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Netzhaut eines Toten, was ich sah war ein absoluter Alptraum

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Es begann mit einer schweren Augenerkrankung, einem schleichenden Verlust meiner Sehkraft. Die Dunkelheit hatte mich schon immer auf eine Art und Weise verfolgt, doch seit der Diagnose Retinitis pigmentosa. war sie mehr als nur ein Schatten am Rande meines Blickfelds. Es war ein langsames Erblinden, ein unaufhaltsamer Abstieg in die Finsternis.

Ich hieß Laszlo und die Welt um mich herum verschwand immer mehr in Dunkelheit. Meine Netzhaut war am Zerfallen, und ohne eine Transplantation würde ich bald in völliger Dunkelheit leben. Eine Netzhauttransplantation war meine letzte Hoffnung. Doch das Warten auf einen geeigneten Spender glich fast einem Warten auf den Tod. Zwar gab es bereits zwei Versuche, eine Transplantation durchzuführen, allerdings wurden diese in letzter Minute abgesagt, weil die Spender selbst an unentdeckten Augenerkrankungen litten, die eine Transplantation unmöglich machten.

Es war der Morgen des 4. Oktober, als mein Telefon klingelte. Es war die Praxis meines Augenarztes Dr. Varga. Seine Sprechstundenhilfe bat mich, in die Praxis zu kommen, da ein geeigneter Spender gefunden sei. Also vereinbarte ich einen Termin für den gleichen Nachmittag. Eilig rief ich meine Frau auf ihrer Arbeit an und berichtete ihr von den Neuigkeiten. Selbstverständlich freute Sie sich mit mir und nahm sich den Nachmittag frei, so dass Sie mich zu dem Termin begleiten konnte. Außerdem verhinderte meine schwindende Sehkraft, dass ich noch alleine Autofahren konnte. Daher hätte ich eh einen Fahrer benötigt. Aber da der Chef meiner Frau über den Zustand meiner Gesundheit wusste, war es kein Problem für ihn, dass meine Frau sich freinehmen konnte.

Wir kamen um 14 Uhr in der Praxis an. Die Schwester am Empfang brachte uns direkt in eines der Untersuchungszimmer. Der Raum roch leicht nach Desinfektionsmittel. Aufgeregt rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her, als wir auf den Arzt warteten.

Schatz, beruhige dich. Es wird alles gut werden. Diesmal klappt es bestimmt und du wirst wieder sehen können“, sagte meine Frau zu mir und versuchte, mich zu beruhigen. „Ich hoffe es so sehr!“ Schließlich waren die ersten beiden Spenden nicht brauchbar. Ich wage es nicht mal, mich richtig zu freuen, weil ich Angst habe, dass auch diese Spende nicht brauchbar sein könnte. „Du weißt, wie sehr ich nach den letzten beiden Absagen der Transplantationen gelitten hatte!“, antwortete ich ihr.

Ich habe das Gefühl, dass sich diesmal alles zum Guten wenden wird!“, antwortet meine Frau und nahm meine rechte Hand in ihre und drückte sie. „Ich hoffe es so sehr und …!“ Bevor ich weiter reden konnte, klopfte es an der Tür und der Arzt öffnete selbige und betrat das Untersuchungszimmer.

Hallo Herr und Frau Molnar, es gibt tolle Neuigkeiten: Wir haben eine Spender-Netzhaut gefunden“, sagte Dr. Varga mit einer Stimme, die schon fast zu ruhig war, um tröstlich zu wirken. Er saß mir gegenüber, die Hände über einem Stapel medizinischer Unterlagen gefaltet. Sein Gesicht war ernst, die Falten um seine Augen deuteten auf eine Mischung aus Müdigkeit und Resignation hin.

Ein junger Mann“, fuhr er fort, „er hatte einen Motorradunfall. Leider ist er hirntot. Aber seine Netzhaut ist kompatibel und seine Angehörigen haben beschlossen, seine Organe zu spenden.“

Ich spürte, wie mein Magen sich zusammenzog. „Wie alt war er?“, fragte ich, obwohl ich nicht sicher war, ob ich die Antwort hören wollte.

Gerade einmal zweiundzwanzig“, antwortete Dr. Varga und sah mich an, als ob er versuchte, meine Reaktion einzuschätzen. „Er war jung und gesund, Herr Molnar, das ist eine seltene Gelegenheit.“

Ich nickte langsam, meine Gedanken wirbelten wie in einem Strudel. „Und … was passiert, wenn ich es nicht tue und die Transplantation ablehne?“

Dr. Varga seufzte leise und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Dann werden Sie innerhalb eines Jahres vollends erblinden. Ihre Werte sind sehr schlecht und auch der Augendruck steigt stetig an. Die Retinitis pigmentosa schreitet mittlerweile sehr schnell voran. Es gibt leider keine andere Behandlung, die ihnen noch helfen kann.“

Ich schloss meine Augen für einen Moment und versuchte, die Bilder zu verdrängen, die in meinem Kopf auftauchten: Dunkelheit, Einsamkeit, ein Leben ohne Licht, Farben, ohne Gesichter. „Und die Risiken?“, fragte ich schließlich.

Es gibt immer Risiken“, sagte er vorsichtig. „Infektionen, Abstoßungsreaktionen, Komplikationen während der Operation. Aber die Erfolgsaussichten sind gut. Wir haben die Technologie, die Erfahrung und die nötigen Werte. Sie könnten ihr Leben ihre Sehkraft zurückgewinnen, Herr Molnar. Ein Leben, in dem Sie sehen werden.“

Mein Leben zurückgewinnen“, wiederholte ich leise, die Worte von Dr. Varga. Es war fast so, als ob Sie mir helfen könnten, eine Entscheidung zu treffen. Meine Frau drückte meine Hand und ich schaute sie an. Sie lächelte sanft. Dr. Varga beugte sich zu uns vor, seine Stimme wurde sanfter. „Ich verstehe ihre Bedenken und weiß, dass das eine schwere Entscheidung ist. Aber Sie haben nicht viel Zeit. Die Netzhaut muss innerhalb der nächsten 48 Stunden transplantiert werden. Sonst werden wir Sie einem anderen Patienten geben müssen. Sie müssen verstehen, dass Sie nicht der einzige Patient auf der Warteliste für neue Netzhäute sind.“

Ich sah ihn an, spürte den Druck seiner Worte, auch wenn er sie sanft ausgesprochen hatte. Die Schwere der Wahl, die vor mir lag. Ich schluckte schwer und fragte: „Und wenn ich zustimme … wann würde die Operation stattfinden?“

Morgen früh“, antwortete der Doktor ohne zu zögern. „Wir haben bis dahin alles vorbereitet. Sie müsstest nur zustimmen und die nötigen Unterlagen unterschreiben.“

Ich atmete tief ein und spürte, wie meine Hände zu zittern begannen. „Ich räusperte mich. Ich brauche einen Moment, um nachzudenken.“ Können Sie mir bitte 5 Minuten Zeit geben?

