von Panik und Hilflosigkeit auslösen würde, wie er es in diesem Augenblick verspürte.
Dieses Gefühl, unfassbar stark, wollte ihn dazu zwingen aufzuspringen und loszurennen, wohin auch immer, Hauptsache weg, weg von hier, und von der Gefahr, der er hier ausgeliefert war…was auch immer das für eine Gefahr sein sollte.
„Eine übernatürliche Gefahr.“, schoss es ihm in diesem Moment durch den Kopf, und obgleich dies Normalerweise ein Gedanke gewesen wäre, den er mit lautem lachen als vollkommen albern abgetan hätte erschien er ihm in diesem Augenblick vollkommen logisch.
Was er vor seinem offensichtlichen Ohnmachtsanfall gesehen hatte…war vollkommen unmöglich gewesen. Noch unmöglicher als die Erscheinung im Café, die man sicher noch irgendwie mit einem miesen Streich hatte erklären können…
Doch das eben -oder wie lange es auch immer her sein mochte- war noch viel viel schlimmer gewesen. Er hatte das Blut riechen können, hatte dabei zugesehen, wie es sich wie von selbst über die Wand ausbreitete und er hatte die abgetrennte Hand auf seiner Schulter gesehen. Hatte gespürt, wie sich ihre Finger in sein Fleisch gebohrt hatten…
Ein Wimmern entwich seiner Kehle.
Er hatte nie an so etwas wie Geister geglaubt und nur zu gern hätte er sich eingeredet, dass das alles nichts weiter als Wahnvorstellungen gewesen waren, ausgelöst durch was auch immer und bald wieder verschwunden…doch das konnte er nicht.
Er wusste was er gesehen hatte, gerochen, gespürt…
Und dann merkte er, wie sich eine Hand auf seinen Unterarm legte.
„NEIN!“ Der Schrei war schrill und voller Angst, ließ ihn selbst zusammenzucken, doch auch die Hand ließ seinen Arm los. „LASS MICH IN RUHE! GEH WEG! WAS ZUR HÖLLE PASSIERT HIER EIGENTLICH?“
„Keith! Beruhig dich!“
Er hatte erwartet, die Stimme würde zu einer weiteren Geistererscheinung gehören. Womöglich zu Joyce, oder zu Lindsey, oder zu wem auch immer…doch dies war nicht der Fall.
Einen Moment lang überkam ihn eine unfassbare Erleichterung.
Er schaffte es nun sogar, den Kopf zu drehen, und sein zuvor vor lauter Panik rasendes Herz beruhigte sich ein wenig.
Noch nie zuvor hatte er sich so sehr darüber gefreut seinen Mitbewohner zu sehen wie in diesem Augenblick.
Kelso hockte neben ihm auf dem Boden, in einer Hand ein Glas Wasser, das er Keith hinhielt.
Sein Blick drückte eine Mischung aus Besorgnis und Verwirrung aus, und noch etwas anderes…doch konnte Keith nicht wirklich zuordnen, was es war. Allerdings interessierte ihn das in diesem Moment auch nicht weiter, gierig griff er nach dem Wasserglas, machte sich daran, es in großen Schlucken zu leeren; sein Hals war so trocken als hätte er seit Tagen nichts mehr getrunken.
Die kühle Flüssigkeit tat unglaublich gut, und gern hätte er noch weitaus mehr davon getrunken, doch das Glas war bereits leer und nun begann Kelso wieder, zu reden. „Was zur Hölle ist denn mit dir passiert? Und was machst du in meinem Zimmer?“
Keith gab keine Antwort. Zwar ging es ihm nun besser und der Großteil seiner Panik war verschwunden, nicht jedoch das durchdringende Gefühl einer unbekannten Bedrohung, die sich jederzeit wieder zeigen konnte, sich auf ihn stürzen in der Gestalt irgendeiner bekannten Person, und ihn so langsam in den Wahnsinn treiben würde…
Selbst wenn er hätte antworten wollen, hätte er keinen Ton herausgebracht.
„Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen!“
Diese Worte ließen ihn ein weiteres Mal zusammenzucken. Sie hallten in seinem Kopf wider wie ein Echo in den Bergen, er begann wieder, zu zittern und hatte wieder dieses Bedürfnis, einfach loszurennen.
Kelso hatte ja keine Ahnung, wie Recht er mit dieser Aussage hatte…
„Da…da war…“ Er hielt inne. Was sollte er sagen? Das, was er gesehen hatte, würde ihm niemand glauben, nicht einmal sein Mitbewohner. Das war einfach…zu verrückt!
Kelso nahm das leere Glas, stand auf.
