Haus eines Künstlers Kapitel 4
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Der nächste Tag war ein grauer Samstag. Ich hatte unter dem Dach einer nahegelegenen Bushaltestelle Schutz vor den Wassermassen gesucht, die sich Sintflutartig über der Stadt ergossen und trat nun von einem durchnässten Sneaker auf den anderen, während ich ungeduldig auf Allan wartete. Es war einer dieser Regentage, an denen man nur noch auf die ersten Sonnenstrahlen hoffte, die das herannahen des erlösenden Frühlings verhießen. Aber noch war es Februar, die Luft kühl, der Regen nass und die allgemeine Stimmung, ziemlich niedergeschlagen. Ich blickte durch den Kettenvorhang aus Wassertropfen, die vom schrägen Wellblech-Dach der heruntergekommen kleinen Bushaltestelle flossen und meine Sicht verschleierten. Das Policedepartement von Madison war nichts als ein Klotz aus verwitterter Gräue inmitten der verregneten Tristesse der Stadt. Ein grauer Klotz unter einem grauen Himmel, der über einer grauen Straße aufragte, auf der graue Schleier aus Autos und Passanten an mir vorbeizogen. Die Szenerie beschrieb wie ich mich an diesem Morgen fühlte. Leer und grau. Die Geschehnisse des vorangegangenen Tages, lagen mir immer noch so schwer im Magen, dass sie das Frühstück ersetzt hatten, dass ich an diesem Morgen nicht einmal mit Mühe hatte hinunter würgen können. Am Ende habe ich alles entnervt in den Müll geworfen. Ich zog den nassen Ärmel meines Regenmantels zurück und warf einen Blick auf meine Uhr. Eine silberne Hamilton mit ledernem Armband. Keine digitale, obwohl diese im Moment der neuste Schrei waren. Diese kleinen Bildschirme die man einfach so am Arm tragen konnte, schienen die Leute zu faszinieren. Viertel nach neun. Allan verspätete sich. Das war untypisch für ihn. Ich war extra fünf Minuten früher gekommen, da wir uns für 9 Uhr verabredet hatten und Allan normalerweise, überpünktlich war. Ich biss mir besorgt auf die Unterlippe. Hoffentlich ging es ihm gut. Wir hatten kaum ein Wort gewechselt, während wir gestern geschlagen den schmalen Schotterweg zurück in die Stadt geschlurft waren, und als sich unsere Wege schließlich getrennt hatten, hatte ich ihm gesagt, dass ich, noch am selben Tag, die Fotos entwickeln lasse, und wir uns anschließend heute um neun Uhr vor dem Polizeipräsidium an der Monroe Street treffen, würden. Er hatte nur genickt und wir gingen anschließend getrennte Wege.
Der Rest des Tages war wie in einer Trance verlaufen. Ich war mit meinen Gedanken so abwesend, dass ich mich auf dem Weg zum Fotografiegeschäft 2 mal verlief und beim 3. mal beinahe, mit den frisch gewischten Glastüren kollidierte, die das Geschäft von der Straße abtrennten. Etwa eine halbe Stunde später, waren die Fotos entwickelt, die ich nun in den Händen hielt und alle paar Minuten, gedankenverloren durchblätterte, um sicher zu gehen, dass es sich bei den Geschehnissen letzte Nacht nicht bloß um einen Schrecklichen Albtraum gehandelt hatte. Noch immer kreisten meine Gedanken um den Keller. Um den Schneider, das Monster in der Finsternis. Eine Gänsehaut, die nicht von der Kälte herrührte fuhr über meinen Rücken, während ich das letzte Foto begutachte. Der Maler und sein Gemälde. Der Mörder und sein Opfer. Künstler und Kunstwerk. Dieses Monster, war keine Einbildung gewesen. Kein Traum, sondern bittere Realität. Ich hob den Blick und betrachtete das Präsidium, das im müden Treiben des geschäftigen Alltags unheilverkündend über der Straße aufragte. Nichts zeichnete triste Ordnung und Struktur, so deutlich wie grauer Stein. Der Anblick war so langweilig, dass ich mich beinahe wieder danach sehnte, an die düster verzierte Fassade von Ed Geins Haus zu blicken, die mir mittlerweile, auf seltsame Weise, vertraut erschien.
Ein schmaler Streifen aus Fenstern, zog sich um das gesamte Gebäude. Die einzige Quelle, die Licht in das Innere des steinernen Klotzes fließen ließ. Über der gläsernen Eingangstür, ragten zwei schmutzige Flaggen an angerosteten Stangen aus dem Mauerwerk. Das kräftige Blau von Wisconsin, daneben das Rot-weiß der vereinigten Staaten, was dem Präsidium das Aussehen einer alten Kriegskaserne verlieh. Bei diesem Anblick musste ich an meinen Grandpa denken. Er hatte seit seiner Jugend bei der Navi gedient und war auf seine alten Tage zu einem begeisterten Sammler geworden. Jedes Mal wenn ich bei ihm war, hatte ich die alten Gewehre und Abzeichen bewundert die er aus seinen Einsätzen als US Soldat mitgebracht hatte und besser hütete als seinen einen verbliebenen Augapfel. Die zerbeulten Helme, die zerschossenen Uniformen. Jedes seiner Stücke erzählte eine andere Geschichte. Er besaß einen eigenen Raum für Raritäten des zweiten Weltkriegs. Seinen Geschichten zu lauschen war für mich immer wie eine kleine Zeitreise. Ich erinnerte mich wie ich an Weihnachten, ein Jahr nach dem Unfall, bei ihm auf dem gemütlichen Teppich unter dem Christbaum, im Wohnzimmer saß, Oscar sanft hinter den Ohren kraulte und Grandpas alten Kriegsgeschichten lauschte, während das Feuer im Kamin knisterte und der Schnee draußen gegen die Fenster wehte. Es war das erste Mal, dass ich glücklich gewesen war, das erste Mal, dass ich mich wieder zu Hause fühlte, seit ich meine Eltern verloren hatte. Wann hatte ich ihn eigentlich zuletzt besucht? Ich könnte-
„Elija?“ Ich zuckte erschrocken zusammen und jonglierte unbeholfen mit den Fotos, die mir vor Schreck aus der Hand rutschten, bevor sie den nassen Boden küssen konnten.
„Al- Scheiße alter… schleich dich doch nicht so an.“
„Sorry Mann.“ Allan grinste.
„Heey du Lachst ja wieder!“, bemerkte ich erfreut.
„Alles andere bringt ja auch nichts.“
„Wie fühlst du dich? Du bist übrigens spät.“ bemerkte ich, mit einem beiläufigen Blick auf die Uhr, fühlte mich im nächsten Moment allerdings, wie ein unsensibler Arsch.
„Ja ich weiß, ich brauchte noch einen Moment um Gestern zu verarbeiten.“
Ich runzelte die Stirn. „Das ist dir aber schnell gelungen.“
„Kiffen hilft“, gab Allan lässig zurück und zuckte beiläufig mit den Schultern.
„Du bist unmöglich!“, sagte ich, musste aber gleichzeitig lachen. Erst jetzt nahm ich den süßlichen Geruch wahr der von Al ausging. „Ich hoffe du hast den Schrecken wenigstens gut verarbeitet.“
„Ja- Naja es fühlt sich irgendwie etwas Surreal an. Beinahe als hätte ich alles bloß geträumt.“
„Nun, da muss ich dich leider enttäuschen.“ sagte ich und hielt Allan die Fotos unter die Nase. Sein Grinsen entschwand. In seinem Gesicht regte sich jetzt etwas anderes. Unsicher griffen seine Finger nach den Fotos und er begann sie durchzublättern. Der Regen trommelte auf das dünne Wellblech und begleitete unser Schweigen. Schließlich hielt er mir die Bilder mit finsterer Miene wieder entgegen.
„Hier nimm sie zurück.“, sagte er beklommen. „Zeig mir das nie wieder.“
„Was meinst du?“, fragte ich etwas verwirrt, von seinem plötzlichen Stimmungswechsel.
„Wir melden die ganze Sache der Polizei, sagen ihnen, dass Edward Gein scheinbar ausgebrochen ist und wieder dort unten, in seinem Haus lebt, sie buchten ihn ein und damit hat sich die ganze Scheiße für uns erledigt. Ich will nie wieder etwas von diesem Haus wissen, und erst recht nicht von dem ‚Künstler‘.“ Ich verstand was er meinte und trotzdem konnte ich meine tiefsitzende Neugier, die seit meinem ersten Besuch in dem Anwesen, wie eine verbotene Frucht in mir herangewachsen war, nicht einfach hinunterschlucken.
„Aber interessiert es dich nicht auch, was es mit dieser ganzen Sache auf sich hat? Mit diesem Haus? Und warum Ed Gein so furchtbar aussieht?“
„Nein!“ Die Antwort war kalt wie der Regen. „Ich habe eine Frau sterben sehen Elija. Meinst du ich habe heute Nacht auch nur ein Auge zu getan? Ich hab genug!“
„Schon okay.“, lenkte ich betreten ein und senkte den Blick. „Mir geht es ja ähnlich.“
„Das sieht man. Deine Augenringe sind nicht von dieser Welt.“, gab Allan trocken zurück.
