The Red Lights – Teil 2: Dr. North
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
„And she’s buying a Stairway to Heaven“ – Led Zeppelin
Am Sonntag war ich völlig übermüdet, da ich die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, wegen dem was geschehen war. Ich sah immer wieder das Bild dieser Frau vor mir.
„Sie sind nicht hier…“
Ich betrachtete meine Haut und stellte mir vor, wie ich sie mit einem Messer zerschnitt und mein Blut meinen ganzen Körper und den Boden bedeckte und erschauerte. Wie konnte sie das nur mit sich anstellen und dabei nicht einmal Schmerzen verspüren? Ich ließ mich in das Sofa des Aufenthaltsraums von Station 6 sinken und dachte nach.
Man sollte diesen Menschen helfen, doch so krampfhaft ich auch nachdachte, ich hatte keine Idee, wie man dieser Frau nochmal helfen sollte. Wie sollte sie weiterhin ein normales Leben führen?
„Ich habe gehört, du hattest heute Nacht Besuch von Leyla“, sagte eine Stimme hinter mir. Erschrocken fuhr ich herum und erblickte einen Mann, der, um es sachlich auszudrücken, ziemlich wild und kaputt aussah.
Das war also ihr Name. Leyla Hallory, ihr Nachname war gestern gefallen. Ich nahm mir vor, mehr über Leyla Hallory zu erfahren, soweit es möglich war, da es mich interessierte, was mit ihr geschehen war. „Ja, das ist richtig.“
„Und? Wie war sie so?“ Der Mann kicherte leise. Ich blickte ihn verwundert an. „Was meinen Sie? Wie soll Sie schon gewesen sein?“
Der Mann begann noch wilder zu kichern. „Die ist schon ’ne hübsche oder?“ Ein seltsames Gefühl durchfuhr meine Glieder, gleichzeitig mit einer ersten Abneigung.
„Darüber habe ich mir die wenigsten Gedanken gemacht. Ich war mehr damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass sie nicht stirbt.“ Der Mann verdrehte die Augen und grinste wieder. „Ach was, wenn die Alte nachts vor meinem Bett stehen würde, könnte sie so viel bluten, wie sie will, wäre mir egal. Die hätte ich gerne mal alleine für mich!“
„Wie bitte?“ Dieses seltsame Gefühl wich jetzt purem Ekel gegenüber diesem Kerl. „Wie können Sie es nur wagen, so etwas widerliches und respektloses über eine arme, hilflose Frau zu sagen?“ Ich bemerkte, dass meine Stimme laut geworden war und einige Köpfe drehten sich zu uns.
Ein warmes Brodeln im Magen… schneller Herzschlag… leichtes Leuchten der roten Lampen…
„Ach, tu nicht so scheinheilig!“ Der Mann blaffte mich genauso an, wie ich ihn. „Du hältst dich wohl für was besseres? Du hättest sie dir auch vorgenommen!“
Mittlerweile betrachtete ich diesen Mann vor mir nur noch als Abschsum, als eine Verschwendung menschlicher Lebensenergie. „Zufällig war sie gestern bei mir und ich habe NICHT so gehandelt!“ Meine Stimme hallte lautstark durch den Raum und ich hörte, wie eine Tür aufging, die Tür zum Pflegerraum, aber das interessierte mich jetzt nicht. „Und wissen Sie warum? WEIL ich besser bin wie Sie, weil ich kein reudiger Hund bin!“
„UND WENN DU SOVIEL BESSER BIST WIE ICH, WARUM BIST DU DANN HIER?!“ Er hatte jetzt lauthals zu schreien begonnen. „DU BIST GENAUSO KRANK WIE ICH, DESWEGEN BIST DU DOCH HIER, ODER?“ Er verfiel in ein wahnsinniges Lachen und mir platze endgültig der Kragen und bevor ich wusste, was geschah, sprang ich ihm an den Hals und drückte ihm auf dem Boden die Luft ab. Er versuchte nach mir zu schlagen, aber ich war so zornig, dass ich stärker wurde als sonst und mir seine Schläge nicht wehtaten.
Kennen Sie dieses Gefühl? Wenn ihre Wut Sie derart überrennt, dass Sie nicht mehr menschlich sind, sondern übermächtig? Man könnte Sie schweren Schmerzen aussetzen, doch Sie würden sie nicht mehr spüren, da Sie nur noch zerstören wollen und diessr Drang gibt Ihnen Kräfte, die Sie vorher noch nicht hatten. Und so erging es mir, als ich diesen ekelhaften Mann angriff. Ich wollte ihn bestrafen für das, was er eben gesagt hatte, dass er es gewagt hatte, sich so abfällig über ein hilfsbedürftiges, menschliches Wesen zu äußern und dass er sich erdreistet hatte, mich mit so etwas wie ihm gleichzusetzen.