„Was denn?“ Ging zu seinem Schreibtisch und stellte das Glas darauf ab. „Was war wo?“
Hätte Keith die Absicht gehabt, weiterzusprechen, so wären ihm spätestens jetzt die Worte im Halse stecken geblieben.
Seine Augen weiteten sich, sein Unterkiefer klappte herunter und seine Hände begannen, sich panisch zu verkrampfen.
Der Anblick, der sich ihm bot, nachdem Kelso aufgestanden war und so den Blick auf die gegenüberliegende Wand freigegeben hatte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Er hatte erwartet, dass die Spuren des Grausamen Schauspiels vor seiner Ohnmacht verschwunden sein würden, so wie auch Joyce verschwunden war als er wieder zu sich gekommen war, doch dem war nicht so.
Das Blut war noch immer da. Nur hatte sich das Gesamtbild ein wenig verändert.
Zu den dünnen quer über die gesamte Wand gezogenen Linien hatte sich nun noch etwas gesellt, vier große, aufgrund des mittlerweile getrockneten Blutes braune Worte: Ich werde dich kriegen.
Er starrte sie an wie ein Kaninchen eine Schlange, und genauso fühlte er sich auch, wie ein wehrloses Opfer, das einer furchterregenden Bestie gegenüberstand, das geifernde Maul weit aufgerissen, die langen scharfen Zähne gebleckt und jederzeit bereit, ihn zu verschlingen…
Doch so furchtbar dieser Anblick auch war, so beängstigend, so bedrohlich, als der erste Schock überwunden war, schlich sich ein dünnes, leichtes Lächeln auf Keiths Gesicht. Jetzt war er nicht alleine. Jetzt war jemand hier, der ihm bestätigen konnte, dass er sich das nicht bloß einbildete! Dass er nicht verrückt war!
Er sprang auf. Stürzte zu Kelso, packte ihn am Arm. Zeigte noch immer zitternd auf die Wand, schrie beinah: „Das! DAS ist passiert! Ich hab gesehen, wie es jemand an die Wand geschrieben hat! Aber da war niemand! Das war wie in einem dieser Horrorfilme mit Poltergeistern oder so! Ich weiß wie das klingt aber ich hab es gesehen! Es…“
„Okay, jetzt warte mal kurz!“ Abwehrend hob Kelso die Hände, machte einen Schritt zurück, weg von Keith, und musterte ihn mit einem Blick, als sei er sich nicht sicher, ob er noch alle Tassen im Schrank hatte. „Wovon genau redest du?“
„Willst du mich verarschen?“
Keiths Stimme klang nicht wütend, wie es eigentlich zu erwarten gewesen wäre; sie klang einfach bloß fassungslos, nichts weiter. „Oder bist du blind? Guck doch, verdammt nochmal! Guck dir die Wand doch an!“
Das tat Kelso, das hatte er auch zuvor bereits getan, doch sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, wurde nicht zu einer Maske von Angst und Entsetzen, sondern drückte bloß Verwirrung aus.
„Also, wenn du nicht zufällig panische Angst vor Postern hast, dann weiß ich wirklich nicht…“
Und jetzt kam die Wut. Eine unfassbare Welle von Aggression, wahrscheinlich so stark aufgrund der Angst, die von Keith Besitz ergriffen hatte.
Wie von selbst schossen seine Arme nach vorne, packten Kelso an der Schulter, schüttelten ihn. Selbst seine eigene Stimme vernahm er bloß gedämpft, wie durch einen Schleier, als er brüllte: „Hör auf, mich zu verarschen! Ich meine das Blut! Das verfickte Blut da quer über deiner Wand! Scheiße, verarsch mich nicht! Ich meins Ernst!“
„Keith, da…da ist kein Blut!“ Verzweifelt versuchte Kelso, sich loszureißen, doch Keith packte bloß noch fester zu; er war viel viel zu stark; wahrscheinlich hätte er seinem Mitbewohner ohne viel Aufwand den Arm brechen können. Doch das hatte er überhaupt nicht vor.
„Guck es dir an!“ Nun war seine Stimme kaum mehr als ein Zischen, und obwohl ihm im Grunde längst klargeworden war, dass Kelso das Blut wirklich nicht sah, interessierte ihn das in diesem Augenblick nicht im Geringsten.
Er war nicht verrückt! Nein! Mit der Existenz von Geistern konnte er sich vielleicht noch abfinden, aber nicht mit der Tatsache, wahnsinnig zu sein.
Ohne wirklich die Kontrolle über sein Handeln zu haben, ließ er Kelsos Schultern los, doch nur um seine Hände gleich darauf um seinen Hals zu legen und fest zuzudrücken.