Dr. Varga nickte, sein Gesicht zeigte Verständnis, aber auch eine gewisse Dringlichkeit. „Natürlich. Aber denk daran, Herr Molnar, dies könnte ihre letzte Chance sein. Ich warte hier mit Ihrer Frau.“

Ich stand auf, mein Kopf war schwer, meine Gedanken wirbelten. „Ich werde es Sie wissen lassen“, sagte ich, bevor ich den Raum verließ, die Worte des Arztes noch in meinen Ohren hallend. Ich ging zur Toilette und schaute dort in den Spiegel. Die Konturen meines Spiegelbildes verschwammen. Ich starrte in das leicht milchige Abbild im Spiegel und musste schwer schlucken. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich wischte sie weg und atmete tief durch.

Ich wusste, dass der Arzt recht hatte. Es war meine einzige Chance, weiterhin sehen zu können.

Meine Gedanken wirbelten immer noch in meinem Kopf. Ich atmete durch und nickte meinem Spiegelbild zu. Ich verließ die Toilette und ging zurück in das Sprechzimmer, in dem der Arzt und meine Frau warteten. Gedämpfte Stimmen klangen durch die geschlossene Tür und ich konnte hören, dass der Arzt meiner Frau die Dringlichkeit der Transplantation erklärte. Ich klopfte an und betrat erneut das Zimmer.

Beide schauten mich an und warteten auf meine Entscheidung.

Ich werde es tun!“, sagte ich, als ich mich wieder hinsetzte. Noch bevor DR. Varga etwas sagen konnte, fuhr ich fort. „Ich habe eine Bedingung.“ Ich möchte, dass Sie den Angehörigen des jungen Mannes bitte unser tiefstes Mitgefühl zum Verlust aussprechen und ihnen meinen Dank für die Spende ausrichten. „Ich weiß, es läuft alles unter dem Schleier der Anonymität, aber ich denke, dass meine Bitte wohl machbar wäre“, sagte ich zu ihm.

Selbstverständlich ist das machbar, Herr Molnar. Ich werde alles weiter in die Wege leiten und erwarte sie morgen früh um Punkt 7 Uhr in der Klinik. Machen Sie sich bitte keine Sorgen. Ich danke ihnen, und wir sehen uns morgen früh. Er stand auf und verließ das Sprechzimmer und ließ mich und meine Frau zurück.

Wir machten uns auf den Rückweg und meine Frau war dankbar, dass ich mich dazu durchringen konnte, die Operation zu wagen. Zuhause angekommen packten wir meine Tasche und gingen früh zu Bett. Allerdings fand ich in dieser Nacht kaum Schlaf. Ich war innerlich sehr aufgeregt und hoffte inständig, dass alles klappen und ich bald wieder richtig sehen würde. Am nächsten Morgen um halb 6 in der Früh fuhr mich meine Frau in die Klinik und um 7 Uhr lag ich bereits auf dem OP-Tisch.

Die Transplantation dauerte knapp 2 Stunden. Die Operation verlief erfolgreich, zumindest laut Aussage der Ärzte. Nach 3 Tagen wurde mir der Verband abgenommen – ich sah fast so gut wie früher. Das Behandlungszimmer wirkte steril und Dr. Varga stand vor mir. Er machte einige Tests, um zu sehen, wie meine Augen darauf reagierten. Er war zufrieden mit dem Ergebnis und ich durfte nach einer weiteren Nacht stationärer Beobachtung nach Hause.

Doch was ich damals nicht wusste: Die Netzhäute, die mir gegeben wurden, waren nicht nur ein Fenster zur Welt der Lebenden, sondern auch ein Tor zu etwas viel Schlimmerem. Was ich sah, war nicht die Welt, die ich kannte.

Nach einigen Wochen der Heilung begannen die ersten Veränderungen. Ich stand am Fenster und schaute auf die Straße. Für einen Moment wurde meine Sicht schwarz und als ich wieder sehen konnte, bot sich mir ein Anblick, den ich nie vergessen werde. Die Straßen vor unserem Haus waren von Schutt und Trümmern übersät, die Nachbarhäuser verfallen, als wäre ein Komet eingeschlagen. Unwillkürlich zuckte ich vor Schreck zusammen.

Ich blinzelte kurz und dann sah ich sie. Die Toten, die in all dem Schutt und den Trümmern umher-wandelten. Sie sahen aus wie Menschen, aber sie waren es nicht. Ihre Gesichter waren blass, ihre Augen leer. Sie waren teils transparent und durchsichtig und sie bewegten sich grotesk und ungelenk. Ich sah Schattenwesen, schwärzer als die Nacht, die über die Ruinen der anderen Welt huschten. Geister … Tote. Sie wanderten umher, manche stumm, andere hörte ich leise flüstern, als ob sie sich an etwas erinnerten, das längst verloren war. Es war, als blicke ich in eine Welt, in der Zukunft. In einer postapokalyptischen Welt, in der alles, was lebte, ausgelöscht worden war.

