Persecuted – Kapitel 3
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Es war neun Uhr am Morgen des nächsten Tages, als Keith aus dem alten, etwas baufällig anmutenden Gebäude auf die Straße trat, tief durchatmete und dabei gierig die um diese Uhrzeit noch angenehm kühle Luft in seine Lunge sog.
Sein Rücken schmerzte von der harten Matratze auf der Holzpritsche, auf der er die Nacht verbracht hatte, er fühlte sich etwa vierzig Jahre älter als er tatsächlich war (wie 64 also) und war froh, nicht noch länger in der kleinen Zelle des Polizeireviers bleiben zu müssen.
Die Beamten, die, von irgendeinem Nachbarn gerufen, letzte Nacht vor seiner Tür gestanden hatten, waren nicht sonderlich freundlich zu ihm gewesen, mit einem von ihnen hatte er bereits öfters zu tun gehabt; sie hatten ihn kaum ausreden lassen, obwohl sie es selbst gewesen waren, die ihn gefragt hatten, was geschehen war.
Der Nachbar, der sie alarmiert hatte – mit hoher Wahrscheinlichkeit war es die alte Mrs. Milton gewesen, die unter ihnen wohnte und unfassbar neugierig war, hatte ihnen von „Besorgniserregenden Schreien, die nach einem Streit oder einer Prügelei klingen“ berichtet, und Kelsos noch immer vollkommen regloser und blutender Körper am Boden hatte für sie nicht wirklich einen Zweifel an dem aufkommen lassen, was offensichtlich geschehen war.
Jetzt lag Kelso im Krankenhaus, mit einem mittelschweren Schädel-Hirn Trauma, wie ihm einer der Polizisten vor knapp zwei Stunden mitgeteilt hatte, und wäre Keiths Vater nicht zufällig sehr gut mit dem Polizeichef befreundet, dann wäre noch weitaus mehr als eine einzige Nacht auf dem Polizeirevier auf ihn zugekommen.
„Was für eine Scheiße!“, fluchte er vor sich hin, während er den Bürgersteig entlanglief, in die Richtung, in der seine Wohnung lag, in der er nun alleine wohnen würde, zumindest, bis die Ärzte seinen Mitbewohner entlassen würden. Und dabei war alleine zu sein momentan das Letzte, was er wollte.
Auch in der Zelle war er allein gewesen, stundenlang, und das war die Hölle gewesen. Denn die Stimme, die er vernommen hatte, kurz bevor die Bullen ihn abgeholt hatten, war nicht verstummt. Nein, sie hatte ihn begleitet, die ganze Zeit über; hatte auf ihn eingeredet als er versucht hatte, die Fragen der Cops zu beantworten, hatte ihm später vom Schlafen abgehalten, und noch immer wusste er einfach nicht, zu wem sie gehörte. Er hatte mehrmals gefragt, doch nie eine Antwort erhalten, und dann waren weitere Stimmen hinzugekommen, darunter Lindseys, und als bereits das erste Licht der Morgendämmerung durch das kleine vergitterte Fenster gefallen war, hatte er Joyce vor seiner Zellentür stehen sehen, die Zombie-Joyce aus dem Café, und sie hatte ihn mit diesen furchtbaren toten Augen angestarrt und die Hände nach ihm ausgestreckt…
Das war der Moment in dem er einfach die Augen zugekniffen und sich unter seiner Decke verkrochen hatte wie ein Kleinkind, das sich vor dem Boogie-Man fürchtete; und tatsächlich waren die Stimmen mit der Zeit leiser geworden, einige verstummten, und so gelang es ihm sogar, noch ein, zwei Stunden zu schlafen, trotz der noch immer vorhandenen Angst, und als er wieder erwachte, war keine von ihnen mehr da.
Da war überhaupt nichts mehr gewesen.
Und für einen Augenblick, einen wunderbaren kurzen Augenblick lang, glaubte er, dass der ganze gestrige Tag bloß ein furchtbarer ungewöhnlich realistischer Alptraum gewesen war.
Doch dann registrierte er, wo er war, und seine Erleichterung verpuffte wie ein Wassertropfen auf einem glühenden Felsen.
Nichts von alldem war ein Traum gewesen.
