Lange

Die Kreatur der Totenstadt

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Die Sonne schien, durch das Dachfenster, genau auf den Telefonhörer. Das
alte, metallene Ding hatte sich mittlerweile so stark aufgewärmt, dass
der junge Mann ein Stück Stoff darumgewickelt hatte, um sich nicht zu
verbrennen. Er erkundigte sich noch einmal bezüglich der Einzelheiten.

Die Ankunft des Professors und seines Teams, was für die ganze Stadt von
Vorteil wäre, würde die Menschen für einige Monate mit Arbeit
versorgen, da gleichzeitig das Versprechen gegeben war, der Stadt
finanziell zu helfen und vor allem zwei neue Brunnen zu graben.
Der junge Mann, zu dem damals der Kontakt hergestellt worden war, da er
einer der wenigen war, die überhaupt richtig Englisch sprechen konnten,
wurde als Übersetzer eingesetzt und verhandelte im Namen der Stadt.
Auf der anderen Seite des Telefons war die Sekretärin des Professors,
die mitteilte, dass der Professor gestern mit dem Team losgeflogen war
und im Laufe des Abends, vielleicht aber auch am nächsten Morgen,
ankommen würde. Der junge Mann nickte beständig, bis er merkte, dass die
Frau das nicht sehen konnte und ihr dann auch verbal zustimmte. Das
Telefon im Hinterzimmer des Rathauses, war das einzige im Ort. Die
Sekretärin fragte noch nach ein paar Einzelheiten, doch dann hörte der
junge Mann das Geräusch von Motoren und legte nach einer hastigen
Verabschiedung auf.
Es war soweit. Goldene Zeiten würden anbrechen. Da war sich der junge
Mann sicher.

Den Geschmack von goldenen Zeiten hatte nicht nur der junge
Mann auf der Zunge, sondern ebenfalls der Professor, der sich vom
Rücksitz eines Geländewagens aus einen Überblick verschaffte.
Die Ausgrabungen würden in den nächsten Tagen beginnen, nachdem nun über
Wochen Gelder und Unterstützer gesammelt wurden. Er, Professor Gero
Mischam, war nicht allein, sondern mit zwei Kollegen, Doktor Merlin
Schulgihn und Hendrik Wallersford, der schon oft bei Ausgrabungen dabei
gewesen war und bei der Koordination half. Gero erhoffte sich von der
Ausgrabung einen Ruf in seiner Disziplin der weiterreichte, als die
Grenzen seiner Universität und seines Landes.

Er war ein Unbekannter in
der akademischen Landschaft, aber hiermit könnte sich das endlich
ändern. Es war nicht das erste Mal, dass er mit Hendrik unterwegs war,
ein paar andere, kleinere Ausgrabungen hatte er bereits begleitet, da er
viele Sprachen sprach und Leute gut koordinieren konnte.
Das Ziel der Reise war die sagenumwobene Totenstadt, aus diversen
Legenden der Wüste, die jahrzehntelang für ein Fantasiegebilde gehalten
wurde. Gero war immer sicher gewesen, dass dem Ganzen doch ein wahrer
Kern innewohnte und als ihm vor einigen Wochen die Nachricht eines
Zufallsfundes überbracht wurde, wusste er, dass seine Chance jetzt
gekommen war.

Ein einzelner Arbeiter hatte sich betrunken, hunderte
Meter von der Stadt entfernt, in der Wüste verirrt und sich zum Schlafen
an einen Stein gelegt, der sich am nächsten Morgen als ein Säule
herausstellte, auf der ein Zeichen eingraviert worden war; ein Schädel
eines Tieres, dass einem Stier ähnelte, dem aber nicht ganz entsprach.
Das Zeichen des Totengottes Savir, ein alter Kult der vor über 3000
Jahren die Totenstadt gebaut haben soll. Der Kult des Totengottes wurde
damals von verschiedenen Staaten verfolgt, bis sie sich ihre Totenstadt
bauten, in der die Toten zusammen mit den Lebenden wohnten, ganz so wie
es der Totengott Savir wollte. Die Schriften über den Kult waren nur
vereinzelt vorhanden, ein paar Geschichten, ein paar wenige Tonplatten
über den Mythos. Entscheidend dafür, dass Gero so lange an der Idee
festhielt, war ein einzelner kleiner Bericht über einen
Gefängnisaufenthalt eines Mannes, der verhaftet wurde, weil er zu dem
Kult gebetet hatte.