Ich sah, wie einen großen Geist, eine unheilvolle Gestalt mit zerfetzter Kleidung, schmutzigem Aussehen und einem Gesicht, das von Narben entstellt war. Er packte einen schwächeren Geist und löschte ihn einfach mit einem Griff durch seinen hageren Körper aus. Es gab keinen Kampf, keine Chance. Der schwächere Geist schrie nicht einmal, als er in nichts zerfiel. Andere Geister knieten sich sofort nieder, unterwarfen sich dem größeren Geist, als ob sie wüssten, dass ein Widerstand sinnlos war.

Plötzlich wurde meine Sicht wieder schwarz und als ich erneut blinzelte, konnte ich wieder normal sehen. Die Welt war wieder, wie ich sie kannte. Keine Geister, keine Schattenwesen, kein Schutt und keine Trümmer. Es war alles wieder normal. Dieses Phänomen wiederholte sich in den kommenden Tagen einige Male und ich sprach erneut in der Praxis von Dr. Varga vor. Als ich ihm schilderte, was ich sehen konnte, was andere nicht sahen, schob er es auf Einbildung und untersuchte meine Augen, um zu schauen, ob es eine Abstoßungsreaktion der Netzhäute geben würde.

Doch die Phänomene steigerten sich nach und nach und beschränkten sich nicht nur auf den Tag. Die Nächte waren weitaus schlimmer. Ich träumte von meiner Cousine Annerose, die vor fünf Jahren verstorben war. Sie stand in meinen Träumen vor meinem Bett, ihr Gesicht war blass und ausdruckslos, aber ihre Augen waren lebendig, fast flehend.

Laszlo“, flüsterte sie leise. „Du siehst die Wahrheit. Die Toten kehren einmal im Monat für 24 Stunden zurück, aber nur wenige können sie sehen. Du gehörst zu den Auserwählten. Dein Spender konnte uns auch sehen. Die Welt, die du siehst, ist das, was kommen wird, wenn niemand etwas unternimmt.“

Woher weißt du, dass mir Netzhäute gespendet wurden?“, fragte ich. Meine Stimme zitterte.

Wir sehen Vieles. Auch die Zukunft und Vergangenheit. Wir sind immer um euch herum.“ Antworte sie mir leise. Dabei zeigte sie mit ihrer ausgemergelten Hand auf das Fenster. Mein Blick wanderte automatisch dorthin. Ich stand auf und ging an das Fenster, auf das sie zeigte. Da war Sie wieder die zertrümmerte andere Welt.

Ich sah einen feuerroten Himmel, der zu brennen schien. Dunkle Wolken zogen vom Horizont heran und rote Blitze schossen wie Pfeile darin herum und auf die Erde hinab. Eine Gänsehaut bildete sich an meinem ganzen Körper. Die Luft war wie elektrisch geladen.

Es gibt ein Buch“, sagte sie flüsternd in mein Ohr, als sie plötzlich neben mir stand. „Ein Buch im Reich der Toten. Es kann die Knechtschaft beenden, das Verfallen der Welt aufhalten. Aber du musst es für uns finden.“

Wie?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort schon ahnte.

Du musst sterben, Laszlo.“ Nur so kannst du ins Reich der Toten gelangen.“

Ich wachte schweißgebadet auf, ihr letztes Wort hallte in meinem Kopf nach: „Sterben“. Ich realisierte, dass ich nicht mehr im Bett lag, sondern wirklich am Fenster stand und in die Dunkelheit der Nacht blickte. Ich drehte mich zum Bett um und sah meine Frau schlafend darin liegen.

Die Tage vergingen, und meine übersinnlichen Wahrnehmungen wurden stärker. Ich sah immer öfter Dinge, die mich fast wahnsinnig machten. Geister, die sich in den Schatten versteckten. Ihre Augen glühten manchmal wie Kohle in einem Ofen. Ich hörte ihr leises, aber bestimmendes Flüstern. Selbst wenn ich schlief, hatte ich keine Ruhe. Ich träumte immer öfter von der Welt von morgen. Jedes Mal veränderte sie sich ein Stück mehr. Bäume brannten. Tornados zogen über die Trümmer, wo einst Häuser standen. Die Geister der Verstorbenen wirkten immer grotesker. Sie sprachen von Macht, von der Unterwerfung unter eine höhere Macht, die ihnen das Sprechen verbietet. Von einer Welt, die nur noch aus Schmerz und Dunkelheit bestand.

Die Bilder tauchten immer öfter auf.

Eines Nachts, als ich in einem Traum durch die verfallenen Straßen der anderen Welt irrte, sah ich ihn: den Geist des Motorradfahrers, dessen Netzhaut ich jetzt trug. Ich wusste sofort das er es ist. Er stand da, wie aus dem Nichts materialisiert, sein Helm war zersplittert, seine Motorradkluft zerrissen, sein Gesicht blutüberströmt. Seine Gliedmaßen waren durch die zahlreichen Brüche des Unfalls verdreht und standen in einem unnatürlichen Winkel ab. Der Unterkiefer war gebrochen und seine Augenhöhlen waren leer. Dunkle, tiefe Löcher, die in die Leere starrten. Blut tropfte ihm aus zahlreichen Wunden und sammelte sich unter ihm auf dem Boden.

Du trägst meine Augen!“, sagte er, doch seine Stimme war kein Ton, den man hören konnte, sondern ein Gefühl, das sich in meinem Kopf hören ließ. Es klang wie das Knirschen von Metall auf Metall.

Aber du siehst nicht alles. Du musst tiefer gehen“, fuhr er mit seinen Worten fort. Ich wollte weglaufen, aber meine Beine gehorchten mir nicht. Sie waren wie in Beton gegossen und ich konnte mich keinen cm bewegen.

Ich … ich habe sie nicht gewollt“, stammelte ich, meine Stimme zitterte vor Angst, als wäre sie nicht meine eigene. „Sie haben sie mir gegeben.“ Ich hatte keine Wahl. Sonst wäre ich blind geworden. Oh, ich armer Narr des Schicksals. „Ich wünschte, ich wäre blind geworden“, stieß ich keuchend hervor.

