
Verlorenesmagenta – Part 1 (Finale)
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Vorheriger Teil: Zerstörerischesperlgrau
Die Welt des Königs
„Meine Geschichte beginnt anders, als die meisten anderen
Geschichten, die die meisten Bewohner von Animarum zu erzählen haben“, begann
der ehemalige König, während sich sein Ausdruck zu einer immer ernster
werdenden Grimasse verzog, welche von zusätzlichem, bitterem Schmerz begleitet
wurde. Ehe er weitererzählen konnte, schlich sich dicker, schwarzer Nebel um die
vier Wesen und verschleierte, ihre Augen, ihren Mund, ihre Arme… bis es
schlussendlich all ihre Körper verschlang. Instinktiv versuchte May gegen
diesen sonderbaren Dunst anzukommen, doch alles, was sie durch ihre Schläge und
Tritte erreichte, war höchstens, dass sich eben jener wie Kaugummi dehnte, doch
keine Anstalten machte nachzugeben. Panik, beschlich ihren Verstand und
vermischte sich mit der aufdringlichen Sorge, um all ihre geliebten Freunde,
die sie hier im Reich kennengelernt hatte und selbstverständlich auch um
Vincent. Diese Mixtur ihrer Gefühle lähmte ihre Sinne, sie war nicht mehr in
der Lage etwas zu fühlen, zu schmecken, zu riechen, zu hören oder zu sehen. Der
jungen Seelenwächterin war es überaus schleierhaft, wie eine solche Emotion so
starke Auswirkungen auf ihren Geist und ihren Verstand haben konnte, dennoch
blieb ihr nichts anderes übrig, als sich dem immer weiter dichtendem Nebel und
ihrem immer leerwerdenden Gehirn hinzugeben. Müdigkeit schloss sich bald mit in
ihrem Geist ein, verdeutlichte ihr ein weiteres Mal, dass sie gegen diese Art
von Dunst keine Chance hatte. Schwer lastete die Zerschlagenheit bereits auf
ihr und sie war gewillt jeden Moment ihre Lider zu schließen und sich der
Dunkelheit vollends hinzugeben, als sie plötzlich eine leise, doch starke
Stimme hörte: „Habt keine Angst. Ich zeige euch nur meine Welt. Meine
Geschichte, die ihr zu sehen und zu hören bekommen sollt“, es war die Stimme
Pauls, die sowohl in ihr als auch in das Ohr der anderen eindrang, doch je mehr
sie der Schlaffheit Opfer wurden, desto weniger vernahmen sie die einst
kräftige Tonlage, welche lediglich versucht hatte sie zu beruhigen. Ein leises
Flüstern war es, was sie als allerletztes wahrnahmen: „Seht her! Seht die
Einblicke meiner Welt!“
Weißes Licht durchflutete die Dunkelheit. Unterdrückte sie
mit ihrer Helligkeit und verleitete zur vollständigen Wiederaufnahme der Sinne,
welche bei allen vieren für eine gefühlte Ewigkeit betäubt gewesen waren. Ein
lautes, doch süßes Gähnen zur ihrer rechten symbolisierte May, dass ihre
Tochter den sonderbaren und doch seltsam wohligen Schlaf genossen haben muss,
zumal sie seit ihrer Jagd vor wenigen Momenten nicht ein Auge zu getan hatte.
Mit einem warmen, mütterlichen Lächeln stimmte die junge Seelenwächterin den
Gedanken, ihrer Tochter zu, welche ihr freudig über den Traum erzählte, den sie
gehabt hatte. Zum Glück beider war es kein Albtraum gewesen, sondern einer
dieser bekannten Wunschträume.
