
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Kapitel 1: Dominus Advenit
Kapitel 2: Dominus Mortuus
Kapitel 3: Dominus Resurrexit
Bericht des Abtes Clemens aus Dome Medieval 1340 während der „großen Dunkelheit“. Zusammengetragen und überarbeitet von Patricia ‚Lavander‘ Langley.
16. Oktober – 27. Oktober A. D. 1400
Ein
Großteil der Ereignisse, welche ich nun beschreiben werde, liegen nun einen
Monat zurück. Die jüngsten Geschehnisse liegen mir noch frisch im Gedächtnis,
aber vergebt mir, wenn ich einige ältere nur bruchstückhaft widergeben kann.
In
den ersten beiden Tagen der Dunkelheit gedachten die Menschen lediglich, sie
auszuharren. Einige der Brüder, wie auch der Leute aus dem Dorf, sahen die
Dunkelheit als eine wortwörtliche, göttliche Metapher für den Tod Christi an.
Dass wir einfach nur bis zum dritten Tage warten sollten, ehe die Sonne, ganz
gleich dem Herrn, wiederkäme. Doch nichts passierte.
Als
die Dunkelheit am vierten Tage weiterbestand, ordnete Vater Warren eine Zeit
des Fastens und der Gebete an. Oh, wie prophetisch seine Worte sich im
Nachhinein anhören, da Fasten und Beten die einzigen Dinge waren, die wir tun
würden! Zeichen des ersteren ereigneten sich in der Nacht auf den 27. Oktober,
als Mr. Millers Haus, die danebenstehende Mühle, sowie die angrenzende
Backstube in Brand gerieten. Da die Temperaturen ohne Sonne merklich kälter
wurden, dachte Jacob Miller, es sei eine gute Idee gewesen, den Ofen über Nacht
anzulassen. Das Dorf sah in einer Mischung aus Staunen und Schrecken auf die
züngelnden Flammen, welche höher und höher wuchsen, je weiter diese sich auf
das Obergeschoss des zweistöckigen Hauses und die Spitze der Mühle
ausbreiteten. Den Millers ging es gut, falls ihr euch wundert. Aber eines war
nun gewiss: von dieser Nacht, an würde es kein Brot mehr geben – und Muntun
leidet unter chronischem Nahrungsmangel.
Da
dies alles im Oktober begann, fragt ihr euch bestimmt, warum in Muntun trotz
Erntezeit Nahrungsmangel herrscht? Tatsache ist, dass die Ernte dieses Jahr weniger
üppig war und in Muntun nie ein Überschuss an Ertrag erwirtschaftet wird.
Alles, was die Bauern ernten, geht sofort an Lord Mallory und die Kirche, das
heißt, an Vater Warren. Was übrig bleibt, reicht allen gerade so, um über die
Runden zu kommen. Nachdem die Backstube abbrannte, ließ ich vorsorglich all
unser Nutzvieh in der Abtei schlachten und konservieren. Ich hatte das Gefühl,
dass dieser, vierte Tag der Dunkelheit, nur der Anfang sein würde.
Rückblickend, hatte ich recht!
Montag 1. November A.D. 1400
Zu
Allerheiligen begehen wir normalerweise das Fest zu Ehren des Heiligen Clarence
auf dem Marktplatz und danken dem Herrn für eine reiche Ernte. Dieses Jahr war
die Ernte eher mager ausgefallen und anstatt eines Festes, bekamen wir eine
Hinrichtung! Zwei Wochen waren nun vergangen, seitdem die Dunkelheit über uns
gekommen war, und nun, da die Lebensmittelvorräte langsam knapp wurden, wurden
die Leute Zusehens unruhiger. Hier und da war es zu einigen, kleinen
Plünderungen gekommen, aber nichts, was man hatte aufdecken können. Bis auf den
Abend vor Allerheiligen.
Welch
grausamer Wink des Schicksals es doch für mich gewesen war, da sich der Dieb
als Albert Cutter entpuppte! Er war in das Haus seines Nachbarn eingebrochen,
hatte diesen bewusstlos geschlagen und war mit kaum einem halben Laib Brot
wieder entflohen. Ein kleines Vergehen, gewiss, da besagter Nachbar kurz nach
dem Vorfall wieder zu sich kam. Doch niemand hatte ahnen können, wie Witherton
die ganze Sache regelte! Wie bereits angesprochen, endete es mit Albert Cutters
Hinrichtung, was jenseits von Allem war, das man sich vorgestellt hatte!
Sicher, stehlen und jemanden schlagen sind Verbrechen und erstes sogar eine
Sünde, doch niemals zuvor war jemand in Muntun hierfür hingerichtet worden! Als
ich sah, wie Cutter zum Richtblock lief, an dem Witherton bereits mit seinem
Schwert bereitstand, begriff ich, weshalb man es tat. Es ging nicht nur darum,
alle in solch stürmischen Zeiten in Reih und Glied zu halten. Denn mit Cutters
Ableben hatte man nun einen Mund weniger, den man durchfüttern musste.
Mittwoch 3. November A. D. 1400
Da
die Lebensmittelvorräte immer knapper wurden, wusste ich, dass ich einen
geheimen Vorrat anlegen musste, falls es zum Äußersten kam. Für mich gab es
hierfür keinen passenderen Ort, als den verfluchten Schuppen. Nachdem sich
Bruder Nathan dort erhängt hatte, hatte ich Norwind gefragt, warum wir den
Schuppen nicht einfach abrissen. Er hatte mir daraufhin gesagt, dass Vater
Warren ihm gesagt habe, er wolle den Schuppen als eine Art grimmige Mahnung
für…was auch immer stehen lassen. Tut mir Leid, mein Gedächtnis ist nicht
mehr das Beste.
An
was ich mich jedoch sehr gut erinnern kann ist das, was ich darin vorfand. Als
ich dem Schuppen näher kam, sah ich, dass Licht in ihm brannte. Ich hielt
sofort an, ehe ich mich vorsichtig dem Gebäude näherte. Weiter und weiter in
dessen Bereich kommend, hörte ich schließlich ein…lustvolles Stöhnen! Ich
hörte dem Treiben kurz zu und nahm an, dass ich auf ein von der Lust und
Leidenschaft ergriffenes Liebespaar gestoßen war. Doch je länger ich dem
lauschte, desto mehr hörte ich eine bekannte Stimme heraus. Bruder Callum?!
Leise schlich ich um den Schuppen herum und suchte nach einem Spalt oder einem
Loch in der Wand um zu sehen, ob mich meine Ohren wirklich nicht betrogen
hatten. Es dauerte nicht lange, ehe ich einen Spalt fand, welcher weit genug
war, um durch ihn durchzusehen. Tatsächlich: es handelte sich dabei wirklich um
den zuvor erwähnten Bruder, zusammen mit Christina Myrtle, des Schmieds
Tochter. Sie war der Grund gewesen, weswegen er unserem Orden beigetreten war,
da ihr Vater deren potenzielle Verbindung nicht guthieß.
Ich
versuchte, so leise wie möglich zu sein, während ich ihnen im Flackern der
Kerzen zusah, welche sie überall im Schuppen verteilt hatten. Nackt, stöhnend
vor Leidenschaft, sich ihren fleischlichen Gelüsten hingebend, zwischen
allerlei unheiligen und – ich wage es zu sagen – gotteslästerlichen Positionen
wechselnd. Ihre Haut war mit dem Schweiß ihrer sich windenden Körper bedeckt,
die Luft war geschwängert vom Atem ihrer Lust, als sie sich einander hingaben.
Tief in mir verspürte ich den Drang, die Tür des Schuppens aufzureißen, ihnen
den Zorn Gottes zuteilwerden zu lassen und Bruder Callum an sein
Keuschheitsgelübde zu erinnern, welches er gebrochen hatte! Doch erinnerte ich
mich an eine Passage im Buch in der Kapelle, welches über den moralischen
Verfall während der Pestjahre berichtete, als anderweitig anständige Bürger
sich allen Arten der Verderbtheit und Unzucht hingaben. Offensichtlich geschah
dies nun auch in Muntun!
Doch
dann erinnerte ich mich an die Worte Bruder Aldens, welcher annahm, dass die
Dunkelheit eine Metapher für die wütende See in Markus, Kapitel vier war und
dass Gott unsere Gelassenheit auf die Probe stellte. Dass wir uns in Geduld
üben sollten und somit erlöst werden würden, sobald die Dunkelheit wieder
verschwand. Für mich ergaben die Worte des weisen Bruders Sinn und daher
drückte ich eine Auge im Angesicht dieser Verfehlung vor mir zu und schlich
wieder in Richtung Abtei.
Freitag 5. November A. D. 1400
Blut,
brennendes Fleisch, Buße und tiefe Gläubigkeit wären die Worte, welche ich
selbst jetzt wählen würde, um die folgenden drei Tage zu beschreiben. Es
geschah gegen ein Uhr mittags, als ein Kind durch die Straßen und de Dunkelheit
Muntuns rannte und rief: „Die Millers sind zurück! Die Millers sind zurück!“
Nach der Zerstörung ihres Heims vor zwei Wochen, hatten sie zunächst Zuflucht
in Jacobs Bruders Haus gefunden, ehe sie von heute auf Morgen verschwanden.
Natürlich war man froh gewesen, sie wieder zu sehen, als man die Nachricht
vernahm – was sich jedoch änderte, als man sah, wie sie wiederkamen! Sie wurden von ihrer Tochter Catherine und
Alberts Witwe Barbara begleitet. Ihr Haar war ungewaschen und klobig, ihre Haut
war mit einer dreckigen Mischung aus Asche, verkrustetem Blut und Schweiß
bedeckt. Dies traf ebenfalls auf die Lumpen zu, welche sie anhatten und deren
Hinterseite nun vollständig in Stücke gerissen worden war. Der Rücken eines
jeden einzelnen von ihnen war durch tiefe, rote, blutende Striemen entstellt,
welche von den Peitschen stammten, welche jeder von ihnen in der Hand hielt.