Instinktiv rieb ich mir die Augen. Ich war echt erledigt.
„Also dann, wollen wir?“ fragte Allan.
„Bist du sicher dass es schlau ist jetzt dort rein zu gehen, jetzt wo du stoned bist?“
„Ist doch völlig egal, ob ich stoned bin Mann. Ich bin schwarz. Das ist für die da drin schon Grund genug, mich einzubuchten.“
Er lachte. Ich lächelte etwas unbeholfen. Irgendwie fand ich es jedes Mal unangenehm, wenn Allan Witze über seine Hautfarbe machte. Rassistische Polizisten waren die Realität und Allan hatte nicht nur einmal mit ihnen Bekanntschaft gemacht. Schweigend öffnete ich meinen schwarzen Schirm und wir beide liefen, schnellen Schrittes hinüber zum Police Departement, während sich ein Sturzregen über uns ergoss.
Im inneren des Präsidiums war es warm und stickig. Gelbliche Kacheln pflasterten den Boden des Wartebereichs, ein alter Ventilator wummerte halbherzig in einem Metallwürfel an der Decke und von der fleckigen, gegenüberliegenden, beige tapezierten Wand, blickte uns das grinsende Gesicht, Von Ronald Reagan entgegen, dem amtierenden und damit vierzigsten Präsidenten der USA. Das Plakat war vergilbt und scheinbar hatte ein wütender Demokrat nicht davon ablassen können Dem überheblichen Gesicht, einen mächtigen gezwirbelten Schnurrbart, eine Brille und zwei zusammenwachsende Augenbrauen zu verpassen. Hinter einer Glasscheibe saß eine stark geschminkte Sekretärin und hackte mit flinken Fingern auf den Tasten einer altmodischen Schreibmaschine herum.
Entlang der Wände, reihten sich dutzende metall-Stühle aneinander, deren Lehnen ebenfalls mit beigefarbenem Kunstleder überzogen waren. Hie und da saßen wartende Personen, lasen Prospekte, aßen oder starrten einfach nur teilnahmslos in der Gegend herum. Jeder von ihnen hielt einen Zettel mit einer Nummerierung in der Hand. Unbeholfen schlängelten wir uns, zwischen den wartenden hindurch, und standen schließlich, vor der dünnen Glasscheibe. „Ehm… Entschuldigung, wir möchten gern zu Officer Armstrong“, ergriff ich das Wort.
Anstatt aufzublicken hackte die Sekretärin stur weiter, auf ihrer Schreibmaschine umher, als ginge sie davon aus, wir würden wie lästige Fliegen verschwinden, wenn sie uns einfach konsequent genug ignorierte.
„Entschuldigung!“, sagte ich etwas lauter und klopfte sanft gegen das Glas. Die Frau sah auf und ihr Blick verriet mir, dass sie mich hasste, dennoch lächelte sie gezwungen.
„Der Kollege Armstrong hat im Augenblick viel zu tun, Sir. sie müssen eine Nummer ziehen und genau wie alle anderen warten, bis sie aufgerufen werden.“ Ihre Stimme klang seltsam metallisch hinter dem Glas und mit einer fahrigen Geste verwies sie uns auf die Stühle, und Bänke, die im Wartebereich verteilt standen.
„Sie verstehen nicht, wir müssen etwas wirklich Dringendes melden. Es geht hier nicht um ein gestohlenes Fahrrad, oder eine verloren gegangene Brieftasche oder sowas. Es geht um Leben und Tot.“, erwiderte ich so höflich, aber bestimmt wie möglich. Die streng nachgezogenen Augenbrauen der Dame wanderten für einen Moment in die Höhe, vielen dann aber wieder auf eine gelangweilte ‚Ich hasse meinen Job‘- Ebene herab.
„Sir, und selbst wenn die Welt untergeht, Sie sind kein Staatsoberhaupt, Amerika räumt ihnen keine zusätzlichen Privilegien ein, nur weil sie es eilig haben. Ihre Wartezeit beträgt, wie bei allen anderen auch, etwa eine halbe Stunde. Nehmen sie Platz.“, wie ein tödlicher Pfeil stieß ihr Pink-lackierter Fingernagel in die Luft und verwies uns mit kompromissloser Geste auf zwei leere Stühle, an der gegenüberliegenden Wand, gleich unter dem vergilbten Gesicht, von Ronald Reagan. In diesem Moment war ich mir sicher dass sie das Rot-weiße Wahlplakat selbst an die Wand geklebt hatte. Republikanerin. Mein Grandpa würde sie sicher hassen. Ich erkannte dass es zwecklos war weiter mit der Dame zu diskutieren und geschlagen schlurften wir hinüber zu der Papierrolle, neben dem Eingang. Ich zog an dem kleinen Zettelchen, das aus der Plastik-geschützten Rolle hervorragte. Es war die Nummer 176. Ich drehte mich um und wollte hinüber zu den Stühlen gehen, auf die uns die Sekretärin verdonnert hatte, als Allan ebenfalls eine Nummer ziehen wollte.
„Eh, ich denke eine Nummer reicht.“, sagte ich, etwas verwirrt.
„Was?“ fragte Allan und blickte die Papierrolle urverwandt an. Als hätte sie zu ihm gesprochen.
„Wir gehören zusammen. Es reicht wenn wir eine Nummer ziehen.“
langsam drehte Allan seinen Kopf zu mir.
„Verdammt ich hätte den letzten Joint doch nicht zu Ende rauchen sollen.“, sagte er etwas benommen, während seine geröteten Augen versuchten meinen Blick zu fixieren.
„Super, du musstest ja unbedingt einen durchziehen, bevor wir in ein verdammtes Polizeipräsidium marschieren.“, zischte ich mit gedämpfter Stimme, packte Allan am nassen Ärmel seiner Regenjacke, als dieser wieder zu der Papierrolle greifen wollte und zog ihn hinüber zu den beiden Stühlen. Für einen Moment kam ich mir vor wie eine Strenge mum, die ihr Kind vom Süßigkeiten-Regal im Supermarkt wegzerrt.
Wir ließen uns auf den beiden Stühlen nieder. Für eine Weile schwiegen wir und hörten dem Ticken der Uhr, dem Rascheln von Papier, dem sonoren Wummern des Ventilators und dem Klappern der Schreibmaschine zu. Dann ergriff ich schließlich das Wort:
„Also ist es das was du denkst?“
„Was meinst du?“ erwiderte Allan verwirrt.
„Über Ed Gein. Du glaubst es gab einen Ausbruch?“
„Naja das wäre die einzige logische Erklärung oder nicht? Was denkst du denn?“
„Berüchtigte Verbrecher haben häufig Nachahmungstäter. Ein Ausbruch wäre doch sicher aufgefallen.“, sagte ich nachdenklich.
„Ja das stimmt aber warum sah der Mann den ich an der Tür gesehen habe genauso aus wie der Kerl, den die Polizei damals abgeführt hat?“ erwiderte Al und kratzte sich am Kinn.
„Vielleicht hast du nicht richtig hingeschaut…“
„Die Silhouette war ziemlich eindeutig. Ein großer dünner Mann mit Glatze. Wäre ein ziemlicher Zufall wenn sein Nachfolger auch noch genauso aussehen würde wie er, meinst du nicht?“
Ich ließ meinen Blick gedankenverloren im Raum umherschweifen.
„Na gut nehmen wir mal an, dass es einen Ausbruch, gab und dieser, vollkommen unbemerkt von Statten gegangen ist. Was hat es dann mit diesem Monster im Keller auf sich? Wie kann so ein Ding überhaupt existieren?? das ist doch völlig surreal.“ Resigniert stütze ich mich mit den Ellenbogen auf meinen Knien ab und vergrub das Gesicht in den Händen.
„Ich bin mir sicher, auch dafür gibt es irgend eine logische Erklärung.“, sagte Allan und lehnte seinen Kopf gegen die gelbliche Tapete. „Vielleicht verkleidet er sich. Oder vielleicht war dort unten auch nichts und wir haben nur halluziniert.“
„Halluziniert?“
„Ja, so wie in diesem einen englischen Roman ‚Der Hund von Baskerville‘.“ Ich sah Allan fragend an.
„Eeh- Sherlock Holmes?“
„Hab ich nie gelesen.“, sagte ich und lächelte verlegen.
„Oh, das solltest du nachholen.“, gab Allan zurück und zog die Augenbrauen hoch.