Er hob seinen gebrochenen Arm mit einem grotesken Zucken und zeigte auf mich. Es war fast so, als würde er versuchen, mich zu berühren. Das Blut tropfte von seinen Fingern, jedes Mal, wenn sie sich zuckend bewegten. fiel ein weiterer Tropfen auf den Boden. Meine Beine gehorchten mir wieder und ich wischte instinktiv ein Stück zurück. „Du siehst durch sie“, sagte er, und seine Stimme war jetzt ein gerauntes Flüstern, das durch seine leeren Augenhöhlen zu kommen schien. „Du siehst, was ich gesehen habe.“ „Du siehst das Ende. Den Untergang von allem.“

Ich will es nicht sehen“, presste ich mit gequälter Stimme hervor. „Ich will nicht wissen, wie es war. Was sein wird, wie du …“

Gestorben bin?“ Vollendete er meinen Satz für mich, und sein gebrochener Kiefer bewegte sich, als würde er lachen wollen, aber es kam kein Geräusch. Nur das Knirschen und das Schleifen seiner Stimme dröhnten in meinem Kopf … „Du hast keine Wahl, László.“ Es sind jetzt deine Augen. Und sie werden dich zu mir bringen. Zu uns.“

Nein“, flüsterte ich leise mit kaum hörbarer Stimme., aber mein Widerstand war hohl, wie ein Echo in der endlosen Leere. „Ich will das nicht.“ „Ich will nicht zu euch.“ Er neigte seinen Kopf ein Stück zur Seite. Ein unnatürliches Zucken durchfuhr ihn dabei. Es war fast so, als würde er mich von Kopf bis Fuß buchstäblich studieren.

Du hast keine Wahl“, wiederholte er. „Die Augen … sie gehörten mir. Und sie werden dich finden. Immer. Jede Nacht. In jedem Traum.“ „Du wirst mich sehen.“ „Du wirst uns alle sehen“, sprach er mit ernster Stimme in meinem Kopf.

Plötzlich spürte ich einen Druck hinter meinen Augen, ein Pochen, als würde etwas versuchen, herauszukommen. Ich schloss die Augen und hielt meine Hände davor, aber es half nicht. Die Bilder drangen darin ein, flüchtige Schatten, die ich nicht erkennen wollte. Ein Motorrad, das auf der nassen Straße ins Rutschen geriet. Ein markzerreißender Schrei, der in der Abenddämmerung erstickte und von der Nacht aufgefressen wurde. Das Aufprallen auf den Boden, das Brechen von Knochen, das Zerreißen von Stoff, Leder und Fleisch.

Hör auf!“, schrie ich ihn an.

Du kannst nicht entkommen“, sagte er, und jetzt war seine Stimme überall, in meinem Kopf, in meinem Blut, in den Augen, die nicht mehr meine waren. „Du trägst sie. Und sie tragen dich, egal ob du möchtest oder nicht, zu mir.“ „Zu uns allen.“

Ich öffnete meine Augen und sah, dass er näher zu mir herangekommen war. Viel näher, als es mir lieb gewesen war. Sein Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt, seine leeren Augenhöhlen starrten mich an. Sie blickten tief in mich hinein. Ich spürte den leeren Blick in meiner Seele. Ich konnte seinen Blick fühlen. Sein Blut tropfte jetzt auf meine Schuhe, und ich spürte die Kälte, die von ihm ausging, eine Kälte, die mir bis auf die Knochen drang.

Du wirst mich wiedersehen, Laszlo. Jede Nacht. In jedem Traum. Du wirst mich sehen. Du wirst uns alle sehen!“, flüsterte er, und dann begann er sich aufzulösen, bis nur noch ein blutiger Fleck auf dem Boden übrig blieb. Aber seine Worte blieben, hingen schwer in meinem Kopf, als wären sie in meinen Geist und meine Seele eingraviert worden. Ich wusste, er würde zurückkommen. Meine Augen, nein die Augen, würden ihn zurückbringen. Sie waren nicht mehr meine. Seit der Transplantation waren Sie nicht mehr meine gewesen.

Ich wachte schreiend und schweißgebadet auf, mein Herz raste, meine Augen brannten. Innerlich spürte ich, wie der Wahnsinn an mir nagte, wie er mich langsam auffraß. Doch in diesem Moment wusste ich: Ich hatte keine andere Wahl. Die Welt, die ich sah, war ein Vorgeschmack dessen, was kommen würde, wenn ich nichts unternahm.

Meine Frau schreckte durch meinen Schrei ebenfalls aus dem Schlaf auf. Verschlafen schaute sie mich mit angsterfüllten Augen an. „Schatz, was ist los?“, fragte sie mich. Ich atmete tief ein und antwortete ihr. „Ich hatte einen Alptraum.“ Ich sah meinen Spender, den Motorradfahrer, und sein Anblick war angsteinflößend.

Besorgt schaute sie mich an. „Dich belastet die Transplantation. Darum träumst du von ihm oder jemanden, den du für ihn hältst. Du musst versuchen, Abstand zu gewinnen!“, sagte sie und legte sich dabei wieder hin. In Windeseile war sie wieder eingeschlafen. Ich legte mich auch wieder hin und versuchte wieder einzuschlafen. Doch das Bild des Motorradfahrers in meinen Gedanken hielt mich von einem erholsamen Schlaf ab. In dieser Nacht schlief ich nur noch unruhig und wachte immer wieder auf.

Seit dieser Nacht sah ich die andere Seite immer öfter. Egal, wo ich war. Ob zu Hause oder unterwegs, sie blitzte immer öfter auf. Ich sah immer die verfallenen Gebäude, die in der Nähe standen. Den dunklen Himmel. Die Toten und deren Leid.

Auch Nachts blieb ich nicht davon verschont. Ich träumte jede Nacht von dem Motorradfahrer und seinem Unfall, in einer Art Dauerschleife. Mal waren andere Geister und Schattenwesen hinter ihm, mal war er alleine. Seine Stimme grub sich bei jedem Mal mehr in meinen Geist und meine Seele, seine leeren Augenhöhlen verfolgten mich auf Schritt und Tritt. Jedes Mal erzählte er mehr davon, was er im Reich der Toten gesehen hatte. Seine Stimme knirschte dabei immer lauter. Ich hörte Sie nie mit meinen Ohren. Nur in meinem Kopf war sie verständlich zu hören. Es machte mich von Tag zu Tag wahnsinniger.

