Zorn des Waldes
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
(Dies ist die Fortsetzung zu [http://de.creepypasta.wikia.com/wiki/Nahrung_des_Waldes Nahrung des Waldes] , evtl. könnten einige Handlungsstränge ohne den ersten Teil schwer verständlich sein.)
Vor 700 Jahren begann Imperator Gefias, Herrscher über Azurias, mit der Verfolgung und Hinrichtung von Magiern und jedem Anderen, der magische Begabung aufwies. Selbst diejenigen, die sich zuvor noch in seinem Dienst befanden, blieben nicht verschont. Bevor sich die überlebenden Magier darüber den Kopf zerbrechen konnten, weshalb die Führung des Landes einen solchen Sinneswandel vollzogen hatte, sahen sie sich gezwungen in den Norden zu fliehen. Das Land Teregan befand sich direkt über Azurias. Es bestand ausschließlich aus riesigen, dichten Wäldern und umfasste die achtfache Fläche Azurias. Die unendlich anmutende und zu großen Teilen noch unerforschte Waldwüste, bot den Verbliebenden ein Ideales Versteck.
Ceres war der letzte Erzmagier über den sich Dokumente und Bücher vorfinden ließen. Von seinem angeblichen Schüler gab es nie eine Spur. Die Aufzeichnungen Ceres enden abrupt. Sein Schüler und dessen Verbleib blieb stets ein Mysterium.
700 Jahre später erforschte Emiras, Schüler des Magiers Zhylon, ein verfluchtes Schloss im Süden Azurias, dessen Name aus den Geschichtsbüchern getilgt worden war.
Emiras stand mit 26 Jahren kurz vor der Ernennung zum vollwertigen Magier. Sein Auftrag sollte seine finale Prüfung sein. Obwohl er nicht in der Lage war den Fluch zu bannen, gelang es ihm ein Mädchen namens Juliana aus einem Schlaf, der vier Jahrhunderte andauerte, zu erwecken. Ihr Lebenswille war gebrochen und ihr seelischer Zustand eine Ruine. Trotz allem sah Emiras in ihr eine potenzielle Schülerin der Magie und es gelang ihm, sie davon zu überzeugen, mit ihm zu kommen. Um ihren gebrechlichen Körper sicher zu transportieren, benötigte er die Hilfe seines Meisters und reiste vorerst alleine vom Schloss fort.
Kurz bevor er den Dornenwald, der das Schloss umgab, verlassen konnte, nahmen Müdigkeit und Erschöpfung überhand und brachten ihn zu Fall. Erst nach sieben Tagen fand ihn Zhylon. Emiras war immer noch am Leben.
Kapitel 1
Ein Jahr später
Tamyra empfand ihre Erinnerungen als eine Art surrealer Albtraum. Nur einzelne Bilder drangen in ihr Bewusstsein, die sie unmöglich hätte zusammenfügen können. Eines wurde ihr jedoch schon wenige Sekunden nachdem sie ihre Augen öffnete, deutlich : Ihre Sinne waren schärfer als je zuvor.
Mit einem Gähnen begann sie aufzustehen und sich umzusehen. Neben ihr befand sich ein steinerner, leerer Mast und um ihr herum lagen 6 blutige Skelette. Es wirkte, als hätte jemand per Hand oder mit einem stumpfen Messer das Fleisch von ihnen geschält.
Tamyra konnte von diesem Bild nicht einmal im Ansatz schockiert werden. Tief in ihrem Inneren war ihr bewusst, dass sie bereits Schlimmeres gesehen und erlebt hatte. An genaue Szenen konnte sie sich keineswegs erinnern. Sie erhob ihren Körper und begann ihre ersten Schritte in Richtung einer flachen Mauer, die sie umkreiste. Das Material konnte sie nicht genau definieren.
Erst als einzelne Baustücke begannen ihr ihre Arme entgegenzustrecken, erkannte Tamyra, dass die Mauer aus einer Menge aus Menschen bestand. Sie alle stießen undefinierbare Laute aus sich heraus, die aufgrund ihres fast leblosen Zustands recht leise waren.
Als Tamyra einen Augenblick wartete, verstummten die Laute. All die Menschen, deren Seelen in ihren Körpern gefangen waren, erwachten aus ihrem „unendlichen Schlaf“. Die Magie, die die Seele an das Schloss band war erloschen. Keine magische Kraft hielt diese Menschen in ihrem Schlaf mehr gefangen und keine magische Kraft hielt diese Menschen mehr künstlich am Leben.
In Tamyras Gehör drangen schließlich die Laute eines einstürzenden Schlosses. Erschreckt blickte sie hinter sich und erkannte, wie ein riesiges Anwesen, welchem sie zuvor keine Beachtung geschenkt hat, in sich zusammen brach.
Tamyra begann ihre ersten Schritte seit Jahrhunderten. Erst jetzt bemerkte sie ihr rotes Gewand, welches sie am Laibe trug. Es war ihr etwas zu groß und ragte bis zum Boden. Schuhe oder Ähnliches trug sie nicht, und so fühlte sie, wie Gräser ihre Füße streiften.
Der Wind war vollkommen still. Dennoch konnte Tamyra beobachten, wie sich die Wolkendecke langsam auflöste und Sonnenlicht ihre blasses Haupt streifte, zu schwach um sie wirklich zu blenden.
Mit einer schnellen Bewegung steckte Tamyra ihre langen, schwarzen Haare, die ihr Gesicht bedeckten hinter ihr Ohr. Der Wald der das Schloss umgab schien dennoch allergisch auf das Sonnenlicht zu reagieren. Die Bäume verloren erst ihre Blätter. Anschließend schienen sich auch Äste zu verlieren. Ranken die mit Dornen besetzt waren, erschlafften und fielen zu Boden.Am Ende lösten sich sogar komplette Bäume aus ihren Wurzeln und fielen leblos in den von Laub und Ästen bedeckten Boden. All dies wurde von einem lauten und füllenden Rascheln begleitet.
Tamyra verweilte einen Augenblick. Seit ihrem Erwachen war sie keiner lebenden Person begegnet.
„Wo bin ich ? Was ist hier geschehen ?“, All diese Fragen füllten ihren Kopf. Dennoch bereiten ihr diese Fragen keineswegs Kummer. Empfindungen besaß sie nicht. Mit langsamen Schritten begann sie ihre Reise in Richtung des , dessen Verfall immer noch in vollem Gange war.
Der Weg über die gefallenen Bäume erwies sich als beschwerlich. Nach etwa einer Stunde waren fast alle Bäume umgestürzt. Nur die Wurzeln einzelner starker Bäume konnten sich in der Erde halten.
Jegliche Hindernisse stellten für Tamyra kein Problem da. Sie war voller Energie und stieg oder sprang problemlos über die auf dem Boden liegenden Äste.
Obwohl der Marsch durch den gefallenen Wald einen halben Tag andauerte, schaffte es Tamyra nicht eine einzige Erinnerung wiederzuerlangen. Mit der Zeit zerfielen viele der Baumstämme zu einer Art schwarzem, feinen Sand, der zum Teil vom Wind durch die Luft geweht wurde.
Tamyra erreichte bei Anbruch der Nacht letztendlich das Ende des einstigen Waldes. Der Vollmond leuchtete hell und ermöglichte eine gute Sicht. Als sie einen Blick hinter sich warf, fand sie eine pechschwarze staubige Wüste vor. Die Bäume und deren Bestandteile schienen sich komplett aufgelöst zu haben. Große Teile des schwarzen Staubes befanden sich in der Luft und bildeten einen dunklen Nebel, der einen klaren Durchblick verhinderte.
Vor Tamyra befand sich eine Ebene die in sattem Grün getränkt war und einen auffäligen Kontrast zum einstigen Wald bildete. Bis zum Horizont erkannte sie nichts anderes als Grünfläche und so wählte Tamyra eine zufällige Richtung, in die sie weiterwanderte.
Während die Nacht voranschritt begegnete sie nichts Besonderem. Lediglich ein Baum der vor einigen Jahren in der Mitte durch einen Blitz aufgespalten wurde fiel ihr auf. Beide Teile des Stammes wuchsen in verschiedene Richtungen weiter.
Das Bedürfnis nach Wasser oder einer Pause konnte Tamyra problemlos ignorieren. Das Einzige Verlangen, das sie quälte, war das Verlangen nach Antworten. Einen Namen konnte sie aus ihrem Gedächtnis abrufen. Sie wusste, dass ihr diese Person wichtiger war als ihr eigenes Leben. Der Name lautete … Juliana.
Es war immer noch tiefe Nacht, als ein schmaler Feldweg den ihren kreuzte. Kleinere Bäume befanden auf beiden Seiten abseits vom Weg. Jemand muss sie dort gepflanzt haben, da sonst nur sehr wenige Bäume in der Landschaft zu finden waren.
Tamyra entschied sich dafür dem Pfad rechtsseitig zu folgen. Der Weg halft ihr bei der Orientierung. Ohne einer solchen Hilfe hätte sie sich sicherlich mit der Zeit bloß im Kreis bewegt.
Die Morgendämmerung bot einen herrlichen Anblick. Die Strahlen der Sonne färbten den schwarzen Himmel leicht rötlich. Dennoch konnte man fast alle Sterne am klaren Himmel erkennen.
Mit dem Anbruch des Morgens entdeckte Tamyra die ersten Anzeichen von menschlichem Leben. Die ersten Getreidefelder zierten die Wiesen. Auf den Feldern befanden sich Knechte, die dabei waren, das Getreide zu ernten. Einer von ihnen blickte kurz zu Tamyra verdutzt rüber, wandte sich jedoch gleich darauf wieder seiner Arbeit zu.
Eine Hütte, die den Besitzern des Feldes gehörte, befand sich in der Nähe. Sie war minimalistisch aufgebaut und bestand nur aus ein paar Baumstämmen sowie einem Dach aus Stroh.
Weitere Felder und Hütten folgten. Anscheinend eignete sich die Landschaft gut für den Ackerbau.
In der Ferne konnte Tamyra eine Ansammlung von Holzhäusern , umzäunt von einem recht niedrigen Holzwall, erkennen.
Urisgard war nur eine von vielen kleineren Städten in Azurias, einem Land welches fast komplett nur aus Steppen, Ebenen und Sümpfen bestand. Die Stadt entstand einst als die Bauern begannen sich an einem Ort niederzulassen um ihre Erträge verkaufen zu können. Unter einigen war sie als „Getreidemarkt“ bekannt.
Gleichzeitig diente die Stadt als eine Niederlassung für Tagelöhner und Knechte. Letztendlich lockte die Stadt nur sehr wenige Händler an, auch, weil die Stadt nur von ärmlicher Bevölkerung bewohnt war. Jede Ecke der Stadt war in Dreck und Gestank gehüllt.
Als Tamyra die Stadt betrat, waren die Tore des Walles unbewacht. Sie scherte sich nicht darum, mit ihren nackten Füßen den vielen , nach Urin stinkenden Pfützen auszuweichen.
Stattdessen drängte sich ihr die Frage in den Kopf, weshalb man den schmalen Wall überhaupt errichtet hatte. Er schützte nur einige brüchige Holzhäuser und Hütten. Für Banditen und Räuber gab es nicht viel zu holen.
Die Menschen die hier lebten, würde eh keiner ausrauben. Die Stadt selbst war zu dem Zeitpunkt relativ leer. Die meisten der Bewohner befanden sich auf den Ackern, um bei der Ernte zu helfen. Zwischen den Häusern kauerten einige Tagelöhner. Sie waren so schwächlich, dass sie selbst als Knechte keiner gebrauchen konnte. Aus der Ferne bettelten sie Tamyra nach ein paar Münzen oder etwas zu Essen an. Diese realisierte nicht einmal, dass jemand zu ihr sprach. Stattdessen vollendete sie ihren Weg zum Zentrum der Stadt.
In der Mitte des Ortes befand sich ein abgebrannter Scheiterhaufen. Die Asche glühte immer noch. Die letzte Hinrichtung fand erst letzte Nacht statt. An einen Mast war eine komplett verkohlte Person gebunden, von der man nicht einmal ein Geschlecht bestimmen konnte.
Es waren ihre Hilfeschreie, deren Tamyra instinktiv gefolgt war … Hilfeschreie die noch immer in ihre Ohren drangen.
Der Geruch von verbranntem Fleisch erfüllte immer noch die Stadtmitte und vermochte alle anderen Arten von Gestank zu überdecken.
Dies hielt die wenigen Händler der Stadt nicht davon ab ihr Zeug an genau diesem Ort anzupreisen. Hinter sporadisch zusammengebauten Marktständen priesen sie lauthals ihre Waren an. Meist handelte es sich hierbei nur um vergammelten Fisch oder Brot, das fast so schwarz wie Holzkohle war. Tamyra blickte zu der verstorbenen Gestalt hoch. Selbst in dem was noch vom Opfer erkennbar war, erkannte Tamyra Verzweiflung und Angst.
Ein unmenschlich lauter Schrei aus purem Zorn erfüllte die komplette Stadt und konnte noch von den entferntesten Landarbeiten wahrgenommen werden. Tamyras Augen funkelten vor Rachegelüsten.
Die Menschen im Zentrum der Stadt waren immer noch durch den Schrei betäubt.
Tamyra begann mit ihrer Telekinese einen der Händler hochzuheben und ließ ihn in der Luft schweben. Anschließend spießte sie ihn auf dem Pfahl des Scheiterhaufens auf. Blut und Magensäure lief über den verbrannten Leichnam.
In der Stadt brach Panik aus. Nur wenige Menschen konnten aus den Toren der Stadt fliehen bevor Tamyra diese mit ihren Kräften schloss. Viele versuchten über die Wälle zu klettern, behinderten sich jedoch untereinander viel zu sehr um wirklich voranzukommen.
Die Stadtmiliz bestand aus fünf Personen, die jeweils nur mit einfachen Lederwämsern und einem Speer ausgerüstet waren. Als sie Tamyra fanden, hatte diese bereits alle Personen, die nicht sofort aus dem Zentrum geflohen sind, auf dem Pfahl durchbohrt. Viele von ihnen waren dennoch am Leben und vollbrachten ihre letzten Atemzüge unter höllischen Schmerzen. Das Blut der Sterbenden lief in Massen auf die Überreste der hingerichteten Person und färbte sie rot.
Die Milizsoldaten attackierten Tamyra wie wild gewordene Banditen. Auch wenn sie das Mädchen als Bedrohung erkannten, konnten sie sich nicht vorstellen, wie eine Zwölfjährige zu solchen Kräften fähig sein könnte. Ihr Unwissen war ihr Verderben. Ein einzelner Blick und ein Fluch, den sie mir ihren bloßen Gedanken formte, genügten um den ersten der Soldaten in einem Anfall von Schmerzen zu Fall zu bringen. Seine Kameraden stoppten um ihm zu helfen, als er sich unter Schmerzensschreien auf dem Boden krümmte. Der Verfluchte kauerte weiter am Boden und begann in ruckartigen Bewegungen Blut zu erbrechen. Was keiner der Soldaten wissen konnte war, dass sein Gehirn dabei war sich aufzulösen. Aus allen Körperöffnung glitt die breiige, rote Hirnmasse und bildete eine Lache auf dem schmutzigen Boden unter seinem Kopf.
Bevor die übrigen Wachen ihren Angriff fortsetzen konnten , ergriff Tamyra mit Hilfe ihrer Telikenese den Speer des Toten und ließ ihn schweben. Gleich darauf begann sie den Speer wie eine rundes Sägeblatt zu rotieren. Mit dem neuen Geschoss zerteile Tamyra eine Miliz nach der Anderen. Ein einzelner war noch bei Bewusstsein. Ohne Unterkörper kroch er mit Hilfe seiner Arme in Tamyras Richtung. Sein Darm verfing sich jedoch an einen der am Boden liegenden Steine und so hauchte er mit jedem Zentimeter den er vorran kroch sein Leben ein Stück weiter aus.
Nach einem Halben Meter hatte er sich selbst zu großen Teilen selbst ausgeweidet. Es war ohnehin ein Wunder, dass er in dem Zustand so weit gekommen war. Tamyra schaute nur starr und kalt auf ihn herab.
All ihre verbliebene magische Energie sammelte sie in ihrer linken Hand. Sie ballte diese Hand darauf zu einer Faust und rammte sie mit aller Kraft in den Boden. Die Stadt und ihre gesamte Umgebung begann zu beben.
Gewaltige Wurzeln schossen aus allen Winkeln der Stadt. Sie wirkten wie gewaltige Tentakel und wuchsen in Sekundenschnelle. Das es sich dabei nicht um gewöhnliche Wurzeln handelte, mussten die Bürger bald am eigenen Laibe spüren. Kleine, lange und beweglichere Wurzeln sprossen aus den Dickeren hervor und griffen wie Fangarme nach den übrigen Bewohnern der Stadt. Die wenigen glücklichen wurden am Hals umschlungen und starben durch einen gebrochenes Genick. Andere hatten weniger Glück und erlitten ein schlimmeres Schicksal. Mehrere Wurzeln griffen die unterschiedlichsten Gliedmaßen einer einzigen Person und rissen sie in ihre Einzelteile. Die Wurzeln waren blitzschnell und bohrten sich in die Körper derer die vor ihnen flohen. Erst als die Opfer innerhalb von Minuten verblutet waren, ließen die Wurzeln ab.
Tamyra ließ ihre Hand solange im Boden stecken bis alle Formen von Geschrei innerhalb der Stadt verstummt waren. Als sie ihre Hand herauszog kämpfte sie damit, nicht ihr Bewusstsein zu verlieren. Sie hatte ihre Energien überschätzt.
Eine Stimme erklang hinter einer der ramponierten Hütten und lies sie aufhorchen:,,
Deine Kräfte sind erstaunlich. Nichteinmal Licht kann deinen Zaubern nun noch etwas anhaben.“
Zwischen den Häusern kam eine schlanke Männergestalt zum Vorschein. Seine Haare waren lang und grau. Dennoch schien die Person, der restlichen Optik nach, nicht älter als dreißig zu sein. Die Person war in lange schwarze Gewänder gehüllt, die mit roten Edelsteinen verziert waren. Die Kleidung erinnerte eher an die einer weiblichen Person.
Mit einer sanften stimme fuhr die Person fort:
,, Erstaunlich … ich hatte es gehofft, doch ich hatte meine Zweifel das es funktioniert. Dich ins Leben zurück zu holen war alles andere als einfach. Da du aber nie wirklich gestorben warst, war es auch kein Ding der Unmöglichkeit.“ einen kurzen Moment hielt die Person inne. Dann sprach sie weiter:,, Du musst lernen deine Kräfte zu kontrollieren. Ich werde dir dabei helfen.“
Für Sekunden war Tamyra verwundert, dass die Person ihren Zauber und dessen Zerstörungskraft überstanden hatte.
„Es gibt nur einen Menschen, dem ich jemals vertrauen werde. Du bist nicht dieser Mensch.“
Als Tamyra ihren Satz beendet hatte, begann sie erneut ihre Hand als Faust in den Boden zu rammen. Voller Blutdurst begannen abermals sich Wurzeln aus dem Boden zu erheben.
„Eine Zustimmung ist nicht erforderlich. Ich habe jedoch nichts dagegen mehr über deine Kräfte zu erfahren. Mal schauen wie lange du durchhältst.“ Die Wurzeln wuchsen mit rasender Geschwindigkeit und bewegten sich auf ihr nun einziges Ziel zu. Kurz bevor sie den Mann erreichten, legte dieser ein breites Grinsen auf.
Ein Jahr zuvor
Kopfschmerzen waren es, die Emiras aus seinen Träumen in den Wachzustand trieben. Es war wieder der gleiche Traum von seiner Mutter, den er als stiller Beobachter aufs Neue erleben musste.
Seine Augen waren geschlossen, als er aufhorchte. Das knarrende Geräusch von Holzrädern verdrängte alle anderen Laute. Gelegentlich wurde dies von dem Schnaufen eines Pferdes unterbrochen.
Endlich riskierte Emiras einen Blick und öffnete seine Augen. Der Sternenhimmel, wie er klarer kaum sein konnte, bot sich ihm an. Sein Körper war jeglicher Fähigkeit beraubt sich zu bewegen. Nicht einmal einen Finger konnte er bewegen. Er war fast komplett in Leinenverbände gehüllt.
„Ich glaube er ist aufgewacht“, teilte eine leise aber dennoch tiefe Stimme der Umgebung mit.
Emiras erkannte diese Stimme. Es war die Stimme Jakobs. Unter Anstrengungen unternahm Emiras den Versuch sich umzublicken, um sich ein Bild von seiner Umgebung zu machen. Er konnte drei Gestalten in grauen Roben ausmachen. Sie alle waren komplett verschleiert. Er lag mit ihnen auf einer einfachen Pferdekutsche ohne eine Überdachung oder Ähnliches. Die Person rechts neben ihm konnte Emiras bereits als Jakob identifizieren. Er war ebenfalls ein Lehrling der Magie und mit 23 Jahren etwas jünger als Emiras.
Auf der linken Seite der Kutsche lag eine weitere Gestalt. Sie schien zu schlafen. Unter der grauen Robe ragte ein grünlicher Stoff heraus. War es wirklich Juliana ? Hatten sie Juliana gefunden ?
Wie konnte sie außerhalb des Waldes überhaupt überleben ?
Bei der dritten Person konnte es sich somit nach Emiras Einschätzung nur um einen handeln, Zhylon, seinen Meister.
Kurz nachdem Emiras realisierte, dass er in Sicherheit war, gewann die Erschöpfung den Kampf gegen die Aufregung. Emiras fiel erneut in einen tiefen Schlaf.
Kapitel 2
Tropfen, die von der steinernen Decke auf sein Gesicht fielen, rissen Emiras aus seinen Träumen.
Sofort war ihm bewusst, dass er sich in seinem Zimmer im Versteck befand. Die grauen und schwarzen Töne der Wände, die an ein Verlies erinnerten, verrieten dies. Mehrere, auf dem Boden umher liegende, Bücher sowie ein Regal, in dem sich diese eigentlich hätten befinden sollen, sorgten dennoch für ein heimisches Gefühl.
Einen wirklich farbenfrohen Raum konnte man in einem unterirdischen Versteck auch nicht verlangen. Im Stall des Bauern Frejor befand sich der Eingang zum Versteck, begraben unter einer kleineren Menge Heu und Gestrüpp. Magier waren es, die diesen Hof vor Jahrzehnten erbaut hatten. Als Dank duldete Frejor ihre Anwesenheit. Seine Existenz diente ihnen bloß als Vorwand. Ein verlassener Hof, der trotz allem gepflegt wirkte, wäre den Menschen sicherlich aufgefallen.
Frejor war nett genug den Magiern Nahrungsvorräte zu überhöhten Preisen zu verkaufen.
Zum ihrem Glück war der Nahrungsbedarf bei Magiern recht gering, weshalb sich auch die Ausgaben in Grenzen hielten.
Langsam sammelte sich Emiras. Ihn beschlich das unwohle Gefühl beobachtet zu werden. Er lag auf seinem morschen Holzbett, auf der linken Seite des Raumes. Als er es wagte in die Mitte des Raumes zu schauen, kollidierte sein Blick mit dem einer jungen Frau. Es war nicht Juliana.
„Guten Morgen !“ rief sie ihm mit einer fast schon überföhlich und piepsig klingendenStimme zu. Emiras schreckte auf und gab einen stummen Schrei von sich. Das Mädchen, dass vor seinem Bett stand war etwa in Julianas Alter. Eventuell war sie sogar noch jünger, da ihr Gesicht recht kindlich erschien. Ihre braunen Haare ragten bis zu den Hüften und verdeckten ihr Gesicht. Es wirkte, als würde sie nicht merken, dass ihre Haare ihr die Sicht nehmen würden.
„ Endlich bist du wach ! Wenn du wüsstest wie lange du geschlafen hast !“ erzählte das Mädchen, während sie immer noch sorglos lächelte ohne Emiras Erschrockenheit zu bemerken.
„Wer …. wer bist“, Emiras riss sich zusammen um überhaupt erst sprechen zu können, doch seine wenigen Worte wurden sofort wieder von dem Mädchen unterbrochen.
„Ach wo bleiben denn meine Manieren. Ich heiße Luna und bin eine Heilerin ! Meine Schwester und ich wurden vor zwei Wochen von deinem Meister hier aufgenommen. Vermutlich ist es jetzt auch unser Meister. Von unserer ehemaligen Mentorin hat er dir sicherlich schon erzählt. Wir dürfen leider nicht erzählen weshalb sie uns verlassen musste . Ist streng geheim … weißt du ! Wenn du lieb zu mir bist erzähl ich es dir vielleicht eines Tages.
Ich empfehle dir erst einmal ein Bad zu nehmen … und rasieren könntest du dich auch wieder …. oder ist das nur Dreck in deinem Gesicht ?
Achso … eigentlich wollte ich dir gerade sagen, dass dein Meister dich dringend sprechen wollte sobald du aufgewacht bist. Naja, dass kann ja eigentlich warten denn…
Obwohl Emiras ihr schon längst nicht mehr zuhörte, sprach Luna ununterbrochen weiter. Dies tat sie ohne auch nur im Geringsten heiser zu werden. Es war in gewisser Weise auch eine bewundernswerte Eigenschaft. Es zeigte wie sehr sie noch während ihrer Ausbildung Kind bleiben durfte.
Emiras unternahm einen Versuch aufzustehen. Als er scheiterte, beschloss er zumindest seinen Oberkörper anzuheben. Tatsächlich gelang ihm dies nach mehreren Anläufen. Seine Bandagen waren fast schon ein größeres Hindernis als seine eigentlichen Verletzungen.
„Hast du mich geheilt ?“, fragte Emiras und unterbrach Luna in ihrem immer noch anhaltenden, fast schon endlos wirkendem Redefluss. Als Luna verstummte, blickte sie Emiras für einen kurzen Moment verwundert an. Als sie aber begriff was gemeint war , begann sie zu antworten :
,, Also eigentlich wollt ich ja noch viel mehr an dir ausprobieren, doch dein Meister …. also ich meine unser Meister … wollte, dass ich nur die Nötigsten Behandlungen vornehme. Er vertraut wohl nicht ganz in meine Fähigkeiten. Wie dem auch sei , ich werde ihm beweisen, dass ….“
„Ich danke dir“ warf Emiras ein und unterbrach Luna erneut. Anschließend machte er sich mit schweren Schritten auf. Sein Ziel war die große Bibliothek, in der sich sein Meister im Regelfall befand.
Die Bibliothek diente als eine Art Flur und Treffpunkt. Im Grunde war sie der Aufenthaltsbereich von allen, die im Versteck lebten. Da sie jedoch ein riesiges Labyrinth aus Bücherregalen war, konnte man sich dort ohne Probleme verlaufen. Emiras stellte sich häufig die Frage, wie viele Magier einst im Versteck gelebt haben. Bücher ließen vermuten, dass der Bau des Versteckes mehrere hunderte Jahre zurücklag. Es gab sogar Berichte die einen Ort beschrieben der dem Versteck glich und die zu Zeiten geschrieben worden sind, zu denen Magier noch nicht verfolgt wurden.
Zhylon befand sich bereits direkt gegenüber der Tür die zu Emiras Zimmer führte. Während er in am Lesen war, saß er auf einem Bücherstabel und lehnte sich mit dem Rücken gegen ein volles Regal. Einrichtungen waren auf das Nötigste beschränkt, weshalb ein Stapel von Büchern gelegentlich als Stuhl dienen musste.
Als Emiras seinen Meister nach all den Monaten sah, fehlte ihm die Fähigkeit zu sprechen. Er wusste nicht womit er anfangen sollte. Vielleicht wäre eine Entschuldigung für sein Versagen angebracht gewesen. Dennoch brannte eine Frage viel stärker auf Emiras Zunge:
,,Meister, wo ist Juliana ?. Emiras stammelte, sodass Zhylon Probleme hatte, seine Worte zu verstehen. ,, Wenn du deine kleine Freundin meinst, sie ist im Zimmer nebenan.
Aber bitte nenn mich bei meinem Namen, ich bin schließlich nicht mehr dein Meister. “
Nach einer kurzen Pause in der sich Zhylon zu sammeln schien, sprach er weiter:
„Juliana heißt das Mädchen also. Mir gegenüber blieb die Kleine leider sehr verschlossen. Ich habe sie mit Luna und ihrer Schwester Shadra auf ein Zimmer geschickt, da sie sich mit den beiden überraschend gut versteht. Vielleicht hast du eine von den beiden schon kennengelernt. Ich habe sie erst einmal zeitweise bei uns aufgenommen.
Dennoch hab ich von Juliana leider nicht viel erfahren können. Als wir sie fanden war sie fürchterlich am Stottern, doch sie wiederholte immer wieder deinen Namen. Du hattest ihr versprochen ich könnte sie unterrichten. Was mit ihr geschehen war und weshalb sie so aussah und in dem Zustand noch am Leben war konnte ich mir anfangs nicht zusammenreimen. Dennoch war mir bewusst, dass sie keine Hexe war, auch wenn ich eine Aura von schwarzer Magie in ihr spürte.
Dich fanden wir bewusstlos vor dem Wald. Als du ihn verlassen hast, zwangen dich wohl deine Verletzungen in die Knie. Es war ein großer Zufall, dass wir dich nicht übersehen hatten. Ein paar Minuten später wärst du vielleicht nicht mehr am Leben gewesen. Zum Glück sind wir Magier zäh“
Zhylon beendete seinen letzten Satz mit einem leichten Lächeln. Emiras, der gleichzeitig damit beschäftigt war die neuen Informationen zu verarbeiten, begann nervös auf Zhylon einzureden :
,, Aber … Meister, ich bin gescheitert. Der Fluch lastet immer noch auf dem Schloss. Und außerdem … wie wirst du es schaffen fünf Schüler zu unterrichten können. Du hattest doch bereits mit Jakob und mir deine Probleme.“
„Du hast etwas viel Größeres erreicht. Schon bald werden wir dank dir große Fortschritte in der Erforschung der schwarzen Künste machen können. Zum ersten Mal ist ein Anwender schwarzer Magie auf unserer Seite.Ich hoffe zumindest, dass sie uns helfen wird.