„Jaa vielleicht sollte ich das. Worauf willst du denn hinaus?“
„Naja, also in dem Buch geht es um einen Fall wo ein Klient, behauptet, von einem riesigen Höllenhund verfolgt zu werden. Am Ende stellte sich heraus, dass es sich bei dem Hund nur um eine ausgehungerte Bulldogge handelte, die mit einem Phosphor-Präparat ausgestattet war, was ihr dieses unnatürliche Aussehen verschaffte, in Angstsituationen übernimmt der Verstand dann den Rest und man stellt sich Dinge vor die in Wahrheit nicht einmal halb so schlimm sind. Vielleicht war es bei uns gestern genauso. Das würde vielleicht auch die Sache mit meiner Jacke erklären.“, schloss Allan seine Theorie
Ich sah Allan erstaunt an. „Mensch Al, du bist so seltsam Bronx- untypisch intelligent. Sogar auf Gras.“ sagte ich und ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht.
„Tja man passt sich eben an.“ erwiderte Allan und reckte leicht das Kinn. „Ich hatte früher immer das Gefühl zu schlau für die Bronx zu sein.“
„Angeber.“ erwiderte ich trocken.
„du hast damit angefangen.“ sagte All und zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht wirst du auch einfach zu nem Mastermind wenn du high bist, aber das klingt ziemlich Plausibel. Was meinst du war es bei uns? Auch ein Hund, oder etwas anderes?“
„Uff, Da bin ich überfragt.“, gab Allan knapp zurück. Es tat gut jemanden an meiner Seite zu haben, der so rational dachte wie Allan und ich klammerte mich an Allans Theorie fest, wie an einem Rot weiß gestreiftem Rettungsreifen, der in dem endlosen Meer aus Fragen in meinem Kopf umher trieb.
Die Minuten flossen träge, wie Treibsand dahin und jedes Mal wenn ich auf meine Uhr blickte, schien die Zeit noch langsamer zu vergehen. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen und beobachtete die anderen Personen, die mit uns warteten. Eine kolumbianische Mutter mit ihren 2 Kindern. Ein Mann mit einem Pullunder und einer Brille, Ein dunkelhäutiger Kerl mit einer furchtbar bunten Sport-Jacke und einem weißen Bandaner, dass er sich um die Stirn gebunden hatte, sowie ein älterer, etwas beleibter, Mann mit einem mächtigen Vollbart und einer New-York Yankees Cap, die sein schütteres weißes Haar nur notdürftig bedeckte. Ich vermutete, dass sie uns alle mit halbem Ohr belauscht hatten, da Allan und ich die einzigen waren, die gesprochen hatten. Nur der dunkelhäutige Kerl, trippelte mit dem Fuß zum Takt der Musik, die durch seine Walkman-Kopfhörer in seine Ohren dröhnte, die anderen, warfen uns in kurzen Abständen immer wieder verhaltene Blicke zu.
„Aber jetzt mal zu dir, was war gestern denn überhaupt mit dir los?“ ergriff Al schließlich erneut das Wort.
Ich runzelte überrascht die Stirn. „Eh, Was meinst du?“
„Naja du bist immerhin zweimal durchgedreht und zusammengebrochen. Hattest Kopfschmerzen, hast völlig verrücktes Zeug geredet als du aufgewacht bist.“
„Verdammt, das hatte ich in all der Aufregung total vergessen.“, sagte ich etwas Geistesabwesend. Natürlich hatte ich nichts davon vergessen. Im Gegenteil ich hatte die ganze Nacht wachgelegen darüber nachgedacht.
„Hattest du Halluzinationen oder so was?“
„Naja so in der Art. Vielleicht eher Visionen… oder Erinnerungen. Hatte seit gestern auch keinen solchen Anfall mehr. Ich habe den Eindruck dass ich sie, seltsamer Weise, nur in diesem Haus bekomme.“
„Das ist tatsächlich seltsam. Was hast du denn genau gesehen?“
„Beide Male das gleiche. Ich wurde durch dieses Haus geschleift. Ich war unten in dem Keller und habe Schreie gehört. Schreie die mir irgendwie… vertraut vorkamen. Lief alles sehr ungenau ab… ich erinnere mich auch nur noch an vereinzelte Bruchstücke. Ed war da und hat seine Hand nach mir ausgestreckt. Er hat mich gepackt und mich angeschrien, leider kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern, was er geschrien hatte. Ich weiß nur noch, dass er geblutet hat.
„Geblutet?“
„Ja. Aus seinem Mund. Und er hat gehustet.“
„Hm, also er sollte wohl ziemlich krank gewesen sein als die Cops ihn damals geschnappt haben. Aber scheinbar hat er sich im Knast ja wieder einigermaßen erhol.“ Al grinste mit finsterer Miene.
„Scheint so.“ Ich senkte den Blick, damit Allan nicht meine Skepsis Bemerkte.
„Aber was haben diese Visionen nur zu bedeuten?“ dachte Allan laut.
„Ich weiß nicht ob ‚Visionen‘ das richtige Wort dafür ist. Sie haben sich eher angefühlt wie… Erinnerungen. Als wäre i-ch…“
„Schon mal dort gewesen?“, beendete Allan meine Vermutung. Ich nickte. In diesem Moment dröhnte die schrille Stimme der Sekretärin durch den Raum. „Nummer 176 Bitte!“
Hektisch sprang ich auf. Scheinbar verging die Zeit doch schneller wenn man angestrengt nachdachte.
„Oh, Allan das sind wir.“ Allan blinzelte etwas überrumpelt. „Was schon? Du liebe Zeit.“ Er rappelte sich auf und schwankte etwas. „Mann dabei war ich doch grad so schön high.“
Wir liefen quer durch den Raum, vorbei an der Sekretärin, die uns einen missbilligenden Blick zuwarf in den Flur und steuerten das Büro des Sheriffs an. Der Flur war kurz und schwach beleuchtet. Am Ende schlängelte sich eine eiserne Wendeltreppe ins obere Stockwerk. Vor der Treppe befanden sich zwei Türen. Links ging es zu den Arrest- und Ausnüchterungszellen, in denen ich sogar selbst einmal unfreiwilliger Besucher gewesen war. Doch das ist eine andere Geschichte, die hier, absolut nicht hin passt. Abgesehen davon kann ich mich kaum noch an etwas erinnern, was an diesem Abend passiert war. Zur rechten befand sich eine Tür aus hellbraunem Bambusholz. Daneben ein Schild mit der Aufschrift: Officer Michael Armstrong. Sherriff von Madison Wisconsin USA. Ich klopfte 3 Mal gegen das billige Holz und erntete ein genuscheltes, „Herein!“
Officer Michael Armstrong, war ein gemütlicher, dunkelhaariger, schnurrbärtiger Mann mittleren Alters. Als Allan und ich den Raum betraten, schaute er von seiner Tastatur auf und biss genüsslich in einen großen Bagel. Als ich das letzte Mal hier gewesen war, hatten seine stummeligen Finger noch die Tasten einer alten Schreibmaschine bearbeitet, jetzt hackten sie stattdessen emsig, auf einem weißen Tastenfeld herum und der große Würfelartige Computerbildschirm, der jetzt eine ganze Hälfte seines teuren Mahagoni Schreibtisches, in Anspruch nahm erfüllte den kleinen Raum mit einem monotonen Surren.
Hinter dem Schreibtisch stand die amerikanische Flagge. blau, rot und weiß. daneben hingen, hübsch geordnet, in goldenen Bilderrahmen verschiedene Auszeichen und Orden, die Officer Armstrong sich in der langen Zeit seiner Karriere als Großstadt-Sherif erarbeitet hatte.
„Mmh, Mr. Davisch. Schön sie zu schehen. Lang ischtsch her!“, begrüßte er uns mit vollem Mund und legte den Bagle auf einen flachen Teller mit Blümchenmuster. „Ich hoffe schie schind heut nüchtern.“, merkte er an und an seinen Augenwinkeln bildeten sich kleine Lachfältchen.
„Hallo Officer, ja Eh… bin nüchtern.“, sagte ich und fuhr mir zerstreut durchs Haar. Innerlich war ich davon ausgegangen, dass der Officer sich nicht mehr an den kleinen Zwischenfall erinnern würde. „Ehm, sie haben ein tolles Gedächtnis, Sir.“, fügte ich dann hinzu und lächelte verlegen.
„Nicht wahr?“ gab dieser feixend zurück. „Ich erinnere mich an jedes Gesicht, dass hinter diesen grauen Gittern Saß.“, er deutete auf die Tür, hinter uns, durch die wir gerade gekommen waren. „Der alte Mike da draußen, sitzt jetzt schon zum siebten mal. Es wird einfach nicht besser mit ihm… Naja wie dem auch sei, sie sind heute nicht allein gekommen wie ich sehe?“ Er warf einen abschätzigen Blick zu Allan hinüber, der sich mit halbgeöffnetem Mund im Büro umsah, als hätte er noch nie eines von innen gesehen. Scheinbar stand er immer noch etwas neben sich und Officer Armstrong entging dies, wie ich seinen Schmusenden Augenbrauen entnehmen konnte, nicht, doch sagte er nichts weiter dazu.
„Also,“ setzte er stattdessen an und wandte sich wieder an mich. „womit kommen sie zu mir Mr. Davis? Ach und bitte setzten sie sich doch.“ Er wies auf die beiden schwarzen Barcelona Sessel, die auf der anderen Seite, seines Schreibtisches standen.
