KreaturenLangeMord

Black-Das Namenlose Grauen

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Eine angsterfüllende Dunkelheit ist über das Städtchen Gotham hereingebrochen. Der Himmel schien eine einzige Schwärze zu sein und die Regentropfen, die seit Tagen auf Gotham niederprasselten, waren wie Tränen, die wussten, was heute passieren würde. Es regnete jetzt seit mittlerweile drei Tagen und viele Leute waren der Auffassung, dass es vielleicht gar nicht mehr aufhört zu regnen, obwohl dies natürlich Schwachsinn war. Aber in seltsamen Zeiten neigten die Leute zur Übertreibung. Der Verkehr wirkte in den letzten Tagen wie eingestellt und viele Geschäfte hatten deshalb auch für die nächsten Tage geschlossen – niemand traute sich mehr vor die Tür. Aber das Allerseltsamste war, dass seit Tagen unzählige Krähen am Himmel zu sehen waren. Das Wetter schien ihnen nichts aufzumachen. Sie kreisten über Gotham wie Geier über ihrer Beute. Fast so, als würden sie etwas verkünden wollen…

Der sechsjährige Jared Blake saß mittlerweile schon drei Stunden auf der Fensterbank des großen Fensters im Wohnzimmer. Er trug noch immer seinen blau-weiß-gestreiften Schlafzug und schaute vollkommen verträumt nach draußen. Seine Eltern verboten ihm, das Haus zu verlassen, aus Angst, dass ihm etwas passieren könnte. Natürlich konnte er sie auf eine gewisse Weise verstehen, doch er war vorsichtig, was er ihnen auch mehrmals sagte. Aber er hatte keine Chance. Also saß er jetzt da vor dem Fenster und wartete, dass irgendjemand den Regen abstellte. »Wie lange willst du da eigentlich noch sitzen, Jared?«, fragte seine Mutter lieb, die hinter ihm in der Tür stand. Jared drehte sich um, betrachtete seine Mutter kurz und drehte sich dann wieder um. »Bis es aufhört zu regnen«, antwortete er schließlich. Lächelnd betrachtete sie ihren Sohn. »Willst du nicht drinnen etwas spielen?« »Nein«, sagte Jared kurz angebunden. Rachels Blick fiel auf das Klavier, das rechts in der Ecke des Wohnzimmers stand. »Soll ich dir etwas am Klavier vorspielen? Du magst doch „Für Elise“ so gerne«, schlug Rachel vor und war sich sicher, dass sie ihren Sohn damit überzeugen konnte. Er drehte sich um, betrachtete erst seine Mutter und dann das Klavier und sagte kurze Zeit später seufzend: »Heute nicht.« Überrascht betrachtete Rachel ihren Sohn und entschloss sich, sich neben ihn zu setzen. Sie streichelte ihm durchs Haar, hob mit ihren Fingern sein Kinn an, drehte sein Gesicht zu ihrem und sah ihm lange in die Augen. »Sei nicht betrübt, Liebling«, sagte Rachel tröstend. »Schon bald wird das Wetter besser und wir können uns wieder vor die Tür trauen.« »Ja, aber…«, wollte Jared anfangen, doch stoppte, da er wusste, dass seine Mutter ihm eh widersprechen würde und es gerade an der Tür geklingelt hatte. Sofort sprang Jared von der Fensterbank und riss die Tür auf. »Hallo, Jared«, ertönte sofort liebe und erschöpfte Mädchenstimme. Vor ihm stand seine beste Freundin Leslie, die mit ihm in die gleiche Klasse ging. »Warum bist du so erschöpft?«, fragte Jared ein wenig verwirrt. »Ich bin gerannt. Mama und Papa haben mir erlaubt, dass ich draußen spielen darf, da der Regen schon ein bisschen nachgelassen hat. Ich wollte mit dir draußen spielen.« Enttäuscht sah er seine Freundin an. »Ich darf nicht«, erklärte er verlegen und enttäuscht zugleich. »Mama verbietet es mir. Ich soll warten, bis das Wetter besser wird.« »Oh, wie schade«, sagte Leslie ein wenig traurig. Jared sagte kein Wort. »Hallo, Leslie«, ertönte Rachels Stimme. Sie war hinter Jared erschienen. »Hallo, Mrs. Black«, sagte Leslie freundlich und fügte sofort hinzu: »Ich wollte mit Jared draußen spielen. Darf er mit? Bitte!