
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
1. Kapitel
Marina kroch durch einen dunklen Schacht. Wände und Boden waren feucht und die scharfkantigen Steine schürften ihr die Handflächen und Knie auf. Sie spürte die Wunden, krabbelte aber weiter bis plötzlich… In der kleinen, Kreuzberger Dachgeschosswohnung staute sich die Hitze des Tages. MichaelO’Deal tropfte der Schweiß von der Stirn, dabei war es mitten in der Nacht. Der Neunundzwanzigjährige starrte ratlos auf den Bildschirm seines Laptops und wiederholte immer wieder die zuletzt geschriebenen Zeilen. Vor wenigen Sekunden hatte er noch eine Odee gehabt, die war jetzt aber weg und wollte einfach nicht wiederkommen. Verzweifelt fuhr er sich mit beiden Händen durch sein Haar.
„Alles Mist…“, fluchte er. „Das ist alles scheiße!“
Er stützte den Kopf in
die linke Hand und griff mit der Rechten nach seinem Whiskyglas – es war
leer. Seufzend knallte er es wieder auf den Tisch, wo sich inzwischen
dunkle Ränder im Holz gebildeten hatten – genau dort, wo er
üblicherweise sein Glas abstellte. Schließlich wanderte sein Finger
routiniert zur Backspacetase und löschte den gesamten Text.
„Ich bin ruiniert“, murmelte er dabei. So lange, bis die Seite wieder leer war.
Nach einer Weile stand
er auf. Gegenüber seines Schreibtisches stand die Bar, wo er immer
genügend Whisky lagerte. Sein Glas ließ er direkt stehen und nahm sich
stattdessen die gesamte Flasche, mit welcher er sich ins Wohnzimmer
setzte. Dann begann er zu trinken.
2. Kapitel
Nachts durch den
Treptower Park zu spazieren half Michael dabei einen freien Kopf zu
bekommen. Meistens war es um diese Zeit angenehm ruhig, obwohl auch
gerne Angetrunkene von ihren Partys hier entlang kamen, doch die ließen
ihn eigentlich immer in Ruhe. Wahrscheinlich lag das an seinem
unauffälligem Äußeren: Groß und schlacksig, mit dunkelbraunem Haar,
welches ihm knapp über das Kinn wuchs. Nicht besonders gutaussehend,
aber auch nicht hässlich wie die Nacht.
Heute war es besonders
ruhig im Park, nicht einmal die Vögel zwitscherten. Burger King hatte
schon geschlossen, davor saßen noch ein paar Jugendliche und
unterhielten sich ungewöhnlich leise. Michael lächelte, nahm einen
kräftigen Schluck aus der Whiskyflasche und schlenderte weiter durch den
Park. Immer am Wasser entlang, hin zur Fußgängerbrücke, die zur Insel der Jugend führte. Der junge Mann mochte diese Brücke, dabei war sie nichts
besonderes. Leicht über dem Wasser gebogen, führte sie durch zwei
turmförmige Gebäude, den Flusspfeilern, hindurch.
Am Geländer hingen
kleine, bunte Schlösser – Liebesschlösser. Verliebte Paare ließen
Initialien, Liebesschwüre oder komplette Namen darauf gravieren. So was
fand Michael süß. Er würde das, wenn er eine Freundin hätte, zwar selbst
nicht machen, aber romantisch war es dennoch. Selbst im Sommer, wenn
die Sonne in ihrer ganzen Kraft auf die Erde herabschien und die
Touristen in Scharen herbei strömten, blieb es hier unglaublich
friedlich. Und diese Schlösser waren ein Teil dieses Friedens. Menschen,
die sich hier versprachen, auf immer ein Teil von einander zu sein. Was
könnte friedlicher sein?
Der Junge Schriftsteller
wanderte, ohne es bewusst zu merken, den Weg zur Abteibrücke hinauf.
Oben angekommen, blieb er vor dem Eingang zum Brückenturm stehen. Der
Mond wanderte dahinter entlang und dann war es schlagartig still – zu
still. Nicht einmal der Wind wehte noch. Wieder nahm Michael einen
tiefen Schluck aus der Flasche, etwas in ihm wollte nach Hause gehen.