Ja, im Moment waren die Geister verschwunden, doch er war fest davon überzeugt, dass sie zurückkommen würden; zurückkommen, um ihn in den Wahnsinn zu treiben.
„Aber das werdet ihr nicht schaffen!“, flüsterte er, biss sich auf die Unterlippe, den Blick fest auf den Boden gehaftet und somit geradezu blind geradeaus gehend. Doch das machte nichts. Er kannte den Weg.
„Ich werde schon dafür sorgen, dass ihr mich in Ruhe lasst! Selbst wenn ich dafür irgendwelche okkultiven Bücher lesen muss! Ich weiß nicht was ihr wollt, aber ihr werdet mich in Ruhe lassen!“
Das war eine Lüge. Im Grunde konnte er sich nur allzu gut denken, weshalb diese Geister ihn heimsuchten, und weswegen sie solch einen Hass auf ihn hegten; ja, er wusste es, doch verdrängte er dieses Wissen in seinen Hinterkopf, sperrte es in Kisten, die er hinter riesigen, undurchdringlichen Vorhängen verbarg.
Er wusste es. Aber er wollte es gar nicht wissen.
Fakt war, dass er nicht verrückt war, und es auch nicht werden würde, ganz gleich was sie auch taten, er würde daran denken, dass es wirklich da war und keine Einbildung, auch, wenn nur er diese Dinge sehen konnte (weshalb er auch der Polizei kein Wort davon erzählt hatte), es waren bösartige Geister, etwas, das er noch vor 24 Stunden für vollkommenden Quatsch gehalten hätten.
Doch in eben diesen 24 Stunden hatte sein Leben sich verändert, und nun wusste er, dass solche Dinge existierten, denn das mussten sie, denn er war nicht wahnsinnig.
Ein Auto fuhr in rasender Geschwindigkeit an ihm vorbei, er hob den Kopf, sah ihm nach und bemerkte im selben Augenblick, dass er kaum mehr 10 Meter vom Krankenhaus entfernt stand, und einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, hinein zu gehen und Kelso zu besuchen, nicht um ihm gute Besserung zu wünschen, oder sich gar zu entschuldigen; nein, so etwas wäre ihm im Traum nicht eingefallen. Viel eher wollte er sichergehen, dass er nicht auf die Idee kam irgendjemandem von Keiths…wohl etwas auffälligen Verhalten in der letzten Nacht zu erzählen.
Vielleicht hätte er das auch getan, doch in genau dem Moment, in dem er seinen Fuß auf den Schotterweg setzte, der zum Eingang des großen, weiß gestrichenen Gebäudes führte, öffnete sich die große gläserne Eingangstür eben dieses Gebäudes und heraus trat eine Person, die er niemals erwartet hatte, hier zu treffen.
Zu ihrem Date gestern hatte Rebecca elegante Kleidung getragen und ihre Haare hatten glänzend und ordentlich gekämmt ihr Gesicht eingeramt; sie war einfach wahnsinnig hübsch gewesen, wobei sie das auch in der Uni immer gewesen war – sonst hätte Keith sich wohl kaum mit ihr verabredet.
Doch als sie nun den Weg in Richtung Straße ging, die Hände in den Taschen einer verschlissenen Jeans vergraben, den Blick gesenkt und mit zerzausten Haaren hätte er sie beinah überhaupt nicht erkannt. Sie sah aus wie eine Person, die von einer furchtbaren Nachricht aus dem Schlaf gerissen worden und sofort ins Krankenhaus geeilt war.
Doch so furchtbar sie in diesem Moment auch aussehen mochte, er war dennoch froh, sie zu sehen.
Einfach, weil mit ihr zu reden bedeutete, nicht allein zu sein.
„Rebecca! Hey!“
Sie hob den Kopf, blickte ihn erstaunt an – und dann, für den Bruchteil einer Sekunde, schien ihr überraschter Gesichtsausdruck sich zu verändern. Ein wütendes Funkeln trat in ihre Augen, ihr Mund verzog sich zu einer hasserfüllten Grimasse, und in diesem kurzen Augenblick sah sie nicht aus wie das freundliche, schüchterne Mädchen, mit dem er sich gestern getroffen hatte; nein. Sie erinnerte ihn an Joyce, solch eine Wut lag in ihrem Blick, und auch an die Körperlosen Stimmen die so lange auf ihn eingeschrien hatten bis er kurz davor gewesen war, seinen Kopf gegen die harte Wand zu schlagen, damit sie endlich verstummen würden…
Doch dann lächelte sie.
