Sonnengelb
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
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„Tut mir leid, wenn ich es dir sage, aber ich halte deine
Idee für ausgesprochen schlecht“, protestierte Vincent gegenüber May. Beide
hatten sich nach der Suche einer perfekten Seele in eine Bücherei
zurückgezogen, welche regelrecht verbunden war mit dem Schlafgemach der Jungen.
Man musste nur in jene hineingehen und gleich die nächste Tür offenbarte eine
kleine, aber gemütliche Bibliothek, in welche sich jedoch – zu Mays eigen
verwundern – selten jemand der Seelenwächter aufhielt. Ihr Begleiter hatte ihr
einst erklärt, dass das ursprüngliche Gebäude samt dem Eingang in den riesigen
Saal, indem May gleich zu Beginn ihrer Ankunft gewesen war, und den Gemachen
zwar geplant worden war, aber wollte nur der König von Animarum eine Bibliothek
errichten lassen, da er seit seiner Ankunft in dem Reich der Seelen so fasziniert
von dessen Geschichte war, die man ihm einst lehrte. So entschlossen sich er
und seine Frau eine kleine Bibliothek einzurichten, doch würden nur die
männlichen Wesen durch ihr Zimmer dort angelangen. „Warum nicht?“, fragte May
nun nach und blickte ihr Gegenüber herausfordernd an. „Was spricht schon
dagegen, wenn ich-“ „Sie ist zu jung! Das wird ihre Seele nicht aushalten!“,
zischte die männliche Seele ihr entgegen und unterstrich den Ernst der Lage mit
einem giftigen Blick. May schluckte. Seit sie hier war mag nicht viele Male die
Sonne aufgegangen sein, doch war es das erste Mal gewesen, dass sie Vincent in
nahezu gefährlichen Rage erlebt hatte, selbst wenn es nur ein stechend-giftige
Blick war, der wie Kaugummi an ihr kleben blieb.
„Aber sie ist die richtige, ich spüre es!“, betonte May die letzten beiden Wörter ihres Satzes, um
jenen einen gewissen Nachdruck zu verleihen. Vielleicht würde er so meine Entscheidung endlich einsehen, dachte
sie sich hoffnungsvoll, während sie beobachtete, wie der Seelenwächter seufzend
den Kopf schüttelte und sich die Fingerspitzen seines Daumes und Zeigefingers
gegen seine Stirn drückte. „Bitte…“, unternahm May einen weiteren Versuch. Sie
legte ihre Hand auf die seine, welche in seinem Schoß lag. „Wir haben ohnehin
keine Zeit mehr. Außerdem habe ich nie diese Liebe bei keiner anderen Seele
gespürt, wie bei ihr.“ „Du hast doch noch nicht mal nach einem anderen Geist
eines Sterblichen ausschaugehalten“, korrigierte Vincent ihre Aussage und legte
seinen Kopf ergeben zurück auf die weiche Lehne der Couch, auf welcher beide
saßen. Gleichgegenüber von ihr befand sich zusätzlich noch ein kleiner
Couchtisch auf dem Bücher zu der Geschichte Animarums aufeinander gereiht
waren. Das Mädchen hatte einst verzweifelt versucht in jene zu lesen und die
gesamte Geschichte zu verstehen, doch musste sie enttäuschend feststellen, dass
die Seiten durchgehend in der Totensprache geschrieben worden waren und sie
(außer ihrer tragischen Erinnerung, der sie zu dem verleitet hatte, was sie
heute war) keine der Wörter kannte, selbst wenn sie in ihrer Schule Latein
gehabt hätte. Doch der Seelenwächter erklärte ihr, dass man hier im Animarum
die ausgestorbene Sprache wieder zum
Leben erwecken würde. Man lehrte allen Seelen jene Sprache, mit welcher sie
sich mit der Zeit selbst untereinander verständigen konnten. Allerdings, erst
wenn sie die Prüfung zum Seelenwächter bestanden.
