GeisterGeisteskrankheitKreaturenMittel

03:13

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Das Licht vor Lora Kilgrims Haus wurde durch einen Bewegungssensor eingeschaltet. Es war kein helles Licht, kein Flutlicht, was jedem uneingeladenen Gast schnell zu verstehen gab: „Ich sehe dich, jeder sieht dich, verpiss dich oder ich rufe die Polizei!“

Nein, es war ein warmes, fast schon einladendes Flackerlicht, welches dem Besucher, ob eingeladen oder nicht, ein herzliches: „Willkommen! Hier hast du etwas Licht, damit du auch siehst, wo du hintrittst. Komm nur rein. Kaffee? Tee? Plätzchen?“ vermittelte.

Lora störte dies im Allgemeinen nicht. Das Licht passte zu dem sehr alten, doch gemütlichen Haus am Waldrand.

Sie war gerade erst hier eingezogen und sah, entgegen der Meinung ihrer Mutter, nicht ein, warum sie ein Sicherheitssystem benötigen sollte.

Das Haus wirkte auf niemanden so, als wäre hier viel zu holen. Klar, die nächsten Nachbarn waren meilenweit entfernt und somit konnte sich jeder Einbrecher hier ungestört seiner Sache widmen, doch wer sollte das einsame Häuschen hier draußen überhaupt finden?

Es war eine sternenlose Nacht, als Lora aus ihrem wie immer viel zu leichten Schlaf aufschreckte. Ihr Schlafzimmer wurde von der Außenlaterne des Hauses schwach erleuchtet und die Schatten der Bäume vor ihrem Fenster tanzten an den weißen Wänden des Zimmers auf und ab. Bestimmt hatte ein wildes Tier oder eine verirrte Katze den Sensor ausgelöst. Das passierte andauernd.

Sie wollte sich gerade wieder in ihr Kissen kuscheln, da hörte sie, wie das Kies auf dem Gehweg unter ihrem Fenster knirschte. Einmal, Zweimal. Leise hintereinander hörte sie das knirschen immer wieder, wie die schleichenden Schritte eines Menschen.

Lora versuchte, sich zu beruhigen. Ein großes Tier, das musste es sein. Im Wald soll es sogar Bären geben, vielleicht hatte sich einer von ihnen verirrt und suchte in ihrem Garten nach etwas Essbarem? Das war etwas weit hergeholt, zugegeben, doch irgendwie musste sie ihren raschen Herzschlag beruhigen.

Sie wagte es nicht, aufzustehen und aus dem Fenster zu schauen, um sich zu vergewissern. Lora war erstarrt und hielt den Atem an, bis das nächste Geräusch zu hören war.

Das schrille Klingeln der Türglocke schallte durch das Haus und ging ihr durch Mark und Bein.

Ein rascher Blick auf ihr Handy, welches neben ihrem Kissen lag, verriet ihr, dass es 03:13 Uhr war. Wer sollte zu einer solch unchristlichen Zeit bei ihr klingeln?

In Ihrem Kopf debattierte sie mit sich. Sollte sie aufstehen und die Tür öffnen? Vielleicht wäre es klüger, einfach liegenzubleiben und zu hoffen, dass der uneingeladene Gast von selbst verschwand? Aber was, wenn die Person ihre Hilfe benötigte? Der Wald war nah, vielleicht hatte ein Jäger einen Jagdunfall gehabt und benötigte dringend medizinische Versorgung?

All diese Gedanken wirbelten in ihrem Kopf umher, während sie wie versteinert unter ihrer warmen, schützenden Bettdecke lag. Wie ein Kind, welches fürchtete, das Monster unter seinem Bett würde nach seinen Knöcheln greifen, sobald die Füße den Boden berühren würden.

Minuten verstrichen wie Stunden.

Das Klingeln wiederholte sich nicht, genauso wenig wie das Knirschen des Kieses.

Lora wartete angespannt auf ein Zeichen, dass die Person ihr Grundstück wieder verließ. Auf Schritte, die sich über das Kies, weg von ihrem Haus, bewegten. Doch die Nacht war erneut in Stille gehüllt, abgesehen von dem Pfeifen des Windes und dem Rascheln der Blätter, zu deren Tönen sie schließlich erneut in einen seichten Schlaf schwebte.