Wie
verhext liefen die Vier durch die Straßen Muntuns, sangen und beteten während
sie liefen. Nachdem sie alle dreißig Schritte gelaufen waren, hielten sie an,
woraufhin einer von ihnen kniete, während die Anderen sich mit ausgestreckten
Armen auf den Boden legten. Die kniende Person sprach dann das Vaterunser oder
ein anderes Gebet und geißelte sich nach jedem Satz oder jeden zweiten. Dies
wiederholte sich, bis der Zug, welcher von Mennith aus gestartet war, die
Kirche erreichte. Dort sah jeder zu, wie Vater Warren mit einem Ausdruck von
Wut und Verwirrung unter dem bunten Relief stand und zusah, wie Jacob und
Catherine sich wortlos vor ihm positionierten. Aufgrund der Dunkelheit konnten
wir nicht sehen, was Jacob in seiner anderen Hand hielt, doch würden wir es
bald herausfinden. Vater Warren lief auf Catherine zu und wollte etwas zu ihr
sagen, als sie sich urplötzlich und ohne Vorwarnung ihr lumpiges Kleid vom Leib
riss.
Nackt
und völlig entblößt stand sie vor ihm und sah direkt in seine weit
aufgerissenen Augen. Im fahlen Licht der Fackeln sahen wir, wie Jacob etwas in
eine von ihnen hielt, ehe er es auf den Rücken seiner Tochter drückte. Die ließ
sie voller Qual und Schmerzen aufschreien, ehe sie mit einem schmerzverzerrten
Schrei rief: „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade! Du bist gebenedeit
unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus! Heilige
Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres
Todes!“ Der Geruch, der mit dieser Tat einherging, ist einer, den man nicht so
schnell vergisst und einer, welchen wir mehr als nur einmal in diesem Ort
gerochen hatten – der Duft von brennendem, menschlichem Fleisch! Es war erst nach
diesen Ereignissen, dass ich vollends begriffen hatte, was geschehen war. Jacob
Miller hatte eine der Formen, mit denen er normalerweise Kreuze auf Brote zu
Ostern drückte, heiß gemacht, und sie auf den Rücken seiner Tochter gepresst!
Woher er die Form hatte, kann ich nur vermuten. Entweder hatte er sie vor den
Flammen gerettet, oder sie waren eines der wenigen Dinge gewesen, welche die
Flammen überstanden hatten.
Im
Schein der Fackeln sah man, wie sich das Gesicht Vater Warrens zu einem des
wahrhaften Schreckens wandelte, als sich der Rauch des brutzelnden Fleisches
seinen Weg in dessen Nasenlöcher bahnte. Für mich war es nun kein Geheimnis
mehr, dass er von dem Buch in der Kapelle und von den darin beschriebenen
Flagellanten wusste – doch diese, extreme Form der Buße, kam in dessen Texten
nicht vor! Um ehrlich zu sein, hatte ich zu diesem Zeitpunkt damit gerechnet,
dass Vater Warren sie alle an Ort und Stelle festnahm, doch geschah nichts
dergleichen. Stattdessen verhüllte sich Catherine Miller wieder so gut es ging,
ehe der Zug sich auf die gleiche Art und Weise zurück nach Mennith begab, wie
er gekommen war.
Samstag 6. November A. D. 1400
Waren
wir tags zuvor davon ausgegangen, es hatte sich hierbei um ein einmaliges
Ereignis gehandelt, wurden wir an diesem Tag eines Besseren belehrt. So wie sie
es bereits zur Mittagsstunde des vorherigen Tages taten, zogen die Millers und
die Witwe Cutter in Muntun ein. Doch anders als zuvor, hatten sich zwei Dinge
verändert. Zum einen trug Mr. Miller nun ein großes Kreuz mit sich herum – und
ihnen Gesellschaft leistete niemand anderes als als Madame Witherton! Als die
Fünf Muntun erreichten, sah ich Sheriff Witherton und seinem schockierten Blick
nach zu urteilen, konnte ich erkennen, dass er von all dem absolut nichts
gewusst hatte! Das Dorf sah zu, als der Zug die ausgebrannte Ruine dessen
erreichte, was einst ein wunderschönes, zweistöckiges Haus gewesen war, von
welchen nun lediglich die Steinmauern noch standen. Wir sahen alle von Furcht
ergriffen zu, wie Jacob das Kreuz niederlegte, sich auf es darauflegte…und
sich selbst von seiner Frau und Tochter darauf kreuzigen ließ! Seine
Schmerzensschreie hallten durch die ausgebrannten Wände, als die Nägel durch
seine Hände und Füße getrieben wurden. Daraufhin hoben seine Frau, Catherine
und Madame Witherton das Kreuz auf und lehnten es gegen eine der schwarzen
Wände. Dazu muss gesagt werden, dass Jacob ein recht schlanker Mann gewesen war
und die Drei daher wenig Kraft dazu gebraucht hatten. Sein Blut tropfte als er
dort hing, während die anderen Vier einen Halbkreis um ihn bildeten und
beteten, wobei seine Frau und seine Tochter jeweils zu seiner Linken und
Rechten knieten. Natürlich dauerte es nicht lange, ehe Vater Warren und sogar
Lord Mallory sich am Ort des Geschehens einfanden und wie alle anderen, völlig
Wortlos und staunend auf das blickten, was gerade passiert war.
Tatsächlich
war Erstaunen die vorherrschenden Stimmung gewesen, welche diesem Ereignis
folgte. Als ich mit meinen Brüdern nach dem Gebet darüber sprach, waren sie
alle von der Darbietung tiefer Hingabe und Frömmigkeit im Angesicht solch
düsterer Zeiten erstaunt gewesen. Bruder Alden hatte angemerkt, dass er selbst
nie den Mut zu einer derartigen Tat hätte aufbringen können und Bruder Callum
hatte mich sogar angefleht, ihm zu gestatten, dem Zug beizutreten, sollten die
Fünf damit weitermachen. Und wenn man seinen heimlichen Fehltritt bedachte,
wäre eine derartige Zurschaustellung von Demut und Frömmigkeit sicherlich Buße
genug gewesen. Oh, wie naiv seine Bitte rückblickend gewesen war!
Sonntag 7. November A. D. 1400
Ich
hatte beinahe schon damit gerechnet, dass es so enden würde, doch war selbst ich zutiefst schockiert darüber gewesen,
wie weit Vater Warren bereit zu gehen gewesen war! Um etwa sieben Uhr des
nächsten Morgens hatte Vater Warren die Millers, die Witwe Cutter und sogar
Mrs. Witherton verhaften lassen. Sein Grund hierfür war, natürlich, Ketzerei
gewesen; allerdings war selbst ich dem bezüglich skeptisch. Hätte man dies bei
Agatha noch annahmen können, so traf dies auf diese Fünf jedoch nicht zu.
Für
mich schien es her so, als ob der gute Vater etwas paranoid geworden war,
nachdem er von meiner Entdeckung des Buches erfahren hatte. Er war wohl davon
ausgegangen, dass die Millers ebenfalls auf es und die Pillen gestoßen waren
und wollte nun vorsichtshalber gegen jeden vorgehen, von dem er dies vermutete.
Ich persönlich glaube jedoch, dass das Buch damit nichts zu tun hatte. Meiner
bescheidenen Meinung nach hatten die Millers nur etwas für sich entdeckt, das
bereits in der Bibel stand, nämlich die Geißelung Christi, und daraus ihre
eigene Version gebastelt. Doch ich bin kein Inquisitor und kann daher nichts
von all dem mit Gewissheit beantworten.
Was
ich allerdings sagen kann, ist, dass Vater Warren bei ihrer peinlichen
Befragung nicht zimperlich vorgegangen war. Den ganzen Tag über, hörte man
Schmerzensschreie, Schreie der Qual und unverständliches Gestammel aus
Withertons Zelle kommen. Erst gegen Nachmittag, als die Scheiterhaufen schon
errichtet worden waren, sahen wir das Ergebnis seiner Befragung. Jacob Miller
hatte man geblendet, seiner Frau die Nase abgeschnitten. Catherine Miller hatte
man die Daumen abgeschnitten und ich werde mich hüten, über den scharlachroten
Fleck in ihrer Beckenregion zu spekulieren! Witwe Cutter hatte man die Ohren
abgeschnitten und Madame Withertons Knie waren zertrümmert worden, da sie an den
Ort ihrer Hinrichtung getragen werden musste. Es war glasklar, dass niemand im
Ort mit dem, was hier vor sich ging, einverstanden gewesen war und niemand
hätte je damit gerechnet, dass Vater Warren Mary-Annes Hinrichtung wirklich
durchführen würde! Da sie des Sheriffs Weib gewesen war, hatte ich ebenfalls
angenommen, dass sie eine vergleichsweise milde Strafe erwarten würde.
Vielleicht eine saftiges Bußgeld oder einen ähnlichen Bußzug, wie ich ihn
auferlegt bekommen hatte. Selbst Witherton konnte nicht glauben, was hier vor
sich ging und wagte es, Vater Warren diesbezüglich zur Rede zu stellen.