„Ja, eh… also es geht um – Allan setz dich!- Also es geht um das Haus das drüben im Wald steht, dieses Verlassene Grundstück, das früher Edward Gein gehört hatte.“
Mr. Armstrong verschluckte sich an seinem Bagel und gab ein lautstarkes Husten zum Besten, das eher enem erschrockenem Bellen ähnelte. Als er wieder Luft bekam legte er den Bagel mit hochrotem Kopf bei Seite und wischte sich mit einer Serviette die fettigen Fingerkuppen ab. Dann fixierte er mich mit seinen, vom Hustenreiz glasig gewordenem Blick.
„Ich ehm… Nun dieses Haus steht leer. Edward Gein wurde vor Jahren verhaftet. Das stand in allen Zeitungen. Aber die jungen Leute lesen ja kaum noch. Man könnte meinen-“
„Es steht nicht leer.“ unterbrach ich den Officer. Dieser blickte mich verdutzt an, was in Kombination mit seinem roten Gesicht und dem ausladenden Schnurrbart urkomisch aussah.
„Ich habe keine Ahnung wie, aber letzte Nacht, waren Allan und ich – Allan jetzt setz dich doch mal bitte hin!“, Allan, der immer noch direkt vor der Wand stand und ein Bild betrachtete, das den Officer, gemeinsam mit seiner Familie – einer Frau mittleren Alters und ein kleines Mädchen zeigte – zuckte zusammen, und wuselte hinüber zu dem freien Stuhl zu meiner linken.
„Sorry, ehm- was hab ich verpasst?“, fragte er und strahlte übertrieben in die Runde.
„Noch gar nichts“, gab ich leicht genervt zurück. Der Officer beobachtete das Schauspiel mit zunehmender Belustigung.
Ich Atmete einmal tief durch und setzte erneut zur Erklärung an.
Meine Geschichte begann mit meiner ersten Nacht in dem vermeintlich verlassenen Haus. Ich schilderte jedes Detail, das mir wichtig erschien von dem Büro, der Eingangs-Halle bis in den Keller und versuchte dabei nichts auszulassen. Allerdings blieb Edward Gein in meiner Stellungnahme stets ein Mensch. Die unheimliche Erscheinung, die uns in dem Keller begegnet war, ließ ich vorerst aus, da ich davon ausging, dass dies die Glaubwürdigkeit meiner Geschichte trüben könnte.
Dann kam ich schließlich zum Geschehen des vergangenen Tages. Ich beschrieb, wie wir erneut in das Gebäude einbrachen, wie wir den Korridor entlang schlichen und auf den Raum stießen, den Jemand oder etwas aus der Fassade gebrochen hatte und schließlich schilderte ich wie wir hinunter in den Keller gestiegen waren und das Atelier des Schneiders gefunden hatten. Ich beschrieb die Leichen, das Blut und schließlich den Mord an der Frau, bei dessen Schilderung es mir die Kahle zuschnürte. Der Officer hörte die gesamte Zeit aufmerksam zu, biss gelegentlich in seinen Bagel und sagte kein Wort. Allan wies mich ab und zu drauf hin, wenn ich abschweifte oder essentielle Details, zu erwähnen vergaß. Als ich schließlich am Ende meiner Stellungnahme war, schluckte Armstrong seinen letzten Bissen hinunter und sah uns mit ernster Miene an. Eine tiefe Falte hatte sich zwischen seinen Augen, sowie auf seiner Stirn gebildet, und war immer tiefer geworden, je länger ich gesprochen hatte.
„Verstehen sie Officer? Ich weiß nicht wie, aber irgendwie muss Ed Gein es geschafft haben, aus seiner Gefangenschaft auszubrechen und in sein Anwesen zurück zu kehren.“ schloss ich meinen Erzählfluss.
Der Officer Atmete tief durch. „Puh, Also Jungs, das sind ja einige sehr schwerwiegende Vergehen die ihr mir da gerade aufgetischt habt. Und eine gute Schauergeschichte obendrein. Aber könnt ihr diese ganze Sache auch irgendwie beweisen? Denn, falls nicht, habt ihr jetzt ein Problem. Das Haus ist Pachtgrundstück des Staats Wisconsin und darf von keinem unbefugten betreten werden. Ohne Beweise, wäre deine Stellungnahme, ein offenes Geständnis, dass ihr euch des Einbruches sowie der Sachbeschädigung schuldig gemacht habt. Darauf stehen mehrere Jahre Haft und der Eigentümer hätte euch legal erschießen können. Ist euch das klar?“
Ich schluckte. Nein, das war mir nicht klar und Allan, seinem erschrockenen Gesichtsausdruck nach zu urteilen, ebenfalls nicht. Für ein Paar Sekunden herrschte eiserne Stille in dem kleinen Raum. Gerade als Allan den Mund öffnen wollte, um zu Protestiren, lachte der Officer laut auf. „HAHA! Hab ich euch dran gekriegt! Ich mach doch nur Witze, das Haus gehört niemandem und versauert draußen im Wald. Ich hätte gedacht es wäre längst so überwuchert, dass man es gar nicht mehr betreten kann.“
Irgendwie, kam mir dieser Witz ziemlich geschmacklos vor, angesichts der Tatsache, dass ich ihm gerade, von den schrecklichsten Morden berichtet hatte. Aber Officer Armstrong war ein altgedienter Cop, der bereits alles gesehen hatte. Vermutlich stumpfte man mit der Zeit ab. Also beschloss ich ihm seinen Spaß zu lassen und stimmte, etwas verlegen, in sein prustendes Lachen ein. Allan dagegen sah aus, als wäre ihm übel.
Schließlich wurde der Polizist wieder ernst. „Trotzdem, wie sieht es mit der Beweislage aus?“
Mit einem Griff in die Tasche meines Mantels, beförderte ich die Fotos ans Licht, die ich am Vortag geschossen hatte. Sie waren ein wenig nass geworden, aber immer noch sehr gut erkennbar. Ich sah die Fotos kurz durch um mich zu vergewissern dass sie noch vollständig waren, als mir der Atem stockte. Was zur Hölle? Das letzte Bild, dort, wo vorhin noch der Schneider zu sehen gewesen war, war jetzt nichts als Dunkelheit. Der Strahl der Taschen Lampe, beleuchtete einzig und allein die verstümmelte blutende Silhouette der Namenlosen Frau. Ich senkte das Foto leicht zur Seite, sodass Allan es ebenfalls sehen konnte. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Beklommen reichte ich die Fotos, als Stapel über den Tisch. Mit zusammengezogenen Augenbrauen nahm Armstrong, sie entgegen und blätterte sie nach und nach durch. Mit jedem neuen Foto, schien es, als würde ihm mehr und mehr die Farbe aus dem Gesicht weichen. Als er sie alle eingängig inspiziert hatte, ließ er sie sinken und starrte uns abwechselnd an.
„Die- Ehm die habt ihr alle gestern gemacht? In diesem Haus?“
„Ja gestern.“, gab Allan diesmal zur Antwort, „Sehen sie Sir, wir wissen nicht wie, aber irgendwie, hat Ed Gein sich wieder dort unten breit gemacht. Vielleicht will er etwas zu Ende bringen was er begonnen hat.“
„Nun mal langsam mit den Jungen Pferden. Wenn es einen Ausbruch gab dann hätten wir davon erfahren. Wenn wirklich jemand dort unten ist, dann höchstens ein Nachahmungstäter. Was mich eher wundert, ist die Tatsache, dass uns noch keine Vermisstenanzeigen erreicht haben.“
Ich runzelte die Stirn. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Wie konnte es sein, dass niemand, der Angehörigen, nach den verschwundenen Personen suchen ließ. Wenn auf einmal so viele Leute spurlos verschwanden, wie konnte es sein, dass niemand sich fragte, wo sie abgeblieben waren?
„Das kann ich ihnen auch nicht erklären Sir. Vielleicht sucht er seine Opfer nicht nur innerhalb von Madison.“
Der Officer seufzte und rieb sich die Augen. „Tja, Tut mir Leid Jungs. Aber das reicht nicht.“ Sagte er dann. „Ich möchte euch nicht unterstellen, dass ihr die Fotos gefälscht habt aber wenn ihr sonst nichts für mich habt, muss ich euch bitten zu gehen und erst wieder zu kommen wenn ihr mir etwas Handfestes vorlegen könnt. Fotos sind leicht zu Manipulieren.“
„Ehm hier, das lag bei mir im Briefkasten, nachdem ich die erste Nacht in seinem Haus gewesen war.“
Ich holte den Brief von Gein, aus der Hinter-Tasche meiner Hose hervor. Das Papier war zerknittert und feucht, doch die Schrift, war nach wie vor gut lesbar. Armstrong nahm den Zettel entgegen und las ihn aufmerksam. Einmal, dann noch einmal, dann ließ er das Papier sinken. Seine Gelassenheit war plötzlich wie weggewischt und einer angespannten Grimasse gewichen.