„Michael.“
Erschrocken hielt der
Mann inne und lauschte inde Nacht hinein. Die Straßenlaternen
flackerten, dann gingen sie aus. Michael stand im Dunkeln, von der
anderen Seite der Brücke hörte er Stimmen, die seinen Namen flüsterten.
Angst machte sich in ihm breit, er wollte sich umdrehen und weglaufen,
doch sein Körper gehorchte ihm nicht. Wie von einem unsichtbaren Band
gezogen, bewegte er sich auf die Insel zu. Bereits in dem Moment als er
einen Fuß auf die Brücke setzte, lief ihm ein Schauder über den Rücken.
Ähnlich einem elektrischen Schlag, wenn man eine Türklinke berührte.
Krampfhaft umklammerten seine Finger den Hals seiner Flasche, während die Insel der Jugend stetig näher kam.
3. Kapitel
Der kleine Park auf der
Insel lag verlassen vor ihm. Ein unheimlicher Nebel zog sich dicht über
den Rasen, gleichmäßig und unheimlich schön am Wasser entlang. Michael
saß unter einem Baum und trank seinen Whisky, ohne eine Wirkung zu
empfinden. Er hatte versucht die Insel wieder zu verlassen, doch immer
wenn er sich der Brücke oder dem Ufer auch nur näherte, schien ihn etwas
zurückzustoßen.
„Jetzt ist es also soweit“, murmelte er jetzt. „Ich werde verrückt.“
Einer weiterer Schluck
aus der Flasche, die beinahe leer war. Vor ihm, im Mondlicht, graste ein
Pferd. Sein weißes Fell schimmerte und glitzerte silbern im Licht des
Mondes, als hätten sich tausende Wassertropfen in darin verfangen. Und
das Horn auf seiner Stirn, schimmerte wie Perlmut.
„Wunderschön, nicht wahr? Das Einhorn ist eines meiner liebsten Kinder.“
Michael schaute auf und
blickte in das Gesicht einer jungen Frau. Sie war bildschön. Ihr langes
Haar glitt ihr über die Schultern, wie flüssiges Silber. Einige Strähnen
waren geflochten, mit rosanen Kirschblüten, die in der Dunkelheit zu
leuchten schienen. Die Frau selbst war blass, mit saphierblauen Augen
und langen, geschwungenen Wimpern. Auch ihr Kleid war ein Traum – weiße
Seide, mit langer Schleppe und filigranen Blumenmustern. Lächelnd setzte
sie sich neben Michael, der den Blick inzwischen auf seine Flasche
gerichtet hatte.
„Du willst nicht glauben, dass wir hier sind?“, fragte sie ihn und berührte seine Wange mit den Fingerspitzen.
Er schüttelte den Kopf. „Wohl eindeutig zu viel Alkohol“, murmelte er schließlich.
„Du hast wunderschöne
Augen. Ich liebe Menschen, mit schönen Augen“, flüsterte die Frau in
sein Ohr, ohne auf seine Vermutung einzugehen. „Komm mit mir. Ich kann
all deine Sorgen verschwinden lassen.“
Sie schnippste mit den
Fingern, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Michael antwortete
nicht. Er beobachtete das Einhorn, welches gemächlich über die Insel
trottete. Die Frau kräuselte die Lippen, offenbar war sie es nicht
gewohnt ignoriert zu werden. Sie wollte gerade etwas näher rutschen, da
stand Michael auf und folgte dem Einhorn. Die Flasche ließ er am Baum
stehen – er hatte eindeutig genug getrunken, auch wenn er inzwischen
keine Wirkung mehr verspürte. Immer wieder schüttelte er den Kopf.
„Ein Einhorn und eine verkleidete Frau“, murmelte er vor sich hin. „Ich werde echt verrückt.“
Er beschleunigte seine
Schritte minimal, holte auf, bis er nicht mehr hinter dem Pferd lief,
sondern nebenher. Weiter vor sich hinbrummend, vergrub er die Hände in
den Taschen seiner ausgewaschenen Jeanshose. Irgendwann, der Baum kam
wieder in Sicht, näherte sich das weiße Tier und stupste ihn sanft an.
Dann blieb er lachend stehen, weil es in seinen Ärmel biss und auf dem
Stoff kaute.