„Bitte!“ flehte er und seine Worte, wie auch der Rest der folgenden
Konversation, waren laut genug gewesen, damit es alle hören konnten: „Tu ihr
das nicht an! Nicht Mary-Anne! Nicht meiner Frau!“
„Tretet
zur Seite, Witherton!“ gab der Vater mit autoritärem Ton zurück: „Tretet zur
Seite und lasst mich diese Sünder bestrafen, so wie ihr Euer Weib hättet
bestrafen sollen! Und wie Ihr es während der ganzen peinlichen Befragung nicht
konntet!“ Witherton schwieg, trat zur Seite wie befohlen, und ließ den Vater
mit der Hinrichtung weitermachen. Da es keinen Wind gab, dauerte es eine Weile,
ehe die Flammen zu züngeln begannen, woraufhin mich der Vater zu seiner Seite
zitierte. Ich zögerte zunächst, lief dann jedoch zu ihm und stand an seiner
Seite. Als ich den Fünf beim Brennen zusah und erneut den Geruch von
brennendem, menschlichem Fleisch in meine Nase aufnahm, fasste ich den Mut, den
Vater bezüglich der harten Bestrafung sowohl Albert Cutters, wie auch die der
Fünf auf den Scheiterhaufen zu fragen. Darüber, wie deren Bestrafung so ganz
ungleich im Maße zu dem stand, was mir auferlegt worden war. „Bildet Euch
hierbei bloß nichts ein,“ erwiderte Vater Warren, weder meine Frage
beantwortend, noch mich beim Sprechen ansehend: „Es war nicht Mitleid, dass
meine Hand an diesem Tag im Zaum gehalten hatte. Wäre es nach mir gegangen,
dann wäret Ihr verbrannt worden!“ Er hielt in seinen Worten an, damit
ich sie mir gut merken konnte, ehe er weitersprach und dabei ohne Rührung im
Gesicht weiterhin auf die brennenden Scheiterhaufen starrte: „Diesbezüglich
könnt Ihr Lady Mallory Euren Dank aussprechen. Genau genommen hatte sie ein
Angebot gemacht, welches ich an Euch weiterleiten sollte.“
„Ein
Angebot, Vater?“
„Da
wir jetzt ein Mitglied weniger haben, meinte sie, dass Ihr heute um Mitternacht
zur Kirche kommen solltet, wenn Ihr die Wahrheit erfahren wollt. Normalerweise
und laut den Anordnungen des…Königs, ist die Abtei als Sperrgebiet zu
betrachten. Meiner Meinung nach, und vor allem die jüngsten Ereignisse
betrachtend, muss es das nicht sein.“ Wahrheit? Von welcher Wahrheit sprach er?
Was war so wichtig, dass Lady Mallory mich wissen lassen wollte und der Vater
mir so kryptisch übermittelte? Ich hatte so viele Fragen, konnte allerdings ein
einfaches ‚Ich werde um Leitung beten‘ herausbringen, während ich erneut in des
Vaters ausdrucksloses Gesicht blickte. „Betet nicht allzu lange,“ erwiderte
Vater Warren: „Ihr wisst genau, was unser Herr diesbezüglich sagt.“
„Und
ihr werdet die Wahrheit erkennen“, zitierte ich, während Vater Warren beinahe
unterschwellig auf die fünf Brennenden zeigte und sprach: „Und die Wahrheit
wird euch befreien – auf welche Art es dem Herrn deucht!“
* *
Meine
Unterredung mit dem Vater außen vorlassend, gab es keinen zweifel daran, dass
die Leute ihn ab diesem Zeitpunkt sowohl in Frage stellten, als sich auch vor
ihm fürchteten. Nicht nur die Leute im Dorf, sondern auch innerhalb der
Abteimauern. Später an diesem Abend hatte Bruder Dennis nach der Beichte
verlangt, allerdings wurde es schnell klar, dass er nicht gekommen war, um
seine Sünden zu gestehen: „Vater Warren ist wahnsinnig geworden! Um Gottes
Willen, Madame Witherton!“
„Das
Ganze kam…unerwartet, sicherlich,“ versuchte ich, ruhig zu bleiben, doch er
fuhr fort: „Als ob es nicht ausgereicht hatte, sie zu verbrennen – nicht einmal
die letzte Begnadigung hat er ihnen gewährt!“ Das war mir damals nicht
aufgefallen, doch jetzt, da er es erwähnte, fiel es mir ebenfalls ein. „Was
wollt Ihr damit sagen? Wollt Ihr etwa andeuten, der gute Vater habe den
Verstand verloren?!“
„Nein!“
kam es aus Bruder Dennis geschossen: „Ich sage, der Teufel geht um in Muntun! Und er hat von Vater Warren Besitz
ergriffen!“ Konnte dies wahr sein? Wenn man sich die jüngsten Ereignisse und
des Vaters kryptische Versuchung einer unbestimmten Wahrheit in Gedächtnis
rief, schien es plausibel. Nichtsdestotrotz musste ich den Bruder beruhigen und
für dessen Sicherheit garantieren. „Das ist eine sehr schwere Anschuldigung,
mein Sohn!“ beschwor ich ihn durch die Trennung des Beichtstuhls hindurch: „Und
wenn Euch Euer Leben lieb ist, dann verliert Ihr darüber kein weiteres Wort
mehr – vor allem nicht außerhalb unserer Mauern!“
„Aber
sie waren unschuldig! Seit wann werden Frömmigkeit und Liebe zum Herrn in
Muntun bestraft?!“
„Schweigt!“
rief ich laut, insgeheim hoffend, dass man uns von draußen nicht gehört hatte.
Ich wusste, dass ich dem Ganzen ein Ende setzen musste, ehe der gute Bruder
etwas Unüberlegtes und Törichtes anrichtete! Ich zog daher eine dreckiges
kleine List zu Rate, in der Hoffnung, diese Diskussion endlich beenden zu
können. „Dann waren sie eben unschuldig, na und?“ fragte ich und gab daraufhin
an: „Es wäre mir ein Festtag, hundert Unschuldige beim Brennen
zuzusehen, als dass auch nur ein Sünder seiner gerechten Strafe entkommt!“
Voller Entsetzen sah mich Bruder Dennis an und konnte scheinbar nicht fassen,
was er da gerade hörte. Ich wusste, dass ich meine Worte ‚belegen‘ musste und
meinte daher: „Denn es ist besser, als Krüppel oder Lahmer ins Himmelreich
aufzufahren, als intakt zu sein und ins ewige Feuer geworfen zu werden. Und
damit hat sich der Fall erledigt!“
Sicher,
das Zitat war nicht Wort für Wort der Bibel treu gewesen, doch es erfüllte
dennoch seinen Zweck. Und obgleich ich mich für die ausgesprochen Worte im
vollem Umfang verbürge, mochten Bruder Dennis‘ Anschuldigungen stimmen; mochten
falsch sein. Ganz gleich, was zutraf, so wollte ich bezüglich des guten Vaters
kein Risiko eingehen und blies die Kerze auf meinem Nachttisch daher eine
viertel Stunde vor Mitternacht aus und ging zu Bett.
Dienstag 9. November A. D. 1400
Einen
Monat war es nun her, seitdem die Dunkelheit über uns hereingebrochen war und
der Großteil des gehorteten Essens war verzehrt. Und wenn man nichts mehr zu
essen hat, greift man auf drastischere Maßnahmen zurück. Der siebte November
war der Tag, an welchem Vater Warren veranlasste, alle verbleibende Essensreste
und Kerzen zu horten. Laut ihm brauchten wir Männer Gottes es dringlicher als
die Allgemeinbevölkerung und mit Rückblick auf die jüngsten Ereignisse, folgte
und gehorchte ich ihm ohne Widerworte. Allerdings verwunderte es mich, dass er
über meine Abwesenheit in dieser bestimmten Mitternacht kein Wort verlor.
Der
achte November war der Tag, an welchem die Leute im Dorf dazu übergingen, alle
verbleibenden Pferde zu schlachten. Nicht nur sie, sondern auch wir mussten
dieses Opfer bringen und uns von Bileam verabschieden. Verabschieden von
unserem treuen Esel, welcher mich damals bei meinem ersten Besuch des Hügels
begleitete. Aber das sind die Opfer, welche man erbringen muss, wenn man seine
Haustiere geschlachtet hat, wenn Kinder Sägemehl essen und der knurrende Magen
deiner Brüder öfter zu hören ist, als deren Stimme! Zusätzlich zu den
schwindenden und fragwürdigen Nahrungsquellen war da noch die Kälte.
Glücklicherweise schützte unsere dichte Ordenstracht uns einigermaßen davor,
allerdings kam uns zu Ohren, dass ein oder zwei Leute im Dorf erfroren waren.
Leider gehören die Wälder rund um Muntun seiner Lordschaft und da er nach
Alberts Tod keinen neuen Holzfäller ausgerufen hatte, gibt es kein Feuerholz
mehr. Nur er durfte sich von seiner Lordschaft nehmen, um das Dorf zu
beliefern. Nur er hätte die Menschen von Muntun vor dem Erfrieren retten
können.
Dies
trifft außerdem auch auf das Wild in diesen Wäldern zu. Gab es genug davon, um
den Ort und seine Bewohner mit dem Nötigsten versorgen zu können? Daran hegte
ich keinerlei Zweifel. Ohne die Einwilligung Lord Mallorys zu jagen, war
allerdings ein Vergehen an seiner Lordschaft und an Gott, von welchem er dieses
Recht erhalten hatte. Daher blieb uns nichts anderes übrig, als zu beten.
Beten, hoffen und hungern. Eine derartige Existenz war ein guter Nährboden für
dunkle Gedanken und Wünsche. Dunkle Gedanken und Wünsche, wie etwa auf ein
weiteres Autodafé zu hoffen, dessen Holz aus dem Privatvorrat seiner Lordschaft
stammt. Eine weitere Verbrennung vermutlich Unschuldiger, nur um erneut die
Wärme und Behaglichkeit eines Feuers auf der Haut spüren zu können.