Träume, in denen man sich etwas vorstellt, ausgehend von dem tiefen, innigen
Wunsch, welchen man in seinem Herzen verbirgt. Und Caroline wünschte sich
nichts sehnlicher, als mit ihrer Familie zusammen zu kommen: Ihrer Mutter,
Vincent und vielleicht noch einem kleinen Bruder, mit dem sie spielen würde,
sich streiten würde, lachen würde… eben alles, was Geschwister so machen. Die
wundervolle Szenerie, wie sie alle lachend entlang eines Parks in der Nacht
spazierten, wie sie sich Arm in Arm oder Hand in Hand beieinander hielten, ließ
in May die altbekannte Sorge und Trauer wiederaufkehren. Wieder kämpfte sie mit
den Tränen und dem unbändigen Verlangen Vincent so schnell wie möglich
wiederzusehen, ihm in die Arme zu schließen, ihn zu küssen und ihm… ihre Liebe
zu gestehen. May wusste aus ihrer Vergangenheit heraus, wie falsch und
schmerzhaft Liebe doch sein kann, doch etwas in ihrem Herzen sagte ihr, dass
sich das nicht wiederholen würde. Anders als bei diesem seltsamen, kranken
Jungen von damals, wusste sie bei
Vincent, wie ehrlich und liebevoll er mit ihr umgehen würde. Er würde sie nicht
verletzen, nicht hassen und sie um keinen Preis ohne Liebe und Zuneigung mit
ihr den leidenschaftlichen Akt vollführen, den sie sich schon immer gewünscht
hatte. „Vincent…“, flüsterte sie in den immer noch anhaltenden Schein hinein
und war im Glauben irgendwo im grellen weiß seine Silhouette ausmachen zu
können, doch so schnell wie diese Vermutung kam, verflog sie auch wieder.
Alles, was die vier jetzt sahen war ein Mann. Ein Sterblicher, wie er im
bitterkaltem Regen, der den dunklen, beinahe schwarzen Wolken entströmte
weinend auf einem asphaltierten Gehweg lag und seine Schreie von gepeinigten
Verlust zeugten, den er nie wiederbekommen würde. Inmitten des strömenden
Regens stand sie. Eine Frau bis auf die Haut durchnässt, genau wie der Mann.
Doch anders als er, weinte sie nicht, nein. Ihr Blick wirkte kalt und
verurteilend. Im leichten Wind, der den Regen begleitete, peitschten ihr ihre
langen, braunen Haare ins Gesicht, als würde eben jener versuchen dadurch ihre
stechenden eisblauen Augen zu verdecken, welche jedes warme Herz auf dieser
Erde gefrieren ließ. Plötzlich hallte eine flehende, bittende Stimme im stärker
werdenden Unwetter hinein, die die eisige Stille zwischen den beiden brach:
„Bitte! Verlass mich nicht! Du hast gesagt, du willst mich nicht verlieren!“
May erkannte sofort, dass es sich um Pauls Stimme handeln musste, doch so
flehend und bittend hatte sie noch nie zuvor eine Stimme bei einem Mann gehört,
nicht einmal zu ihren Lebzeiten. Wieder herrschte Stille zwischen den beiden
Menschen im Regen. Einzig und allein ein leises Kichern – das so leise war,
dass selbst der Sterbliche Paul nicht in der Lage gewesen wäre, es inmitten des
Unwetters zu vernehmen – symbolisierte die bestehende, emotionale Kühle der
Frau. „Ich war verzweifelt“, hallte
plötzlich die Stimme des ehemaligen Königs in ihren Köpfen wieder, so wie es
auch wenige Momente zuvor bei Calum der Fall war, als er gesprochen hatte. „Ich liebte diese Frau dort. Sie war alles,
was ich noch hatte. Der letzten Grund, der mir noch zum Leben übrigblieb, wenn
ihr so wollt, doch als sie mich verließ, verlor ich damit nicht nur sie,
sondern auch alles andere: Meine Hoffnung, meinen Lebenswillen und – was für
mich noch viel wichtiger war – meine Zukunft. Niemand anders sollte mit mir
durchs Leben schreiten außer sie. Niemand anders sollte mir wunderbare Kinder
