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Totensonntag

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Der Himmel liegt über der Erde wie eine undurchdringliche
graue Decke. Winzige Tropfen sausen durch die Luft, nahezu schwerelos und
benetzen alles und jeden mit einer feinen Schicht aus Wasser. Die Kälte frisst
sich durch meine Hose und prickelt auf meinen Beinen wie tausend winzige
Eiszapfen. Es wäre ein fantastischer Tag um sich einfach zu Hause ins Bett zu
kuscheln, etwas Warmes zu trinken und im Kerzenschein in ein gutes Buch zu
vertiefen. Man könnte den einbrechenden Winter hinter den Wänden vergessen und
einfach die Seele baumeln lassen. Ein ganz gemütlicher Novembersonntag, das
wäre es doch jetzt. Aber nein, ich stehe ja hier in den eisigen Luftmassen, wie
in einem Heer aus Geistern. Vielleicht tue ich das gerade wirklich. Denn ich
stehe auf dem Friedhof.

Hier in meiner Heimatstadt haben wir nur dieses eine Feld
der Toten, normalerweise liegt es das gesamte Jahr über im Schatten der alten
Kirche, beseelt mit einigen wenigen trauernden Schatten, die herkamen um ihre
Liebsten zu vermissen. Als ob man dafür extra zu diesem unwirtlichen Ort fahren
müsste, nur um auf einen Stein zu starren und Blumen über die verrottenden
Körper dieser Menschen zu legen. Nur heute, an diesem einen Tag, strömt eine
Flut aus schwarz gekleideten Männern und Frauen hierhin, stromert umher
zwischen den moosigen Gräbern und knorrigen Bäumen, nur um einen läppischen
Strauß abzulegen und sich ein gutes Gewissen für die nächsten zwölf Monate zu
erkaufen. Mit dem Gedenken an Leute, die sie sonst in den staubigsten Ecken
ihres Hirns verstauen. Eine bloße Zurschaustellung von Scheinheiligkeit ist es,
dieser Totensonntag. Und doch stehe ich auch hier.

Ich weiß nicht einmal genau warum, doch trotz aller
Ablehnung, die ich diesem ‚Fest‘ entgegenbringe, kann ich mich seinem Ruf nie
erwehren. Es ist wie eine dieser Pfeifen, die nur Hunde hören können. Man spürt
es nicht wirklich, aber trotzdem bemerkt man eine gewisse Anziehungskraft,
diesen Tag doch mit Trauer und Gram zu füllen. Vor mir steht eine kleine Kerze. Sie ist im Prinzip wie die Fassade der Menschen heute. Sie flackert und duckt
sich, aber im Großen und Ganzen hält sie stand und kann ihren Schein bewahren.
Doch ab morgen ist sie wieder für 52 Wochen erloschen. Es ist ein Jammer. Sie
ist eingebettet in einen Kranz, eine stimmige Mischung aus Tanne und Rosen,
perfekt passend zum drückenden Zwielicht diesen Monats. Ich würde das natürlich
nie zugeben, aber er gefällt mir. Er wirkt auf mich nicht wie der Schmuck der
anderen Gräber, so trist und fad, nein, dieser hier wirkt überraschend
liebevoll, herzlich und… schön. Wie der Geruch der ersten Weihnachtsplätzchen,
wie der erste Kuss, wie all die Momente, vergangen und doch ewig in den Zimmern
unserer Herzen. Für einen Augenblick spüre ich tatsächlich so etwas wie
Herzwärme. Dann erinnere ich mich an die ganze Show hinter diesem Tag und die kalte
Übelkeit, die Ablehnung über die Menschen nimmt ihren alten Platz wieder ein.

Neben mir steht eine Familie, ganz in Schwarz, mit
Taschentüchern und verquollenen Augen. Wieso tragen sie eigentlich Schwarz?
Würde sich ein Toter, der seine ganze verbleibende Existenz in ewiger
Einsamkeit verbringt, nicht viel mehr über Farben freuen? Ein fröhliches Gelb, ein
hoffnungsvolles Grün, ein liebendes Rot? Aber nein, es ist dieses erstickende
Schwarz. Ich mustere diese Leute. Sie wirken tatsächlich bewegt und in ihrem
Gesicht spiegelt sich ein Bild tiefster Trauer und Reue. Ein paar mittleren
Alters, ich vermute die Eltern des Toten, halten sich im Arm. Die Frau scheint
jeden Moment ohnmächtig zu werden, so bleich ist sie. Ihre Augen stechen aus
der Kulisse, so verweint sind sie, wirken wie zwei rote Farbkleckse auf einer
weißen Leinwand. Ihr Mann stützt sie, als wolle er ihr Kraft geben, aber sein
Blick ist leer. Er scheint jeglichen Antrieb verloren zu haben. Beide halten
sie sich, als hinge die Welt der Sterblichen nur noch an ihnen, als würde eine
falsche Bewegung sie ins Land der Toten reißen, in das ewige, nie vergehende
Grau. Eine letzte Träne kullert über die Wange der Trauernden und fällt lautlos
zu Boden. Dann wenden sie sich ab.

Ich weiß nicht genau, irgendwie kamen sie mir bekannt vor.
Es war dieses merkwürdige Gefühl, wie wenn man jemanden sieht und genau weiß
man kennt ihn irgendwoher, aber einfach nicht erkennt woher. Meistens fällt es
einem dann Tage später wie Schuppen von den Augen. Ich grüble noch kurz,
versuche mich zu erinnern, wo ich beide schon gesehen haben könnte, aber ihre
Gesichter verblassen schon vor meinem inneren Auge. Wahrscheinlich saßen sie
mal im Bus neben mir, sind mir bei einem Spaziergang entgegengekommen oder
standen neben mir an der Ampel. Nichts Besonderes. Doch irgendwas ist dort. Es
ist wie eine kleine Stimme in meinem Kopf, wissend und schmeichelnd, aber auch
hart und bedrohlich, die mir einflüstert, was sie hier gesucht hatten. Sie sind die Eltern. Ich habe keine
Ahnung, warum ich das weiß, ich weiß es einfach. Es ist wie ein altes Foto, man
kann sich kaum noch erinnern, was wirklich war, aber man ist sich seiner
Überzeugung ganz sicher. Wie ein verschwommenes Foto. Naja, was auch immer. Sie
sind auch nur Akteure in einem großen Spiel, das keiner so wirklich begreift.
Einfach zwei Gesichter unter vielen. Und außerdem sind sie ja jetzt weg.

Noch immer bin ich mir nicht ganz sicher, warum ich hier
bin. Verdammt, ich kann mich nicht einmal entsinnen, wie ich überhaupt hier
hergekommen bin. Mittlerweile bin ich allein und die Dämmerung erobert langsam das
Firmament für sich. Ich könnte nach Hause gehen, aber wo wäre das? Mein
Zuhause? Ich bin mir sicher eins zu haben, aber es wird auch nicht von Dauer
sein. Alles vergeht, nur eins ist gewiss: Nächstes Jahr werde ich mich hier
wiederfinden. So ist das immer. Ich werde durch die Welt wandern, alle
möglichen Dinge sehen, aber irgendwann wird der Ruf wieder kommen. Und mich
wieder zurückziehen. Hierhin. An mein Grab.

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