
Das Grimhold-Haus
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
„Na, mach schon, Fetti!“, rief Janine. Sie und die anderen standen bereits auf der anderen Seite des Zaunes, über den sie mühelos geklettert waren. Da waren Janines Freund Justin und ihre beste Freundin Emma.
Sie, Janine und Kati, die heute mit ihrem Freund unterwegs war und nicht dabei sein konnte, bildeten den Hofstaat für Vicki, ihres Zeichens Klassenbeste, Star des Ballett- und des Theaterkurses und tyrannische Herrscherin über die gesamte Oberstufe. Und meine persönliche Peinigerin. Sie hatte sogar einen eigenen Spitznamen für mich.
„Komm schon, Schwabbella, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit!“
Als wäre mein Name mir nicht an sich schon wie blanker Hohn vorgekommen.
Bella. ‚Die Schöne‘. Die bei jedem Blick in den Spiegel sah, dass sie das sie das nicht war.
„Hört doch mal auf, sie so fertigzumachen!“, sagte der Junge links neben ihnen, „Komm, Bella, du schaffst das! Du willst doch dabei sein, wenn wir den Geist von Grimholds Tochter beschwören, oder nicht?“
Das kam von Johnny, dem Grund, warum ich überhaupt hier war. Johnny, in den ich schon länger verliebt war, als ich überhaupt wusste, was ‚verliebt sein‘ wirklich bedeutet.
Völlig überraschend hatte er mich in der Schule angesprochen, hatte mir von der ganzen Sache erzählt, von der Séance, die er und die anderen abhalten wollten und dass Kati keine Zeit hätte und ihnen jetzt jemand fehlen würde und ob ich nicht Lust hätte dabei zu sein. Ich sagte sofort zu, auch wenn ich nicht verstand, wieso er ausgerechnet mich fragte.
Er musste entweder wissen, dass ich mich ein wenig für übernatürliche Dinge und Rituale interessierte oder er hatte Mitleid, weil ich in der Schule (wie auch sonst) immer allein war.
Mir war natürlich klar, dass ein Junge wie Johnny sich nie in jemanden wie mich verlieben würde, aber Mitleid war immerhin besser als gar kein Gefühl, nicht wahr?
Und so war ich nun hier und kraxelte mühevoll den hohen, rostigen Zaun hoch, der unter meinem Gewicht ächzte. Ich sah wie sich der Zickenadel spöttische Blicke zuwarf.
Mit einem Platschen landete ich schließlich auf dem matschigen Boden und mit einem genervten „Na endlich, Schwabbella!“ führte Vicki unsere Gruppe in Richtung des alten Hauses.
Natürlich hatte ich das Grimhold-Anwesen schon oft von Weitem durch den Zaun gesehen, aber der Eindruck, den es nun auf mich machte während ich zum ersten Mal so dicht davor stand, und das auch noch nachts, war um einiges bedrohlicher und furchteinflößender.
Die graubraune Fassade war fleckig und hatte an zahlreichen Stellen Risse, sodass das Mauerwerk darunter zum Vorschein kam. Das Dach war mit schuppenartigen Ziegeln gedeckt und geziert von zahlreichen Schornsteinen, Wetterfahnen und Zierspitzen.
Die Seite des Hauses, auf die wir nun zugingen, wirkte beinahe wie ein Gesicht mit zwei großen, starrenden Fenstern, dem steinernen Wappen, das wie eine Nase dazwischen lag und dem dunklen, offenstehenden Eingang, der wirkte wie ein offenes Maul.
„Voll krass“, teilte auch Justin seinen Eindruck von dem Gebäude mit.
Die Eingangshalle war nicht weniger eindrucksvoll als das Äußere. Selbst das wenige, dass man im Licht der Taschenlampen davon sah reichte aus, um vor seinem geistigen Auge zu sehen, wie Damen in teuren Kleidern die große, verzierte Treppe hinabstolzierten, oder wie ein reicher Adliger seine Gäste mit einem Cognac an dem kleinen, dreibeinigen Tischchen vor der holzgetäfelten Wand begrüßte.
Ich musste mich zusammenreißen um nicht bewundernd stehenzubleiben. Auch die anderen schienen sich umsehen zu wollen, doch Vicki ging zielstrebig voran und niemand hätte es gewagt, sie warten zu lassen.
Der nächste Raum war unschwer als Salon zu erkennen. Der hölzerne Boden war hier mit vermodernden Teppichen bedeckt, auf denen ein Tisch, ein zerfetztes Sofa und einige Stühle und Sessel standen. Die Rückwand wurde fast vollständig von einem Kamin und zwei riesigen Fenstern mit bis zum Boden reichenden, roten Vorhängen eingenommen.