Einige Tage waren verstrichen und Lora hatte den Vorfall bereits beinahe aus ihrem Bewusstsein verdrängt.

Sie hatte ihrer Mutter davon berichtet, welche sie jedoch überzeugen konnte, dass sie das alles bestimmt nur geträumt hatte. Gleichwohl sei dies wahrscheinlich ein Zeichen ihres Unterbewusstseins, dass ein besseres Sicherheitssystem um ihr Haus vonnöten war.

Lora sträubte sich dagegen. Ein Flutlicht und Sirenen passten einfach nicht zu dem niedlichen Häuschen am Waldrand. Sie erfreute sich an den tierischen Besuchern, die regelmäßig durch ihren Vorgarten wanderten und hätte sie ein alarmgesichertes Haus mit hellen Lichtern, würden diese bestimmt fernbleiben.

Jedoch wurde sie den Gedanken nicht los, dass es durchaus nützlich wäre den Garten und die Haustüre jederzeit im Blick zu haben. Auch wenn es nicht nur für ihre Sicherheit gewesen wäre, so würde sie endlich auch beobachten können, welche Waldbewohner sich zu ihr verirrten.

Unter diesem unschuldigen Vorwand entschloss Lora sich also, Kameras mit Nachtsichtfunktion an der Fassade des Hauses anzubringen. Eine direkt auf den Vorgarten und das stets offene Gartentor gerichtet, die andere direkt über der Eingangstüre befestigt. Bei Bewegungen würden sich diese automatisch einschalten und Lora konnte auf ihrem Smartphone die Übertragenen Bilder einsehen.

Die kommenden Nächte verliefen ruhig. Immer wieder schaute sich Lora die Bilder der Überwachungskameras an und konnte vordergründig Füchse, Rehe und Hasen bei ihren nächtlichen Streifzügen durch ihren Garten beobachten.

Lora hatte den Vorfall schon erfolgreich in den hintersten Ecken ihres Hirns verdrängt und war sich mittlerweile auch relativ sicher, die Sache ohnehin nur geträumt zu haben.

Doch da passierte es wieder.

Zischend sog Lora die warme Heizungsluft ihres Schlafzimmers ein, als sie aus ihrem Schlaf hochschreckte. Hatte sie gerade die Türklingel gehört, oder hatte sie geträumt?

Ihr Blick schweifte zu den Fenstern, von denen das warme, flackernde Licht der Beleuchtung in ihr Schlafzimmer fiel. Sie tastete auf dem Nachttisch nach ihrem Handy.

Der Sperrbildschirm verriet ihr, dass es 03:13 Uhr war. Sie tippte rasch ihre PIN ein, als sie es erneut hörte. Das hoch klirrende Geräusch der Türklingel ließ sie zusammenzucken.

Sie erstarrte kurz und lauschte, doch es war nichts anderes zu hören. Kein knirschendes Kies, nur die stille Gewissheit, dass jemand jetzt gerade direkt vor ihrer Tür stand und nach Einlass verlangte.

Rasch öffnete sie die App auf ihrem Handy, um die Bilder der Kameras abzurufen. Sie wählte die Türkamera aus und ihr stockte der Atem. Die Nachtsichtfunktion der Kamera tauchte das unscharfe Bild in einen Grünstich. Doch trotzdem konnte sie ihn deutlich sehen. Dort, vor ihrer Tür, lächelte ein Mann direkt in die Kamera. Er stand leicht nach vorn gebeugt da, bewegte sich nicht, lächelte nur stets weiter sein unheimliches Grinsen, das von Sekunde zu Sekunde breiter zu werden schien. Seine Augen waren dunkle Schatten, beinahe schwarz und tief in den Schädel gesunken. Das Gesicht kreideweiß und abgemagert. Er trug ein weißes Gewand, fast wie ein übergroßes T-Shirt, welches seine knochige Statur umhüllte.

Lora konnte ihre Augen nicht von dem liveübertragenen Video lösen. Sie starrte den Mann an und er starrte unentwegt zurück. Sie konnte sich kaum bewegen, ihr Atem stockte und sie betete, dass sie auch wirklich daran gedacht hatte, die Türe abzuschließen, doch sie wagte es nicht aufzustehen und es zu überprüfen.