Um die Stadt herum war eine niedrige Sandsteinmauer und die Straße
hinein war wohl eher für Karren als für Autos gemacht. Der Fahrer
brachte den Professor auf den Marktplatz der Stadt, hintendran kamen
weitere Autos, insgesamt waren es drei. Zwei dieser Gefährte waren
allerdings mit den Arbeitern für die Brunnenanlagen bestückt, die der
Stadt zu neuem Glanz verhelfen sollten. Diese waren auch viel größer und
hatten anbei einige Maschinen. Gero hatte bezüglich der Reise zwei
Sponsoren. Die Gelder wurden ihm für die Ausgrabungen, die Erforschung
der möglichen Totenstadt, den Bau einer Brunnenanlage und für weitere
Kleinigkeiten zur Verfügung gestellt.
Er hoffte wirklich die Totenstadt zu finden, aber selbst wenn es nur ein
kleiner Schrein sein sollte, wäre dies schon eine wissenschaftliche
Sensation.
Gero stieg zuerst aus dem Wagen aus und wurde direkt von dem
Kontaktmann, dem Bürgermeister und ein paar Schaulustigen begrüßt.

Der
Bürgermeister – ein müde aussehender Mann – flüsterte dem Übersetzer und
Kontaktmann einige Wörter zu.
„Die Stadt heißt Sie herzlich willkommen. Ihr Mann für die Brunnenanlage
folgt bitte dem Herrn da drüben.“ Er zeigte auf einen anderen älteren
Mann in der Menge. „Die Pläne für den Brunnen sind in seinem Besitz. Er
wird Ihnen ebenfalls die Quartiere der Arbeiter zeigen.“ „Professor, ich
werde mich um alles kümmern“, sagte der junge Vorarbeiter und Gero
nickte ihm zu. Die Arbeiter und der Vorarbeiter folgten dem Mann. Es war
ein gutes Gefühl, sich nicht weiter darum kümmern zu müssen, die
mögliche Entdeckung der Totenstadt würde seine ganze Zeit beanspruchen.
„Möchten Sie zuerst etwas essen? Oder sollen wir Ihnen gleich die Stelle
zeigen?“, fragte der Kontaktmann. „Wir fahren“, sagte der Professor.
Sie fuhren mit dem Wagen weiter in die wüstenähnliche Landschaft zu der
Fundstelle. Es dauerte eine gute halbe Stunde und von der Dürre, der
steppenartigen Landschaft, die um die Stadt gelegen war, war nach kurzer
Zeit nichts mehr zu sehen, sie lag metertief unter Sand. Ganz sicher
war die ganze Unternehmung nicht.

Die Wissenschaftler, die wie Gero an
die Existenz der Totenstadt glaubten, deuteten den möglichen Ort, an dem
sie errichtet sein könnte zwar in der Nähe; falls aber dieser Stein mit
dem Zeichen wirklich ein Teil der Totenstadt wäre, wäre sie dennoch ein
paar Kilometer außerhalb des eigentlichen Radius entfernt, mit dem man
vorher gerechnet hatte. Natürlich kam es vor, dass Städte, Gräber,
Tempel außerhalb des prognostizierten Gebiets gefunden wurden, aber in
den letzten Jahrzehnten wurde dies immer seltener.
Gero konnte nicht erkennen, wie der Weg verlief, doch der Kontaktmann
schien sich im Sand auszukennen. Er sagte dem Fahrer immer wieder, dass
er nach links oder rechts fahren sollte, bis sie schließlich auf einer
kleinen Anhöhe ankamen.
Gero konnte schon den gemeißelten Stein erkennen, der aus dem Sand
ragte. Zügig stieg der Professor aus und betrachtete das Ganze näher.
Hendrik und Merlin gingen direkt hinterher. Der Stein und das Zeichen,
welches eingemeißelt war, war noch teilweise mit Sand bedeckt. „Soll ich
es grad gleich freimachen?“, fragte Hendrik. „Mach das“, sagte Gero,
nickte und sah zu, wie mehr und mehr des Zeichens freigelegt wurde.
„Vorsichtig, nicht, dass irgendetwas beschädigt wird“, sagte der Doktor
und sah neugierig zu dem freigelegten Zeichen. Volltreffer!