zur Welt bringen, außer ihr Leib. Und niemand anders sollte mitansehen dürfen,
wie unser Sohn oder unsere Tochter erwachsen werden würde. Doch… eines Tages
hatte sich alles verändert und das nur, weil ich für einen Mann in ihren Augen
viel zu emotional war, viel zu weich,
wenn ihr so wollt. Für sie war ich nie der Art Mann, den sie haben wollte. Sie
wollte immer jemanden haben, der sie tröstet, wenn sie weint, der mit ihr lacht,
wenn sie einen Witz erzählt und der sie beruhigt, wenn lodernde Wut ihr Denken
beherrscht, dennoch war ich das komplette Gegenteil von all dem: Wenn sie
wütend wurde, wurde ich auch wütend, meist dann auf sie (wenn wir
beispielsweise einen schlimmen Streit hatten, der lediglich auf eine
Nichtigkeit basierte und wegen eben jener es nicht von Wert gewesen wäre,
darüber zu diskutieren); Wenn sie weinte wurde ich entnervt, weil mir ihre
ständige Heulerei auf den Nerv ging und wenn sie lachte, hielt ich mich meist
zurück und fühlte mich in den meisten Fällen sogar angegriffen, weil ihre Witze
meine Art und mein Verhalten niedermachten.“ Paul seufzte verbittert, ehe
er fortfuhr: „So kam es dann, dass sie
mich verließ. Aber ihr Verlust allein machte mich nicht fertig. Es war vielmehr
der unvermeidbare und bitter-wahre Fakt, dass sie noch die EINZIGE war, die so lange zu mir gehalten hatte,
ganz egal wie „schlimm“ ich war oder wie emotional meine Reaktionen auch sein
mögen. Niemand sonst außer sie hatte so langes Durchhaltvermögen bewiesen und
mir die Hoffnung gegeben, dass ich glücklich werden könnte, dass ich endlich
jemanden gefunden hatte, der mich verstehen würde und der zu mir halten würde,
ganz egal was auch geschehen mag“, sein Ton triefte beinahe von ungebändigter
Euphorie, als er all sein vermeintlichen Glauben und seine Hoffnungen aufzählte,
dennoch währte sie nur kurz, denn der König verstummte und die Szenerie
wechselte ein wiederholtes Mal. Diesmal verzehrte sich das Bild vom Regen, Wind
und den beiden handelnden Personen bis in die Unendlichkeit. Ihre Gesichter,
welche einerseits von Trauer und Pein gezeichnet und andererseits von Kälte und
Spott begleitet waren, verschmolzen ineinander und erzeugten so ein
widerlich-blutiges Gemisch aus Haut, Muskeln und rotem Lebenssaft. Irgendwo in
der Ferne konnte man die Frau schreien hören, die unter dieser Prozedur stark
zu leiden hatte. Insgesamt wirkte so, als ob mit dem verzerrten Bild die
Gesichter beider Sterblichen (mithilfe einer unsichtbaren Hand) auseinandergerissen
wurden und sich dieses Reißen weiter bis zu ihren weißen Knochen arbeitete, bis
eben auch diese in ein lautes, kaum überhörbares Knacken den letzten
Lebenshauch der beiden erloschen ließ. May erschauderte unter den widerwärtigen
Geräuschen und schloss die Augen, um sich dem Szenario nicht länger widmen zu
müssen und einem androhenden Schwindelanfall begleitet von den
süßlich-metallischen Geruch des Blutes entgehen zu können. Nebst all der
unaussprechlich-abartigen Geräuschkulisse, vernahm die Seelenwächterin ihre
Tochter, wie sie wimmernd flehte, dass es aufhören möge und sich fest an dem
Corpus ihrer Mutter klammerte. Verzweifelt versuchte May ihre Caroline in
Gedanken zu beruhigen ihr klarzumachen, dass diese Prozedur lediglich eine Art
des Szeneriewechsels sei und es gleich vorüber sei, doch der stärker werdende
Duft von Blut und beigefügten Exkrementen, machte es schwer überhaupt einen
