Hänsel und Gretel 2.0
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Wusstet ihr, dass sich die Geschichte von Hänsel und Gretel eigentlich im Harz abgespielt haben soll? Demnach kamen nämlich die Kinder eines damals prominenten fränkischen Lebkuchenherstellers nach Quedlinburg und trafen dort auf eine alte Kräuterfrau, die ebenfalls Lebkuchen buk. Dem Unternehmernachwuchs schmeckten diese so gut, dass sie alles taten, um der Alten das Rezept abzukaufen, doch die wollte es nicht veräußern. Am Ende kam es zu einem grausamen Mord, die beiden verbrannten die Kräuterfrau in ihrem Ofen, durchsuchten das Haus, fanden das Rezept, wurden damit steinreich und erzählten die Geschichte später ein wenig anders als sie sich tatsächlich zugetragen hatte.
So ist das ja mit vielen Märchen. Ihnen liegt eine wahre Geschichte zugrunde, die dann aber mehrfach verändert wurde, bis sie in ihrer Form, die wir heute kennen, aufgeschrieben wurde. Und seitdem die Märchen nicht mehr von Generation zu Generation weitererzählt wurden, dichtete auch niemand mehr etwas hinzu oder ließ andere Dinge weg. Schade eigentlich, denn dadurch bleiben die Geschichten – so wunderbar sie auch sind – starr und passen oft nicht mehr in unsere heutige Welt.
Dabei passieren solche Dinge immer noch. Auch Geschichten wie die von Hänsel und Gretel. Erst neulich hörte ich nämlich von zwei Jugendlichen, denen im Wald etwas ganz Ähnliches widerfahren ist. Nur hießen die eben nicht Hänsel und Gretel, sondern Hendrik und Greta. Und sie wurden auch nicht wie bei den Gebrüdern Grimm aus von ihren Eltern im Wald ausgesetzt, nein, sie machten mit ihren Eltern Urlaub im Harz und mussten wohl oder übel mit ihnen Wandern gehen.
„Wie weit ist es denn noch?“, fragte Greta gelangweilt, während ihr Vater sich begeistert die gefühlt hundertste Felsformation im Rappbodetal ansah. Vom Hotel wollten sie bis zur Titan RT wandern, eine der angeblich längsten Hängebrücken der Welt. Auf die Wanderung hatten Greta und Hendrik beide keinen Bock, doch ihre Eltern bestanden darauf, Papa, weil er die Landschaft hier so beeindruckend ursprünglich fand und Mama, weil sie überzeugt war, ein wenig Bewegung an der frischen Luft könnte den Teenagern nicht schaden.
Trotzdem setzten sich die Geschwister erst einmal auf eine Bank und guckten, statt die Aussicht ins weite Tal zu genießen, nach neuen Nachrichten auf ihren Smartphones. Ihre Eltern wollten schon weiter und Greta rief ihnen zu: „Geht ihr doch schon vor, wir holen euch eh gleich wieder ein.“ Sie hatte nämlich gerade einen Tweet ihres Lieblingsyoutubers entdeckt, den sie unbedingt erst einmal liken musste.
„So schlecht sieht es hier echt nicht aus“, hörte sie nun Hendriks Stimme, „komm mal her und lass uns ein Selfie für Insta machen.“ Greta stellte sich zu ihrem Bruder, beide fotografierten sich vor der von der Herbstsonne beschienenen Bergkulisse, dann posteten sie ihre Bilder sofort. Entweder kam es bei ihren Freunden und Followern tatsächlich gut an oder aber sie würden zumindest Mitleid für den nervigen Urlaub mit den Eltern bekommen.
Die waren inzwischen natürlich außer Sichtweite und die beiden Geschwister beeilten sich nun doch, ihnen auf dem schmalen Wanderweg zu folgen. Dabei fiel ihnen kaum auf, dass der Wald immer dichter wurde und auch nicht, dass allmählich Nebel aufzog. Erst als sie den Weg vor sich kaum noch erkennen konnten, wurden sie unruhig, beschleunigten ihre Schritte und überlegten, ob sie nach ihren Eltern rufen sollten.