« Leslie legte ihren Hundeblick auf und lächelte, so lieb sie nur konnte. »Von mir aus«, gab Rachel schließlich klein bei, nachdem sie Leslies Blick nicht mehr standhalten konnte. »Aber nicht so lange. 2 Stunden, nicht länger. Und ihr müsst gut auch euch aufpassen.« Jared und Leslie nickten. »Dann hol ich mal dein Regenmantel, Jared.« Kaum war seine Mutter weg, schnappte Jared sich seine Regenstiefel und zog diese an. Als er den zweiten angezogen hatte, kam seine Mutter auch schon mit seinem schwarzen Regenmantel und er zog diesen sofort an. Er zog den Reißverschluss zu und rannte zur Tür hinaus. »Tschüss, Mama«, rief Jared und winkte, während er und Leslie die Straße hinunterrannten. Rachel schaute den beiden noch einige Zeit nach und plötzlich fiel ihr ins Auge, dass Jared noch seine Schlafkleidung trug. »Jared, du hast noch–«, als ihr Sohn ihr gar nicht zuhörte, stoppte sie mitten im Satz. Sie schaute Jared und Leslie noch so lange nach, bis sie verschwunden waren. Von den Augen der Krähen, die am Himmel kreisten, verfolgt.

Die beiden rannten durch den Regen, sprangen durch Pfützen und tanzten im Regen. Sie störte nicht, das ihre Kleidung von der Nässe vollkommen durchweicht war, und es störte sie auch nicht, dass Leute aus den Fenstern starrten und kopfschüttelnd die Kinder belächelten, die sich bei diesem Wetter doch den Tod holen würden. Sie waren frei und genossen dieses Gefühl der Freiheit. Sie waren unbeschwert, frei von Sorgen und Ängsten, einfach Kinder, die sich von einem Unwetter nicht verunsichern ließen, auch nicht von den Krähen, die sie vom Himmel und Häuserdächern aus beobachteten wie ihre Beute. Leslie sprang in eine Pfütze und lachte, drehte sich im Regen, ließ ihn in ihr Gesicht prasseln und lachte immer lauter. Jared stand einfach nur da und betrachtete sie. Das Geräusch, wie der Regen auf seine Kapuze fiel, hatte etwas seltsam Beruhigendes an sich, das von dem seltsamen Gefühl, beobachtet zu werden, ablenkte. Er hasste die Krähen, die mit dem Unwetter gekommen waren. Heimlich, aus den Augenwinkeln heraus, betrachtete er diese Vögel und hatte immer das Gefühl, dass diese Tiere das Gleiche taten. »JARED!«, rief Leslie, kam auf ihn zugestürmt und stürzte in seine Arme. Jared war darüber so erschrocken, dass er fast hinfiel – da er Leslie aus Reflex um die Hüften gepackt hatte, wäre sie fast mit ihm hingefallen. »Spinnst du?«, fragte er sauer. Leslie lachte herzlich und löste sich von ihm. »Woran denkst du?« Jared sah sie fragend an. »Du bist zu abwesend«, stellte sie fest. »Hast du keine Lust, mit mir zu spielen?«, fragte Leslie schon ein wenig getroffen. »Doch, hab ich«, sagte Jared sofort. »Es ist nur… diese Krähen… sie sind wirklich gruselig«. Leslie sah auf das Dach des gegenüberliegenden Hauses und betrachtete die Krähen, die sie böse anblickten. »Ja, irgendwie«, sagte Leslie gedankenverloren und ihre Aufmerksamkeit galt nur noch den beiden Krähen auf dem Dach. Sie legte ihren Kopf schief und sah der Krähe, die sie genau ansah, in die pechschwarzen Augen. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt nur noch dieser Krähe, als wäre sie in einem tranceähnlichen Zustand gefangen. Jareds Blick wechselte von Leslie und den beiden Krähen immer hin und her, und als ein Gefühl der Angst von ihm Besitz ergriff, stupste er Leslie mit dem Ellbogen an, um sie aus ihrer Trance zu lösen. »Leslie?«, fragte er verunsichert, als sie nach mehrmaligen Anstupsen nicht reagierte, und wurde völlig besorgt. Hatten diese Krähen sie verzaubert? Nein, das war natürlich Unsinn. Das waren Vögel und keine mystischen Kreaturen aus einem der Märchen, die ihm seine Mutter immer vorlas, aber irgendetwas Seltsames hatten diese Krähen schon an sich. Als wären sie die Boten von etwas Bösem. Ein Gefühl der Panik war alles, was Jared spüren konnte. »Leslie!