Als alle eingetreten waren, zog Vicki die Tür zu, soweit es das verzogene Holz zuließ, und herrschte Johnny an: „Los, den Rucksack!“
Mit einer lässigen Bewegung nahm er ihn von den Schultern und reichte ihn ihr und Vicki begann, die Gegenstände darin zu verteilen. Emma bekam mehrere blutrote Kerzen, ihr Freund die dazugehörigen Ständer, die sie auf dem Kaminsims, den Fensterbrettern und den umstehenden Kommoden verteilten.
Ich wollte das Feuerzeug nehmen, das Vicki hervorholte, aber Janine schnappte es mir vor der Nase weg. „Pass lieber auf, Schwabbel, Fett ist brennbar!“ Sie ließ die Flamme kurz vor meinem Gesicht auflodern, dann begann sie, die Kerzen anzuzünden.
Ich wollte etwas sagen, aber Johnny lächelte mich an und verdrehte die Augen und ich beruhigte mich. Er war auf meiner Seite. Er mochte mich, irgendwie, zumindest ein bisschen, und alles andere war egal.
Inzwischen holte Vicki das letzte, wichtigste Utensil für unser Vorhaben hervor: Das Ouija-Brett.
Es war nicht besonders schön oder alt; ein bedrucktes schwarzes Stück Pappe mit den üblichen Zahlen und Buchstaben sowie den Worten ‚Yes‘, ‚No‘ und ‚Goodbye‘. Und doch machte es jetzt, hier, in dieser Umgebung einen unheimlichen Eindruck auf mich.
Vicki platzierte uns um den Tisch. Sie selbst saß zentral auf einem riesigen, samtenen Ohrensessel. Ich saß daneben auf einem der Stühle, zwischen ihr und Johnny, den Kamin direkt im Rücken.
Als alle einen Platz gefunden hatten, fing Vicki an zu sprechen und ihre Stimme wurde ein ganzes Stück tiefer und düsterer (man merkte ihr ihre Schauspielerfahrung an).
„Ich nehme an ihr kennt alle die Geschichte dieses Hauses. Das geheimnisvolle Verschwinden, das sich hier vor Jahren ereignete?“ Sie warf einen dramatischen Blick in die Runde, als erwartete sie tatsächlich eine Antwort, sprach aber sofort weiter.
„Vor vielen Jahren gehörte dieses Haus hier einem reichen Industriellen. Sein Name war Werner Grimhold.“ Sie deutete mit einer ausladenden Geste auf ein Gemälde an der Wand, das mir beim Hereinkommen nicht aufgefallen war. Es zeigte einen alten, kräftig gebauten Mann im Gehrock, der sich auf einen hölzernen Stock stützte. Sein Gesicht war von einem Backenbart, verfilzten, grauen Haaren und buschigen dunklen Augenbrauen umgeben und das, was dazwischen zu sehen war, war der mit Abstand vernichtendste Ausdruck, den ich je auf einem Gesicht gesehen hatte.
„Man sagt“, fuhr Vicki in düsterem Ton fort, „dass der alte Grimhold eine Tochter hatte. Ihr Name ist nicht überliefert, weil sie in der Stadt kaum gesehen wurde, also nennen wir sie einfach – Belle.“
Johnny räusperte sich hörbar.
„Oder…vielleicht braucht sie auch keinen Namen. Die Wahrheit ist jedenfalls, so sagt man, dass sie von Geburt an schrecklich deformiert war. Genauer heißt es, sie wäre abstoßend hässlich gewesen. “ Diesmal ging ein eindeutiger Blick in meine Richtung.
„Und außerdem nicht ganz richtig im Kopf. Heute begegnen wir solchen Menschen jeden Tag,“ (Wieder der Blick zu mir) „aber damals hielt man so etwas für eine Schande, besonders in den Kreisen der Reichen und Adligen, etwas das man vor der Außenwelt verbergen musste. Und so – sperrte Grimhold seine Tochter im Haus ein, Tag und Nacht.“
Sie fing an immer mehr Kunstpausen in ihren Monolog einzubauen, um die Dramatik des Erzählten noch zu steigern.
„Manchmal konnten vorbeigehende Dörfler sie hören; manchmal Gesang, manchmal Selbstgespräche, doch meistens – Schreie. Bis sie eines Tages – nichts mehr hörten.
Das Ganze ist jetzt knapp 200 Jahre her, also können wir wohl davon ausgehen, dass sie irgendwann gestorben sein muss. Wie – das wollen wir heute herausfinden!“
Vicki lächelte finster in die Runde.