Es war dieses warme Lächeln, mit dem sie selbst in ihrem schrecklich Zustand irgendwie Schön aussah, und jetzt glich sie nicht mehr Joyce und auch sonst niemandem, jetzt war sie wieder ganz die alte, und Keith war sich fast auf Anhieb sicher, dass das, was er gesehen hatte, ein weiteres Werk seiner übernatürlichen Peiniger gewesen war.
Vielleicht aber auch nur eine Folge seines Schlafmangels.
„Keith! Hey! Was machst du denn hier?“
„Das wollte ich dich auch grad fragen!“ Kurz hatte er befürchtet, dass seine Stimme vielleicht zittern könnte, doch dem war nicht so, sie klang genau so selbstbewusst und fest wie immer.
Rebeccas Lächeln verblasste ein wenig. „Ich hab meine Großmutter besucht. Sie wurde heute Morgen eingeliefert. Ich bin sofort hin, als ich davon gehört hab…“ Sie seufzte.
Keith seinerseits setzte einen mitfühlenden Blick auf – so gut er es eben schaffte, mitfühlend auszusehen; eigentlich wirkte es eher wie eine seltsame Grimasse – und legte Rebecca eine Hand auf die Schulter. „Das tut mir leid.“ Kurz sah sie aus, als wollte sie ihn abschütteln, tat es dann jedoch doch nicht.
„Danke. Zum Glück ist es nichts Ernstes. Sie darf wahrscheinlich Dienstag oder so wieder nach Hause.“
„Das freut mich.“ Eigentlich war Keith vollkommen egal, was mit Rebeccas Oma war, ob sie jetzt schwer krank war oder nicht oder tot oder was auch immer, doch es kam wohl besser, auf einfühlsam zu tun. „Musst du jetzt gleich wieder nach Hause?“
„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ist eh keiner da.“
„Willst du dann vielleicht mit zu mir kommen?“
Eigentlich wollte er gar nicht nach Hause, doch heute war Sonntag und ihm fiel nicht wirklich ein, was sie sonst hätten tun sollen. Und wenn Rebecca mitkam, wäre er zumindest nicht allein.
Sie dachte kurz nach, dann zuckte sie mit den Schultern. „Klar. Warum nicht?“
Fünf Stunden später konnte Keith kaum noch nachvollziehen, wie verängstigt er noch am heutigen Morgen gewesen war.
Der Tag war vollkommen normal verlaufen; keine Spur von irgendwelchen boshaften Geistern oder Dämonen, einfach normal. Sie wie jeder Tag vor dem gestrigen.
Gut, er war noch nicht in Kelsos Zimmer gewesen um die Wand zu begutachten, doch er glaubte nicht, dass das Blut noch da sein würde, auch wenn er nicht sagen konnte, wie er darauf kam.
Vielleicht war diese Heimsuchung eine einmalige Sache gewesen, und dieser Gedanke beruhigte ihn, anders als die Tatsache, dass er mittlerweile von der Existenz von Geistern ausging als handle es sich dabei um festgelegte mathematische Formeln.
Doch das spielte jetzt keine Rolle mehr, denn sie waren nicht mehr da, einfach verschwunden.
Und als sich Rebecca schließlich verabschiedet hatte, nach dem sie ziemlich lange in der Küche gesessen, Kaffee getrunken und geredet hatten, fühlte er sich kein bisschen ängstlich mehr.
Er war doch schließlich kein kleines Kind mehr.
Er setzte sich vor den Fernseher, sah sich irgendein Baseballspiel an ohne überhaupt zu wissen, wer die beiden Mannschaften waren; eigentlich interessierte ihn dieser Sport nur dann, wenn er selbst auf dem Spielfeld stand, aber er wollte sich ohnehin bloß ein wenig entspannen. Und nicht nachdenken. Denn wer wusste schon, ob da nicht doch noch irgendwo Zweifel waren, tief in seinem Unterbewusstsein, die auf ihn einreden und ihn wieder aufwühlen würden sobald er das zuließ?