Das war
eindeutig das Zeichen der Totenstadt. Das Zeichen des Kultes. Auch wenn
die Linien mit der Zeit etwas verwaschen waren, so war es noch deutlich
zu erkennen. Wenn der Geruch von goldenen Zeiten vorher schon in der
Luft lag, war es nun ein penetranter Gestank, der jedem großes
Versprach.
Erste Gerätschaften wurden aufgebaut und ein kleiner Bereich in wenigen
Sekunden freigelegt. Genug um zu erkennen, dass das Gebilde größer war
als nur die Säule. Vielleicht war es auch bloß eine etwas größere
Kultstätte, aber auf jeden Fall genug.
Die Männer betrachteten den Stein, der freigelegt wurde noch etwas und
machten sich dann auf in die Stadt.

Man hatte ihnen für die ersten
Nächte kleine Quartiere bereitgestellt, bis ein richtiges Lager
aufgebaut werden würde.
In der Stadt wurden sie zu dem Haus gebracht, in dem die Unterkünfte
sein würden. Es war ein großes Haus mit vielen Zimmern, welche früher
als Lagerräume dienten, wie Gero in einem Gespräch mit dem Kontaktmann
erfuhr.

Das Haus war extra für die Ankunft ausgeräumt und zu einer Art
Gasthaus umfunktioniert worden, welches mit ein wenig Einrichtung
bestückt worden war. Genug um ein paar Nächte hier zu verbringen, aber
zu wenig um wirklich komfortabel zu sein. Unten gab es an rustikalen
Holzbänken zu trinken und etwas zu essen, zubereitet von einigen Frauen
aus der Stadt. Die Arbeiter bedienten sich reichlich. Gero setzte sich
für eine kleine Portion mit Merlin und Hendrik zusammen, unterhielt sich
ein wenig, ging aber schnell in eines der Zimmer.

Die Zimmer waren ebenso spartanisch eingerichtet, wie der Essensplatz,
es gab lediglich eine Matte zum Schlafen. Gero legte sich hin und
versuchte etwas Schlaf zu finden, doch die drückende Hitze hielt ihn
davon ab, sodass er nach oben starrte, ohne wirklich etwas anzusehen und
ließ die Gedanken ihre Bahnen ziehen.

Er dachte an die Aufzeichnungen
über die Totenstadt, dachte an die ganzen Vorkehrungen und Mühen, die
hunderten Gespräche, um genug Geld zusammenzubekommen, die lange Fahrt,
die großen Hoffnungen, die Erleichterung, das Zeichen gefunden zu haben,
dachte an die ganzen Dinge, die nun erledigt werden mussten. Während
diese Gedanken unermüdlich in ihm tobten, wurde der Körper immer und
immer müder, bis er schließlich vom Schlaf übermannt wurde.
Verschwitzt wachte er aus wilden Träumen auf. Müde stand er auf und rieb sich die Augen. Es gab viel zu tun.
In den darauf folgenden Stunden wurden Männer und Frauen ausgesucht, um
das kleine Lager aufzubauen, welches sie auch in den nachfolgenden
Wochen versorgen würden.

Es würde einfach zu viel Zeit kosten, jeden Tag dort rauszufahren, zu
mal, es in der Umgebung keinen einzigen Zugang zu Benzin gab, es also
knapp wäre.
Über die nächsten Tage hinweg, wurden einige Zelte aufgebaut, ein paar
große in denen gegessen wurde und viele kleine zum Schlafen. Neben
großen Ladungen Dosen und Wasser, sicherte der Bürgermeister den Männern
Versorgung mit Flüssigkeit und Essen zu.
Es waren insgesamt fast 20 Leute in dem Lager, den Professor Mischam,
den Doktor Schulgihn und Hendrik Wallersdorf mitgerechnet.

Zehn Männer,
die mit den Ausgrabungen, nach den Anweisungen von Hendrik begannen.
Zuerst wurde etwas Steinboden freigelegt, mit eingemeißelten Zeichen,
die nach der langen Zeit nur bedingt erkennbar waren. Erst ein guter
Quadratmeter, am darauffolgenden Tag fünf, dann zehn. Die Arbeit wurde
mit extremer Vorsicht erledigt, auch wenn der Steinboden schon viele
hundert Jahre überstanden hatte, so konnte man die nächsten Stunden
nicht garantieren. Wegen des Sicherheitsbedürfnisses kamen sie nur
langsam voran und legten aber trotzdem immer mehr frei, Stück für Stück,
sodass es eine Zeit lang schien, als könnte diese Platte unendlich groß
sein. Sie mussten sogar das Lager ein Stück verlegen, um weiter Teile
des gemeißelten Steins freilegen zu können.
Die Zeichen auf der fast dreißig Quadratmeter großen Steinplatte waren
vielschichtig, zeigten Teile des Lebens der Kultanhänger,
Schöpfungsmythen und Weiteres.

