
Furcht und Schrecken – Einsame Kreaturen
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Wo gehen wir hin?…
Ich wünschte, ich wüsste die Antwort
darauf. Eine Antwort. Irgendeine. Egal wie sie aussieht.
Wohin geht der Mensch? Was macht ihn aus? Weshalb rotiert die
Achse der Welt, Runde um Runde in ihrer schrecklichen Einsamkeit,
verloren in der erbarmungslosen Leere des Alls…
Was bedeutet das Ich? Wie definiert sich Macht, Stärke und
Schönheit?
So viele Dinge, deren Antworten ich gerne wüsste. Wissen muss! Zu
viele Dinge…
Mein Kopf schwirrt. Doch für den Moment… ein Sieg!
Ein kleiner erfolgreicher Zwischenschritt auf meinem ganz
persönlichen Pfad zur Vervollkommnung. Wenn nur das Auge nicht
wäre…
17. Akt – Kälte
Ich presse den
zerbrechlichen Körper des Mädchens an mich, während ich mich durch
die zähe, elektrisierte Substanz der Konvergenzzone kämpfe. Atmen
kann man hier tatsächlich und die „Luft“ schmeckt nach Veilchen,
gebrannten Mandeln und frischem Blut. Ich sauge gierig Zug um Zug in
mich auf, den scheußlichen Nachgeschmack von Bedrängnis, Moder und
kaltem Stein verdrängend.
Transluzente Motten
umschwirren uns und ich habe vergessen, wo Links ist und wo Rechts…
geschweige denn Oben und Unten. Und wieder sind dort kleine schwarze
Hände die aus dem Nirgendwo hervor wuchern und nach meinen Knöcheln
schnappen.
Kleine,
halte durch… denke
ich unwillkürlich, als ich den Lebenssaft aus ihrem Arm in Form von
tiefroten Schmetterlingen davonflattern sehe. Unsere Blicke treffen
sich und ich weiß, dass sie mich gehört hat. Natürlich hat sie
das. Und irgendwie macht mich das Stolz. Stolz auf meine Wenigkeit
und
ja…
tatsächlich auch stolz auf sie.
Spuckend und hustend breche ich aus der Wand hervor und befinde mich
wieder im Hier und Jetzt. Am Horizont gebiert die schwarze Erde eine
blutrote Sonne und ich weiß, dass es fast zu spät ist um noch
lebend aus der ganzen Geschichte herauszukommen. Ich blicke zurück,
die Betonmauern empor, vorbei am Stacheldraht.
Dort ist niemand. Warum steht dort niemand? Warum höre ich keine
Schreie? Keine Schüsse, kein Schmerz, kein erbärmliches Verrecken
vor den Mauern von Freemans Folterkeller? Eigentlich habe ich mit einer wilden Fuchsjagt gerechnet… Der irre
Arzt und das Mädchen müssten mir doch schon längst ein ganzes
Battalion schwerstbewaffneter Schutzleute auf den Hals gehetzt
haben… was zum Teufel…?
Plötzlich kichert Luna stillvergnügt und schlingt mir den
unverletzten Arm um den Hals. Der Anderen hängt unbrauchbar an ihrer
Seite herab. Ich zuckte unter der ungewohnten Berührung zusammen,
lasse sie jedoch gewähren.
Was…. was ist denn los?
Da war ein Schlüssel unten. Beim Papier. Im Keller.
…Und?
kichern*
Luna!
Ich… ich habe ihn genommen und den Leuten gegeben.
…Welchen Leuten Luna?!
Denen, die hinter den Gittern leben.Sie sind jetzt nicht mehr hinter den Gittern. Sie sind jetzt…
„Frei!“, beende ich ihren Gedanken laut.
Und
dann höre ich endlich die Schreie und Schüsse auf die ich gewartet
habe. Doch sie gelten nicht mir. Langsam drehe ich mich weg und
besteige gemeinsam mit dem Kind die Anhöhe nördlich der Anstalt.