Ich schlief immer weniger. Es war fast so, als würde buchstäblich die Energie aus mir raus-gesogen werden. Immer wenn ich im Bett lag, wartete ich bereits darauf, dass mich der Motorradfahrer heimsuchte. Doch in dieser Nacht war es anders. Ich hatte mich gerade hingelegt, als ich ein Klopfen hörte, das aus einer Ecke des Schlafzimmers kam. Von meiner Frau konnte dieses Klopfen nicht stammen, da diese zu ihrer Mutter gereist war. Ich versuchte, das Klopfen zu ignorieren.

Keine 2 Minuten später klopfte es wieder. Eindringlicher. Ich hörte plötzlich die Stimme meiner Cousine Annerose.

Laszlo“, flüsterte sie, „du siehst die Wahrheit.“

Ich fuhr aus dem Bett hoch, mein Herz schlug wild in meiner Brust. Plötzlich wurde es im Zimmer kalt, die Luft schwerer als zuvor.

Und dann sah ich sie. Annerose. Sie trat aus der Dunkelheit der Ecke und stand plötzlich am Fußende meines Bettes, halbtransparent, ihr blasses Gesicht war von einem schwachen, unheimlichen Licht umgeben. Ihre Augen, die einst so lebendig waren, waren jetzt tief und dunkel, aber man erkannte sie noch. „Annerose“, stammelte ich, meine Stimme brach unter der Last der Angst und des Unglaubens. „Bist du … bist du es wirklich? Was ist mit dir geschehen, du siehst anders aus als beim letzten mal.

Sie nickte langsam. „Ich bin hier, Laszlo. Aber nicht für lange. Du musst mir zuhören. Es ist kaum noch Zeit.“

Ich schob mich im Bett zurück, die Decke hielt ich fest umklammernd, als ob sie mich vor ihr schützen könnte. „Was willst du?“ – „Warum kommst du zu mir?“

Das Buch“, sagte sie, ihre Stimme drängend und klang verzweifelt. „Du musst es finden. Es ist die einzige Möglichkeit, das Chaos zu stoppen. Die Welt, die du siehst, die Ruinen, die Geister … es wird immer schlimmer werden, wenn du nicht bald etwas unternimmst.“

Ich weiß“, flüsterte ich, meine Hände zitterten dabei. „Aber ich kann nicht einfach sterben.“ Ich kann nicht einfach ins Reich der Toten herübergehen, Annerose. „Das ist Wahnsinn.“

Ihr Gesicht verzerrte sich zu einem Ausdruck von Schmerz und Wut. „Du hast keine Wahl, Laszlo! Siehst du denn nicht, was passiert? Die Toten kämpfen um Macht, die Schwachen werden vernichtet, die gesamte Welt verfällt. Und es wird nicht aufhören. Es wird weitergehen, bis nichts mehr außer Staub übrig ist. „Nicht hier, nicht dort sondern überall.“

Aber warum ich?“, flüsterte ich, meine Stimme brach unter der Last der Verzweiflung zusammen. „Warum muss ich das tun?“ “ „Weil du die Augen eines Toten trägst“, sagte sie, ihre Gestalt begann zu flackern, als ob sie jeden Moment zerfallen würde. „Laszlo, weil du der Einzige bist, der zwischen den Welten wandeln kann. Du siehst die Wahrheit, du siehst, was andere nicht sehen können.“

Ich schloss die Augen und versuchte, die Angst zu verdrängen, die mich zu überwältigen drohte. „Und was ist, wenn ich scheitere?“ – „Was dann?“

Dann wird alles verloren sein.“ „Auf dieser und der anderen Seite“, flüsterte sie, ihre Stimme wurde leiser, ihre Gestalt immer blasser und durchsichtiger. „Du hast die Kraft in dir. Du musst nur mutig sein, Laszlo. Mutiger, als du es jemals warst.“

Annerose, warte!“, rief ich, als ich sah, wie sie zu verschwinden begann. „Ich … ich weiß nicht, wie ich es schaffen soll.“ Ihre Augen trafen die meinen, und für einen Moment sah ich etwas in ihnen, das mich erschaudern ließ. Es war weder Angst noch Wut, sondern eine tiefe, unendliche Traurigkeit, die man nicht beschreiben kann. „Du wirst es schaffen. Aber du musst schnell sein. „Die Zeit läuft davon“, sagte sie leise und ihre Stimme war kaum mehr zu verstehen. Sie trat einige Schritte auf mich zu und stand neben mir am Bett. Sie hob ihre Hand und legte sie mir auf die Stirn. Die Kälte, die von der Hand ausging, ging mir direkt bis auf die Knochen.

Dann sah ich es. Eine alte zerfallene Kirche. Der Kirchturm, ein Hauptportal, ein Altarraum und das Buch auf dem steinernen Altar. Kurze Bilder, die sich vor meinem dritten Auge bildeten und wieder verschwanden.

Stirb“, flüsterte sie. Stirb und finde das Buch Laszlo. Es ist deine Bestimmung. Und plötzlich war Annerose weg. Einfach verschwunden. Das Zimmer war wieder still und die Kälte wich langsam der normalen Raumtemperatur.

Ich saß da, mein Atem ging schnell und flach, meine Hände zitterten immer noch. Die Worte meiner Cousine hallten in meinem Kopf nach, und ich wusste, dass sie recht hatte. Ich hatte keine andere Wahl und musste in das Reich der Toten. Und ich musste das Buch finden, bevor es zu spät war. Also tat ich, was ich tun musste. Meine Gedanken rasten. Eine Frage stellte sich mir immer wieder. Wer würde mich vermissen? Wer würde verstehen, warum ich es tat? Ich stand auf und ging in die Küche. Dort griff ich nach einem Messer und hielt es mir an meine Brust. Ich spürte, wie sich die Klinge kalt gegen meine Haut drückte.