Montag 15. November A. D. 1400
Gab
es jemals einen Moment vollkommener Hoffnungslosigkeit, dann war es dieser Tag.
Der fünfzehnte November markiert den Tag, an dem das allerletzte Essbare
verzehrt, das allerletzte Pferd geschlachtet und alle Kerzen gehortet und
weggesperrt worden waren. Doch trotz aller Hoffnungslosigkeit war mein Geist
immer noch so wach, wie er es unter diesen Umständen sein konnte. Was ich mich,
vor allem an diesem Tag, schon immer gefragt hatte, war, warum wir
nichts von der Welt außerhalb gehört hatten? Sicherlich war Muntun nicht der
einzige Ort auf der Welt und dennoch hatten wir von außerhalb niemanden zu
Gesicht bekommen. Vor allem in solchen Zeiten würde man doch mit marodierenden
Banden, irgendwelchen Scharlatanen oder verzweifelten Menschen rechnen. Und was
war mit dem König? Sicherlich hatte er doch bereits irgendwelche
Rettungsmaßnamen veranlasst, oder nicht? Anscheinend nicht und anscheinend
waren wir wirklich und wahrhaftig auf uns allein gestellt. Daher gedachte ich,
die Abtei und das Dorf zu verlassen und gen Morgen Hilfe zu suchen.
Morgen.
Ich war ehrlich gesagt überrascht, dass ich diese Worte immer noch benutzt
hatte. Immerhin hatten wir zu diesem Zeitpunkt bereits einen Monat in vollkommener
Finsternis gelebt, in der nur der Klang der Kirchenglocken, sowie die
Kirchturmuhr, uns irgendein Zeitgefühl vermittelte. Ich hatte in dem Schuppen,
in dem ich Bruder Callums Vergehen beobachtet hatte, ein bisschen Proviant
verstaut und wollte es holen, ehe ich aufbrach. Oh, wie naive ich gewesen war
zu denken, dass niemand mir folgen würde. „Abt Clemens, was macht Ihr da?“ kam
es hinter mir, als ich den Proviant holen wollte. Es war Bruder Callum, welcher
mir mit einer Laterne heimlich gefolgt war. Aufstehend, erörterte ich meine
Bedenken bezüglich irgendwelcher Hilfe, welche ich zuvor niedergeschrieben
hatte. „Nein, Ihr könnt nicht gehen“, versucht er mich zu beschwichtigen:
„Zuerst haben wir Norwind verloren und jetzt wollt Ihr uns auch verlassen? Das
werde ich nicht zulassen!“
„Jetzt
hör gut zu, mein Junge,“ sprach ich in einem strengen Ton und lief drohend auf
ihn zu: „Ich verstehe, dass deine Absichten ehrenhaft sind. Aber das ist etwas,
das ich machen muss, verstanden?!“
„Nein!“
rief er und verwehrte mir den Durchgang, indem er seine Arme ausbreitete: „Ich
werde Euch nicht gehen lassen! Meine Entschlossenheit ist so fest, wie mein
Glaube!“ Ich war frustriert und wütend. Da ich wusste, dass dieser bockige,
junge Mann alles tun würde, um zu verhindern, dass ich diesen Schuppen verließ,
musste ich mir etwas überlegen. Und mir fiel eine List ein, welche eher zu
Ehren eines Scharlatans, als einem Mann Gottes gereichte! Allerdings war es die
einzige Möglichkeit, ihn zum Gehen zu überreden. Lächelnd gab ich zurück: „Das
bezweifle ich doch sehr. Wirklich, wirklich sehr.“ Zunächst wirkte er perplex,
doch ich nickte, sobald sein Gesicht zu einem Ausdruck des Entsetzens und der Fassungslosigkeit
wechselte. „Ja, genau. Ich weiß, was du mit Christina innerhalb dieser vier
Wände getrieben hast! Und als Abt wäre es meine Pflicht und Schuldigkeit, dich
dafür aus dem Orden zu werfen!“ Ich ließ meine Drohung auf ihn wirken und
nachdem Bruder Callum dem nichts entgegenzusetzen hatte, machte ich ihm mein
kleines, dreckiges Angebot: „Trotzt alledem, bin ich gewillt, dir dieses eine
Mal zu vergeben. Das heißt, sofern du beiseitetrittst und mich gewähren lässt!“
Bruder Callum ergriff den Türrahmen mit aller Kraft und rief voller
Entschlossenheit: „Ich weiß, dass ich mein Gelübde gebrochen und im Angesicht
des Herrn gesündigt habe! Werft mich aus dem Orden, geißelt mich, verbrennt
mich, es ist egal! Das habe ich verdient! Aber die anderen Brüder haben es
nicht verdient, dass ein weiterer Abt sie im Stich lässt! Sie brauchen ein
führendes Licht in dieser Dunkelheit, sie brauchen Euren Schutz!“
Unter
anderen Umständen wäre ich von der Demut des jungen Bruders und dessen Willen, sich
selbst für das wohl seiner Brüder zu opfern, tief berührt gewesen. Doch nachdem
der einzige Streich, den ich zu führen wusste, fehlgeschlagen war. Nachdem
meine einzige Gelegenheit, von hier wegzukommen und Hilfe zu holen, von einem
bockigen Jungen vereitelt worden war, der nicht auf seinen Ältesten hören wollte,
empfand ich nichts als Wut! Ich sah in sein entschlossenes Gesicht und meine
rechte Hand ballte sich zur Faust. Und dann ergriff der Teufel von mir Besitz!
Mit einem schnellen Schritt warf ich mich auf Bruder Callum, zog ihn hinein und
warf ihn zu Boden! Callum war schon immer eher ein Bücherwurm, als ein
Holzfäller oder Bauer gewesen, von einer eher schlanken statt einschüchternden
Statur. Daher war es ein Leichtes für mich, ihn nach einigen Minuten des
Kämpfens umzudrehen und mich auf seinen Bauch zu setzen. Meine Faust traf ihn
einmal; zweimal; dreimal! Auf ihm ruhend, sah ich in sein verunstaltetes
Gesicht, seine blau geschlagenen Augen und seine Prellungen. Ich musste hier
weg; ich musste Andere finden! Daher umschloss ich wutentbrannt seinen Hals und
drückte zu, bis dem Bruder der Odem des Lebens verließ!
* *
Selbst
jetzt, mehrere Stunden danach, fühle ich immer noch, wie mir ein kalter Schauer
über den Rücken läuft, wenn ich mich erinnere, wie ich aufstand und mein…Werk
betrachtete. Mich überkam die Angst. Was hatte ich getan?! Ich hob die Lampe,
welche der nun tote Bruder mit sich geführt hatte, auf, fand meinen Proviant
und rannte so schnell ich konnte mit diesem aus dem Schuppen. Was auch immer
zwischen allen und mir geschehen war, ich wusste nur eines: ich war ein toter
Mann! Das konnte nicht logisch erklärt werden. Konnte nicht rückgängig gemacht
werden, und vor allem: konnte nicht entschuldigt werden! Das einzige, was ich
tun konnte, war laufen! Wegzulaufen und etwas Zeit schinden, ehe ich gefasst
werden würde! Zeit zu schinden, um den Allmächtigen um Vergebung zu bitten und
meine unsterbliche Seele zu retten!
Und
so rannte ich in die Wildnis! Fort von den Feldern, dem Dorf und der Abtei. Ich
rannte durch Gras, über Hügel, in den Wald und über Lichtungen, mehrere Male
fallend und stolpernd. Dies wiederholte sich zahlreiche Male, ehe ich…ehe ich
ein schwaches Licht in der Dunkelheit sah! Voller Neugier und Hoffnung
ergriffen, raste ich auf es zu und starrte wie gebannt darauf, sobald ich mein
Ziel erreicht hatte. Dort, in der Schwärze, schien ein Licht vom Himmel auf den
Boden: rechteckig und so hell leuchtend, dass es mich erblindete, als ich zu
ihm aufsah. Dessen rechteckige Form erinnerte mich sofort an die himmlischen
Fenster, wie sie Genesis, Kapitel sieben beschrieben werden. Als ich in das
Licht trat, spürte ich die Wärme und wie sie im krassen Gegenteil zu der Kälte
um sie herum stand. Ich fiel auf meine Knie, flehte den Herrn um Vergebung an.
Vergebung für das Dorf, Vergebung für Vater Warren, für Albert Cutter, die
Millers, für Bruder Callum – und Vergebung im Ansicht meiner eigenen Sünde, die
ich gegen ihn beging. Ich betete und weinte. Perlen salziger Tränen liefen
meine Wangen hinab, bis ich zusammenbrach, mich im Zentrum des Rechtecks
einigelte und mich in den Schlaf heulte.
Ohne
das Läuten der Kirchenglocken und der Kirchturmuhr hatte ich keine Ahnung
gehabt, wie lange ich eigentlich geschlafen hatte. Ich wachte auf und fühlte
die Kälte wieder, ehe ich bemerkte, dass…das Rechteck sich bewegt hatte!
Alles was ich sehen konnte, war ein fahler Lichtstrahl der vom Firmament in die
Dunkelheit führte. Neugierig folgte ich dem Strahl, ohne zu wissen, wo er mich
hinführen würde. Ich wanderte über Stock und Stein, ehe ich das Rechteck
erreichte, welches an einer Tür ‚aufgerichtet‘ war – einer Tür mit einem mattem
Schild darüber, auf dem EXIT stand! Mittlerweile weiß ich, was diese Tür ist,
doch zu dieser Zeit schien es mir ein Zeichen Gottes zu sein. Er wollte, dass
ich durch sie hindurchtrat. Doch als ich den Griff betätigte, bewegte sich
dieser kein Stück. Auch die Tür bewegte sich keinen Deut, ganz gleich, wie fest
ich Tür und Griff bewegte.