Oben angekommen ducke ich mich in den schützenden Ausläufern des
Waldes zusammen und wir beobachten, wie sich das steinerne
Vermächtnis menschlicher Selbstüberschätzung nach und nach rot
färbt. In den ersten Strahlen der Morgensonne fallen Insassen und
Aufseher, Ärzte und Patienten übereinander her und zerreißen sich
gegenseitig wie die
wilden
Tiere. „Und ihr dachtet, man könnte uns beherrschen…“,
schnaube ich verächtlich und schaue dem Treiben mit mildem Lächeln
zu.
Es
ist unschön. Roh und ursprünglich. Das
Blut schäumt die grauen Mauern empor. Tatsächlich
gewinnen am Ende der Schlacht die Häftlinge die Überhand und die
Tore werden aufgebrochen. Nicht viele haben das Gemetzel überlebt.
Doch die wenigen Auserwählten taumeln nun, geblendet von Sonne und
Blutdurst, hinaus in ein neues Leben. Ihren Schatten sind lang und
ihre Hände rot vom Blut der besiegten Autorität. Vor ihnen liegt
eine glänzende Zukunft!
Ich schlucke den Sarkasmus herunter und versuche, mich für sie zu
freuen. Schließlich habe ich bereits einmal das Selbe durchgemacht.
Ich wende meinen Blick gelangweilt von diesen bedeutungslosen Ameisen
ab und fokussiere mich auf eine schlanke Gestalt, die Abseits der
Anderen mitten im toten, menschlichen Schlamm steht. Sie macht keine
Anstalten den anderen durch das Tor zu folgen. Ich verenge meine
Augen und warte gespannt ab. Bereits während der Schlacht hat sie
meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Kämpfer beider Seiten
schienen diese Person zu meiden wie den Teufel in Person und
gleichzeitig forderte niemand so viel Blutzoll wie sie… außerdem
schien es mir ein ums andere mal als habe sie die Fähigkeit sich
zu…
Ich
blinzle und auf
einmal
befindet sich auf dem Hof nur noch ein, aus der Distanz kaum
wahrnehmbares, schwarzes Rauchwölkchen und
die dunkle Silhouette steht plötzlich
auf der Mauer, lässig an einen der kleinen Wachtürme gelehnt.
Tatsächlich! Teleportation… Der heller werdende Morgen offenbart
unnatürlich blasse
Gesichtszüge und verlängerte Gliedmaßen, sowie einen Wust
schwarzen Haares. Mehr ist aufgrund der Entfernung nicht zu erkennen.
Gemächlich schlendert die Kreatur auf dem Wehrgang entlang.
Nach
genauerer Betrachtung erkenne ich fasziniert, dass sie mit
bloßen Händen den
Stacheldraht zu „ernten“ scheint. Ich setzte Luna hinter einer
großen Wurzel ab und krieche ein paar Schritt aus meinem Versteck
hervor, in der Hoffnung etwas besser sehen zu können. Die
Gestalt pflückt noch ein paar Schlingen Draht und wendet dann abrupt
den Kopf in meine Richtung. Erschrocken zucke ich zurück und mein
Herzschlag beschleunigt sich unangenehm, doch ich fange mich schnell
wieder. Wovor sollte ich Angst haben? Drei von den Kerlen habe ich
immerhin schon getroffen und zwei davon sind jetzt tot! Selbstsicher
grinsend stehe ich auf und winke der Kreatur provokant zu.
Tatsächlich winkt sie nach kurzem zögern zurück.
„Wehe du baust jetzt irgendeine Scheiße…“, knurrt Phobos
angespannt in meinem Hinterkopf und aus dem Dickicht ertönt ein
leises Wimmern von Lunas Seite. „Seit still!“, zische ich und
ignoriere die Beiden.
Soll der Kerl da unten nur kommen! Etwas besseres hätte mir heute
gar nicht passieren können.
Heute ist ein guter Tag. Ein Blut-Tag!
Und dann materialisiert er sich plötzlich und ohne Vorwarnung direkt
vor meine Nase.