Aus den noch erkennbaren Bildern konnte
Gero nur noch gewisse Teile lesen.
Die Schriftzeichen waren ihm komplett fremd. Es ähnelte der Sprache, die
er auch bei anderen Fundstücken gesehen hatte, aber besaß einige
sprachliche Eigenheiten, die darauf schließen ließen, dass es entweder
ein starker Dialekt oder wirklich eine andere Sprache sein musste, die
aber auf jeden Fall aus der gleichen Sprachfamilie stammte.

Gero fuhr nachdem die gesamte Steinplatte freigelegt worden war zurück
in die Stadt und fragte den Kontaktmann, ob es jemanden in der Stadt
gäbe, der die Sprache lesen konnte und zeigte ihm hierzu einige
Abzeichnungen.

„Eine ältere Frau bei uns kennt sich in mehreren Sprachen
aus, wir können ihr die Aufzeichnungen mal zeigen“, sagte dieser. Kurze
Zeit später brachte der Kontaktmann Gero in den Westen der Stadt, zu
einer winzigen Hütte, vor der eine ältere Frau auf einem Steinklotz,
angelehnt an die Mauer saß und ein Buch las.
„Sie ist die Älteste in der Stadt. Ihr dürft ihr nicht in die Augen
schauen. Das gilt als große Beleidigung.“ „In Ordnung. Hoffentlich kann
sie uns helfen.“ „Wenn nicht sie, dann keiner in der Stadt.“
Der Kontaktmann zeigte der alten Frau die Zeichnung, während sich Gero
bemühte sie nicht direkt anzusehen. Die beiden wechselten ein paar
Worte. „Sie versteht die Sprache relativ gut. Sie hat sich bereit
erklärt mitzukommen.“ „Richten Sie ihr meinen Dank aus.“

Zu dritt fuhren sie zurück zur Steinplatte und in den nächsten Stunden
entzifferte die alte Frau die Zeichen im Stein, umringt von den
Arbeitern und Hendrik, Merlin und Gero. Während die alte Frau laut die
Übersetzung in die Sprache ihrer Landsleute sprach, übersetzte der
Kontaktmann die Landessprache in das Englische, welches der Professor
eifrig notierte.
Neben typischen Alltagsbegegnungen, gewissen Ritualen, der Arbeit und
dem Unterhalt der Totenstadt wurde immer wieder von einer Kreatur
gesprochen, welche die Totenstadt beschützen sollte. Sie hatte die
Gestalt eines extrem dürren Mannes der, wenn er nicht den Tod,
Jahrzehnte des Unglückes bringen sollte. Gero sah wie der Doktor
schmunzelte. Viele Kulturen erfanden Kreaturen, um sich vor anderen zu
schützen.
Abgemagert, meist nur kriechend, menschenähnlich, aber so dürr, als
würde ein Windhauch tödlich sein, wurde die Kreatur weiter beschrieben.
Die Darstellungen des Wesens waren immer wieder angemerkt und es wurde unterstrichen, dass es die Totenstadt schützte.

Durch die Arbeiter ging ein leises Raunen, Gespräche hier und da, aber
immer nur kurz, die meiste Zeit hörten sie einfach gespannt auf die
Worte der alten Dame. Dann sprach die Alte lauter in einem festen Ton
und ein weiteres Raunen ging durch die Menge, diesmal ängstlicher, aber
der Kontaktmann übersetzte nicht. „Was hat sie gesagt?“, fragte Merlin.
„Niemand darf diese Stadt betreten, es wäre das Ende“, sagte der
Kontaktmann trocken und der Professor sah zu der alten Dame. Er blickte
ihr genau in die Augen und konnte nur Abscheu in diesen erkennen. Sie
wurde zurück in ihr Häuschen gebracht.

Die Übersetzung füllte mehrere
Seiten des Notizbuches des Professors und seine Hand schmerzte. Er war
verärgert, dass sie die Arbeiter in Aufruhr versetzt hatte. Auch wenn
niemand den Dienst quittierte, schienen sich doch einige Gespräche darum
zu ranken und die Stimmung schien sich verschlechtert zu haben.
Ein paar Tage später, als die ersten Ergebnisse übermittelt worden waren
und sowohl der Doktor als auch der Professor einen Artikel für eine
Fachzeitschrift schrieben, kam Hendrik plötzlich in das Zelt. „Einer der
Arbeiter hat einen Hohlraum gefunden!“ „Ein Hohlraum?“, fragte der
Professor verdutzt und ließ im selben Moment wie der Doktor von der
Schreibmaschine ab.