Genaugenommen überlegten das beide für sich, Hendrik hätte Greta gegenüber nie zugegeben, dass er sich ein wenig mulmig fühlte und sie umgekehrt auch nicht. Daher vermieden sie es auch, über ihre Angst zu sprechen und folgten stur weiter dem Weg, der sich durchs dichte Fichtendickicht wand, das sie aber kaum erkennen konnten.
Nach einer langen Weile gelangten sie schließlich an eine Lichtung, auf der sie die Umrisse eines Gebäudes ausmachen konnten. Es war klein, deutlich in die Jahre gekommen und wirkte alles andere als einladend. Allerdings empfanden die beiden Kids keine der Bauden, die sie bis jetzt mit ihren Eltern besucht hatten als einladend und so störte sie das nicht weiter. In der Hoffnung, ihre Eltern schon bei einem heißen Kaffee oder Tee vorzufinden, drückten sie also die Tür auf und traten ein.
In der Hütte roch es muffig, es war wohl lange nicht gelüftet worden. Das Holz war alt und dunkel, Farbe an den Wänden gab es nicht und die Fenster waren so klein, dass von draußen kaum Licht eindrang. „Einen Kaffee oder ’ne Cola kriegen wir hier wohl nicht“, stellte Greta fest hauptsächlich, um die unangenehme Stille durch den Klang ihrer eigenen Stimme zu vertreiben. Hendrik erging es nicht anders, auch er bekam unweigerlich eine Gänsehaut, allerdings hätte er alles lieber getan als das vor seiner Schwester zuzugeben.
Als er gerade äußern wollte, dass sie wohl den falschen Weg erwischt hatten und besser zurück gehen sollten, vernahmen sie plötzlich Schritte. Durch die Stille hallten diese laut auf dem Holzboden wieder, kamen näher und dann schwang eine Tür im hinteren Teil des Raumes auf. Im diffusen Licht konnten Greta und Hendrik eine alte, bucklige Frau erkennen, die sie aber mit auffallend stechendem Blick ansah.
„Wer seid ihr und warum klopft ihr nicht an, bevor ihr mein Haus betretet?“, fragte die Alte mit knarzender Stimme. Sie kam noch ein paar Schritte näher, ihr Blick schien die beiden Teenager zu durchbohren. „Wir sind der Wind, das himmlische Kind“, entgegnete Greta patzig und mit mehr Mut als sie eigentlich hatte. „Sorry, wir sind wohl falsch abgebogen. Können Sie uns sagen, wie wir zur Talsperre und zur Hängebrücke kommen?“, fügte Hendrik jetzt fordernd hinzu.
„Es hängen immer die Falschen“, kam es nun von der Frau, worauf die Geschwister sich fragend ansahen. „Wahrscheinlich dement, die Alte“, zischte Hendrik Gretel zu, „komm lass uns abhauen.“ Seine Schwester nickte, murmelte noch eine halbherzige Entschuldigung in Richtung der Hausbewohnerin, dann wandte sie sich zur Tür, zog sie auf und ihren Bruder hinter sich her.
Bevor sie hindurch treten konnten, flog die Tür aber mit einem ohrenbetäubenden Knall wieder zu und ließ sich nun auch trotz ihres Rüttelns nicht mehr bewegen. Greta und Hendrik drehten sich zu der Alten um, nun hatte es ihnen doch die Sprache verschlagen. „Nicht so eilig“, kam es nun von ihr und ihre Stimme hatte einen bedrohlichen Klang angenommen.
Ihr durchdringender Blick ruhte wieder auf den beiden, doch jetzt verfärbten sich ihre Augen, wurden wie von einer grünlichen Haut überzogen und auch ihr gesamtes Gesicht wurde noch faltiger, verlor seine Konturen und nahm die Farbe und Struktur ledriger Blätter an. Ebenso verformte sich auch ihr Körper, die alte schien vor ihren Augen zu wachsen, wurde größer und dünner, ihre Gliedmaßen wurden unnatürlich lang und glichen eher Tentakeln, denn Armen und Beinen.