klaren Gedanken zu fassen. May spürte wie selbst Calum am Rande des Wahnsinns
war. Ein Blick in seiner Richtung verriet ihr, dass seine Lippen bebten und
jeden Moment er sie öffnen könnte, um einen langen, gepeinigten und
markerschütternden Schrei loszulassen. Seine Gliedmaßen zitterten angestrengt
unter der Versuchung, nicht nachzugeben und sich diesem Prozedere voll und ganz
hinzugeben. Doch allen Bemühungen zum Trotz spürte er, wie seine fest
aufeinandergepressten Lippen sich lösten, sein Verstand nachgab und seine Kehle
ein von unvorstellbarer Pein geplagten Schrei von sich gab. So sehr hatte er
noch nie zuvor in seiner Existenz geschrien, noch nicht einmal als er seine
allererste Seele unter schlimmster Pein von ihrem Leid befreit hatte. Doch kaum
war der letzte Klang seines Aufschreis verklungen, mahnte ihn Paul mit einem
wütenden Zischen per Telepathie leise zu sein, denn nun standen sie in nahezu
völliger Dunkelheit, in einem Zimmer. Das Rauschen des tosenden Sturms war nur
dumpf durch ein Fenster zu hören, vor welchem der sterbliche Paul stand. In
seiner Hand eine Pistole. Der schwarze Lauf war allein durch den Schein einer
einzigen, roten Kerze erkennbar, welche unmittelbar in seiner Nähe auf einer
Fensterbank platziert wurde. Wimmernde und schluchzende Laute gingen versucht
leise von dem Mann aus, welcher mit langsamen Bewegungen seine Waffe hob – in
seiner Hand fühlte sie sich viel schwerer an, als sie tatsächlich war – und
gegen seine Schläfe drückte. Sein letzter Blick blieb starr und stumm in die
verregnete Außenwelt gerichtet und sein letzter Gedanke umschloss alle
Denkinhalte, die er zuvor gehabt hatte: Was
für eine triste und unfaire Welt, in der wir leben.
~
Seine Augen weiteten sich, als er sie ansah. Seine Königin,
die eben noch mit ihrem prachtvollen Körper von lasziven Bewegungen und eben
jenem Denken gesteuert bis in vollkommene Nacktheit sich vor ihm entblößt hatte
und ihre Lippen sich gierig nach einem heißen Kuss von ihm verzehrt hatten,
besaß nun nichts mehr von all dem. Alles, was sie ausstrahlte war ein
begehrender Blick, welcher durch ihr widerwärtiges Antlitz nur unterstrichen
wurde. Ihre Gesichtshaut war zerrissen, alt und faltig. Blut quoll aus den einzelnen
Rissen hinaus, die sie mit ihren messerscharfen Krallen vertieft haben musste.
Aus ihren angeschwollenen Augäpfeln, die so groß waren, dass sie drohten jeden
Moment zu platzen, kam eine eitrige Flüssigkeit hervor, vermischt mit
einzelnen, minimalen Tropfen Blut, die gemeinsam einen äußerst bestialischen
Geruch abgaben. Für jeden Außenstehenden würde es so aussehen, als ob sie Eiter
weinen würde, doch Vincent spürte (nebst seiner Angst, die mit jeder weiteren
Sekunde, die er allein damit verschwendete seine ehemals Geliebte anzuschauen,
wuchs), dass es ihre Tränen waren, die sie weinte. „Sag mir, dass du mich
liebst!“, schrie sie ihn an. „SAG DEINER KÖNIGIN, DASS DU BIS ANS ENDE IHRER
TAGE MIT IHR LEBEN WIRST, MIT IHR EXISTIEREN
WIRST!“, brüllte sie nunmehr aus vollem Halse und verteilte einige Tropfen
heißen Teer (welcher ihren Speichel darstellen sollte) auf das Antlitz des
Jungen. Vincent wusste, dass sie seine Angst spüren konnte. Er wusste, wieviel
Macht in ihr steckte, doch er begriff nicht, warum Regina das alles tat. Warum terrorisierte sie ihr eigenes
Reich, nahm – ihrer Meinung nach – nur die besten Seelen aus dem Körper der
Sterblichen und verwendete sie schlussendlich zu ihrem eigenen Zweck?