«, sagte er nun lauter und schüttelte ihren Körper durch. »Hörst du das auch?«, fragte Leslie plötzlich mit einer vollkommen verträumten Stimme. »Was?«, fragte Jared unverständlich nach. Er konnte nichts hören außer dem Regen, der auf sie niederprasselte. »Na, den Gesang«, sagte Leslie noch immer verträumt und löste ihren Blick nicht von der Krähe. Mit hochgezogener Augenbraue betrachtete Jared seine beste Freundin. War sie jetzt verrückt geworden? Hier war kein Gesang. Es war auch niemand hier, der singen könnte. Sie waren alleine. Gesang konnte nur von einem der Häuser kommen, aber das hätten sie nicht gehört. Die Fenster der Häuser waren fest verschlossen und der Regen dämpfte jedes Geräusch. »Ich höre nichts, Leslie«, konnte er nur sagen und sah sich in der Gegend um. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in seinem Magen aus, und am liebsten wäre er wieder nach Hause gegangen. »Vielleicht sollten wir nach Hause gehen, Leslie«, schlug er deshalb vor. Erst jetzt löste sie sich aus ihrer Trance und sah Jared an. »Ja«, sagte sie noch immer etwas benommen. »Vielleicht hast du Recht.« Sie warf noch einen letzten Blick auf die Krähen und sagte dann: »Geh doch schon mal vor! Ich komme gleich nach.« Er blickte sie missmutig an. Seine rechte Hand legte er auf ihre Schulter und sagte dann: »Ich geh bis zum Ende der Kreuzung. Ich warte da auf dich.« Leslie nickte. »Ja, bis gleich.« Er ging zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und nachdem er einige Schritte gegangen war, drehte er sich nach Leslie um und sah, dass sie immer noch die Krähen ansah. Obwohl er ein schlechtes Gefühl hatte, sie einfach so zurückzulassen, ging er die Straße weiter entlang. Erst als er kurz vor dem vereinbarten Treffpunk war, hatte er einen Grund stehenzubleiben. Er hörte etwas. Gesang. So wie Leslie… Aber woher kam der Gesang? Hier war doch niemand. Er drehte sich in der Gegend um und konnte kein menschliches Wesen erkennen. Das Einzige, was er sah, waren die Krähen, die auf den Hausdächern saßen. Ob der Gesang von den Krähen kam? War das denn möglich? Jared ging näher an das gegenüberliegende Haus heran und sein Blick war eisern auf die Krähen gerichtet. Die ganze Aufmerksamkeit der Krähen galt dem kleinen Jungen vor ihnen. Je näher er den Krähen kam, umso deutlicher wurde auch der Gesang, der von den Krähen ausging… wie eine Hypnose…

„Komm Kind, Black wartet auf dich! Diene unserem Meister mit deinem Fleisch und Blut! folge uns ins Ungewiss‘, schließ deine Augen und lass dich führen,denn aufwachen wirst du in der Höll‘ erneut.“

Wie Leslie verlor auch Jared sich in den Augen der Krähen. Er hörte nur noch ihren Gesang, der sich immer wieder wiederholte und ihn hypnotisierte. Jared schloss seine Augen und hielt sich die Ohren zu. Er musste dagegen ankämpfen. Er versuchte nur noch an eines zu denken: an Leslie. Vor seinem geistigen Auge sah er nur noch Leslie und eine Art Glück und Frieden breitete sich in seinem Körper aus. Der Gesang wurde immer leiser, bis er vollkommen verschwunden war. Vorsichtig öffnete er seine Augen, doch hielt seine Ohren noch immer zu. Die Krähen starrten ihn böse mit ihren pechschwarzen Augen an, doch Jared zeigte keine Angst. Er drehte sich um, um zu schauen, ob Leslie schon da war. Doch niemand war dort und auch nicht auf dem Weg. Schon wieder ergriff das Gefühl der Panik von ihm Besitz und er rannte, so schnell er konnte, die Straße hinunter, um zu sehen, wo Leslie war.