„Na hallo“, murmelte er
und kraulte das Tier hinter seinen zuckenden Ohren. „Am Ende bist du
wohl doch nur ein Pferd mit Papphorn?“
4. Kapitel
„Michael, nun lass mich
doch nicht so lange allein“, rief die Frau. Sie saß noch immer unter dem
Baum und schaute sehnsüchtig zu ihm herüber.
Genervt verdrehte Michael die Augen.
„Du hast mich hier her
geholt und lässt mich nun nicht mehr gehen“, rief er entrüstet. „Und
jetzt erwartest du allen Ernstes, dass ich mich auch noch mit dir
beschäftige? Du bist doch alt genug!“
Rein aus Protest setzte
sich Michael nun ans Wasser, den Rücken der Fremden zugewandt. Der
Nebel, der die kleine Insel umgab, war so dicht, dass er nicht einmal
mehr den Park auf der anderen Seite erkannte. Warum hatte sie ihn hier
her gelockt? Und wer zur Hölle war diese Frau? Diese Fragen stellte er
sich andauernd, kam aber zu keiner plausiblen Antwort. Stattdessen schob
er es weiterhin auf den Alkohol, auch wenn seine innere Stimme
flüsterte, dass das nicht stimmte.
„Michael, warum klammerst du dich nur so sehr an irdische Belange?“
Die Fremde stand hinter
ihm und ihre Stimme klang so zärtlich, doch ein scharfer Unterton
schwang darin mit und der war kaum zu überhören. Sie hockte sich hinter
ihn und legte ihre Arme um seinen Hals.
„Komm mit mir“, flüsterte sie neuerlich. „In meinem Reich gibt es keinen Kummer. Da kannst du frei sein.“
„In deinem Reich?“, fragte der Schriftsteller und zog er eine Augenbraue hoch. „Und wo soll das sein?“
Schlagartig fühlte er
sich leer. Ausgebrannt. Alles in seinem Leben schien mit einem Mal
sinnlos, was er erreicht hatte war bloß Schall und Rauch. Schon als
Teenager fing er an zu schreiben, vergrub sic in seinen Gedanken in
Welten, die sonst keiner sah. Er hatte Talent. Während seines Literatur
Studiums veröffentlichte er Kurzgeschichten in Zeitungen, bis er von
einem Verlag kontaktiert wurde. Dies war der Beginn seiner Karriere. In
einer seiner Schubladen lagen jede Menge Buchideen, die er nur noch zu
vollenden brauchte. Auf diese Art und Weise konnte er immer pünktlich
liefern. Jetzt, wo alle seine Ideen ausgeschöpft waren, fiel ihm jedoch
nichts neues mehr ein. Alles was er tat war sinnlos. Sein Leben – eine
Verschwundung.
Die Frau kicherte leise
vor sich hin, während sie ihm sanft über das Haar strich. Jede ihrer
Berühungen war warm und gab Michael ein seltsames Gefühl von
Geborgenheit, welche er lange schon vermisste. Er konnte nicht anders,
als seinen Kopf an ihre Schulter zu lehnen und zuzulassen, dass sie ihre
Arme um seinen Körper schlang.
„Ich bin die Königin der
Feen“, säuselte sie ihm ins Ohr. „Mein Reich liegt tief unter der Erde,
in einer Welt, die für Menschen nicht zu sehen ist. Aber du, du kannst
mich begleiten. An meiner Seite sein und mir dienen.“
Michaels Atmung wurde ruhiger, sein Blick ganz leer.
„Ich kann dich begleiten“, flüsterte er monoton. „Die dienen, in deinem Reich.“
„Genau“, hauchte die
Feenkönigin. „Dort gibt es keinen irdischen Kummer. Du wirst nichts mehr
fühlen. Nie wieder Trauer und Leid empfinden.“
„Nie wieder Trauer und Leid.“
„Du wirst dich nie wieder wertlos fühlen.“
„Nie wieder wertlos.“
Je öfter er ihre Worte
nachsprach, desto monotoner wurde seine Stimme. Als wäre er nicht mehr
da. Die Feenkönigin zog ihn fort, weit weg, ohne ihn zu bewegen. Sie
verführte seinen Geist und zeigte ihm Bilder seiner Vergangenheit.