„Begreifst du dummer Wächter es denn nicht?!“, kreischte sie erneut außer sich.
Wieder flog der Teer auf und um den Seelenwächter und symbolisierte durch ein
unüberhörbares Zischen, wie heiß und gefährlich er war. Schmerzhaft brannte er
sich in seine Haut ein, auch wenn sein immaterieller Körper jene Pein
eigentlich nicht hätte verspüren sollen, so empfand er sie bis ins kleinste
Detail und konnte nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken, welcher in Form eines
erstickten Keuchens hinaustrat. „Nein… ich… begreife es nicht, du Miststück…“,
keuchte er, den anhaltenden Schmerz, ignorierend. „Du dummer Narr“, murmelte
Regina, begleitet von einem wütenden Unterton und drückte ihren Wächter gegen
den Boden. Vincent spürte, wie sich der Straßenbelag unter ihm auftat und eine
heiße Woge aus Feuer in seinen Rücken einbrannte. Endlich entlockte ein von
schlimmen Schmerzen gepeinigter Schrei seiner Kehle und zerfetzte die Luft in
tausend Teile. Keuchend, versuchte er dieses Biest, das ihre messerscharfen
Fingernägel in sein Fleisch krallte von sich zu stoßen, doch ein merkwürdiges
Pulsieren und das ungebändigte Verlangen nach diesem Monster, hielten ihn davon
ab. Regina lächelte als sie den geschwächten Wächter sah, den sie insgeheim
schon immer – von allen möglichen Seelen – als einer der besten, klügsten und
weisesten sah, auch wenn ihm in Puncto Überlegenheit einiges an Wissen fehlte.
„Vincent“, raunte sie in sein Ohr. Das Raunen klang in seinen Ohren wie ein
ekelerregendes Schnauben, begleitet von Schleim, welcher sich in ihrem Rachen
und ihrer Nase angesammelt hatte. „Wie kann ein so kluger Seelenwächter, wie du
es nur nicht begreifen? Es war mir klar, dass dieses Weibsstück… May nicht
genügend Grips hatte, um meine Geschichte und mein heutiges Handeln daraus zu
verstehen, aber du? Solltest du nicht eher als diese Göre begreifen, was ich
will?“ Die Herrin lächelte, ehe sie ihrem Geliebten einen langanhaltenden
Zungenkuss gab. Doch dieser Kuss schmeckte anderes, als die Male zuvor. Das
süßliche war verschwunden und es herrschte ein bitterer Beigeschmack von Tod
und Fäulnis. Ekel übergab Vincent, als er sich ruckartig von ihr löste und
seinen Kopf von ihr wendete, doch noch immer fühlte er ihren stinkenden Atmen
im Nacken. Sein Unterbewusstsein kämpfte weiter, um die Liebe zu Regina und
gegen den zeitgleichen Hass, der mit jedem Mal ihrer gesagten Worte zu
dominieren schien. „May ist keine Göre und auch kein Weibsstück“, flüsterte er
entkräftet. Das Brennen in seinem Rücken schien weiter anzusteigen. So, als ob
die Flammen nach seinem Verstand und seinem Körper lechzten. „Das… einzige
Biest hier… bist du!“, versuchte er mit einem Schrei seiner Wut Ausdruck zu
verleihen, doch alles, was er erntete war verspottendes Gelächter, so wie
damals in der Schule…
„Doch das ist sie“, kicherte die Herrin und fuhr mit
zynischer Stimmlage fort. „Sie begreift einfach nicht, wie sehr mein Hass auf
die Menschen wütet, seit diese… Barbaren damals meinen Mann getötet haben. Sie
haben ihn am lebendigen Leibe gefesselt und verbrannt!“