Er registrierte kaum, was er dort gerade tat. Er tat es einfach. Sah, wie Kelso panisch nach Luft schnappte, doch das kümmerte ihn nicht.
Er war wütend. Wütend und vollkommen verängstigt, was er sich natürlich niemals eingestanden hätte.
Kelso MUSSTE das Blut doch sehen! Es war doch eindeutig da, direkt vor ihnen, überhaupt nicht zu übersehen.
„Ich bilde mir das nicht ein!“, brüllte er nun wieder. „Verflucht! Ich bin doch nicht verrückt!“
So sehr war er in Rage, dass er zunächst gar nicht bemerkte, dass Kelso erst nach ihm schlug, in der Hoffnung, dass er ihn dann endlich loslassen würde, und dann, als er begriff, dass dies nicht das Geringste nützte, quer durch sein Gesicht kratzte.
Er fühlte den Schmerz erst in der Sekunde, in der ihm warmes salziges Blut in die Augen rannte und reflexartig kniff er sie zusammen, um die rote Flüssigkeit wegzuwischen ließ er Kelso los, welcher sofort von ihm wegstolperte, würgte und nach Luft rang.
Auf seiner bleichen Haut, dort, wo Keith zugedrückt hatte, waren rote Flecken zu sehen, deutlich wie Blutstropfen im frischgefallenen Schnee.
„Was…was hast…“, brachte er mühsam, scheinbar mit größter Anstrengung hervor, brach dann ab, hustete. Selbst das Stehen schien ihn unheimlich viel Kraft zu kosten und er schwankte als wäre er betrunken, doch Keith ignorierte diese Tatsache; eben noch war er aggressiv gewesen, bloß weil er verängstigt und verzweifelt gewesen war. Doch nun kam noch etwas anderes dazu.
Die Tatsache, dass er verletzt worden war.
Verletzt von einer Person, die mindestens vier Jahre jünger – wobei er sich da nicht ganz sicher war – einen Kopf kleiner und um die 70 Kilo leichter war als er selbst.
Und das war eine unfassbare Demütigung für ihn.
Einen Moment lang vergaß er, was am heutigen Tag geschehen war.
Vergaß die unerklärlichen Ereignisse übernatürlichen Ursprungs – er war nicht wahnsinnig, nein! – und die Panik, die durchgehend von ihm Besitz ergriffen zu haben schien.
Nun war er wieder ganz der Alte, aggressiv und brutal, der sich nichts sagen, sich nicht zum Narren halten, sich nicht verarschen ließ – und der niemals zulassen würde, dass sich jemand gegen ihn auflehnte.
Vollkommen blind vor Wut holte er aus – noch immer befand er sich in einer Art Rausch, in der er nicht zu hundert Prozent die Kontrolle über das hatte, was er tat -; er sah, wie Kelso sich duckte, sodass der erste Schlag ihn verfehlte, dem zweiten, nicht weniger kräftigen jedoch konnte er nicht ausweichen.
Keiths flache Hand traf ihn mit solcher Wucht an der Wange, dass sein Kopf zur Seite gerissen wurde, mit weit aufgerissenen Augen versuchte er verzweifelt, das Gleichgewicht zu halten, doch es gelang ihm nicht; er stürzte, und das offenbar von dem heftigen Schlag so sehr benommen, dass er nicht einmal den Versuch unternahm, sich irgendwie abzufangen.
Und so knallte er mit einem Geräusch, das Keith selbst in diesem rauschähnlichen Zustand der Aggressivität einen Schauer über den Rücken jagen ließ, mit der Schläfe gegen den metallenen Rahmen des gläsernen Couchtisches und blieb dann reglos auf dem Boden liegen.
Stille breitete sich aus.
Vollkommene, durchdringende, erdrückende Stille.
Nicht einmal das Geräusch eines Atmens war zu hören, zumindest einige Sekunden lang.
Sekunden, in denen Keith wie eingefroren dastand, als habe er sich in Stein verwandelt, den regungslosen Körper seines Mitbewohners anstarrend, dabei zusehend, wie aus der Stelle, mit der er auf dem Tisch aufgeschlagen war, dunkelrotes Blut rann, auf den Boden tropfte sowie auf seine schwarzen Haare, und zunächst war er sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt noch atmete.
„Scheiße!“ Seine Stimme war heißer und so leise, dass er sie selbst kaum hörte, doch sie reichte aus, um ihn aus seiner Starre zu reißen.
Er stieß ein lautes Zischen aus, drehte den Kopf wieder zu jener grauenhaften Wand, und im selben Augenblick kam auch die Panik zurück. Zusammen mit unfassbarer Verzweiflung.