Meine
anfängliche Sicherheit schmilzt dahin
wie
Eis in der Sonne und ich muss mich wirklich zusammenreißen um nicht
wie ein verschrecktes Kaninchen einen Satz nach hinten zu machen.
Es
ist der Clown. Während meiner Studien über die abnormen Kreaturen
dieser Welt, hatte ich mich nur am Rande mit ihm befasst und weiß
eigentlich so gut wie nichts über ihn. Doch seine markante,
schwarzweiße Erscheinung ist unverkennbar. Er ist sehr groß und
dürr und trotz seiner gebeugten Haltung überragt er mich noch um
mehr als einen Kopf. Das dunkle, verfilzte Haar hängt in dicken
Zotteln bis auf seine Schultern herab und die krallenartigen Spitzen
seiner mageren Finger schleifen beinahe den Boden. Er ist ganz still,
nicht einmal ein Atemhauch ist zu vernehmen und ich bete zu allen mir
bekannten Göttern und Dämonen, dass er das Pochen meines Herzens
nicht hören kann. Blut,
fremdes warmes Blut tröpfelt von seinen Händen in das vom Morgentau
benetzte Gras und rinnt aus seinen hochgezogenen Mundwinkeln über
das schneeweiße Kinn. „I… ist das Schminke oder gehst du nicht
so oft raus…?“, versuche ich zu scherzen, doch irgendwie
misslingt der Lacher ziemlich kläglich, da ab der Hälfte des Satzes
meine Stimme versagt. Die letzten paar Stunden haben mich wohl
wirklich ziemlich mitgenommen…
Langsam wiegt der Kerl seinen Oberkörper vor und zurück. Die
dunklen Lippen teilen sich und entblößen zwei Reihen
haifischartiger Zähne und eine lange, tiefschwarze Zunge, mit der er
sich das Blut vom Mund leckt.
„Kommt, kommt alle herbei! Ob groß, ob klein! Der beste Clown
aller Zeiten! Der einzig wahre Laughing Jack!“
Das wirklich Gruselige an seiner Stimme ist nicht die Tatsache, dass
sie mich an eine tiefere, kratzigere Version von Zimbo erinnert,
einem Clown den David (oder Ich? Oder Phobos…?) in seinem alten
Leben einmal im Zirkus gesehen hatte, sondern wie leise sie ist. Kaum
mehr als ein leichter, abwesender Hauch. Nimmt er mich überhaupt
wahr?
Meine Frage erübrigt sich als Jack, „Laughing“ Jack, den rechten
Arm vorstreckt, und mit einer seiner blutverschmierten Klauen mein
Kinn packt und so meinen Kopf nach oben zwingt. In dunklen, dick umrandeten Höhlen liegen kleine stechende Augen,
mit bläulich weißen Iriden und stecknadelkopfgroßen Pupillen
darin.
„Hallo kleiner Freund…“, rasselt der Clown glücklich.
„Möchtest du ein Ballontier haben?“
Ich reiße meinen Kopf ruckartig zurück und stolpere einen hastigen
Schritt nach hinten. Zarter Dunst steigt aus den farblosen Wiesen,
von denen die Anstalt umgeben ist und das blasse, rosastichige Petrol
des Morgenhimmels ertrinkt nach und nach in kräftigstem Blau.
Gänseblümchen schlagen die Blütenblätter zurück und wenden ihre
gelben Gesichter der dominanter werdenden Sonne zu. Zumindest die,
die noch übrig sind. Die noch nicht vom Frost verschlungen wurden.
Es ist eiskalt und ich friere. Genau. Ich friere.
Selbst bei Tageslicht geht von den Augen der Kreatur ein dumpfes
Glühen aus und dieses Glühen frisst sich gerade unangenehm in meine
Stirn. „Du bist bereits seit sehr langer Zeit hier oder?“, frage
ich bemüht ruhig. „Du bist alt. Woher kommst du?“
Der deformierte Kerl durchbohrt mich weiterhin mit seinem Blick und
das irre Grinsen verschwindet keine Sekunde aus seinem Gesicht.