Einem der Arbeiter war anscheinend ein Werkzeug heruntergefallen, als er
gearbeitet hatte, wobei er einen hohlen Klang vernommen hatte als es
auf dem Boden aufkam.
Die Platte hatte dadurch zwar eine kleine Beschädigung, aber das kümmerte den Professor nicht weiter.

Er kniete sich auf den warmen Stein und klopfte. Tatsächlich. Ein
Hohlraum. Voller Eifer klopfte er weitere Stellen ab, aber alles was
mehr als zwei Meter von der Stelle entfernt war, war komplett dumpf. Als
er näher hinsah, erkannte er es auch. Winzige Fugen, minimale
Zwischenräume. Eine Platte, die in den Stein eingelassen war. Was war da
drunter? Opfergaben oder vielleicht… nein, sicher nicht, aber
trotzdem musste er die Platte fortschaffen.

Hendrik wies die Arbeiter an die Platte vorsichtig aus dem Stein zu
heben. Sie hebelten sie mit flachen Schaufeln heraus und trugen sie dann
in den Sand, während der Doktor, der Professor und Hendrik fassungslos
nach unten starrten.

Eine Treppe in die Dunkelheit. Abgetretene Stufen.
Neugierig setzten die drei langsam einen Schritt nach dem anderen,
während ein Jahrtausend alter Geruch ihnen entgegenströmte.
In der Schwärze war nichts zu erkennen, sodass Merlin ein paar
Taschenlampen holte und sie dann gespannt hineingingen. Ein langer Gang
breitete sich vor ihnen aus, sicher 20 oder 30 Meter lang.

Am Anfang
waren links und rechts jeweils kleine Räume, die durch Torbogen
verbunden waren. Zuerst gingen die drei in den linken Raum und fanden
einen großen, behauenen, mit Edelsteinen besetzten Altar. Es waren noch
Reste von Farbe zu erkennen, die aber wohl über die Jahrhunderte fast
vollständig verschwunden war. In dem Stein waren zwei Worte
eingemeißelt. Das eine bedeutete Stadt und das andere Tod.
War das die Totenstadt? War das der Beweis für ihre Existenz?

Der lange Gang ließ es vermuten.
Ob es wirklich eine Stadt war, blieb abzuwarten, aber dies war mehr als sich die meisten erhofft hatten.
In dem anderen Raum waren Bänke und Stühle aus Metall aufgestellt
worden, außerdem ein steinerner Behälter. Der genaue Zweck des Raumes
war aber noch nicht ganz klar. Die zwei Räume hatten schon sehr viel
Zeit gekostet, sodass weitere Forschungen auf den Morgen verschoben
werden mussten.
Der Kontaktmann blieb für die Nacht bei dem Lager, weil er am nächsten morgen helfen musste, den Leuten Anweisungen zu geben.
Zur Feier wurden Süßigkeiten aus dem Koffer des Doktors verteilt, denn
das Ganze war mittlerweile ein mehr als großer Erfolg. Es gab reichlich
zu Essen und zu Trinken, bis sich die Leute spätabends in die Zelte
schlugen. Es hatte in der Zwischenzeit leicht angefangen zu winden. Gero
fand nur spät unruhigen Schlaf, zu stark kreisten die Gedanken, um das
was kommen würde. Seine Träume führten ihn in eine Welt, in der er
Vorträge in vielen Städten gab und der wichtigste Professor seines
Faches wurde.
Aus diesen wunderbaren Träumen wurde er plötzlich gerissen. Rufe und
Schreie tönten aus dem Lager und ein schreckliches Heulen ging durch die
Luft. Der Doktor kam ins Zelt gestürmt. „Mehrere Arbeiter sind
geflohen. Sie glauben die Kreatur ist in der Nähe!“ „Was? Warum?“ „Hörst
du nicht dieses Heulen. Verdammt.“ „Aber das ist doch niemals ein
Monster. Es gibt kein Monster in der Totenstadt.“ „Der scheiß
Aberglauben reißt an den Nerven.“ Gero stand auf und zog sich an.