Mit einer plötzlichen Bewegung drehte sich der Mann nun um, Loras Herz raste, und er ging mit langen, raschen Schritten in den Wald hinein und verschwand in dessen Dunkelheit. Ein Stein fiel von ihrem Herzen. Er war weg. Sie schaute auf die Uhr, 03:45 Uhr. Eine halbe Stunde hatte er vor ihrer Türe gestanden und in die Kamera gelächelt. Und nun war sie sich sicher, dies war kein Traum gewesen. Sie hatte Beweise.

Es erschien Lora wie eine Ewigkeit, bis die ersten Sonnenstrahlen hinter den Bäumen hervordrangen.

Vielleicht hatte ihre Mutter recht, es war an der Zeit, die Sicherheitsvorkehrungen in dem Haus etwas aufzurüsten. Doch ihr schwebte da eine etwas andere Alarmanlage vor.

Noch am selben Tag fuhr sie zu einem Tierheim und suchte sich einen Hund aus. Sie wünschte sich ohnehin schon lange einen pelzigen Mitbewohner in dem einsamen Haus und nun hatte sie nur einen Grund mehr, dessen Einzug zu beschleunigen.

Ein großer, muskulöser Pitbull-Mischling namens „Heimdall“, der zwar sehr gefährlich aussah, doch laut Tierheim ein absoluter Schatz war, kam mit ihr nach Hause.

Die zuständige Tierpflegerin versicherte ihr, dass er sehr bellfreudig war. Dies war anscheinend sogar der Grund gewesen, warum ihn die vorherige Familie ins Tierheim gebracht hatte. Sein Bellen hätte regelmäßig das neugeborene Baby geweckt, jedes Mal, wenn Besuch kam.

Er war perfekt.

Die nächsten Nächte verliefen erneut ruhig. Doch schon nach einer Woche wurde Lora von Heimdalls kräftigem Gebell aus dem Schlaf gerissen. Ein Blick auf ihr Handy bestätigte ihre Vermutung. Es war 03:13 Uhr.

Rasch öffnete sie die App auf ihrem Handy und noch bevor sie das Bild der Kamera vor sich hatte, schallte das Klingeln durch das Haus.

Da stand er. Erneut in den Grünstich der Kamera-Nachtsicht gehüllt, mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht und starrem Blick in die Kamera.

Heimdall stand auf der anderen Seite der Haustüre und spielte völlig verrückt. Er bellte, fletschte die Zähne und sprang an der Türe hoch, wobei er das Holz komplett zerkratzte. Doch der uneingeladene Gast blieb unbeeindruckt stehen, konnte nicht abgelenkt werden und starrte unentwegt in die Kamera. Es war, als würde er den Hund gar nicht hören.

Loras Herz pochte. Ihre Knie umklammernd, saß sie auf ihrem Bett und starrte auf ihr Smartphone.

Dann passierte es. Der Besucher hob seine Hand und klingelte erneut. Den Blick unentwegt der Kamera entgegen, fast herausfordernd. Das war neu.

Lora war starr vor Angst. Die Tür zu öffnen, war schon lange keine Option mehr, doch die Wut packte sie.

Sie schrie, während ihr Tränen aus Angst und Wut die Wangen hinab flossen: „Verpiss dich! Scheiße, HAU AB!“

Das Grinsen des Besuchers wurde breiter, fast unnatürlich spannte es sich über seine Wangen und er legte seinen Kopf kaum merklich etwas schräg zur Seite. Dann machte er kehrt und sprintete in den Wald, wo er in der Dunkelheit verschwand. Wie bereits beim letzten Mal.

Heimdall fiel es schwer sich zu beruhigen und er bellte noch weitere 15 Minuten, bis er sich endlich von der Tür abwandte und sich zu Lora ins Bett legte, jedoch hellwach und mit gespitzten Ohren.

Der Besuch dieses nächtlichen Eindringlings dauerte in dieser Nacht weniger lange, doch Lora hatte ein ungutes Gefühl. Etwas in den Augen des Besuchers veränderte sich, als sie ihn anschrie. Es beunruhigte sie. Es war das erste Mal, dass er irgendeine Mimik gezeigt hatte, die von seinem starren Grinsen abwich.

Loras Gefühl gab ihr Recht. Etwas hatte sich geändert. Es schien fast so, als hätte sie den Besucher wütend gemacht.