Jared wusste nicht, wann er zuletzt in seinem Leben so gerannt war. Eigentlich war er, wenn er viel rannte, immer schnell aus der Puste, doch diesmal nicht. Die Angst um Leslie und der Drang, sie zu finden, waren größer. »LESLIE!«, schrie Jared, so laut er konnte. Er bekam keine Antwort. Panisch sah er sich in der Gegend um und bemerkte, dass die beiden Krähen auch weg waren. »LESLIE«, schrie er noch einmal und seine Kehle tat ihm weh. Der Regen wurde nebenbei immer stärker und prasselte erbarmungslos auf die Erde nieder. Jared bekam das nicht mit. Alles drehte sich nur noch um Leslie. Wo war sie bloß? Hatten diese Krähen ihr etwas angetan? Er rannte die Straße weiter hinunter und sah sich nebenbei immer weiter um. Als er am Ende der Straße angekommen war, blieb er stehen und schluckte. Er stand kurz vor dem alten Dammgebiet, das damals mit der Gründung Gothams errichtet worden war. Da es seit über 100 Jahren ein neues Dammgebiet gab, wurde das alte geschlossen. Jetzt war das Gebiet als „Old Dyke“ bekannt und größtenteils mit Pflanzen überwuchert und extrem baufällig, weshalb es kleinen Kindern verboten war, dort hinzugehen. Auch, weil man es mittlerweile zum Eingang zur Kanalisation umfunktioniert hatte und man nicht wollte, dass die Kinder in diesem Dreck spielten. Ob Leslie hier war? Jared fand diesen Ort einfach nur gruselig, weshalb seine Eltern ihn auch nicht daran erinnern mussten, dass er sich auf keinen Fall dorthin wagen sollte. Nie im Leben wollte er hier hin, aber es schien so, als ob er keine andere Wahl hätte. Natürlich würde er alles tun, um Leslie zu retten… Vorsichtig sah Jared sich um. Es durfte ihn immerhin niemand dabei sehen, wie er Old Dyke betrat… Als er sich ganz sicher war, dass auch niemand hinter dem Fenster stand , verschwand er hinter den Bäumen und Büschen und bahnte sich seinem Weg durch den Wald bis hin zum alten Dammgebiet, wo hoffentlich Leslie sein würde… Der Weg war völlig matschig und er blieb mehrmals mit seinen Regenstiefeln stecken. Regen prasselte erbarmungslos auf ihn nieder. Doch er nahm für Leslie alles in Kauf. Er betete dafür, dass ihr nichts passiert sei. Auch wenn die vielen Krähen am Himmel, die er trotz der Baumkronen erkennen konnte, nichts Gutes verhießen…

Die Krähen kreisten vor ihr am Himmel und sangen ihr Lied. Leslie folgte ihnen, ohne genau zu wissen, was sie tat. Ihre Hose und Gummistiefel waren voller Schlamm. Ihre Augen waren geweitet und einzig und alleine auf die Krähen gerichtet, die ihr den Weg wiesen. Die Gesang schien immer lauter und hypnotischer zu werden und Leslie merkte gar nicht, wie sie immer tiefer in das alte Dammgebiet eintrat… Der Boden ging in kalten, grauen Stein über und war sehr rutschig. Den Wald hatte sie hinter sich gelassen. Sie war jetzt auf dem alten Damm, der mittlerweile im Wald lag und kurz vor dem Zusammenbruch stand. Sie starrte nur in den Himmel, trotzdem war ihr Gang sicher und fest und sie wich allen Hindernissen aus. Plötzlich brach der Gesang ab und die beiden Krähen verschwanden im tiefen Wald. Leslie erwachte aus ihrer Trance und ein Schrei entwich ihren Lippen. Panisch blickte sie sich um, konnte aber außer Bäumen nichts erkennen. Der Regen prasselte auf sie nieder und war seltsam laut auf dem grauen Steinboden. Wo war bloß Jared? War sie ohne ihn hierhin gegangen? Hatten die Krähen sie geführt? Ein Gefühl der Angst breitete sich in ihrem Körper aus und sie war den Tränen nahe. Sie fühlte sich so hilflos, so verletzlich… so allein. Ein Schluchzen entwich ihren Lippen und einige Tränen liefen ihre Wange hinunter. Mit einer schnellen Handbewegung wischte sie die Tränen aus ihrem Gesicht, doch es kamen sofort neue. »Bitte, komm bald, Jared«, weinte Leslie und immer mehr Tränen liefen aus ihren Augen und fielen auf den Boden. »Oh, weine nicht, kleiner Stern!