„Wenn ich nun um eure Hände bitten dürfte?“
Nach und nach legte jeder den rechten Zeigefinger auf das schwarze Markerplättchen, das uns die Antworten des Geistes anzeigen sollte. Ich hatte meine Hand kaum ausgestreckt, als Vicki sie bereits gewaltsam packte und zu dem Plättchen zerrte.
Ein wohliger Schauer durchfuhr mich, als sich Johnnys und meine Hand berührten und ich warf ihm einen verstohlenen Blick zu, wandte mich aber sofort wieder ab, als er es bemerkte.
Vicki räusperte sich hörbar bevor sie die erste Frage stellte.
„Tochter von Werner Grimhold!“ Sie klang jetzt fast, als wollte sie eine Jahrmarktwahrsagerin imitieren.
„Wir kennen deinen Namen nicht, doch wir interessieren uns für dein Schicksal. Wir hoffen, dass du bereit bist, heute in unsere Mitte zu kommen und uns Antworten zu deinem Leben und auch zu deinem Tod zu geben. Und so fragen wir dich: Bist du heute hier bei uns?“
Einen Moment lang geschah nichts. Gebannt schweigend starrten wir auf den Marker.
Da, gerade als Justin „Das geht gar n-“ sagen wollte, begann sich das Plättchen unter unseren Händen zu bewegen.
Langsam, fast kriechend bewegte es sich von der Mitte aus bis zur linken Seite des Brettes, wo es auf dem ‚Yes‘ zum Stehen kam.
Mit einer Mischung aus Angst und Begeisterung sahen wir einander an. Selbst Vickis selbstsichere Fassade schien für einen kurzen Moment zu bröckeln.
„Los, weiter“ ,sagte Emma.
„Halt die Klappe“, gab Vicki schnippisch zurück, bevor sie wieder in ihr düsteres Gehabe verfiel.
„Tochter von Werner Grimhold, da du hier bist und mit uns kommunizieren möchtest, würdest du uns nun deinen Namen verraten?“
Wieder gab es eine Minute atemlosen Schweigens, bevor das Plättchen sich wiederum zu bewegen begann, diesmal jedoch über die Buchstaben, wobei wir jeden, bei dem es stehenblieb, laut mitsprachen.
„L.“ „I.“ „S.“ „B.“E.“ „T.“ „H.“
Vicki räusperte sich. „Lisbeth Grimhold, ist das dein Name?“
Das Plättchen wanderte erneut zu ‚Yes‘.
Ein plötzlicher Windhauch ließ die blutroten Kerzen flackern.
„Lisbeth“, sagte Vicki, „Vor fast 200 Jahren wurde dir ein ungewisses Schicksal zuteil. Würdest du uns nun verraten, wie du gestorben bist?“
Diesmal zögerte das Plättchen keine Sekunde sich zu bewegen. Ziellos zuckte es eine Weile hin und her, bevor es sich wieder über die Buchstaben schob. Erneut sprachen wir mit.
„V.“ „A.“ „T.“ „I.“
„Vati?“, fragte Vicki und vergaß ihre tiefe Stimme. „Du meinst-“
Doch das Plättchen bewegte sich schon wieder.
„K.“ „E.“ „I.“ „N.“ „E.“ „L.“ „U.“ „F.“ „T.“
„Vati“, wiederholte Vicki, „Keine Luft. Willst du uns damit sagen, dass dein Vater dich… erstickt hat?“
‚Yes‘, antwortete das Brett.
Ich spürte wie ich eine Gänsehaut bekam und auch den anderen schien nicht wohl zu sein. Janine kämpfte sichtlich mit sich, bevor sie sagte: „Lasst uns aufhören! Bitte! Das wird mir, zu…zu krass.“ Justin und Emma nickten.
„Wir machen weiter!“, befahl Vicki fast hysterisch, „Wir sind noch nicht fertig!“
Ihre Stimme wurde wieder tiefer, als sie weitersprach, doch diesmal wirkte es natürlicher, weniger gespielt.
„Warum hat dein Vater dir das angetan, Lisbeth?“
„S.“ „T.“ „R.“ „E.“ „I.“ „T.“
„Streit? Weswegen?“
„W.“ „O.“ „L.“ „L.“ „T.“ „E.“ „R.“ „A.“ „U.“ „S.“
„Du wolltest raus. Er hat dich erwischt, nicht wahr, Lisbeth? Er hat dich erwischt, ihr habt gestritten und dann hat er dich…“
‚Yes.‘
Einen Moment herrschte betretenes Schweigen. Alle sahen stumm auf den Marker und wir erschraken fast, als Vicki weitersprach.