Also saß er einfach da, schaute mit mäßigem Interesse zu, wie Spieler Bälle trafen oder verfehlten, bis es schließlich an der Tür klingelte.
Überrascht wandte er den Blick von Bildschirm ab.
Wer konnte das sein?
Sein erster Gedanke war, dass Kelso aus dem Krankenhaus entlassen worden war, doch dann schüttelte er den Kopf; zwar hatte er keine Ahnung von Medizin, aber selbst er hielt es für recht unrealistisch, dass ein mittelschweres Schädel-Hirn Trauma so schnell abklingen konnte.
Vielleicht Jack oder Luke, denen langweilig war…nein, seine Freunde würden höchstens anrufen, um sich zum Saufen oder so zu verabreden, aber bestimmt nicht extra zu seiner Wohnung laufen.
Womöglich Rebecca? Hatte sie etwas vergessen? Oder…
Und dann erklang die Stimme, die all seine Gedanken auf einen Schlag verstummen ließ. Ähnlich energisch wie die des Polizisten letzte Nacht, aber es war die Stimme einer Frau.
Einer Frau, die er nur zu gut kannte.
„Keith, Liebling! Mach die Tür auf! Ich muss mit dir reden!“
Liebling. So hatte sie ihn seit seinem fünften Lebensjahr nicht mehr genannt. Seit fast 20 Jahren.
Sie.
Seine Mutter.
An sich vielleicht nichts Ungewöhnliches, dass sie vor der Haustür ihres Sohnes stand, nachdem der vor wenigen Stunden noch auf dem Polizeirevier gesessen hatte.
Nein, an sich war diese Reaktion einer Mutter wohl nur allzu verständlich.
Wäre da nicht eine einzige Sache.
Keiths Mutter war seit über 15 Jahren tot.
Der einzige Grund dafür, dass Keith nicht wieder vollkommen ausgerastet war, war der, dass er geschlafen hatte.
8 Stunden lang, wenn auch von Alpträumen geplagt, und als er schließlich mitten in der Nacht aufwachte und keine weiteren Geisterstimmen vernehmen konnte, gelang es ihm beinah, sich einzureden, dass er auch das Auftauchen seiner Mutter bloß ein Traum gewesen war.
Beinahe.
Natürlich war er nicht einfach so eingeschlafen. Nachdem er eine gefühlte Ewigkeit einfach dagestanden und den Aufforderungen seiner Mutter, die Tür zu öffnen, gelauscht hatte, war er schließlich in Kelsos Zimmer gehetzt, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her (an der Wand waren wirklich nicht mehr die geringsten Spuren von Blut zu sehen, doch wäre ihm das in diesem Moment ohnehin komplett egal gewesen), hatte die Schublade des Nachtschrankes aufgerissen und dort wirklich eine beinah volle Packung Schlaftabletten gefunden.
Jetzt war es fast elf Uhr, und er war immer noch allein in der Wohnung und trotz der Tatsache, dass nichts Ungewöhnliches zu sehen oder zu hören war pochte sein Herz heftig in seiner Brust.
Ja, er hatte damit gerechnet, dass sie wiederkommen würden. Doch hatte er dabei an Joyce oder Lindsey gedacht.
Nicht an seine Mutter.
Das machte doch keinen Sinn…oder?
Nein! Noch am heutigen Morgen hatte er sich eingebildet zu wissen, warum ihm das passierte, doch das änderte alles. Seine Mutter…
Er würde ohnehin nicht mehr schlafen können. Er war nun hellwach.
Also setzte er sich an seinen Laptop und begann, zu recherchieren.
Über Poltergeister und Heimsuchungen, Dämonen die Menschen befielen…
Das meiste davon war vollkommener Schwachsinn. Geschichten wie sie sich irgendein geisteskranker Horrorautor ausgedacht hatte.
Exorzismus, Geisterjäger…
Nach einiger Zeit schweiften seine Gedanken ab. Zu Filmen, die er gesehen hatte – Poltergeistern, Paranormal Activity und, Paradoxerweise, einem uralten Zeichentrickfilm, den er irgendwann als Kind einmal gesehen hatte.
In dem Mickey Maus mit irgendeinem Zauber Besen zum Leben erweckt hatte, diesen Zauber jedoch nicht wieder rückgängig machen konnte.
