Es war dieses typische Gespräch das man nebenbei mit seiner pubertären Schwester führt wenn man im Bett liegt, mit dem Laptop im Internet surft, während das Gegenüber die Kopfhörer im Ohr hat, Musik mit dem Handy hört und einem eigentlich gar nicht zuhört. Nach dem eher einseitigen Gespräch, stand Jessi auf um ins Badezimmer zu gehen, als sie mit dem Fuß am Boden angekommen auf eine Reißzwecke trat die wohl von der Pinnwand neben dem Bett gefallen war und ihren Weg auf den Fußboden fand. Sie stieß einen schmerzerfüllten Laut aus. Ich schaute vom Laptop zu ihr hoch, etwas irritiert was mit ihr sei fragte ich sie danach. Sie schnauzte mich nur an und setzte Sich auf das Bett zurück. Da sah ich die Reißzwecke in ihrem Fuß hängen. Mein Blick wurde ebenfalls schmerzerfüllt. „Das tut ja schon beim hinschauen weh.“ entgegnete ich ihr während sie die Reißzwecke herauszog und auf ihren Nachttisch legte.
Und… ja es tat beim hinschauen irgendwie weh. Ich spürte ein leichtes Pieksen in meinen Fuß. Ob Einbildung oder nicht – ich machte mir darüber keine weiteren Gedanken. Jessi ging ins Bad um sich das Loch in ihrem Fuß näher anzusehen, und stellte fest das es nicht weiter schlimm sei. Es tat nur höllisch weh, verständlich.
Die nächsten Tage vergingen ohne das etwas weltbewegendes passierte
Am nächsten Wochenende waren die Rollen bei uns diesmal andersherum. Jessi hatte sich meinen Laptop gekrallt und ich musste auf mein uraltes Handy ausweichen. Gegen sie kann man sich nicht durchsetzen, nicht bei ihrem Dickschädel. Nach einer Weile beschlich mich irgendwie das Gefühl von Angst, ohne den Grund oder deren Quelle ausfindig machen zu können. Es war wie eine drohende Gefahr die sich langsam anbahnte, wie eine böse Vorahnung. Irgendwas schlimmes würde gleich passieren. Das Gefühl wurde immer stärker, mein Herz raste, pochte und ich dachte es würde jeden Moment explodieren. Plötzlich schrie Jessi auf und zuckte zusammen. Voller Furcht stieß ich ein erschrockenes „Was ist?!“ aus. Sich ans Herz fassend wandte sie ihren Blick zu mir und sagte: „Was hast du denn? Du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen.“ Ich fragte sie was sie aufschreien ließ, sie drehte den Bildschirm des Laptops schließlich zu mir und ich erkannte das sie sich einen Horrorfilm ansah. Sie drehte den Laptop wieder zurück während sie mich mit einem Du-bist-doch-Irre-Blick anschaute. Die Furcht in mir flaute ab und voller Verwunderung machte ich wenig später das Licht aus und ging schlafen.
Weitere Woche vergingen, aber in dieser Zeit veränderte sich Jessi irgendwie. Es gab nicht mehr diese Abende am Wochenende, sie war fast nie mehr zu Hause und Nachts lange unterwegs. Ich fühlte mich lustlos, traurig. Ich träumte schlecht und wurde von Alpträumen geplagt. Dieses Gefühl war furchtbar. Mir ging so vieles durch den Kopf. Diese Gefühle hielten tagelang an.
Dann, einige Tage später wachte ich eines Morgens auf und sah das sie nicht in ihrem Bett lag. Das war nicht weiter seltsam da sie ja wie sie oft nicht zu Hause war, aber eines irritierte mich dann doch als ich auf ihren Nachttisch blickte – dort lag ihr Handy. Sie würde nie ohne aus dem Haus gehen. Entweder hatte sie es vergessen oder sich ein Neues gekauft. Als ich mich aus meinen Gedanken wendete, bemerkte ich einige rote Stellen an meinen Handgelenken, sie juckten ziemlich, taten aber auch weh. Ich machte mir da nichts weiter draus und ging runter um mich mit meinen Eltern an den Frühstückstisch zu setzen. Vielleicht wussten sie ja im eher unwahrscheinlichen Fall wo Jessi war.
Ich sprach sie darauf an aber sie hätten wohl auch keinen Schimmer wo sie gewesen ist, aber das wir nicht unbedingt was Neues. Meine Mutter wollte gerade von ihrem Toast abbeißen als sie ihn vor Schreck fallen ließ und mich entsetzt anstarrte. Verwundert über ihren Blick versuchte ich herauszufinden was denn passiert sei als ich etwas warmes auf meiner Wange spürte, als ich dorthin fasste und meine Hand ansah klebte Blut an meinen Fingern. Ein Gefühl von Angst und Panik ergriff mich, ich rannte ins Badezimmer und schaute in den Spiegel. Eine Schnittwunde! An meiner Wange! Ich empfand nur leichten Schmerz, kaum wahrnehmbar. Ich lenkte meinen Blick erneut auf mein Spiegelbild und ich war starr vor Entsetzen als ich erkannte das sich eine weitere Schnittwunde bildete! Wie von Geisterhand! Ich hatte keine Ahnung was mit mir passierte. Plötzlich machte irgendetwas in meinem Kopf „klick“.
Keine Ahnung warum aber ich rannte wieder zurück zu meinen Eltern. Erschrocken wollte meine Mutter mich auf die anderen Wunde ansprechen, aber ich unterbrach sie und schrie sie beinahe an das Jessi in Gefahr ist. Ich konnte ihr nicht erklären warum, und ich mir auch nicht. Aber ich ließ nicht locker und so rief mein Vater die Polizei die sich daraufhin auf die Suche machten. Wir selber machten uns auf den Weg. Auf der Suche bildete sich an meinen Armen noch mehr Wunden. Aber ich spürte nicht viel, kaum. Nach einer Weile jedoch wurde es stärker, bald sogar so stark das ich die Zähne zusammenbiss. Ich wusste das wir richtig waren, wir sind auf dem richtigen Weg!
Wir erreichten einige Zeit später eine Plattenbausiedlung und ich stürmte ohne Vorwarnung in einen der Aufgänge. Sie war dort, ich war mir sicher. Ich rannte die Treppen hoch, meine Eltern folgten mir. Eine Wohnungstür stand offen und ich lief hinein. Ich fand Jessi gefesselt und mit Verletzungen im Wohnzimmer auf der Couch liegen. Mein Vater rief die Polizei hierher die wenig später die Wohnung sicherten. Jessi war, bis auf ihre Verletzungen die an den gleichen Stellen waren wie die meinen, wohl auf. Wir beide wurden wenig später in die Klinik gebracht und von der Polizei befragt. Vor allem war die Verwunderung groß wie ich sie denn gefunden habe, und wo meine Verletzungen herkommen. Ich konnte darauf keine Antwort geben. Aber Eines war sicher – Die Bindung zwischen mir und Jessi war nie größer.