Tartaros
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Mein Kopf war förmlich am Explodieren. Ich wusste weder wo
ich war oder wie ich dahin gekommen war, ich wusste nur eins: Das dürfte
eigentlich nicht so sein. Das Letzte, was ich noch wusste, war, wie ich in
einem vollbesetzten Flugzeug ohne Rettung und mit einem mysteriösen Piloten in
die Weiten des Meeres gestürzt war. War ich… war ich also tot? Ich musste es
doch sein, oder? Wie sollte ich denn einen solchen Sturz überlebt haben? Völlig
unmöglich. Ich schien irgendwo zu sitzen, ich spürte eine Art Stuhl unter mir.
Mein Kopf war auf eine Platte gelegt, kalt und eisern. Was ging hier vor sich?
Langsam hob ich meinen Kopf und durchlitt höllische Qualen, als würde sich
jeder einzelne Wirbel meines Halses aus tausenden Stücken erst mühselig
zusammensetzen. Mein Körper knackte, brennende und dumpfe Schmerzen fuhren wie
zwei durchgedrehte Kutscher wild durch meinen Körper. Ich weiß nicht, wie ich es
aushielt, einige Male stand ich kurz davor, mein Bewusstsein wieder zu
verlieren, spürte, dass ich diese letzte Chance hier so gut wie verspielt
hatte. Aber dann schaffte ich es doch, meinen Oberkörper wieder in eine
aufrechte Position zu bringen. Die letzten Ausläufer der Pein zuckten noch
durch meinen Hals. Dann schlug ich die Augen auf.
Ich hatte mit vielem gerechnet. Einem Krankenhaus, in das
ich wundersamer Weise gebracht worden war. Oder die unendlichen Fegefeuer, in
die ich für mein Vergehen an all diesen Passagieren gebracht worden war. Sogar
ein Palast auf dem finsteren Grund des Meeres, beherrscht von einer überlegenen
Fischspezies hätte mich wahrscheinlich weniger überrascht. Aber nein,
stattdessen saß ich in einem Büro. Ja, ein Büro. Es war ein spartanisch
eingerichteter Raum. Die Wände waren weiß, kein einziges Fenster durchbrach
ihre Oberfläche. Mir gegenüber befand sich eine stählerne Tür, völlig schmucklos
in ihrer Einfachheit. Sie fügte sich perfekt in die Kulisse. Ich saß auf einem
dieser billigen Klappstühle, wie man sie manchmal beim Zelten verwendete, vor
mir stand ein einfacher metallener Tisch, dessen glänzende Oberfläche das kalte
Licht der Neonlampen zurückwarf. Und mir gegenüber, auf der anderen Seite, saß
ein weiterer Mann und musterte mich.
Er war gekleidet wie einer dieser Ermittler aus einem alten
Fernsehkrimi. Zerknitterter Anzug, wilde Haare, entschlossenes Gesicht. Ein
Spitzbart überdeckte einen Teil seines Gesichts, der wirkte, als wären die
Haare aus purer Finsternis entstanden. Er hatte einen dunklen Teint, wirkte
fast arabisch. Doch das faszinierenste waren seine Augen. Als hätte man die
gesamte Nacht in zwei Kugeln gepresst saßen sie dort in seinem Gesicht und
starrten mich eindringlich an. Ich war so auf diese kleinen schwarzen Löcher
fixiert, dass ich gar nicht bemerkt wie er seinen Mund öffnete und zu sprechen
begann. „Sind Sie der Copilot der… verunglückten Maschine?“ Es kam
mir vor, als hätte er sich die letzten beiden Worte mühselig zusammenklauben
müssen. Die Art, wie er sie aussprach, zeigte, dass er etwas anderes sagen
wollen. Noch wie hypnotisiert von der so normalen und doch unglaublich
autoritären Ausstrahlung des Mannes antwortete ich: „Äh ja. Der bin
ich.“ Ein kurzer Ausdruck huschte über sein Gesicht, irgendetwas zwischen
Enttäuschung und Trauer. „Wir werden dann hier wohl einige Fragen durchgehen
müssen.“ Seine Stimme hallte durch den Raum, als würde sie gleichzeitig
von allen Seiten und doch nirgendwo an mein Ohr herangetragen werden. Aber was
wollte er denn für Fragen stellen? War ich hier etwa bei der Polizei oder so?
War ich vielleicht… noch am Leben?