Außerdem könnte ein solcher Fluch, wie du ihn erlebt hast, nur mit Hilfe von schwarzer Magie überhaupt erst gebrochen werden, da du eine Seele einfangen musst. Du wärst also niemals in der Lage gewesen dein Ziel zu erreichen.
Damit bist du nun in all deinen Entscheidungen freigestellt. Du hast es geschafft … Emiras. Dennoch bitte ich dich mir Juliana als Schülerin abzunehmen. Dir vertraut sie anscheinend viel mehr. Außerdem darfst du nun als ausgebildeter Magier andere Lehrlinge unterrichten. Luna und Shadra kann keiner von uns unterrichten. Die Gebiete der Heilkunde und des Traumwandelns sind uns beiden leider völlig fremd. Dennoch werden uns die beiden von großer Hilfe auf unseren Erkundungen und Forschungen sein. Zudem können die beiden so auch für sich Erfahrungen sammeln um zumindest irgendeinen Nutzen aus ihrem Aufenthalt bei uns ziehen. Doch zerbrich dir bitte erst einmal nicht den Kopf. Du musst dich von deinen Wunden erholen, bevor irgendetwas geschieht. Vielleicht möchtest du etwas essen ? In dem Zeitraum in dem du keine Nahrung zu dir genommen hattest wären bestimmt“
In Emiras drang das zerrende Bedürfnis zu widersprechen. Er fühlte sich alles Andere als bereit.
Ihm war es bis jetzt noch nie erlaubt gewesen, mit fremden Menschen zu reden. Er fühlte sich in so vielen Dingen unerfahren. Wie sollte er sich in der Welt dort draußen ohne die Hilfe seines Meisters zu Recht finden. Wäre dies nicht schon genug grenzte es für ihn an Unmöglichkeit auch noch Juliana auf seinen Reisen mitzunehmen. Jeder würde sie fälschlicherweise als Hexe bezeichnen. Sie ständig zu verschleiern wäre auch keine Lösung und Verwandlungszauber würden nur für einen gewissen Zeitraum anhalten.
Emiras entschied sich nicht zu widersprechen. Stattdessen fragte Emiras nur :,, Wo ist Juliana ?“
Nichteinmal ein Dankeschön für seine Ernennung kam ihm in den Sinn. Er sorgte sich nur um ihr Wohlbefinden.
„Im Zimmer direkt neben deinem. Ich hatte ihr bis jetzt nur ein paar Bücher im Bereich einfachster arkaner Künste und Flammenmagie geben können. Für Übungen war sie nicht aufnahmebereit.
Auch gegessen hatte sie innerhalb der drei Wochen noch nichts. Du solltest dringend mit ihr sprechen.“ Zhylon klang weder beleidigt noch enttäuscht. Vielleicht verstand er wie sich Emiras fühlte.
Emiras betrat den Raum neben seinem Zimmer. Er diente vor einigen Jahren noch als Speisekammer, doch aufgrund des immer geringer werdenden Nahrungsbedarfs von Jakob und ihm verdarben all die Speisen. Jetzt wäre vielleicht wieder aufgrund der Neuzugänge ein geringer Vorrat angebracht. Zumindest um Juliana brauchte sich Emiras keine Sorgen zu machen. Sie kam schließlich schon 400 Jahre ohne irgendetwas Essbarem aus.
Als Emiras die Tür öffnete, blickte er auf 3 größere Heubetten, auf denen sich jeweils mit Stroh gefülltes Bettzeug befand. Neben zwei der Betten befanden sich allerlei Gegenstände wie sie ein Mädchen in den Jungen Jahren wohl besaß, darunter ein Handspiegel, Stoffpuppen sowie eine einfache Kette die aus Holzstücken bestand.
Einzig neben einem Heubett befand sich nichts. Es war das Bett auf dem Juliana saß und sich mit einem Stück Holz die goldenen Haare kämmte. Als sie Emiras erblickte, ließ sie das Stück Holz augenblicklich fallen. Mit schnellen Schritten nähere sie sich ihm. Dabei kam Emiras ihr strahlend weißes Lächeln suspekt vor. Doch bevor sich Emiras über ihre überraschenderweise weißen Zähne Gedanken machen konnte, bekam er von ihr eine Umarmung.
Erst jetzt merkte er wie sehr er sich um Juliana sorgte.
„Vorsicht … ich bin noch nicht vollkommen genesen. Immerhin ist einer von uns wieder gut auf den Beinen.“ Seine Worte beinhalteten ein etwas nervöses Lachen. Die Nervosität in ihm schwand jedoch als auch Juliana lächelte.
„Hab ich doch schön wieder hinbekommen !“ Lunas unverkennbare Stimme hinter ihm brachte Emiras zum Aufschrecken.
Sie hat unbemerkt den Raum betreten. Juliana hingegen bewegte sich wieder zurück zu ihrem Bett, um nach dem einen Holzstück zu suchen, welches sie noch zuvor als Kamm benutzte. Luna rief der hektisch suchenden Juliana zu :,, Mein Angebot steht noch immer. Du kannst dir jederzeit meinen Kamm ausleihen. Ich hab wirklich keine Läuse oder ähnliche Krankheiten .. wirklich nicht. Mit einem Kamm ist das Ganze viel einfacher, als mit einem Stück morschem Holz, welches wahrscheinlich mal Teil des Bettes war.“
Emiras wollte von Luna noch einmal bestätigt haben, ob sie wirklich für ihre neuen Zähne verantwortlich war. Doch eine solche Frage wäre seiner Meinung nach in Julianas Anwesenheit unsensibel gewesen.
„Wo ist deine Schwester ?“ fragte Emiras, um nicht ganz so sprachlos herum zu stehen.
„Shadra zu suchen ist reine Zeitverschwendung, glaub mir. Sie ist die meiste Zeit am Schlafen und reagiert wie eine wütende Sumpfhexe wenn du es auch nur wagst sie zu wecken. Leider hat sie die Angewohnheit an den unmöglichsten Orten zu ruhen. Gestern hatte ich sie hinter den Büchern in der großen Bibliothek in den obersten Bücherregalen gefunden. Ich wäre fast von der Leiter gefallen, dabei kenne ich sie schon 15 Jahre und sollte mich von so etwas nicht mehr überraschen lassen.
Traumwandel erfordert es, dass man die meiste Zeit mit Schlafen verbringt. Für mich ist Schlafen reine Zeitverschwendung. Denk bloß an die unglaublich aufregenden Dinge die man den ganzen Tag verpassen würde.“
Über den Traumwandel besaß Emiras wenig Wissen. Er hatte lediglich gelesen, dass geschulte Magier in dem Bereich in der Lage waren Gedanken zu lesen oder sogar geisteskranke Menschen zu heilen. Während die normale Heilkunde nur auf physische Weise Menschen helfen konnte, heilen Traumwandler die Psyche.
Von Jakob hatte Emiras bis noch nichts gehört. Emiras stand dem auch relativ gleichgültig gegenüber. Dennoch bedachte Emiras auch, dass Jakob dabei war, als man ihn einst vor den Wäldern fand. Doch über was sollten sie reden. Jakob war alles andere als gesprächig und den Titel eines Magiers gönnte er Emiras ebenfalls nicht, hielt er sich selbst vermutlich für viel begabter. Zumindest hinterließen seine vielen besserwisserisch wirkenden Aussagen diesen Eindruck.
In drei Jahren wäre Jakob ebenfalls 26 Jahre alt und somit in der Lage seine letzte Mission zu vollführen. Vermutlich würden sich dann ihre Wege trennen.
Emiras betrat erneut die Bibilothek. Zhylon war nicht mehr zu sehen. Stattdessen begab sich Emiras wieder in das Abtei, wo er zuletzt über verschiedene Dämonen und deren Fähigkeiten gelesen hatte. Am Interessantesten fand Emiras, die Niederschriften eines Magiers, in denen erklärt wurde, dass viele Dämonen magische Fähigkeiten wie Menschen besitzen können, jedoch kein Interesse an unserer Welt haben. Dennoch fürchten sich viele Menschen vor Dämonen, und dem Gedanken, sie könnten eines Tages unsere Welt übernehmen. Tatsächlich gab es Dämonen, die freiwillig oder unfreiwillig in diese Welt gelangt waren und fast keiner von ihnen besaß gutwillige Absichten. Dennoch würde ihre Macht nie ausreichen, die Welt der Menschen zu erobern.
Emiras versank immer mehr in der Lektüre und lag lesend auf dem kalten steinernen Boden, bis er merkte wie eine schlanke Gestalt sich auf ihn zu bewegte. Immer noch blickte er auf die Buchstaben und Wörter des Schriftstückes vor ihm. Bevor er zu Wort kam, spürte er einen stechenden Schmerz in der Magengegend und realisierte, dass die Person, dessen Schritte er hörte, gerade über ihn gestolpert war.
Als er sich schmerzverzerrt aufrichtete, stand die Person ebenfalls wieder auf und wandte sich ihm zu. Emiras wurde schnell bewusst, dass es sich bei der Person um Shadra, Lunas Schwester handeln musste.
„Verzeihung“ sprach sie, und verneigte sich vor ihm. Gerade nach Lunas Beschreibung, hatte Emiras eher eine Furie oder ähnliches erwartet. Stattdessen war Shadra eine junge, etwas schüchterne Frau, die mit ihren zerzausten langen Haaren und der zu großen Brille einen ungefährlichen Eindruck hinterließ. Allgemein machte sie den Anschein, als wäre sie gerade aufgewacht, unter Anderem auch weil ihre Augen fast geschlossen waren.
„Hast du Luna gesehen?“, fragte sie mich, während sie ihre Brille hochnahm und sich die Augen rieb, ,, ich such sie schon die ganze Zeit, aber diese Bibilothek ist verflucht. Immer wieder verlaufe ich mich. Ich wandere hier schon bestimmt seit Stunden umher.“
„Gleich um die Ecke links“. Antwortete Emiras. Er war darüber verwundert, dass sie offenbar schon Bescheid wusste wer er war.
Immerhin ist es üblich, dass eine normale Person einem nach seinem Namen fragt oder sich selbst vorstellt. Dieses wusste selbst Emiras, der sich bisher in seinem ganzen Leben nur wenigen Menschen vorstellen musste.
Shadra ging ein paar Schritte, bis sie auf einmal verharrte. Sie drehte sich wieder um und näherte sich Emiras. ,, Wer bist du eigentlich ?“ , fragte Shadra , während sie mit ihrer Hand durch ihre zerzausten Haare strich, was diese jedoch nicht wirklich gepflegter aussehen ließ.
„Emiras“, sprach dieser. „Eigentlich kann ich mich auch wieder schlafen legen. Ich hab ganz vergessen weshalb ich Luna überhaupt aufsuchen wollte.“ Nachdem sie ihren Satz vollendet hatte, ging sie weiter. Es war jedoch nicht der Weg wie ihn Emiras beschrieben hatte. Sie würde sich wahrscheinlich erneut verlaufen. Emiras überlegte kurz ihr hinterher zu rufen, beschloss aber letztendlich es zu lassen.
Emiras verbrachte die Tage nicht nur mit bloßem Lesen. Die Aufgabe eines Lehrlings ist es Fähigkeiten zu erlangen und Wissen zu sammeln. Die Aufgabe eines Magiers hingegen ist es, neue Erkenntnisse zu gewinnen. So begann Emiras unter Anderem auch, seine letzte Expedition niederschreiben. Es lag nun an ihm, dass auch andere Magier von seinen Erlebnissen profitieren konnten. Monate lang verbrachte er mit dem Schreiben und hielt sich hauptsächlich in seinem Zimmer auf. Es tat seinem Körper gut, dass er nun die meiste Zeit mit körperlich schonenden Aufgaben beschäftigt war.
Seine Hauptaufgabe bestand jedoch darin Juliana zu unterrichten. Ihre Fähigkeiten ließen Emiras oft mit einem ungläubigen Blick zurück. Die Meisten Sprüche meisterte sie gleich beim ersten Versuch mit Bravur. Dabei hatte sie doch erzählt, wie sehr sie ihrer damaligen Freundin Tamyra in allerlei Belangen unterlegen war. Emiras dachte sich seinen Teil dazu. Er konnte sich nicht ausmalen wie mächtig Tamyra zur damaligen Zeit war, dass sie selbst eine talentierte Schülerin wie Juliana in den Schatten stellen konnte.
Es waren erst sechs Monate vergangen, als Juliana bereits all die grundlegenden Fähigkeiten in jedem magischen Fach erlernt hatte. Ein gewöhnlicher Schüler hätte hierfür mindestens zwei Jahre gebraucht.
„Ist es schon so weit?“ fragte Juliana an jenem Tag, ,, muss ich mich nun entscheiden in welchem Gebiet ich mich spezialisieren möchte.“
Emiras antwortete in einem ungewohnt strengen, wenn auch ruhigem Ton „Im Prinzip kannst du bis zu 2 Gebiete der fortgeschrittenen Magie gleichzeitig beherrschen.
Manche Magier hatten sogar einen drittes Teilgebiet komplett gemeistert. Über die einzelnen Gebiete habe ich dir schon berichtet und dir darin die Grundlagen gelehrt.
Möchtest du weiterhin, dass ich dich unterrichte , müsstest du genau die gleichen Spezialisierungen wählen, die auch ich einst erlernt hatte. Andererseits könnte ich dich zunächst nur in einem einzigen Gebiet unterrichten, bis du dich für ein zweites entscheidest.
Mein Meister brachte mir selbst nur einst den Arkanismus persönlich bei. Meine Fähigkeiten in der Flammenmagie hatte ich mir komplett selbst angeeignet. Ich schlage jedoch vor, dass du dein bereits fortgeschrittenes Wissen über die schwarze Magie ebenfalls erweiterst. Es wäre uns eine große Hilfe, denn wir wissen noch viel zu wenig über sie.“
Juliana nickte und sprach:,, Einverstanden, wenn du mir etwas erlaubst ! Ich möchte gleichzeitig versuchen die Kräfte des Lichts zu beherrschen. Ich weiß es ist schwer zu verstehen.
Wenn ich schon ein Element erlernen muss, welches hauptsächlich Tod und Krankheit beinhaltet, will ich auch die Lehren des Lebens und der Hoffnung kennen lernen. Licht und Finsternis fügen sich schwer ineinander, das ist mir durchaus bewusst.
Emiras verharrte und überlegte.
Juliana saß vor ihm und blickte voller Hoffnung in seine Augen. Die Zeit in der Emiras nachdachte, musste Folter für die wartende Juliana gewesen sein.
„ Ich sehe das Problem viel mehr darin, dass wir ebenfalls wenig Wissen über die Lehren des Lichts besitzen. Bücher die einem Dinge über schwarze Magie lehren sind nicht schwer zu finden.
Gleichzeitig besteht der Vorteil sich auf zwei Gebiete gleichzeitig zu spezialisieren darin, dass Kombinationszauber aus beiden Gebieten besonders mächtig sind.
Ich kann mir jedoch keine einzige Kombination zwischen Licht und Finsternis vorstellen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich bisher noch nie von dieser ungewöhnlichen Verbindung gehört oder gelesen habe.
Vielleicht wäre deine Wahl eine gute Möglichkeit neue Erkenntnisse zu erlangen.“ Emiras runzelte die Stirn.
„Unsere Meisterin könnte Juliana doch darin unterrichten !“ Er war in seinen Gedanken versunken als die Stimme hinter ihm ertönte. Eine Gestalt, die Emiras in den letzten Monaten nur zu gut kennen gelernt hatte, kroch unter seinem Bett hervor. Es war Shadra die sich aufrichtete um sich darauf gähnend zu strecken.
„ Wir müssen nur unsere Meisterin wiederfinden. Sie könnte ihr beibringen, was sie auch meiner Schwester beigebracht hatte.“
Emiras hatte sich zwar daran gewöhnt, Shadra an den ungewöhnlichsten Orten aufzufinden, erschrak jedoch trotz allem. Unter seinem Bett hatte er schon seit seiner Kindheit Angst vor den sogenannten „Fleischschluckern“. Zhylon hatte ihm jedoch mit seinen Horrorgeschichten keine Lügengeschichten erzählt, denn die kinderfressenden Dämonen gab es wirklich, auch wenn sie Magier mieden.
Shadra richte ihre Brille und steckte ihre Haare, die sich in ihrem Gesicht befanden hinter ihr Ohr. Ihr weißblaues Kleid war voll von Staub, was jedoch von ihr unbemerkt blieb.
Anschließend saß sie sich hin und hielt sich die Hand vor ihre Augen. „Diese magischen Lichter blenden immer. Mir ist bewusst, dass ihr nicht in der Lage seid, hier unten Fackeln anzubringen, doch könntest du das Licht etwas reduzieren.“
Emiras antwortete in einem leicht ironischen Ton :
„Schau mal, auf was du dich da gesetzt hast. Wir müssen hier auch in der Lage sein etwas in den vielen Büchern zu erkennen. Wenn du nach unten blickst, wirst du merken, dass du dich auf einen ganzen Stapel von ihnen gesetzt hast.
Wie dem auch sei, du erwähntest, dass ihr von einer Magierin unterrichtet wurdet. Wo befindet sich eure Meisterin ? Weshalb unterrichtet sie euch nicht im Moment ? „
Shadra riss sich nur mit Mühe aus ihren eigenen Gedanken, in die sie so oft versank:
,, Unsere Meisterin ist wie Luna und ich eine Heilerin. Im Gegensatz zu eurem Meister unterrichtet sie jedoch eine größere Gruppe von 20 Schülern. Alle vier Jahre unternehmen wir eine Art Pilgerreise in die nördlichen Ländereien außerhalb Azurias. In den unendlich wirkenden Wäldern von Teregan befindet sich ein Friedhof mit einem Schrein. Ich war nie in der Lage, den langweiligen Vorträgen, die unsere Meisterin auf dem Friedhof hielt, zuzuhören.
Ich habe nicht umsonst den Traumwandel erlernt, um mich mit solchen Themen nicht befassen zu müssen.
Es ist etwas länger als sechs Monate her, als ich mich auf meiner bereits dritten Pilgerreise befand. Für Luna was es lediglich die zweite, doch auch ihr missfiel der Ausflug. Mit meinem schlechten Orientierungssinn geriet ich jedoch schnell von der Gruppe ab und verlief mich in den Ebenen.“
Emiras unterbrach :,, Ich bin auch nicht gut darin mich zu orientieren, doch wie kann man in einer Ebene von der Gruppe abkommen. Azurias besteht fast ausschließlich aus glatten Ebenen“
Shadra fuhr in ruhigem Ton fort :,, Du müsstest mich inzwischen ausreichend kennen. Ich träume nun einmal gerne . Jedenfalls war die Nacht angebrochen, als mich Luna auf einer Wiese schlafend vorfand. Die komplette Gruppe hatte nichts von meinem Fehlen bemerkt und so schlich sich Luna heimlich davon um mich zu finden.
Und genau aus diesem Grunde sind wir von unserer Meisterin getrennt.“
Emiras fühlte sich nicht danach, noch einmal zu fragen, wie genau die beiden hier gelandet sind, beziehungsweise wie sie es geschafft hatten, dieses Versteck zu finden.
Shadra sprach erneut :
,, Mir fällt da etwas ein. Eigentlich hätte ich dir gar nichts von der Pilgerreise erzählen dürfen. Wie dem auch sei, Juliana weiß ja auch schon alles. Die Pilgerreise ist eigentlich etwas über das Außenstehende nichts wissen dürfen.
Ich bin ehrlich. Meinetwegen muss ich meine Meisterin nicht mehr sehen. Ich erlernte einst den Traumwandel, weil das klassische Heilen für mich keine Berufung ist.
Traumwandeln erfüllt mein Leben. Mir ist es erlaubt fast den kompletten Tag über zu schlafen und ich muss keinem dabei Zuhören. Traumwandler erlernen ihre kompletten Fähigkeiten durch Praxis.
Es gibt nur wenige Bücher in denen unser Gebiet kurz erläutert wird, jedoch keines welches als Anleitung dient.
Aus Büchern zu lernen ist für mich zu anstrengend. Außerdem fehlt mir die Aufmerksamkeit um von Personen zu lernen. Doch Luna wird bald wieder jemanden benötigen, der sie weiter unterrichtet. Deshalb müssen wir unsere Meisterin wiederfinden.
Für Emiras war nun geklärt, weshalb er über die Künste des Traumwandelns vorher so wenig gelesen hatte. Er überlegte kurz, konnte jedoch schnell in Julianas faltigem Gesicht die Begeisterung ablesen. Als er versuchte, Shadra Fragen über den Verbleib ihrer Meisterin zu stellen, war diese schon wieder dabei unter Emiras Bett zu kriechen. Lediglich ihre Beine schauten noch unter dem Bett hervor.
„Es wäre unglaublich zuvorkommend, einen anderen Ort als den Bereich unter meinem Bett als Schlafplatz zu wählen.“ sprach Emiras.
Shadra kroch wieder unter dem Bett hervor und ließ sich anschließend auf dieses fallen. „ So meinte ich das nicht“, äußerte sich Emiras. Es war zu spät, denn Shadra reagierte nur mit lauten Atemgeräuschen, gerade leise genug, dass sie nicht mehr als ein Schnarchen durchgehen würden.
„Immerhin haben wir jetzt ein neues Ziel“ warf Juliana ein. Emiras bemerkte, wie positiv sie sich in den letzten Monaten entwickelt hatte. Es schien als wäre das alles nach ihrem Erwachen ein Neuanfang, vergleichbar mit einem zweiten Leben welches einem geschenkt wurde.
Ihr entstelltes Aussehen fiel einem mit den Monaten immer weniger auf. Dennoch war Vorsicht geboten, denn außerhalb des Versteckes würden die Menschen bei ihrem Aussehen sofort aufmerksam werden.
Über das Schloss und den Erinnerungen daran hatten Emiras und Juliana im Versteck noch nie gesprochen. Er hatte Angst es würde die Wunden ihrer Erinnerungen neu entflammen.
Für Emiras war der Kontakt mit weiblichen Magiern anfangs ungewohnt, wenn nicht sogar beschämend. Mit der Zeit jedoch sah er in ihnen keinen Unterschied mehr zu gewöhnlichen männlichen Magiern. Jakob ist er während dieser Zeit nicht ein einziges Mal begegnet. Er schien sich vor den Neuzugängen zu verstecken. Nur durch Zhylon wusste Emiras, dass sich Jakob noch
im Versteck befand.
Da Emiras befürchtete, dass er sowieso erst einmal auf sein Bett verzichten musste, beschloss er Juliana eine Geschichte zu erzählen, die er einst in den Büchern der Bibiolthek zu Zeiten seiner Kindheit gelesen hatte. Dies tat er heimlich, da es ihm verboten war für andere Zwecke als dem Lernen, Bücher zu lesen. Einst opferte Emiras zum Lesen solcher Geschichten seine eigene Schlafenszeit.
Ehe sich jedoch Emiras versah, war Juliana ebenfalls eingeschlafen. Eigentlich waren die selbst zusammengebauten Hocker die sich im Raum befanden und aus ein paar Holzplanken bestanden alles andere als bequem. Juliana hatte in den letzten Monaten eine Menge gelernt und so war sie erschöpft genug.
Kapitel 3
Gegen die Macht der Engel sind wir Menschen machtlos. Nur durch schwarze Magie kann ein Engel vernichtet werden. Dies ist der Grund, warum sich Engel so sehr vor Dämonen fürchten.
Am meisten von allen fürchtet ein Engel jedoch den Tod oder auch, anders genannt, die „Vernichtung“.
(Undatierte Aufzeichnungen des Erzmagiers Ceres vor etwa 700 Jahren)
Zwei Wochen vergingen, bis der letzte Abend vor der Abreise anbrach. Emiras stand vor seinem ersten Auftrag, den er als vollwertiger Magier ausführen sollte. Nur ein paar grobe Tipps hatte er von seinem ehemaligen Meister bekommen. Unter anderem waren es Hinweise, wie man sich als Magier unter Menschen zu verhalten habe.
Jakob, ein weiterer Lehrling Zhylons, saß zu jener Nacht auf dem Dach der Scheune und genoss den Sonnenuntergang. Er war wie so oft alleine und genoss auch diesen Aspekt. Das Dach der Scheune war steil und voll von diversen Ästen und Gestrüpp. Es wäre ein Leichtes auf dem Dach die Haltung zu verlieren und herunter zu fallen. Zu dem war die Scheune hoch, und ein Fall vom Dach hätte garantierte Knochenbrüche zur Folge. Jakob war jedoch körperlich geschickt und ein hervorragender Kletterer. Schon oft versteckte sich Jakob auf dem Dach, da ihn kein Anderer dort vermutete. Natürlich war ihm ein Aufenthalt außerhalb des Versteckes verboten.
Jakob nahm sich meistens etwas zu lesen mit aufs Dach. Während er mit der rechten Hand blätterte erzeugte er mit seinem linken Daumen eine kleine Lichtquelle, hell genug um einigermaßen etwas erkennen zu können. Als die Nacht anbrach war der Halbmond hell genug um die Umgebung zu erleuchten. Das Dach schenkte Jakob eine wunderbare Aussicht, da der Hof auf einem etwas höherem Gelände erbaut wurde.Man konnte die vielen Felder der anderen Höfe kilometerweit erkennen.
Azurias war voll von Feldern und Äckern. Jakobs Augen waren scharf und so erkannte er auf den hinteren Feldern, auf denen Kürbisse wuchsen einen Knecht, der seine freie Zeit mit einer Pfeife genoss. Wie der arme Knecht an die Genussmittel gelangen konnte, fragte sich Jakob nicht. Auch hatte er keine Angst von dem Knecht entdeckt zu werden. Ihm verlangte es danach, noch ein letztes Mal die Nacht vor der morgentlichen Reise so zu genießen, wie er es am liebsten hatte, nämlich alleine. Kurz überlegte er sich zu verwandeln, um als Tier dem Knecht seine Pfeife zu entreißen. Jakob war neugierig denn er hatte noch nie Pfeife geraucht. Die Energie, die er für eine Verwandlung brauchen würde, wollte er dennoch sparen.
„Sind die Sterne nicht wunderschön ? Es ist ewig her, dass ich sie das letzte Mal in solcher Pracht sah.“ Jahkob schreckte mit einem stummen Schrei auf, als eine auffällige, helle Stimme neben ihm ertönte. Luna schien sich unbemerkt aufs Dach geschlichen zu haben und saß wenige Zentimeter von ihm entfernt.
„Wer … wie … was machst du ..“ stammelte er nur, wurde jedoch gleich darauf wieder von ihr unterbrochen :,, Du bist also Jakob, ich hab schon viel von dir gehört . Bist du immer hier oben? Schläfst du hier ?
Deshalb sieht man dich so selten dort unten. Naja … ich versteh dich. Hier oben ist es viel schöner als in den nassen kalten Gängen dort unten. Ich werde jetzt auch jede Nacht hier oben verbringen und die Sterne betrachten.“
„Verschwinde !!“ rief ihr Jakob in seinem Schrecken entgegen. Er vergaß komplett, dass er mit seiner Lautstärke nicht nur sich selbst in Gefahr gebracht hatte. Luna lies sich jedoch weder von seiner Lautstärke noch von seinem Ton beeindrucken.
Sie sprach :,, Hab dich nicht so. Du wirst mich gar nicht wahrnehmen. Ich werde mich einfach zu dem Heu auf der linken Seite dieses Daches gesellen und wie Luft für dich sein, in Ordnung ?“ Anschließend klopfte sie ihm kameradschaftlich auf die Schulter woraufhin Jakob nur mit einem aufgeschrecktem Flüchten reagierte, und auf die rechte Seite des Daches kletterte.
Fast hätte er sein Gleichgewicht verloren und wäre von der Überdachung gefallen.
„Ah perfekt , du bleibst dort und ich bleib auf der linken Seite. Du möchtest ja auch nicht, dass unser Meister von der ganzen Sache Wind bekommt.“
Für Jakob war dies die zweitschlimmste Nachricht an diesem Tage. Es war der gleiche Tag an dem er erfahren musste, dass er mit Emiras zusammen einen Auftrag auszuführen hatte. Diese Information reichte Jakob um den Tag zu hassen. Ihm war es egal wie der Auftrag lautete oder wer noch mit auf der Reise war. Eingeprägt hatte er sich nur, dass er mit Emiras zusammen reisen musste und dass der Auftrag mehrere Tage andauern würde.
„Ich bin Luna ! Ich weiß nicht ob es dich interessiert aber ich wollte mir nicht vorwerfen lassen, ich wäre zu unhöflich um mich vorzustellen.
Du bist doch Jakob oder ? Zumindest weiß ich, dass ein Jakob im Versteck lebt und die Anderen hab ich alle schon kennen gelernt. Ich schlussfolgere nur logisch.“
„Sei still !“ rief ihr Jakob erneut entgegen. Er hatte bisher wenig von den Neuzugängen erfahren. Ihm war es jedoch völlig gleich was aus dem Versteck wurde. Er war von dem Willen gedrängt, endlich ein vollwertiger Magier zu werden und dieses Versteck zu verlassen. Ihm lag wenig an den moralischen Werten, die ihm Zhylon gepredigt hatte. Jakobs wahre Motive blieben für alle Außenstehende ein Rätsel, auf dass nur er selbst die Antwort wusste. Solange er jedoch ein Lehrling war, musste er sich dem Willen seines Meisters beugen. Um so mehr war er über Emiras Aufstieg verärgert. Nun war Jakob ihm untergeben.
