
Einer wie alle
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
„Ich bin nur einer wie alle,
Ich bin ein Kind meiner Zeit,
Ein Körnchen Sand in der Wüste,
Ein Stück Belanglosigkeit
Ich bin nur einer wie alle,
Ich fall hier nicht ins Gewicht
Denn es spielt gar keine Rolle,
Nein überhaupt keine Rolle,
Ob es mich gibt oder nicht,
Ob es mich gibt oder nicht!“
Maerzfeld – Einer wie alle
—
Diese Zeilen schwirren mir in Dauerschleife durch den Kopf, während ich das hier schreibe und schon Minuten, Stunden, vielleicht auch Tage zuvor. Ich habe keinen blassen Schimmer, wo ich sie mal gehört habe, aber scheinbar war mein, mich derzeit quälendes Unterbewusstsein der Meinung, ihnen genug Bedeutung beimessen zu müssen, um sie abzuspeichern und zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt auszuspucken.
Wieder und wieder und wieder.
Wohl deswegen, aber auch aus anderen Gründen, habe ich mir das Nötige zusammengeklaubt, um dem meine eigene Niederschrift entgegenzustellen. Obgleich ich wenig Hoffnung hege, damit etwas zu bewirken. Weder mein Verstand noch die Gitterstäbe meines Gefängnisses, werden sich davon beeindrucken lassen.
Dann wiederum, was bleibt mir sonst noch? Statt zu schreiben, könnte ich natürlich auch einfach hier sitzen und auf das unvermeidliche Ende warten. Dass die lauernden Schatten, aus ihren Ecken gekrochen kommen, um ihre nadelfeinen Zähne in mein Fleisch zu rammen oder aber, die krallenbesetzten Finger der Eiseskälte, sich in mein Innerstes stiehlt, um mir den letzten Atemzug abzunehmen, während sie meine Lungenflügel langsam und qualvoll punktiert.
Nein, wenn dass meine einzigen Optionen sind, es bis zum bitten Ende bleiben, dann entscheide ich mich lieber dazu, meinen müden Geist mit zitternder Hand zu beschäftigen und ein letztes Mal, mein Wort in die Welt hinauszuposaunen.
Und ihr werdet euch, sobald ihr es findet, daran ergötzen, nicht wahr? Ihr werdet euch laben, es trinken, darin baden, es in kleine Geschenkschächtelchen verpacken und als pures Gold verkaufen. Millionen werden in Zahlen zusammen mit heuchlerischen Tränen fließen. Bis sie versiegen und ein neuer Stern am Himmel eurer wertvollen Aufmerksamkeit verlangt.
Ich bin wohl selbst schuld, dass es so weit hatte kommen können. Das weiß ich nun. Nun, da der Tot mit knöchrigen Gelenken an meine Türe klopft. Ein wenig spät, womit ich kaum allein sein dürfte. Die strahlende Erkenntnis, alles in meinem Leben verbockt zu haben, macht mich sicher nicht einzigartig, eher gewöhnlich. Ich finde Trost darin, wenn auch nicht viel mehr.
Denn es ist doch so: Ich kann es euch, die ihr selbst meinen Leichnam noch zerfleddern werdet, nicht übel nehmen. Bis vor Kurzem noch, hätte ich selbst nicht anders gehandelt, hätte, wäre das Thema jemals aufgekommen, sogar verlangt, dass es so geschehen möge, auf dass mein Name Unsterblichkeit erlange. Dabei hätte mir doch immer schon klar sein müssen, dass wir alle am Ende unserer Ziellinie – Unsterblichkeit hin oder her –, doch nur eines sind: Futter für die Würmer.
Ihr, die ihr meinen Namen kennt, ihn preist und als Kelch hoch über euren Köpfen haltet, werdet dies nicht hören wollen, vor allem nicht glauben können, dass derartige Worte von eurem Idol, eurem Helden, eurem Gott stammen. Ganz recht, ihr betet mich an, als wäre ich mehr als ihr, als wäre ich die Antwort auf alle Fragen und gleichzeitig die Fragen selbst, denn ich allein bestimme, was es wert ist, überhaupt erkundet zu werden!
