
Diabologue
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Gordon Capra
Diabologue
Das weiche Gefühl des Waldbodens unter den Füßen, die frische Luft, deren Sauerstoffgehalt aus direkter Nähe kommt und das Sonnenlicht, welches durch zahlreiche Äste und Zweige in spektrale Helligkeitsadern gewandelt wird, macht mir den Verzicht auf Alkohol und ähnliche Drogen ziemlich verträglich. Zum ersten Mal, seit ich in diese Gegend gezogen bin, fühle ich mich wieder wie ein wirklicher Mensch. Der Herbst gewährt mir eine für seine Zeit wohlige Wärme und die Farben, die die Natur meinen Augen spendiert, haben eine ungeheuer beruhigende Wirkung auf mich, nach all diesen anstrengenden und mitunter beängstigenden Tagen. Ich lasse mich auf die Wirkung dieser Szenerie ein und gehe einfach weiter.
Selbst der Geruch sich zerlegenden Laubes, der ja immerhin den olfaktorischen Eindruck fortschreitenden Zerfalls vermittelt, legt sich eher schmeichelnd und optimistisch auf meine Schleimhäute und verheißt mir die Gewissheit wiederkehrender Lebensaktivitäten. Unter meinen Schuhen knirscht und knistert es, dass es an diesem Herbstmittag eine reine Freude wäre, wenn die Begleitumstände sich nur anders gestalten würden.
Der Spaziergang in einem Wald ist allgemein ja immer höchst erquickend für Seele und Körper. Genau darauf hoffend habe ich mich zum ersten Mal seit der Scheidung dazu entschieden, einen so ausgedehnten wie auch einsamen Wandergang im für mich bisher unbekannten Gehölz zu unternehmen. Seit der Leistung der Unterschriften haben Hannah und ich nicht mehr viel miteinander gesprochen. Aber im Grunde war dies während unseres gesamten Trennungsjahres praktisch der Fall.
Allgemein bin ich ja ein flammender Anhänger farbenfroher Kleidung, was ja besonders in Zeiten der Kälte führenden Jahrestendenzen und den damit verbundenen Angeboten an Herrenmode ,nicht besonders leicht zu befriedigen ist. Für diesen Ausflug habe ich mich jedoch lieber freiwillig für robuste Kleidung entschieden, welche sich in ihrer Farblaune eher der Waldoptik nähert.
Obwohl ich genau spüren kann, wie gut mir die Ruhe tut, schaffe ich es nicht für mehr als ein paar Sekunden, mal einen klaren Gedanken zu fassen, so sehr ich dies auch versuche. Zu viele Erinnerungsfragmente wirbeln in drastischer Weise hin und her, vor und zurück, als wäre es die einzige Weise, in der sie verarbeitet werden können. Schließlich kämpfe ich nicht mehr dagegen an und lasse sie wirbeln.
Ständig wechselnde Düfte und die wohlige Milde der Waldluft lassen mich aber trotz allem lächeln. Wäre ich ein Kater, würde ich jetzt wahrscheinlich schnurren.
Während ich mich völlig ziellos durch die Menschenleere bewege, verfalle ich immer mehr in eine Art Wachtraum. Irgendwann scheine ich überhaupt nichts mehr zu denken und schreite wie automatisch vor mich hin. Dadurch wird mir zunächst gar nicht klar, dass die Ruhe um mich herum geradezu absolut ist. Kein Vogel, kein Insekt ist zu vernehmen und nicht einmal die verbliebenen Blätter an den Bäumen geraten auch nur in den Hauch einer für einen Menschen wahrnehmbaren Bewegung. Vielleicht ist es nicht einmal Zufall, dass ich nichts davon mitbekomme. Mitzubekommen, wie etwas NICHT geschieht, ist für einen geistig leicht verwirrten Menschen ja auch nicht so einfach.
Erst, als das Rascheln unter meinen Füßen immer leiser wird und schließlich ganz verstummt, werde ich wieder wach, sofern man dass so nennen kann. Ich bleibe stehen und fahre mit meinem linken Schuh durch das Laub unter mir.
Kein Geräusch!
Ich schaue mich um. Verdammt, wo ist der Weg? JETZT werde ich wach. Aber sowas von… Mindestens drei oder vier mal drehe ich mich im Kreis. Okay! Das um mich herum nur Bäume sind, ist für einen Wald ja noch völlig in Ordnung, aber dass besagte Bäume um mich herum stehen, als wären sie nur gewachsen, um mich in diesem Augenblick bedrohlich zu umzingeln, scheint mir momentan leidlich unpassend.
Ich flüchte mich vorübergehend in einen weiteren Gedanken an Hanna, die Kinder und die Scheidung. Es hilft ein wenig. Gandhi hat einmal gesagt, dass unsere Kräche nur daraus entstehen, dass Einer versucht, dem Anderen seine Meinung aufzuzwingen. Irritierenderweise hat derselbe Mensch aber sinngemäß gesagt: Je wehrloser ein Wesen ist, desto größer ist sein Anspruch auf menschlichen Schutz vor menschlicher Grausamkeit.
Wann, bitteschön, ist ein Mann je wehrloser, als gegenüber einer Frau, die mit ihm praktisch machen kann, was sie will, weil er sie liebt?!?
Wo sind die Gandhis dieser Welt eigentlich, wenn man sie braucht?
Der vorübergehende geistige Ausflug in die Ansatzerotik liefert unüberraschender Weise nicht den erwünschten Erfolg. Im Gegenteil! Die Bäume scheinen noch einen Meter weiter an mich herangerückt zu sein. Und zwar aus allen Richtungen!
Da geschieht etwas unerwartetes: Eine Mücke setzt sich auf einen der Baumstämme. Wow! Doch noch ein weiteres mobiles Wesen außer mir in diesem…
FLATSCH!!
Ich will ehrlich bleiben…So richtig wach werde ich im sanften Grunde dadurch, dass ich vor Schreck auf dem Arsch gelandet bin. Die Mücke hat sich gerade breit gemacht! Und zwar unter massiver Zuhilfenahme eines äußerst massiven Baumastes!! Und in diesem Wald weht nicht ein einziger Windhauch!!! Außerdem haben sich die mich umgebenden Bäume mir schon wieder weiter genähert. (Ganz viele Ausrufezeichen). Ich stehe auf. Die Lücken zwischen den Bäumen lassen meinem Körper kaum noch Platz. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch zwänge ich mich durch eine dieser Lücken…Nichts passiert…ich komme durch, problemlos. Ich wende mich der Baumgruppe zu. Sie steht da, wie Bäume halt so da stehen und tun mir sogar den Gefallen, sich im Wind zu wiegen.
Bloß, dass verstörender Weise zur Zeit der Wind fehlt. Meine Beine nehmen wie unter Automatik wieder Fahrt auf. Mit einem Mal ist diese Umgebung mir fremd und unheimlich geworden. Ich schüttel meinen Kopf. Bin ich noch normal? War ich es jemals?!
Wiederhole die Frage in mir: Wo ist der verflixte Weg?
Plötzlich will ich hier nur noch raus!!
Du musst einfach nur den Weg wieder finden. Es fließt ein Bach an ihm entlang. Achte auf das Rauschen. Tolle Idee. Denn noch immer macht das Laub unter meinen Schuhen unheimlicher Weise nicht die geringsten Geräusche. Warum also sollte der Bach das jetzt tun?
`Keine Panik, Stefan! Immer ruhig, du kannst atmen. Es regnet nicht, die Sonne…sie…´
Die Sonne…! Sie ist…na gut…nicht weg…aber nicht mehr zu sehen! Der Himmel war doch gerade noch…DER HIMMEL!
WO IST DER VERMELEDEITE HIMMEL???!!!
Wieder drehe ich mich, wie ein Kreisel. Um mich herum ist alles grauweiß. Ein dichter Nebel. Woher der so schnell gekommen sein könnte, interessiert mein überfordertes Gehirn viel weniger als die Frage, wie ich von hier so schnell wie möglich in die Bude zurück komme, die ich seit wenigen Tagen mein Zuhause nenne und seit dem nicht ansatzweise je so gemocht habe, wie jetzt gerade.
Wieder umzingeln mich Bäume. Naturgemäß ohne jedes Zeichen von Hektik, jedoch mit unzweifelhaftem Nachdruck. Ob die hier alle so wachsen? Der Nebel wird dichter und dieser Spaziergang gewinnt zunehmend eine Fluchtcharakteristik. Scheiße! Ich will hier weg!! In meinen Beinen bewegen sich Fasern, deren Existenz sich mir nur schrittweise eröffnen. Fast schon erleichtert stelle ich fest, dass ich immerhin das Rascheln des Laubes wieder hören kann, wenn ich es bewege. Schneller, schneller…lauf Junge, laufe was du kannst bist du…
Bist du was? In welche Richtung willst du überhaupt? Wo steckst du jetzt? Wieder bleibe ich stehen, weil mir danach ist. Ruhig, ruhig. Orientiere dich. Aber wonach? Selbst die ewig gepriesenen Wetterseiten der Bäume spenden keine Richtung. Entweder sind die Stämme komplett blank oder rundherum bemoost. Und der Nebel wird immer dichter. Ich wusste bislang nicht, wie dicht Nebel werden kann. Wieder bleibe ich stehen, weil mir danach ist. Oder bin ich noch gar nicht wieder gegangen? Ich weiß es nicht mehr. Weiter, weiter…Bäume, die nur zwei Meter von mir entfernt sind, kann ich kaum noch erkennen, wenn sie dünner sind als ich. Mein Atem wird für mich wahrnehmbar und ich spüre mein Herz gegen meinen Brustkorb pochen, als ich mich erneut um meine eigene Achse drehe und die Arme sinken lasse. „Alter, du hast nu´ echt geloost“
Ein letztes Mal versuche ich mich auf Hanna, Jenny und Tom zu fokussieren aber sofort wettert mein Unterbewusstsein dagegen, ich hätte mich gefälligst mit meiner realen Situation konzentriert zu befassen. Recht hat es!
Aber was nützt mir das? Der Nebel hat mittlerweile die konsistente Eigenschaft einer leichten Flüssigkeit angenommen und ist dem entsprechend undurchsichtig. Natürlich dämpft die dichte Wolke, die mich umgibt, alle Laute, die sich nicht im Umkreis weniger Meter befinden. Und langsam beschleicht mich das unheimliche Gefühl, das mich diese Wolke wie ein Wesen, beobachtet! Ich bekomme Angst. Sehr große Angst.
Zum ersten Mal seit etwa zwanzig Minuten stoppe ich nicht, weil mir danach ist, sondern weil ich weitere Geräusche höre. Etwas bewegt sich um mich herum. Schnell, behende, geschmeidig. Es ist nicht zu sehen aber es ist eindeutig da. Da! Schon wieder! Ein Schnüffeln, ein Rauschen, als es die dichten Büsche durchdringt. Was war DAS jetzt? Ein Husten? Ich merke erst in diesen Sekunden, wie die Kälte durch meine Kleidung dringt. Und das ist noch geprahlt. Ich zittere am ganzen Körper und weiß nicht mehr weiter. Darüber belauert mich noch dieses…dieses Etwas! Innerhalb weniger Minuten bin ich von einem entspannten Spaziergang in eine bedrohliche Situation geraten, in der ich nicht mehr weiß, was ich machen soll. Was ist es überhaupt?
Hannah und die Kinder mögen mir verzeihen. Aber ich habe nun eindeutig andere Dinge zu regeln. Meine Haare sind durchnässt und die Finger verlieren allmählich an Gefühlsfähigkeit. Dass sich mein Atem beruhigt, habe ich nicht selbst zu verantworten. Er macht es einfach und ich fasse den Mut, das mich umgebende Wesen direkt anzusprechen:
„Hey! Du!“
In der alten Geschichte, heimischer Tiere, hat meines Wissens noch nie ein Tier auf `Hey Du!´ gehört. Auch in diesem Falle funktioniert es nicht. Jedenfalls nicht auf Anhieb. Nach einer Wiederholung allerdings, regt sich etwas im Busch, als wolle es auf meinen Anspruch reagieren und ich erschrecke darüber. Was ist das denn nun? Ein Wildschwein? Ein…ein Hirsch? Oder vielleicht ein…
Ein bisschen zu plötzlich, um mich völlig entspannt zu lassen, aber auch nicht so vehement, mich völlig zu ängstigen, kommt das Wesen aus dem Nebel auf mich zu und ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ein Weimaraner! Man hat diese Hunde einmal Nebel- oder Geisterhunde genannt. Wegen ihrer Farbe- gewöhnlich silbergrau- und ihres Wesens. Wer, so heißt es, aber jemals das Herz eines Weimaraners gewinnt, hat einen Freund auf Lebenszeit. Ohne jede Aggression oder Scham kommt mir das elegante Tier entgegen und ich fühle mich direkt von ihm beschützt. Das erste, das mir auffällt, als ich vor ihm in die Knie gehe und seinen Kopf liebkose, sind die honigfarbenen Augen und der sanfte Blick, der darin liegt. „Dieser Hund macht alles für dich“, schießt es mir durch den Kopf und dieser Gedanke macht den Nebel schon wieder transparenter. Es tut fast weh, als das liebe Tier sich mir wieder entzieht und ich sofort die Wärme seines Körpers zu missen gezwungen bin. Aber nun tobt dieser Weimaraner ständig um mich herum und lässt mich nicht mehr allein. Er scheint über meine Anwesenheit genauso erfreut zu sein, wie ich über seine.
Unser gemeinsames Schicksal lässt sich herab, uns über diese Umstände eine Weile freuen zu lassen. Immer wieder kommt mein neuer Begleiter zu mir und fordert mich auf, mit ihm durch diesen tollen Nebel zu toben. Verständlicherweise hält meine Begeisterung sich in Grenzen und so beschränke ich mich darauf, hin und wieder irgendwelche Stöcke in irgendwelche Richtungen zu werfen. Der Eindruck, dass der Nebel noch dichter wird, trügt in diesen Sekunden. Es wird schlicht dunkel und mir langsam etwas übel. Kann dieser drahtige Kerl uns nicht irgendwie hier herausholen?