„Also, Frage eins: Wie viele Passagiere befanden sich
denn ungefähr in Ihrem Flugzeug?“ Seine Stimme klang zwar interessiert,
aber seine Mimik machte sich keine große Mühe seine offensichtliche Langeweile
zu verbergen. „Äh…so um die 200.“ Ich dachte er würde sich
vielleicht Notizen machen, aber er sah mich einfach nur an und nickte. Was ging
hier vor sich? „Und wie viele, glauben Sie, haben davon den Unfall
überlebt?“ „Ich denke, nur einer.“ „Und wer soll das gewesen
sein?“ Ich wollte antworten, aber ich kam kurz ins Stocken. War die
Antwort nicht relativ offensichtlich? „Ähm…ich.“ Er verzog keine
Miene, aber ich glaubte, in der undurchdringlichen Schwärze seines Blickes
einen Funken Belustigung erkennen zu können. „Aha.“ Er musterte mich
noch immer, sagte jedoch erst einmal nichts. Eine unangenehme Stille legte sich
über die gesamte Szenerie. Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Ich war
abgestürzt. War aufgewacht. In einem Büro, ohne augenscheinliche Verletzungen,
aber mit großen Schmerzen. Ich wurde, nun ja, ich wurde verhört. Ein äußert
befremdliches Verhör. Ein Verdacht überkam langsam meine Seele, so düster wie
die Haare meines Gegenübers. Es war nicht unbedingt ein Gedanke, mehr ein
Gewissen, eine Art Vorahnung, die ich schon die ganze Zeit gehabt hatte, ohne
auch nur die Idee zu wagen, sie auszusprechen. Aber ich musste einfach
erfahren was hier vor sich ging. Ich blickte in seine Augen und für einen
Augenblick hatte ich das Gefühl, mich in der Endlosigkeit und Trostlosigkeit
dieser vollkommenen Dunkelheit zu verlieren. Dann öffnete ich den Mund, um
meine schlimmste Befürchtung loszuwerden. „Entschuldigen Sie, aber bin ich
tot?“
Alles hier war so surreal. Ich befand mich in einem kahlen
Raum, der einzige Ausgang für mich versperrt, durch meinen sonderbaren
Gesprächspartner. Und als wäre das nicht schon genug fragte ich nun auch noch,
ob ich tot sei. Er sah mich noch immer mit dem gleichen neutralen Ausdruck an,
den er schon die gesamte Zeit besaß. „Ja, das sind Sie.“ Es traf mich
wie ein Dolch in die Brust. Ein kaltes, unnatürliches Gefühl schlich sich in
mein Herz und ließ sich dort wie die Schneekönigin nieder. Aber das war nicht
die Überraschung oder der Schock über die Tatsache, dass ich nicht mehr am
Leben war. So skurril das auch klingen mag, es war viel mehr die Überraschung,
dass ich genau diesen Schock nicht erfuhr. Es wunderte mich kein bisschen. Ich
war tot. Und weiter? Doch was machte ich dann hier? Oder passierte das hier
überhaupt? „Ist das… ist das hier wirklich?“ Er sah mich an.
Starrte. Versuchte, in meinem Gesicht den Ernst dieser Frage zu erkennen. Dann lachte
er.
Es war ein grausames Geräusch. Auf der gesamten Welt gibt es
nichts, was diesem entsetzlichen Laut auch nur nahekommt und keine Sprache der
Menschen kennt ein Wort, das dieses Geräusch beschreiben könnte. Ich konnte
seine perfekten Zähne sehen, die wie spitze Klingen in seinem Mund steckten und
ich spürte die Umgebung um mich erzittern. Ich sah, wie die Decke über mir
Risse bekam und war mir auch bewusst, dass ich am besten unter den Tisch
krabbeln sollte, aber ich war wie gelähmt. Er lachte und lachte, ein Klang, als
würden gleichzeitig alle Vulkane des Planeten zu einer einzigen Sonate der Zerstörung
ausbrechen. Das Licht begann zu flackern, so dachte ich zumindest. Doch dann
sah ich, wie es wirklich war. Schatten, die aus allen Ritzen des Raumes zu
quellen schienen, schossen auf meinen geheimnisvollen Partner zu und umhüllten
ihn wie eine Aura der Finsternis. Seine dunklen Augen starrten mich an, purer
Wahnsinn entsprang ihnen und vereinigte sich in mir mit der nackten Angst. Ich
fühlte eine Furcht, wie kein lebendes Wesen sie je spüren sollte. Mein eigener
Geist wurde von ihm angezogen, wie Eisen von eine Magneten, er strebte danach,
sich mit der Masse aus Schwärze zu vereinen und diesem Mann, dieser Kreatur, zu
dienen. Der helle Schein meines eigenen Ichs drohte meinen Körper zu verlassen,
ich spürte wie er langsam die Oberfläche meiner Haut durchstieß und an den Stellen
meines tiefsten Inneren eine schmerzhaft brennende Kälte zurückließ. Unter den
höllischen Klang dieser Verdammnis mischte sich nun das Brechen der Wände, als
würde ein gigantischer Tsunami über uns hereinbrechen. Dann war es vorbei.