Die Wahrheit jedoch, tja, die Wahrheit ist simpler. Und bei Weitem schmerzhafter.
Gut möglich, dass ihr die sie, den lächerlichen Kern des Ganzen, nicht ertragt, dass ihr sie lieber still und heimlich beerdigt und euch stattdessen, meiner glorreichen Vergangenheit, zusammen mit meiner Vergänglichkeit rühmt. Die Lüge soll auf ewig als güldenes Götzenbild bestehen bleiben, damit ihr euch selbst maskieren, ein klein wenig besser fühlen könnt.
So wie ich es einst getan habe.
Die letzten – Stunden? Tage? – haben mir die Augen geöffnet, haben sich wie Dolche zwischen meine geschlossenen Lider geschoben und sind mit ihren Klingenspitzen ganz sacht meine Augäpfel hinaufgefahren. Es tat weh, zu sehen. Tut es immer noch. Höllisch. So sehr, dass ich mir nicht sicher bin, ob der seelisch, brennende Schmerz stärker in meinem Körper pulsiert als die tausend Nadeln, die jeder Windzug mit sich bringt; die sich in meine Haut bohren, mit kreisenden Bewegungen tiefer und tiefer hineindringen, klaffende Wunden hinterlassen und meinem Leib jede Wärme entziehen.
Jedoch, ich sollte langsam zum Ursprung dieser Niederschrift gelangen, nicht wahr? Erklären, wie ich in diese missliche, wenn auch auf brutal endgültige Weise befreiende, Lage geraten bin. Immerhin bleibt mir nicht mehr viel Zeit. Ich höre sie schon wieder. Das Rascheln in den Ecken, das Trippeln ihrer Schritte, das Nagen ihrer Zähne, die sich bereit machen Blut zu kosten… Meine Bastion wird schon sehr bald fallen und ich unter ihr begraben werden. Zugeschüttet, werde ich nicht länger in der Lage sein, mich zu wehren, während ihre zuckenden kleinen Körper, sich durch Löcher und Ritzen quetschen, um zu mir zu gelangen, mich in Stücke zu reißen. Winzige, appetitliche Stückchen, wodurch mein Tod sich ewig in die Länge ziehen wird, während niemand meine qualvollen Schreie vernimmt.
Wahrlich, ich sollte mich beeilen…
Ich bin ein Typ wie du. Ein Typ wie dein Nachbar mit der kläffenden kleinen Töle, die dir mal ans Bein gepinkelt hat, dein/e Freund/in, der/die dir schon seit Wochen in den Ohren hängt, dass ihr mal wieder was unternehmen müsstet, der Kassierer am Späti um die Ecke, der dich immer so komisch anstarrt, während er eigentlich nur high von Drogen Träumen nachhängt, die sich niemals verwirklichen werden.
Ich bin ein Typ wie all diese Menschen; und doch bin ich anders. Ich bin mehr, besser, etwas Besonderes, ein einzigartiges Individuum, dass es in dieser Form noch nie gegeben hat und nie wieder geben wird, eine gleißende Supernova zwischen glanzlosen ermatteten Lichtern, deren einziger Zweck darin besteht, von meinem hellen Schein erleuchtet zu werden.
Zumindest dachte ich das lange Zeit und du – der Nachbar, der/die Freund/in, der Kassierer –, denkst es vermutlich heute noch.
Lass dir eins gleich vorweg gesagt sein. Du bist alles, nur das nicht: Einzigartig oder besonders oder mit sonst einer Eigenschaft gesegnet, die dich auch nur im Entferntesten von den Menschen in deiner Umgebung abhebt. Du bist nur das: Einer von vielen, ein Sandkorn in einer endlosen Wüste.
Die Sorgen und Probleme die du hast? Hatten schon Tausende und Abertausende vor dir!