Mr. Draht scheint nicht so recht daran interessiert zu sein. Mit zunehmender Motivation schnellt er um mich herum in der offensichtlichen Auffassung einer ausgewogenen Begeisterungsteilung. Dabei habe ich noch nicht einmal ein Fell, im Gegensatz zu diesem überkandidelten Spinner da. Scheiße, mir wird jetzt echt richtig kalt!
Und die Dunkelheit fällt mit verstärkter Herbstkraft über uns einher. Ob es jetzt echte Tränen sind, die meinen Blick zusätzlich vernebeln, oder nur sich absetzende Nebelnässe, interessiert mich nun nicht einmal mehr.
„Homer!“, höre ich mich rufen. Weil ich nur noch nach Hause will und einen Hang zur englischen Sprache eingeimpft bekam, fällt mir spontan dieser Name für den Hund ein. „Homer!“, wiederhole ich und überraschenderweise reagiert dieser Knabe genau so, wie ich es mir wünsche. Die negativste Erkenntnis, die ich noch daraus ziehen kann, ist die, dass es sich somit nicht um einen Traum handeln dürfte. Denn da funktioniert so etwas meistens nicht. Der Weimaraner kommt zu mir und weicht nicht mehr von meiner Seite. Kumpel Homer!
Noch eine weitere gefühlte Stunde, wahrscheinlich sind es nur Minuten, folge ich Homer, oder Homer mir…ich weiß es nicht. Wir wechseln ständig die Gangrichtung, ohne einen Hinweis auf einen Heimatkurs zu erhalten. Homer hat dabei mächtigen Spaß. Der Meinige dagegen ist nach wie vor auf ziemlich primitive Weise messbar. Meine Kleidung ist ohne Druck komplett durchnässt und ich klappere am ganzen Körper. Wenn du dich an den Standplatz vor der Scheidungsrichterin zurücksehnst, weißt du, wo du angekommen bist. Der Boden ist uneben, weil von Wurzeln, Felsanwärtern und sonst irgendwelchem Zeugs extrem unwegsam gemacht. Wohin haben wir uns verfranzt? Ich weiß nicht mehr weiter…
Glücklicherweise aber weiß es offensichtlich Homer. Als ich schon nicht mehr weiter gehen will, packen mich seine durchaus beeindruckenden Zähne mit einer erstaunlichen Mischung aus Kraft und Feingefühl am Ärmel. Inzwischen gibt es in Hinblick auf die Identität der Tropfen in meinen Augen nur noch wenig Zweifel. Aber immerhin habe ich Homer. Woher auch immer er gekommen sein mag. Er ist bei mir und gibt mir Hoffnung und Wärme. Außerdem scheint er mich trotz Allem irgendwohin zu führen. Die nun nicht mehr zu leugnende Dunkelheit gibt meinen Augen letztlich die Gelegenheit, den Kontrast zwischen Licht und Schatten zu erkennen. Ich sehe Licht.
Es sind nicht die Lichter der Stadt, in der ich nun lebe. Es sind auch nicht Lichter eines anderen Ortes. Es sind kleine, fahle Lichter. Wie von Glühlampen oder noch etwas vorsintflutlicherem. Aber es sind Lichter. An dieser Situation gemessen, so etwas wie die Entdeckung der Glühlampe an sich. Sie strahlen Geselligkeit und Wärme aus. Eine behagliche Zuflucht.
„Homer“, höre ich mich schlotternd artikulieren. „…du hast einen guten…guten…(Schnatter!)…job gemacht mein Bester. Ich denke wir beide werden…“
Der Satz bleibt mir im Halse stecken, als wir uns den Lichtern soweit genähert haben, dass die Umrisse des dazu gehörigen Gebäudes im Restlicht der Herbstdämmerung sichtbar werden. Auf eine geradezu verstörende Weise kommt mir dieses spartanische Gebäude äußerst vertraut vor. Und ich brauche nur einige bebende Sekunden um zu begreifen, dass ich es hier mit einer Hütte zu tun habe, die mir im wahrsten Sinne des Wortes unheimlich bekannt vorkommt. Spinne ich denn jetzt völlig?
Jeder Versuch, an Hannah und die Kinder zu denken, scheitert am Frontbild. Aber Homer scheint es für eine gute Idee zu halten, an der Tür zu klopfen und allein meine thermischen Meldefunktionen bilden eine nachhaltige Homer-Fan-Gemeinschaft. Also klopfe ich, nachdem wir beide die breite, überdachte Veranda betreten haben, an die massive Eichenholztür und es scheint sofort durch die ganze Hütte zu schallen. Was eben noch wie Ruhe wirkte, entpuppt sich nun als trügerisch, da die vermeintliche Ruhe noch ruhiger wird, wie auch immer dies geschehen mag. Unheimlich genug ist es ohnehin. Darin sehe ich auch bei Homer keinen Widerspruch. Eng drückt er seinen Kopf an meinen Oberschenkel, als die Tür sich öffnet und sich ein amberfarbener Lichtkeil über Homer und mir breit macht. Ein schmaler Balken aus angenehmer Helligkeit, der sich in jene Mischung aus Dunkelheit und luftleichten Wassertröpfchen hinter uns bohrt…und an dessen breitester Stirnseite allerdings ein bärtiger Mann mit einem altertümlichen Tonband in der Hand steht.
Dieser Anblick lässt wohl sowohl bei mir, als auch dem Hund eine nicht unerhebliche Skepsis aufkommen. Ich möchte im Moment nicht darüber sprechen, ich möchte einfach nur Trockenheit und Wärme. Ein Bedürfnis, dass mich wohl auch ein wenig unvorsichtig werden lässt.
„Ihr wollt hier nicht rein!“, bestätigt der Mund zwischen den ungepflegen Gesichtshaaren knurrend meinen innerlichen Einwand. Homer sieht dies ganz anders und hat die Hütte bereits betreten. Eine Frau, die plötzlich hinter dem Bartknurrer auftaucht, versteht es auf vorzügliche Weise, meine Zweifel ebenfalls zu zerstreuen. Im krassen Gegensatz zu den meisten Frauen, denen ja auf die eine oder andere Weise wenigstens eine Art typisch, weibliche Restattraktivität anhaftet, schafft dieses durchaus noch humanoide Wesen es allerdings nicht wirklich. Im Gegenteil: Die wirren, grauen Haare die mit der fast farbgleichen Wolljacke fast verschmolzen zu sein scheinen, werden von den milchig, annähernd komplett weißen Augen in ihrem Gesicht abgelenkt. Auch ihre Körperhaltung ist selbst für eine Greisin irgendwie völlig grotesk. Nun taucht auch eine dritte Person auf, die die Tür noch ein wenig weiter öffnet und Homer einen offensichtlich ausreichenden Argumentationskatalog für eine Rückkehr auf die Veranda zu liefern sich erlaubt. Aber sie, die Milchäugige, deutet einfach nur auf die Waldfläche hinter mir und Homer, und macht damit klar, dass eine Umentscheidung selbst für den Hund zu spät kommt.
Eine Drehung um unsere Z- Achse reicht, um fast das Gefühl zu haben, die Hütte würde in einer Art freiem Nebel schweben. Um uns herum nur noch dieser Nebel, der jetzt auch noch einen merkwürdigen Geruch angenommen hat. Muffig. Irgendwie mehr, wie Dampf, So was wie Waschküche á la Gebeinhaus. Homer und ich drängen einander noch enger an. Noch nie habe ich die Körperwärme eines Hundes derart zu schätzen gewusst und der Umstand, dass die weiter geöffnete Tür der Hütte bei einer weiteren Drehung noch den Blick auf eine Bodenluke freigegeben hat, die sich auf rätselhafte Weise immer wieder hebt und senkt, verleiht einem den Gedanken, dass es nicht nur Hotels mit Sternen, sonder auch solche, mit schwarzen Löchern gibt. Dies hier hat mindestens vier davon…okay…mit der Frau fünf.
Der Mann wirft kurzerhand das Tonbandgerät über den Holzrand der Veranda hinter uns und es verschwindet einfach in der nebligen Dunkelheit ohne auch nur das Geräusch der sturzbedingten Luftreibung in unseren Gehören zu hinterlassen.
Sechs!
Homer jault und das lässt keineswegs nach, als die bisherigen Bewohner der Hütte nach und nach beiseite treten um uns auf denkbar makabre Weise willkommen zu heißen.
Sieben!
Da öffnet sich die Bodenluke im Wohnzimmer der Hütte und das Tonbandgerät wird schlitternd zurück auf den Holzboden geworfen. Es ist völlig unversehrt, was sich als Bezeichnung für den Zustand meiner Gemütsverfassung aber so gar nicht eignet.
Zwölf…mindestens!!!
Die Hütte gerät in Bewegung und die Veranda scheint instabil zu werden. Erst jetzt wird mir klar, dass Homer und ich inzwischen einander umschlingen. Als aber die ersten Bohlen nach unten ins Dunkle, Endlose fallen, bleibt uns Beiden nichts anderes übrig. Schlotternd und nicht einmal wissend, warum am meisten, zerren wir uns gegenseitig in das Innere von Hotel Horror. Und mit einem Mal weiß ich auch, warum mir dieses eichenhölzerne Vorkriegsmonument so vertraut vorkommt:
Es hat eine frappante Ähnlichkeit mit der Hütte aus `The Evil Dead´ . Dumm nur, dass mich diese Erkenntnis nicht im Geringsten zu beruhigen weiß. Ich will hier einfach wieder nur weg und Homer auch. Aber ein kurzer Rundumblick sagt uns Beiden, dass wir hier so schnell nicht wieder wegkommen. Wenn denn überhaupt!
*
Mit Sicherheit ist es nicht der koffeeinhaltige Inhalt, der mich den hingehaltenen Becher in tiefempfundenener Dankbarkeit entgegennehmen lässt. Denn ein Aufputschmittel ist in meiner gegenwärtigen Stimmungslage so ungefähr das Letzte, was ich brauche. Aber der warme Becher selbst wirkt in meinen Händen ungemein beruhigend. Trotzdem nippe ich verhalten an der schwarzen Brühe, ohne jedoch meine Umgebung auch nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen. Homer hat nur eine Schüssel mit Wasser vor sich. Auf vierbeinige Besucher war man hier wohl nicht vorbereitet. Aber auch er nimmt die Gabe mit Begeisterung an. Jedoch auch der Hund beäugt, während er schlabbert, die Szenerie um sich ununterbrochen. Immerhin beschert dies uns Beiden einen recht schnellen Überblick und ich glaube, wir Zwei beginnen langsam, unsere Atemfrequenz zu normalisieren. Schon vor Minuten hat der Ältere der Bewohner damit angefangen, in ruhigem Ton und langsamen Worten irgendwelchen unbedeutenden Kram zu sprechen, um uns die größte Angst zu nehmen. Doch wohl bleibt sie bei Homer und mir im Gepäck. Womöglich auch nicht ganz zu Unrecht.
Die milchäugige Frau steht direkt vor mir und sieht mich an. Erschreckender Weise erschreckt sie mich nicht mehr annähernd so, wie noch vor Minuten. Ihre Haltung ist gar nicht mehr so grotesk und gerade erklärte sie mir, dass der Zustand ihrer Augen die Folge einer besonders schweren Art des grauen Stars sei.
Das Innere der Hütte selbst ist eigentlich echt gemütlich. Das Licht ist zwar sehr gedämpft aber dadurch wirken die Flammen im Kamin und die, der Kerzen überhaupt erst richtig, fast schon vorweihnachtlich. In einem deutlich schlechter beleuchteten Hintergrund rumort der jüngere Mann, den wir an der Tür nur kurz sahen und somit sein Aussehen noch nicht kennen. Er stellt sich Sekunden später als Alex vor. Ein junger Russe, der fast akzentfrei deutsch spricht und dessen Gesicht die energische Information ausstrahlt, dass es die bessere Idee ist, ihn zum Freund zu haben. Als es von der Unterseite der Bodenluke her einen wuchtigen Schlag gibt, lasse ich fast meinen Becher fallen und schleudere in einem Schwung herum, der mich von den Füßen holt. Alex aber, ist inzwischen direkt bei mir und stützt mich, so dass ich nicht stürze. Ich bewundere die Gelassenheit, mit der dieser Kerl zur Luke sieht, als wolle er sie lediglich kontrollieren. Sein Gesicht zeigt keine Spur von Furcht, als er sagt: „Er hat ein paar Schrauben gelockert. Wir müssen nachsichern.“
Homer steht direkt hinter den Scharnieren der Luke, hat seine Nackenhaare aufgerichtet und knurrt das Holz an. Der alte Mann hat irgendwie plötzlich eine Axt in der Hand und die Alte ein Messer, dass mit der Bezeichnung gerade noch an einem Schwert vorbei kommt. Alex hat sich einen Schrauber geschnappt und befestigt die am Boden liegende Kette, welche die Luke fixiert, mit erstaunlicher Behändigkeit unter Zuhilfenahme weiterer Beschläge zusätzlich am Eichenboden. Wie ein Wiesel bewegt er sich auf den unter ihm bebenden Brettern und auch der knurrende Hund beeindruckt ihn dabei wenig bis gar nicht.
„So“, sagt er schließlich und sieht dabei eher ärgerlich als ängstlich aus. „Das sollte erst mal wieder halten. Der Teufel bleibt da unten!“
Die sich nun darstellende Szene sieht ungefähr so aus: Axtmann und Messerfrau stehen an der Öffnungsseite der Luke und harren…was auch immer. Alex legt den Schrauber auf den Kaminsims, als hätte er gerade eine Kinderbank repariert, Ich scheiße mir fast in die Hosen und Homer sieht infolge völligen Hosenmangels bei einem ähnlichem Unterfangen kein Hindernis für seine Auswürfe. Um uns herum das flackernde Licht der Flammenbeleuchtung, welche durch die spärliche Lichtleistung der gnadenlos veralteten E-Lampen kaum nennenswerte Unterstützung findet. Die Atemstöße Aller sind zu hören…und werden noch lauter…!, als sich die Luke für nur eine Sekunde einen Spalt weit öffnet und zwei helle, bedrohlich leuchtende Ellipsen genau lange genug sichtbar werden, um mich dicht an den Anschluss Homers letzter Aktion zu bringen. Ich wage kaum zu fragen. Aber der Alte sieht die Zeit der Erklärung wohl ohnehin für gekommen. Alex hat sich abgewendet und verschwindet in einer Art Küche. Entweder hat dieser Mann Nerven aus russischem Edelstahl, oder gar keine.