«, sagte eine unbekannte Stimme. Leslie erschrak und wich einige Schritte zurück. »Wer-Wer ist da?«, fragte Leslie und musste für diese Frage all ihren Mut zusammennehmen. »Ich könnte es dir sagen, wenn du zu mir kommst…«. Die Stimme war nicht mehr als ein bedrohliches Flüstern, doch Leslie hörte die Stimme laut und deutlich. Es war die Stimme eines jungen Mannes. Ängstlich sah Leslie sich in der Gegend um, doch konnte niemanden erblicke. Wer wollte ihr solche Angst einjagen, jetzt, wo sie so alleine und hilflos war? Er lachte. Das Lachen war einfach nur böse und immer mehr Panik ergriff von Leslie Besitz. »Ich bin nicht hinter dir und auch nicht neben dir.« Verständnislos horchte Leslie der Stimme. »Wo bist du dann?«, fragte sie nach. »Unter dir«, erklärte er und kicherte kaum hörbar. »Wo?«, erkundigte sich Leslie. »Geh ein paar Schritte vor, kleiner Stern. So weit, wie der Stein reicht.« Ohne weiter darüber nachzudenken, tat Leslie, was die geheime Stimme befahl. Sie ging bis zum Rand des Steinbaues des Dammgeländes und schaute hinunter. Am Innenrand des Steines konnte sie eine eingebaute Leiter erkennen, die leicht verrostet war. Leslie starrte nur in die Tiefe. Sie hatte Angst hinunterzugehen. Immerhin kannte sie den Urheber der Stimme nicht und sie war allein. Was, wenn er böse Absichten hatte? Sie wollte nichts riskieren. »Willst du nicht zu mir kommen?«, fragte die Stimme nach, die plötzlich sehr kalt und bedrohlich klang. »Nein«, sagte Leslie kopfschüttelnd. »Ich kenn dich doch gar nicht.« Wieder ein böses Lachen von dem Unbekannten. »Na gut, da du unbedingt meinen Namen wissen willst, kleiner Stern, werde ich dir diesen Wunsch erfüllen. Du kannst mich Black nennen. Und du bist Leslie, stimmt’s?« »Ja, das stimmt«, sagte sie grinsend. »Woher kennst du denn meinen Namen?« »Oh, jeder aus der Stadt kennt dich«, sagte der Unbekannte mit einer liebevollen Stimme. »Jeder kennt das schlaue Mädchen, das in der ersten Klasse schon so begabt ist wie manche Viertklässler. Jetzt, da wir uns kennen, kannst du ja zu mir kommen…«, meinte er und Leslie wusste nicht mehr, was dagegen sprechen sollte. »Ja«, meinte sie lächelnd. Alle Ängste und Sorgen waren wie vergessen… wie weggezaubert. Sie musste keine Angst haben, immerhin kannte er sie ja. Wenn er sogar wusste, das sie die Klügste aus der Klasse war, kannte er vielleicht sogar ihre Eltern oder Freunde von ihnen. Langsam kletterte Leslie die Leiter hinunter und konnte gar nicht fassen, wo sie nun war. Sie stand vor dem Eingang in die Kanalisation. Eine große Metalltür versperrte allerdings den Eingang. Leslie sah sich wieder um, sah aber niemanden. Er war doch nicht etwa gegangen? »Hallo?