schrie sie nunmehr und war bemüht ihre Tränen und ein wütendes, sowie
gleichzeitig bitter-melancholisches Schluchzen zu unterdrücken. „Gemeinsam mit
den anderen verbrannten, verschmorten Körpern haben sie ihn liegengelassen und
sicher als nächstes mit einem ebenso verurteilten Wesen verbrennen lassen… WIE
KONNTEN SIE SO ETWAS MEINEM MANN NUR ANTUN?!“ Reginas Stimme wandelte sich
nunmehr in einen tiefen, dunkel-verzerrten Laut, der Schmerz, Trauer und Zorn
auf einmal signalisierte und eben jene Emotionen miteinander vermischte. Doch
dieses Chaos traf Vincent wie einen Blitz und löste ihn vollends von der
Bindung seiner Königin und beendete den niemals enden wollenden Kampf um
Zuneigung und Liebe gegen Hass und Verachtung. Er begriff plötzlich, dass die
Herrin nie in ihn verliebt war. Ihre Liebe galt nach wie vor ihrem toten König,
doch ihn hatte sie nur benutzt, um ihn als gefügiges Werkzeug am Ende gegen die
Menschen zu benutzen. „Du warst es… du wolltest mich und andere manipulieren,
unsere Emotionen missbrauchen und am Ende eine Armee aufstellen, um uns im
Glauben zu behalten, die Menschen wären alle schlecht. Deshalb hast du auch die
Erinnerung von mir, dem Jungen und Caroline manipuliert!“, schrie Vincent
entgegen ihres Gekreisches. Urplötzlich, wie das Gekreische gekommen war,
verschwand es wieder. Erneutes, zynisches Lachen erfüllte die Luft und ließ die
Erde erzittern. „Richtig!“, brüllte dieses Biest beinahe außer sich. „Richtig,
richtig, richtig! Was anderes würde ich nie wollen! Begreifst du es jetzt, du
mickriger, kleiner, dummer Wächter, der es nicht einmal geschafft hat seine
Seele zu beschützen?!“ Ein breites, fast wahnsinniges Lächeln stahl sich auf
das Antlitz Reginas, ehe sie ihn losließ und ihr zerstörter, verwunderter
Körper von einer Bestie in den von May verwandelte. Der Seelenwächter stand
auf. Das Brennen, sowie der aufgetane Boden waren verschwunden. Er wusste zwar,
dass es nur ein Trick war, dass es nur ein Trick sein musste, aber etwas in seinem Verstand – es war diese kleine,
zweifelnde Stimme, die ihm immer wieder was zu flüsterte – machte ihm klar,
dass es seine May war. Die Frau mit der er seine gesamte Existenz verbringen
wollte und auch würde. „Vincent!“, rief sie panisch, rannte auf ihn zu und
schloss sich ohne zu zögern in seine Arme. Obgleich sie nichts an hatte, außer
eine dünne Jacke, zitterte ihr Körper, doch ihm war bewusst, dass es nicht
allein die Kälte sein konnte, die sie so sehr frieren ließ. Sie musste Angst
haben, große Angst. „Wo warst du nur? Ich habe mir solche Sorgen, um dich
gemacht! Auch Caroline weint jede Träne um dich. Bitte, du musst zu uns
zurückkommen, zu mir!“, weinte sie, ihre Stimme klang heiser. Wie hypnotisiert,
nahm er sie fest in die Arme und teleportierte sie zunächst ins Bad, wo er ihr
eine heiße Wanne einließ. „Beruhige dich“, versuchte er sie zu trösten und
wischte ihr ihre schwarzen Tränen weg. „Nimm erst mal ein Bad, das entspannt
und wärmt deinen Körper“, sagte er und verließ schlussendlich das Bad.