Jedoch war es ihnen gestattet nebst Latein auch die Sprache
der Sterblichen zu erlernen, damit sie sich mit den neuen Seelen besser
verständigen konnten, dennoch bat May Vincent ihr zunächst Latein beizubringen,
ehe sie ihn auf die anderen zusätzlichen 4 Sprachen, die er fließend
beherrschte ansprach. Über die Verwunderung Mays warum er denn 5 Sprachen
fließend zu sprechen lernte, antwortete er: „Ich habe neben meiner Aufgabe eine
für mich perfekte Seele zu finden, viele Orte bereist, die es mir erlaubten
ihre Kultur und ihre Sprache kennenzulernen.“
„Nun gut“, begann er nun, nachdem er seinen Kopf wieder aus
der bequemen Position heraus in die Richtung seiner Seele wandte. „Ich erlaube
dir die Seele des Mädchens zu nehmen. Aber wir sollten uns so langsam auf den
Weg machen, schau nur!“, rief er aus und deutete mit einem Finger auf das
glasklare Fenster hinaus, welches durch einzelne weiße Muster unterbrochen zu
werden schienen. Beinahe hatte das Fenster das Aussehen eines ganz normalen
Hausfensters, doch wusste das Mädchen, dass die Größe und die Halbkreisähnliche
Form in kein Haus hineinpassen würde. Zumindest nicht in ein kleines,
gewöhnliches Heim. Ein Meer aus lila Wolken schien die aufkommende Dämmerung
und die damit verbundene Nacht anzukündigen. Ohne zu zögern begaben sich beide
hinaus aus der Bibliothek, hinunter vor den Brunnen, wo sie dann – mit der
Hilfe von Vincent – in ein Portal gelangten und den hell erleuchteten Weg entlanggingen.
Für May erschien der Pfad so endlos, obgleich es sie nicht viel Zeit gekostet
hatte, durch die andere Seite des Portals zu gelangen. Doch war diese Emotion
ein Segen, sowie ein Fluch zugleich. Zunächst war es ein Segen, da sie so im
Glauben war die bevorstehende Prüfung hinauszuzögern und dann wurde es schnell
wieder zu einem Fluch, da sie mit Vincent gemeinsam vor der anderen Seite des
Portals stand.
Wie beim ersten Mal hielt er ihre Hand fest umklammert, nur
wusste sie, dass es diesmal nicht um ihre Ankunft geht, sondern um das Bestehen
einer Prüfung. Sollte sie bei dieser scheitern, dann – und davor hatte sie am
aller meisten Angst – würde sie sich einer psychischen Folter unterziehen
müssen, die sie sicher tagelang nicht schlafen lassen würde. Ihr Seelenwächter,
der ihre Anspannung zu bemerken schien, flüsterte ihr etwas zu, dass ihre Angst
für einen Moment minderte: „Keine Angst, ich bin dein Seelenwächter. Und als
dein Seelenwächter habe ich die Kontrolle über deine Seele. Sicher, es ist
untersagt, bei dem Examen zu schummeln, aber ich bin gut darin meine Tricks so
unauffällig wie möglich zu gestalten. Vertrau mir.“ Bei letzterem Satz klang
die Stimme Vincents seltsam niedergeschlagen, als würde er mit aller Macht
versuchen einen dicken Kloß im Hals hinunter zu schlucken. Aber May blieb keine
Zeit sich darüber Gedanken zu machen. Jeden Moment würde sich das Portal zur
anderen Seite schließen und das nicht erscheinen würde als Feigheit bewertet
und ebenfalls mit einer Bestrafung verzeichnet werden (zwar mit keiner so
schlimmen Folter, wie sie beim Versagen drohte, jedoch erinnerte sich May genau
daran, dass ihr Begleiter einst erklärte das es im Bereich der Psyche unendlich
viele Möglichkeiten gab jemanden unvergesslich leiden zu lassen).
Noch ein letztes Mal atmete May ein und aus, um
schlussendlich hinaus auf die andere Seite zu treten. Um sie herum war bereits
alles dunkel, doch ihre Augen sahen bekanntlich alles so, wie als wenn es
helllichter Tag wäre. Als sie sich nach dem Haus umschaute, dass sie noch am
selben, im Morgenlicht schimmernden Tag besucht hatte, musste sie feststellen,
dass sie sich in einer vollkommen anderen Gegend befand. Sie schätzte die
Entfernung zwischen sich und ihrer Seele auf mehrere Kilometer. Sie seufzte
bemüht leise, da sie auf keinen Fall wollte, dass Regina (welche natürlich die
Fortschritte ihrer jungen Seele mit eigenen Augen miterleben wollte) und ihre
beiden Leibwächter, welche jeweils an jeder Seite von ihr standen, den Anschein
hatten, sie wolle gleich das Handtuch werfen. „Wie schön, dass ihr doch noch
gekommen seid, lieber Vincent, liebe May!“, begrüßte sie beide mit offenen
Armen und schloss diese erst wieder bei einer Umarmung, die sie zuerst May,
dann Vincent gab. Für die Prüfung hatte die Herrin heute ein anderes Kleid
angezogen. Es war nun nicht mehr silber-golden, sondern passte sich ganz der
Farbe des Himmels an: Dunkelblau – fast schon schwarz – mit unzähligen kleinen
Diamanten, die die leuchtenden Sterne darstellen sollten. „Seid gegrüßt wehrte
Herrin!“, übernahm Vincent die Begrüßung, da May immer noch überwältigt von
ihrem Kleid war, welches sich perfekt an ihren langen, dunkelbraunen Haaren
schmiegte. Fast wirkte es so, als sei das Kleid nicht nur allein ihrem dünnen,
anmutenden Körper angepasst, sondern auch ihren wunderbaren Haaren.