«, fragte Leslie nach und lauschte in die Umgebung. »Leslie, ich bin hier«, sagte Black und die Stimme kam vom Kanalgitter. Völlig erstaunt blieb sie erst einige Sekunden stehen und starrte die Metalltür an. Nach kurzem Überlegen ging sie darauf zu und starrte in die Kanalisation. Ein ekelhafter Gestank kam ihr entgegnen, doch erstaunlicherweise machte ihr dies nichts aus. »Black?«, fragte sie nach, als sie niemand erkennen konnte. »Wo bist du?« Kaum hatte sie ihre Frage gestellt, tauchte genau vor der Metalltür ein großes Geschöpf auf und Leslie erschrak sich so, dass sie schrie und einige Schritte zurücktaumelte. »Oh«, machte das Etwas verlegen und anhand der Stimme wusste Leslie, dass es Black sein musste. »Ich wollte dich nicht erschrecken, kleiner Stern.« Mit schwerem Atem und schnellem Puls ging Leslie wieder an die Metalltür heran und betrachtete Black genau. Es war ein hochgewachsener Mann, dessen blutroten Augen, die böse und gierig funkelten, schwarz umrandet waren. Seine Haut hatte die Farbe Schneeweiß. Seine dichtes, mittellanges Haar war so schwarz wie das Gefieder eines Raben. Die rechte Seite war zu einer Spitze geformt und hing zwischen Auge und Nasenbein und ging bis zu seinem Mundwinkel. Seine Fingernägel waren schwarz und seine Lippen blutrot. Seine Kleidung war ein schwarzer Frack, wie ihn die Männer im Viktorianischen Zeitalter getragen hatten. Blacks Frack war mit Dreck übersät und an einigen Stellen gerissen, an anderen Stellen hing der Stoff herunter. Er roch nach Blut, Verwesung und Schimmel, als wäre er seit Jahren im Kanal oder einem alten Kellergebäude eingesperrt gewesen. Leslie musterte ihn und hatte bei ihm das Gefühl, als wäre er aus einem Horrorfilm entsprungen. Er sah scheußlich aus, doch er war nett zu ihr und ihre Eltern hatten ihr immer wieder beigebracht, niemanden nach dem Äußeren zu beurteilen. »Was machst du denn hier im Kanal, Black?«, fragte Leslie nach, da sie das ziemlich merkwürdig fand. Er seufzte, sah zu Boden und sah sie dann wieder dann. »Wenn ich es dir sage, dann lachst du mich nicht aus, oder?«, meinte er verlegen und Leslie schüttelte sofort ihren Kopf. »Meine Freunde haben mich hier eingesperrt. Ich bin schon seit fast 5 Tagen hier unten. Sie haben mir versprochen, mich zu befreien, doch sie kamen nicht wieder. Vielleicht haben sie mich vergessen oder es macht ihnen Freude, daran zu denken, dass ich im Kanal verrotte.« »Wie schrecklich«, sagte Leslie sichtlich getroffen. »Kann ich dir irgendwie helfen?« »Du könntest mich hier rauslassen…« »Wie?«, fragte Leslie sofort nach. »Nun, meine Freunde haben sich einen Spaß daraus gemacht, den Schlüssel in der Tür stecken zu lassen, leider nicht auf meiner Seite. Ich habe versucht, an den Schlüssel heranzukommen, doch dann ist er mir aus der Hand gefallen.« Black seufzte getroffen und strich sich durchs Gesicht. »Jetzt liegt er vor mir auf dem Boden und ich komme nicht heran. Aber du.« Leslie blickte auf den Boden und sah vor ihren Füßen einen Schlüssel liegen. Sie war sich allerdings nicht sicher, ob der Schlüssel wirklich schon die ganze Zeit da gelegen hatte oder erst seit kurzem. Aber wie sollte der Schlüssel so plötzlich da hingekommen sein? Sie hatte vielleicht einfach nicht darauf geachtet. Leslie hob den Schlüssel auf und steckte ihn in das Schlüsselloch der Metalltür. »Bitte, schließ auf!«, bat Black lieb und sah Leslie mit einem Lächeln an, das einen Blick auf seine Zähne freigab. Jeweils zwei seiner unteren und oberen Zähne sahen aus wie die Fangzähne eines Vampirs und Leslie bekam wieder Angst. Misstrauen machte sich in ihr breit. »Du tust mir doch nichts, oder?