Tatsächlich blieb Luna den Rest der Nacht leise. Trotz allem verschwand Jakob vom Dach in einer solch leisen Bewegung, dass es Luna unmöglich bemerken konnte.
Seine Ruhe war gestört. Und obwohl er sie kaum kannte, entwickelte Jakob schon zu diesem Zeitpunkt einen tiefen Hass für Luna.
Dass letzte Mal, dass sich Jakob mehrere Kilometer vom Versteck entfernt hatte, war Jahre her. Das Meiste brachte sich Jakob selbst bei. Nur selten nahm er Zhylons Hilfe an. Bücher waren es, die ihm seine Fähigkeiten zu größten Teilen lehrten.
Als die Sonne begann den Himmel rötlich zu färben, hatte Jakob sein Gepäck bereits vorbereitet. Die Reise wollte er so schnell wie möglich hinter sich bringen. Mitten in der Bibilothek befand sich eine lange morsche Holzleiter, die zur Scheune führte. Erst jetzt, nach all den Monaten, war Emiras überhaupt erst wieder in der Lage eine solche Leiter emporzusteigen.
Jakob legte seine Tasche neben der Leiter ab und verzog sich hinter eines der Bücherregale, um die Zeit bis zur Abreise zu verstreichen zu lassen. In seiner Tasche befanden sich lediglich Reagenzien die er zum Lesen von Fährten und Spuren benötigte. Er war sich sicher, dass seine Gabe der Grund war, warum er überhaupt mitkommen sollte. Jakob war in der Lage Jahrhunderte alte Routen von Personen oder Tieren zu rekonstruieren. Er selbst konnte in gewisser Weise seine Umgebung oder sich selbst manipulieren. Er hatte bereits begonnen Verwandlungszauber zu erlernen, welche jedoch noch verbesserungswürdig waren.
Emiras war der zweite, der für die Reise bereit war. Er nahm für die Reise lediglich ein paar Münzen und seinen Stab mit. Viele Menschen interpretierten die außergewöhnlichsten Kräfte in die Stäbe der Magier, dabei dienten sie in den meisten Fällen als Wanderstöcke und Gehhilfen. Aus gleichem Grunde hatte auch Emiras seinen, aus einfachem Eichenholz geschnitzten, Stab, der etwa zwei Meter maß, mitgenommen.
Am Blättern der Seiten hörte Emiras, hinter welchem Regal sich Jakob befand. Ihm lag es a, Herzen, zumindest ein paar Worte mit ihm zu wechseln, hatte er ihn schließlich monatelang nicht ein einziges Mal gesehen.
Als Emiras jedoch Jakob erblickte, konnte er nicht mehr als ein nervöses, stottriges „Hallo“ hervorbringen. Jakob wandte seinen Blick nur kurz dem aufgeregten Emiras zu, gab jedoch keinen Ton von sich und las anschließend weiter.
„Die … die Anderen müssten auch bald hier sein !“
Diesmal bekam Emiras auf seine Aussage keine einzige Rückmeldung. Jakob schien ihn komplett zu ignorieren.
Emiras wusste, das Jakob keine einfache Person war, doch er hätte sich nicht erträumt, dass seine Distanz zu ihm noch weiter hätte wachsen können.
Stumm bewegte sich Emiras wieder zur Leiter und setzte sich auf den Boden um auf Luna und Juliana zu warten.
Juliana auf diese Reise vorzubereiten stellte sich als äußerst schwierig heraus. Für die meiste Zeit musste sie komplett vermummt werden. Würden die falschen Menschen ihr wahres Abbild erblicken, wäre sie sofort auf dem Scheiterhaufen verbannt. Im Notfall könnte ihr ein spezieller Kristall, den Jakob zu jenem Tage anfertigen musste, für den Bruchteil einer Minute zu ihrem früheren Aussehen verhelfen. Dieser Kristall dürfte jedoch nur dann aktiviert werden, wenn jemand verlangen würde, ihr Gesicht unter dem Schleier zu erblicken.
Es war fast Mittag als Luna und Juliana bereit für den Aufbruch waren. Emiras war während dessen eingeschlafen, doch die helle Stimme Lunas weckte ihn problemlos. Sie bildete einen starken Kontrast zur dünnen Stimme Julianas.
Auch Jakob näherte sich von der anderen Seite der Gruppe mit langsamen Schritten. Zuerst stieg Emiras die Leiter herauf. Seine Bewegungen waren immer noch durch die einstigen Verletzungen leicht eingeschränkt. Dennoch schien er mit der Leiter keine Probleme zu haben.
Als er bereits die Falltür ähnliche Öffnung erreicht hatte, sah er wie Juliana große Probleme hatte, sich überhaupt an der Leiter festzuhalten.
Luna nahm sie mit beiden Händen und zerrte sie von der Leiter weg. Bevor sich Emiras aufgrund des Schüttelns der Leiter fallen konnte, rettete er sich indem er die sich in die Scheune beförderte.
„Warte,“ sprach Juliana noch, doch ohne dass sie sich überhaupt wehren konnte, flüsterte Luna ihr zu :,,Halt dich gut fest!“.
Reflexartig griff Juliana nach Lunas Schulter, während diese kurz darauf bereits mit schnellen Schritten die Leiter hinaufkletterte. „Zum Glück bist du so leicht !“ rief Luna währenddessen. Es war dennoch ein Merkwürdiger Anblick, da Juliana deutlich größer als Luna war.
Als beide die Scheune erreicht hatten, ließ Juliana reflexartig von Luna ab. Die ganze Situation war für sie durchaus beschämend. Dass Jakob währenddessen auch in kürzester Zeit heraufgekommen war hatte keiner bemerkt. Er konnte sich nicht ausmalen, weshalb man ihn und seine Fährtenleserei gebrauchen könnte. Shadra jedenfalls konnte nicht mitkommen. Sie würde auf einer solchen Reise ungewollt verloren gehen.
Der Himmel war stark bewölkt. Es schien, als wären die Wolken kurz davor ihre Regentropfen auf den Erdboden zu gießen.
Emiras verließ als erster die Scheune um zu überprüfen ob die Luft rein war. Die Erinnerungen an die Welt außerhalb des Versteckes schienen komplett erloschen zu sein, denn die Aussicht ließ sein Kinn vor Staunen erschlaffen.
Aufgrund des Fehlens von Sonnenschein war das Bild welches sich vor Emiras Augen abspielte farbentsättigt. Dennoch genoss er den Anblick, da eine solche Farbenpracht selbst bei blassem Wetter für ihn ungewohnt war. Der Rest der Gruppe ließ sich weniger von dem Anblick beeindrucken.
Der größte Teil der Reise musste zu Fuß angetreten werden. Das in sattem grün getränkte Azurias bot einen unbeschwerlichen Marsch. Azurias war jedoch auch eine der am dichtest besiedelten Länderein, weshalb sich das Reisen für Magier als besonders riskant erwies.
Ständig traf man Menschen an, die der Gruppe misstrauische Blicke entgegenwarfen.
Emiras, Jakob und Luna trugen gewöhnliche Kleidung, da Magierroben zu auffällig wären. Julianas Gewand, welches dazu diente, ihr wahres Aussehen zu verstecken, zog die Blicke einiger Menschen auf sich.
Es ereignete sich selten, dass Emiras und seine Gefährten Rast einlegten. Emiras selbst fiel das Wandern, trotz seiner Ruhezeit, nicht schwer. Juliana jedoch erlag immer wieder ihrer Erschöpfung, weshalb sie die Anderen oft zu Pausen zwang. Sechs Tage reisten sie, bis sie auf die Valarian stießen, die letzte große Stadt vor den Wäldern Teregans.
Teregan war eine Region, nördlich von Azurias. Die Wälder waren Schätzungen nach zehnmal so groß wie Azurias selbst. Eine komplette Durchreise zu den nördlichen Ländereien hinter Teregan würde fast zwei Jahre in Anspruch nehmen.
Die Wälder selbst waren zu großen Teilen unbewohnt. Selten stieß man nach monatelanger Reise auf ein Dorf von Menschen. An diesen Orten herrschte meist eine eigene kleine Rangordnung, schließlich waren die Dörfern von der Außenwelt fast abgeschottet.
Emiras Auftrag war es, die einstige Mentorin von Shadra und Luna zu finden. Sie und ihre Schüler hätten längst von ihrer Pilgerreise heimgekehrt sein müssen. Das Kloster, welches nur ein paar Stunden vom Versteck befand, war leer. Seit der Reise war dort niemand mehr gewesen. Mit Jakobs Hilfe könnten sie die Spur der Heilerin vom Schrein aus zurückverfolgen.
Jakob, dessen Aufgabe es war, die Spuren der Vermissten zu lesen, wusste während der Ankunft in Valarian immer noch nichts über seine Aufgabe. Keiner hatte mit ihm während der Reise mehr als nur die nötigsten Worte gewechselt.
Kapitel 4
Wer ist die größere Hure ? Ich, die sich auf einen Dämonen einließ oder du, der sich auf Gefias einließ.
(Eine Hexe vor ihrer Hinrichtung)
Valarian gehörte zu den wohlhabendsten Städten in Azurias. Sie grenzte an den riesigen Wäldern Teregans und war der letzte große Fleck menschlicher Zivilisation vor der gewaltigen Wüste aus Wäldern. Der Friedhof, der das vorläufige Ziel darstellte, befand sich vier Tagesmärsche von Valarian entfernt und war doch am äußersten Rande von Teregan.
Ziel des Aufenthaltes in Valarian war die Vorbereitung für die weitere Reise, da vor allem Juliana mehrmals kurz vor dem Zusammenbruch war. Während der seltenen Rasten war es Luna, die die Wunden ihrer rissigen Haut versorgte. Sie war auch die einzige, bei der Juliana den Mut aufwies mehr von ihrem Körper zu zeigen. Luna stellte sich die wildesten Fragen, weshalb Juliana überhaupt am Leben sein könnte. Ihr Blut war wässrig und besaß kaum noch Rote Farbe. Ihre Haut war rau und faltig und ihre Knochen brüchig. All dies faszinierte Luna.
Für Emiras war es eine Selbstverständlichkeit Valarian erst bei Nacht zu betreten. Die Stadtmauern waren so hoch, das man meinen könnte, sie würden Die Wolken streifen. Die Tore waren Nachts geschlossen und gut bewacht. Die besten Schützen befanden sich nachts auf den Mauern in der Nähe des Tors und waren in der Lage selbst aus größter Entfernung ihr Ziel zu treffen. Die Pfeile ihrer Armbrüste waren in der Lage Eisenpanzer zu durchbrechen. Für Emiras selbst stellte dies kein Hindernis da. Mit seinen Fähigkeiten fand er problemlos heraus, dass die Mauern des hinteren Stadtteils über Nacht unbewacht waren. Valarian wurde einst genau auf der Grenze zwischen Azurias und Teregan gebaut. Die nördliche Hälfte Valarians war von Wäldern umgeben. Angreifer könnten zwischen den Bäumen nicht erkannt werden, weshalb man die Besetzung von Nachtwächtern für überflüssig hielt.
Luna starrte verdutzt auf die mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllte Phiole, die Emiras in den Händen hielt. Auf die Frage, wofür er diese bräuchte, antwortete Emiras mit einer Gegenfrage :
„Was glaubst du warum wir uns die Mühe gemacht haben, auf die gegenüberliegende Seite der Stadt zu gelangen ? Ein Tor, welches in die Stadt führt existiert in diesem Bereich nicht.
Wie würden wir wohl in die Stadt gelangen ?“
Luna blickte nach oben. Man erkannte selbst bei Nacht, wie riesig und undurchdringbar die Mauern schienen. Sterne und Mond leuchteten zwischen wenigen Wolken und ließen die Stadt schwach aus dem Schwarz der nächtlichen Dunkelheit hervorschimmern.
Mit einem Augenzwinkern schüttete er die Flüssigkeit gegen die Mauer und verursachte einen Fleck von der Fläche einer großen Wasserpfütze. Juliana, die zuvor ihren Schleier zurecht gerückt hatte, näherte sich ebenfalls dem Geschehen voll von Interesse.
Der Fleck begann Dampf zu hinterlassen, bis der nasse Teil der Mauer einfach durchsichtig wurde. Sowohl Juliana als auch Luna blickten verdutzt durch die Mauer hindurch. Der Durchgang war etwa sechs oder sieben Meter lang. Luna nährte sich der Öffnung und versuchte mit ihrer Hand hineinzugreifen. Sie traf mit ihrer Hand auf den unsichtbaren Teil der Mauer auf.
„Keine Angst ! Wir müssen hier nicht hindurchkriechen. Das können wir nicht. Seht doch mal hindurch und schaut wer auf der anderen Seite steht.“
Lunas und Julianas Blick kreuzte sich mit dem von Jakob, der mit ernster Mine innerhalb der Stadt vor der Mauer stand.
„Wie ist er ….“ fragte Luna und konnte aus Erstaunen heraus ihren Satz nicht beenden.
„Das hat er sich alles selbst beigebracht. Den Adler, der vorhin über die Mauern hinweggeflogen ist, habt ihr wohl nicht bemerkt. Zumindest für ein paar Minuten kann er diesen Zustand aufrecht erhalten und fliegen. Nun müsst ihr jedoch beide mit eurer rechten Hand meinen Rücken berühren.“
Während Juliana vorerst zögerte, stieß Luna ihn aufgrund ihrer Voreiligkeit fast um. Nur mit Mühe konnte er sich auf seinen Beinen halten das sie wohl „berühren“ mit „schubsen“ verwechselt hatte.
Emiras und Jakobs blicke trafen sich. Beide streckten sich gegenseitig ihren Arm entgegen und machte Bewegungen die an ein Greifen erinnerten. Anschließend schlossen beide zeitgleich ihre Augen. Auch wenn sie selten Worte miteinander wechselten und nur schwer miteinander auskamen, funktionierte ihre Zusammenarbeit perfekt. Juliana und Luna waren benebelt, als sie direkt neben Emiras und Jakob zu sich kamen. Luna verlor die Kontrolle und drohte ihr Gleichgewicht zu verlieren. Sie stolperte über ihren eigenen Fuß und drohte zu fallen. Mit Widerwillen fing Jakob sie auf. Mit beiden Armen Griff er reflexartig unter ihre Achseln. Er errötete und wollte sie so schnell wie möglich wieder loslassen. Voll von Scham legte er die immer noch benommene Luna auf dem Boden ab. Emiras fand die Situation durchaus amüsant. Er konnte sich in den letzten Monaten ein wenig an den Umgang mit Menschen gewöhnen auch wenn man ihn immer noch als schüchtern bezeichnen konnte.
„Was nun ?“ Jakobs Gesichtsausdruck war voll von Skepsis, als er Emiras seine Frage stellte.
Jakob erwartete nicht viel von Emiras, auch wenn dieser Leiter und Führer der Mission.
Was Emiras nicht wusste, war, dass Jakob bereits im Alleingang Erfahrung in der Außenwelt gesammelt hatte. Manche seiner Tiergestalten verlangten einen geringeren Aufwand von Energien und auch weniger Reagenzien. Mit Menschen konnte Jakob jedoch nicht in Kontakt treten, während er die Gestalt einer Ratte angenommen hatte. Er hatte jedoch auch nicht das Bedürfnis dazu. Ihm war es lediglich daran gelegen, die Außenwelt zu erkunden, die Natur zu genießen und aus dem Versteck für eine geringe Zeit zu entkommen.
„Sieh dich um, Jakob. Wie du siehst, haben wir uns in eine der dreckigsten und ärmsten Gassen im hinteren Teil der Stadt begeben. Wir müssen den Kontakt mit den Stadtwachen sowie auch anderen Menschen möglichst vermeiden. Ein paar Straßen entfernt befindet sich eine Herberge. Der Besitzer ist es gewohnt, dass ihn zwielichtige Gestalten besuchen kommen. Er hat die Angewohnheiten keine Fragen zu stellen. Deshalb scheint dies auch der einzige Ort zu sein, der für uns in Frage kommt.
Der Besitzer der Herberge ist zudem bereit, sich mit anderen Dingen als Münzen bezahlen zu lassen. Trotz allem müssen wir in den Gassen vorsichtig sein, da die Abwesenheit von Stadtwachen andere Gestalten aus den Ecken hervorlockt, gerade dann, wenn ihnen die Nacht Schutz gewährt.“
Während sich die Anderen bereits konzentriert umblickten, war Luna immer noch benommen, als sie sich langsam vom Boden erhob. Sie lag in einer Pfütze aus undefinierbaren Flüssigkeiten, die von einem furchtbaren Gestank zeugten. Ihre Haare waren nass und trieften.
Luna lies sich von der Öllampe in Emiras Händen vorerst Blenden. Obwohl der Schein nur schwach war, war es die einzige Lichtquelle im doch so dunklen Teil der Stadt. Als sie um sich blickte war sie von Riegelhäusern, die aus einem hölzernen Skelett und weißem Mauerwerk erbaut waren. Das Weiß der Häuser war bei Nacht nur schwer zu erkennen, auch weil der Dreck große Flächen bereits ergrauen ließ. Die Häuser waren dennoch hoch gebaut und umfassten mehrere Stockwerke.
„Früher lebten hier mehr Menschen. Als Räuber und undefinierbare Wesen aus dem Wald begannen die Stadt heimzusuchen, flohen die Menschen in den südlichen Teil.
In der Mitte Valarians wurde erneut eine hohe Mauer erbaut. Jeder, der reich genug war, zog in den Süden. Jeder der nicht das Geld hierfür besaß, wurde dem Abschaum, der in die Stadt einfiel auf eine Stufe gestellt. Damals hatte man nicht bedacht, dass die nördlichen Mauern nicht alles aufhalten können. Heute, stirbt dieser Teil der Stadt aus.“ Emiras blickte versuchte sich zu orientieren, als er erklärte.
Aus den Öffnungen der Häuser, die man aufgrund des fehlenden Glases nur schwer als Fenster bezeichnen konnte, brannte kein Licht. Vermutlich war es bereits später als angenommen.
Der Schlammige Boden auf dem sich die Gruppe befand wirkte wie eine Lichtung in der einst dichten Metropole. Aus allen Ecken der Stadt hörten sie die unterschiedlichsten Laute. Mal war es ein Stöhnen. Ein anderes mal war es ein lautes Keifen zwischen zwei Menschen. All diese Laute ergaben einen seltsame Mischung.
Eine noch abartigere Mischung war hingegen der Gestank, der sich aus den unterschiedlichsten Gerüchen von Unrat und Verwesung bildete.
„Wir müssen weiter in den nordöstlichen Teil dieses Viertels.“ Nach seiner kurzen Anweisung begann sich Emiras in die engste aller Gassen zu begeben. Keiner war von voluminöser Statur, sodass ein Durchqueren der Gassen für keinen ein Problem darstellte.
Manchmal konnte man aus einem der Fenster Kerzenschein erkennen. Die meisten Laternen waren jedoch nicht entzündet und tränkten die Straßen bloß in nächtliche Finsternis.
Zwischen den Häusern hingen Wäscheleinen, welche an den Dächern befestigt waren. Über ihnen hing oft alte Kleidung, meist jedoch nur aus Lumpen zusammengenäht.
Die Gassen wurden etwas breiter als die Gruppe sich ihrem Ziel näherte.
„Hier sind wir richtig ! Zwei Fackeln zwischen einer zu kleinen Tür, genau wie es Zhylon mir beschrieben hatte.“ Die Fackeln, auf die Emiras zeigte glühten nur noch schwach. Stolz über seinen Fund klopfte Emiras an der morschen Tür und trat ein. Der Empfang bestand lediglich aus einer Frau, die vor einem kleinen Tisch mit einer Kerze neben einem Regal stand.
„Wir haben zwei Zimmer und nur eins ist verschließbar! Die Treppen sind links, bezahlt wird am letzten Tag vor der Abreise.“
Das Antlitz der korpulenten Frau wurde durch die Dunkelheit verdeckt. Der schwache Schein der Kerze konnte nur gerade noch den Schlüssel erleuchten, der von der Frau auf den Tisch gelegt wurde.
„Vielen Dank, wir werden nur zwei Nächte bleiben.“ antwortete ihr Emiras, während er nach dem Schlüssel griff. Er hatte vor der Reise befürchtet, dass er nicht wüsste wie er mit fremden Menschen umgehen zu hatte. Jetzt bemerkte er wie wenig Wortwechsel überhaupt für seine Mission nötig war.
Emiras Öllampe war nun fast erloschen und leuchtete noch schwächer als die fast schon komplett heruntergebrannte Kerze auf dem Tisch. Mit vorsichtigen Schritten begab er sich zu den Treppen gefolgt vom Rest der Gruppe. Die Stufen waren hoch und Steil. Da sie aus altem Holz gemacht waren, knirschten sie Laut unter den Füßen.
„Das Zimmer mit einer Tür ist das ganz linke im zweiten Stock, das Andere ohne Tür ist gleich rechts daneben.“ Emiras wandte sich der korpulenten Frau ein letztes Mal zu und lächelte als eine Geste des Dankes. Dies war jedoch überflüssig, konnte man sein Gesicht kaum noch erkennen.
Aus allen Ecken der Herberge ertönten die Geräusche schlafender Menschen. Trotz der einfachen Aufmachung war die Herberge gut besucht. Im Zweiten Stock befanden sich vier Holztüren zu den jeweiligen Zimmern. Eine Tür war herausgerissen. Reste von Holzstücken, welche wohl einst zur Tür gehörten befanden sich noch im Rahmen. Größere Teile lagen davor.
„Luna, Juliana , nehmt ihr bitte unser Gepäck, da ihr das verschließbare Zimmer bekommt. Juliana, du darfst deinen Schleier nur entfernen, wenn der Raum verschlossen ist, verstanden ? Ich weiß es ist lästig, doch wir sind hier nur 2 Tage. Außerdem werde ich morgen versuchen etwas Essbares zu beschaffen. Verhaltet euch über Nacht ruhig.“ Emiras schob die Bruchstücke der Tür seines Zimmers beiseite und betrat den Raum. Die Betten enthielten in Leinenbänder gehülltes Heu. Die Leinentücher wirkten zu seiner Überraschung als wären sie gewaschen worden, und auch die Beschaffenheit der Betten versprach eine erholsame Nacht. Zumindest erwartete er einen angenehmeren Schlaf , als den, welchen er zu den Rastzeiten während der Reise hatte.
Ein weibliches Geflüster und Gefluche erhaschte seine Aufmerksamkeit und unterbrach ihn beim Betrachten seines Bettes. Als er aus dem Eingang des Raumes herausblickte, konnte er die Schatten von Juliana und Luna erkennen wie sie daran verzweifelten die Tür zu öffnen.
„Ihr wisst schon, das ihr den Schlüssel braucht, um den Raum aufzuschließen.“ Wäre es heller gewesen, hätte Emiras die Ratlosigkeit in ihren Gesichtern erkennen könnten. Emiras nahm Luna den Schlüssel aus der Hand und stecke ihn in das Schloss der Tür. Als er den Schlüssel vorsichtig drehte ließ sich die Tür ohne Probleme öffnen.
„Vergesst nicht wieder abzuschließen“, waren seine letzten Worte, bevor er sich auch selbst zurück zu seinem Bett tastete. Die Öllampe hatte er neben sein Bett gelegt. Sie leuchtete noch ein letztes Mal auf. Dann erlosch sie.
Kapitel 5
Mir ist es völlig fremd, weshalb Imperator Gefias diesen Groll auf uns Magier hegt. Vor zehn Jahren bat er uns noch dem Land zu dienen, doch nun blickt er auf uns abwertend herab. Schlimmer noch, er lies vor kurzem eine Reihe von Hexen hinrichten. Vor allem Anwender schwarzer Magie haben es ihm angetan, doch auch die freien Arkanisten geraten zunehmend unter Beobachtung. Vielleicht werde ich bald meine Existenz vor der Öffentlichkeit verbergen müssen und meine Forschungen im Verborgenen weiterführen.
( Tagebucheintrag des Erzmagiers Ceres, undatiert, vermutlich vor 700 Jahren geschrieben)
Nicht im geringsten Ansatz kam es Jakob in den Sinn sich schlafen zu legen. Es war eine Gelegenheit, wie sie süßlicher für ihn kaum sein konnte. Es war für ihn wie eine Offenbahrung, dass er die Chance hatte, unbemerkt die Gruppe zu verlassen, um die Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Weshalb Jakob die Anwesenheit seiner Gefährten so verabscheute, war ihm selbst nicht bewusst. Vielleicht war die Freiheit der er vermisste, und nach der er sich schon seit seiner Kindheit so sehr sehnte.
Jakob wartete in der Nähe der Herbergstreppen, bis er von seinen Gefährten keinen einzigen Laut mehr zu hören vermochte. Wichtig war ihm vor allem, das Emiras nichts von seinem Vorhaben mitbekam. Die Mädchen hätten nichts bemerkt, waren sie doch so sehr in einem Gespräch vertieft. Hätte Jakob das Gespräch interessiert, hätte er hinter der verschlossenen Tür lauschen können. Stattdessen hoffte er, dass er zwischen all dem Gefasel Laute von Emiras erhören konnte, die an ein Schlafen erinnerten.
Zu allem Überfluss hörte er das Knarren der Treppe, als jemand die hölzernen Stufen emporstieg. Seine Schritte wirkten ohne jegliche Kontrolle und waren unregelmäßig.
Als die unbekannte Person Jakob fast anrempelte begann sie zu sprechen.
„Hey … he du da …. dich hab ich hier noch nie gesehn. Hast du mal …“ Bevor die betrunkene männliche Person ihren Satz beenden konnte, nahm ihr Jakob die Bürde mit einem gezielten Schlag ins Gesicht ab. Die Person taumelte noch etwas bis Jakob sie auffing. Seine Sinne waren scharf und er war in der Lage sich auch in der absoluten Dunkelheit zu orientieren. Vorsichtig legte er die bewusstlose und offensichtlich angetrunkene Person ab.
Als Jakob Schritte aus Emiras Raum wahrnahm, war es an ihm zu handeln. Blitzschnell nahm er die Gestalt eines Katers an und rannte die Treppen herunter. Die Dame am Empfang schien ihn gar nicht zu bemerken, als er den Empfangsraum kreuzte um zu entkommen.
Draußen angekommen spitzte Jakob die Ohren, da seine Gehör in der Gestalt nun noch schärfer war. Noch nie zuvor befand sich Jakob in solch einer großen Stadt. Es schien für ihn, als könnte er die Laute aller Menschen kilometerweit erfassen und sortieren. All die Laute der Menschen faszinierten ihn und er beschloss in die Richtung zu stapfen, aus der die größte Ansammlung an Geräuschen vernahm. Zuerst kletterte er jedoch auf das Dach der Herberge um sich einen besseren Überblick zu verschaffen.
Die Herberge war etwas höher als die anderen Häuser erbaut. Jakob genoss ein wenig den traumhaften Ausblick, bis er begann von Dach zu Dach zu springen. Sein Ziel waren die vielen Lichter die er in der Ferne hinter einer größeren Mauer erblickte. Die Dächer des Armenviertels bestanden aus einfachem Stroh. An regnerischen, verzogen sich die Bewohner der oberen Stockwerke nach unten, sofern die anderen Einwohner es ihnen gestatteten. Da die Häuser eng aneinander gebaut waren, konnte Jakob selbst in Katzengestalt mit kürzen Sprüngen vorran kommen.
Aus der Ferne erspähte Jakob mehrere Lichter, die von Fackeln und Lampen stammten. Immer weiter drang er in das Herz der Stadt.
Die Mauer zwischen der Nord- und der Südstadt schien dabei das einzige, erhebliche Hindernis zu sein. Mit einem Satz sprang er auf die Mauer zu. Seine Krallen harkten sich zwischen die Steine der Mauer. Blitzschnell erklomm er mehrere Meter, bis er die Zinnen erreichte. Auf der Mauer befanden sich mehrere Wachen. Fackeln waren auf den Mauern angebracht, doch in der Gestalt einer Katze brauchte er keine Furcht davor zu haben, entdeckt zu werden. Die meisten Wachen waren mit anderen Dingen beschäftigt. Einige saßen plaudernd hinter den Zinnen und tranken Wein. Dabei spielten sie Karten. Mit einem Satz sprang Jakob in die Südstadt.
Als seine Pfoten nicht mehr auf Stroh sondern Holzschindel liefen, realisierte er, dass er das Armenviertel verlassen hatte.
Augenblicklich, wirkten die Straßen wie ausgewechselt. Der Gestank ließ nach und die Gassen wurden breiter. Auch die Wege waren nun mit Kies oder gelegentlich sogar Steinfliesen übersät. Vor allem jedoch waren die anderen Bereiche der Stadt beleuchteter und somit heller. Fast an jedem Haus oder Schild hing ein Öllaterne oder Fackel. Durch die vielen Lichter konnten sich auch Menschen auf den Straßen aufhalten. Einige davon waren Stadtwachen, die mit Schwert und Fackel bewaffnet, den Bürgern Sicherheit versprachen.
Viele Bürger wanderten, mal mehr, mal weniger angetrunken, durch die Straßen der Stadt, um sich zu amüsieren. Um diese Uhrzeit hatten die wenigsten noch Arbeit vor sich und genossen somit den Abend.
Jakob begann von einem Der Dächer zu klettern um das Treiben in nächster Nähe zu erleben. Viele der Häuser und Gebäude waren Tavernen, die selbstverständlich auch Nachts offen hatten. Aus ihnen ertönte Musik und Gelächter. Ein Lautenspieler befand sich jedoch auf den Straßen und spielte zum Kontrast eine recht traurige Sonate.
Selten hatte Jakob eine Situation so sehr genossen. Jakob erkannte, dass er die Menschen nicht verabscheute. Er scheute nur den Umgang und Kontakt mit ihnen. In Tiergestalt war er jedoch nicht gezwungen mit irgendwem zu kommunizieren. Seine Gestalt war zusätzlich ziemlich hässlich. Diese Gestalt hatte Jakob mit der Zeit absichtlich entwickelt, um den Streicheleinheiten der Menschen zu entgehen. Dem Kater, den er verkörperte fehlte das rechte Auge und das Fell war lang und struppig … er war ein gewöhnlicher Straßenkater.