Wieder
fühlte ich, wie die Wut in mir anstieg. Hatte Gott sich hier einen Scherz
erlaubt?! Wenn ja, dann war er nicht
witzig! Ich war so weit gekommen, nur um festzustellen, dass alles umsonst
gewesen war! Mehre Male trat ich schreiend gegen die Tür und die Wand daneben,
ohne eine nennenswerte Veränderung an der Tür herbeizuführen. Als sich jedoch
gegen die Wand trat, löste sich eine Platte oder Kachel, woraufhin
Lichtstrahlen durch das von mir verursachte Loch schienen. Lichtstrahlen,
welche ebenfalls ein rechteckiges Gebilde auf dem Boden erschufen! Verwirrt
starrte ich auf das Licht unter mir, dann auf den Himmel über mir. Was ging
hier vor? Ich wollte es herausfinden – musste es herausfinden! Gespannt
langte ich nach einer der danebenliegenden Kacheln um eine herausziehen, zog
meine Hand aber schnell zurück. Eine Seite der Kachel, sowie der Raum jenseits
der Wand, waren warm – nein, heiß sogar! War dies…die Hölle, welche mich
jenseits der gekachelten Wand erwartete? Oder das Fegefeuer? Jetzt weiß ich es,
doch damals dachte ich mir, was auch immer es von den beiden war, es verdiente,
nachdem, was ich getan hatte. Daher trat ich mehr von diesen Kacheln aus der
Wand um durchzupassen und sah meinem feurigen Schicksal entgegen.
* *
Vegetation.
Vegetation war alles, was mich auf der anderen Seite erwartet hatte! Es war
Sommer! Doch anders als jeder, den ich je erlebt hatte! Muntun zu dieser
Jahreszeit konnte man getrost als erweiterten Frühling bezeichnen – nur, dass
eben alles aufgeblüht war. Unvorhersehbares Wetter und kaum ein sonniger Tag.
Der Sommer außerhalb der Wände war jedoch etwas vollkommen Anderes!Man konnte
das Zwitschern der Vögel in der Ferne vernehmen, eine leichte Brise wehte,
welche saftige, grüne Blätter ab und an rascheln ließ. Eine von Menschen erschaffene
Szenerie breitete sich vor mir aus, als ich mich umsah. Ein rostiger Zaun,
überwucherte Wege, wild wucherndes Gras und eine einsame Bank zu meiner Linken.
Ich fragte mich, wo ich gelandet war, ehe ich mich umdrehte und mit Staunen,
Verwirrung und Unglauben auf die äußere Wand einer scheinbar gigantischen
Anlage starrte! Neben der verschlossenen Tür stand eine große Metallkiste an
zwei Metallrohren befestigt. Auf ihr war eine Flamme abgebildet, doch da ich
nicht wusste, was es bedeutete oder wozu sie diente, ignorierte ich sie fürs
Erste. Stattdessen gingen mir tausend und eine Frage durch den Kopf. Wer hatte
dies erbaut? Wozu? Wann? Warum hatte man uns darin eingesperrt? Wussten Vater
Warren und Lord Mallory davon?
Ich
fragte mich so viele Dinge, dass ich ein hölzernes Schild mit zwei Sätzen
darauf vollkommen außer Acht gelassen hatte. Einer der Sätze schien auf
Englisch zu sein, doch in einem Englisch, dessen ich nicht mächtig war. Der
Satz darunter war auf Latein und lautete: CAVE! MORBVS FVNGINVS INTVS! NON
INTRARE! Pilzinfektion? Wovon sprach das Schild nur? Meine erste Vermutung war,
dass es sich hierbei auf die Pest bezog. Doch das Schild war zu viel neu, als
dass es fünfzig Jahre alt sein konnte. Und was war diese…Infektion? Zu jener
Zeit wusste ich es nicht besser und hatte angenommen, dass die Dunkelheit diese Infektion gewesen sei! Ich erinnere mich noch gut
daran, wie mich die Furcht ergriff, als ich mir vorstellte, dass meine Brüder,
die Menschen aus dem Dorf und ich mit einer fürchterlichen Krankheit angesteckt
worden waren! Einer Krankheit, welche in Ausmaß und Tragweite der Pest alle
Ehre machen würde! Ich entsinne mich, wie ich auf der Suche nach Antworten
ziellos umherlief – was ich bekam, waren jedoch nur noch mehr Fragen. Während
ich umherstreifte um einen Sinn hinter all dem zu ergründen, stieß ich
schließlich auf eine weitere, von Moos befallene Bank, im Schatten eines
Ahornbaums stehend. Ob es die liebliche Szenerie war, oder einfach nur Müde nach
allem war, das ich durchgemacht hatte; ganz gleich fühlte es sich für mich an,
als wollte die Bank mich einladen, auf ihr einen langen, geruhsamen Schlaf zu
verbringen. Daher legte ich mich auf das sanfte, grüne, saftige Moos, legte
mein Brustkreuz ab und schloss langsam die Augen.
* *
Als
ich wieder aufwachte, stellte ich fest, dass ich einigen Stunden geschlafen
hatte, da die Sonne langsam unterging. Ich rieb meine Augen und mir wurde klar,
dass ich meinen Brüdern, wie auch dem ganzen Ort, von meiner Entdeckung
berichten musste! Da Muntun offensichtlich innerhalb einer Einfriedung befand,
wusste ich, dass ich es trotz der Dunkelheit letztendlich finden würde. Ich
wollte mir allerdings kein Bein oder etwas Anderes auf den Weg dorthin brechen,
jedoch war die Kerze der Lampe schon lange erloschen. Dann erinnerte ich mich
an den Kasten mit dem Flammensymbol.
Es
dauerte eine Weile, ehe ich es schaffte, den Kasten aufzumachen, ehe ich ihn
wiederfand. Um das Schloss aufzubrechen hatte ich einen Stein benutzt und fand
mehrere bekannte und unbekannte Objekte, nachdem ich den Deckel entfernt hatte.
Zwei der Unbekannten waren eine Lampe ohne Kerze und ein Kästchen gefüllt mit
zahlreichen Holzstöcken, alle mit einer merkwürdigen, roten Knospe an einem
Ende. Diese legte ich beiseite und langte nach der einzelnen Fackel und nach
etwas, das sich als Feuersteine herausstellte. Damit konnte man die Fackel
anzünden und zumindest wusste ich nun, wohin ich treten würde. Vor dem Loch
stehend, welches ich gemacht hatte, atmete ich tief ein. Was würden sie zu
meiner Entdeckung sagen? Hatten sie bereits die Leiche des Bruders gefunden?
Und falls sie es taten – verdächtigten sie mich überhaupt? Immerhin gehörte der
Schuppen nicht zur Abtei und potenziell hätte jeder es tun können. Es gab nur
eine Möglichkeit, dies herauszufinden. Duckend übertrat ich die von mir
gemachte Schwelle und trat wieder in die Dunkelheit hinein. In eine
wortwörtliche, metaphorische – und spirituelle.
* *
Ich
betrat erneut die Anlage und spürte sogleich die Kälte auf meiner Haut. Und,
wie zuvor, stolperte ich durch die Dunkelheit, über Stock und Stein. Stolpernd
ging ich sicher, meine einzige Lichtquelle nicht ausgehen zu lassen und nach
einer gefühlte Ewigkeit erreichte ich schließlich den Ort meiner größten Sünde
– den verfluchten Schuppen. Ich wollte allerdings nicht zurück, um mein Werk zu
betrachten. Ich wollte nicht an meine sündhafte Handlung erinnert werden. Ich
wollte nicht in die kalten, toten Augen des Bruders sehen, welche ich nicht
geschlossen hatte, ehe ich davongerannt war. Stattdessen machte ich mich auf
zur Abtei, wo ich leise umherschlich, um nicht erwischt zu werden. Immerhin
hatte ich keinen Grund anzunehmen, dass sie nicht annahmen, dass ich es getan
hatte. Langsam und leise bewegte ich mich in Richtung der Kapelle, das einzige
Gebäude innerhalb dieser heiligen Insel, in welchem Licht brannte. Als ich dort
ankam sah ich, dass die Tür einen Spalt weit geöffnet war; und da ich schon
immer zu neugierig für mein eigenes Wohl gewesen war, spähte ich hinein.
Dort
waren meine Schäfchen, im Licht der Kerzen rund um den Hochaltar und in
Anwesenheit des Allmächtigen. Wie Kinder wirkten sie, wie Kinder, die schliefen
oder im tiefen Gebet versunken waren. Zu dieser Zeit dachte ich auch, dass dies
der Grund war, weswegen sie nicht auf mein Eindringen oder das Licht meiner
Lampe reagierten. Tatsächlich nahm ein Teil von mir sogar an, dass ihre Gebete
dem ermordeten – oder aus ihrer Sicht, verschwundenen – Bruder galten und ich
hoffte inständig, dass sie die Leiche noch nicht entdeckt hatten. Ich wollte es
auch nicht herausfinden und schlich daher durch das ebenfalls öffnete Tor der
Abtei. Ich musste Vater Warren finden. Ich musste Witherton finden; ich musste
Lord Mallory finden und sie von meiner Entdeckung in Kenntnis setzen! Doch als
ich durch die Straßen Muntuns lief, überkam mich ein ungutes Gefühl.