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.
Nur hatte Keith die Geister nicht gerufen. Zumindest nicht wissentlich.
Trotzdem verursachten diese Worte ihm Gänsehaut.
Die ich rief, die Geister…
Schnell schüttelte er diese Gedanken ab. Verdrängte sie in sein Unterbewusstsein.
„Ich habe niemanden gerufen!“ Doch irgendwie konnte er seinen eigenen Worten nicht wirklich Glauben schenken.
Ein anderer Film fiel ihm ein.
„ES“.
Indem die Protagonisten Dinge gesehen hatten – Blut und dergleichen – die ihre Eltern nicht sahen, und auch sonst niemand. Auch dort war es eine Art Spuk gewesen. Kein Wahnsinn.
„Was auch immer ihr wollt“, zischte er um etwa zwei Uhr in die Dunkelheit seines Zimmers hinein, ohne wirklich mit einer Antwort zu rechnen „vergesst es! Verschwindet einfach!“
Gern hätte er noch etwas hinzugefügt wie „ich hab keine Angst vor euch!“ Doch diese Worte brachte er nicht über die Lippen. Denn das stimmte nicht. Er hatte Angst. Und er glaubte, dass sie das auch ganz genau wussten. Dass sie womöglich alles wussten, seine Gedanken kannten, genau wussten, was er fühlte…
Und dass sie ihn in den Wahnsinn treiben wollten. Was sollten sie sonst wollen? Um ihn umzubringen, hätten sie genügend Gelegenheiten gehabt.
„Vergesst es!“, wiederholte er, während er seinen Laptop zuklappte und auf den Tisch stellte. „Vergesst es! Das werdet ihr nicht schaffen!“
Doch im Grunde war er sich nicht im Geringsten im Klaren darüber, ob das wirklich der Wahrheit entsprach.
Obwohl es ihm gelungen war, noch für ein paar Stunden einigermaßen ruhig zu schlafen, und das selbst ohne Tabletten, glaubte Keith nicht, dass diese Ruhe anhalten würde. Dass die Geister verschwunden sein würden, für immer.
Und dem war auch nicht so.
Ist waren es bloß wieder Stimmen, die er hörte, von Joyce und Lindsey und sonst wem, aber zumindest nicht von seiner Mutter. Dann, in Chemie, setzte sich ein Junge in die Reihe vor ihm.
Sein Kopf saß seltsam krumm aus seinem Hals und sein Gesicht war mit verkrustetem Blut verklebt – sein Name war Paul, wie Keith sich erinnerte, und er war vor anderthalb Jahren beim Klettern mit Freunden abgestürzt und hatte sich das Genick gebrochen.
Keith war ebenfalls dabei gewesen. Und den Anblick der Leiche hatte er selbst jetzt noch vor Augen; deutlich wie eine Fotografie.
Die ganze Stunde saß er angespannt da, versuchte, Pauls bohrende Blicke zu ignorieren, und zuckte jedes Mal zusammen, wenn irgendeiner der anderen Schüler auch nur kicherte.
In der Mittagspause sah er dann Joyce. Sie stand neben ihm, als er an der Essensausgabe wartete, starrte ihn einfach bloß an, mit einem breiten Grinsen das ihr verfaulte Zahnfleisch enthüllte und diesen toten Augen…am liebsten wäre er einfach losgesagt. Doch das tat er nicht. Setzte sich einfach an den Tisch zu seinen Freunden und begann, zu essen. Als gäbe es keine toten Mitschüler, die ihn beobachteten, ihn verfolgten, stalkten…
Versuchte einfach, sich nichts anmerken zu lassen. Vielleicht würden sie dann irgendwann verschwinden…
Nach Vorlesungssende, als er sich gerade auf dem Nachhauseweg befand, klingelte sein Handy – Lindseys Nummer.
Dieses Mal ging er nicht ran.
Dieses Mal rannte er los.
Rannte, bis seine Lunge brannte als würde sie in Flammen stehen, blieb stehen, Keuchte, rang kurz nach Atem, rannte weiter.
Hit erst an, als er vor seiner Wohnungstür stand und mit zitternden Händen nach dem Schlüssel kramen musste.