„Wann haben sie den Brief bekommen?“
„Vorgestern Abend, lag er bei mir im Briefkasten. Nachdem ich die Nacht in dem Haus verbracht hatte.“, antwortete ich wahrheitsgetreu.
Zur Antwort verschwand das Gesicht des Officers unter seinem Schreibtisch. Er wühlte in einigen Schubladen herum und zog einen weiteren Brief hervor.
„Hier sehen sie sich das an.“, sagte er, öffnete den Umschlag und zog einen zerknitterten Zettel heraus. Mit hektischen Fingern faltete er ihn auseinander und legte ihn flach auf den Tisch. Ed Geins Handschrift zog sich unheilvoll über das Papier. „Das hier, ist das einzige Schriftstück, das wir von ihm haben. Er muss es kurz vor seiner Verhaftung geschrieben haben, ansonsten hat er alles was aus Papier war im Hinterhof seines Anwesens verbrannt.“ das Papier war schmutzig und vergilbt. Die Schrift war schwarz und verzogen, als wenn die Hand, die den Stift geführt hatte, sehr schwach gewesen war. Ein paar Tropfen aus getrocknetem Blut, verteilten sich über das Papier. Allan und ich beugten uns vor und begannen den Brief zu lesen:
WILL MEHR. KANN MEHR. NICHT GEHEN.
E.G.
Wir sahen uns an. Dann blickten wir hinüber zu dem Officer.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte Allan etwas Skeptisch.
„Er war im Delirium. Als wir ihn fanden war er schwach und kaum noch Herr seiner Sinne.“ Antwortete der Officer. „Aber vergleichen sie die Briefe.“
Ich legte Ed Geins Brief neben das Stück Papier. Dann verstanden wir. Handschrift und Signatur, glichen sich, wie ein Ei dem anderen. Der Brief war etwas ordentlicher verfasst, doch, die Hand, die den Stift beim Schreiben geführt hatte, war eindeutig die Selbe.
Als Zeichen meines dennoch guten Willens, habe ich ein kleines Geschenk beigefügt.
„Was war in dem Geschenk?“, sprach der Officer, die Frage aus, die wie zäher Rauch zwischen uns in der stickigen Luft des kleinen Büros stand.
„Das hier.“, und mit diesen Worten, holte ich die Brieftasche hervor und befreite sie von dem Zeitungspapier, in welches ich sie, am Morgen, hastig eingewickelt hatte. Als sie auf dem Tisch lag, sah das Gesicht des Officers ungesund Gelb aus. Er schluckte hörbar. Dann sprang er auf und ging- ohne ein weiteres Wort- schnellen Schrittes, hinüber zu einer Kommode, an der Wand. Mit fahrigen Fingern kramte er in einigen Schubladen herum und zog schließlich einen Stapel unterlagen heraus und verteilte dabei die Hälfte von ihnen ungeschickt über den grauen Teppichboden.
„S-Sir, ist alles in Ordnung?“, fragte Allan vorsichtig.
„Sie hatten einen Mann erwähnt richtig? Einen Mann dem sie in dem Anwesen, mehrmals begegnet sind, nicht wahr?“
Er zog ein paar Fotos heraus und kam zurück zum Tisch geeilt, ungeachtet der Papiere, die noch am Boden lagen, ließ er sich in seinen Sessel fallen -der ein gequältes Quietschen von sich gab- und wischte ein Paar durcheinandergeratene Haar-Strähnen von seiner Stirn.
„Ja richtig. Ein großer Mann mit Glatze.“, bestätigte ich.
„Entspricht ihre Beschreibung des Mannes, diesem Täterprofil?“ fragte der Officer und schob uns einen Stapel Fotos entgegen. Ich hob das oberste Foto ab und wir Blickten direkt in das Gesicht, das mich in meinen Träumen und Erinnerungen, wie ein finsterer Schatten verfolgte. Dieses eingefallene, müde, aber unangenehm vertraute Gesicht. Diese toten Augen. Ohne Reue, ohne bedauern. Mein Magen krampfte sich zusammen als ich das Foto wieder auf den Tisch legte. Bilder kehrten in meinen Geist zurück. Bilder, die ich vergeblich zu vergessen versuchte. So Lebhaft, so echt, als wäre dieses Gesicht schon lange, mit einer Altbekannten, tief in mir verankerten Angst verbunden. Aus irgendeinem Grund schnürte mir dieser Gedanke die Kehle zu und ich brachte kein einziges Wort heraus. Also übernahm Allan, statt meiner das Reden.
„Sir, das ist der gleiche Mann, der uns gestern in dem Anwesen begegnet ist.“
Wir sahen uns abwechselnd an. Bittere Erkenntnis lag in der Luft. Was zur Hölle ging hier nur vor? Dann war es der Officer, der das Wort als erstes ergriff.
„Ich muss telefonieren.“, sagte er knapp, griff nach dem weißen Hörer des Apparats, der zwischen uns auf dem dunklen Mahagoniholz stand, hob ihn ans Ohr und begann an der Wählscheibe zu drehen.
„Mit wem?“, fragte ich.
„Ich rufe im Mental-Health Institut an.“
„Was? Ich dachte Edward Gein sitzt im Gefängnis.“, bemerkte ich etwas verdutzt.
„Sein Geisteszustand ließ keine Haft-Verurteilung zu, der Mann war wahnsinnig, also hat man ihn ins Sanatorium verwiesen. Ich werde den Kollegen vor Ort sagen, sie sollen die Räumlichkeiten auf seine Anwesenheit überprüfen.“
Nachdem der Officer fertig gewählt hatte, hielt er sich den Hörer ans Ohr. Für eine Weile herrschte Stille am anderen Ende, gelegentlich unterbrochen durch monotones tuten. Dann meldete sich eine scheinbar weibliche Stimme am anderen Ende zu Wort. Doch war sie zu leise, als dass man hätte verstehen können, was sie sagte.
„Roslyn meine liebe!“, rief der Officer erfreut, „Armstrong hier, aus dem Polizeipräsidium von Madison. Wie geht es ihnen?“
Für eine Weile führten die beiden einen kurzen Smalltalk. Allan warf einen ungeduldigen Blick zu mir hinüber, den ich erwiderte, dann kam der Officer schließlich zum Punkt.
„Also Roslyn, der Grund weshalb ich Anrufe ist Folgender: ich habe hier zwei Jungs sitzen, die behaupten, Edward Gein in seinem Anwesen aufgespürt zu haben ich – ja ich weiß, dass das kaum möglich ist, aber sie behaupten Felsenfest, dass es Gein war den sie dort gesehen haben, auch das Täterprofil stimmt mit ihrer Beschreibung überein, es wäre gut wenn sie einmal nachschauen würden ob Gein noch in ihrem Gewahrsam ist.“
die Stimme am anderen Ende verfiel in einen kurzen Redefluss, während dem sich die Augenbrauen des Officers langsam zueinander hinbewegten. Als er schließlich sprach, war seine Stimme seltsam brüchig.
„A-Aber sind sie da ganz ehm ganz sicher?- Aha. Ja. Na gut dann… danke ich ihnen für die Hilfe. Einen schönen Abend noch…Roslyn.“, schloss der Officer das Gespräch. Er klang seltsam beklommen als er sich von der Frau am anderen Ende verabschiedete. langsam legte er den Hörer zurück auf die Gabel. Seine Hand bebte leicht und in seinen Augen Zeichnete sich Ratlosigkeit ab.
„Sir? Was ist los?“ wollte Allan wissen.
„I-ich… ich denke ich habe interessante Neuigkeiten.“
„Was für Neuigkeiten?“, hakte ich ungeduldig nach.
Die Augen des Cops wanderten zu mir herüber. „Edward Gein ist 1984 im Sanatorium von Manota, an Lungenkrebs gestorben. Er ist bereits seit drei Jahren tot.“
Die Stille, die daraufhin einkehrte, war lauter als das Geräusch des Regens, der von draußen gegen das Glas klopfte.
Was? Wie konnte das sein? Edward Gein war tot? Aber wer um alles in der Welt war dann in diesem Anwesen? Wer beging diese furchtbaren Morde? Oder sollte ich besser fragen ‚was‘? Tausende von Fragen überschwemmten meinen Verstand. Bisher hatte ich mir die ganze Sache noch einigermaßen logisch zusammenreimen können, aber jetzt, blieb nichts als Leere zurück. Diese ganze Geschichte wurde mir zunehmend unheimlich. Allan und dem Officer ging es, ihren Gesichtern nach zu urteilen, kaum anders. Ich war schließlich der Erste, der seine Stimme wiederfand. „Sir, Eh sie müssen uns glauben, bitte. Edward Gein mag tot sein aber irgendwie, ich weiß nicht wie, aber irgendwie ist er dort unten und schneidert Kleider aus verdammter Menschenhaut!“ zischte ich. Beinahe ein flehen. Der Sheriff sah aus als wäre er soeben um zehn Jahre gealtert.