„Wir sind…“, beginnt der Alte mit rauher Stimme, „…eine Gruppe von freien Wissenschaftlern.“
Noch immer starre ich auf die Luke, die sich längst wieder geschlossen hat, wenn auch zu langsam um mich vor der Erkenntnis zu schützen, dass ich auf einem Albtraum stehe. Ich höre mich fast schon mechanisch und tonlos fragen: „Was meinst du mit…frei?!“
Wieder rummst es gegen die Luke aber Alex stellt sich einfach drauf und sieht nach unten, als würde ihm da unten jemand noch etwas schulden…oder er ihm und es ihm am liebsten sofort zurück geben wollen.
Die Axt in der Hand des Alten deutet auf das Tonbandgerät, das noch immer auf dem Boden liegt. „Ich weiß nicht, warum er es uns immer wieder zurückgibt, aber es scheint seinen Grund zu haben. Passt darauf auf!“
Der einzige, der ihm zugehört zu haben scheint ist Homer. Allerdings bewegt er sich überaus unbeeindruckt auf einen alten Bodenläufer zu, um es sich darauf bequem zu machen. Sein Kopf legt sich langsam, für einen Hund sehr langsam auf seine Vorderpfoten und wieder und wieder gehen seine Blicke zwischen Bodenluke und Eingangstür hin und her. Was gäbe ich jetzt, für nur einen konkreten Gedanken dieses Gefährten!
Gehetzt sehe ich mich um. Ich habe eine Scheißangst und nicht das Gefühl, dass mir irgendjemand hier helfen könnte. Nicht einmal Homer. Der Alte steht noch immer da und wartet wohl darauf, seine Erklärung fortsetzen zu können, die Frau hat sich an eine Zwischenwand zurückgezogen und das Messer abgelegt. Homer hat sich beruhigt, bleibt aber wachsam und seine Nasenflügel als auch seine Ohren scheinen ständige Fühlung mit dem Boden zu behalten. Oder besser…mit dem, was darunter ist.
Womit wir meiner Meinung nach beim Thema wären…
Alex zieht sich eine Weste über, die zu der Arbeitshose passt, die mir erst jetzt richtig auffällt. Diese Geste wirkt zunächst nebensächlich aber sie zieht meine Aufmerksamkeit auf ihn und vielleicht fühlt er sich darum aufgefordert, die Erklärung fortzusetzen.
„Wir arbeiten ohne Auftrag…“, erklärt er ruhig. „…und bekommen nichts bezahlt für das, was wir hier tun.“ Sein Blick geht zum Axtmann. „Georg hier hat vor einiger Zeit einen Hinweis auf diese Hütte bekommen. Für arbeitslose Archäologen wie uns eine seltene Gelegenheit, vielleicht einmal etwas Geld zu verdienen. Das ist ungefähr drei Wochen her, war also wohl noch im Juni. Wir hatten ja keine Ahnung von dem, was uns hier erwarten würde.“ Alex geht um die Hinterlassenschaft Homers, deren Duft nun auch langsam die Luft erfüllt, herum und greift nach einer Schaufel am Boden. Kaum hat er das getan, schießt eine graue Kralle durch eine offensichtliche Schwachstelle der Eichenholzschicht und ein gedämpftes Triumphkreischen ertönt gänsehauterzeugend von unten durch den Boden, als sie Alex´ Handgelenk ergreift und versucht, ihn näher an ein ekelerregendes, rauhes Hecheln zu ziehen. In weniger als einer Sekunde ist alles in heller Aufregung, was natürlich Homer und mich nicht ausschließt. Das heißt: Ich stehe eigentlich nur erstarrt da, während Homer zu Alex eilt, der, in diesen Augenblicken zum ersten Mal einen vergleichsweise fassungslosen Eindruck macht, als er sich von der Klaue zu befreien versucht. Die hässliche graue Hand jedoch hält ihn fest, bis Homer heran ist, und herzhaft hineinbeißt. Was auch immer sich da unten verbergen mag, auch ES ist gegen die Gebissmiliz eines Weimaraners nicht allmächtig. Die gruselige Tatze lässt los und Alex ist frei. Als sei es schon fast typisch für den Russen, bekommt er, nachdem die Tatze wieder im Boden versunken ist, seine Atmung sofort wieder in den Griff und- ich kann es nach dieser Szene kaum glauben- beginnt, mit der Schaufel, die er erstaunlicherweise noch immer in der Hand hält, Homers Kot vom Boden zu kratzen. Dabei wirft er dem Hund einen schon fast liebevollen Blick zu. So möchte ich später auch mal gepflegt werden, sofern den ein Später zu erwarten ist.
Zwei Minuten darauf wäre ich endgültig von einem bösen Traum überzeugt gewesen, wenn sich meine Übelkeit nicht so fürchterlich realistisch anfühlen würde. Ich versuche, mich mit der Frage zu beruhigen, wie sich wohl ein Hund fühlen muss, der gerade in so etwas ekliges, wie diese Klaue gebissen hat.
Funktioniert wie Hölle!
*
Eine gefühlte halbe Stunde später: Drei Menschen und ein Hund bewegen sich mehr oder weniger lethargisch durch einen Nebel aus Staub, der die gesamte Luft erfüllt, sofern er nicht gerade durch Flammen verbrannt wird, die sich direkt unter ihm befinden. Wäre ich nicht längst bis zur Wahnsinnsnähe verwirrt, hätte mir längst auffallen müssen, dass das Holz im Kamin noch nicht um einen Deut weniger geworden ist. Auch die Kerzen sind noch nicht verkürzt. Aber Angst und Verwirrung in meinem verstörten Hirn lassen in mir eher den Wunsch nach totaler Nichtwahrnehmung aufkeimen. Immerhin erfüllt sich einer meiner Wünsche: Es bleibt zunächst ruhig. Ich bekomme zum ersten Mal seit Langem wieder die Gelegenheit, mich ein wenig umzusehen. Da entdecke ich eine Zeitung auf einem kleinen Teewagen. Meine ungeteilte Aufmerksamkeit bekommt sie aber erst, als ich auf einem schwarz/weiß Foto meine Archäologenmannschaft erkenne, die vor dem Hintergrund irgendwelcher Ruinen in die Kamera lächelt. Auch Alex ist in zweiter Reihe zu sehen und sogar er lächelt. Ein seltenes Bild für meine Augen.
Ich werde abgelenkt, als der Alte, wie ich gerade las, Georg Lang, seine Stimme in meine Richtung schickt.
„Nun hast du also einen Teil dessen gesehen, was wohl das Resultat des größten Fehlers unseres Lebens bedeuten dürfte. Wir wünschten, es hätte euch beide…“, wie auf Kommando kommt Homer herbei und schmiegt sich an mich. „…nicht mit hineingezogen“, schließt Georg.
An seiner Stelle spricht Alex weiter. Das heißt, eigentlich beginnt er die Story noch einmal aus seiner Sicht von vorn. Mir ist in meinem Zustand inzwischen alles recht. Momentan habe ich sogar das Gefühl, irgendeine unbekannte Krankheit auszubrüten. Folglich bin ich für jede Ablenkung dankbar.
„Etwa ein Jahr vor Erscheinen jener Zeitung…“, sagt Alex und sieht mich genau an. „…schlossen wir einen Forschungsauftrag ab. Einen der wenigen, die wir je bekamen. Die Professoren hier und ich…“, er zeigt auf die Zwei Anderen. „…fanden in einem alten Ruinendorf den Hinweis auf diese Hütte hier.“ Alex dreht sich herum und schnauft bitter. „Wären wir diesem Tipp bloß nie nach gegangen.“
„Wir sind es aber nun mal Alex“, erwidert die Frau und sieht mich undankbarer Weise wieder mit ihren milchigen Augen an. Es durchfährt mich erneut am ganzen Körper und ich fühle mich noch unbehaglicher. „Anna!“, sagt sie schließlich, „Ich heiße Anna.“
Besser…viel besser! Am Arsch!! Was für eine Scheißsituation.
Aber zur Zeit sind wir ja noch bei Alex´ Schilderung. Georg sieht Alex schweigend an, also macht der junge Russe weiter: „Wir brauchten den gesamten Frühling, diese Hütte hier zu finden. Schließlich haben wir sie gefunden…“, er bückt sich und hebt endlich das alte Tonbandgerät auf. „…und das hier!!“ Mit seinen letzten Worten feuert er das Gerät auf den Teewagen und verdeckt somit die Zeitung darauf. Der Teewagen scheppert gequält und rollt einige Meter durch die Hütte.
„Alex!“, ruft Georg. „Sei doch vorsichtig. Vielleicht enthält das alte Tonband noch wichtige Hinweise!“
„Worauf und wie?!?“, bellt Alex. „Dieser Teufel da unten hat doch das Kabel!“ Alex erkennt, wie erschrocken ich über seine heftige Reaktion bin und seine Stimme wird sofort wieder ruhiger. „Als wir damals hier ankamen“, erklärt er mir „…fanden wir nach einiger Zeit im Keller der Hütte einige…einige…Gegenstände, die sehr merkwürdig waren. Keiner konnte auch nur vermuten, woher sie stammen könnten. Da waren verschiedene Arten von Waffen, die aber mehr wie rituelle Artefakte wirkten, als wie Kampfinstrumente. Schriften, die keiner von uns entziffern konnte, fanden wir ebenfalls. Wir glaubten, einer völlig neuen Kultur auf die Spur gekommen zu sein. Als ich eigentlich nur nach Kleinkram…Münzen, Schmuckstücke oder so, suchen wollte, fand mein Metalldetektor eine kleine Kiste im Lehmboden des Kellers. Neugierig, wie ich war, musste ich das Drecksding natürlich ausgraben…“, seine Stimme klingt schuldbewusst als er fortfährt. „…und damit diesen…diesen bösen Geist entfesseln.“
Alex´ Kopf sackt ein wenig nach unten. Natürlich nur so weit, wie sein russischer Stolz es zulässt. Das Ausmaß meiner Verwirrung erreicht unerwartete Werte.
„Hör´ auf, dir deswegen Vorwürfe zu machen Alex“, sagt Anna mit ruhigem, aber energischem Ton. „ Wir sind noch immer Archäologen und keiner von uns konnte ahnen, was da auf diesem Tonband war. Aber vielleicht befindet sich genau darauf ja auch die Medizin. Wir haben nur noch keinerlei Hinweise darauf finden können.“
„Und die werden wir auch nicht mehr finden“, brummt Alex. „Wir können hier nicht weg. Schon vergessen? Und diese Brut da unten wartet doch nur darauf, dass wir einen Fehler machen.“ Alexander ist sehr resigniert als er hinzufügt: „Dabei wissen wir noch nicht einmal, was ein Fehler sein könnte! Einer besteht zum Beispiel darin, dass wir uns hierher begeben haben. Aber nichts und niemand hätte uns warnen können!!“ Jetzt senkt Alex den Kopf. „Und nun sind wir hier gefangen.“ Er hebt den Kopf wieder. „…und erleben wieder und wieder die selbe Nacht…wir alle!“,…und sieht mich an. Der Kloß der mir im Halse stecken zu bleiben gedenkt, erfährt eine kategorische Abfuhr von jenem, der sich bereits darin befindet. Homer leckt mir hilflos die eiskalte, zitternde Hand und mein Kopf zuckt herum. Doch der Blick aus dem Fenster neben mir vermittelt nichts weiter als den üblichen Eindruck, dass unsere Hütte durch ein nebliges Nichts schwebt. Und in der Hütte nur wir und dieses…
„Was ist das da unten für ein Ding?“, höre ich mich fragen. Habe ich mich gerade angehört, als würde ich weinen? Es ist mir fast egal. Alex scheint von alledem noch am wenigsten beeindruckt zu sein. „Eine Art Dämon“, antwortet er trocken. „Irgend ein böser Geist, den wir entfesselten, als wir diese verdammten Beschwörungen auf dem Tonband abspielten. Das war unten im Keller und nur knapp bevor uns dieses Monster erwischen konnte, waren Georg und ich mit dem Gerät da wieder oben. Aber der Dämon bekam noch das Kabel zu fassen und riss es ab. Seit dem liebt er es wohl, uns zu quälen indem er uns das Tonband immer wieder zurück gibt. Egal, wohin wir es entfernen wollen. Er holt alles, was er will aus dem Nichts wieder zurück und feuert es hier auf den Boden. Genauso unsere Zeitung. Er lässt sie nicht einmal verbrennen. Alles, was hier brennt, brennt praktisch ewig und macht somit unsere Pein unendlich.“
Ich wage kaum weiter zuzuhören, muss aber zwangsläufig damit weiter machen als Alex hinzufügt: „Und das nun schon seit Jahren.“
Mit einer Mischung aus Entsetzen und Apathie schaue ich mich um. Selbst Annas Milchaugen wirken plötzlich nicht mehr im Geringsten gruselig. Nur noch traurig. Gefangen? Für immer? Was für eine Scheiße passiert hier eigentlich? Ich wollte nichts weiter machen, als einen verdammten Spaziergang! Bin ich nun echt hier, oder nur irgendwie in´n falschen Bus gestiegen? Ich könnte kaum so viel fressen, wie ich kotzen möchte. Vielmehr: Im Moment könnte ich gar nichts essen.
„Was zur Hölle ist das denn hier!?!?“, höre ich mich schreien. „Was zur Hölle ist dies für eine Hütte? Ich will…“ Direkt unter mir bebt der Boden. Die Kreatur befindet sich direkt unter meinen Füßen und wummert von unten gegen die Dielen. „Alex, was ist das hier? Ich will hier wieder weg!“
„Das wollen wir alle mein Freund“, antwortet Georg nun. „Und das schon seit fast fünfzig Jahren.“
Ich starre Georg an und zu meinen Füßen jault Homer erneut. Mit zitternden Händen wende ich mich dem Teewagen zu, der durch Alex´ letzte Aktion direkt neben mir steht, und nehme das kabellose Tonbandgerät an mich. Dadurch wird der Blick auf die alte Zeitung mit den Konterfeis meiner neuen Freunde wieder sichtbar…und das Datum ihres Erscheinens! Als Alex vorhin vom Juni sprach, der nur wenige Wochen her war, hatte tief in mir schon irgend etwas geklingelt. Jetzt folgt der Donner! Die Zeitung stammt aus dem Jahr 1969! Da war ich vier Jahre alt.