Draußen standen noch ein paar Arbeiter, die mit dem Kontaktmann
diskutierten. „Was geht hier vor sich?“ „Fünf Männer und die Frauen sind
geflohen. Das Heulen macht ihnen Angst.“ „Es gibt keine Monster in der
Totenstadt“, sagte Gero kopfschüttelnd. „Das ist irgendein billiger
Trick.“ „Trotzdem haben die Leute Angst. Sie haben mir klar gemacht,
dass sie keinen Schritt in den Tunnel setzen werden.“ „Wie soll das
funktionieren? Wir haben für die Brunnen und alles weitere gesorgt.“
„Die Arbeiter, die die Brunnen gebaut haben, fahren morgen weg.“ „Wie
weg?“ „Das wissen sie doch. Sie sind ab morgen weg.“ „Das weiß ich
nicht, verdammt.“ Er machte eine kurze Pause. „Was ist mit den anderen
Arbeitern?“, fragte Hendrik. „Sie bleiben bis morgen hier und versorgen
das Lager. Wenn sie für weitere Mittel sorgen können, dann helfen sie
auch weiter.“

Der ganze Traum hatte damit einen gewaltigen Dämpfer bekommen.

Merlin
sagte: „Wir sollten in die Stadt fahren. Am Telefon Dinge abklären.
Irgendetwas ist gewaltig schief gelaufen.“ „Anscheinend“, sagte Gero
halblaut.
Gemeinsam fuhren sie in die Stadt, wo der Professor direkt bei seiner Sekretärin anrief, die natürlich schon zu Hause war.
„Frau Stilbla, was ist passiert? Was geht hier vor sich? Ich wurde benachrichtigt, dass die Arbeiter gegangen sind.“
„Das ist richtig… Professor Mischam, die Firma hat ihre Spende zurückgezogen.“
„Zurückgezogen?“
„Ja, sie glauben einfach nicht mehr an das Projekt… Als Entschädigung,
bieten sie an den Rückflug zu übernehmen, erste Klasse, sagten sie.“
„Den Rückflug?! Was fällt denen…“, einen Moment hielt der Professor
inne, er hatte keine Chance dort irgendetwas zu tun; er überlegte kurz
und fasste einen Entschluss, „In zwei Wochen.“
„Wie steht es denn mit…?“

Gero hatte aufgelegt, fasste sich einen Augenblick lang und schritt dann nach draußen.
„Alles ist in bester Ordnung. Wir haben schon einen anderen Sponsor, der
die Stadt weiter aufbauen wird“, sagte Gero zu dem Kontaktmann.
„Es war ziemlich laut da drin?“ „Manchmal müssen Angelegenheiten lauter
geklärt werden. Sagen sie den Arbeitern, dass in zwei Wochen die Leute
kommen und die Stadt aufbauen werden, wir werden diese Stadt reich
machen“, sagte Gero lächelnd. „Und bis dahin?“ „Müssen sie natürlich am
Lager weiterhelfen.“ „Aber hier ist niemand der irgendetwas aufbaut.“
„Wie gesagt in zwei Wochen. Mehrere Brunnen, richtige Straßen. In zwei
Wochen ist das alles.“ „Aber im Moment ist ja niemand hier, die Arbeiter
werden…“ „Ich kann dort wieder anrufen und das Ganze beenden“, sagte
Gero trocken. „Zwei Wochen, dann erstrahlt die Stadt in neuem Glanz. Ich
meine, der Brunnen funktioniert ja auch, oder?“ Der Kontaktmann nickte,
anscheinend war er überzeugt.

Es behagte Gero nicht, den Mann
anzulügen, aber er musste als erstes alles untersuchen. Wenn die Meldung
raus wäre, dass die Forschung ein Erfolg war, würden Scharen von
Männern anrücken und alles untersuchen wollen.

Die Gespräche mit den Arbeitern verliefen gut und sie stimmten zu, das
Lager weiterhin am Leben zu erhalten, während Gero, Hendrik und Merlin
zusammen die zweite Reise in die Gänge planten.
Drei Taschenlampen, Wasser, ein Notizbuch und ein Stift. Nichts
Besonderes. Bevor sie hineingingen ließ Gero den Kontaktmann die
Arbeiter noch einmal fragen, ob jemand mitkommen wollen würde. Sie
verneinten. „Es gibt kein Monster in der Totenstadt“, sagte der
Professor und schüttelte den Kopf.