«, fragte Leslie vorsichtig nach und nahm ihre Hand vom Schlüssel. »Nein«, sagte Black sofort mit einer Stimme, die nicht lügen konnte. »Lass dich von meinem Äußeren nicht abschrecken! Du musst wissen, ich mag Vampire sehr und habe schon immer davon geträumt, auch einer zu werden – deshalb sehe ich so aus.« »Ach so«, sagte Leslie verständnisvoll, doch auch ängstlich. »Ich habe aber Angst vor Vampiren«, gab sie dennoch zu. Black lachte. »Dann kannst du ja froh sein, dass ich kein echter Vampir bin«. Leslie erwiderte sein Lachen und schloss die Metalltür auf. »Danke«, sagte Black und mit einem lauten Klirren ging die Metalltür auf. »Darf ich dich umarmen?«, fragte Black, als er vor Leslie stand. Erst jetzt fiel Leslie auf, wie groß er wirklich war. Fast zwei Meter hoch. Er wirkte auf eine Weise bedrohlich, doch er war es nicht. Black war lieb. Er mochte sie und sie mochte ihn. »Ja«, antworte Leslie. Black beugte sich zu ihr hinunter, legte seine Arme um ihre Hüften und Leslie tat das nämliche. Plötzlich spürte Leslie einen brennenden Schmerz in ihren Hüften und sah, wie Blut ihren ganzen Regenmantel verfärbte, auf den Boden lief und vom Regen fortgespült würde. Blacks Fingernägel wurden zu messerscharfen Klauen, die er in ihren Körper gerammt hatte. Leslie schrie und weinte, während sie zusah, wie ihr Blut sich mit dem Regen vermischte. Er zog seine rechte Hand aus ihrem Körper, und der Schmerz wurde immer intensiver. Er packte sie am Kinn und das Blut, das an seinem Klauen-Fingernägeln haftete, klebte an ihrem Kinn. Seine Lippen waren ein Lächeln des Grauens, ein Blick in die Hölle. »Schlaf gut, Leslie!«, flüsterte er ihr ins Ohr und biss sie wie ein Vampir mit voller Wucht in den Hals. Ein letzter Schrei entwich ihren Körper… dann war sie tot. »LESLIE!«, hörte Black die Stimme eines Jungen und blickte über sich. Jared stand am Rande und sah ihn und Leslie, die tot in seinen Armen lag. Ein diabolisches Lachen zierte Blacks Lippen und Jared schrie und weinte um den Verlust seiner Freundin, die dieses namenlose Monster ihm genommen hatte. Black ließ Leslies toten Körper fallen und verschwand in der Kanalisation. Jared rannte hinunter zu seiner besten Freundin, die mit Blut übersät war. Er spürte, wie Übelkeit in ihm aufstieg und ihm das Atmen immer schwerer fiel. Das Letzte, was er mitbekam, war, wie er zusammensackte und die Welt um ihn herum verschwamm.

Gegenwart

»NEIN!«, schrie Jared und fuhr schweißgebadet in seinem Bett hoch. Sein Atem ging schnell und seine ganze Kleidung war durchgeschwitzt. Panisch sah er sich in seinem Zimmer um und wusste, dass er wieder nur geträumt hatte. »Leslie«, flüsterte er leise und weinte. Immer wieder der gleiche Albtraum seit mittlerweile zehn Jahren… weil Black ihm Leslie genommen hat. Niemand glaubte ihm, dass es Black gab, niemand konnte seine Angst verstehen. Alle dachten, es wäre ein Unfall gewesen. So wie der Tod aller Kinder, die plötzlich tot aufgefunden werden. Er sah auf seine Uhr. 3:18 Uhr. Er ließ sich wieder auf seine Kopfkissen fallen und starrte an die Decke. Er würde nicht mehr schlafen können… so wie immer seit zehn Jahren… weil er überall nur ihn sah…

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