Gestaltenwandler entwickeln ihre Gestalt selbst. Nur vage Vorlagen von Tiergestalten liegen ihnen zur Verfügung aus denen sie je nach ihrem Belieben eigene Zaubersprüche entwickeln.
Jakob haderte mit dem Verlangen nicht doch einmal eine Taverne zu betreten, um das Treiben dort genauer zu beobachten. Würde man einen Kater dort dulden ? Bevor Jakob jedoch einen Entschluss fassen konnte bemerkte er, wie ihm jemand am Schwanz packte.
„Nara, lauf ! Wir haben was wir brauchen !“ Bevor sich Jakob wehren konnte wurde er am Nacken festgehalten und in einen löchrigen Beutel gestopft. All dies geschah innerhalb weniger Sekunden, sodass von kompletten Situation überfordert war. Der Versuch sich zurück zu verwandeln scheiterte, da er hierfür Bewegungen mit seinen Pfoten ausführen musste. Die Enge des Beutels verhinderte dies. Er war wie gefesselt.
Die Stimmen hechelnder Wachen ließen ihn nervöser werden. Und auch die Tatsache, dass es um ihn herum immer dunkler wurde, was darauf hinwies, dass er auf dem Weg ins Armenviertel war, verursachte Unruhe. ,, Los durch das Loch vorne rechts …. du gehst vor, du bist schlanker,“ Die Stimme ertönte erneut.
„Nara, sie sind nicht mehr hinter uns her !“, Jakob erkannte in jener Stimme ein Kind. Sie klang nach einem etwa zehn Jahre altem Jungen.
„Warte mal, das Vieh zappelt mir zu sehr“, war das letzte was Jakob vor dem eintreten der Bewusstlosigkeit hörte.
„Das Vieh ist ziemlich hässlich, ob es wohl überhaupt gesund ist so etwas zu essen… aber wenn wir es nicht tun stirbt Erik … So oder so und wir werden es ja vorher kochen.“ Jakob öffnete langsam seine Katzenaugen und vernahm 2 zierliche Gestalten in der Dunkelheit. Es gelang ihm nicht sich aufzurichten, da jeweils beide Vorder- und Hinterpfoten zusammengebunden waren.
Jakob befand sich wieder im finsteren Teil der Stadt. Es war immer noch Nacht und nur seine scharfen Augen erlaubten es ihm in der Düsternis zu sehen.
Als die Bilder um ihn herum klarer wurden, realisierte er was geschehen war. Vor ihm standen zwei Kinder in Lumpen gehüllt. Die zerfetzten Stoffreste boten Blicke auf die abgemergelten Körper darunter. Jakob war verwundert, wie diese Kinder überhaupt noch laufen konnten. Vor allem der Junge besaß bloß Beine, die dürren Zweigen glichen. Der Junge wirkte als hätte ihm jemand den Schädel unsauber rasiert. Aus der nackten Kopfhaut ragte noch das ein oder andere Haar heraus. Das Mädchen hingegen besaß blonde Haare, die durch den Dreck der Straßen fast schon braun gefärbt waren.
Im Bereich des Mundes besaß sie haufenweise kleine Narben, die die Lippen komplett versteckten.
Zu Jakobs Verwunderung, gab sie keinen einzigen Ton von sich. Der Junge, der ihr gegenüber hockte, schien einfach nur ihren Gesichtsausdruck zu deuten und auf das Gedeutete zu antworten.
„Nara, du hast Recht ! Wir müssen es versuchen.“ Als der Junge seinen letzten Satz vollendet hatte, hob er Jakob an den Vorderpfoten hoch und bewegte sich mit ihm in Richtung einer engeren Gasse. Nara, das stumme Mädchen folgte ihm. Am Ende der Gasse hockte ein weiteres Kind. Selbst Jakob erschrak bei dem Anblick des dritten Kindes. Nichteinmal ein Geschlecht konnte er ausmachen.
Nur weil der Junge von einem ‚Erik‘ gesprochen hatte, erahnte Jakob, dass dies wohl der dritte im Bunde war.
Die Haare des Kindes ragten bis zu den Schultern und waren fast gräulich. Die Haut des Kindes war Leichenblass, doch durchsät von Netzen aus schwarzen Adern. Auch die Augen des Kindes besaßen kleine schwarze Flecken. Füße und Hände hingegen waren bläulich angelaufen als wären sie schon abgestorben.
„ Seid … seid ihr es ?“ eine dünne stimme zischte aus den schiefen Zähnen des Kindes hervor.
„ Hunger … so ein Hunger …“ das Kind krümmte sich als hätte es extreme Bauchschmerzen.
„Ich habe etwas für uns gefangen. Du wirst dich bald besser fühlen.“ Der Junge nahm eine scharfe Glasscherbe hervor. Jakob kniff die Augen zusammen. Sollte dieser lächerliche Ausflug für ihn schon das Ende sein ? Es war für ihn unmöglich sich zurück zu verwandeln. Ihm waren im wahrsten Sinne des Wortes die Hände gebunden.
„Nein bitte , lasst mich!“ Im selben Augenblick, in dem Jakob in seiner Katzengestalt die Worte aussprach, lies ihn der Junge voller Schreck fallen. Jakob hatte komplett vergessen, dass Katzen oft menschenähnliche Laute von sich geben, auch wenn diese keinen Sinn ergeben.
Er wäre die ganze Zeit in der Lage gewesen mit den Kindern zu sprechen. In der Praxis musste er dieses jedoch noch nie zuvor anwenden und hatte es schlicht weg vergessen.
Der Aufprall lockerte Jakobs Fesseln. Blitzschnell schloss er die Augen, kreuzte die Pfoten und begann sich mit aller Geisteskraft auf seine menschliche Gestalt zu konzentrieren. Nach einem Bruchteil einer Sekunde fand er sich in seiner alten Gestalt wieder und schaute auf die Kinder herab, die nicht einmal in der Lage waren zu schreien.
Entsetzt und voller Unglaube blickten sie zu ihm hoch. Nur der dritte Kamerad lag immer noch vor Schmerzen gekrümmt auf dem Boden.
Auch das Mädchen hatte ihren Mund vor Erstaunen weit geöffnet
Jakob bemerkte, dass sie weder Zunge noch Zähne besaß. Wer auch immer ihr das angetan hatte…..
„Wer …. was ….. was bist du ?“
Jakob reagierte auf die Frage des immer noch entsetzten Jungen nicht. Empfindungen wie Mitleid waren ihm fremd.
Beide Kinder wichen erschrocken vor Jakob zurück. Ohne ein weiteres Wort begann er sich aufzumachen und die Gasse zu verlassen. Bevor er sich wieder verwandelte, wollte er erst aus dem Blickfeld der Kinder verschwunden sein. Ein letztes Mal drehte er sich ihnen zu.
„Euer Freund wird nicht mehr gesund. Solltet ihr an Essen gelangen, teilt es unter euch beiden auf. Ich weiß nicht was euer Freund hat, doch ich gebe ihm vielleicht zwei Tage.
Wenn ihr den Mut habt, bereitet eurem Freund ein schnelles Ende. Hier, nehmt das, aber teilt es nur unter euch beiden auf.“
Bevor sich Jakob mit kalten Blick abwandte, warf er den Kindern ein Stück Semmel zu. Es wurde nicht aufgefangen und landete im Dreck der Gasse. Zu sehr waren die Kinder vom Geschehen gefesselt.
Jakob schien von den Kindern und ihrem Leid fast komplett unbeeindruckt. Er konnte selbst nicht begreifen, weshalb er ihnen seine letzte Verpflegung zugeworfen hatte.
Vielleicht wusste er wie man das Kind heilen konnte, doch er hatte der Außenwelt schon zu viel von seinen magischen Kräften preisgegeben. Zumindest würde man den Kindern keinen Glauben schenken, sollten sie von ihren Erlebnissen erzählen. Dieser Aspekt beruhigte ihn.
Als Jakob die Gasse verließ wichen seine Gedanken der Verwunderung über die Tatsache, dass die Straßen geräuschlos waren. Tatsächlich war der Stadtteil noch heruntergekommener als der Bereich, in dem Jakob die Stadt mit seinen Gefährten zum ersten mal betreten hatte. Kaum ein Geräusch nahm er war. Vielleicht hörte er ein Husten aus größerer Entfernung, doch damit war es getan.
Die Häuser waren noch heruntergekommener und teilweise eingestürzt. Stutzig machte ihn jedoch, dass die Straßen Richtung Herberge versperrt waren und alles eher an eine Geisterstadt, als an ein Armenviertel erinnerte.
Vermutlich war dieses Viertel verlassen. Jakob dachte an eine Seuche oder einen Ausbruch einer gesuchten Person, weshalb man das Viertel geräumt hatte. Für Jakob wäre eine solche Sperrung ohnehin kein Problem gewesen.
In der Gestalt eines Adlers breitete er seine Flügel aus und begann über die Dächer hinaus zurück zur Herberge zu fliegen. Viel Kraft zum Aufrechterhalten der Gestalt blieb ihm nicht. Die Verwandlung in Gestalten mit Flugfähigkeit war ohnehin aufwendiger. Dennoch gelang es Jakob sich mit letzter Kraft bis zum Dach der Herberge zu schleppen. Ob es auf den Straßen eine Absperrung oder ähnliches gab, bemerkte Jakob nicht.
Jakob nahm seine gewöhnliche, menschliche Gestalt an als er sich auf das Weiche Strohdach der Herberge legte.
Er legte die Hände unter seinen Kopf und beobachtete den bewölkten Nachthimmel. Kurz darauf begann er zu sprechen:
„Warum legst du dich nicht schlafen ! Hasst du immer noch nicht kapiert, dass ich alleine sein will!“
Dass sich Luna zu ihm gesellt hatte und etwa acht Meter von ihm entfernt auf dem Dach lag, hatte er die ganze Zeit bemerkt.
„Dann verschwinde doch selber ! Vielleicht genieße ich genau wie du die Einsamkeit.“ Luna antwortete in einem ungewohnt genervt wirkendem Ton. Es schien selbst Jakob ein wenig einzuschüchtern.
„Was ist mit dir los ? Warum redest du nicht wie ein Wasserfall ? Sonst kommt man bei dir doch auch kaum zu Wort. Bist du etwa angespannt ? Geh zurück zu Juliana, deiner kleinen Mumienfreundin, ihr versteht euch doch hervorragend.“
„Sie scheint zu schlafen, doch gerade das ist mir unheimlich. Wenn sie schläft ist sie stiller als ein Grabstein. Nichteinmal ein leises Atmen kann ich hören. Es ist als ob sie gestorben ist, doch immer wenn ich versuche sie zu wecken, meint sie nur, ich solle sie schlafen lassen.“
Jakob schloss für einen Moment seine Augen und lies seine Sinne walten. Verwundert, weshalb Luna die Stille nicht mit ihren Worten unterbrach, begann er zu sprechen :
„Dass Juliana in dem Zustand noch am Leben ist, grenzt an ein Wunder. Sie lebt seit über 400 Jahren. Es ist nicht verwunderlich, dass sie sich manchmal wie eine Tote verhält.
Du bist aufgeregt oder ? Du hast Angst ! Erzähl mir weshalb wir überhaupt in Richtung der Wälder gereist sind. Ich weiß es immer noch nicht. Ehrlich gesagt ist es mir auch egal. Aber wenn wir schon über irgendetwas reden müssen, interessiert mich das am meisten.“
Luna kicherte kurz. Danach begann sie lauter zu lachen. Nach etwa einer halben Minute war sie wieder in der Lage sich zu beherrschen und begann zu erzählen :
„Erstaunlich, dass du die ganze Zeit nicht wusstest weshalb wir hier überhaupt unterwegs sind.“
„Es war mir wie gesagt egal !“, unterbrach Jakob.
„Wie dem auch sie. Scheinbar scheint es dich nun doch zu interessieren. Kurz gesagt : Unsere Meisterin sowie all ihre Schüler sind verschwunden. In dem Kloster, aus dem Shadra und ich stammen werden alle vier Jahre Pilgerreisen zu einem Schrein am Fuße Teregans unternommen. Shadra und ich kamen vom Weg ab und nun versuchen wir herauszufinden was mit unserer Meisterin geschehen ist. Als wir das Kloster aufsuchten, war es menschenleer. Zu diesem Zeitpunkt hätte meine Meisterin schon längst wieder zurückgekehrt sein müssen. Die Fährte die du die ganze Zeit für uns gelesen hast, war die unserer Meisterin.“
„Diese Fährte …. es war eine Gruppe von Menschen in verschiedensten Altersgruppen. Jetzt verstehe ich es ! Du möchtest gar nicht, dass wir deine Meisterin finden. Deshalb hast du Angst!
Man muss weder Lauschen noch ein besonders scharfes Gehör besitzen um dich durch Wände hindurch hören zu können. Du hast dich in der kurzen Zeit sehr mit Juliana und Emiras angefreundet. Mir ist bewusst wie es in Klostern vor sich geht, Freiheit ist denen ein Fremdwort.
Die Priester möchten gehorsame und interessierte Schüler unterrichten. Dass ein Mädchen im geistigen Alter von vier und eine Dauerschläferin dort Schwierigkeiten haben versteht sich von selbst “,sein zunächst noch sarkastische Tonfall wurde mit jedem Wort zunehmend spöttischer.
,,Gib es doch zu, du möchtest bei meinem Meister bleiben ! Vielleicht siehst du in dem ganzen Haufen so etwas wie eine Familie.
Gib es zu … dir ist es am liebsten wäre deine komplette Heilersippschafft auf ihrer Reise krepiert!“
Luna wirkte durch Jakobs Worte noch unruhiger. Minutenlang schaute sie in die Leere, bis die Stille von Jakobs hämischen Lachen unterbrochen wurde:,, Du widerspricht mir nicht einmal !“
Ein schwarzer Kater gesellte sich mit aufs Dach. Langsam näherte er sich Jakob und kuschelte sich an diesen. Jakob kraulte den Kopf des Katers, welches dieser mit einem zufriedenen Schnurren beantwortete.
„Wie kann sich dieses Tier nur zu einer Abscheulichkeit wie dich so hingezogen fühlen !“ Juliana unterbrach mit jenen Worten ihre Starre.
„Tiere sind unkompliziert und ehrlicher als Menschen. Ich ziehe ihre Gesellschaft die der Menschen vor. So war es schon immer.“
Luna schaute für einen Augenblick irritiert bevor sie wieder in ihren alten Zustand zurückfiel:
„Meine Meisterin ist kein schlechter Mensch. Sie kümmert sich um alle ihre Schüler gleichermaßen. Sogar um Shadras Eingliederung war sie stets bemüht. Dass sie bei über fünfzig anderen Schülern nicht wie eine Mutter für mich sein konnte versteht sich von selbst.
Ich fühlte mich hier das erste Mal wie in einer Familie. Meine Schwester und ich kannten unsere Eltern nicht. Laut meiner Meisterin sind sie ebenfalls Heiler und draußen irgendwo unterwegs, falls sie noch am Leben sind. Die Welt ist groß. Es ist unwahrscheinlich, dass ich sie je sehen werde. Kanntest du je deine Familie ?“
Jakob schauderte es, als er sich gezwungen sah zu antworten. Nur sein Meister Zhylon wusste von seiner Familie.
„Ich war erst acht Jahre alt, als mein Meister mich fand und aufnahm. Ich hasste meine Familie von ganzem Herzen. Mein Vater war Baron einer Kleinstadt auf den südlichen Inseln Azurias. Meine Eltern investierten nur sehr wenig Zeit in mich und meine große Schwester.
In den seltenen Momenten, in denen ich sie zu Gesicht bekam, waren sie trotz allem sehr streng. Ihnen wäre es am liebsten gewesen, wenn ich jeden Tag in einem goldenen Stuhl als zierende Porzellanfigur gesessen und mich nur zu den Mahlzeiten bewegt hätte.
Meine Mutter sah ich öfters als meinen Vater. Dennoch war die Tür zu ihrem Zimmer oft verschlossen. Erst heute habe ich realisiert, dass sie sich oft mit fremden Liebhabern vergnügt hatte.
Das Band zwischen mir und meiner Schwester war fest. Dennoch traute ich es nicht, ihr von meinen magischen Fähigkeiten zu erzählen, als ich selbige zu entdecken und lernen begann. Ich tat es immer heimlich. Meine Schwester und ich hatten kein wirkliches Zimmer, weshalb ich mich immer nachts auf das Dach unseres Anwesens geschlichen hatte. Auch nachts waren überall im Haus Wachen und Bedienstete weshalb der Keller keine Option bot. Das Klettern lernte ich somit schon ziemlich früh. Ich muss ungefähr sechs gewesen sein, als ich das erste Mal aufs Dach geflohen bin.
Du verstehst, dass es schwer war, mitten auf dem Dach Magie auszuüben. Nur wenn außerhalb des Anwesens kein Mensch zu sehen war, war ich in der Lage meine Fähigkeiten zu verbessern. Dies ist auch der Grund weshalb die Magie des Waldes und der Natur heute zu meinen Hauptgebieten gehört. Verwandlungen und ähnliches verursachen kein Licht.
Ich merkte, dass meine Schwester mit der Zeit begann das Haus nach mir abzusuchen. Früh entwickelte ich ein scharfes Gehör. Ich konnte bald vom Dach aus die komplette Belegschaft des Hauses erhören. Ich hörte nicht nur, dass sie anwesend waren, sondern auch was sie taten und was sie sich erzählten. Eigentlich hätte ich in diesem Zustand nicht auffliegen können ! Ich war vorsichtig und konnte rechtzeitig merken, wenn sich jemand in bedrohlicher Nähe aufhielt. Nun ja, dass ich letztendlich bei meinem Meister gelandet bin beweist, dass es doch irgendwie anders war.
Ich hoffe, dass du mich von nun an in Frieden lassen wirst, wenn ich dir erzähle was geschehen ist.
Es war Abend und die Sonne, die noch am Horizont heraufblickte, wurde von dichten schneegefüllten Wolken versteckt. Da der Winter angebrochen war, musste bis zur Abenddämmerung nicht sonderlich viel Zeit verstreichen.
Meine Eltern waren beide zu Hause, auch wenn sie ihre Zeit natürlich nicht mit uns verbrachten. Meine Schwester und ich saßen in unserer engen Stube und redeten. Wir besaßen keine Spielsachen oder etwas, womit Kinder etwas anfangen durfte. Nach draußen durften wir ebenfalls selten. Tatsächlich dachten wir uns Spiele aus, für die bloße Worte ausreichten.
Das Problem war, dass ich immer nur gelernt hatte Zauber auszulösen jedoch nicht zu unterdrücken. Ich versuchte meiner Schwester mit Händen eine Figur zu beschreiben als ich wohl die Falsche Handbewegung machte.
Ein dunkelgrünes bis braunes Sekret entwich meinen Handflächen und landete auf dem Teppich.
Das Sekret zog Fäden nach sich, die vom Teppich bis zu meiner Hand reichten.
Erschrocken fiel meine Schwester auf die Knie. Sie muss eine Krankheit vermutet haben, als sie meine Hände ergriff und sie voll von Unglauben anstarrte. In einem Zustand verwirrter Ekstase flüsterte sie vor sich : „Du wirst wieder gesund ! Du wirst wieder Gesund!“ Sie konnte nicht ahnen, dass dies nur harmlose Zauberei war.
Panik ergriff mein Haupt und die Hilfeschreie meiner Schwester erhöhten diese. Mir blieb keine Zeit um bewusst zu handeln. Als zwei Zimmermädchen sich dem Zimmer näherten und dieses betraten konzentrierte ich mich auf alle Fenster und Türen des Hauses. Keiner durfte von meinen Fähigkeiten erfahren. Ich war erst acht, doch mir war bewusst, welches Schicksal mir zu widerfahren drohte.
Nicht einmal bei Kindern scheut man sich vor Hinrichtungen. Meist ist die Begründung für eine solche Hinrichtungen, dass Dämonen in Kindergestalt uns schon seit Jahrzehnten unterwandern. Zugegeben, Recht haben sie. Doch diese Dämonen sind gewitzt genug, dass ihnen niemand auf die Schliche kommt.
Ich denke ich sollte wieder zurück zum Thema finden. Die Beiden Zimmermädchen erkannten an meinen Händen und den Geräuschen von schließenden Fenstern überall im Haus , dass etwas nicht stimmte. Sofort griffen sie nach mir, als wüssten sie, dass ich die Wurzel allen Übels sei. „Dieses Balg war mir schon immer unheimlich“ gab eine der beiden von sich.
Aufgrund des Schocks ließ ich mich einige Meter zerren. Ich ließ die beiden solange meinen Körper davon schleifen, bis sich al. die wirren Gedankengänge in meinem Kopf zu einem Plan zusammen formten. Ich schloss meine Augen und mein panischer Zustand wandelte sich zu einer Form höchster Konzentration. Der einzige Ausweg bestand für mich darin, mit meiner Schwester zu fliehen, weg von all den Menschen die mich wie Vieh jagen würden. Zeugen durfte es nicht geben.
Alle Energien die ich in meinem Körper finden konnte sammelte ich in mir. Immer noch voller Konzentration ließ ich einen lauten aber kontrollierten Schrei von mir. Zeitgleich mit dem Schrei gelangte eine gewaltige Flammenbrunst aus meinem Körper. Die beiden Mädchen erfuhren noch das gnädigste Schicksal, waren sie innerhalb weniger als einer Sekunde nur noch stinkende, verkohlte Klumpen Fleisch. Ich lenkte die Flammen wie ein Puppenspieler seine Marionetten.
Mein Gehör erlaubte es mir die Schreie jeder einzelner Person zu genießen. Ich ließ die Flammen im Haus von einer Person zur nächsten wandern. Die Melodie des Schmerzes erreichte ihren Höhepunkt, als die Flammen meine Eltern erreichten. Sie fluchten und schimpften. Selbst im Angesicht des Todes waren sie nicht von ihren Fehlern überzeugt. Ich lies die Flammen in ihrem Schlafgemach gebremst zurück. Schnell eilte ich zu ihnen. Ich wollte in ihre Augen blicken, während das Feuer dabei war, sie zu verspeisen.
In ihren Augen las ich immer noch die glühende Inschrift des Zorns, als sich ihr Blick mit dem meinigen kreuzte. Langsam umkreisten die Flammen sie und ihre Gefluche erhöhte sich. Ihre Worte hatte ich nicht vernommen. Sie waren es nicht wert, dass man ihnen auch nur einen Moment an Gehör schenkte. Doch anstatt zu wimmern oder weinen, schimpften sie nur in ihrem Elend.
Die komplette Villa brannte innerhalb kürzester Zeit nieder. Nur ein Zimmer blieb von den Flammen verschont. Ich eilte, in das Zimmer in dem ich meine Schwester zum letzten mal gesehen hatte. Das Zimmer war leer, das Fenster war aufgebrochen.
Es traf mich durch Mark und Bein. Natürlich blieb auch der größte Teil außerhalb vom Anwesen nicht verschont. Ich hatte bedacht, dass Bewohner des Anwesens die Fenster zerschlagen würden, um so heraus zu gelangen. Als ich all die Schreie genoss, ich hatte nicht bemerkt wie sich die Stimme meiner Schwester zu ihnen gesellte. Ich ließ die Flammenbrunst auch außerhalb des Hauses wüten, um die Fliehenden zu verbrennen.
Das Zimmer befand sich im zweiten Stockwerk. Meine Schwester muss sich die Beine gebrochen haben, als sie aus dem Fenster gesprungen ist. In diesem Zustand war sie nicht in der Lage den Flammen zu entkommen. Als ich sie vorfand lebte sie noch. Wahllos und unkontrolliert vor Schmerz wälzte sie sich mit ihrer verbrannten Haut im kühlenden Schnee.
Der Anblick ließ zum ersten Mal Trauer und Verzweiflung in mir aufkommen. Sie war ununterbrochen am Krächzen. Nur selten wurde das Gekrächze von einem Weinen unterbrochen, auch wenn bei ihre keine Tränen flossen. Ihre langen Haare fehlten komplett. Aufgrund der verbrannten Haut war ihr kompletter Körper dunkelrot. Ihre Nase fehlte … sie war weggebrannt … und die letzten Überreste ihrer Kleidung waren in die Haut hineingeschmort.
Verzweiflung und Ratlosigkeit brachten mich zu Fall, den mir war nicht bewusst, wie ich sie hätte Heilen können. Ich bereute es, dass ich nie das Heilen geübt hatte. Gleichzeitig konnte ich ihr Krächzen nicht mehr ertragen, sie musste erlöst werden. Ich nahm einen Stein vom Mauerwerk und rammte ihn mehrfach gegen ihren Kopf. Da ich noch ein Kind war, benötigte ich mehrere Schläge bis sie ruhig war. Weite Schläge folgten um sie gänzlich von ihrem Dasein zu befreien. Der Anblick ihres matschigen Kopfes, der Nur noch eine Masse aus Haut und Gehirnmasse war, verfolgt mich noch heute.
Das ist der Grund, weshalb ich mich nie wieder binden werde. Nie wieder will ich die Verantwortung für das Schicksal eines Menschen tragen. Jeder ist für sich selbst verantwortlich !
Es war auch das letzte mal, das ich Feuermagie verwendet habe. Dieses Teilgebiet werde ich nie wieder anrühren. Es ist leichtsinnig sich für das Feuer so zu faszinieren, wie Emiras es immer tat. Die Verwendung von Feuermagie ist für mich nicht viel edler als die, der schwarzen Magie.
Tagelang verbrachte ich in der Ruine des Anwesens. Keiner der Dorfbewohner hatte auch nur im Ansatz den Mut nachzuschauen, was genau geschehen war. Ich war so alleine, wie ich es auch heute bin, und ernährte mich vom Schnee um nicht zu verdursten, bis mir die kalte Umarmung des Winters jeglicher Kraft raubte.
Das Inferno schien sich innerhalb weniger Tage herumgesprochen zu haben, denn anders kann ich mir nicht erklären wie mich mein Meister finden konnte. Was mich bis heute erzürnen lässt, ist die Tatsache, wir er mit meinen Handlungen umgegangen ist. Ich erzählte ihm alles. Er erfuhr detailliert
wie ich jeden einzelnen abgeschlachtet hatte. Und dennoch lächelte er nur und sagte in ruhigem Ton:,, Ich werde dich schon auf den richtigen Weg leiten, keine Angst.“
Bis heute ist ihm dies nicht gelungen. Abgesehen vom Tod meiner Schwester bereue ich immer noch keine meiner einzigen Taten! Ich bin immer noch so wie ich bin. Daran wird sich nie etwas ändern!“
Luna war während der kompletten Erzählung still. Als Jakob fertig war kicherte sie wie ein kleines Mädchen. Es waren Jakobs letzte Worte die sie zum Lachen gebracht hatten.
„Wenn es um deine Vergangenheit geht wirst du ja richtig dramatisch ! Solche Sätze hätte ich jetzt nicht von dir erwartet !“ Luna begann immer lauter zu Lachen. Jakobs Lachen stimmte in ihres ein. Das Gelächter beider hielt eine Zeit lang an.
„So zynisch gefällst du mir doch glatt viel besser!“ brachte er unter seinem Gelächter hervor. Luna wurde daraufhin fast augenblicklich ruhig.
„Weißt du, egal was du auch immer tust, du wirst niemals ein böser Mensch sein. Wenn ich etwas in all den Jahren im Kloster gelernt hatte, dann, dass es keine bösen Menschen gibt. Wir alle handeln aus Motiven, auch wenn diese aufgrund eines verkehrten Weltbildes falsch sein können. Und mit acht Jahren war dein Weltbild bestimmt noch alles andere als entwickelt.
„Genau so eine Reaktion hatte auch mein Meister auf meine Geschichte ! Es kotzt mich an !
Ich verlange kein Verständnis !“
Luna schien über Jakobs Reaktion regelrecht frustriert. Sie war kurz zuvor noch stolz, Jakob tatsächlich zum Lachen gebracht zu haben, doch nun schien alle Mühe umsonst.
Beide wechselten für Minuten kein Wort miteinander. Die Lichter im südlichen Abtei der Stadt verdunkelten sich langsam. Das Nachtleben endete.
„Das Spiel, was du damals mit deiner Schwester gespielt hattest, wie funktioniert es ?“
Jakob wandte sich ihr zu. Sein Gesicht war immer noch durch Misstrauen gekennzeichnet.
„Erzähl mir mehr von dir. Vielleicht werde ich dir dann das Spiel erklären !“
Luna war erstaunt, denn es war das erste Mal, dass jemand sie zum Reden aufforderte. Sonst bettelten die Menschen immer, dass sie ihren Redefluss stoppen würde.
Es war auch ungewöhnlich, das jemand Willens war, ihr über einen längeren Zeitraum zuzuhören. Selbst Juliana schien mit der Zeit bei ihren Geschichten die Aufmerksamkeit zu verlieren.
Jakob jedoch brach nun von sich aus die Stille:,, Nun erzähl schon ! Hast du schon einmal einen Menschen getötet ?“
„Ich bin Heilerin“ antwortete Luna leicht schockiert.
„Das komplette Leben an das ich mich erinnern konnte hatte ich im Kloster verbracht.
Meine Eltern kenne ich nur aus Erzählungen. Und Shadra war meine Schwester … das war sie schon immer.
Im Grunde sind wir sowohl äußerlich als auch charakterlich völlig unterschiedlich. Shadra ist ruhig und in sich gekehrt. Dennoch ist sie eine wunderbare Zuhörerin. Ich weiß nicht ob sie wirklich hinhört, aber sie war zu der Zeit im Kloster da, wenn ich jemanden zum reden brauchte. Obwohl sie nur drei Jahre älter ist wirkt sie schon wie eine erwachsene Frau.