„Leute, was ist das hier?“, höre ich mich fast tonlos fragen. Alex tritt direkt vor mich um mich mit seinem melancholischen Blick zu mustern. Mir geht so ganz langsam auf, dass dieser Jüngling vor mir normalerweise jetzt im Rentenalter sein müsste, wage aber noch nicht, es auszusprechen. „Was ist das hier?“, wiederhole ich statt dessen.
„Die ganze Hütte…“, erklärt Alex leise „…ist eine Art Wesen. Ein Wesen, das wir mit diesem Tonband wieder erweckt haben.“ Er zeigt auf das Bild unter der Schlagzeile der Zeitung, auf dem noch einige Personen mehr zu sehen sind und mir stockt der Atem. Direkt neben Alex bin…ICH zu sehen!
„Alex!…Alex!…Was für eine…eine…ich meine…Wesen?! Was für ein…ein Wesen? Bitte Alex sage mir, was wir hier tun?“
„Wir befinden uns im Inneren dieses Wesens. Wir sind darin gefangen. Wir sind sowas wie…“
„Seine Organe!?!“, versuche ich zu vervollständigen.
„Oh nein“, kommt die Antwort von Georg. „Das Organ ist im Keller unter uns. Wir, mein bedauernswerter Freund…sind das Futter…!“
*
„Herrn Kretschmar? Ne, den hab´ ich schon den ganzen Tag nicht gesehen.“ Diese Antwort nimmt Hannah, die Ex- Kretschmer in spe nun zum dritten Mal entgegen. Seit etwa einer Viertelstunde klingelt sie verzweifelt in der Nachbarschaft umher um mit ihrem Fast-Exmann zu sprechen. In zwei Tagen wird die Scheidung rechtskräftig und sie braucht nun noch Stefans Unterschrift auf diesem Papier. „Ich verstehe das nicht“, sagt sie zu der Nachbarin, die sie gerade befragt hat. „Er war ja nicht immer einfach, aber das, mit den Papieren hat er eigentlich immer sehr ernst genommen. Wo mag er nur sein?“
Die Nachbarin, deren Haushaltskittel nur aus verwaschenen Geweberesten und dem Geruch mehrerer Saisonschichten ehrlich erarbeiteten Generationen Hausfrauenschweißes zu bestehen scheint, zuckt hilflos die Schultern. „Ganz ehrlich, sonst war von ihm ja immer was zu hör´n oder zu seh´n. Wenna nicht gerade durch das Treppenhaus ging, war ja wenigstens immer seine Rockmusik an. Die klang ja immer durch das ganze Haus. Keine Ahnung.“
„Vielen Dank“, entgegnet Hannah, um sich einen Grund dafür zu beschaffen, sich aus der Wolke ehrlichen Hausfrauenduftes herausdrehen zu können. Resigniert steckt sie das Couvert in ihrer Hand wieder in ihre Handtasche. „Na ja!“, meint sie dann nur noch im Gehen. „Er ist ja jetzt praktisch wieder ein freier Mann. Wer weiß, wo er sich gerade vergnügt?“
*
Nach der letzten Erklärung Georgs bin ich vor lauter Vergnügen an der Wand hinter meinem Rücken entlang in die Knie gesackt und habe mein Gesicht auf dieselben gelegt. Homer kommt sofort zu mir und lässt mich einmal mehr Teil seines Zärtlichkeitsbedürfnisses werden. Der Hund scheint zu merken, dass ich ohne seine körperliche Zuwendung Gefahr laufe, dem Wahnsinn anheim zu fallen.
Während ich Homers Kopf streichle, fällt mein Blick auf das Kaminfeuer, dass jetzt plötzlich gar nicht mehr so gemütlich wirkt, in seiner offensichtlich magischen Künstlichkeit. „Was können wir nur tun?“, frage ich, obwohl ich nicht wirklich mit einer erbauenden Antwort rechne. Alex wagt dennoch einen Versuch in diese Richtung. „Als wir das Tonband abhörten und damit dieses Horrorwesen weckten, hatten wir den Eindruck, dass auf dem Rest des Bandes vielleicht auch die Lösung für die Probleme sein könnten, die wir uns gemacht haben. Aber dieses Gerät, wie du ja jetzt weißt, als auch wir, stammen aus einer Zeit, in der diese Dinger keine Akkus hatten. Wie gesagt, wir haben nur dieses Band und unsere Köpfe. Aber seit wir hier sind, haben uns beide ihre Hilfe versagt. Wir sind permanent damit beschäftigt, diesen Dämonen davon abzuhalten, uns in den Keller zu ziehen.“ Alex lächelt mich mit seinem, mittlerweile schon fast vertrautem, schiefen Lächeln an. „Ich fühle mich als Dämonenfutter nicht geeignet. Aber solange dieser Teufel da unten seine Ziele nicht erreicht, sind wir Gefangene dieser Hütte und ihres unheiligen Dieners.“
„Was sind denn seine Ziele?“ Ich sehe mich ein wenig um, als hätte nicht ich gerade diese Frage gestellt, sondern jemand anders. Aber niemand antwortet. Georg, Anna und Alex können sich wahrscheinlich denken, dass ich zumindest eine Ahnung dieser Antwort bereits in meinem Kopf habe. Dabei ist es gar nicht so interessant, ob dieser Dämon nun die Weltherrschaft oder so was anstrebt. Viel wichtiger ist, was diese Ziele für uns in der Praxis bedeuten. Und das liegt auf der Hand und so drückt es Alexander auch aus: „Er will uns fressen, uns absorbieren. Es liegt in seiner Natur, uns zu einem Teil seiner bösen Welt zu machen.“
In meiner Verzweiflung sehe ich zufällig zur milchäugigen Anna hinüber und in Verbindung mit einem anderen Gedanken muss ich plötzlich lächeln.
„Schön zu sehen…“, meint Anna. „…wie jemand in so einer Situation noch lächeln kann Stefan.“
„Ich fürchte, du hast mich falsch verstanden“, antworte ich mit einer plötzlichen Heiterkeit, wie sie unangemessener nicht sein könnte. „Aber ich musste eben daran denken, dass sich meine…also meine Exfrau im Moment vorstellt, wie ich mich mit einer glutäugigen Schönheit vergnüge. Dann fiel mein Blick auf deine weißen Augen. Das fand ich irgendwie…“, Mein Zwerchfell lässt meine Atemwege zucken und ohne es zu wollen, oder vielleicht gerade deswegen, fange ich zu lachen an. Ich lache, zunächst nur verhalten. Aber ich merke, dass sich die Gesichter der Anderen keineswegs verdüstern. Der Gag scheint zu sitzen. Alex´ sonst, wenn auch selten unfreundlich, aber doch eher ernstes Gesicht heitert sich auf. Als ausgerechnet Anna sich in für ihre Person völlig unpassender Körperhaltung präsentiert und bewusst gekünstelt säuselt: „Hallo Süßer, hier ist dein Glutauge…!“, ist das Eis endgültig getaut. In genau diesem Moment macht auch noch Homer aus seinem Übermut heraus eine ungeschickte Showeinlage, die in diesem Moment aber so komisch wirkt, dass die Stimmung von einem Moment zum Anderen geradezu überschäumt. Wir müssen lachen, dass uns dir Tränen in Strömen die Wangen herunterrollen und als Anna vor lauter Lachen zu stürzen droht, bin ich irgendwie bei ihr und halte sie fest. Was jetzt hier genau passiert, ist keinem von uns klar. Vielleicht verlieren wir hier allesamt gerade den Verstand. Mir ist das alles egal. Ich halte seit Langem mal wieder einen Menschen im Arm, weil ich es will und danach noch einen Hund und dann noch einmal Georg!
Gnädig lange dauert es, unsere emotionalen Erektionen abklingen zu lassen. Dann aber fällt uns auf, dass mal wieder unsere Aufmerksamkeit in Person seine Konzentration auf den Boden ausrichtet und uns nun in unserer Heiterkeit mit einer einfach gehobenen Hand bremst.
„Hast du was gehört Alex?“, will Anna wissen. An einer ihrer weißen Augen ist noch eine Lachträne zu sehen, die sie aber im selben Moment abwischt.
„Nein, nichts“, antwortet Alex aber nur, um hinzuzufügen: „Ungewöhnlich oder?“
Angesichts der nun wirklich ernsthaften Lage, sind Homer und ich noch damit beschäftigt, die letzten Zwerchfellzuckungen zu überspielen. Langsam…sehr langsam fangen wir alle nacheinander an, Alex´ horchendem Beispiel zu folgen. Die ganze Zeit über hat unter uns immer irgendwas rumort, geraschelt oder schlicht gelästert. Oder aber dieser Zottelzombie hat uns durch Unterschläge wie Erdbeben zu Tode erschreckt. Zu Tode…! Haha!
Dem Beispiel des wackeren Russen folgend, kann augenscheinlich selbst Homer mit seinen hochsensiblen Wahrnehmungssystemen gerade so viel registrieren, wie notwendig ist, die nächste Nahrungsquelle aufzutun. Eine ziemlich sichere Garantie auf nicht vorhandene Verdächtigkeiten, die ja die Aufmerksamkeit von Hunden grundsätzlich schnell in Beschlag nehmen. Aber nichts unter uns ist im Moment für ihn interessant… Interessant!
Da Messung von Zeit in diesem Ambiente wohl ungefähr so viel Sinn ergibt, wie ganze Pfefferkörner in einen Streuer zu tun, muss ich versuchen, den Kopf einfach wieder klar zu bekommen. Aber wie?! Mein Blick geht zu Boden. Genug Lücken, durch die man theoretisch in den Keller sehen könnte, gibt es ja. Aber die Dunkelheit lässt diese Kreatur sein, wo sie will, ohne , dass wir es mitbekommen.
Anna kommt mit ihrem Milchblick auf mich zu und wieder wird mir mulmig. Aber trotz der Augen wirkt ihr Lächeln ehrlich und warm. Fast tut sie mir leid. Außerdem hätte Homer sie mit seinem Spürsinn wahrscheinlich längst entlarvt, wäre sie tatsächlich ein…
„Deadite!“, liest Anna meine Gedanken. „Diese Wesen aus der Dämonenwelt nennt man so. Es sind Deadites.“ Sie setzt sich direkt neben mich und ihr bloßes Durchatmen lässt mich zugleich schaudern, als auch beruhigen. Mit einem Angriff von Seiten dieser bedauernswerten Frau habe ich wohl nicht zu rechnen. Sie versucht, den Blickkontakt mit mir zu vermeiden, so weit es geht. Unter uns fängt der Horrorkerl wieder an, Geräusche zu machen. Arschloch, das! „Mein Anblick ist für dich wohl nicht schön“, bemerkt Anna sachlich und ich sehe keinen Grund dafür, sie anzulügen.
„Ich schätze deine Ehrlichkeit“, sagt sie rauh und ich merke, wie meine Abneigung schwindet. Als auch noch Homer seinen Kopf in ihren Schoß legt und ich sehen kann, wie gut es ihr tut, lege ich einfach meinen Arm um sie, und würde sie an mich heranziehen, wenn sie sich nicht bereits von selbst an mich schmiegen würde…
Die Situation scheint für die Dauer einiger Augenschläge überschaubar. Georg lächelt, Alex lächelt, Anna schmust mit meiner Armbeuge und Homer…na ja, man weiß ja nicht immer so genau, wann ein Hund lächelt. Aber ich glaube, in diesen Sekunden tut er dies.
Es könnte jetzt echt ein entspannender Moment sein, würde dieses Vieh unter uns es zulassen. Flammen flackern, Männer und Frauen…ok…die Frau…, haben Waffen aus der Hand gelegt und lächeln oder schmusen…und ein Hund versucht krampfhaft, einen letzten Rest Sauerstoff aus der staubgeschwängerten Raumluft herauszuhecheln. Da kommt es zum Clash!
Aus welchem Grunde auch immer, rammt der Dämon unter uns seinen Schädel oder irgendwas mit voller Wucht von unten gegen den Boden. Er jault und schreit und gebärdet sich, wie ein Wahnsinniger. Er tobt und die Schläge gegen den Boden nähern sich immer weiter der Luke. Jedem von uns ist klar, was das zu bedeuten hat: Er will ausbrechen! Er kommt nach oben!! Alex steht sofort mit einem Degen in der Hand hinter den Scharnieren der Luke.
Wo zum Teufel, hat der den Degen her?
Der Dämon haut von unten gegen die Dielen, das Staub wie Fontänen nach oben fliegt. Was ist mit diesem Ding los? Die ganze Hütte bebt! Wir haben Schwierigkeiten, unsere Positionen festzulegen, als die ersten Bretter unter uns sich in einer Weise zu lösen beginnen, die die Wichtigkeit einer Luke ernsthaft in Frage stellt. Der Lärm, den diese Kreatur macht, wird unerträglich. Es ist nicht nur die Lautstärke…auch die Frequenzen, in welchen sie schreit, tut in den Ohren weh. Homer läuft hilflos in der Hütte hin und her und jault. Aber es ist in dem Chaos kaum zu hören. Wieder lösen sich Dielen aus dem Boden und scharfe, lange Fingernägel von unheimlicher Färbung, als auch leuchtende Augen werden sichtbar. Einen Moment lang meine ich sogar Zähne zu sehen, die ich lieber nicht sehen würde. Das Viech ist ausser sich und tobt und schreit. Er macht uns alle völlig konfus, was aber mit Sicherheit auch seine Absicht ist. Eine Serie von Schlägen zieht unübersehbar seine Bahn die Unterseite der Hozbohlen entlang. Und zwar genauf auf die Luke zu. Selbst Alex ist sichtlich entsetzt. „Was zum Donner ist mit diesem Ding los?“ Der Dämon tobt weiter vor. Dann ist er wieder an der Luke und stemmt sie auf, so weit es geht.
Und es geht ziemlich weit…UND WEITER!!