„Ich glaube euch.“ sagte er schließlich, und griff nach der Brieftasche. Er hob sie vor die Augen und inspizierte sie sorgfältig „Ich war damals selbst dort gewesen, in der Nacht, in der Ed Gein verhaftet wurde. Wir stiegen gemeinsam mit dem FBI in sein Haus ein und fanden all diese furchtbaren Kleider. Die „Kunst“, wie er sie nannte. Die Leichen hatte er draußen, überall auf seinem Grundstück vergraben und Kreuze über ihnen aufgestellt. Diese Bilder werde ich niemals vergessen. Noch nie zuvor hatte ich etwas so furchtbares gesehen und auch seit dem nie wieder.“ er deutete auf das Portemonnaie, das teilnahmslos zwischen uns auf dem Schreibtisch lag. „Das hier, das ist seine Handschrift, die würde ich überall wiedererkennen.“ Abermals herrschte Stille in dem kleinen Büro, während wir zusahen, wie Armstrong, das Portemonnaie langsam in den Händen hin und her drehte und, scheinbar in Gedanken versunken, seine nahtlosen Strukturen begutachtete. Schließlich ergriff Allan das Wort. „Wie geht es jetzt weiter, Sir?“. Der Officer legte die Brieftasche bei Seite.
„Ich werde einen Durchsuchungsbefehl an das FBI weitergeben, und dann mit den Kollegen das Anwesen erneut unter die Lupe nehmen. Ich schlage vor ihr beide geht jetzt nach Hause und überlasst die Sache der Polizei. Ich danke euch, dass ihr mir Bescheid gegeben habt. Sollte an eurer Geschichte etwas dran sein, habt ihr euch jeder eine Auszeichnung verdient.“ sagte der Sherif und beendete damit unser Gespräch. Allan stand auf. „Na komm Elija, lass uns nach Hause gehen. Für uns gibt es hier nichts mehr zu tun.“
Ich aber blieb sitzen. Meine Gedanken fuhren Karussell. Das hatten die vielen Kreuze also zu bedeuten. Überall wo sie standen… mir wurde übel.
„Was ist los, Mann? Willst du hier Wurzeln schlagen? Komm schon.“
„Sir,“, setzte ich schließlich an, „erlauben sie noch eine letzte Frage?“
„Sicher.“ sagte der Officer, der schon wieder nach dem Hörer des Telefons gegriffen hatte.
„Wenn es keine Zeugenaussagen oder Vermisstenanzeigen gibt, wie sind sie damals drauf gekommen, Ed Geins Haus zu durchsuchen? Wer hat ihnen damals Bericht erstattet?“ Warum es mir so wichtig war diese Frage zu stellen wusste ich selbst nicht genau. Irgendetwas in mir regte sich, als ich die Worte aussprach. Irgendetwas, tief verborgen im Schatten meiner Erinnerung.
Armstrong sah mich an, langsam ließ er den Hörer sinken. Seine Züge waren so unergründlich, wie die einer Statue.
„Warum wollen sie das wissen?“, fragte er, für meinen Geschmack, etwas zu Schroff.
„Interessiert mich einfach.“, sagte ich und zuckte die Schultern. „Sie sagten es gab keine Zeugenaussagen. Niemanden der seine Angehörigen vermisste, da dachte ich-“
„Das hat sie nicht zu interessieren.“, Winkte der Officer verärgert ab.
Ich blickte ihn an, etwas überrascht von der Heftigkeit seiner Reaktion. Seine Unterlippe bebte leicht als er erneut zu sprechen begann: „Das ist Sache der Polizei. Sie sollten jetzt gehen.“ Sein Blick klebte an der Tischplatte und ich spürte wie Wut in mir hochkochte. Woher sie kam wusste ich nicht.
„Sir, sehen sie mich an.“ Der Officer hob den Blick und seine Käferaugen blickten in meine. „wer war es.“, flüsterte ich. und suchte die Wahrheit in seinem Gesicht.
„Das geht sie nichts an.“, zischte der Officer sichtlich verärgert. Und plötzlich sah ich, wie die Augen des alten Polizisten auf einmal Glasig wurden. „Verschwinden sie.“
„Komm schon Els, gehen wir.“ Sagte Allen leise und zupfte mich am Ärmel.
Ich senkte den Blick. Ich schien hier auf etwas sehr persönliches gestoßen zu sein. „Tut mir leid Sir. Ich bin zu weit gegangen.“ langsam erhob ich mich und folgte Allan durch den Raum. Gemeinsam liefen wir durch das Büro auf die Tür zu. Gerade als ich sie öffnen wollte, hörten wir die Stimme des Officers hinter uns.
„Mr. Davis!“
„Eh ja“, sagte ich, und wandte mich um.
Armstrong sah klein und verloren aus hinter seinem übergroßen Schreibtisch. Er öffnete den Mund als wolle er etwas sagen, doch dann schloss er wieder. Nach einigen Augenblicken des Schweigens öffnete er ihn erneut: „Ach einerlei. Bitte vergessen sie das Haus. Auch wenn es ihnen schwer fällt. Dieser Ort ist… nichts für Sie.“
„Schon klar.“, antwortete ich, kreuzte allerdings unbemerkt die Finger hinter meinem Rücken.
„Werde ich nicht. auf Wiedersehen.
„Gut. Auf Wiedersehen ihr beiden. Und danke nochmal.“
Und damit verließen wir das Büro.
„Was war das denn gerade?“, fragte Allan, als wir wieder vor dem Präsidium, standen. Die Luft war kühl und frisch. Es hatte aufgehört zu regnen und der nasse Asphalt spiegelte das Licht der Mittagssohne, die zwischen der rissigen Wolkendecke hervorlugte.
„Seltsam was?“
„Fast als wärst du in seine Privatsphäre eingedrungen.“, bemerkte Al verdrießlich und zündete sich hinter vorgehaltener Hand eine Zigarette an. Danach hielt er mir die Rot-weiße Packung ebenfalls hin. Lucky Strike. Ich verzichtete dankend und tippte nachdenklich mit der Fußspitze in eine Pfütze zu meinen Füßen. Gedankenverloren sah ich zu, wie sich die Kreisförmigen Wellen über die Oberfläche zogen, in der sich mein müdes Gesicht spiegelte. Al hatte Recht. Meine Augenringe waren nicht von dieser Welt. Ich brauchte Schlaf. Unbedingt.
„Vielleicht bin ich das ja.“, hörte ich mich schließlich sagen nachdem wir für eine Weile geschwiegen hatten.
„Was?“, fragte Allan mit rauer Stimme, und stieß Rauch in die Luft, die der Regen frisch gewaschen hatte.
„Na, was wenn der Zeuge jemand war den er kannte? Vielleicht sogar jemand, der ihm nahe stand.“, überlegte ich laut.
„Hmm, da könnte was dran sein. Aber wer auch immer es war, er hat recht.“
„Womit?“ Ich zog eine Augenbraue nach oben und drehte mich zu ihm um.
„Das uns diese ganze Scheiße nichts angeht. Wir haben nichts weiter mit diesem Haus zu schaffen. Und mit Gein.“
„Aber ich-“
„Elija, lass es.“ Als er mich unterbrach, war seine Stimme so kalt, dass sie gar nicht zu ihm passen wollte. „Ich bin mit diesem Haus fertig und das solltest du auch sein.“
„Ja… vielleicht hast du recht.“, lenkte ich ein und senkte den Blick. Innerlich wusste ich, dass es das vernünftigste war. Nach einigen Augenblicken, sagte Allan:
„Ich hab gesehen wie du die Finger hinter dem Rücken gekreuzt hast.“ Seine Stimme war wieder etwas sanfter als zuvor.
„Achja?“ gab ich kühl zurück. Insgeheim hatte ich gehofft, dass er es sehen würde.
„Ich meine es ernst. Diese Sache ist eine Nummer zu groß für uns beide.“
Ich seufzte. Während Allan den braunen, ausgerauchten Stummel zu Boden warf und dieser mit einem leisen Zischen auf dem Nassen Asphalt erlosch.
„Gehen wir ein Stück?“ fragte ich, „wir sollten uns, trotz allem einmal unterhalten.“
„Eh klar.“
Wir liefen ein gutes Stück, die breite Monroe Street entlang und bogen anschließend in einen schmalen Weg ein, der uns durch das Arboretum von Madison führte. Einen Park, den man als Eigentum der Universität, weitestgehend Naturbelassen hatte. Waren wir eben noch von Autolärm und eiligen Fußgängern umgeben gewesen, so wurden wir nun durch Vogelgezwitscher und dem friedlichen Rauschen von Wind empfangen, der sanft durch das blattlose Geäst, dicht an dicht stehender Bäume, unterschiedlichster Art, strich. Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her und lauschten den Geräuschen der Natur, bis ich schließlich das Wort ergriff:
„Dir mag es leicht fallen aber ich kann dieses Haus nicht einfach vergessen Al.“
„Warum nicht?“, fragte dieser ruhig, „Uns ist in diesem Haus nichts passiert, was mich dazu reizen würde nochmal dorthin zu gehen.“
„Mir schon. Mich lassen die Dinge die wir gesehen habe einfach nicht los. Die Dinge die… ich gesehen habe.“
„Du sprichst von deinen Visionen? Oder Erinnerungen?“ Allans braune Augen taxierten meinen Blick.