Von diesem Moment an, erschien er jede Nacht vor ihrer Tür, ausnahmslos. Und er war hartnäckig, er klingelte mehrmals. Er klingelte Sturm. Anfangs versuchte Lora sich still zu verhalten, um ihn nicht erneut zu verärgern. Doch bald endete es damit, dass sie schreiend in ihrem Bett kauerte, während er unentwegt klingelte, bis irgendwann die Sonne hinter den Bäumen aufging. Nacht für Nacht.

Lora war am Rande der Verzweiflung. Die Polizei war für sie keine Option, was sollten die schon tun?

Sollte sie ausziehen, oder mindestens mal einige Nächte bei ihrer Mutter übernachten? Aber nein, dies war ihr Haus, ihr Zuhause. Einfach wegrennen und den Besucher gewinnen lassen, das würde sie nicht tun.

In ihrer Verzweiflung fuhr Lora am nächsten Morgen zu ihrer Mutter, mit einem bestimmten Vorhaben. Ihr Vater war zwar vor einigen Monaten verstorben, doch sie wusste genau, wo er seine Waffe aufbewahrt hatte. Ihre Mutter hatte davon keine Ahnung, sie verabscheute Waffen, so wie es Lora eigentlich auch tat. Doch mittlerweile konnte sie die Gedankengänge ihres Vaters ein wenig nachvollziehen. Vielleicht war es nicht immer eine schlechte Idee, eine Waffe im Haushalt zu haben.

Unter einem Vorwand verschwand Lora auf dem Dachboden ihres Elternhauses und fand in den hintersten Ecken den völlig verstaubten Safe. Als Teenager hatte sie die, zugegeben keine Schwierigkeiten, Zahlenkombination geknackt. Es war ihr Geburtstag.

Vorsichtig holte sie die 22“ Smith & Wesson aus dem Safe und verstaute sie in ihrer Handtasche, zusammen mit einem Karton der passenden Munition.

Es war, als hätte Lora es geahnt. Die Abstände, mit denen der nächtliche Gast sie besuchte, wurden immer kürzer. Doch diese Nacht war sie vorbereitet.

Sie hatte nicht geschlafen, sondern lag hellwach auf ihrem Bett, in einer Hand die Waffe fest umklammert, mit der anderen streichelte sie sanft über Heimdalls massigen Kopf.

Punkt 03:13 Uhr ertönte es. Das klingeln. Ein kurzer Blick auf ihr Handy bestätigte es ihr, er war zurück. Er und sein Grinsen, die dunklen Augen direkt in die Kamera gerichtet.

Loras Herz schlug heftig in ihrer Brust, doch sie richtete sich langsam auf. Einige Minuten saß sie aufrecht auf dem Bett und starrte in den Bildschirm, wo sein unheimliches Grinsen ihr entgegen strahlte. Sie atmete tief durch und setzte ihre nackten Füße auf den kühlen Holzboden ihres Schlafzimmers.

„Ich habe eine Waffe und ich werde sie einsetzen, wenn du nicht sofort verschwindest und mich in Ruhe lässt. Du verfluchter Psycho!“

Erneut beobachtete sie die Reaktion des Gastes auf dem Bildschirm. Sein grinsen verzog sich noch weiter über sein Gesicht. Er hob die Hand und klingelte nochmals. Als wollte er sie provozieren.

Lora entsicherte die Waffe und erhob sich von dem Bett. Am ganzen Körper zitternd, doch mit zügigen Schritten, ging sie zur Tür. Das Einzige, was sie jetzt noch von ihrem ungebetenen Gast trennte, war die dünne Holztüre.

„Ich warne dich“, sprach sie und versuchte dabei so selbstbewusst zu klingen, wie es nur ging.

Plötzlich vernahm sie ein Kichern hinter der Tür. Es klang hoch, fast wie das eines Kindes. Er lachte sie aus.

„Ich habe dich gewarnt“, sagte Lora mehr zu sich selbst als zu ihm. Dann hob sie langsam die Waffe und drückte ab.

Der Schuss löste sich, ein ohrenbetäubender Knall ertönte und die Kugel riss ein Loch in die fragile Holztüre. Lora atmete rasch. Für einen kurzen Moment herrschte Stille. Dann fing er an, an die Tür zu hämmern, mit seinen Fäusten. Wie ein Verrückter hämmerte er auf die Tür ein. Lora bekam Panik, hatte sie etwa verfehlt?

