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Kohärenz

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Von Angst übermannt lag ich im Bett, zuckte bei jedem Knarren zusammen, bei jedem Laut, den das alte Landhaus von sich gab. Nachts hatte es schon immer solche Geräusche gemacht: das Ächzen der Balken, das Klopfen der Fensterläden, das Heulen des Windes im Kamin.

Früher hatte ich mich nie wirklich vor diesen Geräuschen gefürchtet. Aber, na ja … früher war ich auch nicht allein.

Vor fünf Jahren zogen mein Mann und ich in dieses Dorf. Wir waren frisch verheiratet, und das Haus schien wie gemacht für uns. Zugegeben, es war etwas in die Jahre gekommen, aber Paul konnte es sich leisten und im Ort war gerade die Stelle des Postmeisters frei geworden, der unser örtliches Postamt leiten sollte. Er kaufte das Haus, trat die Arbeit an und wir waren glücklich. So unendlich glücklich. Der Wind hätte draußen toben können wie ein wildgewordener Dämon, das ganze Haus hätte beben können, solange Paul bei mir war, fürchtete ich nichts.

Doch das war einmal.
Das war vor dem Krieg.
Vor der Einberufung.
Bevor unsere Männer fortgeschickt wurden, um in diesen gottverlassenen Gräben in Frankreich zu kämpfen, zu leiden und zu sterben.

Und so lag ich nun allein, in einer kalten, stürmischen Nacht. Ich fürchtete mich vor den Dingen, die in diesem alten Haus womöglich umhergingen, ungreifbar und unheimlich. Doch noch mehr fürchtete ich mich vor den allzu realen Gefahren, denen mein Mann jenseits des Ärmelkanals ausgeliefert war.

Kohärenz ist wirklich ein merkwürdiges Konzept.

Manche Dinge wirken in einem bestimmten Zusammenhang vollkommen harmlos, geradezu belanglos. Doch im richtigen, oder besser gesagt: falschen Rahmen können dieselben Dinge zutiefst beängstigend sein. Ein Geräusch, das am Tag keine Beachtung fände, ließ mich in dieser Nacht das Blut in den Adern gefrieren.

Jemand hatte soeben die Haustür aufgeschlossen. Schritte auf den Dielen. Jemand kam direkt auf die Treppe zu.

Ich spürte meine Füße nicht mehr. Meine Hände prickelten, mein Mund war trocken wie Kreide. Schwere Stiefel stampften über den Boden, immer näher. Mein Magen krampfte sich zusammen, als wolle er all diese lähmende Angst aus mir herauswürgen. Ich konnte kaum noch denken, da polterten die Schritte auch schon die Treppe hinauf. Dann bewegte sich die Klinke meiner Schlafzimmertür.

Ich war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren, als ein Gesicht in der Tür erschien.

Und in einem einzigen Moment veränderte sich alles.

Ich schrie auf, weinte und warf mich in seine Arme.

„Paul! Du bist zu Hause!“

Wir saßen beide weinend auf dem Bett, während er rang, die richtigen Worte zu finden, um seine Rückkehr zu elaborieren. Er berichtete von dem Artilleriebeschuss, unter dem sie gestanden hatten, von seiner Zeit im Lazarett, zusammen mit Reg, unserem Nachbarn und dem Ehemann meiner besten Freundin Meg. Paul erzählte von den Splittern, die sich in seinen Armen und seinem Rücken festgesetzt hatten, von seiner Entlassung aus dem Dienst und davon, dass auch Reg bald heimkehren dürfte. Kurz darauf legte er sich erschöpft ins Bett, ohne auch nur einen Bissen gegessen zu haben. Ich vermutete, es war einfach die Erschöpfung.

Ich schlief in dieser Nacht ruhig und tief.

Am nächsten Morgen war Paul bereits wach und angezogen, als ich die Augen öffnete. Er sagte, er habe keine Zeit fürs Frühstück, er müsse zurück ins Postamt, seine alte Arbeit wieder aufnehmen. Ich fand das ungewöhnlich.
Aber ich sagte kein Wort. Es machte mich einfach glücklich, dass er wieder bei mir war, und ich überlegte, ob er vielleicht nur versuchte, sich wieder in den Alltag einzuleben.

Es dauerte nicht mehr als zwei Stunden, bis er mit einem großen Sack voller Briefe über der Schulter wiederkehrte, den er direkt auf den Küchentisch legte. Er setzte sich hin und begann, die Post zu sortieren, bestimmt eine Stunde lang. Ich bemerkte dabei, dass er ungefähr zwei Dutzend Briefe in den kleinen Eisenabfalleimer neben dem Ofen legte.