Die Herrin grinste sichtlich amüsiert, über den dumm
dreinschauenden Blick ihrer neusten Seele, doch verkniff sich ein spöttisches
Lachen, selbst wenn sie zu gerne über den Anblick gelacht hätte. „Nun denn“,
fing sie die Eröffnung der Prüfung an, nachdem sie sich geräuspert hatte.
„Lasst uns mit der Prüfung beginnen. Dir bleibt Zeit bis zum Aufgang der Sonne.
Solltest du es bis dahin nicht geschafft haben, deine Seele gefunden zu haben,
erwartet dich eine Strafe und glaube mir… ich bin sicher du wünschst es dir
eher diese Prüfung zu bestehen, als deine Strafe zu erhalten“, erklärte Regina
die Regeln, sowie die damit verbundenen Konsequenzen und setzte am Ende ihres
letzten Satzes ein vergnügtes Lächeln hinzu. Für das Mädchen wirkte ihr
Auftreten so, als wünschte sich die
Herrin beinahe, dass May die Prüfung verliert, doch diesen Wunsch würde sie ihr
um keinen Preis erfüllen lassen! Noch ehe sie loszog, verspürte sie eine innige
Umarmung, die ihr Seelenwächter ihr gab. Abermals hatte er ihr im Flüsterton
versichert, dass sie nicht wirklich alleine
war und dann war May auf den Weg aufgebrochen, um sich auf die Suche nach
ihrer sehnsüchtig ersehnten Seele zu begeben.
Ihr Begleiter hatte zwar erklärt, dass die Wächter das
Fliegen erlernten, jedoch war dies das einzige, was sie nicht für ihre Seelen
steuern konnten. Jede Seele – selbst die, die zu Wächtern wurden – musste sich
das Fliegen selbst beibringen. „Es ist eigentlich ganz leicht. Stell dir
einfach vor, dass du frei wärst. Frei von jeglichen Sorgen und Gedanken. Frei
von jeglichen Ängsten und traurigen Ereignissen. Am besten klappt es, wenn du
deine Augen schließt und es dir ganz einfach vorstellst“, rekapitulierten ihre
Gedanken Vincents Weisheit. Nach dem sie bereits für die anderen außer Sichtweite
war, war sie gewillt es zu probieren, doch sobald May ihre Augen schloss – und dabei
ihre Arme ausbreitete, um dem ganzen ein besseres Gefühl zu verleihen, ein
Gefühl von fliegen – passierte zu
ihrer Enttäuschung nichts. „Ich bin mir
sicher, dass es nicht gerade hilfreich ist, wenn du deine Arme wie Flügel
ausstreckst“, kicherte eine ihr bekannte doch merkwürdig hohle Stimme in
ihrem Kopf. Vincent! Dachte sie still
in sich hinein und lächelte. „Ich habe
dir doch gesagt, dass ich dich nicht alleine lasse“, meinte dieser und
kicherte leise. Es klang genauso hohl und in die Ferne gerückt, wie seine
Stimme. „Und bevor die Frage aufkommt:
Nein. Sie merkt nicht, dass ich mit dir Kontakt aufgenommen habe. Anders als
ihr Mann es einst konnte, verfügte sie nie über die Gabe der geistlichen
Bindung. Frag mich nicht warum. Ich vermute aber, dass es daran liegt weil ihr
zur Zeit ihrer Verwandlung kein männlicher Seelenwächter beistand, sondern ein
weiblicher. Nur männliche Seelenwächter sind und waren, dank der Lehre des
Königs in der Lage diese Bindung nach Belieben entstehen oder kappen zu lassen.“
May war beeindruckt von seiner Erzählung und hoffte insgeheim, dass sie
dies auch eines Tages können würde, doch ihre Gedanken schweiften von jenem
Wunsch in Unbehagen. Was ist wenn…? „Die
Leibwächter von Regina sind zu dumm, um überhaupt zu kapieren, wie so eine
Bindung erst entsteht und was dazu alles wichtig ist, glaub mir. Es mag zwar
stimmen, dass sie die stärksten des gesamten Reiches sind, doch gehören sie
lange nicht zu der Sorte der klügsten.“ In Vincents Stimme war eine Spur
von Hohn zu hören, dennoch wurde er sofort wieder ernst. „Ich könnte dir noch so unendlich viel zu dieser Gabe erläutern,
jedoch musst du dich beeilen. Zeit ist nicht unendlich.“ Ein kurzer Blick
zum Himmel verriet, dass es zwar immer noch dunkel war, aber Vincent hatte
selbstverständlich recht.