Bilder, die er verdrängt hatte und nie wieder sehen wollte.
„Du wirst nie wieder lieben oder hassen.“
„Nie wieder lieben…“
Sie zeigte ihm eine
Episode aus seiner Studienzeit. Von dem Tag, als er Carolin traf – seine
große Liebe. Er sah wie sie lachte und die tausenden Sommersprossen in
ihrem Gesicht, die ihre grünen Augen so betonten. Nach und nach löste er
sich von den bösen Erinnerungen und seinen tief sitzenden Zweifeln. Er
befreite sich von dem fordernden Singsang der Frau, der Feenkönigin. Es
kämpfte regelrecht in ihm.
„Carolin…“, murmelte er vor sich hin.
Die Königin stutzte und
er spürte wie sich ihr scheinbar zierlicher Körper anspannte. Ihre
Fingernägel bohrten sich in sein Fleisch und sie sprach in einer fremden
Sprache, die er nicht verstand. Die Worte drangen in seinen Verstand
und versuchten die Erinnerungen an Carolin im Keim zu ersticken. Doch
dieses Mal wehrte er sich. Er wollte sie nicht hergeben. Wollte nicht
loslassen – nicht noch einmal. Lieber ertrug er den Schmerz über den
Verlust. Lieber erinnerte er sich an ihren Tod, als sie zu vergessen.
Als er den Kopf zu ihr drehte, blickte er in eine entstellte Fratze, mit
Zähnen so spitz wie Zahnstocher. Er riss sich von ihr los und
stolperte. Dabei schlug er sich den Kopf an einem kleinen Stein am Ufer
an.
„Carolin…“, murmelte er benommen. „Geh nicht.“
Dann verlor er das Bewusstsein.
5. Kapitel
Michael erwachte am
Morgen auf seiner Couch. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, daher
knallte ihm die Sonne direkt ins Gesicht. Völlig verkatert richtete sich
der Mann auf und schaute sich verwirrt um.
„Also doch nur ein Traum“, murmelte er erleichtert.
Auf dem Tisch stand sein
leeres Glas und die Flasche, inzwischen ebenfalls leer, lag auf dem
Boden. Seufzend drückte sich Michael von der Couch hoch und schlurfte in
die Küche, um Kaffee zu kochen. Ihm brummte der Schädel, als würde sich
ein Presslufthammer darin zu schaffen machen. Die Kaffeemaschine
ratterte los, während sich Michael zum Kühlschrank drehte. Der war, zu
seiner Enttäuschung, so ziemlich leer. Mittlerweile war der Kaffee
durchgelaufen und verbreitete seinen aromatischen Duft in der kleinen
Küche, mit dem knarzenden Dielenboden.
Michael schenkte sich
Kaffee ein und ging summend zurück ins Wohnzimmer. Dort pflanzte er sich
auf das Sofa und ließ den Blick über den Tisch schweifen, wo noch eine
Zeitung las. Zwar vom Vortag, aber da er sie noch nicht gelesen hatte,
sollte ihm das auch recht sein. Also nahm er die Zeitung und begann zu
lesen. Ab und an schüttelte er lachend den Kopf.
„Feenkönigin“, kicherte er dann.
Er blätterte weiter und
trank seinen Kaffee. Abwesend stellte er seine Tasse schließlich
beiseite und griff nach seiner Schachtel Zigaretten, dabei fiel sein
Blick auf etwas, dass auf dem Tisch lag: Eine Kirschblüte. Verwundert
legte Michael und legte seine Zeitung beiseite. Er starrte die Blüte an
und nahm sie schließlich in die Hand und drehte sie hin und her. Ohne
Zweifel, war es eine der Blüten, die die Feenkönigin in seinem Traum in
den Haaren getragen hatte.
„Komm zu mir, wenn du bereit bist!“
Die Stimme hallte durch
seinen Verstand und jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Ohne seinen
Kaffee auszutrinken sprang Michael auf, eilte mit den Zigaretten in
sein Arbeitszimmer und schaltete den Laptop an.
„Solange ich schreiben kann, werde ich nie bereit sein dir zu dienen“, grinste er.
Eilig öffnete er sein Schreibprogramm und schrieb nun auf die leere Seite von gestern, folgende Überschrift: Die Insel der Feen.