Plötzlich hoppelt aus dem Dickicht ein kleines Kaninchen,
irgendetwas muss es aufgeschreckt haben. Abgemagert, mit kahlen
Stellen im Pelz. Es sieht krank aus.
Diese Welt… diese Welt ist im Begriff zu sterben…, fährt es mir
plötzlich durch den Kopf. Und ich sterbe mit ihr. Ich muss uns ein
neues Herz schaffen…
Desorientiert und mit geweiteten Augen will das Tier über die Wiese
ins Tal flüchten, doch der Clown ist schneller. Der Kopf des
erbarmungswürdigen Wesens zerplatzt mit einem ekelerregenden Krachen
unter seinem Absatz. Der Körper wird kurz von ein paar letzten,
verzweifelten Spasmen geschüttelt, dann liegt er still. Und sein
Blut versickert in der toten Erde zu unseren Füßen. Diese Welt
stirbt…
Jack klaubt den warmen Kadaver vom Boden auf und hält ihn mir mit
einem schiefen Lächeln hin. Ich greife nach kurzem Zögern zu und
versuche nicht in das zerstörte Gesicht zu blicken. Eine
Freudenträne kullert aus dem Augenwinkel des Clowns. Dort wo sie zu
Boden fällt, verdorrt das steif gefrorene Gras und wird zu Asche.
„Du bist die Verkörperung der Einsamkeit, nicht wahr? Ein
trauriges Missgeschick der Natur.“ Meine Worte klingen hart und
kalt, doch innerlich drohe ich zu verbrennen. Etwas in mir scheint
aufgerissen zu sein. Eine alte Wunde, nicht mehr als eine blasse
Narbe, so zart und hell, dass sie bereits aus meiner Erinnerung
verschwunden war. Das Grinsen des monochromen Clowns schneidet grell
und stechend durch das sanfte Licht des herandämmernden Tages.
Ergeben schließe ich die Augen und konzentriere mich voll und ganz
auf mein Innerstes. Was mir von dort entgegen grinst, ist nicht
weniger abscheulich als mein Gegenüber, also öffne ich sie schnell
wieder, drehe mich auf dem Absatz um und schreite zügigen Schrittes
zwischen die dumpfem Schatten der Bäume, Luna hinter mir
herschleifend. Wenn er uns nicht meiner wegen folgt, dann wird sie
ihn schon anlocken. „Zeig mir welche Farbe dein Blut hat…“,
flüstere ich rau und schleudere den Leichnam des Kaninchens hinter
mich.
„Wohin des Weges?!“, kreischt der Narr mit seiner grässlichen
Stimme und springt mir kichernd hinterher.
Zwischenspiel:
Als der entfesselte Hass der Gefangenen über die Einrichtung kam,
befand sich Maria Stanley nicht mehr innerhalb der Mauern der
Anstalt. Nach den aufwühlenden Ereignissen der vergangenen Nacht
hatte sie sich mit dem Einverständnis ihrer Vorgesetzten frei
genommen und befand sich gerade mit Thomas Neumann auf der Einfahrt,
in Begriff ihr Auto aufzuschließen, als sie die ersten Schreie
vernahm.
Sie verharrten und lauschten, während sich ihre Augen mit
wachsendem Entsetzen füllten und ihr Herz schneller schlug.
Bestialisches Gebrüll, Schüsse und hundertfache Todesschreie
quollen über die Wehrgänge und tropften an den Efeu überwucherten
Mauern herab wie giftiges Öl. Die junge Frau wich zurück.
„Scheiße!“, fluchte ihr Kollege, zückte seine Waffe und ging
auf die großen Torflügel zu. „Nein Thomas, bitte..“, hauchte
Maria. „Bitte bring mich nach Hause.“ Er blickte zu ihr zurück,
in ihre flehenden tiefblauen Augen und auf die notdürftig
verbundenen Handgelenke. Man hatte ihr provisorisch einen
Schmerzmittelcocktail verabreicht und die gebrochenen Knochen
geschient. Sie hatte darauf bestanden, sich nicht direkt in der
Klinik behandeln zu lassen. Sie wusste nicht einmal genau weshalb.