Das Talent, dass dich eines Tages berühmt machen wird? Eine Fähigkeit, die jederzeit, überall auf der Welt, dupliziert werden könnte.
Das viele Geld, die Freunde oder sonst ein Statussymbol mit dem du dich umgibst? Nur ein Zeichen deiner Angst klein und unbedeutend zu sein…
Versteh mich bitte nicht falsch, das bedeutet nicht, dass dein Leben nichts wert wäre, es bedeutet nur, dass es genauso kleinlich und letztlich von geringer Strahlkraft ist, wie das aller Menschen. Auch wenn manche von uns – mich noch bis vor Kurzem eingeschlossen – dies nicht wahrhaben woll(t)en.
Bevor ich also – in meiner Wahrnehmung – ein Typ wie du wurde, war ich eine große Nummer, ein Stern, das Licht und die Finsternis, ein Gott unter Menschen. Verehrt, bejubelt, gefürchtet, angebetet und über alle Maßen geliebt. Der feuchte Traum eines jeden Teenies, der sich vornimmt, eines Tages Rockstar zu werden, in mehr als einer Hinsicht, um die Welt zu fliegen und vor Tausenden von Menschen seine Philosophien in die hintersten Winkel des Universums zu kreischen.
Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte: Ich übertreibe maßlos. Ich war, nein, bin berühmt, dass will ich nicht leugnen, aber meine kaputte Selbsteinschätzung hat mir über die Jahre Flügel verliehen, die eindeutig zu schwer für meine schlussendlich doch nur menschlichen Gebeine sind. Dass ich überhaupt noch aufrecht gehen konnte, ohne unter der Last zusammenzubrechen oder in den Spiegel zu sehen vermochte, ohne dass dieser vor Scheinheiligkeit zerbarst, gleicht einem Wunder.
Vielleicht liegt es daran, dass ich trotz aller Höhenflüge, immer noch eine gewisse Bodenständigkeit pflege – wenn auch nur, um nach außen hin bescheiden wirken zu können. So wohne ich Beispielswiese in keinem schicken Haus mit Garten, irgendwo in der Pampa – Verzeihung, ich meine natürlich dem betuchten Idyll von einem malerischen Vorort –, sondern in einem Mehrfamilienhaus zur Miete, in einer Gegend, in der mich kaum einer kennt, was mir den nötigen Abstand vom Alltagsgeschäft bringt. Obgleich eben dieses Geschäft mein Leben ist und mein Leben der Alltag, weswegen sich der Umstand der gelegentlichen Ruhe durch Distanz, gleich wieder relativiert.
Als Typ wie du, produziere auch ich Müll – oder um es ein bisschen weniger galant zu formulieren: Meine Scheiße riecht weder nach einer Blumenwiese, noch besteht sie aus Gold; obgleich manch einer für den Mist den ich in ein paar runtergeratterten Sätzen verzapfe, bereit ist mehr zu zahlen, als du in einem Monat mit schweißtreibender Arbeit verdienst.
Als Typ wie du, muss auch ich diesen Müll gelegentlich rausbringen, damit er abgeholt werden kann, denn zusätzlich zu meinen „bescheidenen“ Wohnverhältnissen, bin ich tatsächlich auch selbstständig genug, meinen Haushalt allein zu organisieren – den Arsch wische ich mir nebenbei erwähnt, ebenfalls allein ab, nur falls es jemanden brennend interessiert, und ich bin mir sicher, dass dies der Fall ist, was mich in meiner gegenwärtigen Gemütslage ehrlich gesagt, sehr, sehr traurig macht…
Als Typ wie du, beginnt mit diesen beiden simplen Tatsachen, die ganze Misere, die mich in meine jetzige, unausweichliche Lage gebracht hat. Wer sich auch immer die naturgegebenen Gesetzmäßigkeiten unserer Sphäre erdacht hat, hat sich bei dem Gedanken, dass das Herausbringen des Hausmülls einen Gott zu töten vermochte, sicher köstlich amüsiert.