Die ganze Verwandlung wurde von einem unnatürlichen Knirschen und Schlürfen begleitet und bald schon hatte das Wesen vor ihnen nichts Menschliches mehr. Das Gesicht der Alten war nun völlig hinter dem ledrigen Blattwerk verschwunden, ihr Kopf verformte sich zu einer Art überdimensionierter Knospe, ihr Körper wurde immer monströser, reichte nun locker bis zum Dach der Hütte und die Geräusche wurden immer mehr zu einem Schmatzen, einem Knurren, einem bedrohlichen Grollen, das von den Wänden widerhallte.
Dann bewegte sich der Kopf in einer blitzschnellen Bewegung auf Greta und Hendrik zu, öffnete sich wie die Blätter einer Pflanze, nur dass es eben keine Blütenblätter waren, sondern ein riesiges, über und über mit spitzen Zähnen bedecktes Maul, das jetzt einen tiefen, markerschütternden Schrei ausstieß und die beiden Jugendlichen schon allein dadurch weiter zurückweichen ließ.
Das Wesen, das aus der Alten geworden war, erinnerte Greta und Hendrik an ein Demogorgon aus Stranger Things oder Dead by Daylight, es fauchte sie an, kam ihnen bis auf wenige Zentimeter nahe und sie wurden von einem üblen, fauligen Geruch umhüllt, der ihnen die Kehlen zuschnürte und sie zum Würgen brachte.
Und dann war es mit einem Mal vorbei, das Monster verwandelte sich ebenso schnell zurück, wie es entstanden war und schon stand wieder die alte Hexe vor ihnen und sah sie mit ihren eisigen Blicken durchdringend an. Nun knarzte die Tür in den Angeln, sprang plötzlich auf und gab den Weg nach draußen in den rettenden Wald frei.
Hendrik und Greta aber standen immer noch reglos vor der Alten, bewegten sich nicht und starrten sie nur an. „Na los“, keifte diese, „nun lauft schon und lasst euch hier nie wieder blicken!“ Noch immer rührten sich die beiden Jugendlichen nicht. Dann endlich erwachten ihre Körper wieder zum Leben, schüttelten die Starre ab und sie sogen gierig die nun wieder frische Luft ein. Die Hexe machte einen schnellen Schritt auf sie zu, um sie ein letztes Mal zu erschrecken, da griff Greta plötzlich in ihre Tasche, zog ihr Smartphone heraus und fragte: „Können Sie das nochmal machen? Ich muss das unbedingt auf Insta hochladen!“
Wenn ihr jetzt allerdings dachtet, damit sei die Geschichte beendet, dann habt ihr euch leider getäuscht. Durch ihre unerschrockene Frechheit sind sie der Hexe natürlich erst einmal entkommen, so dachten Greta und Hendrik. Doch hatte diese gar nicht vorgehabt, sie in ihrer Hütte zu behalten, in einen Käfig zu sperren oder was auch immer.
Vielmehr diente dieses ganze Demogorgon-Theater vor allem dazu, ihre Samen, winzige Sporen auf der Kleidung und in den Haaren der Jugendlichen zu verteilen. So nämlich trugen sie die Sporen in die Welt hinaus, zuerst zur Hängebrücke, wo sie ihre Eltern trafen, dann in das Hotel, in dem sie wuchsen und schließlich auch in ihren Wohnort, in ihre Schule und den eigenen Garten.
Ein halbes Jahr nach dem Urlaub, die beiden hatten die Begegnung mit dem seltsamen Pflanzenwesen längst vergessen, begannen die Samen zu keimen und überall schossen kleine, unbekannte Pflanzen aus dem Boden. Noch sahen sie unscheinbar aus, fielen den Menschen kaum auf, doch die Hexe wusste, sie hatte ihre Brut gesät und würde schon bald eine reichhaltige Ernte einfahren.