Unsere größte Gemeinsamkeit war, dass wir beide nie mit den Regeln unserer Herrin konform waren. Unter den anderen Schülerinnen waren wir Außenseiter, doch Shadra und ich hatten einander und konnten so die Zeit überstehen. Unsere Meisterin gab es schon früh auf, Shadra zu unterrichten. Angeblich wäre Shadra nicht in der Lage, Formen der Heilung zu beherrschen. Dabei ist Shadra die einzige, die ich kenne, die wortwörtlich Magie im Schlaf lernt.
Im Grunde hatte ich keine schlechte oder grausame Kindheit. Du und Juliana … ihr hattet um einiges mehr durchgemacht. Was genau Juliana widerfahren war, dufte ich nicht erfahren. Sie war mir, auch ohne das sie viel sprach, eine gute Freundin.“
Jakob schien ihr kaum zugehört zu haben. Er schaute abermals in den Himmel und sprach völlig unabhängig von ihren Erzählungen:
„Schade, dass die Wolken uns den Sternenhimmel verbergen. Ich hab nichts gegen ein paar Wolken, besonders wenn sie den Vollmond umkreisen und wie einen Rahmen zieren.
Ich muss leider behaupten, dass ich das Spiel nur mit meiner Schwester spielen konnte. Es würde mir nicht gut tun, es mit dir spielen zu müssen. Du musst verstehen, ich versuche diese Erinnerungen zu verdrängen. Stattdessen schlage ich etwas vor, was ich schon immer spielen wollte, jedoch nie konnte, da ich hierfür meiner Schwester meine Fähigkeiten hätte anvertrauen müssen.“
Elf Krähen flatterten aus allen Richtungen zu Jakob und landeten direkt neben ihm, als hätten sie keine Scheu vor ihm.
„Deshalb ziehe ich die Nähe von Tieren derer der Menschen vor. Sieh nur wie zutraulich sie sind. Ich werde mich gleich in eine von ihnen verwandeln. Errate welche der Krähen ich bin ! So einfach ist das Spiel.“
Kurz darauf veränderte sich Jakobs Gestalt und Körperbau, während er in sich zusammenschrumpfte. Die Krähe, die nun an seiner Stelle dort stand blickte noch kurz zu Luna, bevor sie mit den anderen Vögeln in den Himmel empor flog.
Luna war verwundert, über das Schauspiel der Krähen am Himmel. Ehe sie sich versah, wurde der schwarze Fleck am Himmel immer kleiner, bis sie nur noch ein paar Krähen erkennen konnte. Es verging nur wenig Zeit, da waren alle Krähen am Himmel verschwunden. Es schien als wäre Jakob dem Gespräch entflohen.
Erleichterung und Zufriedenheit kamen dennoch in ihr hoch, da sie es zuvor für unmöglich gehalten hatte mit ihm überhaupt Worte zu wechseln.
Jakob war vom Gespräch mehr als überfordert. Noch nie hatte jemand sich für ihn oder sein Wohlbefinden interessiert. Vor allem fürchtete er sich davor, wieder einen Menschen zu mögen und diesen dann wieder zu verlieren. Ihm war nicht bewusst, dass er mit seiner Flucht ihr Interesse mehr denn je geweckt hatte.
Kapitel 6
Die zweite Nacht war bereits angebrochen, als Juliana am Fenster des Raumes stand und einer lieblich, feinen Stimme zuhörte. Ein junges Mädchen summte ein Lied, welches Juliana in ihrer Kindheit von Tamyra vorgesungen bekam. Es war das Lied, welches Juliana mit Tamyra stets verband. Seit ihrem Erwachen hatte sie nicht mehr den genauen Text im Gedächtnis. Doch die Melodie hätte Juliana niemals vergessen.
Juliana beschloss der Kinderstimme zu folgen und eilte ohne Schuhe, die hölzerne Treppe des Ganges hinunter. Vielleicht war es Luna, denn Juliana vermisste sie seit jener Nacht. Julianas Augen waren schwach, doch ihre Ohren weißten ihr den Weg. Ihr Körper war schwach, doch wurde er von dem Lied, welches das scheinbar junge Mädchen summte gestärkt.
Sie spürte nicht, wie etliche Splitter der Holztreppe sich in ihren trockenen und rissigen Füßen verfingen. Es war bereits spät genug, dass die Dunkelheit alleine, ihr Aussehen verstecken konnte.
Die Möglichkeit. Alleine, ohne Autorität die Stadt zu erkunden sorgte für zusätzlichen Antrieb. Juliana verließ die Herberge und spitzte ihre Ohren. Das für sie so wunderschön klingende Summen war leiser geworden, doch es reichte aus, damit Juliana die Richtung bestimmen konnte. Abermals waren die Armenviertel in Dunkelheit getränkt. Durch enge Gassen und undefinierbare Wege wurde Juliana vom Summen magisch angezogen.
Auch wenn es gegen jegliche Regeln der Logik verstieß, weckte das Summen in ihr die geringe Hoffnung ihre Freundin wiederzufinden. Selbst wenn Juliana träumte, wollte sie nicht erwachen, sondern in Ruhe den Traum erleben.
Nach ungefähr zwanzig Minuten bemerkte Juliana, dass die Häuser noch heruntergekommener und auf jeden Fall verlassen waren. Geräusche von lebenden Menschen fehlten komplett und ließen die Stimme des Mädchens noch klarer hervorkommen. Große Gedanken verschwende Juliana den Umständen nicht und folgte weiter die Stimme, die sie in die verlassensten Abteien Valarians führte.
Alle Häuser des Viertels waren verlassen, doch man hatte sich nicht die Mühe gemacht, diesen Teil der Stadt vom Armenviertel abzuschotten, sodass ein Übergang nahtlos erfolgte.
„Nara hinter dir!“ schallte eine kindliche Jungenstimme aus eine der vielen Abzweigungen im Viertel. Es war der selbe dürre Junge, der wenige Nächte zuvor auch versucht hatte Jakob in Tiergestalt zu schlachten.
Als Juliana glaubte, sie hätte die Stimme eingeholt, spürte sie etwas Scharfes, welches jemand drohend an ihren Rücken hielt. „Beweg dich auch nur ein kleines Stück und ich leg deine Wirbelsäule frei.“
Die absolute Dunkelheit, die nicht einmal den Mondschein zuließ, vermochte es, Julianas Gesicht ausreichend zu verstecken. Wahrscheinlich wäre ihr Gesicht sogar in der aktuellen Situation von Hilfe gewesen. Doch ihre innere Gelassenheit und Ruhe ließen jeglichen Anschein von Panik missen.
„Hast du bereits einen Menschen auf dem Gewissen ? Kennst du dieses Gefühl ?“
Juliana spürte, wie der Druck des scharfen Gegenstandes an ihrem Rücken nachließ. Langsam drehte sie sich zu dem Jungen. Vor ihr Gesicht schob sie einige ihrer Haare, für den Fall, das es in der Dunkelheit immer noch erkennbar war.
Auf Schulterhöhe erkannte sie eine dürres kahles Kind. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und sprach:,, Glaub mir, dieses Gefühl ist ein unglaublicher Schmerz in der Brust, eine Last auf den Schultern, die du niemals abnehmen kannst. Ich wünsche dieses Gefühl keinem, auch wenn ein Teil in mir gehofft hatte, dass du zugestochen hättest.“
Naras Summen näherte sich den beiden an. Nara schien völlig unbeeindruckt von der Szenerie zu sein. Sie nährte sich dem Jungen von hinten und machte mit einem unverständlichem Gemurmel auf sich aufmerksam. Der Junge wandte sich von Nara zu und blickte sie ungläubig an. Es schien als könnte er selbst in dieser Finternis ihr Gesicht deuten. Nara lächelte ihn unschuldig an und lies ihren Kopf zur rechten Seite hängen.
„Nein, wir werden niemals einem Erwachsenem trauen!“ rief ihr der Junge entgegen.
„ Wie spürst du, dass wir ihr trauen können ?“
Juliana unterbrach die ungewöhnliche Konversation:
,,Sie kann nicht sprechen? Erstaunlich, dass du sie trotz allem verstehst. Ihr habt eine sehr starke Bindung zueinander. Das spüre ich. Ich weiß wie sich so etwas anfühlt.
Falls es dich interessiert, ich bin erst fünfzehn. Im Prinzip bin ich selbst noch ein Kind“
Der Junge sah nur erstaunt zu Juliana auf. Das einzige was er erkennen konnte war eine junge Frau die etwa einen Kopf größer war.
„Vielleicht hat Nara recht ….. du bist nur ein Jahr älter als Erik, vielleicht können wir dir trauen.
Ich hatte nie einen wirklichen Namen, aber du darfst mich Knut nennen.“
Juliana bückte sich um mit ihm auf Augenhöhe zu sprechen:
„Juliana ist mein Name. Du hast eine sehr kluge Freundin. Keine Angst, ich tu euch nichts, ich bin nur der wunderschönen Melodie deiner Freundin gefolgt.“
„Nara kann nicht sprechen, sie hat keine Zunge mehr. Sie wurde ihr herausgeschnitten. Erik fand sie vor vier Jahren. Einst waren wir eine Gruppe von zehn Straßenkindern. Als dieser Bereich abgesperrt wurde konnten wir uns hier niederlassen. In den Hütten befand sich für einige Zeit genug Nahrung, doch mit der Zeit gingen unsere Vorräte zu Neige und der Hunger trieb uns in die bewohnten Gebiete.
Nun sind wir nur noch zu dritt. Die Glücklichen von uns wurden beim Stehlen gefangengenommen.
Der Rest ist verhungert. Erik macht nicht mehr lange. Wir haben ihm alles an Nahrung gegeben was wir vorfinden konnten, doch er wird von Tag zu Tag immer schwächer.“
Knuts Erzählung wurde von einem Röcheln, nur wenige Meter entfernt, unterbrochen. Ihm fehlten jegliche Worte. Eine Gestalt kroch auf die drei zu. Auch sie war aufgrund der Dunkelheit kaum zu erkennen, doch sowohl Knut als auch Nara erkannten an der Tonlage ihren Kameraden sofort.
„Erik warum ….?“, waren die beiden einzigen Worte, die Knut in der Lage war zu sprechen, als er an Juliana vorbeilief und dem Weg der engen Gasse bis zur kriechenden Gestalt Eriks folgte.
Nara tat es Knut gleich und lief ihm verzweifelt hinterher. Knut griff nach der Hand, die Erik ihm zitternd entgegenstreckte. Auch wenn er nicht unbekleidet war, und Dreck sein Gesicht verdeckte, pulsierten die pechschwarzen Adern stärker denn je. Vor allem seine Hand war von diesem Phänomen durchsät. Krampfartig pulsierten die Adern immer wieder von neuem.
Nara stand regungslos hinter Knut. Auch wenn ihr Gesichtsausdruck neutral blieb, kullerten langsame Tränen aus ihrem Augen und liefen zum vernarbten Mund.
Kopfschüttelnd begann Erik leise zu sprechen:
„Vorhin war er noch bewusstlos. Er ist todkrank, doch Nara und ich brachten es nicht über Herz ihn zu erlösen. Juliana, du hast mich gefragt, ob wir schon einmal einen Menschen getötet hätten. Nun ja, wir haben von armen Menschen gestohlen. Vielleicht sind welche daraufhin verhungert. Auch haben wir uns an den Toten gelabt um den Hungertod zu entgehen. Vielleicht ist das die Strafe für unser Vergehen. Wir hatten nie vor, jemanden zu töten. Wir wollten nur überleben.“
Juliana antwortete gefasst aber einfühlsam:
„Wenn die Bedürfnisse zu stark sind, wird unser Gewissen verdrängt. Doch wenn die Bedürfnisse gestillt sind, schlägt unser Gewissen in voller Härte zu. Aber euer Freund, er ist nicht krank. Er ist verflucht. Ich rieche, höre und spüre es. Er handelt nur noch aus Schmerzen. Krankheiten waren nie so grausam. Vielleicht hatte sich der Fluch übertragen, als ihr das Fleisch eines Verfluchten verzehrt hattet. Vergesst all das was ihr gleich sehen werdet. Stellt keine Fragen ! Vielleicht besteht noch eine geringe Chance.“
Nara und Knut schauten Juliana nur verwirrt an, auch wenn ihr Gesichtsausdruck nicht erkennbar war. „Bitte lasst mich und euren Freund kurz alleine“, bat Juliana. Knut und Nara gehorchten auf ein Wort und flüchteten förmlich vor Juliana, obwohl diese weiterhin in sanfter Tonlage sprach.
Juliana wandte sich Erik zu, der inzwischen regungslos am Boden lag. Zum Schreien oder gar Röcheln fehlte ihm jegliche Kraft. Nur leise Töne murmelte er vor sich hin. Als Juliana seinen Arm anhob um ihn zu untersuchten, verhielt er sich schlaff wie eine Leiche. Mit ihrer anderen Hand fuchtelte sie in der Luft herum, bis in der Nähe ihrer Hand eine gelbliche, schwache Lichtquelle erschien. Diese Lichtquelle flog wie ein Glühwürmchen verspielt umher.
„Einzig allein durch Luna kenne ich mich mit dem Auflösen schwarzer Flüche aus. Über so etwas habe ich jedoch auch schon vor ein paar Monaten in einem Buch gelesen.“ Juliana sprach ihre Gedanken nicht aus.
Sie drehte mit hohem Kraftaufwand Eriks Körper auf den Rücken und erschrak. Die Stofffetzen die er trug, waren löchrig und boten eine Durchsicht auf Brust und Bauch. In ihrem Schrecken riss Juliana ihm Die Lumpen vom Oberkörper. Seine Haut war fast unsichtbar. Organe und Knochen gaben eine Lichtquelle von sich. Seine Rippen, Herz und Eingeweide waren genau so wie seine Adern sichtbar. All seine Organe waren schwarz wie der Nachthimmel. Muskelgewebe konnte Juliana nicht erkennen. Dennoch schienen die Organe gleichzeitig zu leuchten und konnten in der Nacht problemlos erkannt werden.
„Ich bräuchte einen Wirt oder ähnliches… etwas, dem ich den Fluch übertragen könnte“
Ohne ihren Gedankengang zu beenden wurde ihre Konzentration durch ein kaltes Gefühl im Nacken unterbrochen.
Ehe sie sich versah, hörte sie um sich herum das Plätschern strömenden Regens. Juliana erinnerte sich an einige Tricks, die ihr Emiras gelehrt hatte. Auch Luna hatte ihr bereits einiges über Flüche und deren Austreibung beigebracht. Von ihr wollte sie schließlich Heilung und andere Kräfte des Lichts lernen. Vor demFall, vor dem sich Juliana befand, hatte sie jedoch nur vage in Büchern gelesen.
Es glich einem Zeichen, dass gerade in jenem Moment sich Regen über die Stadt ergoss. Juliana fasste einen Entschluss. Beide Hände faltete sie um Teile des Regens aufzufangen. Anschließend ließ sie das Wasser in ihren Händen gefrieren, eine einfache Form grundlegender Magie.
Das runde gefrorene Stück Wasser war gerade kalt genug um den festen Zustand beizubehalten. Sie Hielt das Eis dem regen entgegen. Viele Regentropfen landeten auf dem Eis. Stück für Stück froren sie auf den passenden Stellen ein, bis das Eis letztendlich die Form einer Klinge annahm. Es vergingen etwa zehn Minuten, bis Juliana einen langen Dolch aus gefrorenem Wasser in den Händen hielt. Die Klinge war durchsichtig. Sie hatte ungefähr dieselbe Länge wie Julianas Unterarm.
Vorsichtig legte sie die Klinge an Eriks Brustkorb an. Dieser hatte die Atmung inzwischen Vollständig eingestellt. In genau diesem Fall waren die Nebenwirkungen des Fluches für Juliana eine große Hilfe. Da die Haut durchsichtig war, stellte es für sie kein Problem da ohne andere Organe zu verletzen , sein Herz herauszuschneiden.
Seine Haut war weich und die Klinge glitt in seinen Brustkorb, als würde man Butter schneiden. Fast könnte man meinen, der Dolch versank in seiner Brust.
Vorsichtig trennte Juliana das noch schwach schlagende Herz von den wenigen Adern. Sie hob die Klinge an und führte ihre Hand vorsichtig in die Öffnung, die sie durch ihren Schnitt verursacht hatte. Das Herz hing noch an einigen Adern und konnte nur mit Mühe entfernt werden. Juliana wollte ihm ausschließlich Wunden zufügen, die sie mit ihren Fähigkeiten auch heilen konnte.
Juliana hielt das pulsierende Herz in ihren Händen. Es pumpte eine dunkle wässrige Flüssigkeit aus sich selbst heraus, die sich in Julianas Händen sammelte. Sie hielt es dem Nachthimmel entgegen, als würde sie ein Opfer darbieten. Als Juliana mit aller magischer Kraft ihre Hände zum erleuchten brachte, begannen die Tropfen des Regens, das schwarze Herz blutrot zu färben. Juliana hielt wenige Momente später ein Herz in den Händen, welches dem eines normalen Menschen glich.
Vorsichtig nahm sie es und riss erneut die Wunde auf, die sie Erik mit ihrer Klinge zugefügt hatte.
Mit Beiden Händen bedeckte sie vorsichtig die Wunde. Sie leuchteten in der Dunkelheit, als Juliana die Kräfte anwendete, die sie durch Luna erlangt hatte. Juliana beherrschte ausschließlich einfache und erweiterte Wundheilung. Ob diese Fähigkeiten ausreichen könnten um ein abgetrenntes Herz wieder mit den Arterien zu verbinden, fragte sich selbst Juliana. Doch Erik wären nur noch wenige Stunden zum Leben geblieben. Viel zu verlieren hatte er nicht.
Ihre Frage konnte sie sich zügig beantworten. Dabei war sich Juliana nicht bewusst, dass sie unbeabsichtigt auch schwarze Magie angewendet hatte um ihn zu heilen. Luna selbst wäre nie in der Lage gewesen, jemanden in solch einem Zustand zu heilen. Juliana war es, die den Fluch in sich aufnahm und verschlang. Bei einer gewöhnlichen Heilung wäre der Fluch wahrscheinlich übertragen worden. Doch mit Hilfe der schwarzen Magie konnte der Fluch nichtig gemacht werden.
Mit jedem Herzschlag des nun reinen Herzens trübte sich die durchsichtige Haut Eriks. Seine schwarzen Innereien begannen zu erblassen. Selbst die ursprünglich gräulichen langen Haare verloren ihren grauen Farbton und wurden schwarz. Erik erinnerte immer stärker an einen Menschen. Mit jedem Herzschlag nahm Erik die Gestalt eines Jugendlichen an. Langsam erkannte man in ihm wieder die Person, die er noch vor einiger Zeit darstellte.
Das Erste Geräusch, das Erik mit seinem frischen Atem hervorbrachte, war eine Mischung aus Husten und Geschrei. Bevor er Juliana wahrnahm, strich diese wieder in einer schnellen Bewegung ihre Haare vor ihr Gesicht und lies durch das Schnipsen ihrer Finger jegliches Licht erlischen, welches sie zuvor noch selbst beschworen hatte.
Die Wolkendecke verdünnte sich und mit ihr ließ der Regen nach. Als die Letzten Tropfen ihren Weg auf die Häuser Stadt vollendet hatten, herrschte eine altbekannte Stille im verlassenen Abtei der Stadt. Wieder konnte man das Knacken alter Holzbalken vernehmen, deren Gerüst dem Einsturz bedrohlich nahe stand.
Der Wind, der die Wolken vertrieben hatte, rauschte durch die engen Gassen.
Minutenlang starrte Erik verwundert auf die schwer zu erkennende Gestalt die vor ihm kniete. Langsam drohte der Schein des, sich aus den Wolken entfaltenden, Mondes ihr Antlitz zu enthüllen.
„Gleich werden sie bei dir sein“, entgegnete ihm Juliana mit einer gelassenen aber auch von Traurigkeit erfüllten Stimmlage.
Als er realisierte, dass er dem Mädchen vor sich, sein Leben verdankte, fiel er fast vor ihr auf die Knie. Es war jedoch eher Erstauen und Faszination, was ihn in die Knie zwang.
„Wie hast du das gemacht ? Bist du eine Zauberin ?“
Juliana hatte nicht mit Dankbarkeit gerechnet. Aus diesem Grund war sie alles andere als verwundert über diese Reaktion. Bevor sie jedoch antworten konnte, fiel ihr Erik um die Arme. Es war eine Geste, die unmöglich in Worte auszudrücken war. Es war jedoch auch eine Geste, welche Juliana mehr als unangenehm war. Errötet, versuchte sie ihn von sich zu stoßen, doch sie war ihm in Sachen Körperkraft unterlegen. Dass der Junge in etwa in ihrem Alter war, machte die Situation nicht angenehmer.
Als er endlich von ihr abließ, konnte der Vollmond, fast die komplette Abtei erhellen. Juliana schaute nur ernst in Eriks Augen. Die Haare , die ihr Antlitz verdeckten legte sie hinter ihre Ohren um ihm ihr wahres Gesicht zu zeigen.
Erik erkannte ihr Gesicht mit jeglichem Detail. Ihre ledrige, graue Haut, übersät mit Falten, jagte selbst ihm einen deutlichen Schrecken ein. Mit all seiner Kraft versuchte er diesen Schrecken zu unterdrücken, auch wenn es ihm nur bedingt gelang.
Instinktiv zuckte er verschreckt zusammen. Er kniff die Augen zusammen um sich zu fassen. Die Person, die vor ihm stand erinnerte ihn keineswegs an einen Menschen.
Er war voller Hoffnung, dass Juliana vielleicht nichts von seinem Schock mitbekam. Hiermit irrte er sich jedoch gewaltig. Trotz der vielen Jahre in Gefangenschaft, erkannte sie sofort, wie jemand auf sie reagierte. Dennoch entsprach sein Verhalten nicht dem, mit welchem Juliana gerechnet hatte. Gerade von einem gewöhnlichen Jungen erwartete sie die Flucht. Stattdessen näherte sich Erik ihr wieder und sprach:
„Ich weiß nicht, wer du genau bist ! Es ist mir klar, dass du jemand ganz Besonderes bist. Ich weiß nicht wie du es geschafft hast, mich von diesem Fluch zu erlösen …, doch ich weiß, dass kein normaler Mensch zu so etwas in der Lage ist !“
Juliana konnte nicht einmal vor Erstaunen zucken. Ihr Gesicht blieb regungslos und ihr Körper steif, als Erik sie erneut umarmte. Anschließend begriff sie, in welcher Situation sie sich befand. Auch sie nahm Erik von Tränen erfüllt in die Arme.
In sein Ohr flüsterte sie :,, Wenn ich nicht gleich verschwinde, bringe ich uns alle in Gefahr. Falls die Wachen mich mit euch sehen, werden wir alle sterben.“ Durch das Lockern der Umklammerung Eriks, gelang es Juliana, sich von ihm zu befreien. Leise wie ein Schatten schlich sie von Erik fort. Auch wenn er etwas über den abrupten Abschied Julianas enttäuscht war, war er aufgrund des neuen Lebens, welches ihm geschenkt wurde überglücklich.
Er spannte seine Hacken an und erhob sich vom nassen Boden des Weges. Gerade als er seine beiden Schützlinge auffinden wollte, erreichten diese ihn in Begleitung zweier Stadtwachen. Knut hatte sie geholt, da vermutete, Juliana würde Erik töten, um ihn zu erlösen. Die Stadtwachen erinnerten sich an Erik. Als sie ihn das letzte Mal sahen, glich er mehr einem Toten als einem Lebenden. Ihrer Schlussfolgerung nach, hätte ihn nur noch Hexerei heilen können.
Kapitel 7
Hübsche Menschen stellen die langweiligsten Kunstwerke da.
(Einleitungssatz einer Lektüre rund um schwarze Magie, Autor unbekannt)
Das Knarren der alten Holztür riss Luna aus dem Reich der Träume. Langsam öffnete sie ihre Augen und wurde von dünnen Sonnenstrahlen geblendet, die zwischen den Spalten der Holzplanken, aus denen die Herberge bestand, in den Raum schienen.
„Wo ist Juliana?“ waren die ersten Worte, die sie vernahm, als sie sich umsah und Emiras erblickte.
Fragend und ratlos stand er vor ihrem Bett.
Luna richtete sich auf und setzte sich auf ihr Bett. Das Bett knarrte, trotz ihres leichten Gewichtes.
Als sie hinüberschaute, realisierte auch sie, das Julianas Bett leer war.
„Gestern Abend lag sie noch in ihrem Bett. Sie las ein Buch und beleuchtete die Seiten mit Hilfe einer Lichtquelle, ein Zauber den du ihr beigebracht hattest. Wenn sie schläft ist sie sehr still !“Dies war das einzige, was Luna auf Emiras Frage antworten konnte. Obwohl sich Luna und Juliana innerhalb der Monate angefreundet hatten, wurden während der Reise zwischen ihnen nur wenig Worte gewechselt. Trotz ihrer Müdigkeit waren ihre Sorgen groß.
Emiras und Luna durchsuchten das Zimmer. Ihr Gepäck befand sich noch immer innerhalb des Raumes. „Sie muss ihre Gewand sowie den Schleier bei sich haben.“ Emiras beruhigte sich etwas, als er seine Worte aussprach.
„Ich kann mir vorstellen, wo sie ist!“ Lunas Worte erklangen außerhalb des Raumes. Emiras war verwundert. Ehe er sich versah, war sie bereits aufgesprungen und hatte den Raum verlassen. Er versuchte sie zu verfolgen. Als er die Herberge schnellstmöglich verließ hatte er Luna bereits aus den Augen verloren. Aus dem Zentrum der Stadt konnte Emiras das Treiben der Stadt hören. Die Klänge des Stadtlebens im Zentrum reichten bis in die verlassensten Ecken Valarians.
Luna eilte zum Zentrum der Stadt. Oft hatte ihr Juliana erzählt, wie sehr sie das Treiben der Stadt vermisse. Auch wenn sie froh war nicht mehr gefangen zu sein, fühlte sie sich dennoch nicht frei. Ihr Aussehen hatte sie stets daran gehindert, dass Versteck zu verlassen.
Luna sprintete, bis sie eine kniende verschleierte Gestalt vorfand und sofort stoppte. Bei dieser Gestalt handelte es sich tatsächlich Juliana. Luna befand sich auf einem Marktplatz. Überall um sich herum konnte sie beobachten, wie Händler mit Kunden feilschten oder laut ihre Ware anpriesen.
Die Häuser waren mehrstöckig, deutlich stabiler und schöner anzusehen als die Baracken im Viertel der Herberge.
Vor Juliana befanden sich elf Personen, die über Nacht hingerichtet wurden. Sie waren an Pfähle gebunden und wurden in der Mitte des Marktplatzes aufgestellt, als würden sie eine Art Dekoration darstellen. Die an den Pfählen gebundenen Opfer waren mit kleineren Messerstichen übersät. Man ließ sie über Nacht durch Wunden an gezielten Regionen des Körpers ausbluten. Meist waren die Adern unter der Handfläche komplett durchgeschnitten. Dass Blut lief in dünnen Kanälen die Beine herunter und tropfte an den Füßen herunter, bis es sich auf dem Boden zusammen mit dem Blut der anderen Opfer ein roter See bildete. Obwohl der Regen von dichten und dunklen Wolken stammte, reinigte kein Tropfen Regen die Straßen vom Blut. Die meisten Bürger schenkten den Hingerichteten, nicht einmal einen Hauch von Beachtung.
Den genauen Grund, der Hinrichtung, konnte Luna nicht herausfinden. Auf Beinen, Armen und Stirn waren Worte mit einem scharfen Gegenstand eingeritzt. Auf der Stirn einer jungen Frau erkannte Luna die Worte „Verräterin des Volkes“. Am Hals ergaben die eingeritzten Buchstaben das Wort „Hure“.
Am auffälligsten waren jedoch zwei Kinder sowie ein Jugendlicher. Zu allen dreien blickte Juliana gelegentlich hoch. Ihre junges Alter war ein Zeugnis für die Skrupellosigkeit, die die Richter in der Stadt an den Tag legten. Nicht einmal Kinder blieben vom Fanatismus Azurias verschont.
Luna erkannte, wie Julianas weißer Schleier sich durch ihre schwarzen Tränen verfärbte.
Die hingerichteten Kinder waren Nara, Knut und Erik. Nara schien als einzige noch am Leben zu sein. Sie warf einen Blick auf Juliana der ausschließlich von Hass und Zorn erfüllt war.
In Luna drang das instinktive Gefühl, Juliana in Sicherheit zu bringen. Auch wenn sie verschleiert war, war ein solcher Aufenthalt mehr als gefährlich. Schon Bald könnte es regnen und Julianas Schleier würde so durchsichtig werden. Fast schon Gewaltsam zog sie Juliana von den Pfählen weg. Widerwillig, ließ sich diese von ihr wegzerren. Luna nahm die immer noch mitgenommene Juliana bei der Hand und begann sich zurück zur Herberge aufzumachen. Nur mit Mühe konnte sie die immer noch aufgebrachte Juliana hinter sich herziehen. Naras starrer Blick war nun auf den Ort gerichtet, an dem Juliana zuvor noch kniete, und an dem sie von Luna fort gezerrt wurde. Auch sie war bereits verstorben, auch wenn sich ihr hasserfüllter Blick von den schmerzerfüllten Gesichtern ihrer Kameraden abgrenzte. Dies lies den Anschein erwecken sie wäre noch am Leben.
Juliana murmelte nur etwas vor sich hin, als Luna sie weiterhin hektisch hinter sich her zerrte.