Sie drückte erneut ab, einmal, zweimal, dreimal. Sie hörte nichts mehr, außer ein hohes Pfeifen in ihren Ohren und einen kurzen Moment betete sie, dass der Tinnitus nicht dauerhaft war. Doch dann war es zurück, das Klopfen. Dieses Mal kam es jedoch nicht von der nun völlig durchlöcherten Tür, sondern von dem Fenster zu ihrer rechten. Hinter der verschmutzten Glasscheibe stand er, beide Hände an die Scheibe gepresst und völlig unversehrt grinste er ihr entgegen.

Lora schrie. Sie schrie aus Wut und Angst. Was war er?

Neben ihr fletschte Heimdall bedrohlich die Zähne.

Loras Gedanken kreisten in ihrem Kopf. Je mehr Widerstand sie ihm leistete, desto hartnäckiger wurde er. Doch was wäre, wenn sie einfach nachgäbe? Was würde passieren?

„Scheiß drauf“, flüsterte sie und trat einen Schritt auf das Fenster zu.

„Du willst also rein?“, fragte sie.

Der Gast nickte langsam.

Lora fluchte. Dann griff sie nach dem Fenstergriff und drehte ihn. Langsam öffnete sie das Fenster und stand dem Gast nun von Angesicht zu Angesicht gegenüber.

Langsam hob er seine Hände und schloss die langen, knochigen Finger um den Fensterrahmen. Seine toten Augen hatte er unentwegt auf Lora gerichtet, den knurrenden Heimdall neben ihr schien er gar nicht wahrzunehmen. Langsam zog er seinen dünnen Körper durch das Fenster, hinein in das gemütliche, kleine Haus am Waldrand.

Sirenen durchbrachen die Stille des Waldes an diesem nebligen Morgen. Das Häuschen am Waldrand hätte so idyllisch ausgesehen, wären nicht die vielen Polizeiautos davor verteilt gewesen. Mitten unter ihnen stand eine Frau um die sechzig, die nervös an einer Zigarette zog und das Haus mit besorgtem Blick beobachtete.

„Sind sie Mrs. Kilgrim?“, wurde die bleiche Frau, deren drahtiger Körper in eine grob gestrickte Wolljacke gehüllt war, von einer Polizistin mit strengem Blick angesprochen.

Sie nickte und wandte sich von dem Haus ab.

„Sie haben uns also gerufen, wegen ihrer Tochter?“

„Genau“, bestätigte Mrs. Kilgrim mit zittriger Stimme und zog an ihrer Zigarette, „Seit Tagen habe ich nichts von ihr gehört, sie geht nicht ans Telefon, und da kam ich hierher und habe das Haus so vorgefunden. Haben sie bereits Hinweise darauf, was hier geschehen ist?“

„Der Hund wurde wohl im Wald von einem Jäger gesichtet und wir geben, unser bestes ihn einzufangen. Von ihrer Tochter Lora fehlt jedoch noch immer jede Spur, es tut mir leid.“

Mrs. Kilgrim nickte und wandte ihren Blick erneut zum Haus.

„Allerdings“, setzte die Polizistin erneut an, „Allerdings haben wir die Einschusslöcher in der Tür untersucht. Sie wurden von innen auf die verschlossenen Tür abgegeben, allem Anschein nach von Ihrer Tochter selbst. Vielleicht stand ein Eindringling direkt davor. Unsere Beamten haben außerdem eine Kamera entdeckt, die das Haus im Blick hat. Die Aufnahmen dazu konnten wir auf dem Laptop Ihrer Tochter sicherstellen.“

Mrs. Kilgrim wollte gerade einen weiteren Zug der Zigarette nehmen, als sie mitten in der Bewegung innehielt.

„Dann haben sie darauf etwas gesehen? Vielleicht, wer vor der Tür stand? Oder wo Lora hin ist?“

„Nun, das ist es, Ma’am. Wir haben etwas gesehen, doch unsere Leute können sich keinen Reim darauf machen. Am besten werfen sie selbst einen Blick darauf.“

Die Polizistin führte sie zu einem der Kastenwagen, wo bereits ein Beamter mit einem Laptop auf dem Schoß dasaß und darauf starrte. Als die beiden Frauen sich ihm näherten, blickte er auf und drehte ihnen wortlos den Bildschirm entgegen.