Als er meine Neugier bemerkte, erklärte Paul knapp, es handle sich um Abfall. Ich solle die Briefe verbrennen. Dann, mit einer Schärfe in der Stimme, wie ich sie noch nie von ihm gehört hatte, befahl er mir, keinen einzigen zu öffnen oder zu lesen. Sie seien zu vernichten. Mehr nicht.

Nachdem er seine Anweisungen unmissverständlich klargemacht hatte, ging er auf seine Runde. In dem Moment, in dem er außer Sicht war, griff ich nach den Briefen aus dem Eisenkübel und tat, was er verlangt hatte: Ich warf sie einen nach dem anderen in den Ofen. Doch nach dem fünften Brief begann mir etwas aufzufallen. Alle waren an Frauen adressiert. Frauen aus unserem Dorf oder aus den umliegenden Ortschaften. Und alle trugen das Siegel der Armee.

Zunächst war ich nur verwirrt. Doch diese Verwirrung schlug in blankes Entsetzen um, als ich den achten Brief in den Händen hielt.

Er war an mich adressiert.

Zitternd, mit jeder Sekunde mehr die Kontrolle verlierend, öffnete ich den Umschlag und begann zu lesen. Es war ein offizielles Schreiben. Ein Beileidsbrief. Man teilte mir mit, dass Paul, gemeinsam mit seiner Einheit, im Einsatz gefallen sei.

In meiner Panik warf ich den Brief ins Feuer und sah zu, wie er zu Asche wurde.

Nach einigen Augenblicken sinnlosen, haltlosen Weinens nahm ich mir die übrigen Briefe vor. Der letzte war an meine Nachbarin Meg adressiert.

Paul kam an diesem Abend nach Hause. Zum zweiten Mal in Folge rührte er kein Essen an. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich ihn seit seiner Rückkehr weder beim Essen noch beim Trinken beobachtet hatte. Auch beim Schlafen nicht.

Kurz darauf riss Paul mich aus meinen Gedanken. Kühl fragte er, ob ich die Briefe wie verlangt zerstört hätte. Ich bejahte dies durch ein Nicken.
Es war fast die Wahrheit. Ich hatte alle verbrannt, bis auf einen. Den an Meg.

In jener Nacht lag ich wach im Bett, obwohl meine Augen geschlossen waren. Ich spürte Pauls Blick auf mir. Er starrte mich an, stundenlang. Als er irgendwann nach Mitternacht aufstand, nahm ich an, er sei sicher gewesen, dass ich eingeschlafen war.

Ich lauschte angestrengt. Unten hörte ich ihn sprechen. Laut. In einer fremden, unheimlichen Stimme. Es war Paul, und doch nicht. Und es war keine Sprache, die ich kannte. Kein Englisch. Nichts Menschliches.

Am nächsten Morgen war alles wie zuvor. Paul war angezogen, verweigerte das Frühstück und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Doch an diesem Tag hatte ich einen Plan. Wenn es mir gelänge, zu Meg zu gelangen und ihr den Brief zu zeigen, könnten wir zusammen eine Lösung für diese schreckliche Situation finden.

Mit zitternden Händen klopfte ich fest an Megs Tür, kurz davor, erneut die Fassung zu verlieren.

Sie öffnete, strahlend über das ganze Gesicht. Bevor ich zusammenbrechen, ihr den Brief zeigen oder auch nur ein Wort erklären konnte, sagte sie fünf kleine Worte:

„Reg ist letzte Nacht heimgekommen!“

Sie vernichtete mit diesen fünf Worten sämtliche Hoffnung, die mir noch geblieben war.

Mit zusammengeknotetem Magen fragte ich, wo Reg sei. Meg erklärte mir, er sei gemeinsam mit Paul zum zentralen Postverteilungsamt gefahren, um dort eine neue, gute Stelle anzutreten.

Das ist nun drei Monate her.

Seitdem sind Dutzende Männer „nach Hause gekommen“. Ohne Ausnahme. Und dank meines Pauls haben sie alle Arbeit bei der Post oder anderen Kommunikationsdiensten erhalten.

Wenn ich heute nachts im Bett liege, zittere ich noch immer. Das Knacken und Ächzen des Hauses schreckt mich längst nicht mehr auf.

Aber wenn mein Mann während seiner Postrunde an unserem Haus vorbeigeht, gefriert mir das Blut in den Adern.

Kohärenz.
Ein wirklich seltsames Konzept.

Original: Emma Froh

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