Lasst euch dies eine Lehre sein: Um unsereins zu vernichten, braucht es keine ausgefallen Waffen oder ausgeklügelten Pläne, keine Enthüllungsgeschichten, die unseren Ruf torpedieren oder andauernde Provokationen, die uns dazu verleiten, uns selbst das Hirn raus zu blasen; nicht einmal den verzweifelten, gärenden Hass der Unterschicht, welche sich nach dem Licht sehnt und, wenn auch nur kurz, die Hand danach ausstreckt, die sich um unseren Hals legt, uns die Luft abdrückt und damit zu zweifelhaften, kurzweiligen Ruhm gelangt.
Nein, alles was es braucht, ist eine Reihe unglücklicher Ereignisse.
Diese Dominokette muss nicht einmal lang sein, nur präzise konstruiert. Und wenn die Falle dann zuschnappt, voila, sitzt die Ratte zwischen eisernen, kalten Stäben fest. Alles was es dann noch braucht, ist Zeit, eine Prise Wahnsinn und Gleichgesinnte, die in finstren Ecken hausen und nur darauf lauern, hervorbrechen und speisen zu dürfen…
Aber ich drifte schon wieder ab – dieses verfluchte Trippeln! Kommen wir lieber langsam zum zweiten und den folgenden Dominostein(en).
Ich bin also ein Typ wie du, der Müll heranzüchtet und sich dessen gelegentlich entledigen muss, will er verhindern, dass seine Wohnstätte darin versinkt. Ehrlicherweise muss ich gestehen, in meiner Arbeitswut – dem Alltag und Leben – gelegentlich zu vergessen, mich um derart grundlegende Dinge zu kümmern.
Stein Nummer zwei, ist also meine Unfähigkeit, mich regelmäßig zum Entsorgen des Abfalls zu motivieren.
An dem spezifischen Abend, der erst wenige Stunden oder Wochen zurückliegen mag – mir kommt es vor, als säße ich bereits seit Jahren hier fest, und wer könnte mir garantieren, dass dem nicht so ist? Mein labil gewordener Verstand jedenfalls nicht… –, habe ich mich nach einem reichen Arbeitstag, der hauptsächlich darin bestand, Nichtigkeiten in den Äther zu pusten, als letzten Kraftakt dazu aufraffen können, die schweren Müllsäcke in die Hände zu nehmen und den Abstieg in mein Verderben anzutreten.
Doch halten wir einen Moment inne, denn hier wollen noch zwei weitere Steine platziert werden.
Nummer drei ist simpel und grausam zugleich. Wie vermutlich jeder zweite Mensch auf unserem wunderschönen bunten Planeten – das ganze schwimmende Plastik, sorgt für so lustige Farbspiele 😉 –, gehöre auch ich zu der Kategorie, die ihr Smartphone quasi überall hin mitschleppen. Das muss ich sogar, den wie du weißt, besteht ein Großteil meines Lebens darin, dieses mit der Welt, sprich mit dir und all den anderen Fanatikern, zu teilen.
Obgleich das alles natürlich durchweg unnatürlich ist. Hier eine Nachricht, die dich schockieren wird: Das morgendliche Bild, wie ich noch völlig verschlafen von der Nacht, mit betontem Schlafzimmerblick in die Kamera linse? Kostet mich eine Stunde Vorbereitung und Schlaf, auf den ich verzichte, um stattdessen im Bad Gesicht und Körper in vollendeter Routine zu pflegen.
Das dicht gefolgte – natürlich gesponserte – Frühstuck? Der extra magere Joghurt, mit Früchten, die alle einzeln ein Qualitätssiegel rangetackert bekommen – garantiert aus fairem Anbau! –, mit dem total hippen Namen, der mir schon nach dem Aussprechen wieder entfallen ist? Der neue heiße scheiß halt, den jeder haben will, weil ich ein Bild davon gepostet habe, wie er morgens um acht auf meinem Tisch steht? Landet nach dem ersten Löffel – es wäre nur die halbe Miete, wenn man mich ihn nicht essen sehen könnte – im Müll und wird durch was Anständiges ersetzt.