Leise Stimmen waren um mich zu hören. Die Toten um mich herum flüsterten, ihre Stimmen wurden dabei immer lauter und drängender. „Tu es“, sagten sie. „Komm zu uns.“

Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Vielleicht war dies der einzige Weg. Vielleicht musste ich wirklich sterben, um die Welt zu retten.

Ich stach zu. Stieß das Messer in meine Brust. Der Schmerz war intensiv, aber kurz. Ohne Vorwarnung spürte ich, wie ich fiel, tiefer und immer tiefer. Ein helles Licht erschien unter mir und ich fand mich in der Welt, die ich mittlerweile nur allzu gut kannte. Sie war noch dunkler, als ich es mir je hätte vorstellen können. Aber sie war real.

Hier, im Reich der Toten, begann meine eigentliche Reise. Und ich wusste, dass ich das Buch finden musste, bevor es endgültig zu spät war.

Ich ging durch die Ruinen, sah die Geister, die hier ihr elendes Dasein fristeten. Sie beachteten mich nicht, nahmen kaum bis gar keine Notiz von mir.

Ich lief Tagelang durch die Straße und fand schließlich die Kirche, die Annerose mir gezeigt hatte. Sie lag halb zertrümmert vor mir und ihr Kirchturm, der fast unzerstört war, ragte in den dunklen Himmel. Rote Blitze zuckten in den Wolken darüber. Leises Donnergrollen war zu hören.

Ich erinnerte mich an eine Geschichte, die ich einmal gehört hatte. „Albert der Kerzenmacher“. Die Situation, in der ich mich befand, war fast so wie in der geschichte. Nur dass er derjenige war, der das Böse heraufbeschworen hatte und sich an den Bewohnern seines Dorfes rächte. Aber der Kirchturm und die roten Blitze erinnerten mich daran.

Ich stieg die Treppen zur Kirche hinauf. Vor dem Eingang blieb ich stehen und schaute in das Innere hinein. Die Dunkelheit darin ließ mich erschaudern. Ich blickte von links nach rechts und sah, dass einige Kerzen darin brannten.

Langsam betrat die Kirche durch das Hauptportal. Drinnen herrschte das pure Chaos. Die Kirchenbänke lagen wild und zerstört im Hauptraum herum. Umgestürzte Stauen, umgedrehte Kreuze waren zu sehen. Die Wände waren von Ruß geschwärzt. Die Luft war stickig und erdrückend. Es roch nach Verwesung und Schimmel. Meine Schritte hallten durch den Altarinnenraum und wurden von den Wänden wiedergegeben. Putz rieselte von der Decke. Ich blickte nach rechts und sah, dass eine Wand komplett eingestürzt war. Sie bildeten zusammen mit dem dort eingestürzten und herabhängenden Dach einen Schutthaufen. Ich sah, dass ein Kreuz daraus hervorragte. Ein Zeichen? Ich hoffte es.

Ich ging weiter und stieg dabei über zersplittertes Glas, Meine Schritte knirschten bei jedem Mal, wenn ich Glas unter ihnen zertrat. Doch schließlich fand ich es – das Buch. Es lag auf dem Altar, umgeben von flackernden Kerzen. Als ich es berührte, spürte ich eine Welle von Energie, die mich durchströmte. Doch bevor ich es öffnen konnte, hörte ich ein Lachen hinter mir, das mir die Haare zu Berge stehen ließ. Es war tief, hohl, und es kam von überall und nirgendwo. „Du denkst, du kannst etwas ändern?“, hörte ich eine tiefe, dunkle Stimme hinter mir. Ich drehte mich um, sah aber niemanden. Ich widmete mich wieder dem Buch, als die Stimme wieder zu hören war.

Du bist … Nein, du warst nur ein Sterblicher, den ich mit Genuss auslöschen werde.“ Ich drehte mich wieder um und sah es – ein Schattenwesen, das am Eingang der Kirche stand. So schwarz wie die dunkelste Nacht. Es war so groß wie der Eingang selbst. Das spärliche Licht von draußen wurde von der dunklen Masse des Wesens absorbiert. Es wirkte größer und mächtiger als alle anderen in dieser Welt. Für einen kurzen Augenblick sah ich seine Augen. Sie brannten wie Kohlen.

Das Buch gehört mir“, sagte er. „Und du wirst es mir geben“, sagte das Wesen, als es sich mir näherte.

Seine Stimme klang wie das Kratzen von Krallen über Stein – kalt, scharf und nüchtern. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, nur einen Umriss, der sich aus der Dunkelheit schälte, als ob die Dunkelheit selbst lebendig geworden wäre.

Wer bist du?“, fragte ich, obwohl ich wusste, dass ich die Antwort nicht hören wollte.

Ich bin der, der wartet“, antwortete er. „Der, der regiert. Derjenige, dem sich alle unterwerfen. Ich bin der Herrscher dieser Welt und habe die Macht, die Welt der Lebenden und der Toten zu brechen. Das Buch ist mein, und du wirst es mir freiwillig geben!“, sprach er, und seine Worte dröhnten dabei laut durch den Raum. Ich spürte, wie die Kälte von ihm ausging, wie sie sich um mich legte und mir den Atem raubte.

Warum sollte ich es dir freiwillig geben?“, fragte ich. Meine Stimme zitterte beim Aussprechen der Worte.

Weil du keine andere Wahl hast“, keifte das Schattenwesen bissig zurück. „Du, László, siehst die Welt, wie sie wirklich ist.“ Dein Name ist hier bereits wohl bekannt. Die Schwachen sprechen von dir. Du sahst als du noch am leben warst bereits die Toten, die Ruinen, das Chaos, das ich geschaffen habe. Und du weißt, dass es nur schlimmer wird. Das Buch kann das ändern. Aber es gehört mir. Ich werde dich wie so viele vor dir vertilgen und deine Existenz als Geist für immer auslöschen.“

Es gehört niemandem“, sagte ich, obwohl ich nicht wusste, ob ich es selbst glaubte. „Es gehört den Toten. Es gehört denen gequälten Seelen, die befreit werden müssen.“

Das Wesen begann zu lachen, ein Geräusch, das tief aus der Kehle kam und sich stetig steigerte und am Ende wie das Brechen von Knochen klang. „Freiheit?“, zischte es. „Es gibt keine Freiheit. Nur Rangordnung. Und ich, ich bin die Spitze der Rangordnung.“

Ich spürte, wie sich die Schatten um mich herum bewegten, sie näher kamen und mich umschlossen.