*
„Mama, wie geht es Papa?“, fragt die kleine Jennifer, als ihre Mutter wieder zu ihr und ihrem Bruder in den Wagen steigt. „Ich weiß es nicht Schatz“, antwortet Hannah etwas abwesend. „Ich habe ihn gar nicht angetroffen.“
„Papa ist nicht da? Aber sein Auto steht doch da drüben. Wo kann er denn sein?“
„Wenn ich das wüsste Jenny.“ Hannah hält ihr Smartphone in die Höhe. „Ich habe gerade mit seiner Anwältin gesprochen. Wenigstens mit ihr hat er ja fast täglich Kontakt. Aber auch sie hat seit Vorgestern nichts mehr von ihm gehört.“ Hannah verengt die Augen. („Vielleicht hat er ja wirklich schon eine neue Freundin“), denkt sie im Stillen und merkt, wie ihr dieser Gedanke einen leichten Stich versetzt. Bevor sie sich aber allzu sehr ihre gedankliche Düsternis verwühlen kann, funkt ihre Tochter wieder dazwischen: „Mama, Papa ist doch nichts passiert oder?“
Hannah startet den Wagen. „Ich glaube nicht, dass eurem Vater im Moment irgendwas widerfährt, dessentwegen wir uns Gedanken machen müssten.“ Sie wischt sich verstohlen eine Träne aus dem linken Auge und dreht sich mit einem nicht allzu ehrlichen Lächeln zu ihren Kindern um. „Was haltet ihr jetzt von einem schönen Eis hmm?“
„Jaaahh!“, tönt es im Duett. Situation gerettet…vorläufig!
„Egoist“, denkt Hannah noch bitter, als sie anfährt.
*
Ohne zu wissen, was Hannah gerade denkt, müsste ich ihr gerade Recht geben. In genau diesen Sekunden bin ich tatsächlich so egoistisch, wie ein Mensch in meiner Situation nur sein könnte. Ich bin wirklich sehr mit mir selbst beschäftigt. Alexander ist mit der Gewandtheit des Verzweifelten gegen den Lukendeckel gesprungen und hat es mit Mühe und Not tatsächlich noch einmal geschafft, das furchteinflößende Wesen nach unten zu drücken. Anna hält wieder das Messer in der Hand, stellt aber in ihrer Blindheit mit dieser Machete für uns wahrscheinlich eine nicht viel geringere Gefahr dar, als für den Dämon. Georg hält die Axt in der Hand, der drahtige Russe nach wie vor seinen Degen, oder Säbel, der gewiss vorher irgendwo an der Wand gehangen hat. Die Gefahr scheint erst einmal gebannt. Aber nicht für lange. Mit einem animalischem Geheul drückt die Kreatur stoßweise von unten gegen die Luke und tobt und kreischt ohrenbetäubend. In noch keinem der noch so heftigsten Horrorfilme konnte ich eine solche Szene erleben. Inzwischen bin ich mir noch nicht einmal so sicher, ob mich die Zuverlässigkeit meiner Schließmuskeln noch wirklich primär umtreibt.
Es kracht, als Alex der Länge nach auf dem Boden landet und mit dem Kopf gegen eine Art Messingvase knallt. Benommen liegt er auf dem Boden. Aber keiner von uns kann sich darauf konzentrieren, weil ein anderes Ereignis unsere volle Aufmerksamkeit für sich beansprucht: Der Dämon steht im Raum! In seiner vollen, furchtbaren Größe schwebt er drohend direkt über der Lukenöffnung und grinst uns böse an. Sein wirres, schmutzig braunes Haar steht in alle Richtungen ab und scheint ein eigenes Leben zu besitzen. Die Beschläge und Scharniere sind wie Nichts aus ihren Halterungen gerissen und liegen nutzlos herum. Das Wesen hat nur mit uns gespielt. Nichts hier bedeutete für das Scheusal je ein echtes Hindernis. Jetzt sieht es sich mit seinem unheimlichen Blick um. Die bösen, weißen Augen starren Georg an, der wie gebannt auf seinem Platz steht. Und auch ich stehe an meiner Stelle wie angewurzelt. Was für ein grauenhafter Augenblick!
Der Dämon schickt sich an, sich zu bewegen oder zumindest etwas zu sagen, da erwacht wenigstens einer aus seiner Lethargie: Homer hechtet förmlich auf den Dämon zu und schafft es tatsächlich, den Bastard kurz aus dem Konzept zu bringen. Er springt dem Gruselriesen gegen die Brust, oder was man dafür halten könnte, und verbeißt sich in seiner…seiner…na ja, Kleidung würde ich es nicht nennen…aber genau darin verbeißt er sich. Allein seines Mutes wegen hätte Homers Bemühung sicherlich mehr Erfolg verdient. Aber dieser bleibt ihm versagt. Der Dämon stabilisiert sich und holt aus. Noch bevor einer von uns reagieren kann, schlägt eine seiner furchtbaren Klauen zu und reißt eine Reihe schrecklicher Wunden in Homers Gesicht. Der markerschütternde Aufschrei des vierbeinigen Freundes jedoch, macht mich meinerseits schlagartig wach. Als ich sehe, wie mein silbergrauer Kumpel blutend zu Boden geht, drehe ICH durch. Mit einem Wutgebrüll, wie ich es selbst von mir nie kannte, stemme ich mich in Richtung des Feindes. Mir ist in diesem Moment wirklich alles egal. Und mir gelingt es tatsächlich, diesen Freak zu überraschen. Ich weiß zwar nicht, wie vorteilhaft es für mich ausgeht. Aber nichts davon ist für mich jetzt noch von Bedeutung. Mit aller mir zur Verfügung stehenden Wucht ramme ich das ungeheure Wesen, krache mit ihm gegen die offenstehende Lukentür, bekomme irgendwie noch ein Stück Kette zu fassen…um schließlich mit dieser lebenden Groteske im Arm und einem Stück Kette in der Hand, die den Zuzug der Luke über uns bedeutet, in der Dunkelheit des Kellers zu verschwinden. Mit Hüfte und Rücken knalle ich noch mehrmals schmerzhaft auf die Treppe, die im Prinzip nicht viel mehr, als eine bessere Leiter ist, dann schlage ich irgendwo auf, das Ding in meiner Nähe ebenfalls…irgendwo…und direkt über mir wird der letzte schmale Lichtbalken, der noch einmal eine gewesene Verbindung mit der Welt dort oben bedeutete, immer schmaler und legt alles um mich herum schließlich in absolute Dunkelheit.
Ich bin hier unten…allein mit diesem Dämonen im Keller!!!
*
Das Wort Zeitgefühl hat in dieser Welt so gut wie keinen Platz mehr. Von daher habe ich auch keine Ahnung davon, wie lange ich mit Sternen vor den Augen so da liege. Aber auch, als es mir schon wieder besser geht, bleibe ich noch eine Weile still liegen. Kaum wieder halbwegs wach, bin ich mir meiner neuen, schrecklichen Lage nämlich sofort wieder voll bewusst. Und ich bin ziemlich sicher, dass der Dämon, der sich nun irgendwo in meiner unmittelbaren Umgebung befindet, nicht annähernd so groggy ist, wie ich. Meine Atmung geht zunehmend schneller und das aus gutem Grund: Ich höre den Dämonen atmen. Es ist wie ein leises aber giftiges Zischen wie von Wasser, das kurz vor dem Siedepunkt steht. Und es ist verdammt dicht an meinen Ohren. Oder nur eine Art Echo. Ich habe nicht einmal eine Ahnung, wie groß der Keller ist, oder wie er aussieht, habe keinen Plan oder Schnitt seiner räumlichen Aufteilung im Kopf. Meine ganze Vorstellung dieser Katakombe des Grauens besteht aus muffigem Geruch, feuchtem Boden an meinem linken Ohr und jeder Menge Angst. Das Atmen wird hektischer und bewegt sich durch die Dunkelheit. Hirn und Herz würden mit scheißen wenn sie anatomisch dazu in der Lage wären. Dieser Gruseltroll kann bestimmt auch noch im Dunkeln sehen. Jede Wette! Während ich nur darauf warten kann, daß ein gruseliges Irgendwas aus dem Dunkeln auf mich zugeschossen kommt um mich endlich zu erlösen. Da! Ein leises, heiseres Kichern. (Hey, Arschloch! Bring´ es doch zu Ende).
Warum er nicht gleich angreift ist klar! Er hat jetzt die ideale Situation. Warum da oben niemand aktiv wird, ist nicht ganz eindeutig. Aber: Alex und Homer womöglich noch bewusstlos. Anna blind und Georg somit allein. Sämtliche Muskeln, selbst die, in meinem Gesicht, beginnen, sich vor Furcht zu verkrampfen. Ich muss etwas tun…nur was?
Als ich langsam beginne, aufzustehen, drückt etwas in meiner Hosentasche. Stimmt! Da war ja noch was. Das 7er Opinel- Messer ist da höchstens eine psychologische Hilfe. Die hilft gegen dieses Monster mit Sicherheit nicht. Aber da ist doch noch ein Feuerzeug. Als ich noch soff, habe ich ja auch geraucht, wie´n Schlot. Ich fingere das Kleinod aus der Tasche, und drehe es in meiner Hand, bis ich die geeignete Haltung gefunden habe, die kleine Flamme zu entzünden. Es gelingt mir auf Anhieb. Die kleine Gaskerze erhellt einen kugelförmigen Teil der Finsternis in einem Durchmesser von etwa drei Metern…
…Und sofort will ich die Sterne vor den Augen wieder zurück haben…!
*
Hannah hat den Hörer wieder auf die Station gelegt. Gerade noch haben Jenny und Tom gehört, wie sie sagte: „Okay, danke Jörg.“
Das dunkelblaue Buch mit den ganzen Telefonnummern verschwindet wieder in der Schublade unter dem Telefon. Dann sieht Hannah ihre Kinder an. Diese brauchen ihre Fragen nicht auszusprechen. „Der letzte Nachbar, der euren Vater gesehen hat, war Jörg. Ihr wisst schon…der Nachbar, bei dem wir während Papas Umzug Kaffee trinken waren. Er sagte mir, dass…dass Stefan Spazieren gehen wollte. Seit dem ist er nicht mehr aufgetaucht. Echt klasse! Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, und der Herr geht sich bunte Herbstblätter ansehen.“
„Ähh, Mama“, erheischt Tom die Aufmerksamkeit seiner Mutter.
Auch diese kommuniziert nun lautlos per Blick und der Sproß zeigt aus dem Fenster in die Dunkelheit. „Wie viel von der bunten Schönheit der Herbstblätter bekommt man jetzt deiner Meinung nach noch mit?“
*
In diesem Teil der Hütte ist es mit Sicherheit nicht gerade warm, aber ich fürchte, der Umstand, dass ich am ganzen Leibe zittere, hat einen anderen Grund. Gerade habe ich den Dämonen im flackernden Flammenlicht gesehen. Kaum zwei Meter von mir entfernt, stand er da, mit verschränkten Armen und einem bitterbösen Grinsen in seinem weißäugigen Gesicht. Diese bösen, weißen Augen wirken eher wie kalte, weiße Keramikkugeln. Die von Anna dagegen können direkt noch gütig d´reinschauen. Aber das hier…
Als würde es etwas nützen, habe ich die Flamme sofort wieder erlöschen lassen. Als würde dies den Dämon vertreiben. Fast bin ich dem Wahnsinn nahe. Warum machen die da oben eigentlich nichts? Warum zum Kuckuck bin ich nur hier? Und warum greift dieser Scheißdämon mich nicht einfach an hä? Ich will das alles hier nicht mehr ich möchte aufwachen und mich wieder mit Hannah streiten. Ich will wieder meinen dämlichen Chef sehen und mir seine Launen gefallen lassen. Na gut!, bleiben wir einfach mal bei Hannah! Ich mache nun dass, was ich die ganze Zeit über nur geplant habe: Ich stehe auf. Wieder fällt mein Blick nach oben. Aber da ist nicht einmal mehr ein Ansatz von Licht zu sehen.
„Du möchtest Licht? Hast du es nicht gerade ausgemacht? Von da oben hast du keinerlei Hilfe zu erwarten. Sie befinden sich nicht mehr in unserer Zeitschicht. Es gibt diese Drei nicht mehr. Wir sind allein.“
Die letzten Worte hallten mehr in meinem Hirn, als in meinem Gehör. Trotzdem ahne ich, wer da gerade zu mir gesprochen hat. Ermutigt durch den Gedanken, es jetzt so oder so hinter mich bringen zu können, antworte ich höchst physisch: „Dann komm´ doch und mache dieser ganzen Scheiße hier ein Ende. Worauf wartest du noch?“
„Warum so eilig?“, höre ich die Frage wieder mehr in mir als äußerlich. „Dich habe ich doch sicher wie meine Unsterblichkeit und somit alle Zeit der Welt.“
Ich fürchte, da hat dieser Unhold Recht. Er hat alle Zeit. Aber ich nicht! Die kurze Zeit, in der ich ein wenig Licht in diesem Loch sah, war ich natürlich durch den Anblick des Dämonen viel zu abgelenkt, um mir den Keller ein wenig anzusehen.
Dieses Arschloch kann offensichtlich auch noch Gedanken lesen!
„Du möchtest wirklich Licht? Kein Problem…sieh her!“
Ich weiß nicht, ob der Monstermann nun mit den Fingern schnippt, oder sonst was macht. Jedenfalls ist innerhalb von Sekunden der gesamte Keller in ein skurriles Licht aus melancholischem Braun/Orange getaucht. Und ich wünschte, er würde es sofort wieder ausmachen!! Der Anblick ist entsetzlich. Für einen normalen Menschen kaum zu ertragen. Mein Blick fällt zum ersten Mal frontal und in Ruhe in eine faserige Fratze. Das böse Grinsen hat so gar nichts unwirkliches. Es wirkt erschreckend real. Das wirre Haar umrahmt seinen Kopf geradezu systemfrei und ohne jede Form. Und dann immer wieder diese weißen, schrecklichen Augen. Die Kleidung ist eigentlich gar keine. Sie besteht nur aus Fetzen, für deren Farbe es auf Erden noch keine Bezeichnung gibt. Und Füße scheint es nicht zu geben. Die Gestalt befindet sich augenscheinlich stets mehr oder weniger in einer Art Schwebezustand zwischen den Dimensionen, an deren Grenze seine Beine oder Füße verschwinden. Zu den optischen Eindrücken kommt noch diese schreckliche, sonore fast tonlose Stimme, die stets mehr in allen möglichen inneren Organen zu erklingen scheint, als in denen die dafür gedacht sind.