„Lass dich von mir
leiten. Ich führe dich zu deiner Seele. Der beste Weg seine Seele zu finden ist
seinen Körper frei von Gefühlen und Gedanken zu machen. Sei rein, sei frei!“ May nickte zustimmend, trotz dem
Wissen, dass ihr Begleiter es wohlmöglich nicht sehen konnte. „Das Dasein deiner geliebten Seele äußert
sich in Form von Schmerz. Aber nicht irgendeine einfache Art von Schmerz,
sondern von unendlich unerträglicher Pein, die sich – zu meist und nach
Erzählungen – wie Feuer anfühlt. Es ist so, als würdest du am lebendigen Leibe
verbrennen“, erläuterte der Seelenwächter. „Allerdings musst du dem Schmerz standhalten. In keinster Weise darfst
du dich jenem hingeben oder aufschreien, ganzgleich wie stark er auch sein mag.
Du musst ihm solange standhalten, bis du die Seele, die genau diese Pein
ausstrahlt aufgespürt hast. Und spürst du bereits etwas?“ Zugegeben
verspürte May in dem Moment ein leichtes, eher harmloses brennen, welches sich
jedoch mit jedem Schritt, den sie entlang der verlassenen Straße tat, immer
stärker zu werden schien, bis sie keuchend auf die Knie fiel und dem Schmerz
mit stoßartigen Atmung entgegenzukommen versuchte. Sie wusste nicht, wie weit
sie nun gegangen war, dennoch schien das aufkommende Brennen keinen Halt vor
ihr zu machen. Fest presste sie ihre Zähne und Lippen aufeinander, um den
inneren Schrei, welche ihre Kehle geradezu hinaufgekrochen kam, zu ersticken.
„Halte durch!“,
rief die sorgenvolle Stimme Vincents in ihren Gedanken, dennoch war May
bewusst, dass sie den Schmerz nicht mehr lange würde aushalten, je weiter sie
ihren Pfad in dessen Begleitung ging. Ein erstickter Schmerzenslaut kam
zwischen ihren Zähnen hervor, sodass die sorgenvolle Stimme von ihrem Begleiter
gleich einer ängstlichen wisch. „May…
wenn es dir zu viel wird, brich ab. Ich habe auch-“ „Nein!“, presste das
Mädchen zwischen ihren zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich werde… Regina…
diese Genugtuung… nicht bieten!“, keuchte sie, derweil aus ihren festen
Schritten nunmehr ein Humpeln geworden ist. Während sie ihren Weg nun weiter
humpelnd fortsetzte, blieb ihr Seelenwächter im Kopf ruhig. Fast hätte sie
gedacht, man habe ihn erwischt, doch wenn sie genau hinhörte, konnte sie ihn
atmen hören. Diese Bindung muss wohl
intensiver sein, als ich vermutet habe, wenn ich ihn schon atmen hören kann… „Da
vorne!“, rief er plötzlich aus und May erblickte endlich ihr Ziel. Die
Schmerzen schienen jetzt so unbeschreiblich an Intensität zu genommen zu haben,
dass die weibliche Seele den Eindruck bekam, in den Flammen regelrecht
aufzugehen.
Doch nun war sie direkt vor diesem Mädchen stehengeblieben.
Vor ihrem Mädchen. Sie sah, wie sie
zitternd auf einer Bank saß. Blanke Kälte (die May später als Angst identifizierte)
überfluteten Mays Inneres. Ein erleichterter Seufzer entkam ihren Lippen, als sie
schlussendlich eine Hand auf den zitternden Körper der Sterblichen legte und
flüsterte: „Sei unbesorgt.“
Das letzte, was May mit ihren Augen sah, ehe sie mit ihrem
Kopf auf den Bordstein traf, war die Sonne, wie sie mit ihren starken,
orange-gelblichen Sonnenstrahlen den neuen Tag für die Sterblichen und die neue
Nacht für die körperlosen Wesen ankündigte.
() 18:47, 17. Jul. 2017 (UTC)
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