Sie würden nur ein paar Stunden weg sein. Die Arbeiter sollten da
bleiben und den Lagerbetrieb beaufsichtigen, Fundstücke begutachten und
weiter säubern.
„Sollen wir wirklich nicht auf mehr Leute warten?“, fragte der Doktor
und Gero schüttelte den Kopf. „Eine Chance haben wir. Eine. Nicht mehr,
nicht weniger.“ „Haben wir alles?“ Hendrik sah zu den beiden Anderen,
kontrollierte selbst nochmal, ob seine Taschenlampe funktionierte. „Dann
mal los.“

Sie stiegen die Treppenstufen herunter und liefen einige Schritte,
ließen den Schein der Taschenlampen über die Wände streichen, die mit
winzigen Bildern verziert waren. Wieder das Bild der Kreatur.
Wahrscheinlich eine Warnung, dass man jetzt noch umkehren konnte.
Draußen fing es wieder zu stürmen an und mehrere Windstöße drangen nach
unten. Wie durch die Windstöße geweckt, ertönte wieder ein Heulen, dass
den Dreien das Blut in den Adern gefrieren ließ.

„Sollten wir vielleicht
nicht besser umkehren?“, fragte Merlin. Für einen Augenblick dachte der
Professor ernsthaft darüber nach, doch dann schüttelte er den Kopf.
„Jetzt nicht. Es gibt kein Monster hier.“ „Dieses Heulen…“, murmelte
Hendrik. „Papperlapapp, gehen wir weiter. Denkt nur dran. Das wird die
Totenstadt sein!“
Am Ende des Ganges stand eine Statue von Savir und der Weg gabelte sich.
„Vielleicht sollten wir den Weg irgendwie markieren, damit wir wieder
zurückfinden“, warf Hendrik ein. „Das wird das Beste sein. Hast du etwas
dafür?“ Der Professor kramte in seinen Taschen und zog sein Notizbuch
hervor und legte eines der Blätter auf den Boden.

Sie gingen weiter den
linken Gang entlang und kamen an einem seltsamen steinernen Gebilde
vorbei. Es war krumm und merkwürdig geformt.
Dann kündigte sich wieder der Sturm von draußen an und wieder ertönte
das Heulen, sobald der Wind die drei erreicht hatte. Das Heulen war hier
am stärksten. Es kam von dem steinernen Gebilde. Der Professor musste
lachen, als ihm klar wurde, dass die Leute einem billigen Trick
aufgesessen waren und war erstaunt über die Intelligenz der
Kultanhänger. „Die Apparatur ist das Monster.“ „Wie meinst du?“ „Der
Wind kommt, geht durch den Stein und pfeift und heult. Ein verdammter,
lebloser Stein.“

Sie betrachteten den Stein eingehend, ließen dann aber
davon ab und nahmen die nächste Abzweigung. Wieder nach Links. Wieder
eine Seite aus dem Notizbuch auf dem Boden. Wieder ein langer Gang. Doch
diesmal gab es zu beiden Seiten kleine Nischen und einige Räume. Als
die Drei näher traten fuhr dem Doktor ein angewiderter Laut aus.
„Mumifiziert.“ Hendrik trat näher heran. „Die Toten leben zusammen mit
den Lebenden“, sagte der Doktor und zeigte, dass im Raum noch ein freies
Bett gewesen war und ein steinerner Tisch. Etwas Wasser tropfte durch
ein winziges Röhrchen aus dem Stein der Mauern in eine Schale.
Vielleicht hatten die Leute so ihr Wasser bekommen, überlegte Gero, aber
er konnte sich natürlich nicht sicher sein.

Weitere Räume mit verschiedenen steinernen Einrichtungen folgten und sie
drangen immer tiefer in die Dunkelheit, durch die von Räumen
flankierten Gänge. Das Notizbuch leerte sich mit der Zeit, wobei noch
immer etwas mehr als die Hälfte an Seiten übrig war.

Sie standen gerade
wieder in einem der Räume und untersuchten gerade einen speziell
geformten Tisch, als eine kleine Erschütterung durch die Gänge ging.
Etwas Sand rieselte von der Decke. Die Erschütterung war minimal, aber
durchaus spürbar. Dann noch eine winzige Erschütterung und dann ein
lautes Krachen. Sie verließen das Zimmer und sahen, dass die Decke
eingebrochen war und in dem Gang hinter ihnen alles versperrt hatte.
Noch eine kleine Erschütterung und dann war wieder alles ruhig. Hendrik
schritt zu dem Steinhaufen und sah es sich genauer an.
„Hier ist kein Durchkommen. Keine Chance.“
„Scheiße, was machen wir jetzt?“, fragte der Doktor. „Warum mussten wir
auch hier reingehen? Ich hatte von Anfang an ein beschissenes Gefühl bei
der Sache!“ „Wir werden hier schon irgendwie rauskommen. Gibt sicher
mehr als einen Weg nach draußen“, sagte Hendrik. „Wir sind immer nach
links gegangen, also gehen wir jetzt einmal nach rechts und dann zurück.
Das wird ja schon so eine Art Muster sein.“ Der Professor nickte
zustimmend.

