ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Der Meister spach: „Wer am richtigen Ort steht, der braucht keine Befehle zu erlassen, und alles geht seinen Gang von allein. Wer nicht am richtigen Ort steht, mag Befehle erlassen, so viel er will, es wird ihm niemand folgen.“
KONFUZIUS
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Seine Majestät hätte sich ein anderes Land zum Besatzen und Invadieren erwählen sollen. Natürlich, ich verstand und verstehe die Notwendigkeit einer Expansion des großen japanischen Kaiserreichs, und unser westlicher Erbfeind, das von Bürgerkrieg zerfressene China, bot eine gute Angriffsfläche. Die Nationalisten und die Kommunisten waren in gegeneinadergerichtete blutige Gemetzel verwickelt, und für eine Intervention durch die Klinge der aufgehenden Sonne schlug just die richtige Stunde. Ach, wie erfüllt von kriegerischer Euphorie für den Sieg des Vaterlands war ich doch noch vor zwei Jahren, bei meinem Einzug 1938 … doch mittlerweile hat sie mich vollkommen verlassen, und ich habe die Hoffnung auf unseren Sieg mittlerweile schon verloren. Dies mag im Widerspruch zu den Ansichten großer Teile der kaiserlichen Armee stehen, doch ich bin auch anderer Dinge Zeuge geworden als die meisten anderen Soldaten.
Ich hatte kein Problem mit der nunmehro selbstständigen Mandschurei, auf dessen Thron der alte chinesische Kaiser Puyi sitzt. Er steht ohnehin unter dem Einfluss Japans, und wäre ohne uns schon längst hingerichtet worden, mit diesen Revolutionären ist nicht zu spaßen. Er wäre uns nicht gefährlich geworden. Ebensowenig störte mich die Gründung der „Neuorganisierten Republik China“ unter Kontrolle des ehemaligen Kuomintang-Vorsitzenden Wang Jingwei. Ebenso wie Kaiser Puyi und sein sogenanntes Kaiserreich ist diese Republik uns de facto untertan, und stellen keine wirkliche Gefahr für den Einfluss des Kaiserreichs dar. Damit hatte ich kein Problem.
Zu hadern begann ich tatsächlich erst, als ich Zeuge der Kampfkraft der chinesischen Verteidiger wurde. Die einfachen Bauern greifen zu Gewehren und organisieren sich, neben den regulären Truppen sabotieren kleinere Einheiten innerhalb unserer Frontlinien unsere Infrastruktur, erbeuten von uns Waffen, und werden meinem Augenschein nach von Tag zu Tag stärker, während die Kampfkraft unserer Armee durch ihre neuartige Kriegsführung immer schwächer wird. Als brächte das Land all seine Einwohner zur Verteidigung auf, als setze es alles daran, uns hinfortzufegen. Doch der wirkliche Wendepunkt in meinem Denken setzte ein, als ich dem ehrenwerten General Ryuichiro Kishitani unterstellt wurde und wir im Februar diesen Jahres eine kleine Einheit von Guerillakämpfern besiegten. Obwohl … ob wir sie wirklich besiegt haben, dass weiß ich nicht.
Der Kommandant dieser gegen Ende sechzig Mann bemessenden Truppe war ein starker Chinese namens Yang Jinyu, ein gefürchteter Mann. Er war aus diversen Feldzügen zur Destabilisierung des Kaiserreichs Mandschu seit Beginn des Krieges bekannt geworden und stellte eine große Bedrohung für dieses Gebiet japanischer Interessenvertretung dar. Wir, damit meine ich die Truppe unter Kishitani, schafften es im besagten Februar, durch das Abschneiden von Transportwegen, Konfiszikation von Lebensmitteln und Ernten in der Jilin-Provinz seinen Aktivitäten einen Dämpfer zu versetzen und ihn sowie seine Truppen Mitte des Monats mit 40.000 Soldaten zu umzingeln. Er teilte daraufhin seine Armee in kleinere Einheiten auf, um unserer Umzimglung zu entgehen, doch durch einen Verräter in seinen Reihen brachten wir es fertig, die ihn beherbergende sechzig Mann starke Truppe im Feuergefecht auszulöschen. Er allerdings, wie von Flammen getrieben, versteckte sich allein und ohne Nahrung fünf Tage lang in einem nahegelegenen Wald und leistete unerbittlichen Widerstand, bis wir ihn ausfindig machten und sein wild pochendes Herz inmitten eines donnernden Kreuzfeuers aufhörte zu schlagen. Sein bis zum Tode ungebrochener Geist hatte uns unheimliche Furcht und Respekt eingelößt, und für eine Weile wagten wir es nicht, seinen Leichnahm anzurühren.