Mehrere Hände griffen mir hart um die Schultern und die Arme und rissen mich los. Allerdings war ich noch lange nicht zufrieden, dieser Mensch hatte noch mehr Schmerzen verdient, er hatte sie einfach verdient. Daher versuchte ich mich mit allen Kräften loszureißen, doch die Pfleger waren stärker wie ich. Sie legten mir Handschellen an und beförderten mich in den Sicherhautsraum, wo sie mich an einem Stuhl fixierten. Das war tatsächlich das erniedrigendste, was ich bisher erlebt hatte in meinem Leben. Wehrlos, gefesselt wie ein wildes Tier saß ich auf einem Stuhl, meine Arme hinter meinem Rücken, meine Brust und meine Beine mit Lederriemen an das weiche Kautschuk, dass den Stuhl überzog gebunden. Ich blickte nach oben und sah, dass mich die Pfleger beobachteten.
Das schien ihnen wohl zu gefallen, einen Mann der sich nicht wehren konnte, so zu behandeln. Je länger wir uns gegenseitig beobachteten, desto wütender wurde ich. „Wieso zur Hölle helft ihr diesem Schwein auch noch? Habt ihr gehört, was er gesagt hat? Dem solltet Ihr sofort die Giftspritze geben!“ So wütend wie nun war ich, so glaube ich, noch niemals zuvor in meinem Leben.
Einer der Pfleger blickte den anderen besorgt an. „Holen Sie bitte Dr. North, ich möchte, dass Sie ihn sieht.“ Oh natürlich, sie wollten mich also zur Schau stellen, das war ja klar. Die einzige Erklärung, die mir in diesem Moment logisch erschien war, dass sie an dem, was sie gerade taten, einen sadistischen Spaß empfanden.
„Ich wünschte, ich könnte dich jetzt kriegen, Pfleger!“ Das rote Licht in mir beleuchtete sie alle strahlend grell, so grell, dass es fast schon schmerzhaft war. Selbst in diesem rasenden Moment war ich mir sicher, dass ich noch nie in meinem Leben so zornig gewesen war, doch ich wusste natürlich, woher es kam. All die Frustration über das, was geschehen war, die ganzen deprimierenden Gefühle und die Gedanken der Trauer, alles was während dieser ersten Woche meines Klinikaufenthaltes angesammelt hatte, entlud sich jetzt in einem großen Schlag. Später würde ich mich absolut befreit fühlen und mich wieder schämen, doch im Augenblick sah ich nur rot, überall wo ich hinsah.
Nach ein paar Minuten kam der andere Pfleger zurück und hatte noch eine weitere Person dabei. Es war eine große, junge Frau, sie war so jung, dass sie wohl eben erst ihr Studium in Psychologie abgeschlossen haben musste. Sie blickte mich ein paar Sekunden an, dann wandte sie sich zu den Pflegern. „Lassen Sie mich bitte allein.“ Diese gehorchten und schlossen die Tür, sodass nur noch ich selbst und die Frau, die auf einem Stuhl gegenüber von mir Platz nahm.
„Was wollen Sie von mir?“, fuhr ich sie an. „Es ist lächerlich, dass man so behandelt wird, weil man einen dreckigen Vergewaltiger nicht einfach sagen lässt, was er will!“
„Bitte beruhigen Sie sich.“ Sie sagte das weder in einem flehenden, noch drängenden Ton, eher war ihre Stimme absolut ruhig und monoton.
„Zur Hölle mit Ihnen und ihren Pflegern“, schrie ich. „Dieser Kerl hat nicht die leiseste Ahnung von den grundlegendsten Manieren oder moralischen Prinzipien und ICH werde behandelt wie ein Straftäter!“
Sie erwiderte nichts, ihre grünen Augen beobachteten mich einfach ruhig. Man musste ihr zugestehen, dass sie eine äußerst beruhigende Ausstrahlung hatte. Ich atmete nur noch schnell vor mich hin und versuchte grob, mich gegen die Fesseln zu wehren, doch langsam, ganz langsam erloschen die roten Lichter und meine Gedanken begannen, sich wieder zu fokussieren und wieder vernünftig zu werden.