„Ja. Diese Erinnerungen die ich hatte… diese Träume, als wäre ich schon Mal in diesem Haus gewesen. Ich glaube das alles passiert nicht aus Zufall. Ich glaube es gibt eine Verbindung zwischen mir und Ihm. Als würde mir das Haus etwas sagen wollen. Eine Verbindung zwischen mir, Gein… und…“
„…Deinen Eltern.“, beendete Allan meinen Satz und sprach damit zum ersten Mal aus, woran ich seit meiner ersten Nacht in Ed Geins Anwesen, kaum zu denken gewagt hatte. Wortloses Verständnis war ein Geschenk des Himmels.
„Ja.“, war meine einzige Antwort und damit die Antwort auf hunderte Fragen. „Ich weiß nicht in wie weit die Verbindung besteht und ich weiß nicht ob ich es überhaupt wissen will.“
Der Waldweg mündete schließlich ins Licht, gabelte sich nach links und rechts auf und die gewaltige Wasseroberfläche des Lake Wingra erstreckte sich vor uns. Nebel hing über den seichten Wellen und ein Schwarm Vögel Stieg über den Wipfeln der kahlen Weiden auf, die das Ufer des großen Sees, wie eine Trauergemeinde umsäumten. Der Himmel hatte sich wieder zugezogen. Es hatte leicht zu regnen begonnen und die ersten Wassertropfen, zeichneten ihre Kreise in das graue Nass. Ich lehnte mich an das Geländer aus verrostetem Metall und sah ihnen dabei zu. Dieser Ort war so friedlich, dass ich für einen Augenblick glaubte, allein zu sein und ich merkte wie dringend ich das gerade brauchte. Ich wollte allein sein. Ich musste nachdenken. Doch dann durchbrach Allan, mit einem Seufzen die allgegenwärtige Stille:
„Fuck, in was sind wir da nur rein geraten?“ Er lehnte sich neben mich an das Geländer. „Aber trotzdem muss ich dir dazu raten es gut sein zu lassen. Mann, Du bist in deiner Therapie so weit gekommen. Du Studierst, hast ein neues Leben begonnen, wirf das nicht einfach alles weg, nur weil du dich an der Vergangenheit festklammerst. Ich weiß es ist schwer aber manchmal müssen wir einfach lernen loszulassen.“
Allan hatte den Blick in die Ferne gerichtet, doch ich wusste genau woran er in diesem Moment dachte.
Ich schluckte den Kloß herunter der sich in meinem Hals gebildet hatte. „Tut mir Leid Al, aber ich kann nicht einfach loslassen. Ich brauche mehr Klarheit.“, entschied ich bestimmt.
„Niemand hat gesagt, dass es einfach wäre.“, gab Allan zurück und sah mich ernst an. „Glaubst du, für mich war es einfach?“
„Nein, tut mir Leid, das wollte ich damit nicht sagen und das weißt du.“
„Ja, ich weiß. Das würdest du nicht.“
„Es ist nur… du sprichst nie über ihn und man vergisst einfach wo du herkommst. Wenn man dich ansieht wirkt es als hättest du ihn nie gebraucht. Als hättest du nie irgendjemanden gebraucht.“ Anerkennung lag in meiner Stimme als ich die Worte aussprach.
Allan blickte hinab ins Wasser es schien, als wäre er Tief in alten Erinnerungen versunken. „Ich denke jeden Tag an ihn. Es ist nie einfach jemanden zu verlieren aber das Leben geht eben weiter. Ich bin mir sicher du bildest dir diesen Zusammenhang nur ein. Du suchst nach Zeichen wo keine sind, weil du noch nicht akzeptiert hast dass sie nicht mehr da sind.“ Ich spürte wie meine Augen feucht wurden. Al hatte Recht. Egal was ich in meinen Träumen gesehen hatte, egal welche Schlüsse ich zog. Sie waren fort und ich musste nach vorne Blicken. Ich spürte eine Hand, die sich auf meine Schulter legte.
„Hey Mann, ich weiß dass sowas nicht einfach ist aber, du packst das.“ Ich wischte mir mit meinem Ärmel energisch übers Gesicht.
„Verdammt ja, wahrscheinlich hast du mal wieder Recht.“
„Natürlich habe ich Recht. Was hast du anderes erwartet? Du bist vielleicht der hübschere von uns beiden aber ich bin definitiv das hellere Köpfchen.“ Sagte Allan und grinste. Ich spürte ebenfalls wie sich ein Lächeln auf mein Gesicht stahl. Etwas, was nicht allzu oft passierte und etwas wofür ich Allan ebenso dankbar war, wie für sein Verständnis. Wir beide wussten wie es war, jemanden zu verlieren, doch war Allan nicht dabei gewesen, als sein Vater 1980, irgendwo in der Bronx von New York, auf offener Straße erschossen wurde.
„Trotzdem lässt mich die ganze Sache nicht los. Ich will mehr über den Schneider wissen. Über dieses Haus. Warum gibt es keine Vermisstenanzeigen, wegen der vielen Morde? Was hat es mit diesem Monster auf sich und vor allem: wie zum Teufel kann Ed Gein immer noch dort unten sein obwohl er längst tot ist??“ mit jeder Frage wurde meine Stimme lauter, als müsse sie meinem Frust Platz machen.
„Du glaubst in dem Haus spuckt es, was?“, fragte Allan und ließ ein seltsames kichern hören. „Tja ich will ja kaum dran glauben aber mittlerweile… vielleicht sind wir da unten tatsächlich etwas übernatürlichem auf der Spur…“
Ich sah Allan an. Dieser wich gekonnt meinem Blick aus. Ein breites Grinsen schmiegte sich auf mein Gesicht. Verdammt, ich wusste es. Immer noch der Alte Allan was?
„Gib es zu, dich interessiert es auch.“
„Quatsch.“, gab Allan knapp zurück.
„Doch, du kannst mir nichts vormachen, dafür kenne ich dich zu gut.“, sagte ich bestimmt. „Du bist nicht der Typ der einfach so alles hin Schmeißt. Du willst genau so dringend wissen was in dem Anwesen vor sich geht, wie ich. Nein, noch dringender als ich.“
Allan ließ einen langen Seufzer hören. „Na gut du hast mich. Es interessiert mich natürlich brennend. Aber ich halte es für vernünftiger wenn wir dem nicht nachgehen. Eine Frau ist gestern gestorben und wir wären da unten beinahe ebenfalls draufgegangen, wie du dich vielleicht erinnerst. Es ist wie du gesagt hast: Hier geht es um weit mehr als nur ein kleines Verbrechen. Es geht um Mord. Massenmord. Das ist wirklich nichts für uns. Weißt du was ich meine?“
Natürlich wusste ich was Allan meinte und außerdem wusste ich insgeheim, dass diese Geschichte für uns noch lange nicht vorbei war.
„Tja, aber wie ich auch gesagt habe, kann ich die ganze Sache nicht einfach so abhaken. Ich habe das Gefühl, bereits viel zu tief drin zu stecken.“, sagte ich entschieden.
Allan sah mich an. „Und was hast du jetzt vor?“
Ich rieb mir mit den Fingern über die Augen. „Schlaf nachholen.“
„Gute Idee.“, pflichtete mir Allan, mit einem Lächeln bei, „und danach?“
„Danach gehe ich in die Bibliothek und werden versuchen ein bisschen was über Gein in Erfahrung zu bringen. Ich will wissen was für ein Typ er zu Lebzeiten war. Wenn du willst kannst du mich gerne begleiten. Oder hast du Angst, dass uns der Schneider hinter einem Bücherregal auflauert?“
Allan zögerte. „Nun ja, ein bisschen Recherche kann vielleicht wirklich nicht schaden. Aber ich gehe sicher nicht mehr zurück in dieses Haus.“
„Okay also dann, heute Abend vor der Bibliothek?“
„Heute Abend? Kimber hatte gefragt ob wir heute Abend vorbei kommen. Angeblich läuft da ne friesen Hausparty.“
„Ach nein,“ stöhnte ich, „Nach Party machen ist mir im Augenblick wirklich nicht zu Mute. Dir etwa? Kimber schmeißt doch wöchentlich Partys. Einmal wird sie schon ohne uns überleben.“
„Haha, naja ne Pause täte vielleicht mal ganz gut. Das braucht meinen Leber mindestens genau so dringend wie ich.“
„Also gut, statt zu feiern, sitzen wir also an einem Samstagabend wie brave Studenten in der Bibliothek abgemacht?“, fragte ich und grinste.
„Okay Mann, abgemacht.“
Für einen Moment standen wir einfach da und blickten über das Wasser des großen Sees, der so friedlich da lag, als wolle er einen Gegensatz zu der tosenden Unruhe bilden, die in meinem Kopf herrschte.