Sie wollte nur fort.
Thomas fluchte noch einmal, dann ging er zurück
zum Auto. Von nacktem Grauen gepackt sprangen sie in den Wagen und
verließ den Ort der Tragödie, während hinter ihnen die
blutbesudelten Tore aufschwangen und die Überlebenden des Massakers
in die Morgensonne taumelten. Der junge Mann auf der anliegenden
Hügelkuppe nahm weder sie, noch das zweite flüchtende Fahrzeug war,
dass plötzlich aus einer versteckten Einfahrt an der Ostseite
schoss. Er hatte nur Augen für eine dürre Gestalt die an einem der
Wachtürme lehnte.
Thomas war eigentlich eine stille und ausgeglichene Person. Er war
ziemlich groß und schlank, hatte kurze braune Haare, einen
ordentlich gestutzten Bart und eine Affinität für trostlose Hemden.
Die grauen Augen in seinem unscheinbaren Gesicht, sonst so ruhig und
nachdenklich, brannten nun von einem inneren, seltsamen Feuer.
Mit versteinerter Miene heizte er über die leere Kraftfahrstraße
während Maria neben ihm apathisch auf ihre Handgelenke starrte.
Seine grobknochigen Finger krampften sich um das abgegriffene Lenkrad
und in ihm tobten ernsthafte Schuldgefühle. Er kam sich vor wie ein
Fluchtwagenfahrer, hin und hergerissen zwischen der Loyalität
gegenüber seiner Kameraden, die wahrscheinlich gerade von den Irren
in Stücke gerissen wurden, und seinen Gefühlen für Maria.
Er hatte
sie vor ca. fünf Jahren auf der Arbeit kennengelernt. Sie war damals
gerade frisch vom Militärdienst, hatte sich freiwillig gemeldet, und
wollte eigentlich nur übergangsmäßig an der Klinik ihres Vaters
arbeiten. Doch aus einem Jahr waren dann zuerst zwei, dann drei und
letztendlich fünf geworden, fünf Jahre in denen die junge Frau
stets kühl und distanziert, ja geradezu abweisend geblieben war. Und
trotzdem hatte Ben irgendwann bemerkt, dass er mehr als nur
kollegialen Respekt und Freundschaft für sie empfand.
Ungehört und
unerwidert musste er sich mit seiner Sehnsucht herum quälen, bis es
vor etwas weniger als einem Monat zu einem unvorhersehbaren
Zwischenfall gekommen war. Einer der Patienten, ein magerer junger
Mann, war ausgebrochen und hatte im Op-Saal ein Blutbad angerichtet.
Unscheinbar war er gewesen, still und verhärmt. Thomas hatte nie
sonderlich viel Kontakt mit den Patienten gesucht, was kaum
verwunderlich war. Solche Menschen hatten nun einmal keinen
sonderlich guten Ruf. Solche Menschen. Mit denen gab man sich nicht
ab! Man bewachte sie und hielt sie von der unschuldigen Bevölkerung
fern!
„Wir werden alle brennen…“
Thomas fuhr zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Marias blutleere
Lippen bewegten sich und heiser gekrächzte Worte quollen hervor.
„Was… was meinst du? Werden die Schmerzen schlimmer? Ich bringe
dich sofort zu einem Arzt!“, haspelte er, da er sie nicht genau
verstanden hatte. „G…glaubst du jemand hat bereits die Polizei
gerufen? Denn… denn das sollten wir tun, die Polizei rufen meine
ich, wenn wir….!“
Ihre linke Hand zuckte vor, wollte seinen Arm umklammern, doch der
Schmerz hinderte sie daran. Sie stöhnte und biss ihre Lippe blutig.
Die verletzte Hand glitt kraftlos zurück auf ihren Schoss, der
stumpfe Blick richtete sich wieder gerade aus, auf die dahin
fliegende Straße.
