Schnee ist Wasser
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Winzige Schneeflocken schwebten getragen vom sanften Hauch des Windes durch die Luft und blieben teilweise an einer kühlen Fensterscheibe hängen, wo sie dann funkelten wie Diamanten und alles andere in den eifersüchtigen, zweitplatzierten Schatten stellten. Das Glas war an den Seiten leicht beschlagen, während die Umgebung im Vergleich zu diesem Schauspiel der Natur beinahe leblos wirkte. Lieblos. Wie eine zurückgelassene Bürde, die niemand mehr auf sich nehmen wollte. Der Nebel knabberte an dem Rahmen und zog unvergleichlich kühle Muster über die einst so beleuchtete Fassade, die nunmehr ein verlassenes Trümmerwerk darstellte.
Eingefallene Wände, tiefe Risse im Putz, eingeschlagenes Glas und sonstige Mängel zierten das winzige Häuschen irgendwo im Nirgendwo. Somit war es ein eher abwegiger Gedanke, dass jemand sein Leben darin verbringen könnte. Oder in diesem speziellen Fall zumindest einen Großteil davon.
Die Lampe im Inneren der heruntergekommenen Holzhütte, die nur ein einzelnes Zimmer umfasste, flimmerte unruhig zwischen ihren gleichmäßigen, wiegenden Bewegungen, weswegen das kalte, weiße Licht von außen dominierte. Der Himmel war vollkommen wolkenverhangen. Auch die Luft, die dort herrschte, wirkte kalt, und freudlos; Sie war abgestanden und hatte einen Geruch an sich, den niemand so recht zuordnen konnte. Metallisch, dennoch süßlich, und leicht herb als Abschlussnote.
Er konnte nicht anders, als tief einzuatmen, und das Gefühl von kurzweiliger Ruhe auszukosten.
Die alten Dielen seufzten unter seinen Schritten, welche wiederrum unruhig im Kreis führten. Sein Atem ging stoßweise und der Rhythmus seines Herzens war schon lange nicht mehr intakt. Die kurzen, hellblonden Haare hingen ihm ungewaschen und zerzaust ins Gesicht. Mit geduckter Körperhaltung schien er sich mit etwas, oder besser gesagt jemandem, zu unterhalten. Jemandem, oder etwas, das gar nicht existieren durfte. Das nicht existieren sollte und alles andere als normal war.
Seine Hand, in welcher er das lange Messer hielt, erzitterte. Aber nicht, weil ihm kalt war. Nein. Seine Gedanken überschlugen sich dort, in dem kleinen, schmucklosen Raum, der für ihn nur die Erleichterung bringen sollte, nach welcher er sich sehnte.
Außen erschallte ein Donner, dem der Blitz fehlte. Die Lampe fiel mit einem letzten, kleinen Zischen aus.
„Tu es.“, flüsterten sie.
Nur das weiße Licht umfasste ein ungewöhnliches Schaubspiel in der Mitte des Raumes. Das Mädchen vor ihm war an den Stuhl gefesselt; Ihr Mund sorgfältig zugeklebt und die Augen verbunden. Der Stoff, welcher so ihre Sinne betäubte, war bereits feucht und ihr Wimmern ließ keinen Zweifel mehr zu, dass sie im Verständnis der ausweglosen Situation weinte. Abgehackt. Ungleichmäßig. Es war leise, kaum panisch, sondern eher wie ein verletztes Tier, das sich nach Erlösung sehnte. Anscheinend hatte sie sich noch nicht von dem Opium erholt, welches er ihr im Laufe des letzten Tages verabreicht hatte; Ihr Kopf lag bewegungslos auf ihrer Schulter. Die langen, feuerroten Haare fielen in förmlich brennenden Wellen an ihrer zierlichen Gestalt hinab.
„Na los, niemand muss es erfahren.“, hauchten sie lockend. Diesmal lauter. Verlangender. Ungeduldiger.
Sie erwarteten seine Entscheidung und rechneten fest damit, abermals zu gewinnen.
Er schluckte. Das Pochen in seinen Schläfen raubte ihm das letzte bisschen Verstand, das er noch besaß, und die Kälte im Raum konnte nicht mit der Hitze konkurrieren, die nun in ihm aufwallte. Alles wirkte so surreal, in dieser kleinen Kabine, irgendwo im nirgendwo, die von dem Schnee, der draußen von Himmel gesandt wurde, sanft umhüllt worden war. Seine Schritte verhallten, als er schließlich bewegungslos Halt machte und die hilflose Person vor ihm eingehend betrachtete.
Er hatte bereits einen Entschluss gefasst. Doch die anderen brachten seine Überzeugungen wie so oft zum Bröckeln. Sie kannten ihn besser, als er sie, weswegen sie ein abgekartetes Spiel hatten und seinen König ohne Schwierigkeiten Schachmatt setzen könnten. Mittlerweile schien es beinahe wie ein Wettbewerb, der in der Langeweile eines selten erbarmungslosen Wintermonats entstanden war und nun wie eine zu sichernde Tradition aufbewahrt wurde.
