Die Kleine am Straßenrand
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Prolog: Eine Warnung
an die Nachtschicht
In der Wachzentrale der Nervenklinik wurde Patient 73 von
mehreren Kameras rund um die Uhr bewacht. Er saß bereits einige Tage zur
Beobachtung ein, war in dieser Zeit weitgehend unauffällig und wurde nun zur Überraschung
des diensthabenden Pflegers ohne konkreten Anlass in dieser Nacht zusehends
unruhiger. Der Pfleger stellte eine Sprechverbindung her, was Patient 73 sichtlich
erleichtert zur Kenntnis nahm und flehend hinauf in die Kamera blickte. „Lassen
Sie mich gehen, oder Sie werden die Konsequenzen tragen müssen!“. Der Pfleger
war irritiert, so ein aggressives Verhalten hatte 73 noch nicht gezeigt. Er
schmunzelte, da multiple Persönlichkeiten ja sprunghaft wechseln konnten, und
ließ sich auf sein Spiel ein. Damit ersparte er sich auch gleich das Lesen der
Akte und überbrückte eine Weile den eintönigen Nachtdienst. „Drohen Sie mir
etwa?“, fragte er zurück. „Nein, ich bin keine Gefahr für Sie…hören Sie einfach
nur gut zu und entscheiden Sie selbst, was besser für Sie wäre“.
Ich weiß, es gehört sich eigentlich, sich ordentlich
vorzustellen. Doch sind mein Name, Alter und Biografie inzwischen so fern, wie
das Leben, dem sie einst angehörten. Das eintönige, fast routiniert langweilige
Leben, das ich gerne wieder hätte. Bevor ich Patient 73 wurde. Bevor ich anfangen
musste, meine Mitmenschen zu beschützen. Vor einem halben Jahr noch war ich
Student in Oldenburg und auf dem Rückweg von einer Uni Party. Es war bereits
nach Mitternacht und auf der Landstraße war ich alleine unterwegs. Aus Gründen
der Müdigkeit fuhr ich recht langsam und wohl deshalb bemerkte ich überrascht in
einer Kurve die kleine Gestalt. Es war ein Kind. Das Mädchen war vielleicht 11
oder 12 Jahre alt. Sie nahm Blickkontakt auf und ich hielt neben ihr an. Als
ich das Seitenfenster runterließ und fragen wollte, was sie hier draußen um
diese Zeit macht, stieg sie schon von sich aus ein. Sie klang sehr erschöpft,
müde und angestrengt. Ihr markantestes Zeichen waren hellrote Haare und ein Sommerkleid
mit Blumen darauf, es wirkte etwas altmodisch…zumindest nicht zeitgemäß, nicht
so, wie es Mädchen in dem Alter heutzutage trugen. Ich war verblüfft und wusste
nicht recht, was ich davon halten sollte. Das Mädchen sah mich direkt an :„Können
Sie mich bitte nach Hause bringen?“, fragte sie schüchtern. „Ich will nur endlich
nach Hause“, und schaute mich mit wässrigen Augen an. „Hast du gar keine
Bedenken, zu einem Fremden ins Auto zu steigen?“, fragte ich sie. Unabhängig
von der Tatsache, dass sie sich bereits angeschnallt hatte. Doch das Mädchen
hauchte nur leise :„Du bist ein guter Mensch, nicht wie viele andere. Sonst hätte
ich mich nicht gezeigt und wäre nicht eingestiegen“. Ich fuhr wieder auf die
Straße; irgendwie kam sie mir bekannt vor, aber ich schob es auf eine
Verwechslung oder müdigkeitsbedingte Einbildung.
Das Dorf in dem sie wohnte lag auf meinem regulären Rückweg.
Die Straßenschilder zeigten regelmäßig an, dass wir näher kamen, und sie wurde dabei
zusehends fröhlicher, ihre trübe Stimmung hellte sich auf, sie lächelte. Die
meiste Zeit schwieg sie allerdings, antwortete nur mit Nicken oder
Kopfschütteln auf Fragen. Etwas Skurriles lag in der ganzen Szene.
„Ich heiße übrigens Hannah“, sprach mich die Kleine
unvermittelt an. Einen Großteil meiner Konzentration brauchte ich um diese Zeit
zum Fahren, darum hatte ich noch nicht danach gefragt. Allerdings wurde mir das
auch erst in diesem Moment bewusst. „Du bist ein guter Mensch. Hast du Kinder?“.
Ich grinste unwillkürlich, da ich häufig jünger geschätzt wurde, als ich
tatsächlich war. Offensichtlich hatte Hannah aber einen guten Blick dafür.
„Nein, ich bin mitten im Studium, und bin Single…leider“. „Kann ich deine
Freundin sein? Ich bin meistens ganz, ganz lieb, kann backen und dich auch vor
bösen Menschen beschützen“. Hannah kramte in Ihrer Hosentasche und zeigte mir
ein kleines, mit Blutflecken verkrustetes Messer. Ehe ich etwas dazu sagen
konnte, steckte sie es auch wieder weg. „Entschuldigung, ich wollte dich damit
nicht erschrecken“, sagte sie traurig :„Das begleitet mich schon sehr, sehr
lange musst du wissen“, murmelte sie, und begann die Melodie eines mir
unbekannten Liedes zu summen. Für einen kurzen Augenblick halluzinierte ich
einen dunkelroten Fleck auf ihrem Kleid, auf Höhe des Herzens. Ich blinzelte
und die Wunde war verschwunden. Vorsichtshalber öffnete ich das Fenster, und
die kalte Nachtluft machte mich für eine Weile wacher und meine stumpfen Sinne
schärfer. Ich bereute es, kein Taxi genommen zu haben, überschlug im Kopf die
getrunkene Menge Alkohol, atmete tief durch und wählte meine Worte mit Bedacht.