„Es … alle die mir wichtig sind werden sterben … alle … wegen mir“
Dabei schwirrten ihr Knuts Worte durch den Kopf, die er kurz vor seinem Tod aussprach …
„Du solltest an unserer Stelle sein …. du solltest hier hängen … wenn du nicht wärst …“, es waren Worte die er sprach, während Nara sie nur hasserfüllt anblickte. Keiner vermochte sich auszumalen, was Nara in dem Moment gedacht hatte.
Kapitel 8
Ich bin davor aufzugeben, die Tage zu zählen, in denen wir von den Menschen verfolgt werden. Ich weiß nicht wie weit wir bereits in die Wälder Teregans geflüchtet sind, doch die Armee ist uns ständig auf den Fersen. Seit Tagen kommt es wiederholt zu Schlachten. Ständig holen sie uns ein. Im direkten Vergleich sind unsere Opfer gering.
Die Menschen geben dennoch nicht auf und werfen sich selbst in den Tod. Menschen hatte ich nie für so mutig gehalten. Die ersten, denen ich begegnete, verhielten sich feige und flüchteten vor mir.
(Auszug aus einem Tagebuch, geschrieben von einem unbekannten Clanführer der Mordax, auch als Wolfsmenschen bekannt, Übersetzer unbekannt)
Nach zwei Stunden begann ein Gewitter die Stadt heimzusuchen. Emiras und seine Kameraden hatten sich bereits am Ende der nördlichen Stadtmauer versammelt. Der Regen bot die ideale Gelegenheit, die Stadt zu verlassen, da die Wachen es mieden, sich bei solchem Wetter auf den Türmen der Mauern aufzuhalten.
Juliana stand immer noch unter Schock. Von kalter Leere war ihr Gesichtsausdruck erfüllt. Mit ihrem Gewand, sowie dem Schleier wirkte sie wie ein Gespenst. Luna hatte in den letzten Stunden versucht, Juliana zu beruhigen. Doch selbst ihre Worte konnten sie nicht aus ihrer Schockstarre lösen. Juliana spielte erneut mit dem Gedanken des Selbstmordes. Es schien, als wären all die Mitmenschen, die ihr wichtig waren, dazu verdammt, eines qualvollen und jämmerlichen Todes zu sterben. Tamyra wurde verbrannt. Erik, Knut und Nara ließ man ausbluten. Sie erlaubte sich nicht einmal vorzustellen, wie Emiras oder Luna enden würden. Auch wenn sie ihre Gedanken nicht dem aktuellen Geschehen schenkte, nahm sie unterbewusst Emiras Hand und ließ somit den Teleportationszauber zu. Emiras ahnte nicht, was mit Juliana geschehen war. Auch wenn Juliana in Emiras ebenfalls einen Freund sah, waren die Gespräche unter den beiden eher auf die Magie an sich bezogen. Ihr fiel es deutlich schwerer sich ihm erneut zu öffnen. Dies gelang ihr nur das eine Mal, als er sie im verfluchten Schloss vorfand.
Juliana bemerkte nicht, wie sie sich augenblicklich wieder auf dem Waldboden vor der nördlichen Stadtmauer befand.
Emiras sprach in leisem Ton :,, Wir werden einen Umweg nehmen müssen. Wir können es nicht riskieren ertappt zu werden, jetzt, wo wir so nah an unserem Ziel sind. Die Sümpfe in die wir uns begeben werden, wirken auf den ersten Blick unwirtlich, auch wenn ihre Durchquerung laut Büchern absolut ungefährlich ist. Vor allem jedoch sind die Wege über die Sümpfe weitaus weniger bekannt, weshalb wir auch unsere Reise ungestörter fortsetzen können. Wenige Menschen Azurias trauen sich an diesen Ort, da man sich immer neue Geschichten ausgedacht hat.“
Nach Sekunden der Stille begann Emiras voranzugehen, gefolgt von Jakob, der versuchte einen gereizten Gesichtsausdruck zu verbergen. Er sah in Juliana ein Problem, welches die Gruppe nur behinderte. Ihretwegen waren sie gezwungen Rast einzulegen oder mussten auf andere Weise Rücksicht nehmen.
Luna nahm Juliana bei der Hand. Seit ihrem ersten Treffen, sah Luna in Juliana eine Schwester. Zusätzlich war sie auch eine Freundin, mit der sie reden konnte, auch wenn Juliana in ihrem Zustand kein Wort herausbekommen konnte. Auch schien Luna nicht einmal Julianas entstelltes Aussehen zu bemerken. Sie sprach Juliana weder direkt darauf an, noch schien sie zu beachten, wie rau sich Julianas Hände doch anfühlten.
Der Wald wurde schon nach wenigen Metern des Fußmarsches immer dichter. Die Bäume selbst waren von gigantischem Ausmaß und ihre Kronen ließen weder Regentropfen noch Licht auf den braunen Waldboden gelangen. Die Farbe der einzelnen Baumstämme unterschied sich und reichte von einem blassen Braun bis hin zu gänzlich schwarzen Stämmen. Der Boden war mit gelbbraunem Laub übersät, aus dem an manchen Stellen rote oder gelbe Pilze hervorstachen.
Die Sonne war fast komplett untergegangen, als die Größe und Dichte der Bäume langsam abnahm. Der Boden wurde feuchter und ließ daraufschließen, dass die Sümpfe, von denen Emiras sprach, nah waren.
„Wir sind auf dem richtigen Weg“, Emiras Worte waren die ersten, die seit Stunden überhaupt gefallen waren.
Es viel einem schwerer in die Ferne zu blicken, da ein gräulicher Nebel einem die Sicht nahm.
Emiras erklärte:,, Dieser Ort wirkt gefährlicher als er ist. Die Wesen, die sich hier aufhalten sind größtenteils harmlos. Vor den Sumpfnixen müssen wir uns nicht fürchten. Sie sehen durchaus furchteinflößend oder plump gesagt, hässlich aus. Dennoch ernähren sie sich von Pilzen und kleineren Tieren. Sie werden uns schon nicht fressen, auch wenn die Legenden dies besagen.“
Innerhalb weniger Minuten war die Gruppe nur noch dazu in der Lage, wenige Meter weit zu blicken. Die Bäume waren rabenschwarz und ohne Blätter. Im Verhältnis zu den Bäumen des Waldes, waren sie nur etwa drei Meter hoch. Aufgrund ihrer Struktur wirkten sie aus der Ferne durch den verdeckenden Nebel wie dunkle, düstere Gestalten die sich in einer starren Haltung befanden.
Die Sumpfnixen hatten sich im Laufe der Jahrhunderte dem Sumpf angepasst. Vor etwa fünfhundert Jahren glichen sie noch den bildhübschen Nixen des Meeres. Lediglich ihre Haare waren von schwarzer Farbe. Als die Menschen immer häufiger in den Norden vorstießen, auch um die fliehenden Magier zu jagen, gerieten immer mehr Männer an die Nixen. Von den Nixen besessen, gingen einige Männer ihren Gelüsten nach und vergewaltigten sie.
Im Laufe der Zeit wandelten sich die Nixen zu immer furchteinflößenderen Gestalten, die Jahrhunderte später kaum noch menschlich wirkten. Sie waren nun äußerst dünn und konnten aus verschiedenen Gründen mit den Bäumen des Sumpfes verwechselt werden. Sie besaßen 8 Beine, die aufgrund der vielen Gelenke Ästen glichen. Auch waren die Beine, wie der größte Teil des Körpers dunkelbraun bis schwarz und halfen den Nixen in den Gewässern wie ein Kraken zu schwimmen.
Jakob hatte schon seit einigen Stunden eine Geruch wahrgenommen, der ihn an Luna erinnerte, weshalb er vermutete, dass sich ihre Mentorin sich in der letzten Zeit an diesem Ort aufgehalten haben musste. Dies war umso verwunderlich, wenn man bedachte, dass Luna behauptete, sie hätte diesen Ort zum ersten Mal betreten. Jakob folgte der Spur, während Emiras wiederum der schwachen Silhouette seines Gefährten nachging, dicht gefolgt von Luna und Juliana.
Die hereinbrechende Nacht drohte ihnen jegliche Orientierung zu nehmen. ,, Der Boden ist fest und verhältnismäßig trocken. Hier können wir über Nacht rasten.“ Emiras Beschluss verärgerte Jakob, waren ihm jegliche Art von Befehlen zu Wider. Trotz allem besaß er ein Talent, seinen kühlen Blick trotz des Hasses zu wahren.
Emiras verwendete seinen Telekinesezauber und ließ umher liegende Äste in der Mitte des Platzes sammeln. Mit einem leisen Fingerschnipsen entfachte er ein Feuer. Juliana war die erste, die sich stumm und frei von Emotionen schlafen legte. Auch Jakob lehnte sich gegen einen der kahlen Bäume und begann einzunicken. Emiras und Luna setzten sich als einzige nah ans Feuer um sich zu wärmen. Beide saßen sich gegenüber und tauschten minutenlange Blicke aus. Sichtbar war nur noch der kleine Bereich um das Feuer herum. Sowohl Juliana als auch Jakob waren im Nebel verschwunden, der in der finsteren Nacht schwarze Farbe angenommen hatte.
Luna war die erste, die sich traute, die Stille zu unterbrechen :,, Sie ist so leise …. Seit dem ich sie fand, gab sie kaum noch einen Ton von sich. Heute wurden in Valarian mehrere Menschen hingerichtet. Ich fand sie, wie sie vor den Opfern trauerte. Bei dem was sie erlebt hatte, bin ich darüber verwundert, dass ein paar Tote sie in solchem Maße verstören konnten.“
„Du kennst ihre Geschichte. Dir ist bewusst, was sie gezwungen war zu erleben. Wir sollten ebenfalls schlafen. Wir sind dem Friedhof nur noch einen Tagesmarsch entfernt. Von dort aus sollte Jakob problemlos eine Spur zu deiner ehemaligen Mentorin ausmachen können. Mir ist aufgefallen, dass auch du Tag für Tag stiller wirst. Wenn ich mich nicht irre wirst du immer aufgeregter deine Mentorin wieder zu treffen. Wenn wir erst einmal fertig sind, darfst du dir mit wieder Sorgen um Juliana machen.“
Ohne auch nur auf eine Antwort abzuwarten ließ Emiras das Feuer erlischen. Dies gelang ihm ebenfalls mit einem leisen Schnipsen seiner Finger. Kurz glühte die Feuerstelle noch, bis der Ort innerhalb weniger Sekunden in komplette Dunkelheit getränkt war. Luna dachte darüber nach, wie falsch Emiras doch lag. Luna größte Sorge war, Juliana und das Versteck verlassen zu müssen.
Sie schloss ihre Augen, und suchte mit ihrer erweiterten Sehkraft in der Nacht nach einem einigermaßen bequemen Schlafplatz einige Meter entfernt. Vor dem Einschlafen blickte sie ein letztes mal um sich. Jakob starrte auf den schlafenden Emiras aus der Ferne. Sein Blick war hasserfüllt. Verängstigt ließ sie ihre Augen geschlossen, in der Hoffnung, Jakob würde denken, dass sie schlief. Umso überraschender war für sie, dass tatsächlich die Müdigkeit ihren Körper einnahm und sie kurzerhand in ihren Träumen versank.
Kapitel 9
Wem es gelingt, die unendlich wirkenden Wälder Teregans zu durchqueren wird nicht mehr, als eine einsame Wüste aus Schnee und Eis vor sich finden. Im Vergleich zu Azurias ist dieser Ort wie ein Paradies für uns Magier, da gewöhnliche Menschen nicht in der Lage sind unter solchen Umständen zu überleben.
Juliana schlief keine einzige Sekunde. Während die anderen Nachts ohne Beihilfe von Magie fast blind waren, konnte Juliana sich problemlos in der Dunkelheit zurechtfinden. Schon bald, so hoffte sie, würde Jakob eine Spur zu Lunas Mentorin finden und sie könnten diesen ewig andauernden Auftrag abschließen. Wenn Juliana die Augen schloss erschien ein Ebenbild Naras vor ihr, welche sie immer noch mit diesem einen hasserfüllten Blick anstarrte. Auch wenn sie nicht sprechen konnte … wäre sie dazu in der Lage, wären Knuts Sätze wohl harmlos gegenüber den ihren gewesen.
Bäume und Gewächs wie in den Sümpfen hatte Juliana noch nie zuvor gesehen. Die kahlen Bäume waren deutlich lebloser, als die verfluchten Bäume in dem Dornenwald. Grau war die Farbe, die den größten Teil des Sumpfes einnahm. Selbst die meisten Pilze besaßen ein gräuliches Muster. Einer von ihnen stach ihr besonders durch seine Größe ins Auge. Er ragte ihr bis zu den Knöcheln und war einen Meter breit. Ein Flüstern hinter ihr lies ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Hinter ihr war nichts zu sehen, abgesehen von der üblichen ausgeprägten Sumpflandschaft. Juliana blickte in den dichten Nebel. Zwei Kahle Bäume konnte sie noch erkennen, die die Grenze zu den Gewässern des Sumpfes kennzeichneten. Vom See konnte sie nur noch kleine Teile des Ufers erkennen.
Das flache Gewässer begann langsam schmale Wellen zu schlagen, als sich etwas ähnliches wie ein Ast aus dem Wasser erhob. Aufgrund des Nebels unterschied sich dieses Ding in keinster weise von den Ästen der Bäume. Ein weiterer Ast kam zum Vorschein. Juliana schreckte ein wenig zurück als zwei leuchtend gelbe Augen sie aus dem Nebel anstarrten. Dennoch fasste sie sich innerhalb weniger Sekunden. Was hätte schlimmstenfalls geschehen können ? Für Juliana wäre es eine Form der Erlösung, würde sie durch diese Begegnung ihr Leben verlieren.
Langsam näherte sie sich dem Geschöpf mit leisen Schritten, bis sie bemerkte wie es sich zurückzog. Sie realisierte, dass dieses Wesen von Angst erfüllt war und erinnerte sich an Emiras Geschichten über die Nixen des Sumpfes.
Während sich Juliana duckte, näherten sich die gelblichen Augen. Die Gestalt, die langsam aus dem See kroch war immer klarer zu erkennen. Vorsichtig näherte sich ein groteskes spinnenartiges Wesen. Mit acht Gebeinen, die einer Mischung aus kahlen Ästen und den Gebeinen einer Spinne glichen schlich es mit gebeugtem Haupt zu Juliana. An den Beinen grenzte ein menschlich wirkender Oberkörper, der jedoch viel abgemergelter und dürrer war. Die Gestalt war trotz allem recht klein. Vermutlich handelte es sich noch um ein Kind, was auch die Neugier erklären würde. Die meisten Sumpfnixen hatten die Menschen bereits als Gefahrenquelle erkannt und mieden diese.
Juliana begann vorsichtig und leise Tamyras Melodie zu summen, da sie sich immer noch nicht an den genauen Text erinnern konnte.
Als die Nixe den Mut besaß ihren Kopf zu erheben und zu Juliana zu blicken, konnte nun auch Juliana die Angst in den Augen erkennen. Allgemein waren die Augen im Vergleich zum dünnen und kleinen Gesicht auffallend groß. Der Nixe fehlte sowohl Mund als auch Nase. Stattdessen war der Rest des Gesichts von einer dunkelbraunen rauen Haut übersät. Dem Wesen schien die Melodie zu gefallen.
Juliana stoppte das Summen und sprach:
„Diese Unschuld ist der Grund warum man euch Leid antat. Die Schuldigen begehrten schon immer die Unschuld, bis die Spuren des Missbrauchs das Opfer jeglicher Schönheit beraubten. Du kannst dich glücklich schätzen. Ihr werdet mit diesem Schutz geboren.“
Augenblicklich schreckte die Nixe zurück und verschwand mit einem einzigen weitem Sprung in den Gewässern. Es war das Heulen eines Wolfes aus der Ferne, welches sie in Sekunden verschwinden ließ. Der Sumpf selbst beherbergte keinen einzigen Wolf, doch Wolfsmenschen waren in der Lage sich über Hunderte von Kilometern zu verständigen. Die Klänge der Wölfe waren hierbei in nächster Nähe nicht lauter als in weiter Ferne.
Auch wenn die Sonne bereits den Himmel zierte, verhinderte der dichte und finstere Nebel des Sumpfes jegliche Stimmung des angebrochenen Tages. Emiras, Juliana und Luna erwachten erst, als der Mittag bereits begonnen hatte. Emiras fragte sich, ob Jakob in der Nacht überhaupt geschlafen hatte. Er richtete sich sich auf und schaute zu Jakob herauf, der in einem der kahlen Bäume saß und mit einer Steinspitze an einem Stock herum schnitzte. Luna war dabei Juliana aufzuhelfen, da diese immer noch an den Wunden der Zeit litt. Emiras wies der Gruppe den Weg während Jakob das hintere Ende der Gruppe bildete.
Seit dem Jakob den Sumpf betreten hatte, konnte er haufenweise menschlicher Spuren ausmachen.
Er verschwieg sie ohne den geringsten Anflug eines schlechten Gewissens. Seine Aufgabe war es schließlich nur , die Spur der Mentorin von Luna und Shadra zu verfolgen, um diese zu finden. Die Spur der Heilerin konnte Jakob jedoch nicht erkennen. Den selben Weg wie seine Gefährten, hatte sie mit ihren Schülern definitiv nicht bestritten. Generell fiel Jakob auf, das alle Spuren nur nach Norden, hinein in die Wälder, führten. Keine einzige Spur führte zurück zur Stadt. Keine Menschen kamen jemals aus den Sümpfen zurück. Ohne diese Tatsache hätte Jakob Emiras schon längst im Schlaf ermordet. Doch insgeheim hoffte Jakob auf ein Selbstmordmission dem nur er als einziger entkommen konnte.
Als die Sonne sich dem Horizont näherte, wandelte sich die Sumpflandschaft langsam zu einem Waldgebiet, welches dem allgemein bekanntem Bild Teregans glich. Das Sumpfgebiet endete und es kristallisierte sich am Boden ein schmaler Weg.
Der Nebel verschwand und die untergehende Sonne wurde sichtbar. Dennoch waren die Bäume weitaus weniger imposant und nicht größer als ein gewöhnliches Haus. Emiras und seine Gefährten durchquerten wiederholt Lichtungen, die grüne saftige Wiesen beherbergten.
Kapitel 10
Liebste, bitte vergieße keine Tränen, diese Fackel wird uns befreien.
(Letzte Worte eines Mannes kurz bevor er seine Familie mit sich in seinem Haus niederbrannte. Die Hütte war von unbekannten Wesen umzingelt.)
Das zu lange Rote Gewand, welches in der Abendsonne glänzte, erschwerte es dem Mädchen, Blumen in einer der vielen Lichtungen zu sammeln. Die Gräser und Pflanzen die auf den Wiesen wuchsen, boten einen erkennbaren Kontrast zu den unwirtlichen Gewächsen des Waldes. Das Mädchen ließ sich in die Gräser fallen. Es hatte letztendlich aufgegeben, für ihre Mutter einen Strauß zu sammeln. Dass sich ihr ein Mann, gefolgt von seinen Gefährten näherte, lies sie unbeeindruckt.
Sorgenlos blickte sie in den Himmel. Das Mädchen war etwa acht Jahre alt. Sie wirkte in keinster Weise verwahrlost oder heruntergekommen, wie man es sonst von den wenigen Menschen, die in den Wäldern lebten, gewohnt war.
„Noch mehr Reisende!“ sprach sie, während Emiras vor ihr stand und verdutzt seine Augen rieb.
Auch Luna und Juliana näherten sich dem Geschehen. Als das Mädchen Juliana erkannte, erhob es sich um sie zu begutachten.
„Ein schönes Kleid! Wäre es rot, würde ich glatt neidisch werden.“ Juliana antwortete auf die Aussage des Mädchens nicht. Ihre Gedanken waren immer noch bei den Menschen, für deren Tod sie sich verantwortlich fühlte. Ihr Schleier verbarg ihren kalten Gesichtsausdruck. Emiras und Luna waren schon verwundert, weshalb sie in den letzten Tagen so still gewesen war. Emiras seufzte für einen Moment. Eine Kindheit in einer solch herrlich einsamen Umgebung hätte sich auch Emiras gewünscht. Über die Menschen, welche sich nach Teregan zurückgezogen haben wusste er nicht viel. Die Wälder waren ein Mysterium an sich. Keiner vermochte zu wissen, wer oder was sich in der riesigen Landmasse verbarg.
„Wir könnten im Grunde einfach die Anwohner nach dem Weg fragen. Der Schrein sollte sich ganz in der Nähe befinden.
Kleines, führst du uns zu deinen Eltern ?“ Abermals nickte das Mädchen.
Als die Gruppe begann weiter zu reisen, war Jakob noch immer einige Meter im Hintertreffen. Er fragte sich weshalb die Fährten denen sie folgten nur in eine Richtung verliefen. Wie Fußspuren sah Jakob die Fährten am Boden aufschimmern. Keine einzige Fährte führte zurück in den Süden. Er konnte sich nicht vorstellen, was auf dem restlichen Weg so gefährlich sein sollte. Er grübelte innerlich, wohin all die Fährten führten. Weiterhin besaß er die Hoffnung, die Reise als einziger zu überleben. Nur so konnte er nach seiner Vorstellung… frei sein.
Schon von Weitem erschien eine gut ausgebaute Hütte, wenn nicht sogar Haus, welches zwischen den vielen Bäumen hervorstach. Die Hütte beinhaltete 2 Stockwerke und sowohl Gerüst als auch Dach bestanden komplett aus hellbraunem Holzplanken, welches zwar alt aber gepflegt zu sein schienen. Vor der Hütte befand sich ein kleiner Garten. Während in der Mitte ein schmaler Pfad zur Tür verlief, befanden sich links und rechts kleine Kräuterbeete.
Die Bewohner des Hauses waren gewiss nicht die einzigen einsamen Siedler Teregans. Oft waren es Jäger, ehemalige Soldaten, oder Magier die ein Leben Abseits von Azurias Monarchen bevorzugten.
Das Mädchen rannte voraus, und verschwand hinter einer knarrenden Tür, die offenbar unverschlossen war. Als sich die Gruppe dem Haus näherte, öffnete sich abermals die Tür. Eine alte Frau im Alter, etwa sechzig Jahre alt, trat heraus und begrüßte sie mit einer stummen Verbeugung. Die Frau besaß lange, graue aber gepflegte Haare und vernachlässigte trotz ihres Alters nicht ihr Aussehen.
Emiras fragte:,, Unsere Absicht war es nicht zu stören. Wir möchten nur erfahren ob sich ein Friedhof in der Nähe befindet. Dort wollten wir uns mit einigen Freunden aus dem Norden treffen.“
Zwiespalt ließ Emiras in seiner Antwort zögern. Sein Zustimmung klang dementsprechend unüberzeugt. Eine Antwort wie :,, Unsere Magie wird uns schon beschützen“, hätte er schließlich nicht von sich geben können.
Mit einem Ausdruck der Zufriedenheit, begab sie sich zurück in das Haus, während Emiras Gruppe ihr folgte. „Eine einsame Hütte im Wald wie in einer Gruselgeschichte, die man sich vor dem Einschlafen erzählt hatte.“ Der Gedanke verleitete Emiras zum Schmunzeln. Doch das Haus war viel zu ansehlich.
Jakob, welcher der Gruppe noch immer hinterher hinkte, verharrte vor dem Haus. Schweiß lief ihm von der Stirn. All die Spuren und Fährten endeten vor der Tür dieses Hauses. Es waren Hunderte von Fährten. Jetzt wäre für ihn die perfekte Gelegenheit zu verschwinden. Vermissen würde ihn ohnehin keiner. Mit aller Kraft biss er in seine Lippe und versuchte dabei eine Entscheidung zu treffen. Konnte er sie wirklich ihrem Schicksal überlassen ? Schließlich wäre es nicht einmal Mord.
Eine sanfte junge aber dennoch bestimmt klingende Frauenstimme schallte aus der Tür:,, Jakob , du willst dort doch keine Wurzeln schlagen oder ?“ Auch wenn er sich nichts sehnlicheres als Emiras Tod herbeiwünschte, Luna war die einzige Person die jemals versucht hatte ihn zu verstehen. Mit langsamen Schritten näherte er sich der Hütte und versuchte zu erahnen, was es mit der Familie aus sich hatte.
Die Tür war ein wenig sperrig, doch als er es schaffte den Raum vor ihm zu betreten fühlte er sich fast schon geblendet. Überall schienen Öllampen und Kerzen. Luna, Juliana und Emiras saßen vor einem leeren, großen Tisch, der jedoch ungedeckt war. Mit zittrigen Beinen saß sich Jakob auf den Hocker, der am ehesten in Griffnähe war. Der hölzerne Sitz schien die Bewegungen seiner Beine nachzuahmen und wackelte zusammen mit ihnen. Der komplette Raum war gründlich gepflegt und liebevoll dekoriert. Die Wände bestanden aus Kastenförmigen dunklen Holzstücken.
Als er gerade aus blickte, traf sein Blick auf ein Gemälde, welches noch nicht sonderlich alt zu sein schien. Die Frau, die im Haus wohnte war dort abgebildet, zusammen mit ihrem Mann. Das Aussehen der Frau wurde bis ins kleinste Detail getroffen. Ihr man hingegen sah auf dem Bild auffällig jung aus. Jakob fragte sich, wie das Mädchen die Tochter sein konnte, wenn es erst acht Jahre alt war. Eine Frau in dem Alter war einfach nicht mehr in der Lage ein Kind zu gebären.
„Leider haben wir nichts was wir euch anbieten können“, erklärte sie. Luna schaute auf ihren Schoß und zählte aus lange Weile ihre Finger. Egal wie oft sie zählte, es blieben zehn an der Zahl. Als sie ein schwaches Tippen auf ihrem Rücken vernahm, drehte sie sich und nahm anschließend die Haare aus ihrem Gesicht. Das junge Mädchen trug nun ein schwach gelbliches Schlafgewand und drehte ihren Kopf schräg zur Seite während sie frage:
,,Liest du mir etwas vor ?“ Erst jetzt bemerkte Luna das Buch, welches dieses Mädchen in ihren Händen hielt. Es war auffällig groß, braun gebunden und schien fast aus den schwächlichen Kinderhänden zu fallen.
Jeder Mensch wäre in der Lage, die Begeisterung aus Lunas Gesicht trotz der ganzen Erschöpfung herauszulesen. Luna war leicht zu begeistern. Als sie sich gerade aufrichtete, wurde ihr auch schon in eine Hand das Buch gedrückt. Das Mädchen nahm die noch freie Hand Lunas und führe sie die Treppe herauf auf ihr Zimmer.
Jakob ahnte, was vor sich ging. Er konnte problemlos zusammenzählen, dass dieses Mädchen trotz ihrer natürlichen Art alles andere als normal war. Luna war die einzige Person, für die er überhaupt etwas aufs Spiel setzten würde. Sie war schließlich der einzige Mensch, der ihn jemals freundlich behandelte. Jakob selbst war zu diesem Zeitpunkt in Schweiß gebadet. Ihm war bewusst, er hätte einfach davonlaufen können, so wir er es zuvor immer tat. Zuvor gab es aber auch nichts, was er zurückgelassen hätte. Zhylon war für ihn stets nur ein Werkzeug. Er sah in ihm keinen Menschen.
Als Luna immer weiter aus seinem Blickfeld verschwand, war er fest entschlossen einzugreifen und notfalls dafür das komplette Haus in eine Ruine zu verwandeln. Von der angeblichen Mutter spürte er keine Magische Energie. Zumindest konnte er erkennen, dass sie keine Hexe war. Ihr Blick schien dem Geschehen keine Aufmerksamkeit zu schenken. Auch wenn sie ihre Tochter offensichtlich bemerkt hatte, wirkte sie in ihren Gedanken versunken.
Gerade als Jakob seine Beine anheben wollte, bahnte sich eine Stimme in seinen Kopf :,, Wage es bloß nicht !“. Mit aller Mühe unterdrückte Jakob seinen Schrecken. Er realisierte schnell, dass Emiras ihn mit einem konzentrierten und ernsten Blick ansah. Jakob selber war nicht in der Lage nur mit Beihilfe seiner Gedanken zu kommunizieren.
Erneut verschaffte sich die Stimme Zugang zu seinem Bewusstsein :,, Ich weiß was du vorhast. Ich habe erkannt, was du erkannt hast. In diesem Mädchen steckt Dämonenblut. Es ist zu gefährlich das Wesen, das ihn ihr schlummert zu wecken. Ich höre eine Vielzahl an Seelen in diesem Haus nach Vergeltung schreien. Jetzt gerade ist sie ruhig. Wenn du einschreitest wirst du Luna nur noch mehr gefährden.“
Jakob war nicht Willens zu begreifen, weshalb Emiras Luna einer solchen Gefahr aussetzte. Dennoch blieb ihm keine andere Wahl als zu gehorchen. Seine Haltung wurde noch unruhiger. Vielleicht hatte Emiras Recht.
Als Luna mit dem kleinen Mädchen verschwunden waren, stand Emiras von seinem Stuhl auf. Die ältere Frau blickte ihn nur ungläubig an. Mir einer blitzschnellen Bewegung legte er seine Hand ihren Nacken und flüsterte etwas Unverständliches. Als die Frau ihre Bewusstlosigkeit verlor, fing er sie vorsichtig ab und legte sie leise auf den Boden. Jakob war nicht in der Lage, das Geschehen vollständig zu verfolgen. Doch selbst Juliana schien unbeeindruckt. Mit einer leicht verständlichen Geste forderte er Jakob und Juliana auf sich zu erheben und leise zu bleiben.