„Ich kann nicht.“, nuschelte er, mehr um sich selbst zu überzeugen, als die anderen umzustimmen. Hin- und hergerissen in diesem Dilemma, das ihn schon so lange verfolgte. Die kurzweilige Stille, in der der Schmerz, welcher in Impulsen durch seinen Kopf jagte, mit der Angst zunahm und das darauffolgende, beginnende Rumoren sagten ihm, dass er soeben einen Fehler gemacht hatte, aus dem es kein Zurück mehr gab.
„Und du bezeichnest dich als Mann?“, zischte eine Stimme wutverzerrt. Es war wie ein physischer Schlag auf seinen bereits ausgelaugten Körper und er zuckte unter der Bestialität des Tones zusammen. „Deine Mutter hätte dich ertränken sollen, als sie es noch konnte!“, zeterte eine weitere, im hasserfüllten und unzufriedenem Einklang mit den anderen. „Du bist nichts wert.“, fauchte noch eine, voreingenommen von ihrer Rage.
Ihre Schimpftriarden schwollen immer weiter an, bis er sich die Hände an den Kopf halten musste, aus Angst, er würde zerspringen. Alles drehte sich und der Boden unter seinen Füßen schien nunmehr eine verblasste Erinnerung zu sein. Er fühlte Galle, die in ihm auf schwappte, und seine Gedanken vernebelten sich zunehmend gleichzeitig mit der Glasscheibe, welche weiterhin mit den unschuldigen Schneeflocken funkelte.
„Nein.“, wimmerte er, geschüttelt von Schmerz und Unsicherheit. Er konnte nicht. Er durfte nicht. Er musste widerstehen, sonst gäbe es keine Besserung mehr.
Das Heulen des Windes, welches am morschen Holz der Hütte vorbeischrammte, nahm mit dem Schreien der Stimmen stetig zu. Dröhnen. Brüllen. Knarren. Heulen. Pochen. Wirbeln. Fürchten. Müssen. Hassen. Etwas in ihm zerbrach. Die zu Fäusten geballten Hände baumelten nun an seinen Seiten. Er umklammerte den Griff seiner Waffe wie ein Rettungsboot.
„Mach endlich!“, brüllte jemand.
Er rammte ihr das Messer ins rechte Bein.
Stille.
Sein Blick fiel auf das glänzende Metall, welches regelrecht unter Zeitlupe in ihr verschwand, und seine Ohren vernahmen ihren köstlichen, aber dennoch gedämpften Schmerzschrei, welcher im Raum verhallte. Der Geräuschpegel explodierte förmlich, als er das Messer hinab zog und beobachtete, wie ihre cremige Haut auseinander klaffte. Das Blut war in seiner Farbe so wunderschön, dass der Mann zum ersten Mal in seinem Leben an Perfektion glauben konnte und selbst die Schneeflocken am kühlen Glas nicht mehr mithalten konnten. Deswegen begann ihr Glanz zu verblassen und sie begannen traurig zu schmelzen, wobei nach einer Weile Eis die dünne Glasscheibe überzog. Er stach immer wieder immer schneller zu.
Nach einer Weile zog er den feuchten Knebel aus ihrem Mund, warf ihn achtlos zu Boden, um ihre Schreie zu hören und beobachtete, wie die geschlossenen Augen panisch unter dem anderen Stofffetzen rotierten.
Je öfter sie zusammenzuckte, oder sich vor Schmerzen krümmte; Je öfter ihr Herzschlag kurz aussetzte, um dann in doppelter Geschwindigkeit weiter zu pochen; Je öfter die Lampe kurz flimmerte und danach wieder eines qualvollen Todes den Geist aufgab; Je öfter und lauter sie schrie, desto leiser wurden die Stimmen und das Dröhnen.
Als sie beinahe verstummt waren, schwebte seine Schneide knapp über ihrer Halsschlagader. Ihr Körper war kaum mehr ein Schatten von dem, was er einst war. Wunden und Zeichen von untragbarem Leid schmückten ihre befleckte und rubinartig glitzernde Haut. Sie zitterte nicht einmal mehr. Sämtliche Schutzmechanismen, die sie einst geprägt hatten, waren unfreiwillig im Laufe der Folter abgeschalten worden. Die einst wundervoll duftenden Haare waren nun verschwitzt und fettig wie seine eigenen. Ihr Atem ging genau wie der Seine stoßweise. Er konnte es nicht fassen. Tränen drückten gegen sein Schlüsselbein.
Eine einzelne Stimme regte sich im stummen Protest, doch er schob sie ohne weitere Probleme zur Seite und konzentrierte sich nur auf diesen unglaublichen Anblick, der ihm schier die Sprache verschlug. Der Geruch im Raum war nun allgegenwärtig und betörte seine Sinne. Ein beglücktes Seufzen entkam aus seiner Kehle.
„Die letzte hab ich für euch gehen lassen.“, sagte eine Stimme, die nicht zu dem unsicheren Teil seiner Selbst gehörte. Seine Lippen öffneten sich abermals, bevor er ihr mickriges Leben beendete und lachte. Außen glitt keine einzige Flocke mehr vom Himmel. Weiß bedeckte die Welt und keine Farben waren zu erkennen. Leblos. Lieblos.
„Die hier gehört mir.“
Er sog den Geruch der schweren Luft tief ein, und lächelte zufrieden.