Das sollte sich viel später als klug herausstellen.
„Ich bin mindestens doppelt so alt wie du…aber befreundet
sein geht auf jeden Fall“, zwinkerte ich ihr zu. Das schien sie erst zu
irritieren, dann grinste sie nur vielsagend. „Magst du deine Eltern anrufen?“,
fragte ich und zog mein Handy aus der Tasche. Doch Hannah schüttelte nur den
Kopf. Aus einer Laune heraus wollte ich das Radio einschalten, doch es rauschte
nur. Ebenso, als ich versuchte, zumindest eine CD zu starten. Ärgerlich stellte
ich fest, dass es nicht funktionierte. Ich warf einen prüfenden Blick auf mein
Navi, die Straße, die Hannah mir beschrieb, lag in einem eher schlechten
Außenbezirk von Oldenburg, und ich wollte den direkten Weg dahin nehmen. Ganz
getreu dem Motto „Schnell rein, schnell raus“. Doch auch mein Navi zeigte sich
stumm. Keine Fehlermeldung, keine Signalstörung- einfach „nichts“. Das Gleiche
galt für mein Handy. Volle Signalstärke, aber kein Empfang. Verstohlen musterte
ich das Mädchen und die beschriebene Wohngegend. Es schien nicht recht zusammen
zu passen. Wahrscheinlich war ich ein Fall fürs Bett oder die psychosoziale
Beratungsstelle aufgrund des Prüfungsstresses. Zuversichtlich zählte ich auf
die „geistige Automatik“- Autofahrer kennen das, kaum eingestiegen und
losgefahren, schon ist man da. Außerdem war ich nicht alleine unterwegs, ich
musste also sicher am Ziel ankommen.
Hannah wurde immer aufgedrehter, als wir schließlich in die
Straße einbogen, in der sie laut eigener Aussage wohnte. Sie schien sich auf
ihre Eltern zu freuen, als ob sie sie Jahre nicht gesehen hätte. „Ich parkte
vor einem schönen Einfamilienhaus auf der linken Seite. Es passte eher zu der
Zeit, als der Vorort noch nicht zur schlechten Wohngegend zählte. Die Eltern
des Mädchens standen jetzt in der Haustür, kurioserweise hatte ich zuvor weder
Licht im Haus noch die Eltern bemerkt, und winkten uns. Ich wandte mich dem
Beifahrersitz zu, doch der war jetzt leer- das Öffnen der Tür hatte ich nicht
gehört. Ich schaute wieder zurück zum Haus, und sah, wie die zwei Erwachsenen Hannah
in ihre Arme schlossen. Dann winkten mir alle drei. Ich schaute zur Gangschaltung,
legte den ersten Gang ein, zog die Handbremse an und schaltete den Wagen ab,
war im Begriff auszusteigen… als ich wieder hochsah, war das Haus eine Ruine,
Hannah und ihre Eltern verschwunden. … [Der Pfleger unterbrach: „Und damit
begann Ihr eigentlicher geistiger Verfall?“. Patient 73 schluckte seinen
aufkommenden Ärger herunter und setzte seine Erzählung fort].
Ich beschloss daraufhin, aufgrund von Übermüdung nicht
weiter zu fahren, die Türen zu verschließen und auf der Rückbank etwas zu
schlafen. Im Halbschlaf schließlich erinnerte ich mich an dieses Haus, es stand
vor vielen Jahren in der Zeitung. Ich selbst war damals noch ein Kind.
Drogensüchtige waren auf Diebestour eingedrungen, um ihre Sucht zu finanzieren.
Die Familie wurde dabei umgebracht. Das Mädchen…wurde entführt und in einem
Waldstück erstochen aufgefunden, ungefähr dort wo ich sie als Anhalterin aufgenommen
hatte.
Aus diesem Dämmerzustand zurück in die Realität rissen mich
harte Schläge gegen die Tür. Zwei mit Eisenstangen bewaffnete Männer schlugen
dagegen. Ich hatte tatsächlich völlig verkannt, in was für einer Gegend ich
mich schlafen gelegt hatte. Ein dummer und schlimmer Fehler, aber für meine
Angreifer sollte es sich als ein noch schlimmerer herausstellen. Ich sah hinter
den beiden die schemenhaften Umrisse eines Kindes und zweier erwachsener
Menschen. Dann hörte ich Schreie, die ich weder beschreiben noch wiederholen
kann. Ehrlich gesagt, ich wurde ohnmächtig, und erst die Polizeisirene weckte
mich wieder auf. Meine Windschutzscheibe war voller Blut…Epilog:
„Eine nette Geschichte“, beendete der Pfleger barsch die
Erzählung von Patient 73. „Mein Rundgang beginnt gleich, bis nachher“. Damit
beendete er die Sprechverbindung. Patient 73 lächelte weiterhin mitleidig in
die Kamera und sprach weiter, in der Hoffnung, gehört zu werden. „Ich habe den
Geist eines jungen Mädchens zu ihren Eltern gebracht und aus Dankbarkeit für
diese gute Tat jetzt meine persönlichen Schutzengel. Hannah hat mir letzte
Nacht versprochen, mich hier heraus zu holen. Davon konnte ich sie nicht
abbringen. Und dabei ist sie nicht zimperlich“.
Hörst du eine Kinderstimme aus dem Nichts eine Melodie
summen, wirst du mir etwas Böses getan haben oder es in naher Zukunft vorhaben.
Lausche mit Bedacht, denn Hannah spürt Gefahren für mich schneller auf und
eliminiert sie, als ich sie bitten kann, davon abzusehen…