„Und danach?“, fragte sie, „Was hat er mit deiner Leiche gemacht? Wo hat er dich begraben?“
Wider erwarten bildete der Marker kein Wort aus Buchstaben, sondern rückte das erste Mal zur rechten Seite des Ouija-Brettes. ‚No‘.
„Nein?“, fragte Vicki verwundert, „Du meinst… er hat dich nicht begraben?“
‚Yes.‘
„Aber er muss dich doch von hier weggebracht haben?“
‚No.‘
Vicki stockte.
„Er hat dich…nicht…von hier weggebracht?“
‚Yes‘.
Ich konnte förmlich spüren wie es in dem Raum kälter wurde. Niemandem hier schien noch wohl bei der Sache zu sein.
„Lisbeth“, fragte Vicki weiter, „Wo hat dein Vater deine Leiche hingebracht? Wo bist du?“
Diesmal bewegte sich der Marker so schnell, dass ich dachte, er würde uns unter den Fingern wegrutschen.
Zielsicher steuerte er vier Buchstaben an.
„H.“ „I.“ „E.“ „R.“
Dumpf schlug etwas im Kamin hinter mir auf. Eine Wolke aus Ruß stieß mir entgegen, als ich mich umdrehte, bevor sich langsam eine Gestalt aus dem Dunkeln herausschälte.
Das Gesicht des Mädchens wurde fast vollständig von ihren langen, verfilzten Haaren bedeckt, doch ich hatte keinen Zweifel, um wen es sich handeln musste. In einem schmutzigen, alten Kleid lag Lisbeth Grimhold, oder das, was von ihr übrig war röchelnd und hustend auf dem Boden des Kamins.
Ich versuchte aufzustehen, doch die Hände von Johnny und Vicki verkrampften sich um meine. „Bitte, ich-“ Ich sah zu Vicki. Ihr Blick war leer und abwesend, ihr Gesicht wirkte wie eingefroren.
„Leute!“
Alle Blicke waren eingefroren, niemand rührte sich. Stumm und starr saßen sie da, während das Röcheln aus dem Kamin zu einem gurgelnden Brüllen wurde. Lisbeths Körper streckte nun ihre Arme aus, die Ärmel mit Flecken von Ruß und Schimmel übersät. Ihre langen Fingernägel, die vorne aus ehemals weißen Handschuhen ragten, kratzten über den Boden, versuchten Halt zu finden, um sich aus dem Kamin herauszuziehen.
„Lasst los, bitte!“ Ich kreischte nun fast, zog und zerrte und befreite mich schließlich, indem ich Vicki einen Tritt gegen die Hand versetzte. Ich packte Johnnys Arm mit meiner freien Hand, warf einen Blick in sein Gesicht (-von allen wirkte seine erstarrte Miene am schrecklichsten auf mich-) bevor ich es mit aller Kraft schaffte, mich von ihm loszureißen.
Hinter mir auf dem Boden hörte ich schweres Atmen, Gurgeln, Schläge auf Holz, doch ich drehte mich nicht um.
Ich rannte zur Tür, öffnete sie und sprang hinaus- als mich etwas schweres am Kopf traf und eine schreckliche Kälte meinen Körper umhüllte.
Einen Moment lang lag ich auf dem Boden, sah und hörte ich nichts; alles um mich schien sich zu drehen und erst nach einer Weile erkannten meine Sinne einzelne Eindrücke und erst nach einer weiteren fügten sie sie zusammen.
Ein weiterer Junge hinter der Tür, ein Eimer auf dem Boden, lautes Gelächter, Vicki und die anderen um mich.
„Hast du das drauf?“, fragte Vicki, ihre Stimme spöttisch und schrill wie immer.
„Hab ich“, antwortete der Fremde, den ich als Katis Freund erkannte. Grinsend präsentierte er eine kleine Digitalkamera, bevor er sie in seine Tasche schob. „Wenn das erstmal auf YouTube kommt…“
„Hätte nicht gedacht, dass wir die mit so einem klischeemäßigen Scheiß drankriegen!“, lachte Emma, „Der böse, alte, reiche Mann und seine verrückte Tochter! Huhuhu!“
„Nun mach meine Geschichte nicht schlecht, ich hab eine ganze Freistunde gebraucht, um sie mir auszudenken!“, sagte Vicki gespielt beleidigt.
„Wie der Fettkloß mich angeschmachtet hat. Voll widerlich!“ Johnny hatte das gesagt. Johnny?