Ich könnte die Liste jetzt ewig so weiterführen, aber machen wir es kurz: Das Leben, von dem du glaubst, dass ich es führe, ist eine einzige, riesengroße Lüge. Götter sind eben auch nur Menschen, wer hätt’s gedacht.
Worauf ich aber eigentlich hinauswill: Da das Teilen, Ablichten, Filmen und Beschreiben meines „Lebens“, dieses ausmacht, kommt eine Kappung von dem Gerät, dass mich jederzeit mit euch allen verbindet, meinem Tod gleich. Es wäre, als ob ich von jetzt auf eben aufhören würde zu existieren. Alles was mich ausmacht, würde für null und nichtig erklärt. Ich wäre einfach dieser eine Typ von nebenan, statt Dreh- und Angelpunkt all deiner Gedanken und Entscheidungen – versuche gar nicht erst es zu leugnen, du weißt, dass es so ist, oder glaubst du wirklich, dass du dich für die Sachen die trägst, das Essen, dass du zu dir nimmst, die Sätze, die du von dir gibst, die Freunde mit denen du dich umgibst, die Streitereien, die du vom Zaun brichst, die Menschen die du liebst oder hasst, bewusst und selbstständig entscheidest?
Nein, ich gebe dir all diese Dinge und noch mehr vor. Vergiss nicht, ich bin Gott, du der Jünger, der vergebens dem Ebenbild aus dem er geschaffen wurde, nachzueifern ersucht. Du bist ich, nur in bedeutungsloser, sandkorngroßer Form. Schön dich kennenzulernen. Wie war noch gleich dein Name? Auch egal. Zurück zum Wesentlichen. Zurück zu mir.
Es gibt Orte – und damit meine ich nicht das „Stille“ –, zu denen nehmen wir unser kleines technologisches Wunder einfach nicht mit. Ganz ehrlich, so sehr dich mein Alltag auch interessieren mag, du und ich, wir beide wollen dich nicht daran erinnern, dass auch ich die Weltmeere verschmutze. Immerhin tun Götter so etwas nicht.
Deswegen gab es für mich nie einen Grund, das Gerät, dass mich mit dir – und all den anderen Betenden da draußen, wir wollen ja nicht vergessen, dass du kein Exklusivrecht auf die Bevormundung deines Kauf- und Sozialverhaltens hast – verbindet, einzustecken, wenn ich nur eben den Müll runterbringe.
Es ist eine der wenigen Gelegenheiten, in denen ich vom Allmächtigen zum Niemand mutiere. Zu diesem einen Typen, der… Hm, was? Was für ein Typ? Der halt.
Es fühlt sich jedes Mal befremdlich und falsch an, als würde ich im Adamskostüm hinaustreten, mich dem Gespött der Massen aussetzen, dabei vollumfänglich ignoriert werden und trotzdem vor Scham und Ekel aufgrund meiner niederen Existenz, zu der ich für diesen Augenblick degradiert werde, versinken. Vermutlich ein weiterer, tief in meinem Unterbewusstsein verwurzelter Grund, der mich diese Verpflichtung immer wieder so lange wie möglich vor sich herschieben lässt.
Hey, das Ganze hier hat ja einen tiefer greifenden, therapeutischen Zweck, als ich erwartet hätte! Schade, dass er ein wenig zu spät kommt, die Dominosteine sind bereits gefallen.
Lange Rede, kurzer Sinn, dies ist jedenfalls Stein Nummer drei: Das Smartphone bleibt oben in der Wohnung.
Stein vier kürze ich ein wenig ab. Zu allererst, fürs Protokoll: Wir haben gerade Winter, als ich schwer bepackt meine Wohnung verlassen habe, war es… Okay, ich habe keine Ahnung, wie spät es war, irgendetwas um zehn Uhr nachts rum und es herrsch(t)en Minusgrade, wenn auch kein Schnee auf den Straßen liegt. Präziser: Es ist scheiße kalt.