Nach einer Weile schließlich waren die Lichter komplett erloschen. Ich ließ den Kopf auf den Schoß fallen und begann leise zu weinen. „Mr. Corner?“ Ihre tiefe, ruhige Stimme drang durch meine Ohren in meinen Kopf. Ich sah auf und blickte sie an. Noch immer beobachte die Frau mich genau, doch keineswegs herablassend, sondern vielmehr mitfühlend und interessiert. „Geht es Ihnen besser?“
Ich konnte einfach nicht anders als zu weinen, egal wie sehr ich versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Jetzt war ich wieder am Nullpunkt, an dem ich mich meiner ganzen Existenz schämte. „Es tut mir so leid…“, stammelte ich.
„Schon gut“, sagte sie sanft. „Mr. Corner?“ Wieder sah ich sie an. „Sie kennen mich noch gar nicht, deswegen möchte ich mich zuerst vorstellen. Mein Name ist Dr. Isabella North, ich bin seit einem Jahr staatlich anerkannte Psychologin und Ihre behandelnde Ärztin.“
Ich sah sie ein wenig verwundert an. „Was ist mit Dr. Doyle?“
Jetzt setzte sie ein Lächeln auf, welches ihr schönes Gesicht perfektionierte. „Dr. Doyle wurde einem anderen Patienten zugeordnet. Aufgrund meiner aktuell sehr kurzen Berufserfahrung zog man es vor, mir einen etwas weniger schwierigen Fall zuzuordnen. Allerdings nur, wenn das auch für Sie in Ordnung ist.“
Ich schüttelte den Kopf. „Mir ist das momentan alles scheißegal“, sagte ich mit gebrochener Stimme.
„Dann werden wir das vorerst so belassen. Sollten Sie sich einen anderen Psychologen wünschen, steht es Ihnen jederzeit zu, dies zu äußern und man wird mich von Ihrer Behandlung abziehen und Ihnen jemand anderen zuordnen.“ Ich erwiderte nichts und blickte wieder zu Boden. Eine einzelne Träne lief über meine Nase. „Mr. Corner…“
„Raymond.“
„Schön. Raymond, was hat Sie denn so wütend gemacht?“ Ich sah weiter zu Boden und versuchte, die Scherben meiner Erinnerung aufzusammeln. Wie genau war das nur schon wieder passiert?
„Gestern Nacht… da war diese Frau in meinem Zimmer…“
„Leyla Hallory, ja. Ich bin über diesen Vorfall informiert.“ Sie beobachtete mich weiter aufmerksam.
„Dr. North, könnten Sie mich jetzt übrigens wieder von diesem Stuhl lassen?“ Ich schaute sie flehend an.
„Im Augenblick nicht, Mr. Corner. Ich kenne das Ausmaß ihrer Krankheit nicht und muss davon ausgehen, dass noch etwas geschehen könnte. Wenn ich Sie besser kenne, werde ich mir ein genaueres Bild machen können. Bitte haben Sie Verständnis.“ Die hatte ich nur in begrenztem Maße, inzwischen war ich doch wieder ganz ruhig, das konnte man doch sehen. Doch ich wollte nicht schon wieder wütend werden, also akzeptierte ich es so, wie es nun einmal war und fuhr mit meinem Bericht fort. „Miss Hallory hatte sich ihre Arme und ihr Fleisch zerschnitten und das ganze geht mir schon den ganzen Tag in meinem Kopf herum, weil…“ Ich wusste nicht, wie ich diesen Satz vollenden sollte.
„…sie Ihnen leidtut“, brachte es Dr. North auf den Punkt. Ja, sie hatte genau ins Schwarze getroffen.
Ich nickte. „Ich denke darüber nach, was diese Frau erlebt haben muss, dass sie so geworden ist und ob sie jemals wieder ein normales Leben führen kann. Und irgendwie hat sich diese Geschichte auf der ganzen verdammten Station herumgesprochen. Und dann kommt dieser dreckige Hund, dieses elende Schwein und sagt so etwas, so etwas schmutziges und abwertendes über diese arme Frau!“ Mein Herz füllte sich schon wieder mit Hass und meine Stimme wurde enorm härter. Ich war nicht mehr wütend, aber eines war klar. Meine Abscheu hatte sich dieser Kerl für immer gesichert.
„Und daher sind Sie wütend geworden.“ Dr. North machte sich mit einem Kugelschreiber Notizen auf einem Blatt Papier. Ein weiteres Klischee, dass erfüllt wurde.