Kommandandt Kishitani allerdings war davon nicht so sehr in Ehrfurcht versetzt worden wie wir und schalt uns, das wir uns fürchteten, einen toten Chinesen anzurühren. Doch etwas Ehrfurcht hatte auch seine Seele eingefangen; denn er wollte den Leichnahm haben, um ihn obduzieren zu können. Es schien ihn nicht mehr loszulassen, wie es dieser Mann es geschafft hatte, ohne Nahrung oder Sonstiges fünf Tage lang so einen erbitterten Widerstand zu leisten; er wollte wissen, was ihn bei Kräften gehalten hatte. Und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass unsere Truppe nicht genauso fasziniert und gleichzeitig verängstigt davon war.
Ich führte diese Obduktion mit zwei weiteren Ärzten durch, im Beisein unseres Kommandanten. Und es war in ihrem Verlauf eines der merkwürdigsten Dinge, die ich jemals in meinem Leben getan hatte. Zuerst fanden wir gesplitterte Patronen im Brustbereich, zersplitterte Rippen und zerfetzte Lungenflügel. Das war das Werk unserer Gewehre. In seinem Magen fanden wir daraufhin das, wonach sich unser Kommandant zu wissen verzehrte: Yang hatte sich von Graswurzeln und Rinde ernährt, und auch Wolle fanden wir in seinem Magen. Nachdem wir diesen Fund gemacht hatten, hielten wir allesamt inne und für mindestens zehn Minuten füllte eine bedrückende Stille den Raum. Kishibe tropfte kalter Schweiß von der Stirn, und unser aller Augen waren leer wie ein frisch ausgehobener Grabhügel. Solch einem Kampfgeist war wahrlich noch keiner von uns begegnet, und in diesem Moment vergaßen wir all die toten japanischen Soldaten, die auf sein Konto gingen. Wir waren erfüllt von einem seltsamen Gefühl, einer Mischung aus Respekt und Ehrerbietung, doch zeitgleich voller Furcht und Angst vor dem Ungewissen. Es erschloss sich uns nicht, wie jemand so überleben konnte. Bis sich uns einige Zeit später die Antwort ereilte.
Mitten in unserem tiefdunklen Schweigen bemerkte ich seltsame Wesen über den Boden krabbeln. Rund wie die Sonne, mit tausenden Beinchen und einem starken Kiefer. Silbrige Augen glänzten mir entgegen, und der Panzer glimmte matt. In Sekunden wurde der Schwarm größer und größer, und fraß sich in den toten Körper Yangs, wie sich ein Bohrer durch das Erdreich frisst. Vor Schreck traten wir alle zurück und wussten nicht, wie uns geschah. Nie hatten wir ein solche Insekten gesehen, und uns ekelte ihr Verhalten. Wir hörten das metallische Klicken ihrer Kiefer, die sich durch das faulende Fleisch fraßen, und der Boden füllte sich immer mehr mit diesen grässlichen Tieren. Sie alle drängten in den Leib des toten Chinesen, und zerfraßen ihn wie Maden tote Vögel befallen, bloß in einer immensen Geschwindigkeit und mit schrecklichen Geräuschen. Dieses stumpfe Klicken und millionenfache Scharren klirrte in all unseren Ohren, und wir verzogen vor Ekel und Unwohlsein die Gesichter.
In zwei sich langsam ziehenden Minuten hatten sich diese Biester über den ganzen toten Körper des Yang Jinyu ausgebreitet, und tummelten sich munter in, auf und unter seinem verdörrenden Leib. Sie krabbelten auf den Organen herum, füllten die Hohlräume auf und spien unter einem kreischenden Erbrechen grünliche Paste in die Innereien des Leichnahms, und ein Geruch von verbrannter Erde und wässrigen Fäkalien füllte die Luft. Wir alle schienen an Flucht zu denken, doch waren zu geschockt, um auch nur einen Muskel zu rühren. Diese Prozedur zog sich gefühlte zehn Minuten lang vor sich hin, bis das in den Ohren schleifende Geräusch plötzlich und einer Erlösung nahekommend aufhörte. Daraufhin erfüllte Stille und verdächtige Ruhe den Raum. Dann richtete sich Yang urplötzlich auf und umklammerte den Hals des Kommandanten, dessen Augen augenblicklich zu einem Eiskristall aus Furcht erstarrten. Wir alle konnten unseren gegenseitigen Herzschlag hören, und spürten, wie sehr Kishibe gerade leiden musste.