Ich blinzelte. Dann nochmal. Nichts änderte sich. Ich saß
wieder auf meinem Stuhl, der Mann mir ganz gelassen und ruhig gegenüber. Dann
sprach er. „Ist es wirklich, fragst du mich?“ Der pure Hohn schwang in
seiner eiskalten Stimme mit. „Was ist denn überhaupt wirklich? War dein
Leben wirklich? Ist es dieser Raum? Ist es diese Unterhaltung? Man weiß es
nicht. Aber es spielt auch keine Rolle. Vielleicht suche ich dich auch nur in
deinem eigenen Kopf heim, aber wo ist da der Unterschied? Tot hier zu sein oder
für immer im eigenen Geiste. Ist das dann nicht auch eine Art des Todes? Ist
der normale Alltag, die Routine eines jeden deiner Spezies nicht eigentlich
auch der Tod? Der Tod zu Lebzeiten? Lebt ihr, wenn ihr euch doch nur jeden Tag
den gleichen Dingen zuwendet? Nein, ihr seid schon tot in dem Moment, in dem
ihr beginnt zu begreifen. Wenn ihr euch eures Seins bewusst werdet und der
Gesellschaft in der ihr lebt, wenn es heißt, sich festen Schemata zu fügen, um
zu leben, in diesem Moment sterbt ihr eigentlich schon. Wo wäre also die
Verbesserung, wenn du eigentlich noch am Leben wärst, das alles hier nur eine,
wie sagt ihr, Halluzination? Hast du denn überhaupt jemals gelebt? Ich glaube
kaum. Im Prinzip steht ihr doch alle schon immer vor einem Abgrund. Jeder hat
diese eine Sache, die er seine gesamte irdische Existenz fürchtet und am Ende
dann doch von ihr eingeholt wird. Es gibt kein Entkommen, denn es gibt nur eine
Sache, der sich eure Spezies wirklich sicher sein kann: den Tod. Und schon bald
werdet ihr von meinen Geschwistern in diesen Abgrund gestürzt werden, weil ihr
ihre Rache provoziert habt. Die Welt erhebt sich gegen euch, versteht ihr
nicht? Und dieses Mal könnt ihr niemandem die Schuld dafür geben, denn sie
liegt bei euch. Ihr habt die Geister der Natur gegen euch aufgebracht, ein Verbrechen,
das nur mit Vernichtung gesühnt wird. Ihr werdet alle fallen. Aber ich werde
hier sein, um euch aufzufangen. Verlasst euch darauf.“
Die letzten Worte klangen aus seinem Mund wie die schlimmste
Drohung, die er vorbringen konnte. Ich wollte etwas sagen, irgendetwas
erwidern, doch ich konnte nicht. Die pure Macht, die seine Worte entfesselt hatten, hielt mich zurück. Er würdigte mir
noch einen verächtlichen Blick, dann stand er auf und ging zur Tür. Ich wollte
etwas entgegnen, etwas um ihm die gute Seite der Menschen zu zeigen, die er anscheinend
nicht sah. Doch ich konnte nicht. Selbst wenn ich sprechen hätte können, mir
wären keine Worte eingefallen. Ich war doch nur ein armer Copilot, warum sollte
ich die ganze Menschheit verteidigen? Wie sollte ich das schaffen? Er legte die
Hand auf den Türknauf, dann sagte er, ohne sich umzudrehen: „Du glaubst
noch an das Gute in eurer Art, hm? Deswegen hat mein Bruder dich vermutlich zu
mir geschickt, er mochte euch von uns allen immer am meisten. Wahrscheinlich
wollte er mich zur Sanftheit überreden. Was für ein jämmerlicher Versuch. Aber
komm, überzeug mich. Warne deine Kameraden, vielleicht kannst du sie ja noch
umstimmen.“ Er lachte kurz, dieses Mal jedoch mit einer tödlichen Ironie,
die wie tausend kleine Nadeln auf meinen Kopf einprasselten. Dann, schon im
Türrahmen, schnipste er und vor mir erschien ein Laptop. Ich sollte die
Menschen warnen, hatte er gesagt. Auch wenn er mächtig war, überzeugt hatte er
mich nicht. Es musste etwas in den Menschen geben, was ich wachrütteln könnte.
„Ach ja, eins noch. nenn ihnen ruhig meinen Namen, wenn du hiervon
erzählst…“
„Mein Name ist Tartaros. Ich bin der Abgrund.“