Alles, woran er denken konnte, waren die Schlaftabletten. Schlaftabletten…Schlaf…und Alpträume.
Doch besser, Geister in Alpträumen, als in der Realität.
Wie lange das so weitergehen sollte, wusste er nicht, doch er wollte auch nicht darüber nachdenken. Zumindest jetzt nicht.
Und kurz kam ihm der Gedanke, ob es nicht vielleicht besser wäre, verrückt zu sein. Wenn es gar keine Geister gäbe. Vor Wahnvorstellungen musste man sich zumindest nicht fürchten.
Denn sie existierten nicht wirklich.
Doch diesen Gedanken verwarf er schnell wieder.
Er war nicht verrückt! Niemals! Verrückte Leute saßen in Zwangsjacken in Gummizellen und brabbelten unverständliches Zeug vor sich hin, sie waren im Grunde nichts anderes als Demenzkranke im Altenheim.
Schwachsinnig und wertlos.
Und so jemand war er nicht!
Mit einem Klicken sprang die Haustür auf. Noch immer zitternd stürzte er in die Wohnung, schlug die Tür hinter sich zu, lehnte sich dagegen und rang nach Atem.
irgendjemand war mit Sicherheit hier; Joyce, Paul, seine Mutter…aber gleich würde er schlafen und dann konnte ihm das egal sein. Wenn er aufwachte würden sie dann vielleicht wieder verschwunden sein, zumindest für ein paar Stunden, und dann könnte er nachdenken, was er tun sollte…Teufel, vielleicht würde er wirklich eines dieser Rituale zum „Reinigen“ ausprobieren, um die Geister endgültig auszutreiben.
„Gott, hör dir doch mal selbst zu!“, knurrte er, während er in Richtung seines Zimmers ging, „du hörst dich wirklich an wie ein Verrückter!“
Vielleicht würde ihm auch etwas Besseres einfallen.
Wieder wünschte er sich einen Moment lang, er hätte Kelso nicht verprügelt…zumindest nicht so heftig. Irgendetwas sagte ihm, dass er mit ihm hätte reden können. Obwohl…vielleicht hätte ihn ein ehemaliger Psychologie Student erst recht für verrückt erklärt. Vielleicht hätte er ihm geraten, sich Hilfe zu suchen. Von einem Psychiater.
Bei diesem Gedanken, schoss wieder Wut in ihm auf wie giftige Galle, wie von selbst ballten seine Hände sich zu Fäusten, und wäre Kelso in diesem Moment wirklich hier gewesen, dann hätte Keith ihn wahrscheinlich umgebracht.
„Ich bin nicht irre!“, brüllte er, und es war ihm vollkommen gleichgültig ob Mrs. Milton ihn hören und wieder die Polizei rufen würde, ob es sich anhörte als würde er gerade Amoklaufen oder was auch immer.
Einen Augenblick lang war seine Angst und Verwirrung zu purer, kochender Wut geworden.
„Schrei nicht so, Keith!“
…Nein. Nicht schon wieder…
„Es gehört sich nicht, so herumzubrüllen. Das weißt du doch!“
„Hau ab!“ Keiths Stimme war zu einem schrillen Kreischen geworden, und er schlug wild um sich als würde ein Schwarm Moskitos ihn attackieren. „Lass mich zufrieden! Lasst mich alle zufrieden!“
Die Tabletten. Da, auf dem Nachttisch. Gierig griff er danach.
„Keith! Du kannst doch nicht einfach irgendwelche Tabletten nehmen!“
„Halt die Fresse, Mom!“
Das Wasserglas. Die Flasche daneben öffnen, einschenken.
„Wie redest du denn mit deiner Mutter? Entschuldige dich sofort!“
„Verpiss dich, verdammt!“
Die Tabletten ins Wasser. Zusehend, wie sie sich sprudelnd auflösen.
„Kein Fernsehen heute Abend für dich! Und jetzt entschuldige dich!“
„Ich sagte, du sollst dich verpissen!“
Runter mit dem Zeug.
Aufs Bett legen. Augen schließen. Warten.
„Sieh mich an, wenn Ich mit dir rede!“
Das benommene Gefühl. Wundervoll. Befreiend.
„Keith!“
Das Gefühl, zu fallen. Und dann Schwärze.