Yangs Augen waren grün gefärbt, und aus seinem Mund tropfte das grünliche Erbrochene, dass diese Hölleninsekten ihm vorher eingelößt hatten. Er zog den Kommandanten kraftvoll an sich heran und starrte ihn mit seinen himmels- und seelenentleerten Augen an. “Ihr alle seid des sicheren Todes … niemand wird sich diesen Landen je ermächtigen außer seinen Einwohnern … ihr werdet alle auf blutigen Pfählen in eure Heimat zurückgeschifft werden … wir sind nicht das Tao, doch das Tao wirkt durch uns … unser Sinn ist euer Niedergang, euer Tod unsere Erlösung … unser Weg … wir werden nicht rasten, bis ihr in Schrecken diese Lande verlassen habt.”, hauchte Yang Jinyu mit einer verzerrten und unheimlich kraftvollen Stimme dem Kommandaten ins Gesicht, und mein ganzer Blaseninhalt entlud sich auf den Boden. Kurz darauf sackte der Leichnahm in sich zusammen und zerfiel in eine Brandung aus tausenden dieser tierischen Gräuelwesen, und so schnell und plötzlich wie sie gekommen waren, waren sie wieder fortgezogen. Der Leichnahm lag nun zerfetzt und in Stücken bauchlings auf dem Boden, die Organe lagen platt und nässend auf dem Boden, und keiner von uns wagte ein Wort zu sagen. Wortlos verscharrten wir mit einer furchterfüllten Hast den mittlerweile zum Kadaver verkommenen Leichnahm, und zogen uns zurück.
Drei ganze Tage sprachen wir kein einziges Wort, und nahmen nichts zu uns außer einigen Gläsern Wasser am Tag. Erst nach einiger Zeit fanden ich und die beiden anderen Ärzte ihre Sprache wieder, doch sprachen nicht über die Vorkommnisse. Wir rauchten nur gemeinsam zwei Schachteln Zigaretten leer und unterhielten uns dabei über die jüngsten Ereignisse an der Front, die uns aus Berichten ersichtlich wurde. Unser Kommandant allerdings schwieg für die nächsten Wochen lang, und gab einen Monat lang keine Anweisungen mehr, bis auf eine Einzige.
Auf Befehl des Generals Shōtoku Nozoe sollten wir den gefürchteten Kadaver Yangs erneut ausgraben und ehrenvoll bestatten, mit allen Ehren, die einem japanischen Kriegshelden zugekommen wären. Nozoe sei von endlosen Albträumen gejagt worden, von finsteren Visionen mit Yang Jingyu, der unbeschreibliche Dinge in Welten der Verzweiflung vollführt haben soll. Er glaubte fest daran, dass der Geist dieses Chinesen ihn heimsuchte, und um das zu stoppen, sah er die einzige Möglichkeit darin, ihn richtig zu beerdigen, wie einen Helden, nicht wie einen toten Hund.
Alsao taten wir das. Wir gruben ihn aus, vollzogen alle uns möglichen Rituale und beerdigten ihn nach alter Sitte, als würden wir am Grabe des Kaisers trauern. Das schien seine Wirkung zu erzielen, denn der General meldete sich nicht erneut aus solcherlei Gründen bei uns, und der Geist schien gebannt zu sein. Die Truppe ging weiterhin ihrem normalen Alltag nach, und sie alle sprechen noch vom endgültigen Siege Japans und schwärmen von einer leuchtenden Zukunft, von einer roten Sonne ohne Untergang. Doch die Hoffnung an solche Visionen habe ich längst aufgegeben; denn wenn gegen uns Kräfte am Werke sind wie diese Schreckenskreaturen, denen ich vor zwei Monaten habhaft wurde, die es ja sogar vermögen, die Toten zu erwecken; dann kann dem Kaiserreich kein anderes Schicksal beschieden sein als der absolute Niedergang.
Ryuzaki Nakawa, 30. März 1940
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