Ein Heulen erklang erneut und der Doktor zuckte zusammen.
„Das ist ekelhaft…“ „Kein Monster in der Totenstadt. Und die Toten
sind sicher meist auch schon zerfallen“, murmelte der Professor und
schritt weiter, die Anderen im Schlepptau. Der Weg nach rechts führte an
eine Stelle an der anscheinend ein Weg nach links mit einem Weg nach
rechts zusammenführte. Es war eine Art Rautenmuster. Sie folgten dem
Weg, doch gelangten zu einer Sackgasse. „Verdammt.“

Weitere Sackgassen folgten. Sie fanden nicht einmal mehr zurück zur
Stelle an der sie hergekommen waren und kamen weder voran noch zurück.
Nach ein paar Stunden setzten sie sich auf eine steinerne Bank, die auf
dem Weg stand. „Wir müssen vielleicht bei der nächsten nach rechts, da
kommen wir sicher raus. Anders kann es nicht sein“, sagte Gero fast
verzweifelt. „Halt bloß dein Maul. Was für eine scheiß Idee. Totenstadt.
Hier ist vielleicht kein scheiß Monster aber draufgehen tun wir
trotzdem. Wie blöd waren wir hierherzukommen – “ „Hinter der nächsten
Biegung kommen wir sicher auf den richtigen Weg.“ „Genug ist genug. Wir
gehen in die andere Richtung. Deine scheiß Ideen haben uns nirgendwohin
gebracht.“ „Aber es geht dort weiter, ich bin mir sicher.“ Der Doktor
stand auf. „Nicht mit mir. Komm Hendrik.“ Hendrik schien einen Moment zu
überlegen und trottete dann dem Doktor hinterher.

Gero konnte es nicht
fassen. Er war sich sicher, wo es weiter ging. Er musste einfach weiter
machen. Alleine zog er stundenlang durch die Gänge, verlor jeden
Gedanken an Zeit. Einfach immer weiter. Ohne Sinn, ohne Verstand.
Einfach immer weiter. Ohne Sinn, ohne Verstand. Einfach immer weiter.
Ohne Sinn, ohne Verstand.

Draußen im Lager standen die Arbeiter und warteten ab. Eine Woche
verging und jede Nacht ertönte das Heulen der Kreatur, sodass sie sich
sicher waren, dass die Fremden dem Monster zum Opfer gefallen waren.
Manche warteten auch länger, aber nach gut zwei Wochen, war lediglich
die Hälfte noch da. Immer noch in der Hoffnung, dass die falschen
Versprechen des Professors bald wahr werden würden. Am 16ten Tag
sprachen einige darüber, dass das Lager keinen Sinn mehr hatte und
fingen an die Zelte auseinanderzunehmen. Während des Einsammelns der
nützlichen Teile, ertönte das Heulen noch einmal und die Arbeiter
zuckten zusammen, nur kurz, aus Reflex, doch dann wich der kurze Schreck
einer ungeheuren Angst, als sie sahen, was langsam aus der Totenstadt,
die Treppe hinaufgekrochen kam. Eine ausgemergelte Gestalt kroch auf
allen vieren und gab seltsame Laute von sich.
Von der Angst getrieben, sammelten die Arbeiter ihren Mut zusammen,
packten das Werkzeug und schlugen die Kreatur nieder, schlugen mit ihren
Hämmern immer wieder auf das dürre Wesen ein, bis mehrere Knochen
gebrochen waren und Blut von allen Seiten tropfte. Dann warfen sie sie
zurück in die Totenstadt und versiegelten den Eingang, sodass nichts
mehr aus dieser Hölle entfliehen konnte. Die Kreatur der Totenstadt war
besiegt.

Mit seinen letzten, schwachen Herzschlägen, zurückgelassen in der
steinernen Dunkelheit, dem Ende entgegen, murmelte der Professor seiner
Sinne nicht mehr mächtig: „Es gibt kein Monster in der Totenstadt, es
gibt kein Monster in der Totenstadt.“

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