„Sieh nicht immer nach oben. Die sind nicht mehr da. Du befindest dich sicher in meinen Händen und ich kann mit dir machen, was ich will. Hahaha!“
Mein Atem fühlt sich gar nicht mehr wie einer an. So etwas, wie ein Rhythmus ist praktisch nicht mehr existent. Ich könnte mich selbst dann nicht erinnern, je so viel Angst gehabt zu haben, wenn ich noch so weit denken könnte. Doch dann setzen sich ein paar neue Gedanken durch, bahnen sich ihren Weg hin zu meinem armen, gemarterten Gehirn. Dazu gehört zum Beispiel die Erkenntnis, dass dieses Wesen, wie auch immer ausgerechnet ich in dieses Spiel passe, einen bestimmten Plan verfolgt, sofern dies hier nicht doch ein schreckensvoller Traum ist. Letzteres glaube ich allerdings nicht mehr, dazu tut alles zu sehr weh. Ich bin, wie es aussieht, in einen dämonischen Reigen geraten und nun zu einem Spielzeug dieses Teufels geworden. Das heißt: Ich werde sein Spielzeug bleiben, wenn ich es zulasse.
Wenn ich nur nicht vor Angst derart gelähmt wäre. Und der Dämon macht mit seinem hässlichen Spiel weiter. Jetzt lässt er das Licht flackern, so dass seine ohnehin unheimlichen Bewegungen abgehackt wirken und er mal ganz dicht vor meinem Gesicht auftaucht, mal gar nicht zu sehen ist.
„Warum bringst du mich nicht einfach um, du verdammter Höllenpenner?!?!“, brülle ich durch den Raum, dass mich meine eigene Stimme zu Tode erschreckt.
„Warum sollte ich?“, erklärt mir die innere Dämonenstimme. „Da, wo ich dich mit hinnehmen werde, existieren keinerlei Termine. Wir haben Zeit. Zeit, dir deine irdische Qual noch ein wenig zu verlängern. Es ist einfach äußerst erbaulich, einen Menschen so leiden zu sehen.“
„Und was dann?“
„Dann geht deine Pein in meinem Reich weiter. Du wirst nie mehr erlöst werden. Weder durch Tod, noch durch weiter leben. Du bist ein Gefangener, ein…Verfluchter.“
„Warum? Was habe ich getan?
„Na, du bist hier…bist hierher gekommen. Hin zu jenen, die mich einst holten in diese Dimension und mich fingen und gefangen hielten. Erst musste jemand lebendiges kommen, um mir als Sklave dienen zu können. Das warst du.“
Da poltert es plötzlich über uns und ich ziehe unwillkürlich den Kopf zwischen die Schulter. Auch, wenn der Himmel hier gewissermaßen alles andere als heiter ist, fällt direkt aus ihm etwas auf uns hinab. Ich mache einen erschrockenen Schritt beiseite und das Tonbandgerät knallt auf den Boden. Einer der Drei muss es noch einmal im letzten Augenblick in diese Art Dimensionsweiche geworfen haben. Habe ich nun eventuell meine Rettung vor mir liegen?
„Sieh da“, hechelt der Dämon. „So ganz dumm sind sie ja doch nicht. Schade nur, dass sie dir das Kabel nicht gleich hinterher werfen konnten.“
Zu allem Überfluss schwebt der Zombietyp auch noch in dem flachen Raum hin und her und grinst mich an. Die weißen Totenaugen leuchten fast in dem diffusen Licht und der Geruch, den dieses Teil verströmt, kommt auch nicht gerade aus der Traumfabrik…eher Albtraum.
„Du brauchst dich nicht zu sehr zu freuen. Diese Maschine nützt dir nichts, solange wir hier zu zweit…“ „Zu dritt!“… „sind“.
Kurzzeitige Verwirrung lenkt mich ab von der Szenerie. Dabei kann ich noch nicht einmal sagen, warum. Was gerade geschah, ging einfach zu schnell. Vielleicht auch nur ein Streich, meiner überforderten Sinne. Das Flackern hört auf. Dafür schwebt dieser Horror nun direkt auf mich zu und nimmt mein Gesicht in seine eklige Pranke.
„Ooohhh! Du bist so erfrischend voller Angst, dass es einem Dämonen nur eine Freude sein kann.“
„Dass du so etwas wie Freude überhaupt kennst“, erwidere ich mutig. „Teufel, wie du haben doch keine Ahnung, was es heißt, Freude zu schenken.“ Vielleicht kann ich den Dämon ja so weit provozieren, dass er mich tötet. Dann habe ich es hinter mir. Obwohl…er sagte ja, dass er mich auch im Tode noch foltern kann. Scheißlage!
„Du sagst es“, meint der Gedankenleser. „Oder vielmehr…du denkst das Richtige!“ Er weicht wieder ein Stück zurück. Warum auch nicht? Weglaufen ist hier wohl kaum. Er starrt mich an. Ich starre zurück in diese weißen Murmeln und so langsam macht sich so etwas wie Wut in mir breit. „Wozu seid ihr Dämonen eigentlich gut häh?“, foppe ich ihn in einem Anfall von Lebensmüdigkeit. „Euer ganzer Sinn besteht wohl nur im Verteilen von Unglück.“
„Darüber sollte ein Menschlein wie du sich besser keine Gedanken machen.“
Oha, habe ich da etwa Sensibelchens Kitzelstelle gefunden?
„Ich stamme aus Dimensionen, deren Existenzbedeutung, deren bloße Existenz ein menschliches Spatzenhirn um ein Erhebliches überfordern dürfte. Wir Dämonen sind bedeutsamer, als es Menschen je sein werden.“
„Oh ja! Jahrzehnte in einem Kellerloch herumlungern und…Menschlein…erschrecken. Sehr bedeutsam.“
Der Dämon lacht verächtlich. Selbst das wirkt böse. „Ich weiß, ihr Menschen haltet euch für die Krone der Schöpfung. Dabei erweist ihr euch immer wieder als ihr größter Feind. Ich habe all die Jahre nicht nur in diesem Keller verbracht. Ich war immer wieder draußen in der Welt und habe euch beobachtet. Ihr redet dauernd von Liebe und propagiert nach Außen hin die vorbildlichsten Ideale, um sie im nächsten Moment den niedersten Instinkten zu opfern. Ich habe euch gesehen. Männer behandeln Frauen wie Dreck und Frauen die Männer, unmittelbar, nachdem ihr euch gegenseitig versichert habt, wie wichtig und eigentlich auch selbstverständlich die sogenannte Gleichstellung ist. Für euch sind Wesen wie Dämonen einfach nur böse Monster. Aber das sind wir konsequent, verstehst du? Ihr Menschen brüllt etwas von Frieden und Toleranz und überfallt dann einfach eure Nachbarn mit Waffengewalt, wenn es darum geht, die Gier zu befriedigen, Was praktisch gar nicht möglich ist.“
Da hat er ja nun leider nicht ganz unrecht. Die letzten Sätze hat er sogar richtig mit dem Mund gesprochen. Die Zähne sind echt beeindruckend. „Wieso sagst du, dass man Gier nicht befriedigen kann?“
„Weil es Gier ist, Menschlein. Wir gaben euch die Gier, deshalb weiß ich es so genau. Wer Gierig ist, kriegt nie genug. Man sah und sieht es an den Imperien der Jahrhunderte. Sie gehen in ihrer Unersättlichkeit weit über jede Bedarfe hinaus. In ihrer Gier saugen sie sich fett und träge, bis sie nicht mehr lebensfähig sind und gehen unter. Und ihr bescheuerten Menschen lernt in Jahrtausenden nicht dazu. Und dann wollt ihr Dämonen jagen. Ihr könnt einem nur leid tun.“
„Einige haben schon gelernt.“
Ich stutze. Den letzten Satz hat der Dämon wohl schon wieder gedacht. Aber warum widerspricht er sich selbst?
„Immerhin sind wir zur Liebe fähig“, gebe ich zu bedenken. „Und die werdet ihr nie begreifen.“
„Die Liebe…“, lacht der Dämon. „…du meinst wohl, so, wie bei dir. Es hat gerade zu genug Liebe gereicht, zwei Kinder zu zeugen und das war´s. Jetzt müssen die zwei Süssen ohne familiären Halt auskommen und sehen ihren versoffenen Vater vielleicht einmal die Woche. Wie liebevoll.“
„Darüber solltest du liebloses Wesen dich besser nicht auslassen. Menschen und ihre Liebe werdet ihr nicht verstehen.“ Ich ahne, warum sich meine Argumentation so schwach anhört: Sie ist es einfach! Mann! Der ist aber echt gut informiert.
„Kannst du wirklich durch die Jahrhunderte reisen?“, höre ich mich fragen und die Neugier ist sogar echt.
„Oh, ja! Wir Tschaschnukes haben unsere Fähigkeit, durch Zeit und Raum zu reisen im Laufe der Äonen immer weiter entwickelt. So, wie wir all unser Fähig- und Fertigkeiten zu immer größerer Effizienz brachten. Ihr Menschen habt all eure Steigerungen vor allem dazu missbraucht, immer gewaltigere Waffen zu entwickeln. Das allerdings finden wir Dämonen köstlich. Es heißt, wir kommen auf die Erde, um sie zu unterwerfen und zu vernichten. Das jedoch haben wir schon lange aufgegeben. Seit wir erkannt haben, dass ihr das selbst viel besser hinbekommt. Hähä!“
„Wenn du so´n toller Hecht bist, wieso kommst du dann hier nicht raus?“
„Das komme ich doch. Ich muss nur immer wieder hierher zurückkehren. Das tue ich aber gern, weil es mir hier gefällt. Deshalb habe ich auch das Kabel zerstört, so dass diese Wissenschaftler die Formel, die mich wieder zurückschickt, nicht mehr abspielen konnten und selbst zu Gefangenen wurden. Wir haben und gegenseitig geknebelt. Aber während Zeit für mich als Dämon keine große Rolle spielt, waren sie verflucht und in ihrer Zeitschleife gefangen, bis du kamst, sie zu erlösen.“
„Erlösen?“
„Es bedurfte eines Lebenden, die Zeitschleife zu durchbrechen. Also holte ich dich hierher. Es lief nicht ganz so ab, wie geplant, aber immerhin bist du hier.“
„Du meinst, das mit dem Nebel…“
„War alles ich.“
„Und der Hund?“
„Der war nicht vorgesehen. Aber wie es aussieht, ist auch er nicht mehr da. Vielleicht sind die Wunden, die ich ihm beibrachte, ja auch tödlich gewesen.“
„Du sagst das, als hättest du ein Tor geschossen.“
„Ein was?“
„Vergiss es!“
Er überlegt kurz. „Ah, ja! Dieses komische Spiel, bei dem zweiundzwanzig erwachsene Menschen hinter einer Lederkugel herlaufen. Die Einhaltung der Regeln in diesen Spektakeln sind euch wichtiger, als Regeln und Gesetze, bei denen es um Leben und Gesundheit von Menschen geht. Ihr seid echt ulkig.“
Ich merke langsam, dass ich es als Verteidiger der hiesigen Dimensionswelt nicht einfach habe. Darüber ärgere ich mich dermaßen, dass mir der Ernst meiner Situation vorrübergehend glatt entfällt.
„Du redest daher…“, entgegne ich. „…als wenn ihr Dämonen nur Gutes tun würdet. Dämonen, die Segen der Menschheit.“
„In unserem Sinne tun wir das auch. Wie gesagt, als Mensch verstehst du das nicht. Wir würden niemals auf die Idee kommen unseresgleichen Gegenüber unser Wort zu brechen, wie ihr.“
„Und was war in Groulbanon?“
„Und was war in Groulbanon?“, wiederhole ich irritiert. Da fährt der Dämon regelrecht hoch. „Was weißt du von Groulbanon?!?“
Ich zucke reflektorisch die Schultern. „War nur ´ne Frage. Bitte keine Aufregung“, weiche ich aus und hoffe auf totalen Mangel weiterer Hinterfragungen.
„Groulbanon, wie auch immer du davon erfahren haben magst, Menschlein, war eine absolute Ausnahme. Wir brauchten diese List, um die Tschaschnukes gegen die Opmorx retten zu können.!!“
„Oh, klar verständlich. Diese…diese Obmoaks…schlimme Geschichte.“
Die weißen Dämonenaugen werden schmal. „Groulbanon und der Opmorx-Krieg waren etwa achttausend Jahre vor dem, was ihr eure Zeitrechnung nennt. Kein Mensch sollte darüber Bescheid wissen.“
„Wir Menschlein sind halt manchmal auch besser informiert, als ihr denkt“, antworte ich und habe aber so gar keine Ahnung, wovon ich überhaupt rede. Aber zwei Dinge werden mir langsam klar: Das vorhin war keine Einbildung. Irgendwo hier ist ein drittes Wesen und zweitens: Der Dämon kann es nicht hören. Merket auf!
„Wie lange existierst du schon?“, lenke ich ab. Meine Ohren sind in Hinblick auf die dritte Stimme geschärft. Aber ich muss mein Gegenüber ja nicht mit Gewalt darauf aufmerksam machen. Er erzählt gern von sich, soviel hab ich schon gemerkt, wenn ich auch sonst nicht mehr viel merke.
„Wir Dämonen…“, beginnt er gewohnt theatralisch. „…entstehen durch verschiedene Ereignisse in den Dimensionen und anderen Glaubenskulturen.“
Irrer Weise muss ich lachen. „Du meinst das alle wirklich oder? Dämonen und andere Dimensionen und das Alles?
„Menschlein…“, spottet der Dämon, „…ihr glaubt in euren Religionen daran, dass Menschen Babys auf die Welt bringen, ohne vorher gevögelt zu haben. Ihr seht sie hunderte von Jahren alt werden, in Walbäuchen um die Welt reisen und sonst was für Wunder erleben. Und kaum passt eurem Gott etwas nicht, hat er nichts besseres zu tun, als seine großartigen Werke einfach in einer Sintflut zu ersäufen!? Findest du echt, dass du mir etwas über Glaubenslogik erzählen kannst?