„Es ist wirklich verdammt schön hier.“, sagte Allan „Selbst um diese Jahreszeit.“
„Ja irgendwie beruhigend.“
„Elija?“
„ja“
„Ich will dass du weißt… egal was passiert, dass du immer auf mich zählen kannst.“
„Eh Danke… Das beruht auf Gegenseitigkeit.“, sagte ich, etwas verwirrt über den ernsten Tonfall, den Allan plötzlich angeschlagen hatte.
„Gut“
„Al ehm,…stimmt etwas nicht?“ fragte ich und blickte meinen Freund skeptisch an. Allan wich abermals meinem Blick aus.
„Ich em… Ach nicht so wichtig. gehen wir zurück?“ fragte er schließlich nach einer kurzen Pause des Schweigens.
„Eh klar.“, sagte ich und zuckte die Achseln, konnte aber das seltsame Gefühl nicht abschütteln, dass Allan etwas beschäftigte, obwohl dieser nun wieder zu Lächeln begonnen hatte.
„Na dann komm. Aach verdammt bin ich müde.“ Sagte er und gähnte Ausgiebig. während er sich von mir abwandte und in Richtung Waldweg stiefelte. Prompt wurde ich von seinem Gähnen angesteckt, als ich ihm folgte.
Wir quatschten über alles Mögliche, während wir den schmalen Waldweg, und danach die breite Hauptstraße wieder zurückgingen. Nicht ein einziges Mal kamen uns dabei die Worte: Schneider, Anwesen, oder Haut über die Lippen, bis ich Allan an der Straße, in die er einbiegen musste, um zu dem Haus zu gelangen, in welchem er, gemeinsam mit seiner Mutter zusammen lebte, verabschiedete. Wir verabredeten uns für 6 Uhr Abends, vor der Stadtbibliothek und gingen anschließend getrennte Wege.
Die Straße, welche zu mir nach Hause führte war ungewöhnlich leer und Still. Ein typischer, regnerischer Samstagvormittag, dachte ich, während das einzige Geräusch das Knirschen meiner Sohlen auf dem nassen Bürgersteig war. Seltsam, es mochte ja ruhig sein, aber so ruhig… auf einmal fühlte ich mich auf seltsame Weise beobachtet. Als würde mich etwas zwischen den stehenden Autos und aus den hohen Fenstern, der ausgegrauten, Gründerzeitlichen Wohnhaus-Fassaden beobachten, die sich zu meiner Linken, sowie zu meiner Rechten, monoton aneinanderreihten. Ich spürte wie sich meine Nackenhaare aufstellten und beschleunigte meinen Schritt. Meine Hände begannen zu schwitzen. Verdammt, ich musste mit den Nerven echt total am Ende sein. Ohne ersichtlichen Grund begann ich zu laufen und dann zu rennen. Ich rannte bis ich endlich an der Treppe angelangt war, die zu der schweren Eingangstür, des Hauses führte, in dessen drittem Stockwerk ich mein Appartement bezogen hatte. Keine Menschenseele war mir auf meinem Weg begegnet und trotz der gespenstischen Stille hatte ich das Gefühl, plötzlich nicht mehr allein zu sein. Ich schüttelte den Kopf während ich den Schlüssel ins Schloss steckte. Unsinn, du bist Müde das ist alles. Eine Gänsehaut fuhr über meinen Rücken, als sich die Tür mit einem lauten Knarren öffnete. Dieses Knarren. Seit wann machte diese Tür solch ein Geräusch?
Beklommen blickte ich mich im leeren Treppenhaus um. Braun gemusterte Fliesen die den Boden Pflasterten, eine abgetretene hölzerne Treppe, die sich nach oben wand, rechts davon der Durchgang zum Innenhof, des Häuserblocks. Doch über allem lag auf einmal eine ungekannte Düsternis. Ein Schatten. Etwas was mir vorher nie aufgefallen, nein etwas, was vorher nie da gewesen war. wie im Trance ließ ich meinen Blick hinüber zu den Briefkästen wandern. Sechs silberne Briefkästen. Alle beklebt mit einem Zettel, der in roter Schrift „Keine Werbung!“ verkündete. Alle, bis auf einen. Mein Herz begann heftig zu pochen, als ich die dunkelroten Schlieren sah, die sich über das silberne Blech meines Briefkastens zogen. Scheiße! War das etwa… Blut? Mir wurde übel, während ich mich, wie in Zeitlupe darauf zu bewegte. Mit leicht zitternden Fingern schob ich den Schlüssel in das kleine Ovale Schlüsselloch und drehte ihn. Ich war kaum überrascht, als ich den Briefkasten bei nahe völlig leer vorfand und mir bloß ein Einzelner, mit rotem wachs versiegelter Brief in die Hände viel. Ich öffnete ihn und zog ein kleines, weißes Kärtchen hervor. Das darf doch nicht wahr sein…, dachte ich, drehte es um und begann die finsteren Worte, welche mit tiefschwarzer Tinte in geschwungener Handschrift verfasst worden waren, zu lesen:
Ich weiß vor was du fließt, doch dies Unterfangen, ist zwecklos. Deine Fragen werden dich zerfressen und dein Verstand dich zerschmettern. Ich habe Antworten. Besuche mich, dort wo Nichts ist. Und Alles sein kann.
In Liebe,
Eine Freundin
Ich ließ das Papier sinken. Mein Kopf begann sich zu drehen und mir wurde schwindelig. Schon wieder. Ein dumpfes Dröhnen hob in meinen Ohren an und wurde immer lauter, während ich den Zettel noch einmal überflog. Ich habe Antworten… Eine Freundin Was hatte das zu bedeuten? Von wem war dieser Brief?
„Mr. Davis, Ist alles in Ordnung?“ ich zuckte so heftig zusammen, dass ich den Zettel beinahe fallen ließ.
„Sie sehen ziemlich blass aus.“ Mrs. Moore stand mir gegenüber, die knochigen Hände auf den schwarzen Schaumstoffgriffen eines weißen Rollators abgestützt. Sie wohnte eine Etage unter mir und war seit etwa vier Jahren verwitwet. Ich blickte mich zerstreut im Raum um. Es war als hätte jemand eine Decke entfernt, die über dem Haus gelegen hatte. Von dem Blut das an meinem Briefkasten geklebt hatte, fehlte jede Spur.
„Eh… Ich… nein alles in Ordnung.“ Ich fuhr mir mit der Hand durch das blonde Haar und warf einen erneuten Blick auf das Papier. Besuchen sie mich. Natürlich wusste ich welcher Ort gemeint war. Es konnte nur einer sein. Alles in mir sträubte sich gegen die Neugier, die in mir aufkeimte und das Verlangen, das Gottverlassene Anwesen ein drittes Mal aufzusuchen.
„Sie sollten sich besser hinlegen. Sie sehen ziemlich ungesund aus.“, bemerkte meine Nachbarin, während sie an mir vorbeischlurfte. Ich hatte schon wieder vergessen dass sie da war und zuckte erneut leicht zusammen.
„Ja.“, bemerkte ich und gab ein nervöses kichern von mir, das sich so seltsam anhörte, dass ich kaum glauben konnte, es stamme von mir. „Habe wenig geschlafen letzte Nacht…viel gelernt.“ hängte ich dann an.
„Die jungen Leute…“, Murmelte Mrs. Moore.
Ich ging hinüber zur Tür und zog sie auf um die alte Frau nach draußen zu lassen.
„Vielen Dank Junger Mann.“
Als sie auf dem Bürgersteig stand, drehte sie sich noch einmal zu mir um. „Ich hoffe du findest die Antworten. Nach denen du suchst.“ Ein unangenehm höhnisches Lächeln legte sich wie ein Schatten auf ihr Gesicht und mein Herz rutschte eine Etage tiefer.
„Was?“ fragte ich entgeistert.
Der Schatten verschwand ebenso schnell wie er gekommen war.
„Ihre Prüfung für die sie lernen. Ich hoffe sie haben Erfolg.“ Dann wandte sie sich ab und schlurfte von dannen. Als sich Mrs. Moore aus meinem Blickfeld entfernt hatte, ließ ich die Klinke der schweren Tür los. Diese fiel ohne das leiseste Knarren ins Schloss und rastete mit einem Krachen ein, das im gesamten Treppenhaus wiederhallte. Mit leicht geöffnetem Mund stand ich da und starrte gegen das dunkel lackierte Holz. Ich glaube ich Werde verrückt.
Mit schweren Schritten stieg ich die hölzernen Stufen zu meinem Appartement hinauf. Als ich durch den dunklen Flur lief und schließlich den Schlüssel ins Schloss meiner Wohnungstür steckte, spürte ich wie mich die Müdigkeit in gewaltigen Wellen überschwemmte. Ich schloss die Tür hinter mir und warf einen letzten Blick auf das Papier. Besuche mich. Nein… ganz sicher nicht, dachte ich und beförderte den Brief in den nächsten Mülleimer. Ich brachte es gerade fertig mir Schuhe und Jacke auszuziehen, taumelte zu meinem Bett, ließ mich auf die Matratze fallen und fiel Augenblicklich in einen tiefen und, glücklicher Weise, traumlosen Schlaf.