Sicher,
die Sonne war seit einem Monat verschwunden und alle Kerzen waren entweder von
uns oder Vater Warren konfisziert worden. Daher hatte ich nicht erwartet, in
irgendeinem der Häuser Licht brennen zu sehen – doch hatte ich auch nicht
erwartet, keinen Ton zu hören, während ich mich auf meiner einsamen Reise
befand. Kein Schnarchen, keine Kindergeräusche, kein Dieb, der durch die
Straßen und in der Dunkelheit unterwegs war. „Hallo?!“ rief ich, ehe meine
Worte von der Dunkelheit verschluckt wurden: „Hallo?! Ist hier jemand?! Vater?!
Eure Lordschaft?! Irgendwer?!“ Ich rief mehrere weitere Male, doch blieb alles
still, blieb alles ruhig. Als ich mich fragte, wo alle waren, vernahm ich das
Krächzen eines Raben. Unter normalen Umständen hätte ich mir nichts dabei
gedacht – doch in dieser unbehaglichen Stille und wenn man bedachte, was bisher
alles geschehen war, schien dieser fedrige Teufel wohl eher wie ein Bote
dessen. Für mich war es ein eindeutiges Zeichen, dass Gott diesen Ort endgültig
verlassen hatte. Daher war es für mich nur ein weiterer Grund, sofort zur
Kirche und zu Vater Warren zu eilen!
Den
zentralen Marktplatz betretend, hielt ich jedoch aufgrund eines Geräusches
inne. Das Geräusch von etwas, von dem ich mir sicher war, ich würde es hier nie
wieder hören – das Wiehern eines Pferdes! Ich lief in dessen Richtung und war
froh, dass mich meine Sinne nicht getäuscht hatten. Dort, mitten auf dem
Marktplatz, stand ein Pferd, welches aus einem Sack auf seinem Maul fraß! Ich
hielt meine Lampe in dessen Richtung und fragte mich, woher es denn kam.
Entweder hatte Lord Mallory sich von diesem Pferd nicht trennen wollen – oder
jemand anderes war nach Muntun gekommen. Jemand, der nicht von hier war –
jemand mit finsteren Absichten. Die Tatsache, dass es sich hierbei um ein
weißes Pferd handelte und es überall merkwürdige, blaue Zeichen hatte, machte
diese Annahme wahrscheinlicher. Was mir neben den eindeutig unchristlichen
Zeichen auffiel, waren ein merkwürdiges Gerät, welches vom Hals des Pferdes
hing, sowie ein Sack, welcher am Sattel befestigt und ebenfalls mit blauen
Markierungen verziert war. war.
Das
auffallendste Symbol auf dem Pferd, sowie auf dem Sack, war ein großes X mit
einigen, waagrechten Strichen, welche durch es hindurchgingen. Ich berührte den
Sack, zog meine Hand jedoch schlagartig zurück, als meine Finger über das grobe
Webmuster strichen und zwei Einbuchtungen und einen…Kiefer spürten?! Selbst
jetzt, da ich dies niederschreibe, fühle ich immer noch den Schrecken, den
diese Entdeckung mir versetzt hatte und ich erinnere mich daran, wie ich mich
fragte, welcher gottlose Heide einen Schädel auf all seinen Wegen mit sich
führte! Wer auch immer es war, war nicht von Belangen für mich. Stattdessen
lief ich zu den Stufen der Kirche, hielt meine Lampe in Richtung des bunten
Reliefs, ehe ich das Gebäude durch die teilweise geöffnete Tür betrat – und es augenblicklich
bereute.
Der
Tod. Um mich herum war der Tod! Der Kirchenboden war gefüllt von den Leichen
der Dorfbewohner; Männer, Frauen, Kinder! Zu dieser Erkenntnis gelangte ich
kurz nachdem ich versucht hatte, einige von ihnen aufzuwecken, da ich annahm,
dass sie alle schlafen würden. Im Zentrum des Ganzen saß der Vater gegen den
Altar gelehnt. Im Ornat gekleidet, neben einer Art Bottich sitzend, umklammerte
er das Kreuz von St. Aeghdean mit einer Hand, mit der anderen…etwas, welches ich
bald herausfinden würde. Zudem war der Kopf des guten Vaters mit einer
unbekannten Gerätschaft durchstochen worden, welche ein kleines Loch in der
Schläfe hinterlassen hatte, aus welchem ein kleines Rinnsal aus Blut auf den
Boden floss. Das Markanteste an der gesamte Szenerie war das sarkastische
Lächeln auf des Vaters Gesicht, als ob er versuchte, dem Tod ins Gesicht zu
lachen.
Ich
sah mich um und als ich die toten Dorfbewohner erneut erblickte, fühlte ich
einen tiefen Drang, dem Ganzen etwas Normalität zu verleihen. Ich riss also das
Kreuz aus den kalten, toten Händen des Vaters und betrachtete es. Wie das Kreuz
des heiligen Clarence, so war auch dies im romanischem Stil gehalten und wie
das Kreuz in der Kapelle hatte auch dieses Kreuz eine große Knospe in dessen
Zentrum. Eine große, rote Knospe, welche die Knochen des hiesigen Heiligen
enthielten. Neben der Knospe besaß das Kreuz noch vier herausstechende Juwelen,
alle in der gleichen Aufmachung, wie jene auf Vater Warrens Gebetsbuch.
Ich
hob es auf und wollte es gerade zurück auf den Altar setzen, als mir auffiel,
dass kein Rasseln zu hören war! Ich drehte das Kreuz schnell um, da ich auf
eine Klappe oder etwas Ähnliches hoffte, die man öffnen konnte, um
hineinzusehen. Doch eine solche Klappe gab es nicht, was mich noch mehr
verwirrte. Nichtsdestotrotz war es eine heilige Reliquie und als solches
gehörte sie auf den Hochaltar. Doch gerade, als ich es auf seinen rechtmäßigen
Platz zurückstellen wollte, hörte ich eine Stimme hinter mir: „Du hast hier also
den ganzen Radau gemacht!“ Vollkommen überrumpelt, ließ ich das Kreuz fallen,
sodass es mit einem metallischen Klang auf dem Boden aufschlug. Die Stimme
hörte sich wie die eines kleines Mädchens, oder einer jungen Frau an und als
ich mich umdrehte, war dies auch der Fall. Allerdings war ich von ihrer
Erscheinung sofort vereinnahmt. Sie trug eine eng anliegende, blaue Hose und
eine braune Tunika. Ihr Gesicht, ihre Arme, ihren Händen und wahrscheinlich
auch andere Körperstellen waren mit einer blauen Farbe bemalt – gleich dem
Pferd auf dem Marktplatz. Ihr Haar war ungewaschen, verklumpt und zu einem
Pferdeschwanz gebunden. Dies und die hautenge Kleidung, welche sie trug, führte
dazu, dass ich das Kreuz auf den Altar stellte und sie fragte, ob sie eine Art
Verführerin sei. „Ich denk‘ mal, das kommt auf die Verführung an,“ grinste sie.
Während sie dies aussprach, warf sie mir einen Blick zu, der mir das Blut in
den Adern gefrieren ließ und obgleich es mir bei vielen weiteren Gelegenheiten
offenbart wurde, bemerkte ich sogleich die Diskrepanz zwischen ihrem kindlichen
Aussehen und der erwachsenen Art, in welcher sie zu mir sprach.
Tatsächlich
ist ‚kalt‘ das beste Wort, mit dem ich ihr ganzes Wesen selbst jetzt noch
beschreiben kann. Ein kalter Tonfall, ein kalter Blick, eine nonchalante, kalte
Haltung gegenüber allem und jedem, mit dem sie Kontakt hat oder hatte. Ich sah
erneut zu all den Leichen und fragte mit zittrigem Ton: „W-was…ist hier
passiert? Wer…seid Ihr?“ Mit langsamen Schritten ging sie auf mich zu und
antwortete nur: „Ich bin der Tod.“ Mein Blut gefror in meinen Adern, mein
gesamter Körper verkrampfte sich, als sie mir diese Information mitteilte.
Voller Entsetzen sah ich auf all die toten Körper um uns; auf die Leichen von
Lord Mallory, Sheriff Witherton, von Vater Warren, ehe ich entgeistert
erwiderte: „Dann haben Sie das getan?!“
„Mehr
oder weniger,“ kam es von ihr…beziehungsweise, dem Tod. Hatte ich da richtig
gehört? Wie konnte der Tod‚ mehr oder weniger‘ für das Versterben von fast
sechshundert Menschen verantwortlich sein? Irgendetwas stimmte hier absolut
nicht und ich hatte das Gefühl, dass irgendwer, wenn nicht gar Gott selbst, ein
Spiel mit mir spielte. Ich wollte…den Tod diesbezüglich ausfragen, doch das
Mädchen, welches behauptete, dieser zu sein, antwortete nicht, sondern beugte
sich zu dem toten Vater hinunter. Daraufhin strahlte, wie durch Zauberei, ein
helles Licht von ihrem Kopf, als sie diesen berührte und damit das bleiche
Gesicht des Vaters erleuchtete. „Bei Helix!“ rief sie voller Erstaunen: „Hab
ich dich endlich gefunden! Nach so langer Zeit hab ich dich endlich gefunden,
Vater!“ Das…Mädchen drehte sich dann in Richtung seiner rechten Hand und
erhellte die absonderliche Gerätschaft, welche ich zuvor beschrieben hatte und
ich fragte…den Tod, was es denn war und was sich in der Kirche zugetragen
hatte. Ich nahm an, dass sie die Antwort auf beide fragen hatte, bekam jedoch
nur die eine Antwort zu einer.