Ich stutze und denke nach, so gut es mir die Situation erlaubt. „Also gut, ihr kommt also aus anderen Dimensionen und dann…? Wie kommt ihr dann hierher?“ Eigentlich sind wir schon immer da, erscheinen aber durch Beschwörungen.“
„Und verschwindet durch sie wieder?“, frage ich hoffnungsvoll. Der Dämon lächelt und zum ersten Mal wirkt seine Mimik nicht böse. Er hat meinen Blick auf das Tonband bemerkt und hält seine Hände so, dass die Handflächen nach oben, die Spitzen seiner Krallen auf das Tonbandgerät zeigen. „Also schön…bitte.“
Eins muss man diesem Dämonenvolk ja lassen: Sie haben echt ein paar Tricks drauf. Unter meinen erstaunten Augen fangen die Spulen an zu rotieren. Allerdings ziemlich schnell und man hört noch nichts. „Ich muss mir ja nicht nochmal das Ganze Gerede anhören oder? Ich weiß ja, worauf es dir ankommt.“ Er macht einige Handbewegungen und das Band stoppt, um auf Wiedergabe wieder anzulaufen.
„Aha…“, frotzel ich. „…bei dir hat das alte Ding sogar ´ne Fernbedienung.“
„…rchtbare Erfahrungen machen müssen…“, berichtet eine angenehme Männerstimme auf dem Band. Sie erinnert mich an meinen Lieblingserzähler aus Kindheitstagen. Hans Paetsch. „…nach einer Zeit mussten wir einsehen, dass diese Dämonen einfach zu gefährlich und zu unberechenbar sind, um sie erforschen zu können. Wir werden diese Kreaturen wieder zurückschicken und zwar mit folgenden Formeln:…“ Das Band lässt eine Reihe gutturaler Laute und fremd klingenden Worten hören, aber den Dämon scheint das nicht weiter zu berühren. Mir schwant, dass er seine Gründe hat, dieses Band einfach abzuspielen. Es war von mehreren Dämonen die Rede. Er also, ein geografisch Zurückgebliebener, kann mit diesen Aufzeichnungen gar nicht zurückgeschickt werden. Mist!
Aber der Dämon lässt das Band bis zum Schluss laufen.
„Die Grundlage einer Rückbeschwörung…“, weiß die Stimme auf dem Band zu lehren, „…findet man in Allem, was ein Dämon nicht begreift. Bei einigen Exemplaren ist das sehr schwierig, wenn überhaupt möglich. Ich fürchte, ein paar von ihnen werden auf Erden wandeln, so lange sie nicht von sich aus zurückkehren wollen. Und das kann Generationen von Menschen dauern.“
Dann rutscht das Ende des Bandes aus der Mitnehmerspule und echte fünfziger Jahre-Technologie produziert, ganz ohne Steckdose, sozusagen dämonenbetrieben, ein Flapp, flapp, flapp- Geräusch. Tja, das war nun also die tolle Info. Was nun?
Der Dämon sitzt ganz ruhig da. „Der Sprecher auf dem Band…“, führt er aus, „…war ein Wissenschaftler der, sagen wir, etwa zweihundertsten Generation von Forschern. Und er hat nicht einmal herausbekommen, was andere Menschen tausend Jahre vorher schon fest wussten. Die Dummheit der Menschen ist manchmal fast so schwierig zu begreifen, wie ihr gleichzeitig an eure Wissenschaft und eure Religion glauben könnt, obwohl beides einander widerspricht. Genauso, wie eure komische Liebe.“
„Du hast kein Recht, dich darüber lustig zu machen“, empöre ich mich. „Unsere Wissenschaft hat gerade in den letzten zweihundert Jahre erstaunliche Fortschritte gemacht. Gib zu: Dieses Gerät hier fasziniert sogar dich.“
„Oh ja, ihr habt euer Wissen auf beeindruckende Weise gemehrt. Leider habt ihr vergessen, dabei gleichzeitig euren Verstand zu schulen, den ihr gebraucht hättet, um zu merken, wie viel in eurem Sinne vernünftiges und nützliches man damit anstellen könnte. Statt dessen nutzt ihr eure Technik und euer Wissen, um zu zerstören.“
„Und um zu heilen, Dämon. Um zu helfen, zu lehren und eben um weiter zu forschen. Nicht alles, was der Mensch tut, ist böse.“
„Aber die Ausmaße seines bösen Tuns überwiegen in ihrer Wirkung ganz gewaltig nicht wahr? Die eine Seite forscht, um wieder zu reparieren, was die andere Seite kaputt macht. Warum versucht ihr es nicht einmal anders herum?“
Ich druckse herum bevor ich zugebe: „N´ ja…ich fürchte, dazu ist der Mensch tatsächlich noch nicht weise genug. Aber er lernt dazu. Zwar langsam, aber er tut es.“
„Wenn auch manchmal nur mit Hilfe.“
Schon wieder die dritte Stimme und noch immer schöpft der Dämon keinen Verdacht. Verflixt, wenn ich doch nur Kontakt mit dieser Stimme aufnehmen könnte…
Ob ich es auch einmal einfach nur mit Gedanken versuche? Schaden kann es unter diesen Umständen wohl kaum. „Hallo“, denke ich, so laut ich kann. „Du, der du mit mir sprichst, ohne dass der Dämon hier es mitbekommt, kannst du mich auf diesem Wege verstehen?“
„Und ob ich das kann. Hat ja gedauert, bis du auf den richtigen Weg kamst, aber immerhin.“
„Wo steckst du?“
„Ich bin direkt neben dir, aber kriege keinen Schreck.“
Ich sehe nach links und mache dabei wohl kein allzu intelligentes Gesicht.
„Die andere Seite!“
Die andere Seite? Mit meiner anderen Seite stehe ich direkt an einer Wand. An dieser Wand ist ein kleines Bord und darauf…
Von wegen, keinen Schreck kriegen! Direkt neben meinem rechten Unterarm, den ich auf besagtes Bord gelegt habe, hockt eine Spinne von der geschätzten Größe eines Handschuhs für, sagen wir mal, ein etwa zwölfjähriges Kind. Das ist für eine Spinne schon ganz schön groß und entsprechend groß fällt auch mein Schreck aus. So wie ich zusammenzucke, bleibt es dem Dämon natürlich nicht verborgen.
„Was ist dir?“
„Krampf“, antworte ich tatsächlich etwas krampfhaft. „Die Aufregung und die Anstrengungen. Ich…bin sowas einfach nicht gewohnt.“ Nun kommt die Spinne doch tatsächlich noch auf meine Hand. Sie kann froh sein, wenn sie nicht als Fettfleck an der Decke endet. `Alter,´ denke ich noch so bei mir. `Du unterhältst dich doch jetzt nicht wirklich per Gedankenübertragung mit einer Spinne oder?´
Mir ist gar nicht klar, das die Gedanken lesende Spinne dies mitbekommen muss.
„Und…“, fragt sie auch prompt, „…wenn es vielleicht die einzige Rettung vor dem Dämon ist? Aber ich fürchte, wir müssen uns beeilen!“
In der Tat, der Dämon ist mißtrauisch geworden und schwebt auf mich zu. Sein Blick fällt auf meine Hand mit der Spinne. Die Reaktion fällt heftiger aus, als ich es je erwartet hätte.
„Skaska! Du Verräterin!! Kein Wunder, das das Menschlein von Groulbanon wusste. Was hast du hier zu suchen?“
Die Spinne, Skaska, beachtet den Dämon nicht. „Bist du bereit?“, fragt sie drängend. Ich bin verwirrt wie noch nie. „Wozu?!“
Der Dämon auch. „Wozu was?“
„Sag´ einfach ja oder nein! Bist du bereit?“
„Ja, verdammt.“
„Was ja, verdammt?“
„Ahhhhh!“, schreie ich auf. Die Spinne hat zugebissen und ihre Dolche haben eine geschätzte Länge von vier bis fünf Millimetern. Es tut höllisch weh und zieht den ganzen Arm hoch. Blitzschnell ist sie aber wieder weg und in irgendwelchen Ritzen verschwunden. Der Dämon schäumt, während ich mir den Arm reibe. Die winzigen Wunden wollen nicht so recht zu den Schmerzen passen.
„Was war das?“, verlange ich Auskunft.
„Das war die Spinnengöttin Skaska. Ich habe vor langer Zeit eine Liaison einseitig beendet. Das trägt sie mir noch immer nach.“
Ich verziehe das Gesicht. „Ihr trefft euch mit Spinnen? Also, so ganz normal…“
Plötzlich hat der Dämon wieder ein bitterböses Gesicht. „Ich muss dich jetzt schnell töten, Menschlein. Skaska hat dir ihr Gift injiziert. Es macht weise und ein weises Opfer kann ich nicht brauchen. Also, verabschiede dich von dieser Erde…Menschlein.“
Das Gift beginnt tatsächlich schon zu wirken. Ich werde trotz der Situation total ruhig. Fast schon wie in Trance. Aber in meinem Schädel ist der Lucifer los. Als wäre mein Kopf voller kleiner Hurricanes, wirbeln Gedanken über die letzte Stunde herum und fassen in Sekundenbruchteilen noch einmal alles zu einer Art mentaler Quintessenz zusammen. Wow, Skaskas Gift is´ echt´n Hammerzeugs. Der Dialog mit diesem Teufel, der Diabologue sozusagen. Die Argumente die er über die Menschen und ihre guten wie schlechten Gewohnheiten gebracht hat. Die Tonbandaufnahme auf der dieser Wissenschaftler erklärt, man müsse Dämonen mit dem konfrontieren, was sie nicht verstehen. Der kurze Augenblick, als unser Gelächter unten für Ruhe sorgte, als hätte es ihn geschwächt. Das alles formt sich zu festen Mustern und während der Dämon sich geifernd meinem Gesicht nähert, wird mir in diesem Sekundenbruchteil klar, was ich tun muss.
Zur völligen Überraschung des Dämons drücke ich seinen Kopf, nachdem ich ihn gepackt habe, nicht von mir weg, wie er dachte, sondern ich ziehe ihn fest an mein Gesicht…und küsse den Dämon!!! Ich presse meinen Mund so fest auf seinen, dass er mir nicht einmal mit seinen scharfen Zähnen ernsthaft gefährlich werden kann. Gegen diese unerwartete Attacke ist er wehrlos. Okay, es törnt mich echt nicht an. Ich spüre Körpersäfte und innere Mundoberflächen sowie Schleimhäute, deren Gestalt ich mir lieber nicht ausmale. Aber ich merke, wie er schwächer wird und denke jetzt ums Verrecken nicht ans Aufhören. Alles, was er noch von sich geben kann, sind irgendwelche „MHHMMHH“,- Laute. Dann schließlich sacken wir beide in die Knie und der Dämon löst sich mit all seiner verbleibenden Gewalt von mir, wirft mit einem ohrenbetäubenden Schrei die Arme in die Luft und ein Knall von der Wucht einer kleinen Bombe treibt uns beide auseinander. Ich schlage mit dem Kopf gegen eine Wand und bleibe bewusstlos liegen.
Danach herrschen lang ersehnter Frieden und Ruhe.
*
Das ich die Augen wieder öffne, spüre ich wirklich nur an meinen Augen. Die Licht- verhältnisse um mich herum helfen bei dieser Erkenntnis nicht wirklich. Jedenfalls nicht sofort. Der Bleiball, der mal mein Kopf war, lässt sich nur mit Mühe von einer Seite auf die Andere rollen. Als mir dies aber endlich gelungen ist, sehe ich in ein Licht. Es ist nicht viel aber immerhin ein Licht. Welcher Art auch immer. Aber kaum, das ich mich noch etwas weiter bewege, ist dieses Licht wieder weg. Einbildung?
Mein Hirn ist leer, wie eine ausgequetschte Plastikflasche. Nicht, dass das jetzt ein ungewohntes Gefühl ist, aber so´n bisschen Erinnerung hätte ich doch ganz gern. Was ist passiert und wo bin ich? Es ist dunkel, stockdunkel. So viel ist sicher. Oder? Ich bewege, nicht ohne Mühe, mein Gesicht noch einmal in die andere Richtung und siehe da: Ich sehe wieder das kleine Licht. Und…war da nicht noch eines von dieser Sorte? Versuch. Tatsächlich! Über mir sind vereinzelte Lichtpunkte. Bin ich tot? Nein…nein ich atme noch. Sogar überraschend frische Luft. Und so kalt! Brrr!!
Meine Füße schleifen über undefinierbaren Kram, wobei sie offensichtlich Staub aufwirbeln. Denn er steigt mir unüberriechbar in meine Nase und bringt mich zum Niesen. Noch einmal, noch einmal…immerhin werde ich dadurch wacher. Außerdem bewege ich mich dabei noch ein wenig heftiger hin und her, noch immer auf dem Boden liegend. Aber meine Augen erfassen dadurch noch einige weitere Lichtquellen der bereits georteten Art: Sterne! Wow! Langsam kommen die erwünschten Erinnerungen zurück und erste zarte Tendenzen, nur marginal verborgener Erfassungsbegabungen bahnen sich ihren Weg in den Begriffsteil meines bescheidenen Verstandes: Ich bin noch immer in diesem Keller! Aber diese frische Luft und die Sterne!? Ich sehe mich um und kann außer Dunkelheit nicht viel wahrnehmen. Also taste ich um mich herum. Unter meinen Füßen knirscht es und ein paar Mal muss ich mich stark schwankend ausbalancieren, um nicht zu stürzen. Als ich die Wand neben mir berühre, gibt das Brett nach, wie nasse Pappe. Aber die frische Luft und die Bewegung machen mich zusehends wach. Schließlich bekomme ich so etwas wie eine Leiter zu fassen. Die Leiter! Ich ziehe vorsichtig an den Brettern, die ich in die Hände bekomme. Völlig morsch! Wie um Jahrzehnte gealtert. Wenn ich die Füße ganz an die Enden der Stufen setze, müsste es klappen. Ich lausche. Da war doch ein Geräusch. Irgendwo bewegt sich etwas. Ich höre es deutlich knistern. Egal! Nichts, wie rauf. Raus, aus diesem Keller.