„Wir haben so schlimme Dinge getan… So schlimme Dinge gewusst und
nichts gesagt. Die Menschen dort unten…“ „Waren Monster!“,
beendete Thomas ihren Satz bestimmt, doch sie schüttelte nur den
Kopf. „Wir sind die wahren Monster… Ich bin eines, du bist eines,
mein Vater… mein…“, ihre Stimme versagte und sie musste sich
räuspern, bevor sie erneut ansetzte.
„Das wir uns Anmaßen über Schicksal und Freiheit anderer zu
bestimmen, nur weil wir sie für geringer oder gefährlich halten…
für anders…“ Ihr Begleiter schüttelte verständnislos den Kopf.
„Du…. du stehst noch unter Schock. Ich werde jetzt
vorsichtshalber die Polizei informieren und dich dann sofort ins
Krankenhaus bringen. Naja… wahrscheinlich wissen die schon was…
geschehen ist, aber vorsichtshalber…“
Er kramte sein Handy aus der Hosentasche und tippte mit zittrigen
Fingern die Notrufnummer ein.
Thomas war eine stille, ausgeglichene Person. Und er war fürsorglich.
Er konnte zumindest fürsorglich sein, wenn sein Gegenüber ihm
wirklich etwas bedeutete. In solchen Fällen dachte er immer an alles
was nötig war, um das Wohlbefinden besagter Person zu sichern. Er
dachte immer an alles. Nur an diesem Morgen hatte er etwas vergessen.
Nicht nur Maria stand unter Schock. Und der Dunst, der aus den umliegenden Bergwiesen stieg und sich auf
dem Asphalt niederschlug, machte die Straße glatt und unberechenbar.
So kam es, dass ein verschrecktes Reh auf den Weg sprang und er es zu
spät bemerkte.
Bevor man am anderen Ende der Leitung den Notruf entgegennehmen
konnte, überschlug sich das Auto bereits.
18. Akt – Begierden
„Nach Hause!“, antworte ich, während ich mir einen Weg durch das
Unterholz bahne. „Und wohin willst du? Jetzt nachdem wir dich
befreit haben. Du solltest uns eigentlich dankbar dafür sein und
dich revanchieren… Ich habe da auch eventuell eine kleine Bi….“
Ich zucke zusammen und bleibe abrupt stehen, als der Kerl, den ich
bis gerade eben noch hinter mir vermutete, plötzlich vor mir
auftaucht und den Weg versperrt.
Lässig an den Stamm eines knorrigen Baumes gelehnt, verschränkt er
die gummiartigen Arme vor der hageren Brust und zieht eine der
aufgemalt wirkenden Augenbrauen hoch.
„Euch dankbar sein? Euch?!“ Ein hohles Kichern gluckst aus seiner
Kehle hervor und sofort kocht Wut in mir hoch. „Ich habe dich dort
unten nirgendwo gesehen… Das kleine Mädchen schloss meine Zelle
auf und hat irgendwie den Bannkreis… wenn ich nur wüsste…“
Seine heisere Stimme verkommt zu einem unverständlichen Gemurmel und
Gekicher. Sollte in diesem Schädel irgendwann einmal ein klarer
Verstand gehaust haben, hat er sich offenbar schon vor langer langer
Zeit zersetzt… Ekel gesellt sich neben die Wut und die Ehrfurcht,
doch langsam verschwimmen all diese Emotionen zu dem Schatten einer
anderen. Gier.
Ich will endlich weiter zeichnen.
Und Gier spiegelt sich auch auf den Zügen meines Gegenübers wieder.
Der Clown löst sich aus seiner Position und geht langsam auf mich
zu, denn irren Blick fest auf Luna gerichtet. Eine schwarz glänzende
Zunge schlängelt zwischen den Lippen hervor schmeckt die Luft.
Unwillkürlich schiebe ich mich zwischen das Monster und das Mädchen,
die Hände abwehrend erhoben, das Gesicht wie versteinert.