„Auch wenn Ihnen das womöglich nach dem ersten Eindruck nicht so vorkommt, Dr. North, ich bin ein sehr mitfühlender Mensch und Gerechtigkeit und eine gewisse moralische Grundordnung sind mir sehr wichtig.“ Sie hielt kurz inne, ihre grünen Pupillen blickten mich an, dann huschten sie zurück auf das Blatt und schrieb weiter. Nach etwa 30 Sekunden legte sie beides beiseite und sah wieder mich an.
„Ich gebe Ihnen Recht Raymond. Die Äußungen des Mannes bezüglich der Patientin Leyla Hallory kann ich nicht unterstützen und empfinde sie als unangebracht. Doch diese Person ist selbst nun mal nichts anderes – ein Patient. Daher dürfen Sie auf vieles was gesagt wird, nicht achten, da es und das muss ich so unschön wie es klingt sagen, keinem klaren Kopf entspringt.“ Sie hielt inne und beobachtete mich, offenbar wartete sie auf eine Reaktion. Als ich nur schweigend zurücksah, fuhr sie in ihrer ruhigen Art fort. „Was Leyla Hallory anbetrifft, kann ich Sie ebenfalls verstehen. Ich weiß, was in Ihrer Vergangenheit geschehen ist, ich darf und werde nicht darüber sprechen. Aber sie ist tatsächlich eine sehr bemitleidenswerte Patientin. Sie können sich sicher sein, dass man alle vorhandenen Maßnahmen ergreifen wird, um ihr zu helfen, allerdings hat sie ein so extrem ausgeprägtes Krankheitsbild, dass sich dies als äußerst schwierig erweist. Ich warne Sie davor, zu mitfühlend gegenüber anderen Patienten zu sein, da dies auf Dauer eventuell auch Ihr geistiges Wesen schädigen könnte. Das klingt zwar böse, allerdings ist es leider wahr. Verstehen Sie mich?“
Ich nickte, auch wenn ich all ihre Worte tatsächlich erstmal sortieren und in einen logischen Kontext bringen musste. Sie lächelte mir zufrieden zu. „Gut. Bitte machen Sie sich wegen des heutigen Vorfalls nicht verrückt. Dies ist Ihr Problem und Sie sind hier, damit ich Ihnen dabei helfen kann. Durch die Ereignisse konnte ich mir ein erstes Bild machen, das war also sogar recht förderlich. Wir haben morgen und Mittwoch einen Gesprächstermin.“
„Okay.“ Ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte. Ich war nicht mehr wütend und hatte mich komplett ausgeweint. Jetzt fühlte ich mich nur noch müde und leer. Dr. North schenkte mir noch ein letztes Lächeln. „Ich werde den Pflegern Bescheid geben, dass es Ihnen besser geht.“ Und damit drehte sie sich um und verließ den Raum, doch ich blickte ihr noch eine zeitlang hinterher. Sie war sehr sympathisch und vertrauenswert.
Ich hatte bisher zwei Termine mit Dr. Quentin Doyle gehabt und war nicht wirklich überzeugt gewesen. Er hatte mir zwar zugehört und mit mir geredet, aber man hatte deutlich gemerkt, dass er schon viele Jahre in dem Beruf war und ich für ihn nur noch einer von vielen war und ihn eigentlich nicht interessierte.
Sie jedoch machte einen völlig anderen Eindruck. Sie schien tatsächlich in jedem Mensch auch noch den Menschen zu sehen und wissen zu wollen, was in diesem vorging. Ich mochte sie und war froh, dass sie meine neue Psychologin war.
Allerdings ließ die nächste Katastrophe nicht lange auf sich warten. Gegen 6 Uhr Abends hörte man aus einem der Flure einen lauten Knall und erschrocken fuhren wir alle zusammen. Ein paar Pfleger gingen nach hinten, um nachzusehen, was geschehen war und ich folgte ihnen, vielleicht konnte ich ja behilflich sein. Wie sich herausstellte, kam das laute Geräusch aus dem Arztzimmer, wo bei kranken Patienten Untersuchungen und im unabdingbaren Notfall auch kleinere Notoperationen durchgeführt werden konnten.