Viel schneller, als erwartet erreiche ich den Lukendeckel über mir. Aber er lässt sich nicht öffnen. Jedenfalls nicht auf die erwartete Weise. Denn das Holz ist ebenfalls derart morsch, dass ich die Bretter einzeln aus ihrer Fassung drücke. Nach kurzer Zeit habe ich das Wohnzimmer erreicht. Oder sagen wir besser, was davon übrig ist. Der Blick auf die Sterne war kein Wunder, denn die Hütte über dem Keller existiert nicht mehr. Von sämtlichen Räumen sind nur noch Restsegmente vorhanden. Ich stehe praktisch im Freien. Und es ist noch immer tiefste Nacht. Der kalte Wind weht mir durch die Klamotten und schon lange hat sich so etwas nicht mehr so geil angefühlt. Es ist wirklich dunkel. Deshalb waren die Sterne durch die Kellerbretter zu sehen gewesen. Jetzt stehe ich genau da, wo ich noch vor gefühlten Stunden Anna, Georg und Alex kennen gelernt hatte. Aber nun ist hier nur noch eine Ruine. Vorsichtig, um ja nicht irgendwo in den morschen Bodengruppen einzubrechen, gehe ich vorwärts und erstarre, als ich gegen einen metallischen Gegenstand trete. Bärenfalle? Ich sehe nach unten und komme mit dem Gesicht dem Boden näher. Quatsch! Da liegt doch tatsächlich Alex´ alter Degen. Völlig verrostet. Na ja, sagen wir, extrem oxidiert. Kriegt man bestimmt noch wieder hin. Komisch! Ein gutes Gefühl, die alte Hieb- und Stichwaffe in der Hand zu halten. Was mag mit dem Dämon sein? Und die Spinne!! Was ist jetzt mit diesem Albtraum? Ist er nun vorbei oder was? Und überhaupt…was ist eigentlich mit dem silbergrauen Spinner?!?
Den Degen in der Hand gehe ich noch weiter durch das, was Wind und Wetter von der Hütte übriggelassen haben. Da wird mir klar, dass dieser Traum noch nicht zu Ende ist:
Der Kamin ist noch immer intakt und in ihm lodert noch immer das Feuerchen. Selbst die Wärme ist unter dem freien Sternenhimmel zu spüren und unmittelbar davor…steht ein alter zerschlissener Sessel. Ich lächle und frage mich, wer von uns beiden im Moment wohl am meisten stinkt. Es ist mir egal. Ich fasse meinen Degen fester, setze mich in den Sessel vor das Feuer, dass übrigens noch immer so flackert, wie vor…ach, was weiß ich…und falle erneut in tiefen Schlaf.
*
Als ich wiederum erwache, fehlt der Eindruck frischer Waldluft. Allerdings auch die Kälte. Im Gegenteil: Wohlig und kuschelig ist es und direkt vor mir wirft mir eine hochmotivierte Herbstmorgensonne ihr warmes Licht freundlich entgegen. Blinzelnd begrüße ich ihren Gruß und versuche mir erst einmal klar zu machen, was eigentlich los ist. Der Duft der Bettwäsche erinnert mich daran, dass Hannah sie mir kurz vor meinem Umzug gegeben hat. Ok! Sie hat sie mir vor die Nase geworfen, weil sie sie nicht ausstehen kann. Aber ich habe sie einfach genommen, weil ich dadurch in der neuen Wohnung gleich frische Bettwäsche haben würde. Ich genieße den Duft, wie noch nie zuvor und während ich ihn einatme und dabei langsam wach werde, wird mir klar: Die Wäsche duftet nach…ihr! Sie hat sie mindestens einmal benutzt, bevor sie mir sie gab. Ich bin wach, ich bin wach! Ich bin wach und in meinem Schlafzimmer!! Ich bin wach und nicht mehr in…was für ein…
Ich fasse mir ins Gesicht und reibe meine Augen. Was für ein Sturztraum! Aber jetzt ist er vorbei oder? Ja! Kein Kaminfeuer und nicht einmal mehr der Sessel…und schon gar kein Dämon…Halleluja! Das war ja vielleicht ´n Ding. Und so echt! Weiah! Das darfst du echt nicht jedem erzählen, Stefan!
Ich schaue mich um. Noch nie habe ich mich in diesem Raum so wohl gefühlt, bin noch nie in ihm so gern aufgewacht. Kaffee, Frühstück, Küche…ich komme! Ich schwinge die Beine aus dem Bett und mache mich auf, die Koffeinwarmschale zu bereiten. Als ich dem Wasserkocher bereits seinen Job klar gemacht habe, wird mir noch etwas anderes klar.
Ich gehe zurück in den Flur und halte mich augenblicklich am Rahmen der Küchentür fest. Auf dem Boden stehen meine Lieblingsschuhe. Über und über mit lehmhaltiger Erde verkrustet. Der Boden selbst sieht aus, als wäre er seit Jahren nicht gereinigt worden. Voller Dreck und voller Blätter. Baumblätter vor allem, für die in unmittelbarer Umgebung die Bäume fehlen. Auch die Färbung der Erde ist für die Zonen unmittelbar um die Wohnsiedlung herum außergewöhnlich. Ich muss nicht lange überlegen, woher sie kommt. Ich brauche auch nicht zu mutmaßen, ich weiß es!
Einige panische Fensterblicke und schmerzhafte Stöße an irgendwelchen Kanten später weiß ich wenigstens noch eins: Ich befinde mich so was von wieder in der Rael…Relly…Wirklichkeit, dass mir in diesem Falle ein Kaffee genau als das Richtige erscheint. Mit beschleunigtem, aber regelmäßigem Atem nehme ich meinen Kaffee zu mir. Die ganzen eineinhalb Liter. OK! Ich könnte den Dreck und die Eichenlaubblätter, die wirklich, wirklich, wirklich nur aus…(Räusper)…kommen können, zudem sie teilweise auch noch feucht sind, entfernen und auch ansonsten alle Spuren, DIE JA EIGENTLICH NUR AUS EINEM TRAUM STAMMEN KÖNNEN ODER KÖNNTEN!, in angemessener Weise entfernen. Aber ich verlasse die Wohnung lieber, so schnell ich kann.
„Oh, hallo Herr Kretschmar…viele Grüße von ihrer Frau…“
„Reizend! Grüßen sie doch zurück…“ Nichts, wie weg!
Atem und Schrittzahl sind noch etwas hektisch, als ich den großen Sammelparkplatz betrete. Mein alter Audi steht treu und brav auf seinem Platz und auch alles Andere, soweit ich sehen kann, ist völlig in Ordnung, als wäre nichts gewesen. Und ich glaube, hier, wo ich jetzt bin, war und ist es auch so. Die sonst eigentlich nette Nachbarin, die mich gerade ansprach, sieht mir noch eine Weile hinterher, lässt mich aber zufrieden. Ich lächle, als ich sehe wie Normalität, die ich manchmal so verspottet habe, hier in diesen Breiten dominiert. Dabei habe ich sie noch nie vermisst…bis heute. Das Wetter ist so lala, immerhin trocken und ich beschließe, zu Fuß etwas einzukaufen. Das helle Tageslicht und das Kinderlachen aus verschiedenen Richtungen baut mich richtig auf. Da stutze ich, als ich ganz bestimmtes Kinderlachen in meiner direkten Nähe höre. „Papa, papa!“
Diese Stimmen würde ich aus tausenden heraushören. Und sogar die Frau, die lächelnd hinter diesen Stimmen steht, möchte ich einfach nur…und ich tu´s einfach. Als ich Hannah wieder los lasse, sehe ich ihr ins Gesicht. Jaja! Die große Liebe wird das nicht mehr mit uns. Aber ich wische ihr trotzdem die Träne aus dem Gesicht und lächle sie an. „Du wirst mir nicht glauben, was ich letzte Nacht geträumt habe und du wirst mir nicht glauben, dass ich euch alle sehr vermisst habe…sogar dich.“
Lächelnd boxt sie mir in die Seite und wir vier gehen flachsend weiter Richtung Einkaufszentrum. Hannah erklärt mir gerade, dass wir demnächst an ihrem Parkplatz vorbei kommen. „Bei euch sind ja alle Plätze privat. So haben wir noch einen kleinen Spaziergang gemacht.“
„Interessant“, erwidere ich. „Ich habe auch gerade einen hinter mir. Der war allerdings alles andere, als klein.“
Als wir so dahinschlendern, muss ich an diese Begegnung mit dem Dämon denken. Ob sie nun real war, oder nicht. Was dieses Wesen so gesagt hat, war ja gar nicht so dumm und ich mache mir so meine Gedanken darüber. Was für ein Erlebnis mag das denn nur gewesen sein? Werden die Geräusche unserer Schritte gerade leiser?
Wir haben das Einkaufszentrum gerade mal so in Sichtweite und zum ersten Mal seit langem, habe ich wieder Augen für die von Hannah. Deshalb müssen uns auch unsere Kinder auf die Szenerie vor uns aufmerksam machen.
„Papa, was ist denn das da vorne?“
Hannah und ich folgen den Blicken der Kinder und sofort wird mir wieder mulmig. Trotzdem bleibe ich nur stehen, weil Hannah anhält und mich am Arm hat. Vor uns ist eine Nebelbank, aus der das Einkaufszentrum nur noch vage herausragt. Um uns herum jedoch, ist die Luft noch kristallklar. Sofort läuft dieser Zustand jedoch, zumindest als Option, in meinen geistigen Begrenzer. Hannahs Kommentar kommt mir zuvor: „Alles im Nebel…ob´s da irgendwo gebrannt hat oder so was?“
Mein Atem geht schneller, was Hannah nicht entgeht. „Stefan, was ist mit dir? Ist dir nicht gut?“
Bevor ich antworten kann, antwortet jemand Anders in unmissverständlicher Deutlichkeit…und zwar in Form eines Bellens. Und ich glaube sämtlichen Sinnen nicht mehr trauen zu können.
„Homer!“, hört meine Umgebung, wahrscheinlich im Umkreis von Kilometern, mich rufen und die Kinder springen erschrocken beiseite, als der Weimaraner mir in die Arme springt. Ganz heiser ist er und über sein linkes Auge geht sogar eine deutliche Schrammennarbe, woher die auch immer kommen mag. Wie sagte der Dämon doch? Der Hund war nicht Teil seines Plans gewesen, also konnte Homer…
Verdammt! Das war doch alles nur ein böser Traum oder?
Aber ist das, was mir da so hingebungsvoll durch´s Gesicht leckt vielleicht ein böser Traum?
„Papa, du kennst diesen Hund?“, will Tom wissen. „Ja, mein Sohn, er gehört sozusagen zu mir.“
„Sozusagen?“ Hannah furcht die Brauen. Aber der Mangel an Diskussionswilligkeit, den Homer ausstrahlt, als er mir in gar nicht so fremder Weise in den Jackenärmel beißt und mich Richtung Heimat ziehen will, scheint keineswegs zufälliger Natur zu sein. Und diesmal, berechtigt oder nicht, reagiere ich sofort.
„Kinder, ich glaube, wir gehen besser wieder zurück. Ich glaube, bei dem, was auch immer da hinten los ist, sind wir nur im Wege. Ich habe noch Kuchen und Vanilleeis im Kühlschrank. Und ´nen Kaffee bekomme ich bestimmt auch noch hin. Kommt! Wir wollen es uns bei mir gemütlich machen. (Nur Hundefutter gibt es erst ab morgen mein Bester). Was sagt ihr? Vanilleeis?!“
Die Zustimmung ist eindeutig. Sogar, oder gerade, Homer scheint sich sehr zu freuen. Wo zum Kuckuck kommt dieser…Im Moment ist mir alles egal. Nur heim.
„Stefan, wie sieht denn dein Flur aus?“, ist Hannahs erster Kommentar, als sie ihre Stefan-Wohnung-Premiere startet. Und ich sacke fast zusammen. Natürlich! Der Dreck im Flur…den hatte ich schon ganz vergessen. Während ich fast schon panisch mit Besen, Handfeger und Schaufel agiere, und meine Familie sich ihrer Herbstkleidung zu entledigen versucht, perfektioniert Homer das Chaos im kleinen Zwischenspiel, in dem er immer wieder Fühlung mit diesen, wie auch immer gearteten, Naturreliquien aufnimmt. Er hat wohl eine gewisse Bindung zu diesem Bio-Abfall und das komische Gefühl in meiner Magengegend hat große Mühe, abzunehmen.
Eine Stunde später, in den weichen, warmen Armen meiner Fast-Ex-Frau in spe, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Hannah hat nur noch ein T-Shirt und ihren Rock an und krault mir, wie schon lange nicht mehr, den Kopf. Eine ähnliche Behandlung genießt Homer, der mit Tom zusammen auf dem grünen Ausleger liegt. Die Ruhe und Behaglichkeit, die dieses Bild ausstrahlt, ist so ansteckend, dass Hannah und ich fast gleichzeitig gähnen. Dann müssen wir lachen. So schön wie jetzt, war es schon lange nicht mehr.
Trotzdem gehen mir die Szenen der letzten gefühlten Vierundzwanzig Stunden nicht aus dem Sinn. Der Dämon, wie real auch immer, hat böse gehandelt, aber irgendwie weise gesprochen. Und was war mit diesem Nebel vorhin? Wäre dort tatsächlich nur das Einkaufszentrum gewesen? Warum nehme ich die Existenz Homers eigentlich als so selbstverständlich hin? Schließlich mache ich mit meinen wirbelnden Gedanken das, was ich immer mache, wenn sie mich zu sehr fordern: Ich lasse sie wirbeln.
Jenny zappt schon seit Minuten im Fernsehen von Programm zu Programm. Aber niemand stört sich daran. Ausgerechnet in einem Kanal, mit einem Dauerkaminfeuer bleibt sie stecken und schaut fasziniert in diese digitalen Flammen. Sie ändern sich nie und auch die Holzscheite werden nicht weniger. Aber es wirkt gemütlich. Hannah schläft.
Ob dieser Dämon wirklich weg ist…?… Wer weiß?
-Ende-