Etwas unbeholfen, versuchte Jakob sich auf seinen Beinen zu halten während Emiras sich stumm umblickte. Mit seinem Finger zeigte er auf einen Bereich an der rechten Holzwand des Raumes. Langsam näherte sich Emiras der Wand. Als er einen Versuch unternahm sie zu berühren, glitten seine Finger durch die Wand als wäre es bloß Rauch. Mit wenigen Schritten ging er auf die Holzwand zu und verschwand hinter ihr. Juliana rührte sich nicht. Die komplette Situation lies sie völlig kalt. Jakob fragte sich, ob auch sie bereits etwas Vergleichbares geahnt hatte. Alles in ihm sträubte sich dagegen Emiras zu vertrauen. Vielleicht war es jedoch zumindest für dieses eine Mal erforderlich.
Seine Beine blieben zittrig, als er versuchte einen leisen Schritt nach dem anderen zu vollführen. Der aus einfachen Brettern gefertigte Boden, trug seinen Teil zu Jakobs Nervosität bei. Er war schon fast von schweiß durchtränkt, als ihm es ihm einfiel. Mit der bloßen Kraft verkleinerte sich sein Körper innerhalb von wenigen Minuten, bis er nur noch die Gestalt einer kleinen Maus besaß. Blitzschnell und doch leise bewegte er sich durch die Wand. Kurz bevor er jedoch diese erreichte flüsterte Juliana:,, Ich werde Acht geben, dass sie nicht aufwacht. Geht nur, ich achte auf Luna.“
Stockdüster war der Raum den Jakob nun betrat, doch sein Tastsinn verriet, dass vor ihm eine enge und steile Wendeltreppe lag. Der Bereich wirkte wie aus einem Schloss oder Kerker. Wände, Boden und Decke bestanden aus unförmigen sowie feuchten Steinen. Langsam kletterte er Stufe für Stufe herunter. Nach einigen Minuten weckte eine Lichtquelle seine Aufmerksamkeit.
Eine lilafarbene Barriere befand sich vor ihm. Sie versperrte den Weg vor ihm, war jedoch durchsichtig. In unregelmäßigen Abständen pulsierte sie und änderte gleichzeitig die Farbe. Jakob stellte sich die Frage, wie die Familie in der Lage zu solch magischen Fähigkeiten war. Bis jetzt konnte er keine magische Aura wahr nehmen, obwohl nur jemand mit magischen Fertigkeiten solch eine Barriere geschaffen haben kann.
Auch versuchte er sich zu beantworten, ob irgendeine Gefahr in dieser Barriere steckte. Die Zurückverwandlung verbesserte die Schärfe seiner Augen, weshalb er Emiras hinter dem lilafarbenen Schleier vorfand. Verwundert war Jakob jedoch darüber, dass Emiras ihm scheinbar etwas erzählte, obwohl Jakob hinter der Anomalie keinen Ton wahrnehmen konnte. Die Lippen bewegten sich stumm. Jakob bewegte sich durch das Feld und konnte für eine kurze Zeit Emiras Stimme vernehmen, bis dieser für kurze zeit innehielt und darauf erzählte:,, Wie ich dachte ! Diese Barriere verhindert, dass jegliche Laute hinter ihr hörbar werden. Es besteht die Möglichkeit, das der Vater ein Magier ist. In diesem Fall wäre er kein Jäger oder hätte dies zumindest nicht nötig. Eventuell sind die drei nicht die einzigen Bewohner dieses Hauses.“
Emiras und Jakob blickten auf eine weitere Barriere, hinter der sich der sich eine dicke Eiserne Tür befand. Es handelte sich um eine ähnliche Zellentür, wie man sie in tiefen Kerkern antreffen. Auch gab es ein kleines Fenster in der Tür, welches mit Gitterstäben geschützt war. Diese Barrieren waren die einzigen Lichtquellen im Gang.
Ratlos sprach Emiras:,, Ich kann mir immer noch nicht beantworten, ob diese Dinger verhindern sollen, das Geräusche von außerhalb in diese Gewölbe dringen oder ob keiner hören darf, was hinter dieser Tür lauert.“
Letztendlich fasste er sich ein Herz und begann sich langsam der zweiten Barriere zu nähern. Vorsichtig setzte er einen Schritt vor den Anderen. Als sein Kopf die Barriere durchdrang erstarrte sein kompletter Körper augenblicklich.
Jakob beobachtete wie Emiras für mehrere Sekunde steifgefroren stillstand. Nach etwa 10 Sekunden rannte er, als würde ihn etwas jagen, auf die Kerkertür zu. Es wirkte auf Jakob, als hätte man ihn ausgewechselt, denn Emiras bewegte sich komplett ohne jegliche Vorsicht. Er fasste um den Griff der Tür, und riss diese mit allen Kräften auf. Jakobs Sicht war aufgrund der Barriere zu trüb um irgendetwas zu erkennen.
Als Emiras in den Raum blickte, weiten sich seine Augen. Von reiner Fassungslosigkeit erfüllt, fiel er auf die Knie. Das Bild vor ihm überstieg allem, was er zuvor mit ansehen musste. Noch nie, war er gezwungen solch einem Zeugnis der Grausamkeiten vor sich zu treten. Ein Schrei der Verzweiflung bahnte sich aus seinem Kehlkopf und hätte gewiss an der Oberfläche viele Kilometer weit gehört werden können.
Jakob erkannte nur die trübe Silhouette Emiras. Auch in ihm drängte sich die Frage, was sich hinter der Barriere befand und begann auf diese zu zu rennen. Wenige Sekunden später bereute er seinen Entschluss.
Kapitel 11
Teregan kann man nur zu Land durchschreiten. Wer es wagt über die See nach Ignis zu reisen, wird von den wilden Gewässern verschlungen. Sogar die Strände sind völlig lebensfeindlich. Ein herkömmlicher Wanderer benötigt zwei Jahre um Teregan zu durchqueren. Zum Glück ist auf Ridais Kräfte stets Verlass. Wäre er nicht in der Lage die Gewässer zu kontrollieren, wären die Armeen Azurias schon längst in unserer geliebten Heimat eingetroffen.
(Luram, Anführer des Letzten Magierwiderstandes in seinem Tagebuch)
Wiederholt lauschte Juliana, um sich über Lunas Zustand zu vergewissern. Ihr unverkennbares Lachen schenkte ihr Beruhigung. Luna schien mit ihrer Spielkameraden gut auszukommen. Juliana hätte sich auch um so mehr gewundert, wenn Luna sich nicht mit Kindern verstehen würde. Juliana überlegte, ob Emiras vielleicht doch überreagiert hatte.
„Lass uns zu Juliana zeigen, was wir zusammen gebaut haben … ihr wird es sicherlich gefallen.“, ertönte Lunas Stimme aus dem Raum nebenan. Juliana wurde leicht panisch, als sie die Schritte des Kindes vernahm. Um jeden Preis musste sie verhindern, dass das kleine Mädchen ihre bewusstlose Mutter sieht. Anstatt den regungslosen Körper zu verstecken, rannte Juliana dem Mädchen entgegen , in der Hoffnung, beide wieder in ihr Zimmer schicken zu können.
Juliana torkelte. Als sie das Mädchen vernahm verlor sie augenblicklich das Gleichgewicht. Sie landete mit ihrem Kopf auf den Brettern des Bodens und kämpfte damit ihr Bewusstsein nicht zu verlieren. Erst jetzt realisierte sie, weshalb sie ihr Gleichgewicht verloren hatte. Sie wollte nicht begreifen, was ihre Augen wahrnahmen. Mit Mühe erhob Juliana ihren Kopf an und blickte dem Mädchen entgegen.
Das gelbliche Schlafgewand des Mädchens war im Rote des Blutes getränkt. Zwei Augen brannten sich in Julianas Blickwinkel. Sie blickte jedoch nicht in die Augen des Mädchens sondern in Lunas Augen. Lunas abgetrennter Kopf befand sich in den Händen des Mädchens. Sie trug ihn voller Begeisterung, wie einen Art Spielzeug. Lunas Augen starrten in die Leere, doch ihr Mund war von einem Grinsen erfüllt. Es war ein Grinsen, welches sie nie zu Lebzeiten aufgesetzt hätte. „Juliana, Liebste ? Du schaust aus als hättest du einen Geist gesehen !“, sprach der Kopf zu ihr. Dabei war der Vorgang nur schwer als Sprechen beschreibbar. Vielmehr wirkte es als würden sich die Lippen einer Leiche künstlich bewegen, während eine Stimme aus dem Nirgendwo erklang.
Das Mädchen schaute mit einer Begeisterung, wie man es von Kindern ihres Alters gewohnt war, in der Umgebung herum. „Was … Warum hast du ….“, stotterte die immer noch benommene Juliana. Lunas Kopf schien gewaltsam vom Rest des Körpers herausgerissen worden zu sein. Teile des Halswirbels traten blutig aus dem Ende des Halses aus. Aufgrund der zerfetzten, losen Haut des Halses muss er mit Gewalt aus dem Stumpf herausgerissen worden sein.
Juliana stützte sich mit der einen Hand auf, während sie die andere vorsichtig anhob und unbemerkt auf das Mädchen richtete. Sie biss die Lippen zusammen und versuchte ihre Benommenheit zu unterdrücken, um sich stärker auf ihr Ziel zu konzentrieren. Ein starker Windstoß schoss aus ihrer Hand und ließ das Mädchen gewaltsam gegen eines der vielen Regale schmettern. Die Staubwolke die dabei aufkam, behinderte ihre Sicht. Mit Mühe richtete sich Juliana auf und erkannte durch den Staub hindurch die Gestalt eines Wesens, welche nicht mehr im Ansatz dem kleinen Mädchen glich. Aus der Staubwolke ragte der Kopf einer echsenähnlichen Gestalt. Gelbe Augen starrten Juliana bedrohlich an, als das mit rötlich schwarzen Schuppen bedeckte Wesen mit einer rauen, krächzenden aber dennoch leicht weiblichen Stimme zu Juliana sprach :,,
Juliana ertrug die Worte des Wesens nur mit Mühe. Bevor es sie ausgesprochen hatte setzte Juliana zum nächsten Windstoß an. Diesem wich das Wesen jedoch gekonnt aus. Es schlich in sekundenschnelle auf dem Boden zu ihr. Anschließend drehte es sich und schlug mit seinem Hinterfuß auf Juliana ein. Diese flog durch den Stoß gegen die Tür des Hauses.
„Wenn ich bloß wüsste wie ich Lunas Heilkunde mit Tamyras Flüchen kombinieren könnte. Ich würde dem Wesen jegliche Lebensenergie absorbieren. Ich würde es bis in die Unendlichkeit leiden lassen ! Ich werde diesen Dämon von innen verbrennen lassen. Seine Eingeweide werden von Schmerzen erfüllt sein, bis er sich lebst entdärmt, um den Träger dieser Schmerzen aus dem Körper zu verbannen. “
Kapitel 12
6 Monate zuvor
Juliana kauerte in einem Raum, der ihr von Zhylon zugewiesen wurde, durchdrungen von absoluter Ratlosigkeit. Sie konnte sich nicht vorstellen den Rest ihres Lebens mit schweigsamen Gestalten wie Jakob oder Zhylon in diesem , einem Verlies ähnlichem Gebilde zu verbringen. Würde sich Emiras nicht von seinen Wunden erholen und sterben wäre sie hier unten für immer verdammt gewesen. Allein schon die Zhylons Blicke ließen sie gefrieren. Man hatte sie wie ein Monstrum angesehen, voller Skepsis wer oder was sie war.
Die Holztür zu ihrem Zimmer war verschlossen. Der Raum war fast komplett finster. Ein kleine bläuliche Flamme an der Wand spendete dem Raum geringe Mengen an Licht. Die Flamme brannte auf keiner erkennbaren Quelle. Es handelte sich um kein gewöhnliches Feuer, dessen Rauch Menschen in diesen unterirdischen Gewölben ersticken würde.
Ewigkeiten kauerte Juliana vor sich hin. Das Zeitempfinden entschwand komplett und Juliana konnte sich selbst nicht zusammenreimen ob Stunden oder sogar Tage vergangen waren. In unregelmäßigen Zeitabständen blickte sie zu dieser bläulichen Flamme. Sie beleuchtete im Prinzip nur eine Fläche von etwa einem Meter. Wirklich viel konnte vom Raum nicht vernommen werden. Gelegentlich schien Juliana der Erschöpfung zu unterliegen und sie war geneigt sich hinzulegen. Der kalte und feuchte Boden aus unförmigen Steinen ließ jedoch keine Ruhe zu. Der Raum war mit einem Strohbett ausgestattet, was aufgrund der völligen Finsternis in den Ecken nicht erkannt werden konnte.
Die Zeit die vergangen war, als sich die hölzerne sperrige Tür öffnete, konnte Juliana nur grob einschätzen. Ein Mädchen im selben Alter wie Juliana mit braunen hüftlangen Haaren und einem kindlichen Gesicht kam herein gestolpert. Als sie sich umblickte erkannte sie die gebückte Juliana in der Ecke nicht. Dennoch war ihr bewusst, dass sie im Raum nicht alleine war.
„Hallo ? Haaalllloooo ?“, rief Luna mit ihrer hohen wenn nicht fast schon piepsigen Stimme in den Raum hinein. Juliana traute sich nicht zu antworten. Am liebsten wäre sie eine Maus, die sich in das nächste Loch verkriechen könnte. Trotz allem konnte sie nicht ein kurzes und unbeabsichtigtes Knacken ihres Handgelenkes verhindern. Sofort reagierte Luna und schaute in Julianas Richtung.
Luna reagierte erleichtert und sprach :,, Zum Glück geht es dir gut ! Ich sorgte mich bereits ! Wo waren wir stehen geblieben ? Ich bin Luna !“ Ohne auch nur auf eine Reaktion ihrer Zimmerpartnerin zu achten, umarmte Luna die fassungslose Juliana. Dem Anschein nach, verschwendete Luna nicht einmal einen Gedanken daran, weshalb Juliana so entstellt war.
„Shadra, meine Schwester, wird hoffentlich bald zu uns stoßen. Sie ist meisterhaft darin sich zu verirren. Es ist wunderbar, dass ich die Nächte nicht alleine verbringen muss. Darauf, dass Shadra den Weg zum Bett findet … darauf kann sich schließlich keiner verlassen.“
Nicht einmal in den Tiefen ihrer Gedanken, konnte sich Juliana vorstellen, dass noch jemand außer Emiras ihr Aussehen ertragen könnte. Sie empfand es als unmöglich noch einmal eine Freundin wie einst Tamyra zu gewinnen. Juliana lies sich in der Umarmung Lunas Fallen, nicht realisierend, wie schwarze Tränen ihr Gesicht hinunterliefen und nicht realisierend, dass Luna bereits begonnen hat wie ein Wasserfall zu reden. Sie erzählte eine Geschichte nach der Anderen. Juliana hörte nicht. Sie genoss lediglich die Wärme, die ihr über die Jahrhunderte verborgen blieb.
Zu diesem Zeitpunkt war ihr größter Wunsch nur einer. Sie wünschte sich, dass dieser Moment, nie enden würde.
Kapitel 13
Die Menschen schimpfen alle Lebewesen Aeternos Dämonen …. sowohl Minotauren, Satyre, als auch uns uns Mordax.
(Auszug eines Schamanen der Wolfmenschen auch Mordax genannt)
6 Monate später
Emiras schloss die Augen und hielt sich die Ohren zu, damit die Symphonie der Schmerzensschreie nicht sein Gehör erreichte. Mit allen Mitteln kämpfte er damit das Geschehen um ihn herum zu verdrängen. Er konnte nicht fassen, dass es Menschen gab die die Magie der Heilung für solch grausame Zwecke missbrauchten. Heilmagie sollte dazu dienen Menschen vor dem Tod zu wahren. Nun erfuhr er ein Exampel, wie solche Magie für die dunkelsten Zwecke genutzt werden konnte. Es gibt Dämonen, die ewig dazu verdammt sind nach frischem Fleisch zu dürsten. In den gesamten Sümpfen gab es außer den scheuen Moornyxen kein nennenswertes Lebewesen. Es wirkte, als hätte man die Sümpfe jeglichem Lebens beraubt.
Vor Jakob und Emiras befand sich eine größere unterirdische Halle. Wände und Decke waren aus grauen Steinen gefertigt, die unförmig ineinander verliefen, weshalb das gesamte Konstrukt äußerst brüchig wirkte. Steinerne Säulen, die im Prinzip nur lange dünne Felsen waren, hinderten die Decke am Einstürzen. Sie war mit eisernen Stangen und Ketten versehen. Die Wände bestanden aus dunklen Bruchsteinen, in denen teils auffällige Muster geritzt worden waren. Trotz dem Fehlen einer erkennbaren Lichtquelle, konnte man jedes Detail der Halle genaustens erkennen . Immer wieder hingen befestigte Fleischerhaken von der Decke. An den meisten dieser Haken waren Menschen jeden Alters und Geschlechts durchbohrt. Man hatte ihnen jegliche Kleidung geraubt. Ihnen fehlten Gliedmaßen. Bei vielen von ihnen waren sowohl Arme als auch Beine abgetrennt oder abgerissen, während das Blut, dass von den Stummeln lief den Boden bedeckte. Es war dunkel und bereits getrocknet. All diese Menschen waren trotz all dem definitiv lebendig und schrien, weinten und stöhnten in ihrem Elend. Ihr Schmerz hinderte sie daran, ihre Umgebung wahrzunehmen, ewig gefangen in einer endlosen Hölle der Wehklagen. Die wenigen, denen noch der ein oder andere Arm geblieben war, nutzten diesen um in die Leere zu greifen. Einige wirkten ausgeweidet. Die Bauchdecke lag offen und war fast leer. Doch auch diese Menschen waren noch am Leben.
„Wie können sie noch am Leben …“, fragte Jakob mit zittriger Stimme. ,, Heilmagie , war das einzige Wort, das Emiras zu dieser Frage herausbringen konnte. Langsam stand Emiras auf. Seine Beine konnten sich aufgrund des Schockes nur schwer halten. Er näherte sich einem der Opfer. Es war ein Junge, ungefähr vierzehn Jahre alt, der vor Schmerzen immer wiederholt schwer atmete. Mit einer Bewegung brach ihm Emiras sein Genick. Um den Jungen herum ließ das unbekannte Licht, welches den Raum erfüllte nach.
Als das Leben ihn verließ, fiel ein blasser dunkler Kristall aus einer seiner vielen Wunden.
„Kennst du diese Dinger? Es sind Heilkristalle. Sie verwenden Heilkristalle, um ihre Opfer am Leben zu erhalten. Jakob … angeblich sei der Vater Jäger, doch seit dem wir Valarian verlassen hatten, sind wir keinem Lebewesen begegnet. Was für ein widerwertiges Monstrum auch immer in dem Mädchen haust … es brauch frisches Fleisch von noch lebenden Opfern.
Du selbst hast gespürt, dass alle Fährten des Waldes genau an diesem Haus endeten. Ich kann immer noch nicht begreifen, warum sich diese gerade hier niedergelassen hatte, wo sie sich nur von Wanderern und Reisenden ernähren konnte. An so vielen Orten wäre …“
„Du hast Recht, für gewöhnlich schlachtet mich euresgleichen ab sobald ihr die Möglichkeit bekommt. Gelegentlich bekomme ich das Gefühl, diese Bastarde wollen mich mit dieser Gefangenschaft nur noch länger foltern. Mit jedem Atemzug beißt der stählerne Geruch des Blutes meine Nase. Schreie der Qual wecken mich am Morgen und Schmerzensschreie sind es, mit denen ich einschlafe !“
Es war Emiras innigster Wunsch diesen Ort für immer zu verlassen und das Geschehen auf ewig aus seinem Gedächtnis zu verbannen. Dennoch benötigte er Antworten. Es bestand die Möglichkeit, das auch Lunas Meisterin Opfer dieser Menschen wurde.
„Wie lange hält man dich hier?“, fragte er. Die Antwort erfolgte nach wenigen Sekunden. „Zehn Jahre ist es her, seit dem man mich gefangen genommen hatte. Mein Gehör ist feiner, als das jedes einzelnen Menschen. Ich kenne die Geschichte hinter all dem was ihr seht.
Ein einzelner Jäger bewohnte einst diese Hütte. Er war und ist immer noch Spitzel des Kaisers von Azurias. Seine Aufgabe ist es schon immer gewesen, reisende Magier und Flüchtlinge abzufangen. Damals endeten sie nicht auf gleiche Weise, wie die armseligen Gestalten die euch hier umgeben. Zu jener Zeit war man gnädiger
„Mein Gehört täuscht mich nie ! Es ist um Welten ausgeprägter als das eure. Ich höre selbst durch die Barrieren, was über den Gewölben vor sich geht. Nicht einmal die Schreie der Gefangenen trüben die Klänge, die von oben mein Gehör erreichen. Mächtige Fürsten und Gefolgsleute des Kaisers waren bereits hier eingetroffen. Vor zehn Jahren hielt man die Menschen noch gefangen. Man war auf der Suche nach Magiern, die dem Königreich zeitweise dienten. Die Belohnung für diese Dienste war der Erhalt des Lebens wenn auch in Gefangenschaft.
Das ist nicht das einzig Interessante, was ihr wissen müsst. Wenn ich dem, was ich gehört habe Glauben schenke, war dieser Jäger zuvor eine Art ausgebildeter Attentäter. Er war darin ausgebildet keine Tiere sondern Menschen zu fangen. Einst befand sich unter seinen Opfern eine ältere Dame. anstatt sie gefangen zu nehmen, ließ er sie bei sich wohnen. Diese Frau war keine Magierin, weshalb man es erlaubte, dass sie bei ihm blieb. Was danach geschah, ist selbst für mich schwer zu erklären. Oft unterhielten sich die beiden über ihren innigsten Wunsch. Jeglicher Bemühung zum trotz war diese Frau zu alt , dass man ihr noch ein Kind hätte schenken können.“
„Wo hast du gelernt so zu sprechen ? Die meisten Mordax lernen nur Sätze wie „Verpiss dich“ oder „Ich weide dich aus .
Wie dem auch sei, langsam begreife ich, was diese Tochter für ein Wesen ist, ein Wesen welches bereits in Büchern erwähnt wurde. Sie wurden dort als Jungblut bezeichnet. Jungblüter besitzten im Normalfall die Gestalt eines Kindes, altern jedoch nicht auf gewöhnliche Weise. Wenn ein Jungblut sich jedoch von einer, für uns unheilbaren, Verletzungen erholt oder hungert, nimmt die Lebenskraft ab und es altert. Die wahre Gestalt eines Jungblutes ist meist echsenartig.“
Der Mordax antwortete auf hämisch :,, Ich lebte 2 Jahre unter meinesgleichen, gleichzeitig jedoch 10 Jahre unter eurer Gefangenschaft. Weshalb ich eure Sprache beherrsche ist selbsterklärend.
Mich wundert es viel stärker weshalb du schon jetzt begriffen hast, was hier vor sich geht. Mira ist der Name dieses Wesens. Zumindest nennen ihre es so. Vor ein paar Jahren sprach dieser Jäger von einem Gefallen, dem der Kaiser ihm für seine Dienste schulde. Um was es sich bei diesem Gefallen handelte , blieb unbenannt. Das leise und entfernte Rascheln von Ketten weckte mich eines Nachts und ich horchte genauer. Es waren nicht die Ketten die mich fesselten, sondern metallische Töne aus weiter Ferne. Mira sprach an diesem Tag noch keinen Ton. Sie war in Ketten und Fesseln gehüllt und wurde von Magiern begleitet.
Schon von Anfang an sprach Mira den Jäger mit „Vater“ an. Es waren das erste Worte die ich aus ihrem Mund gehört hatte. „Bist du hungrig ?“ entgegnete ihr nur der angebliche Vater. Schreie der Magier und das Reißen von Fleisch waren nun die dominierenden Geräusche. Es waren auch die letzten Laute die ich vernahm, bevor ein kleines Mädchen in einem roten mit Blut durchtränkten Mantel in diesem Gewölbe erschien.
Ich war der einzige der von ihrem Blutdurst verschont blieb, da mein Fleisch nicht menschlicher Natur ist. Was ich euch erzählte trat vor zwei Jahren ein.
Emiras hörte den Worten des Wolfes konzentriert zu. Darauf stellte er eine gezielte Frage:
„Wir sind auf der Suche nach einer älteren Heilerin, die wahrscheinlich zusammen mit ihren Schülerinnen Opfer dieser Familie wurde. Das Einzige was wir noch benötigen ist ein Beweis für ihren Tod ,, , Jakob unterbrach ihn : „ Glaub mir, es ist Beweis genug wenn ich ihren Tod bestätigen kann. Siehst du die ältere Frau dort. Zwischen dem ganzen Gestank erkenne ich den selben Duft, den auch Luna austrahlt. Sie wird nicht mehr antworten können, doch ich kann die versichern dass sie es ist. Viele der Jugendlichen duften ähnlich. Vermutlich waren dies einst andere Schüler.“
Jakob richtete seinen Finger auf die lebenden Überreste einer Frau mittleren Alters. Ihre leicht ergrauten Haare waren zerzaust und schon zu Teilen ausgefallen. Unterkiefer und Zunge waren bereits herausgerissen, und der Fleischerhaken steckte in den Resten ihres Gesichtes. Arme sowie der gesamte Unterkörper fehlten und Teile des Darms hingen bis zum Boden. Trotz all dem, lebte die Gestalt aufgrund der magischen Energie des Heilkristalles noch. Der Anblick trieb Emiras zum Handeln. Er fasste sich und richtete seinen Arm in Richtung der Gestalt und griff mit der Hand in die Luft. Zeitgleich mit dieser Bewegung zerbrach der Kristall in ihrem innern. Als der Heilkristall zerfiel starb auch die Frau, die ihn trug augenblicklich. Direkt im Anschluss wandte er sich dem Wolf zu. Er hockte sich hin und berührte mit seiner Hand die Ketten die den Mordax and den Steintisch fesselten. Zunehmend färbten sich die Ketten der Fesseln braun und zerfielen letztendlich zu einem feinen staubartigem Pulver.
Der Mordax sprang auf, als wäre er durch seine Gefangenschaft nie geschwächt worden und eilte Richtung Ausgang. „Wir haben keine Zeit zu verlieren ! Folgt mir !“ Rief er noch in die Halle hinein, kurz bevor er sie verließ. Gefasst rannte Emiras dem Wolf nach. Mit aller Geisteskraft verdrängte er das Gesehene und dachte nur an eines :,, Juliana ist in Gefahr!“
Kapitel 14
Das Rauschen des Meeres ist herrlich. Die Melodie des Meeres vor dem ewigen Schlaf des Todes ist als Lohn für meine Dienste zufriedenstellend, auch wenn ich es stets bevorzugt hätte im Kampf zu fallen.
(Letzter Tagebucheintrag eines zwergischen Seefahrers)
Julianas schwarzes Blut sickerte durch das Holz des Bodens als wäre es flüssiges Wasser. Sie lag regungslos neben einem zerstörten Tisch, der gegen die Wand geschleudert wurde. Sie lag auf dem Bauch. Es war nicht zu erkennen ob sie noch im Besitz ihres Bewusstseins war. Die gesamte Einrichtung des Hauses war komplett demoliert. In der Mitte des Raumes hockte das echsenartige Wesen und blickte erwartungsvoll auf den Körper Julianas.
Der Dämon brach seinen Satz ab, als er beobachtete, wie Juliana zu zucken begann. Sie versuchte sich aufzurichten und hustete dabei Blut. „Sieh dich nur an … vielleicht sollte ich es beenden.“ Mit einem schon fast vorsichtig anmutenden Schritttempo näherte sich ihr das Wesen. Als es vor ihr stand legte es seinen rechten Fuß auf ihren Hinterkopf um ihr Genick zu brechen. Seine Krallen umschlossen ihren Kopf. Er zögerte, als Juliana mit einer zittrigen Bewegung ihren Arm ausstreckte und sein rechtes Bein ergriff.
„ Du willst wohl noch nicht sterben. Ein bisschen kann ich dich verstehen. Ich würde auch lieber leben wollen, wenn im Jenseits eine solche Hure wie deine Freundin auf mich warten würde! Wie wirst du sie wohl im Jenseits vorfinden ? Ganz oder in den Stücken in die ich sie geschnitten habe?“ Juliana Zorn war grenzenlos, doch ihre Kraftreserven waren vollends ausgeschöpft. „Luna war… du wirst bluten für all das, was du ihr …“
Bevor Juliana in der Lage war ihren Satz zu beenden wurde sie von einem grellen Licht geblendet. Emiras stand hinter ihnen. Er streckte seine Hand aus und ein kleiner violetter Orb bewegte sich aus seiner Hand. Er nahm an Geschwindigkeit zu und schoss zur Echse. Der Dämon blickte irritiert in Richtung des Orbs als dieser dessen Kopf zerfetzte. Grelles rotes Blut verteilte sich im Raum. Es war dampfend und ätzte sich durch den Holzboden. Der Dämon, taumelte rückwärts auf seinen Beinen, während sein Schweif ihn stützte und ihn am Fall hinderte. Ein neues Haupt wuchs innerhalb von Sekunden nach. Blitzschnell drehte sich die Echse um und rannte auf Emiras zu. Dieser schleuderte den Dämon mit Feuerball in der Größe eines Felsen durch die Wände des Hauses. Sein Blick war fokussiert und voller Konzentration. Der Dämon lag außerhalb des Hauses. Um ihn herum bildete sich eine Wand aus Flammen. Während er sich aufrichtete sprach er seltsame nichtmenschliche Laute aus. Dass er selbst in Flammen gehüllt war kümmerte ihn nicht.
Die Flammen die nach seinem Fleisch trachteten, erloschen innerhalb von wenigen Augenblicken und die Brandwunden regenerierten sich in ähnlichem Zeitraum. Wild vor Rage rannte der Dämon zurück zur Hütte. Der Dämon kroch durch das Loch, welches durch den Feuerball in der Wand entstanden ist. In dem Momentan als er auf Emiras zuspringen wollte, stieß er gegen eine Magische Barriere. Er versuchte sich in alle Richtungen zu bewegen doch die Barriere umgab ihn. Er war gefangen. Es handelte sich um eine deutlich stärkere und robustere Variante der Barriere, die auch in den unterirdischen Gängen unterhalb des Hauses zu finden war.