Ich blickte in den Raum hinein. Auf dem Boden lag ein Pfleger, allerdings war es keiner von denen, die gerade nach hinten gegangen waren, er musste schon vorher dort gewesen sein. Die anderen standen reglos im Raum und in der anderen Ecke des Raumes stand Leyla Hallory. Sie hatte ein langes Skalpellmesser in der einen und einen Elektroschocker in der anderen Hand. Diesen führten die Pfleger mit sich, für den Fall, dass einer der Patienten angriff und es gar keine andere Möglichkeit mehr gab. Allerdings rechneten sie nicht damit, dass eine der Patienten sich einen solchen selbst aneignen könnte.
Sie hatte es offensichtlich geschafft, einen von ihnen in diesen Raum zu locken und dann K.O. zu schlagen. Mit seinem Taser hielt sie nun die anderen Pfleger in Schach, die versuchten, die weinende Frau zu beruhigen.
„Miss Hallory, bitte beruhigen Sie sich…“
„Es geht nicht, ich muss raus, ich schaffe es nicht…“, flüsterte sie hektisch. Ihre Augen huschten von einem Pfleger zum anderen und ich erkannte, dass sie anscheinend einen klaren Moment hatte, in dem sie wusste, wer und wo sie war und wahrscheinlich auch warum und ein Stein legte sich mir in den Magen.
„Könnte bitte jemand so schnell wie möglich einen Arzt rufen?“ Einer der drei verließ das Zimmer und die anderen zwei blieben mit der völlig aufgelösten Frau zurück. „Miss Hallory, bitte legen Sie dieses Messer weg, sie werden es sehr wohl schaffen, so wie alle, sie brauchen nur etwas Zeit“, sagte einer der zwei sanft.
„Nein!“ Sie schüttelte hektisch den Kopf. „Jeden Tag passiert immer wieder das gleiche! Ich halte das nicht mehr aus!“
Der zweite Pfleger hob beschwichtigend die Hände. „Sie haben es nicht leicht, aber nichts ist unmöglich. Wenn Sie jetzt aufgeben, ist alles vorbei, aber wenn Sie sich von uns helfen lassen, wird alles wie früher.“
Sie lügen“, kreischte sie. „Gar nichts wird wie früher! Es ist niemand mehr da, Amy ist tot und alle anderen sind auch weg! Ich habe nichts mehr in meinem Leben!“ Sie senkte den Kopf und die Pfleger machten vorsichtig einen langsamen Schritt auf sie zu. Dann, ohne jede Vorwarnung, schlitzte sie sich mit dem Skalpell die Kehle durch.
Patientenakte zu: Raymond Corner
Patient-ID: EX2305RT7
Behandelnder Psychologe/in: Dr. Isabella North
Einweisungsdatum: 15. April 2019
Patientenbericht vom 21. April 2019
Geschrieben und unterzeichnet: Dr. Isabella North
Ich hatte heute den ersten Kontakt mit dem Patienten Raymond Corner, welcher sich aufgrund von starken Selbstbeherrschungsproblemen freiwillig selbst einwieß. Der Patient erlitt heute seinen ersten Aussetzer von Selbstbeherrschung seit dem Beginn der Therapie, weswegen man mich konsultierte. Der Patient hatte zuvor einen anderen Patienten attackiert und wehrte sich gegen die Pfleger, war als gefährlich einzustufen, sodass er sicherheitsfixiert wurde. Im Gespräch offenbarte mir der Patient, dass er wegen einer Aussage eines Mitpatienten über eine weitere Patientin verärgert war und laut eigener Angabe einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und Empathie habe. Als ich eintraf, war der Patient enorm zornig und wild, sodass ich seine Wut, die ich hiermit nur einmal erlebt habe, als schwerwiegend einstufen muss. Der Patient äußerte hingegen im Gespräch mit Anstaltsleiter Samuel Widrow, dass er häufig, jedoch nicht immer so wütend sei. Daher werde ich diese Zustände von Selbstbeherrschungsverlust in vier Stufen unterteilen, wobei Stufe 1 die niedrigste und Stufe 4 die höchste ist und ich den heutigen Vorfall aufgrund seiner Intensität auf Stufe 4 stelle. Bei fortgeschrittener Erforschung des Krankheitsbildes des Patienten erlaube ich mir, in diesem System, sowie der Einstufung zu variieren. Nach meinem heutigen ersten Eindruck erwäge ich eine Behandlung des Patienten mit dem Psychopharmakum Novaxyl zum erfolgreichen Verhindern von Wutzuständen. Das weitere Verhalten des Patienten, die Gespräche während der Einzeltherapie und der Erfolg der Gesamttherapie werden von mir weiterhin beobachtet, aufgezeichnet und protokolliert.
Gezeichnet: Dr. Isabella North
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