Warum lässt du mich nicht in Ruhe?“ fragte ich eindringlich und bestimmend, obwohl ich wusste, dass die Frage nutzlos war „Weil du es sehen kannst“, sagte er. „Weil du es fühlen kannst. Du bist der Einzige, der das Buch finden konnte. Dein Vorgänger der alles sehen konnte, hat Selbstmord verübt, weil er die Bilder, die ich ihm zeigte, nicht mehr ertragen konnte. Er hat mit Absicht seinen Motorradunfall provoziert, nur um dem Ganzen entfliehen zu können. Doch wo ist er gelandet? Hier im Reich der Toten, hier in meinem Reich. Und du trägst seine Augen. Du hast seine Netzhäute bekommen. Du siehst das, was er sah. Nimm das Buch und bring es mir. Oder du wirst leiden. Mehr, als du dir vorstellen kannst. Mehr als alle anderen Geister hier. Du wirst tausendmal schlimmer leiden als sie“, sprach er und begann dabei wieder dieses furchtbare Lachen.

Ich werde es dir nicht geben“, sagte ich, mit fester Stimme zu ihm.

Doch“, sagte er. „Du wirst. Denn du hast keine andere Wahl.“

Dabei bewegte sich der Schatten, immer mehr auf mich zu. Der Geruch von Tod steigerte sich innerhalb weniger Sekunden. Ich hörte, wie die Kirchenbänke sich wie von selbst bewegten und über den Boden schleiften. Weitere Schatten kamen hinzu und kamen näher. Die Kerzen auf dem Altar begannen zu flackern. Ich fasste meinen ganzen Mut zusammen, griff nach dem Buch und schlug es auf.

Es waren fremde Worte, deren Bedeutung ich nicht kannte. Es waren Worte, die ich als Lebender nie hätte aussprechen können. Ich verstand erst beim Lesen, was ich da las.

Schreie ertönten, als ich zu lesen begann. Die Schatten zuckten wild umher.

Plötzlich hörte ich ein Motorengeräusch von draußen. „Nein, das kann nicht sein“, ging es mir durch den Kopf. Es war das Motorgeräusch eines Motorrades, das sich der Kirche näherte. Ich blickte auf und schaute zum Kirchengang.

In der zunehmenden Dunkelheit erkannte ich es. Es war der Motorradfahrer, der auf der zerstörten Straße auf die Kirche zufuhr. Er hielt nur wenige Meter vor den Stufen der Kirche an und stieg von seinem Motorrad ab. Doch er bewegte sich diesmal anders. Seine Schritte waren normal und er begann, die Treppe hoch zu laufen. Wie aus dem Nichts tauchten hinter ihm weitere Geister auf. Ich spürte ihre Anwesenheit. Eine Anwesenheit, die mich stärkte. Ich schaute wieder zu den Seiten des Buches hinab und las weiter. Meine Stimme wurde immer lauter und lauter. Ich schrie die Worte aus dem Buch gegen den Schrei der Dunkelheit an.

Der Boden unter mir begann zu beben. Ich hob den Kopf und sah, dass die Geister ebenfalls die Kirche betreten hatten. Meine Cousine stand dicht neben dem Motorradfahrer. Ein leises Flüstern begann, das ich durch die Schreie hören konnte … Es klang fast wie ein Chor. Ich las weiter und weiter gegen die Schreie an. Der Chor wurde von Sekunde zu Sekunde lauter. Das Beben wurde immer heftiger und in einem Moment, in dem ich nach unten blickte, erkannte ich, dass der Boden Risse bekam. Ich hörte das Knacken und Brechen von Steinen und Beton.

Ein Riss tat sich auf und ein warmes, helles Licht drang daraus hervor. Das Innere der Kirche wurde heller. Das Schattenwesen stand nun dicht hinter mir und ich konnte ein tiefes Knurren vernehmen.

Ich blätterte um und nahm das Buch vom Altar. Eilig drehte ich mich um und schaute dabei, wie weit das Wesen noch von mir entfernt war. Ich musste schlucken. Es stand fast direkt hinter mir. Der Motorradfahrer brüllte etwas, was ich nicht verstehen konnte, und das Schattenwesen drehte seinen Kopf zu ihm. Ich nutzte den Moment und wischte nach rechts aus und lief hinter den Altar. Der Motorradfahrer trat einige Schritte vor und brüllte das Wesen weiter an. Ich stieg auf den Altar und brüllte nun die Worte in den Raum hinein. Der Riss am Boden wurde immer breiter und endete am Altar. Das Licht wurde heller und heller. Das Schattenwesen drehte sich wieder zu mir um und erkannte, dass ich nicht mehr vor ihm stand, sondern auf dem Altar.

Ein lauter, unheimlicher Schrei entfuhr seiner Kehle, der einem das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen können. Der gesamte Altarraum begann zu beben, als sich die Geister der gequälten Seelen um das Wesen versammelten. Sie sammelten sich hinter ihm und gingen auf das Wesen zu. Ich blätterte erneut eine Seite um und las weiter und weiter. Die gequälten Seelen kamen dabei immer näher auf das Wesen zu. Das Licht aus dem Boden leuchtete so hell, dass es in den Augen blendete.

Als ich am Ende der Seite ankam, schaute ich auf und sah, wie die Geister nach dem Schattenwesen griffen und es in Richtung des Spalts am Boden zogen. Ein weiterer Schrei ertönte. Der Boden tat sich weit auf und das Schattenwesen wurde hineingezogen. Es dauerte keine 10 Sekunden und das Loch und der Riss im Boden waren verschwunden.

Ich schloss das Buch und stieg vom Altar … Meine Cousine und der Motorradfahrer kamen beide auf mich zu. Ich konnte sehen, dass Sie nicht mehr die gequälten Geister waren. Ihr Aussehen glich wieder dem eines Menschen zu Lebzeiten. Selbst der Motorradfahrer hatte wieder Augen. Tief grüne Augen.