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß oder nur am Rande mitbekommen habe: Es gab für diesen Tag eine Sturmwarnung, aufgrund von Orkanböen, die über 100 Kilometer die Stunde erreichen sollten – japp, mein Unterbewusstsein hat diese Information gespeichert; danke Unterbewusstsein, für die frühe Warnung… Ladies und Gentleman: Stein Nummer vier.
Cool wie ich bin – pun intended –, ging ich natürlich nur im leichten Shirt und einer Jogginghose bekleidet – hab‘ Nachsicht, ich verliere schon bald mehr als nur die Kontrolle über mein Leben –, sowie in billigen Latschen, unter denen sich zusätzlich dünne Socken verbargen, hinaus. Auch wenn ich in dieser Sekunde keinerlei Göttlichkeit mehr ausstrahlte, steckte diese doch immer noch in mir; Götter frieren bekanntermaßen nicht.
Die Wahrheit ist: Ich bin eine elendige Frostbeule und habe mir vom ersten Schritt an, den Hintern abgefroren. Nicht, dass ich mir das jemals eingestanden hätte. Ist auch so eine Komplexsache… Wenn das Göttliche unfehlbar ist, kann es auch keine Schwächen haben.
Ich brachte jedenfalls schnellstmöglich die Entfernung zwischen Haustür und Müllhäuschen hinter mich. „Müllhäuschen“ ist dabei ein netter Begriff für ein Konstrukt aus Metallgeflechten, dass in einem Hinterhof stehend, über eine Reihe von Abfallcontainern gestülpt und mit einem Schloss versehen wurde, um unerlaubten Zugang durch Mensch und Tier zu unterbinden.
Letzteres funktionierte dabei nur mäßig, da ich häufiger die Schemen von vorbeihuschenden Ratten erspähte, deren geschmeidigen Körper sich mühelos durch die Gitter zwängten. Selbst in der tiefsten, kalten Jahreszeit bekam ich sie gelegentlich zu sehen, was dafür sprach, dass sie irgendwo in der Nähe überwinterten.
Der Wind, der mir indes wie eisige Dornen entgegenblies, schien erpicht darauf zu sein, mich zurück in das Haus zu drängen. Innerlich scherzte ich noch, dass ich von Glück reden konnte, dass die schweren Müllbeutel meine Bodenhaftung bewahrten. Sorge bereitete der Sturm mir keine – auch wenn die vereinzelten Bäume über mir bedrohlich wankten –, da ich ja davon ausging binnen weniger Minuten wieder im Warmen zu sein, vor allem aber hinter dicken Mauern, die den Orkan, der durch die Häuserschlucht noch in seiner Gewalt gestärkt wurde, in seine Schranken weisen würden.
Endlich beim Müllhäuschen angelangt – mittlerweile war die noch an mir haftende Wärme meiner Wohnung gewichen und ich begann, kläglich versuchend es mir nicht anmerken zu lassen, leicht zu zittern –, bemerkte ich als erstes, dass einmal mehr jemand die letzten Meter nicht hatte hinter sich bringen können und seine Überreste stattdessen einfach vor das Häuschen geworfen hatte. Dass die Beute immer noch dort lagen, sprach dafür, dass derjenige welche Ziegelsteine entsorgt hatte – oder Leichenteile, wer wusste schon so genau? Mich kümmerte es nicht, da ich viel zu sehr darauf bedacht war, schnellstmöglich diese lästige Verrichtung hinter mich zu bringen und als Herrscher über deine Pfade wiedergeboren zu werden.