Ich weiß was dieses Wesen für gewöhnlich mit zerbrechlichen
Körpern anstellt. Danach würde alles Wachs in meinem Atelier nicht
mehr dafür ausreichen, Lunas Überreste zusammenzuflicken. Und
immerhin brauche ich sie noch.
„Zurück!“, rufe ich der bedrohlich anrückenden Kreatur
angriffslustig entgegen und trete einen Schritt vor, während ich das
Kind hinter mich schiebe. Es hat bisher keinen Ton von sich gegeben
und nur unbeteiligt in den Wald gestarrt, das blasse Gesicht
umschwebt von spinnenseidigem Blond.
„Weißt du was das Erwachsenwerden mit Kindern anstellt? Es raubt
ihnen jeglichen Frohsinn…“ Jacks kratzige Stimme versagt und ich
sehe, dass sich erneut milchige Tränen in seinen Augen sammeln.
Letztendlich sind wir alle davon überzeugt, etwas gutes oder
zumindest sinnvolles zu tun, denke ich betrübt und nehme eine
Kampfposition ein.
„Phobos!“, zische ich in mich hinein und lausche. Eigentlich
seltsam. Er hat sich noch gar nicht gemeldet…
„Ich will mich nur bei ihr bedanken… und ein bisschen mit ihr
spielen bevor es zu spät ist!“, wispert Jack und lächelt breit.
„Würdest du mir bitte aus dem Weg gehen kleiner Mann?“
Nichts da!, denke ich und fahre mit der Zunge über meine trockenen
Lippen. „Warum sollte ich das tun?“, sage ich laut und mit fester
Stimme. „Hast du schon vergessen? Du bist mir noch was schuldig,
außerdem…!“
Ohne Vorwarnung schnellt der Arm der Kreatur vor und packt mich am
Hals.
„Dann eben nicht!“, geifert Jack und schleudert mich mit
geballter Kraft gegen die knotige Rinde eines Baumes. Alle Luft wird
aus meinen Lungen gepresst, meine Wirbelsäule kracht
unheilverkündend und ich gebe ein überraschtes Keuchen von mir. Der
Kerl ist verdammt schnell! Wütend und erschrocken versuche ich nach
ihm zu treten, doch der lange, biegsame Körper ist außerhalb meiner
Reichweite und der Tritt geht kläglich ins Leere.
Unwillkürlich klammern sich meine Finger um die Handgelenke des
Clowns, der mich mit einem Arm an dem schrundigen Baumstamm fest
gepinnt hat. Ich ringe krampfhaft nach Atem und meine Füße scharren
hilflos in der Luft. „Phobos!“,schreie ich innerlich verzweifelt.
„Du blödes Arschloch! Komm endlich raus!!“ Ich ertappe mich
dabei, dass ich den Kerl gerade zum ersten Mal wirklich vermisse.
Dieser Umstand ist so ungewollt komisch, dass ein hartes, kaltes
Lachen in meiner Brust anschwillt.
Ein röchelndes Kichern entfährt
mir, dann ist der letzte Sauerstoff in meinen Lungen verbraucht und
ich fange an mich zu winden wie ein Fisch auf dem Trockenen. Jack
lässt nicht nach, sondern verzieht nur das Gesicht zu einer schiefen
Grimasse. „Bist schon ein komischer Vogel… wirklich komisch…“,
krächzt er und verstärkt den Griff um meine Kehle noch mehr. Dunkle
Punkte beginnen am Rand meines Sichtfeldes herumzutanzen und eine
lähmende Trägheit macht sich in meinen Gliedern breit.
„Er erwürgt mich!“ durchfährt es mich. „Er tötet mich auf
eine so banale Art und Weise und ich kann nicht einmal etwas dazu
beitragen, um meinen Abgang ein wenig spektakulärer zu gestalten!“
„Phobos.!“, rufe ich noch einmal schwach und durchforste den
leeren Raum hinter meinen Augen.
„Phobos… hilf mir… bitte.“
„Wie war das?“, grollt eine hämische Stimme und ich zucke
zusammen.