Voller Zorn und Energie unternahm das Wesen alle möglichen Versuche die Barriere zu durchbrechen .
Emiras äußerte sich zum Geschehen in einem ernsten und kalten Ton :„ Es wird für dich keine Chance geben aus diesem Gefängnis zu entkommen. Du wirst das Schicksal dieses Hauses teilen! Wenn wir es niederbrennen wirst du einen ewig anmutenden Feuertod erleben. Dein Fleisch wird immer wieder erneut verbrennen, bis du nicht mehr in der Lage bist dich von deinen Wunden zu erholen. Deine Fähigkeit dich zu regenerieren wird deinen Tod nur in die Länge ziehen.“
Immer wieder mobilisierte der Dämon seine Kräfte und rammte seinen eigenen Körper gegen die unüberwindbar wirkende Barriere. „ Du warst nicht schnell genug. Ein magische Falle benötigt mindestens eine halbe Minute an Vorbereitung“, nachdem er die Worte ausgesprochen hatte, sackte er erschöpft zusammen. „Wo blieben Jakob und der Mordax ? Was war hier geschehen ? Wo befand sich Luna?“, all diese Fragen sprangen durch seinen Verstand.
Die entsetzten Schreie Jakobs hinter ihm beantworteten letztere Frage. Erst jetzt erkannte er den abgetrennten Kopf, welcher regungslos auf dem Holzboden der Hütte lag. Nur schwach konnte er das ausdruckslose Gesicht Lunas zwischen den braunen Haaren erkennen. Eine Pfütze aus dunkelrotem Blut befand sich unter ihrem Haupt. Jakob musste einen wahr gewordenen Albtraum vor sich erblicken.
Luna war tot. Die einzige Person, die jemals Verständnis für seine Eigenarten zeigte, der einzige Mensch, dem er sich jemals anvertrauen konnte, starb.
Erfüllt von einem Gemisch aus Ergriffenheit und Trauer, Gefühlen, die ihm seit dem Tod seiner Schwester fremd waren, stürmte er auf Lunas Überreste zu. Er umklammerte ihr Haupt während sich ein erschütternder Schrei der Hoffnungslosigkeit aus seinem Kehlkopf bahnte.
Emiras sank zu Boden. „Versagt …. ich habe versagt, , flüsterte er vor sich hin, laut genug, dass auch Jakob in der Lage war es zu hören. Wutentbrannt ließ er Lunas Überreste aus seinen Armen fallen und rannte zu Emiras. Voller Hass schlug er die Person nieder, die er sein Leben lang verachtete. Es folgte ein kräftiger Tritt in seine Magengegend. Emiras selbst blieb frei jeglicher Emotion. Seine Augen waren lediglich geweitet.
Laute eines Pferdes hinter Jakob, brachte ihn dazu von Emiras abzulassen. Sofort erkannte er den Mann, welcher für all das verantwortlich war. Es war der Mann, der Magier jagte, um sie an einen Dämonen zu verfüttern. Obwohl er ihn zuvor noch nie gesehen hatte konnte er seinen Geruch aus der Ferne wittern. ,, Ich werde es nicht zulassen, dass diese Ausgeburt weiterhin auf dieser Erde wandeln darf.“ Jakob konzentrierte sich und faltete die Hände um eine Verwandlung einzuleiten. Kurz bevor er die Gestalt eines Wolfes annahm sprach er ein letztes Mal zu Emiras :,, Auch du wirst bezahlen.“ Der Reiter befand sich bereits auf der Flucht als Jakob ,erfüllt von Rachegelüsten, die Verfolgung aufnahm.
Emiras war sich bewusst, das Jakob in seinen Fertigkeiten noch nicht fortgeschritten genug war, um solch eine Gestalt lange zu bewahren. Die Schuld an allem gab nur er sich nur selbst. Zhylon vertraute in seine Fähigkeiten. Zhylon hatte ihn einmal mehr überschätzt. Die Aufgabe, den Fluch des Schlosses zu brechen, war bereits zu schwer gewesen. Doch in diesem Fall mussten Andere für seine Fehler büßen.
Er bewegte sich zu Juliana, welche inzwischen durch Schmerz und Blutverlust ihr Bewusstsein verloren hatte. Letztendlich verlor sie jedoch so viel mehr. Er trug sie und verließ mit ihr in den Armen die Hütte. Nach einigen Schritten außerhalb des Hauses blickte er ein letztes Mal zur Hütte. Für einen allerletzten Moment streckte er seine Hand in Richtung dieses Hauses. Er lies einen gewaltigen Flammenstoß frei , welcher sich auf die Hütte zu bewegte. Die Flammen nahmen auf ihrem Weg an Intensität und Größe zu. Das Haus verschwand unter einer gewaltigen Feuersäule die bis in das Himmelreich ragte. Die Schreie des immer noch gefangenen Dämons erklungen aus dem Feuer.
Kapitel 15
Im Süden Azurias liegt dieses eine Schloss. Menschen die in entfernter Umgebung zu diesem Schloss leben verschweigen dessen Existenz. Der Name diese Schlosses ist längst in Vergessenheit geraten. Umgeben wird es von einem gewaltigen Dornenwald. Eigentlich hätte auch ich es längst ignorieren können, doch einst packte mich die Neugier, als ich in mich in einem Dorf aufhielt welches lediglich einen Tagesmarsch vom Schloss entfernt war. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass die Bewohner nichts über die Existenz des Schlosses wussten. Eines Nachts schlich ich einer Karawane mit 8 Personen hinterher. Mir war nicht bewusst was genau sich auf dem Wagen befand, welcher von 2 Eseln gezogen wurde. All die Gegenstände waren von einem dichten Leinentuch bedeckt. Mein Interesse wuchs, als ich erkannte, dass sich die Karawane in Richtung des Schlosses aufmachte. Ich folgte der Gruppe auf weites Entfernung. Es war ein Wunder dass sie nie nach hinten blickte und mich nicht erkannten, auch wenn ich nur aufgrund der Entfernung ein kleiner Punkt in ihrem Sichtfeld war. Am frühen Morgen kamen sie an. Dies war das erste Mal als ich diesen Dornenwald erblicken konnte. Schon aus der Ferne wirkte er bedrohlich und keineswegs von der Natur geschaffen. Auf mich wirkte er, als wäre er lebendig. Die Reisenden entfernten das Tuch vom Wagen und enthüllten vier gefesselte Menschen. Sie ließen die Personen einfach auf dem Wagen und wanderten ihres Weges zurück zum Dorf. Trotz der Angst was mit diesen vier Menschen geschehen würde, wartete ich . Meine Wissensgier überwog die Angst vor dem, was sich ereignen würde.
(Der erste Teil einer Aufzeichnung, geschrieben vor 50 Jahren, Schreiber unbekannt)
Hass, Zorn und Rachegelüste weckten eine ungeahnte Geschwindigkeit und Ausdauer in Jakob. Auch wenn es dem Reiter gelang immer weiter an Geschwindigkeit zu erlangen, schaffte es auch Jakob sein Tempo zu erhöhen. Es verging gut eine Viertel Stunde bis Jakob mit einem schnellen Sprung den Reiter von seinem Pferd zerrte.
Der Reiter war noch benommen, als ihm Jakob seine Klauen in den Magen rammte und ihn gegen eine Eiche schleuderte.
Langsam begann der Mann seine Besinnung wiederzuerlangen. Unter Schmerzen richtete er sich auf und lehnte sich gegen die Eiche. Seine Hände hielt er vor die blutige Wunde, auch wenn die Blutung in keinster Weise nachließ. Blut lief zwischen seinen Fingern aus der Wunde in Mengen heraus und verteilte sich erst auf seiner Hose, bis es den Moos des Waldes benetzte.
Als er seinen Blick richtete, stand Jakob vor ihm, bereit ihm den finalen Stoß zu verpassen.
„Bevor du stirbst, möchte ich eines wissen. Wenn du willst, dass ich dich nicht langsam ausbluten lasse musst du mir antworten. Warum in aller Welt tut ihr dies ? Warum all das ? Warum tötet ihr ? Warum quält ihr diese Menschen ? Warum müssen so viele Menschen dem Durst dieses Dämons zum Opfer fallen.?“ Jakobs tiefe und hasserfüllte Stimme, mit welcher er in seiner Wolfsgestalt kommunizierte, hätte jeden gewöhnlichen Menschen in die Flucht geschlagen. Der Mann jedoch reagierte kaum und war damit beschäftigt die Blutung vergeblich zu stoppen.
Letztendlich entwichen ihm ein paar leise, schwer verständliche Worte.,, Meine Tochter …. was habt ihr getan…
Abermals wandte sich der Mann von Jakob ab und versuchte wieder krampfhaft mit den Händen die Blutung zu stoppen. Es war vergeblich.
Jakobs Zorn wuchs nur noch mehr. Er hob seine Klaue bedrohlich, als der Mann weitersprach:
„Hey …. Kleiner. Es tut mir leid, dass wir dich dort unten gefesselt hatten. Du weißt doch, dass die Patrouille es nicht gerne hat, wenn du frei herumläufst. Wenn du nicht freiwillig in den Keller gehst …“ ,, , Jakob unterbrach den Mann :,, Du verwechselst mich … ich bin nicht euer verschissenes Schoßhündchen … ich bin kein Mordax.“
Der sterbende Mann lächelte nur . Eine Stimme hinter Jakob erklang:,, Nein, dass bist du nicht.“
Jakob wich blitzschnell zurück und starrte in das Gesicht des Mordax, welcher von Emiras befreit wurde.
„Ich hätte es wissen müssen … ich hätte es verdammt nochmal wissen müssen !“ schrie Jakob, als er begriff, dass es ein Fehler war den Mordax zu befreien. Langsam veränderte Jakob erneut seine Gestalt. Sie wurde menschlicher. Er richtete sich auf. Sein Körper wurde menschlicher, glich jedoch weiterhin einem Wolf. Sie ähnelte dem Mordax.
Es waren zwei Wolfsmenschen die sich nun in die Augen schauten. Umgeben waren sie von nichts Anderem als einer endlos wirkenden Waldlandschaft. Der Mordax lachte nur. Jakob bereitete sich auf einen Angriff vor und rannte auf den Mordax zu. Blitzschnell begann er mit seinem Arm auszuholen und mit seiner Kralle zuzuschlagen. Doch der Mordax war schneller. Er packte Jakobs rechten Arm, bevor dessen Klauen in das Fleisch dringen konnten. Der Mordax drückte Jakobs Arm zusammen. Knochen knackten. Jakob konnte sich nicht aus dem Griff befreien. Er versuchte sich mit seinem anderen Arm loszureißen, doch noch bevor er überhaupt damit begann, seine Idee umzusetzen, befanden sich bereits lange Krallen in seinem linken Unterarm.
Der Mordax schien von der Situation unbeeindruckt zu sein. Mit seinem Bein trat er Jakob von sich. Die Krallen, die sich im Unterarm befanden, rissen dabei Fleischstücke mit sich. Jakobs rechter Arm war bereits von der Umklammerung des Mordax so sehr zerquetscht worden, dass er ihn nicht mehr spürte. Nur sein innerer Sturm, trieb ihn dazu weiterzukämpfen.
Jakobs Arme wurden breiter und kräftiger. Das Fell verlor an Haar und brachte dünne ledrige Haut, in der sich Muskelmasse abzeichnete, zum Vorschein. Jakob nahm eine Gestalt an, die an die eines Bären erinnerte. Sie wirkte jedoch gleichzeitig viel schlanker und wendiger. Jakob hatte schon ewig versucht diese Gestalt anzunehmen. Dies war das erste Mal, wo es ihm gelang. Er spürte die noch nie dagewesene Kraft, die nun seinen Körper füllte.
Sein Arm und seine Wunde schmerzten kaum noch. Mit seiner Verwandlung schien er sich regeneriert zu haben. Innerlich bebte Jakob und war von dem Ziel getrieben, den Mordax körperlich und geistig zu vernichten. Dieser schien von Jakobs neuer Gestalt unbeeindruckt.
„Es ist vorbei. Wenn du aufgibst gewähre ich dir einen schnellen Tod.“ Abermals zeigten Jakobs Worte keine Wirkung.
„Wie gesagt, du bist nicht der erste deiner Art den ich töte. Du bist auch sicher nicht der stärkste deiner Art.“
Der Mordax begann nach seiner Provokation seinen Angriff vorzubereiten. Mit geschärften Sinnen wartete Jakob, um genau diesen Angriff abzuwehren.
Erst hielt es Jakob für eine Sinnestäuschung, doch der Schmerz in seinem Rücken ließ ihn deutlich werden, dass der Mordax in einem Bruchteil einer Sekunde hinter ihn gelangt ist und seine Klaue seinen Rücken aufgeschlitzt hatte.
Schreiend drehte sich Jakob um und schlug um sich. Sein Schlag wäre kräftig und schnell gewesen. Doch Jakob schlug ins Leere.
Abermals war der Mordax hinter ihn gelangt, kicherte jedoch nur anstatt weiter anzugreifen.
„So ist das langweilig. Wenn du so langsam bist, hoffe ich wenigstens, dass du Kraft hast.“
Der Mordax wich Jakobs nächstem Angriff nicht aus. Die Krallen des Bären stoppten kurz bevor sie den Hals des Wolfsmenschen erreichen konnten. Jakobs rechter Arm wurde erneut von den festen Klauen des Mordax umfasst. Diesmal drückte der Mordax noch kräftiger zu. Jakob gab einen lauten, schmerzerfüllten Schrei von sich. Der Mordax beließ es nun auch nicht dabei und riss ein einziges Mal Kräftig am Arm. Durch die Bewegung riss der Mordax Jakobs Unterarm ab. Das Reißen von Fleisch und Sehnen drang in sein Gehör.
Ungläubig starrte Jakob auf den Arm, den der Mordax in seinen Händen hielt. Genau dieser Arm glich mit jedem Blick immer stärker einem Menschenarm. Jakob konnte gar nicht realisieren, dass auch er dabei war sich wieder in einen Menschen zu verwandeln. Der Schock hinderte ihn auch daran zu bemerken, wie er kraftlos auf die Knie viel. Die rechte Seite seines Gewandes war bereits vom Blut rötlich gefärbt.
Jakob konnte es nicht fassen. Die Gestalt eine Bären war die mächtigste, die sich Jakob je vorstellen konnte. Trotzdem war er chancenlos.
Der Mordax warf den Arm achtlos bei Seite. Ein Teil des Oberarmknochens ragte aus dem Stumpf heraus.
Anschließend holte der Mordax zu einem finalen Stoß aus. Jakob merkte einen Schmerz in seiner Brust. Er fühlte, wie die Wolfskrallen sein Herz umschlossen. Er schaute nach unten auf den Arm des Mordax, welcher in seine Brust gerammt war.
Mit einer schnellen Bewegung riss der Mordax Jakobs pulsierendes Herz heraus und zerquetschte es mit der Hand. Jakobs Körper fiel Regungslos auf den moosbedeckten Boden des Waldes und tränkte auch diesen mit seinem Blut.
Der Mordax wandte sich ein letztes Mal zum Reiter:,, Meister…. ihr seht nicht gut aus!“
„Gut gemacht…, sprach dieser unter großen Anstrengungen, ,, bitte … du musst auch die Anderen büßen lassen…. die Magier des Nordens werden schon bald hier sein … du musst auch seine Gefährten töten, bevor sie von anderen Magiern gefunden werden … aber vorher befreie mich von meinen Schmerzen.“
Der Mordax lachte abermals, wobei sein Gelächter schauderhaft klang. Der Reiter sprach :,, Bitte … töte mich endlich !“
„Meister …. wenn ihr den Anblick des Waldes nicht mehr ertragt so kann ich euch helfen.“ Der Mordax betrachte seine Klauen. Daraufhin rammte er zwei seiner Krallen direkt in die Augäpfel seine Meisters und riss diese heraus. Sein Meister schrie ein letztes Mal. Daraufhin war er nur noch in der Lage benommen zu murmeln.
Der Mordax blickte auf die Augäpfel. Er betrachtete wie sie zuckten und sich die Pupillen unkontrolliert bewegten.
Hinter ihm erklungen Jakobs Worte :„Emiras …. du wirst ihn niemals töten können. Seine Macht ist unvorstellbar. Nicht einmal du hättest den Hauch einer Chance.“ Jakob mobilisierte seine letzen Kräfte die ihm verblieben, bis er selbst zum Sprechen nicht mehr genug Kraft hatte.
„Du hast Recht,, antwortete der Mordax, ,, doch ich hatte auch nicht vor ihn sofort anzugreifen. Ihr seid ein sehr amüsantes und naives Völkchen. Dein Freund Emiras ist noch dümmer ….
Auch wenn er kaum noch etwas von der Außenwelt mitbekam, gelang es Jakob zu lächeln, als der Wolf die Worte „Freund“ und „Emiras“ in einen Zusammenhang erwähnte.
Jakobs Augen schauten in die Leere. Das kleinste Glied von ihm war nicht mehr in der Lage sich zu bewegen. Nur noch sein Geist war im Stande seine letzten Gedanken zu formen :,, Emiras, es liegt an dir. Ich habe dich schon seit dem ich dich kenne verachtet.
Verachtet habe ich dich auch für deine Fähigkeiten. Ich war aufgrund meiner magischen Gesinnung immer auf den Wandel meiner Gestalt beschränkt. Gehasst hatte ich dich noch für so viel mehr. Freund …., das ist wohl der Begriff, den ich niemals für einen Menschen wie dich verwenden dürfte. Und nun kann ich meine Hoffnung nur noch in dir zurücklassen. Emiras, du musst nicht nur den Mordax töten, du musst dieses Land reinigen. Ich kann nicht mehr ertragen, wie die Könige und Fürsten des Landes Scharen von Menschen unterdrücken und umbringen lassen. Zhylon war im Unrecht. Wenn dieses Land nicht gereinigt wird, sterben wir Magier aus.
Mir fällt es immer schwerer einen klaren Gedanken zu fassen. Ich frage mich, ob nach dem Tod etwas auf uns wartet …. ich habe Angst.“
Jakobs letzte Handlung vor seinem Tod war es, seine Augen zu schließen.
Kapitel 16
Wie gerne, würde ich meiner Frau noch ein einziges Mal in die Arme fallen. Ich vermisse meinen Sohn. Ich vermisse es, wir er stets nach meinen Heimkommen erpicht darauf war, die Erlebnisse meiner Reisen in sich aufzusaugen. Ich muss zugeben, ich hatte ich die Geschichten immer ein wenig ausgeschmückt. Ich bin Forscher, und hätte ich ihm meine Niederschriften vorgelesen, wäre er sicher müde geworden. Vielleicht hätte ich sie ihm vorlesen müssen, wenn er immer Probleme hatte einzuschlafen.
Dieser Gedanke lässt mich schmunzeln. Vermutlich ist dies das letzte mal, dass ich ansatzweise lachen werde.
Nun sehe ich mich gezwungen nie wieder heimreisen zu dürfen. Ständig werde ich verfolgt von diesem Etwas. Wäre ich doch bloß nie dieser Karawane gefolgt ! Spätestens nachdem ich die Menschenopfer gesehen hatte, hätte ich umkehren müssen. Doch ich blieb. Ich Dummkopf wartete sogar bis zum Anbruch der Nacht. Es war spät und dunkel genug, dass es keinen Unterschied machte, ob ich meine Augen offen oder geschlossen hielt.
Stattdessen war ich gezwungen mich auf meine anderen Sinne zu verlassen. Aus dem Dornenwald hörte ich ständig ein Rascheln oder Knacken. Erst zu jenem Zeitpunkt erkannte ich, dass sich etwas der Karawane näherte. Völlig bleich und seelenlos betrachtete dieses nackte, menschenähnliche Etwas die Karawane. Ich konnte es nicht sehen, doch spürte ich, wie sich das Bild in meine Gedanken einbrannte. Hätte ich doch bloß nicht gewartet.
(Der zweite Teil einer Aufzeichnung, geschrieben vor 50 Jahren, Schreiber unbekannt)
Emiras betrachtete eine Weile die Flammen des Hauses. Anschließend wandte er sich der bewusstlosen Juliana zu. Aus einer Tasche seines Mantels nahm er Leinenverbände und wickelte sie um ihre offenen Wunden. Juliana hatte viel Blut verloren. Verletzung hatte Juliana auch im Gesicht. Der Dämon schien mit der Klaue mehrmals durch ihr Gesicht gefahren zu sein. Ihre Oberlippe und der größte Teil ihrer Unterlippe schienen abgerissen worden zu sein. Emiras war nicht in der Lage sie zu heilen. Juliana atmete immer langsamer und schwerer.
Aus dem Dickicht erhaschte Emiras Schritte. Schatten von Menschen schlichen zwischen den Bäumen umher.
Einer der Bäume wurde plötzlich wie von Geisterhand ausgerissen. Der Stamm bewegte sich mit rasender Geschwindigkeit auf Emiras zu. Mittels Telekinese konnte er den Stamm ein paar Meter vor sich zum stehen bringen. Eine Gestalt in einer dunkelvioletten Robe trat hervor. Die Kapuze war weit genug heruntergezogen um das Gesicht zu verstecken. Die Gestalt startete einen neuen Versuch um anzugreifen. Emiras kam dem zuvor. Er schleuderte ihm arkane, kristallförmige Geschosse entgegen. Die Geschosse explodierten vor der Gestalt und setzten sie außer Gefecht. Bevor der Körper der Gestalt den Borden erreicht hatte, ertönten Schreie rechts von ihm.
Emiras blickte um sich und erkannte eine weitere Person in gleicher Kleidung auf ihn zurennen. Aufgrund der geringeren Entfernung konnte Emiras die Gestalt besser ausmachen. Die Person musste erwachsen gewesen sein und war von normaler Statur. Die Hände der Person glühten, als ständen sie kurz davor Feuer zu fangen. Emiras streckte ihm seine Hand entgegen und riss ihn mit einem Windstoß um.
Als Emiras sich auf weitere Angreifer vorbereiten wollte spürte er einen stechenden Schmerz, der von seinem Arm aus den gesamten Körper einnahm. Die Schmerzen zwangen Emiras auf die Knie. Er blickte auf seinen Arm und sah wie dieser zu brodeln begann. Es fühlte sich an, als würde er innerlich verbrennen. Sein Blut kochte und die Adern an seinem Arm platzten auf. Abgelenkt von den Schmerzen bemerkte er nicht, wie sich ihm eine dritte Gestalt näherte. Sie war etwa zwei Meter groß und muskulös. Die Person trug nichts außer einem engen Lederhemd und einer schwarzen Wollhose. Sie hatte eine Glatze und einen längeren Bart. Auf den Armen befanden sich rot leuchtende Gravierungen.
Der Zauber, welcher Emiras Blut zum kochen brachte, schien nur durch den Blick der Person zu wirken. „ Arej, solche Menschen sind wir nicht !“ Eine Stimme aus der Ferne ertönte. Der Schmerz ließ nach, doch Emiras konnte sich aufgrund seiner inneren Wunden kaum rühren. Seine Haut war an vielen Stellen seines Körpers aufgeplatzt. Wie gelähmt lag er im Moos. Nur schwarze Magier waren zu so etwas in der Lage.
Zwischen den Bäumen kam eine schlanke Männergestalt zum Vorschein. Seine Haare waren lang und grau. Dennoch schien die Person, der restlichen Optik nach, nicht älter als dreißig zu sein. Die Person war in lange schwarze Gewänder gehüllt, die mit roten Edelsteinen verziert waren. Die Kleidung erinnerte eher an die einer weiblichen Person.
„Wenn du es wünscht …. Erzmagier Luram … , die Worte der kräftigen Person, welche auf den Namen Arej hörte, wirkten leicht zynisch.
Luram blickte zu der bewusstlosen Juliana. Er bückte sich über sie und streckte ihr seine Hand entgegen. Aus den länglichen Fingern stieß ein schwarzer Rauch. Als er mit eben dieser Hand Julianas Körper berührte begann sie ununterbrochen zu zucken. Aus Julianas Mund und Nase stieg nun auch jener schwarze Rauch empor. Gleichzeitig schlossen sich ihre Wunden. Ihre Lippen wuchsen langsam nach. In wenigen Minuten war Juliana komplett geheilt. Nur noch die Risse in ihrer Kleidung deuteten auf ihre einstigen Verletzungen hin.
Insgesamt 40, in dunkelvioletten Roben gehüllte, Personen näherten sich Emiras. Einer von ihnen kam mit einem Pferd angeritten. Er hob Juliana Auf und legte sie auf sein Pferd. Die meisten von ihnen starrten jedoch nur in Richtung des Geschehen. Luram wandte sich Emiras zu :,, Ich danke dir. Ohne dich hätten wir das alles nie geschafft ! Wir sind uns schon mehrmals begegnet. Das erste Mal war es im Dornenwald, als du das Mädchen gerettet hattest. Du hast mich nicht wahrgenommen … das weiß ich. Ich werde nur dann gesehen, wenn ich gesehen werden will.
Ich bin dir in den Wald gefolgt. Ich dachte zuvor noch, alle Magier Azurias wären ausgelöscht worden. Im Dornenwald bist du mehrmals an deine Grenzen gelangt. Doch du hast das geschafft, wo so viele vor dir gescheitert sind. Du bist bis zum Schloss gelangt. Als du das Schloss erreicht hattest und dabei warst, das Mädchen zu erwecken ist mir etwas aufgefallen, eine unglaublich mächtige magische Quelle.
Sie war überall. Wie sich herausstellte war es Julianas kleine Freundin, deren Seele unsere Welt immer noch nicht verlassen hatte. Man hatte ihren Körper verbrannt, doch sie war nie wirklich tot. Ihr fehlte nur ein physischer Körper. Um sie wiederzuerwecken brauchen wir Juliana.
Du kannst mir danken. Auf deinem Rückweg hattest du dein Bewusstsein verloren. Ich habe dich ganz alleine aus dem Wald herausgetragen. Als ich spürte, dass sich ein weiterer unbekannter Magier näherte, verließ ich dich. Das war Jakob … liege ich richtig ? Wir haben ihn vor kurzem auf unserem Weg tot angetroffen. Ihm wurde das Herz herausgerissen. “ Luram beendete seine Sätze als all die anderen Personen außer er und Arej das Gebiet verlassen hatten.
„Sind wir sicher, oder gibt es noch mehr von der Truppe?“, fragte Arej.
Luram fuhr nachdenklich durch sein Haar und antwortete:,, Als ich das Versteck aufgesucht hatte, vernahm ich fünf magische Quellen. Vier von ihnen haben sich auf den Weg nach Teregan gemacht. Ein Mädchen ist im Versteck zurückgeblieben. Die Gruppe sprach immer von ihrem Meister. Das ganze ist äußerst merkwürdig. Ich könnte schwören, dass dort unten im Versteck nur fünf Magier waren.
Auch als einer von ihnen Juliana aus dem Wald zerrte, verhielt er sich so, als wäre er nicht alleine. Auch wundert es mich warum die Gruppe gerade diesen Weg hierher eingeschlagen hat. Das ganze wirkte wie eine Selbstmordmission. Wie dem auch sei, Emiras wird mit uns kommen. Ich möchte ihm noch einige Fragen stellen, die nach wie vor unbeantwortet sind.
Wir sollten auf der Hut sein. Wir haben ja gesehen wie mächtig der junge Mann ist.“
Emiras konnte das Gespräch bis ins kleinste Detail verfolgen. Dennoch konnte er weder Lippen noch Zunge bewegen. Arej näherte sich ihm. Mit einem gezielten Tritt gegen den Hinterkopf schaltete er Emiras aus.
Arej sprach :,, Wenn du willst, dass er in den drei Monaten in denen wir reisen nicht wieder aufwacht, musst du Hand anlegen. Es ist nicht von meinem Interesse ihn noch einmal kochen zu lassen. Allgemein … was machen wir mit ihm und Juliana, wenn wir sie nicht mehr brauchen.“ Luram schmunzelte kurz. „ Das werden wir dann sehen, wenn es so weit ist. Juliana wird wahrscheinlich außer sich sein, wenn sie hört, dass es für sie möglich ist, Tamyra wieder zu sehen. Sie würde ihr eigenes Leben für Tamyra opfern. Und auch ihren neuen Freund würde sie ohne zu Zögern für sie aufgeben. Falls Juliana das ganze überleben sollte, darf sie sich aussuchen, ob sie lieber mit Tamyra und ihresgleichen sicher in Teleressa, der Hauptstadt aller Magier leben will oder darauf besteht in Azurias wie ein Tier gejagt zu werden.
Genug von der Arbeit, in einer Woche sollten wir eine Taverne erreichen. Der heutige Tag war ein Erfolg! Das gilt es zu feiern.“ Arej nahm den bewusstlosen Körper Emiras und legte ihn auf seine Schulter wie einen Sack Mehl. Anschließend sprach er :,, Mein Freund, ihr behauptet immer, ihr hättet seit Jahrunderten keinen Alkohol mehr zu euch genommen.“ Luram klopfte ihm kameradschaftlich auf die noch freie Schulter:,, Es gab auch seit Jahrhunderten keinen Grund mehr zu feiern ! Komm, mein Freund, wir müssen die Anderen einholen.“ Beide entfernten sich Richtung Süden, tiefer in die Wälder Teregans.
Die Hütte brannte weiterhin. Im Feuer stöhnte der Dämon noch immer immer von Qualen erfüllt. Aus weiter Ferne grübelte ein Mordax darüber, ob er den Dämon befreien sollte oder nicht. Schließlich warf der Wolf eine Münze und überließ es dem Zufall, ob der Dämon seinem Schicksal ausgeliefert sein würde.
Ein leises Klirren erklung, als die Münze auf den Boden des Waldes fiel.