Ich kramte meinen Schlüssel hervor, rammte ihn treffsicher vorbei, wodurch unangenehm Metall auf Metall schabte, unternahm einen zweiten Versuch und traf das Schloss dieses Mal, wenn auch nur knapp. Beim Drehen hakte es kurz – wie fast immer; der Mechanismus gehörte längst ausgetauscht, doch lag es nicht im Zuständigkeitsbereich eines höheren Wesens wie mir, dies an die entsprechende Stelle zu melden –, was ich mit einem ungeduldigen Ruck löste. Für den Bruchteil einer Sekunde beunruhigte mich das knackende Geräusch, dass ich über den heulenden Wind zu hören meinte, gleichzeitig blies dieser mir jedoch so eisig in den Rücken, dass ich jedwede Gedanken daran beiseite- und meinen fast schon steifgefrorenen Körper lieber durch die nunmehr offenstehende Gittertür schob.
Den Schlüssel ließ ich in meiner Eile stecken. Was sollte schon passieren? Es trennten mich nur noch wenige Schritte und vor allem Sekunden von der Befreiung von meinen Hinterlassenschaften – die du vermutlich gerne durchwühlen würdest, du kleiner Stalker –, den Schlüssel für diesen winzigen Zeitraum unbeobachtet zu lassen, erschien mir in keiner Weise riskant.
Wie sich herausstellen sollte, war es das auch. Selbst mit dem Werkzeug des Öffnens in meinem Besitz, wäre ich in diesem Augenblick, in dem ich über die Schwelle des Müllhäuschens trat, bereits verdammt gewesen.
Ich hastete – so gut ich dies, schwerbeladen wie ich war, eben vermochte – zu den Containern herüber, setzte einen der schweren Säcke ab, um eine Hand freizuhaben, schob den Deckel nach hinten und hievte die erste Ladung Müll hinein. Auf Nimmerwiedersehen! Grüß die Fische von mir! Gleich darauf folgte die zweite Ansammlung von Ballast, wobei die Trennung mir genauso wenig schwerfiel.
Schnaufend aufgrund der Anstrengung, zog ich den Deckel wieder runter, gestattete mir kurz mir die Arme zu reiben – es brachte rein gar nichts, die Kälte schien omnipräsent zu sein –, wobei ich ein Stechen in den bleichen Händen spürte. Zum einen, weil sich die dünnen Schnüre der Müllsäcke, welche durch diese zu gezurrt wurden, in sie hineingegraben hatten, zum anderen, weil mein Körper ohne meine Einwilligung entschieden hatte, dass er im Zweifel auf die Extremitäten verzichten konnte und es deswegen vorzog den wärmenden Lebenssaft, in seiner Mitte zu halten.
Freilich hatte ich nicht vor, es erst so weit kommen zu lassen. Bestrebt diese unwürdige Episode möglichst schnell zu einem Abschluss zu bringen, lief ich eiligen Schrittes auf den Ausgang des Häuschens zu. Kurz bevor ich ihn erreichte, entschied das Schicksal seinen Lauf zu nehmen und dem Fortgang meines Daseins einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
Ein starke Böe kam auf, stärker als alle vorangegangen. Sie verfing sich in dem Müllsack, der noch draußen stand – wir erinnern uns, die Ziegelsteine oder Leichenteile – und zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass der Inhalt wohl doch nicht so schwerer Natur war, denn das Behältnis wurde plötzlich mit solcher Wucht hochgerissen und durch die Luft geschleudert, dass es die halb offenstehende Gittertür mit einem lauten Knall zu rammte, ehe es, wieder schlaff und erneut achtlos weggeworfen zu Boden sank.
Die Geräuschkulisse allein ließ mir schon für einen Moment das Herz stocken. Die Beruhigung – und Versicherung an meinen Verstand –, dass nichts weiter passiert war, blieb infolgedessen nicht von Dauer und ließ mich den nächsten Infarkt erleiden, als ich erkannte, dass meine Schlüssel durch die Wucht aus dem Schloss gerutscht sind.