Das grüngefärbte Bild erschien. Links eine Aufnahme des Hauses, rechts eine Aufnahme der Türschwelle. Anfangs war nichts zu erkennen, doch plötzlich erkannte man, wie sich Schüsse durch die Holztüre bohrten und ins Nichts verschwanden.

Mrs. Kilgrim runzelte die Stirn und blickte zur Polizistin.

„Da war niemand, der auf ihn geschossen hat, sehe ich das richtig?“

„Nein. Die Schüsse gingen ins Leere“, erwiderte die Polizistin, „Doch schauen Sie hier, einige Minuten später.“

Die Uhr auf der Aufzeichnung der Kamera sprang einige Minuten vor, dann sah man, wie sich ein Fenster öffnete. Dahinter stand Lora, den Blick ins Leere gerichtet. Der Polizist, der den Laptop noch immer bediente, spulte mit einem Mausklick die Aufnahme vor.

Minuten verstrichen, Stunden gar, und Lora stand nur da. Immer an derselben Stelle, den Blick aus dem Fenster in die Dunkelheit starrend. Dann blieb das Bild erneut stehen. Man erkannte Loras Gesicht nur schwach auf der Aufnahme, doch es sah fast so aus, als würde sie lächeln. Langsam kletterte sie aus dem Fenster. Kaum hatten ihren Füßen das feuchte Gras darunter berührt, stapfte sie mit raschen Schritten los, geradewegs in Richtung Wald, mit einem breiten Grinsen in ihrem Gesicht. Ein paar Sekunden später sprang Heimdall aus dem Fenster und rannte ihr bellend hinterher.

„Wo geht sie hin?“, fragte Mrs. Kilgrim verwirrt und starrte noch immer auf den Bildschirm, als würde sie erwarten, dass noch irgendetwas kommt, was das alles erklären würde.

„Wir haben keine Ahnung“, antwortete ihr nun der Polizist, „Wir haben gehofft, vielleicht könnten sie etwas Licht ins Dunkle bringen. Hatte ihre Tochter vielleicht psychische Probleme? Halluzinationen? Nahm sie Drogen?“

Empört funkelte Mrs. Kilgrim ihn böse an.

„Meine Tochter war kein Junkie“, einen Moment hielt sie inne und sog an ihrer Zigarette, „Aber ja, in letzter Zeit habe ich mir durchaus etwas Sorgen um sie gemacht. Sie sprach davon, dass nachts jemand bei ihr klingeln würde und sie sich belästigt fühlt. Ich dachte, um ehrlich zu sein, sie würde das nur träumen. Sie hat öfter mit Alpträumen zu kämpfen, wissen sie. seit ihr Vater verstorben ist …“

„Wie lange ist das her?“, fragte die Polizistin, welche nun einen Notizblock hervorgezogen hatte, auf den sie eifrig kritzelte.

„Morgen wären es genau 6 Monate. Seither war Lora wie verwandelt. Aus dem Nichts hat sie sich auch dieses Haus hier gekauft, ich war kein Fan davon. Doch sie dachte ihren Träumen so entkommen zu können, denke ich. Wissen Sie, ihr Vater, er hat sich umgebracht. Erhängt. Lora hat ihn gefunden und wurde das Bild einfach nicht mehr los. Er hat sie verfolgt. Mein Mann hatte schon lange zuvor psychische Probleme und es wurde immer schlimmer, sein Selbstmord war nur der Höhepunkt einer langen Leidensgeschichte. Überall sah er Feinde, dachte, sie würden ihn holen kommen. Nachts saß er stundenlang vor der Haustüre und schob Wache, ich wusste langsam nicht mehr, was ich tun sollte, er war völlig paranoid.“

Mrs. Kilgrims Augen wurden feucht, als sie sprach. Tröstend legte die Polizistin ihr eine Hand auf die Schulter. Die arme Frau hatte zuerst ihren Mann, und nun scheinbar auch ihre Tochter verloren.

Mrs. Kilgrim schniefte. Dann griff sie in ihre Tasche und zog ein zerknittertes Foto hervor.

„Sehen Sie sich an, wie glücklich er immer war. Niemand hatte das kommen sehen!“

Die Polizistin griff nach dem Foto. Darauf war ein großgewachsener, dünner Mann zu sehen, der mit einem breiten Grinsen in die Kamera blickte.

 

Bewertung: 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Überprüfen Sie auch
Schließen
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"