Noch bevor ich das Wort ergreifen konnte, begann der Motorradfahrer zu sprechen. Ich hörte seine Stimme mit meinen Ohren und nicht mehr in meinem Kopf. Das unheimliche Kratzen darin war verschwunden. Wir danken dir für deine Hilfe. Du hast das geschafft, was ich nicht machen konnte. Ich bin dir zu ewigem Dank verpflichtet. Nein, wir alle sind dir zu ewigem Dank verpflichtet!“, sagte er zu mir. Ich nickte stumm und schaute ihn an. Ich befürchtete, dass er gleich wieder seine alte Gestalt annehmen würde. „Fürchte dich nicht weiter vor mir!“, sprach er weiter und zeigte dabei ein Lächeln. „Es tut mir leid, wenn du dich vor mir fürchten musstest, es war nie meine Absicht, dir Angst zu machen“, sagte er zu mir und trat einen Schritt zurück.

Annerose trat einen Schritt auf mich zu. „Danke, Laszlo!“ Ohne dich und ihn wären wir verloren gewesen. Du hast seine Arbeit zu Ende gebracht!“, sprach sie und drehte sich kurz zu dem Motorradfahrer um. „Aber du musst nun gehen. Deine Zeit ist noch nicht gekommen. Deine Frau wartet auf dich auf der anderen Seite. Beeil dich, zurück in die Welt der Lebenden zu kommen. Ich werde dich von Zeit zu Zeit besuchen. Mit diesen Worten nahm sie mich in den Arm. „Fürchte dich nicht weiter. Wir alle sind stolz auf dich und dankbar für das, was du für uns getan hast. Nun geh heim zu deinen Lieben.“

Nachdem sie diese Worte gesprochen hatte, lösten sich alle Geister in Luft auf und ich blieb allein in der Kirche zurück.

Ich ging in Richtung des Haupteingangs der Kirche und sah. Dass die Dunkelheit draußen verschwunden war. Je näher ich dem Eingang kam, desto heller wurde das Licht.

Nachdem ich durch die Pforte schritt, erwachte ich in einem Krankenhausbett. Ich war zurück in meinem Körper.Als ich die Augen. öffnete sah ich drei Ärzte. Sie standen um mein Bett, ihre Gesichter waren ernst, aber auch verwirrt.

Die Welt um mich herum war wieder normal. Ich schaute zuerst auf meine Brust herab und dann wieder auf die drei Ärzte. Das Messer und die Wunde waren verschwunden.

Die Ärzte begannen zu sprechen. Herr Molnar, können Sie mich verstehen? Hören Sie was ich sage?“ Ich nickte.

Der Älteste Arzt, ein Mann mit grauem Haar und einer Brille, die schief auf seiner Nase saß, sprach weiter. Er redete vorsichtig, als ob er fürchtete, ich könnte jeden Moment wieder in eine Art Trance verfallen.

Herr Molnar.“ Sie hatten einen schweren Nervenzusammenbruch. Ihre Frau hat Sie gefunden. Sie ist früher von ihrer Reise zurückgekehrt.“

Ich blinzelte kurz und versuchte, die Worte zu verarbeiten. „Meine Frau? Sie sollte doch noch einige Tage bei Ihrer Mutter sein. Ist Sie etwa da?

Ihre Frau hatte den Notruf gewählt“, fügte eine die Ärztin die hinzu kam hinzu, ihre Stimme war dabei sanft. „Sie war besorgt, als Sie nicht auf ihre Anrufe reagiert haben. Als sie nach Hause kam, fand sie, Sie … in einem nicht normalen Zustand.“

Was für ein Zustand?“, fragte ich, obwohl ich nicht sicher war, ob ich die Antwort hören wollte.

Die Ärzte tauschten Blicke aus. „Sie waren bewusstlos“, sagte der grauhaarige Arzt schließlich. „Und Sie hatten …“ Nun, wie soll ich es sagen? „Wahnvorstellungen“. Als sie eingeliefert wurden, waren sie wieder bei Bewusstsein, reagierten aber auf nichts. Sie sprachen von Dingen, die nicht da waren. Von Schatten und Geistern. „Von einem Buch.“

Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenzog.

Die Ärzte dachten in diesem Moment bestimmt, dass ich verrückt geworden war.

Wir werden Sie noch eine Weile im Krankenhaus behalten“, sagte die Ärztin. „Nur zur Beobachtung. Wir müssen sicherstellen, dass Sie körperlich und geistig stabil sind.“

Ich nickte erneut, obwohl ich wusste, dass die Ärzte nicht verstanden hätten was wirklich geschehen war… Sie konnten nicht sehen, was ich sah und gesehen hatte. Sie konnten nicht hören, was ich hörte und gehört hatte. Von daher war es besser nicht weiter darauf einzugehen.

Die Ärzte verließen nach einer Körperlichen Untersuchung, das Zimmer. Meine Frau kam herein. Sie stand in der Tür, ihr Gesicht war blass, ihre Augen rot vor Tränen.

Laszlo“, flüsterte sie. „Was ist mit dir passiert?“

Ich wollte es ihr sagen. Ich wollte ihr alles erklären. Aber wie konnte ich? Wie konnte ich ihr sagen, dass ich die Toten sah? Dass ich mit ihnen sprach? Dass Sie immer um uns herum sind. Egal ob bei Tag oder Nacht. Sie würde es mir eh nicht glauben. „Es ist nichts“, sagte ich stattdessen. „Es wird alles wieder gut werden!“

Doch tief im Inneren wusste ich es, dass die Geister noch da waren.

Ich sah sie zwar nur noch selten, ebenso wie ich die andere Seite nur noch selten sah. Doch es gab Anzeichen, dass ich Besuch von Ihnen hatte. Sie warten, irgendwo da draußen. Sie warten auf mich. Das Buch und ich hatten zwar die Ordnung wiederhergestellt. Aber eine Frage bleibt offen!

Für wie lange?“

Ende

 

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