Verzweiflung weniger über das, was er soeben getan hatte – wie bereits erwähnt hatte er bereits mehrere Leute krankenhausreif geprügelt – als Viel mehr über die gesamte Situation.
Die Tatsache, dass dort an der Wand mit Blut geschriebene Worte standen, die wohl recht deutlich als Drohung verstanden werden konnten, und die ganz offensichtlich niemand außer ihm sehen konnte.
Zumindest glaubte er nicht, dass Kelso ihn verarscht hatte, nicht jetzt in relativ klarem Zustand; das passte nicht zu ihm; nicht so.
Aber was war es dann? Was, zur Hölle? Er wusste es nicht.
Und nun war er auch noch wieder allein.
Er wandte sich wieder seinem noch immer vollkommen still daliegenden Mitbewohner zu, und einem Moment lang tat ihm leid was er getan hatte; ein Gefühl, das ihm nahezu vollkommen unbekannt war; Kelso hatte ihm eigentlich nichts getan, hatte sich augenscheinlich sogar Sorgen um ihn gemacht und ihm helfen wollen (zumindest hatte er ihm Wasser gebracht); dass er nicht in der Lage gewesen war, das Blut zu sehen war wohl kaum seine Schuld…
Doch bereits im selben Moment, in dem er erkannte, wie sich seine Brust, wenn auch nur schwach, hob und wieder senkte, er also atmete und somit nicht an einer schweren Kopfverletzung gestorben war, verschwand dieses Gefühl der Reue auch bereits wieder.
Nun war da nur noch panische Verzweiflung. Und mittlerweile wusste er nicht einmal mehr, wovor er eigentlich gerade am meisten Angst hatte.
Davor, dass wieder irgendjemand auftauchen würde, Joyce, Lindsey oder wer auch immer, oder dass weitere mit Blut geschriebene Botschaften erscheinen würden, oder was auch immer…
Oder davor, dass er vielleicht einfach einen Nervenzusammenbruch erleiden würde; zusammenbrechen und schreien, und womöglich in ein Irrenhaus eingewiesen, weil man ihn für verrückt hielt (was er nicht war, verdammt!) weil er Dinge sah, die sonst niemand sah; übernatürliche Dinge…und niemand würde ihm glauben, nein, sie würden ihm Halluzinationen unterstellen, Schizonie, oder wie auch immer das hieß (Schizophrenie, hätte Kelso ihn wahrscheinlich korrigiert) und dann würde man ihn einweisen lassen, denn niemand würde ihm glauben, dass diese Dinge wirklich dagewesen waren, noch immer da waren, direkt hier.
Dabei gab es daran für ihn überhaupt keinen Zweifel. Die Frage war nur, warum ihm das passierte…Wieso gerade ihm?
„Oh, tu doch nicht so! Das weißt du ganz genau!“
Diesmal zuckte er kaum noch, als die Stimme an sein Ohr Drang, so kalt und bösartig sie auch klang, erfüllt von einer Aggressivität die der glich, die Keith kurz zuvor noch verspürt hatte…
Im Grunde hatte er ja bereits die ganze Zeit darauf gewartet, dass so etwas wieder passierte, und auch wenn diese Stimme weder Joyce noch Lindsey gehörte, überraschte sie ihn nicht mehr wirklich.
Ihm fiel nicht auf Anhieb ein, zu wem sie gehörte, und als er sich umdrehte, in die Richtung, aus der sie gekommen war, war da niemand, und auch das war nicht wirklich überraschend.
Es war nicht so, als wäre seine Panik verschwunden.
Es schien momentan nur vollkommen unmöglich zu sein, dass sie sich noch weiter steigern könnte…
„Du weißt es!“, wiederholte die Stimme, so hasserfüllt klingend, wie man es sich nur vorstellen konnte; so mussten die Worte einer Mutter klingen die der Person gegenüberstand, die ihr Kind brutal vergewaltigt und ermordet hatte.
„Du weißt es! Du weißt es ganz genau…“
Er wollte wieder brüllen. Der Stimme, von wem auch immer sie stammte, befehlen, zu verschwinden und ihn in Ruhe zu lassen.
Doch noch bevor er den Mund öffnen könnte vernahm er noch etwas anderes. Etwas, das mindestens genauso schlimm war wie den Worten von Geistern zuhören zu müssen, die ganz offensichtlich einen extremen Hass auf ihn hegten.
Es war ein lautes, schrilles Klingeln. Gefolgt von kräftigem Klopfen und einer energischen Stimme.
„Hier spricht die Polizei! Wir wissen, dass Sie da drin sind! Machen Sie die Tür auf!“
Und ihm war bewusst, und dessen war er sich ganz sicher, dass dies kein Werk von Geistern war.