Als er die Tür hinter sich schloss und langsam an der
weißgestrichenen Eichenholztür entlangglitt, legte er seinen Schädel auf die
zusammengezogenen Knie und dachte nach. „Etwas
stimmt hier nicht“, hörte er seine eigenen Gedanken. „Etwas stimmt hier ganz und gar nicht… mit mir stimmt etwas nicht!
Warum lasse ich mich nur so sehr von ihr blenden? Sie ist eine Hexe! Eine
verdammte Hexe, die es auf mich und auf die anderen Bewohner Animarums
abgesehen hat, aber-“, urplötzlich hielt er inne, aufgrund der Vermutung,
dass sie ihn hören konnte. Dieses Monstrum, welches sich hinter May versteckte,
dann äußerte er einen letzten Gedanken für den restlichen Tag: „May… meine May, wo bist du?“. Wenig später, kam sie aus dem Bad. Ihr schlanker
Körper war in einem flauschigen, großen Bademantel gehüllt, ihre Haare waren
nass und einzelne Wassertropfen tropften auf den Parkettboden. Vincent
verspürte ein seltsames Gefühl in seiner Magengegend und auch sein Herz klopfte
schneller, als gewöhnlich. „Ähm… wenn du möchtest, kannst du nebenan in dein
Gemach gehen und dich dort umziehen. Ich bin mir sicher, dass deine
Mitbewohnerinnen noch nicht zurück sind von der Jagd…“, zögerte er mit seinem
Vorschlag, doch May erklärte sich damit einverstanden und verschwand kurz
darauf in ihrem Gemach.
Am späten Nachmittag, als Vincent sich sicher war, dass er
alleine in der Bibliothek war, recherchierte er fiebrig nach einer Antwort.
Nach einer Antwort zu all den Fragen, die ihn quälten: Warum hatte er sich von
Regina wieder täuschen lassen? Woher besaß sie diese Kunst überhaupt? Konnte er
sie auch erlernen, wenn ja: Wie? Und was noch viel wichtiger war: Wie um
Himmelswillen konnte er sich von dieser Täuschung befreien? Stunden vergingen
und die Fragen blieben, fast wollte er es aufgeben, als er inmitten der
Büchersammlung im Regal auf etwas stieß, dass er nicht entziffern konnte. Der
Titel des mit Staub bedeckten, in altem, dunkelgrünem Leder eingebundenen
Buches war in der Sprache verwandt mit der von Latein, dennoch viel es ihm
schwer sie zu entziffern. Eine Zeitlang stand er dort, versuchte angestrengt
das Geschriebene zu verstehen, doch dann klopfte es zweimal zaghaft an der Tür.
Es war seine Freundin, die mit einem leichten Lächeln auf den Lippen auf ihn
zutritt. Schnell legte der Seelenwächter das Buch zurück und entgegnete ihr
Lächeln. In dem Augenblick, in welchem sie sich nur anstarrten, suchte er
verzweifelt nach einem Fehler, einem Hinweis, dass es nicht seine Freundin war und dass er sich das alles nur einredete,
aber da war nichts mehr, was von der vorherigen Bestie Regina sprach: Keine
Löcher im Gesicht, keine aufgekratzten Lippen. Alles war so, wie er sie zuletzt
gesehen hatte. „Was machst du denn hier?“, fragte sie ihn selbst in der ihm
altbekannten, süßen Stimme. „Ich habe dich überall gesucht. Komm, lass uns die
Welt der Sterblichen bereisen. Ich kenne da einen Ort, der dir sehr gefallen
könnte“, den letzten Satz flüsterte sie geheimnisvoll, ehe sie ihn an die Hand
nahm und aus der Bibliothek ging. Ein letzter Blick war auf dieses sonderbare
Buch gerichtet, mit welchem er hoffte endlich aus diesem Albtraum erwachen zu
können.
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