Wortkarg,
wie sie war, lief sie hinter den Altar und kam mit einer Kapsel zurück, welche
sie in meine Richtung warf und welche mir beinahe aus den Händen glitt. Im
fahlen Licht meiner Lampe las ich DORMIXAN, ehe…der Tod wieder zu sprechen
begann: „Kennst du den Ausdruck ‚Jemanden für immer schlafen lassen‘?“ Ich
nickte und folgerte: „Das machen die Pillen also mit einem?“ Ich sah auf die
Kapsel gefüllt mit zahlreichen, türkisen Pillen, während der Tod weiter
dozierte: „Keine Ahnung wer, oder wie viel bezahlt wurde, um das auf den Markt
zu bringen. Nebenwirkungen von DORMIXAN sind unter anderem Schlafattacken,
Gedächtnisverlust und einige Leute sind durch zu viel Schlaf gestorben.“
„Zu
viel Schlaf?“ wiederholte ich, da mir dies recht weit hergeholt schien. „Es
fährt die Funktion deiner Organe so weit runter, bis sie irgendwann versagen.“
Entsetzt starrte ich auf die Kapsel, dann auf die unzähligen Leichen, welche
auf dem Kirchenboden verteilt waren, ehe das Mädchen mit einem Grinsen meine,
als sie wieder zu mir kam: „Schlaf is ‘ne lustige Sache. Zu viel davon und man
stirbt daran – zu wenig davon und man stirbt daran.“ Sie beugte sich daraufhin
zum toten Vater herunter und fügte dem, als würde sie direkt mit ihm sprechen,
verwirrt hinzu: „Aber was macht das Zeug hier? Die Children of the Vine waren
keine Selbsmord-Sekte. Wenn überhaupt, dann hätten die mich beinahe umgebracht – zweimal! Glaub mir, ich hab‘ meine
Hausaufgaben gemacht!“ Das Mädchen stand wieder auf und fragte mich sogleich
nach dem Kreuz aus, hatte sie mich doch erwischt, wie ich dies dem Vater aus
der Hand gerissen hatte. Ich berichtete ihr, wie ich kein rasseln gehört hatte,
obgleich das Kreuz doch die Gebeine des heiligen Aeghdean enthalten sollte.
„Wenn das mal nicht interessant ist!“ grinste sie frech im grellen Licht der
absonderlichen Lampe auf ihrem Kopf, ehe sie das Kreuz ergriff und es von
seinem Platz riss. Sie sah sich das Objekt an und ich musste mich
zusammenreißen, während sie mit dieser wertvollen, hochheiligen Reliquie
umging, als sei es ein Spielzeug und es eins, zwei, dreimal schnell umdrehte.
Er beim vierten Mal riss sie die Augen auf und rief: „Bei Helix!“ und
flüsterte, als ich ihr direkt in die Augen sah: „noch eins!“
„Was
meinen Sie damit?“
„Du
hast keine Ahnung, was das ist, oder?“ fragte sie und die Art wie sie sich
ausdrückte, ließ es sehr abfällig klingen. Ich erwiderte nicht und schaute
erstaunt zu, als das mysteriöse Mädchen den Smaragd berührte…und ihn nach
unten drückte! Scheinbar sollte daraufhin etwas passieren, da das Mädchen das
Kreuz verdutzt ansah, ehe sie erst den Saphir und nach einer Weile wieder den
Smaragd drückte. Diesmal hatte das Mädchen bessere Laune und voller
Verwunderung hörte ich zu, wie eine Stimme aus dem Kreuz kam! Nicht irgendeine
Stimme – sondern die des Vaters! Etwas gedämpft und zeitweise unhörbar, aber
dennoch! Es war die Stimme des Vaters, welcher nun tot gegen den Altar lehnte!
Allerdings legte sich die anfängliche Verwunderung immer schneller, je weiter
der Vater mit seiner Rede fortfuhr. Verzeiht mein schlechtes Gedächtnis,
weswegen ich mir nicht jedes Wort seiner langen, strukturlosen Rede gemerkt
habe, welche er gab, während die Dorfleute sich wahrscheinlich aufstellten, um
von dem vergifteten Wein zu kosten. Allerdings war, was er gesagt hatte, im
Grunde folgendes: er hatte ihnen erzählt, dass die Dunkelheit tatsächlich das
Große Trübsal war und dass Gott uns nun zu sich nach Hause holte. Furcht
durchfuhr mich, als mir klar wurde, dass ich eine der Leichen hätte sein
können, da ich ihm dies wohl ebenfalls ohne hinterfragen geglaubt hätte! Hier
kam nun der Wein ins Spiel; der gute Vater erzählte ihnen, der Wein sei ein
Geschenk des Herrn; ein Werkzeug, um Gottes Plan in die Tat umzusetzen zu
können. Da stets nur der Vater vom Messwein trinkt, war es einfach für mich mir
vorzustellen, wie erfreut ein jeder von ihnen gewesen sein musste, ebenfalls in
diesen Genuss zu kommen. Ich weiß, wie erfreut ich gewesen wäre! Er hatte ihnen
auch erzählt, dass das Geschenk nicht gleich wirken würde und dass sie alle,
dank der unendlichen Weisheit Gottes in Würde sterben konnten. Da traf es mich:
meine Brüder in der Abteikapelle: sie waren nicht eingeschlafen oder im tiefem
Gebet versunken – sie waren alle tot!
„Der
Letzte, der noch steht. Gut gemacht, “ meinte das Mädchen mit einer Verbeugung,
nachdem der Vater aufgehört hatte zu ‚sprechen‘. Erneut fuhr es mir zusammen,
als ich die Kälte und Teilnahmslosigkeit in ihrer Stimme vernahm, als sie diese
Worte aussprach. Zur gleichen Zeit fing mein Magen zu rumoren an, was sie
kichern ließ. „Da hat wohl jemand Hunger“, gab sie von sich, wobei sie das
erste Mal lächelte, seitdem sie sich an mich herangeschlichen hatte. Allerdings
war es ein Lächeln, das so vollkommen fehl am Platz erschien, sodass ich mir
sofort ihre kalte Attitüde zurückwünschte. „Ich könnte ein ganzes Pferd
verschlingen!“ rief ich, ehe meine Worte zwischen den Wänden der Kirche
umhertanzten. Daraufhin zeigte sie mit dem Griff der zuvor beschriebenen,
absonderlichen Gerätschaft auf mich und erwiderte: „Komm‘ bloß nicht auf die
Idee, meins zu essen – sonst ess‘ ich dich!“ War das ein Witz? Es hörte sich
wie einer an, aber wenn man sich vor Augen hielt, dass das Pferd – und somit
auch der Schädel im Sack – ihres war, so war ich mir dessen nicht mehr so
sicher. „Das werde ich nicht, glauben Sie mir!“ gab ich daher mit einem
sardonischen Grinsen zurück, welches sie ignorierte. Ich teilte ihr mit, dass
wir im ganzen Ort wohl nichts mehr zum Essen finden würden, woraufhin sie nach
der Abtei fragte. „Da werden Sie auch nichts mehr finden, das versichere ich
Ihnen!“
„Was
macht dich so sicher?“ wollte das Mädchen wissen, was mich sowohl erstaunte,
als auch amüsierte. Daraufhin hob ich meine Ordenstracht mit einer einfachen
Handbewegung a lá ‚was glauben Sie, was hier trage?‘ hervor. Beide meiner
Eindrücke wurden dadurch bestärkt, dass sie nicht einmal auf mein Brustkreuz
einging, was mich offensichtlich als Abt auswies. „Was ist mit dem Anwesen?“
fragte sie stattdessen: „Da gibt es doch bestimmt noch etwas zu futtern.“ Ich
zögerte, wusste ich ja nicht, was uns dort erwarten würde. Außerdem war ich
nicht davon überzeugt, dass wir dort etwas fänden, doch da ich nicht wusste,
wer oder was sie war, behielt ich
meine Gedanken für mich. Zeitgleich wusste ich jedoch, dass dieses merkwürdige
Mädchen Antworten hatte – Antworten, welche ich verzweifelt zu finden versucht
hatte. Daher sagte ich nichts und folgte ihr aus der Kirche und zurück zu
diesem Pferd mit den ominösen Markierungen.
So
begaben wir uns durch die toten und leeren Straßen von Muntun; sie zu Pferd,
ich zu Fuß. Tatsächlich war ich von der brüsken Art, wie sie es gesagt hatte,
zunächst überrumpelt worden, denn mit wenigen Worten gab sie mir zu verstehen:
„Nein, Betbruder. Du läufst!“ Insgeheim hatte ich gehofft, sie würde so still
und wortkarg bleiben, bis wir unseren Zielort erreichten. Leider blieb dies
nicht so. Mit dem mysteriösem Licht an ihrem Kopf gruschelte das Mädchen in
einer Tasche, welche sich am Sattel befand, holte ein Buch heraus und las in
einem komödiantischem Tonfall: „Es gibt kaum einen Sonnigen Tag und wenn es mal
nicht regnet oder so neblig ist, dass man nicht mehr sieht, was man tut, ist
der Himmel grau und die Wolken verdecken die Sonne.“ Diese Worte – es waren
meine Worte und dieses Mädchen las von dem Tagebuch, welches mir weggenommen
worden war! Doch ehe sie die Beschreibung Muntuns fertig gelesen hatte, schien
sie mit dem Licht auf ihrem Kopf in meine Richtung und meinte mit düsterem und
ernstem Ton: „Weißt du, Dome Medieval 1340 ist absichtlich so gebaut, um so
depressiv wie nur möglich zu wirken. Stell die richtige Temperatur, die
richtige Menge an Niederschlag ein, und man kann jeden Ort in jeder Kuppel wie
Silent Hill aussehen lassen!“
Ich
hatte keine Ahnung, wovon das merkwürdige Mädchen sprach. Ich traute mich
nicht, nachzufragen, da ich immer noch nicht sicher war, ob dieses…Mädchen
tatsächlich ein Mensch war. Da ich allerdings nicht wusste, wer oder gar was
sie war, hakte ich nicht weiter nach und tat es vor allem dann nicht, als wir
das Anwesen erreichten. Dort stieg sie vom Sattel und nahm den Sack, sowie den
Beutel, der an ihm befestigt war, mit sich mit.