„Aber es hat sich gelohnt, oder?“, grinste Vicki und – küsste ihn.
Ihre Gesichter verschwammen hinter einem Vorhang aus Tränen, während die anderen immer noch lachten oder höhnisch grinsten.
„Aber- Aber-“ Mehr brachte ich nicht heraus. Die Worte blieben mir im Halse stecken.
„Oh“, feixte Emma, „Schwabbelchen hat geglaubt, ihr Traumprinz hätte sich in sie verliebt!“
„Nein“,schluchzte ich, „Nein, ich-“
„Dachtest du wirklich, wir nehmen dich einfach mit, weil wir dich plötzlich mögen?“, fragte Janine.
Ich wollte zurückweichen, doch sie standen überall um mich herum. Obwohl es sinnlos war, wollte ich noch immer nicht wahr haben, was gerade passiert sein musste.
„Ich dachte, ihr nehmt mich mit, weil Kati-“
„-weil Kati nicht kann?“, unterbrach mich Janine. „Bist du so blöd oder tust du so?“
„Na, na“, sagte Vicki, „Unsere Schwabella ist eben nicht die Schnellste da oben.“ Sie bohrte mir ihren spitzen Zeigefinger in die Stirn, bevor sie sich der vermeintlichen Lisbeth Grimhold zuwandte, die noch immer auf dem Boden vor dem Kamin lag.
„Du kannst jetzt aufstehen, Kati!“
Der Körper rührte sich nicht.
„Kati?“, fragte sie. Als sie keine Antwort bekam, begann sie ihr leicht in die Seite zu treten. „Lass den Unsinn!“
Meine Traurigkeit wich erneuter Angst, und auch aus den Gesichtern der Anderen verschwand das Lächeln.
Vicki bückte sich zu der reglosen Gestalt und begann an ihr zu rütteln. Immer lauter und schriller rief die den Namen ihrer Freundin, bis sie schließlich erfolglos versuchte, sie umzudrehen. „Hilft mir mal jemand!“, kreischte sie ihre Freunde an, von denen nur Johnny zu ihr ging und den Körper gemeinsam mit ihr auf den Rücken drehte.
Die Perücke fiel von Katis Kopf und enthüllte ihr von Schrecken erfülltes Gesicht; ihre aufgerissenen Augen, aus denen das Leben gewichen war, ihr Mund, zu einem Schrei verzogen, den sie verzweifelt versucht hatte auszustoßen.
Der Grund dafür lag etwas tiefer, wo sich auf ihrem wirklich sehr echt wirkenden Kleid (vermutlich ein Kostüm des Theaterkurses) auf Höhe ihrer Brust ein dunkelroter Fleck abzeichnete, aus dem ein gelb-gräuliches Etwas herausragte.
„Is‘ die tot?“, fragte Justin.
Johnny hielt Kati zwei Finger an den Hals, bevor er langsam und ernst nickte.
Mithilfe der Polizei verstanden wir später, was passiert sein musste.
Während Vicki, ich und die anderen erst am Abend zu dem Grimhold-Haus kamen, waren Kati und ihr Freund bereits vorher dort und trafen Vorbereitungen. Kati warf sich in ihr täuschend echtes Geisterkostüm und kletterte, sobald sie uns kommen hörte, in den Kamin, um im richtigen Moment daraus hervorzukommen und mich zu erschrecken. Indessen sollte ihr Freund das ganze durch den Türspalt filmen und außerdem einen Wassereimer über der Tür platzieren.
Alles funktionierte wie geplant, bis zu dem Moment, als Kati beim Herabklettern abrutschte und auf dem Boden auf etwas Spitzem aufkam, das unter der Asche verborgen war und sich in ihre Lunge bohrte.
Sie lebte noch, doch konnte sie kaum noch sprechen oder atmen. Sie versuchte verzweifelt um Hilfe zu rufen, doch ihr Rufen und Gurgeln schien für alle Teil ihrer Rolle zu sein, so dass sie vor aller Augen an ihrem eigenen Blut erstickte.
Doch das ist nicht mal der seltsamste Teil. Das alles wäre zwar ein tragischer Unfall, aber ein erklärbarer.
Was mich wirklich verstört, ist, was Kati durchbohrt hat.
In ihr steckte der abgebrochenene, obere Teil eines menschlichen Oberschenkelknochens.
Unter der Asche im Kamin fand die Polizei weitere Knochen, teils noch ganz, teils zerbrochen, die sie schließlich zu einem vollständigen, menschlichen Skelett zusammensetzen konnten.
Es war das etwa 200 Jahre alte Skelett eines jungen Mädchens.