Plötzlich ist er wieder da, sitzt gemächlich in einem Winkel meines
Hirns und grinst mich unverschämt an! Zorn kocht in mir hoch und
überdeckt für einen kurzen Moment sogar den Schmerz der in meinen
Lungenflügeln tobt. „Du mieser…!“, fluche ich und will am
liebsten auf ihn losgehen. „WIR STERBEN GERADE, FALLS DU DIESEM
UMSTAND IN DEINER GRENZENLOSEN IDIOTIE NICHT BEMERKT HAST!“
Phobos gähnt herzhaft und streckt sich. „Kann sein.“, nuschelt
er. „Mir relativ egal. Alle sterben irgendwann…“
Seit wann ist er denn auf diesen Zug aufgesprungen?
„Lass den Scheiß, reiß dich zusammen und rette uns!“, kreische
ich und merke, dass ich langsam augenscheinlich die Nerven verliere.
Genau dieser Umstand scheint meinen bekloppten Bruder ungemein zu
amüsieren, denn er lacht schallend. „Das ausgerechnet DU mich
irgendwann mal nett um was bitten würdest, ist das lustigste was
mir passiert seit…. hm… seit ich das Hirn aus dem Kopf von diesem
einen Typ geprügelt hab!“
Mittlerweile ist unser Gesicht bläulich angelaufen und Arme und
Beine zappeln kaum noch merklich in der Luft herum.
Panik macht sich in mir breit. Das einzige was mir jetzt noch hilft,
nicht vollends die Kontrolle zu verlieren und mich ergeben dem
Sauerstoffmangel zu unterwerfen, ist die Distanz zwischen Körper und
Geist, die ich mir in den letzten Jahren antrainiert habe. Eine zwingend notwendige Eigenschaft wenn man sich den Körper mit
einem anderen Teilen muss.
„Bitte….“, hauche ich schwach und werfe mich im mentalen Raum
vor ihm auf die Knie. Offenbar genießt er dieses Machtspielchen,
denn er macht keine Anstalten in Aktion zu treten, sondern grinst nur
sadistisch. „Warum sollte ich das tun?“, fragt er gedehnt.
Weil wir sonst sterben! Will ich schreien, doch da kommt mir eine
andere Idee. „Willst du wirklich so von der Welt scheiden? Kampflos
von einem Clown erwürgt?!“ Ich appelliere an seine Arroganz und
offenbar wirkt es, denn er scheint auf einmal angestrengt
nachzudenken. „A…außerdem könnte er ein interessanter Gegner
für dich sein! Hast du nicht Lust mal wieder richtig zu kämpfen?“
Ich spüre wie es in im rattert und sein langsames Denken treibt mich
fast in den Wahnsinn. Dann erhellt sich sein Gesicht. „Du hast
recht! Zwar ist er kein Mensch und sein Blut interessiert mich
nicht… aber ein ordentlicher Kampf ist bestimmt gut fürs
Immunsystem! Oder so…“ Sein Gesicht nimmt einen gierigen Ausdruck
an. „PHOBOS WIRD NICHT KAMPFLOS VERRECKEN!“, brüllt er und ich
spüre wie er die Kontrolle über unseren Körper übernimmt.
Hoffnung keimt in mir auf, doch…
Doch es scheint zu spät zu sein. Wir sind zu schwach…. Giftiges
Kohlendioxid rinnt durch unser dicker werdendes Blut und es fällt
mir immer schwerer meine Gedanken zusammen zu halten… Ich höre ein
unflätiges Fluchen von Phobos‘ Seite dann verstummt er und der weiße
Raum hinter unseren Augen zerfasert in schwarzem Nebel.
Ein letales Rauschen erfüllt meinen Kopf und ich spüre, dass mein
Herzschlag immer langsamer wird… das Ende vom Ende steht vor der
Tür.
Lustig.
Und dann verschwindet der tödliche Klammergriff um unserer Kehle und
der Körper fällt zu Boden wie ein Sack Kartoffeln.