Wie
alles andere in Muntun auch, war es leer und verlassen. Eine ausgehöhlte Schale
von etwas, das vor einem Monat das Zuhause einer stolzen Familie gewesen war.
Das Anwesen ist um einen Innenhof gebaut, welcher ursprünglich Teil eines
heidnischen Tempels war, welcher schon lange leer stand, als die Sachsen in dieses Land kamen.
Lediglich die Säulen um den Innenhof herum, sowie ein Bodenmosaik zeugen davon,
was sich einst an diesem Ort befand. Erstere waren nun Teil einer gotischen
Galerie gegenüber, links und rechts des Eingangs. Nur drei waren noch
freistehend und befanden sich gegenüber des Durchgangs, durch welchen wir das
Anwesen betraten. Im Zentrum des vergleichsweise großen Hofs stand eine
Statue-Version des Symbols von Vater Warrens Orden, umgeben von einigen kleinen
Bäumen und einer großen Eiche, welche dem gesamten Innenhof Schatten spendete. Einst
war ich als junger Mann hier gewesen und mir kam es schon damals komisch vor,
dass die Mallorys das Symbol von Vater Warrens Orden auf ihrem Grundstück
hatten. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Statue nur wenige Jahre nach dem
Tod des alten Lord Mallorys errichtet worden war.
Das
merkwürdige Mädchen führte mich in das Gebäude und das Einzige, das ich wohl
nicht finden würde, waren die Leichen von Lord Mallory und dessen Familie. Dann
fiel mir auch auf, dass sie wohl schon einmal hier gewesen sein musste, da sie
kein Wort über die zahlreichen Wandteppichen und Fresken verlor – als ob sie es
schon alles gesehen hätte. Wir liefen einen Gang entlang zu einer Tür, welche
zur Küche führte. Dort legte sie den Sack und den Beutel auf den Tisch und sah
sich augenblicklich um, ehe ich kicherte: „Sie werden nichts finden. Alles ist
aufgegessen worden.” Als ob sie mir nicht glaubte, oder meine Aussage
bestätigen wollte, suchte das Mädchen weiterhin in der Küche herum. „Ihr habt
ja wirklich alles aufgefressen!” rief sie, als nichts fand, um unsere Mägen zu
füllen. „Wie gesagt”, wiederholte ich: „Alles aufgegessen.” Das Mädchen sah
daraufhin zu Boden, griff sich ans Kinn, eher sie murmelte: „Ich frag mich,
ob…die Krypta. Nein, das wär unmöglich!”
Die
Krypta? Welche Art von Essen fänden wir denn an diesem Ort?! Ich wusste, dass es eine Krypta unterhalb des Anwesens
gab, da Norwind einst als junger Mann dort gewesen war und mir davon berichtet
hatte. Mein Magen drehte sich um bei der Vorstellung, Mäuse, Ratten oder etwas
noch weitaus Ungenießbareres zu uns nehmen zu müssen! Gleichsam hatte ich
jedoch das Gefühl, dass sie wusste, was hier geschehen war. Daher schwieg ich,
als sie den Sack und den Beutel an sich nahm und mich die Stufen zur
Familiengruft der Mallorys hinabgeleitete.
Zugegeben,
die Krypta war weitaus weniger pompös, als ich zunächst angenommen hatte.
Norwind hatte nicht viele Worte darüber verloren und vor allem hatte er nichts
bezüglich der einzigen, bemalten Wand gesagt, welches das Erste war, was einem
hier unten ins Auge sprang. Dort, rechts des Eingangs, befanden sich zwei
offene Türen, jeweils von einer Figur bewacht, welche sie offen hielt. Eine
führte hinauf zum himmlischen Paradies, die andere hinab in ein feuriges
Verderben. Ich schauderte, als ich die rechte Figur sah und es bedurfte keiner
Predigt, um zu wissen, dass es der Leibhaftige war! Selbst in dem einen Licht,
das von der merkwürdigen Lampe des Mädchens kam, sah ich seine grüne Haut,
seine hellroten Lippen und Augen, seine großen Flügel, sowie das Geweih auf
seinem Kopf – und sein wortwörtliches Arschgesicht! Zu seiner linken stand ein
Heiliger in einem roten Mantel gekleidet, Mitra tragend und Stab haltend. Mit
der anderen Hand deutete er auf die Tür. Im Zentrum stand ein Kruzifix in einer
Alkove und mir wurde klar, dass all dies die Kreuzigung selbst repräsentierte –
der gute Dieb Gismas links, der böse Dieb Gestas rechts. Die Tür des heiligen
führte zu ewiger Glückseligkeit, die Tür des Teufels zu ewiger Verdammnis.
Das
mysteriöse Mädchen musste dies auch erkannt haben, doch anstatt sich einfach
für eine der beiden Türen zu entscheiden, grinste sie mich an: „Was soll’s
sein, Betbruder? Ewige Wonne oder ewige Folter? Welches würdest du wählen?
Welches sagt dir eher zu? Welches gebührt dir mehr, im Angesicht deines
Lebenswandels?” Meines Lebenswandels? Sprach sie vom Apostel Paulus, als dieser
meinte, es gebe keine einzige, rechtschaffende Seele – oder meinte sie damit
etwas, dass viel ernster, weitaus niederträchtiger war? Mir fuhr es eiskalt
zusammen bei dem Gedanken, dass sie über meine Tat Bescheid wusste und mir
wurde schlecht, als mir klar wurde, dass ich nun dafür büßen würde! Ganz
gleich, was sie gemeint hatte, beide Szenerien rechtfertigten es, mich für die
rechte Tür zu entscheiden, während ich erneut auf das grüne, kranke und ganz
und gar scheußliche Antlitz meines zukünftigen Herrn und Meisters blickte.
„Interessante Wahl”, gab das Mädchen bloß von sich, ehe sie die Tür öffnete,
welche zu einer Treppe hinunter in ein dunkles, leeres Nichts führte. Zu meinem
Bedauern war es nicht, was ich mir vorgestellt hatte – ganz im Gegenteil!
Anstatt eines leeren Nichts, warteten noch mehr höllische Szenarien auf mich!
Noch
nie zuvor in meinem Leben war ich den Qualen der Hölle sprichwörtlich, wie
wortwörtlich, so nah gewesen. Leute, die von Würmern zerfressen oder von Hunden
in Stücke gerissen wurden! Menschen, welche lebendig verbrannt, lebendig
gehäutet, lebendig gegessen wurden! Von Dämonen mit Spießen, Speeren, von deren
Zähnen und Klauen gequält! Die zweite von drei Treppen herablaufend, sah ich
eine Gruppe von Lüstlingen an ihren Gemächten zusammengebunden, weiter unten
eine Reihe Geschäftsleute. Diese hatten sich der ganz und gar schändlichen
Praktik des Wuchers bedient und bekamen als Bestrafung nun geschmolzenes Gold
in ihre Kehlen gegossen. Die Spitze dieses Grauens wartete am Fuß der Treppe
auf mich. Dort befand sich eine Tür, von der ich mir sicher war, dass sich
hinter ihr die Flammen der Hölle und mein ewiges Schicksal verbargen! Die Tür
und deren Wand, sowie auch die beiden Wände daneben wurden allesamt vom Teufel
vereinnahmt. Dabei stellte die Tür seinen weiten, offenen Schlund dar, durch
welchen ich sehr bald gehen würde, um meine feurige Bestrafung zu empfangen.
Von
dieser Bilderflut übermannt, fiel ich zu Boden und weinte: „Bitte! Ich weiß,
dass das, was ich getan habe, falsch war! Ich verdiene es, hierher zu kommen,
doch lass mich meine Sünden wieder gutmachen! Schickt mich nicht an diesen
gottverlassenen Ort!”
„Was
laberst du denn da?!” rief sie und meinte, nachdem sie die Wandgemälde ansah:
„Das is‘ doch nicht echt! Das muss man denen allerdings lassen. Eine Weg in die
Hölle zu basteln is‘ ziemlich ausgeklügelt. Hätt ich auch hier gelebt, ich hätt‘
mir wahrscheinlich auch in die Buchse gemacht. Willst jetzt also was futtern,
oder nicht?!” Ich sah zu ihrem genervten Gesicht hinauf und nickte leicht. Was
sie jedoch sagte, erschien keinen Sinn zu geben! Wie konnte sie die Existenz
eines solchen unheilvollen Ortes leugnen? Selbst wenn sie nur die Wandmalereien
gemeint hatte, wie konnte sie dem einen Ort gegenüber so furchtlos sein,
welchen jede Seele auf der Welt zu fürchten gelernt hatte? Vor allem, da das
Mädchen scheinbar die Besitzerin des Schädels im Sack und daher vollkommen
unwiderruflich von Gottes Liebe getrennt war! Jedoch sprach ich sie diesbezüglich
nicht an, sondern schaute nur zu, wie sie einen Schlüsselbund aus ihrer
Hosentasche holte, die Tür aufschloss und in die Dunkelheit dahinter blickte…