Funkelnd lagen sie wenige Zentimeter von der Tür entfernt, was für sich genommen noch kein Problem darstellte. Der Wind, der unablässig an ihnen rüttelte hingegen, machte die Sache ein wenig verzwickter…
Bevor wir zu meiner panischen Reaktion übergehen, in der ich verzweifelt nach etwas suche, um an die rettenden Werkzeuge meiner Befreiung zu gelangen – der Abstand zwischen Gitter und Boden war zu schmal, als dass meine Arme hindurchgepasst hätten –, betrachten wir noch einmal kurz die Dominoreihe.
Stein Nummer fünf ist der Müllsack, dem ich außerhalb des Häuschens daran vorbeilaufend, keine weitere Beachtung geschenkt habe. Warum auch? Es war nicht das erste Mal, dass jemand sich zu fein war, seinen Dreck restlos zu entsorgen und es würde nicht das letzte Mal sein. Oft bin ich an Derartigem vorbeigelaufen, ohne es auch nur zu registrieren und ausgerechnet heute, sollte dieser Umstand zu meinem Verderben beitragen? Ein klassischer Fall von Ironie des Schicksals.
Stein Nummer sechs habe ich beinahe vergessen zu erwähnen: Die Tür des Müllhäuschens ließ sich von innen nicht ohne Weiteres öffnen, da sie keinen bedienbaren Henkel, sondern nur einen gebogenen, fest verankerten Knauf zum Greifen besaß. Nur falls du dich über meinen Ausbruch von blankem Terror gewundert haben solltest.
Zwischenfazit: Wer einen Gott töten will, benötigt einen schlechten Sinn für Humor…
Doch was wäre ich für eine Gottheit, wenn ich nicht ein Ass im Ärmel hätte? Offenbar meinte es die höhere Sphäre gut mit mir, denn gerade rechtzeitig bemerkte mein Alarm schlagender Verstand, einen ausrangierten Regenschirm, der auf einem Stapel Altholz lag, welches unsachgemäß in dem Häuschen abgelegt worden war – zusammen mit einem zerbrochenen Garderobenständer, einem ramponierten Ledersessel, einer zerschlagenen Mikrowelle, einer… ach lasen wir das.
Ich hechtete also zu dem Schirm herüber, der, wie es der Zufall so wollte, einen geschwungenen Griff besaß, welcher sich perfekt dazu eignete, nach verlorengegangenen Schlüsseln zu angeln. Mein erster Versuch das Instrument meiner Erlösung zu greifen, endete damit, dass mir das vermaledeite Ding aus den tauben und gleichzeitig brennenden Fingern glitt. Der zweite glückte – wenn auch mehr schlecht als recht.
Bewaffnet mit dem Schirm, marschierte ich wie ein stolzer Ritter, der auszog die entführte Maid aus den Fängen des geifernden Drachen zu befreien, auf das Ungetüm aus Stahlgeflecht zu. Okay, zugegeben, die Realität sah weit weniger heroisch aus. Vielmehr wankte ein zitterndes, blasses Nervenbündel auf die Tür zu, kniete sich davor und stellte sich wie der letzte Mensch auf Erden, bei dem Versuch an, mit einem Stück fein verarbeitetem Holz seine garstigen kleinen Schlüsselring zu erhaschen.
Es vergingen drei Jahre sowie dreiundzwanzigtausend und dreihundertsiebzehn Versuche, bevor ich sie schweißgebadet und mit lahmen Arm endlich zu fassen bekam – es dauerte vielleicht dreißig Sekunden und fünf sehr behutsame Anläufe, der Rest stimmt trotzdem. Ich meine noch immer mein wild schlagendes Herz zu spüren, dass bei jedem noch so kleinen Anzeichen des Abrutschens, aus meiner Brust zu bersten versuchte, gleichsam klingt mir – unterschwellig des Ohrwurms –, das Kreischen von Metall auf Steinplatten in den Ohren wider, inklusive der bildhaften Vorstellung, wie Materien sich gegenseitig verformen und verbiegen, bis sie kurz vor dem finalen Bruch stehen, dem meine Hoffnung wie springendes Porzellan dicht folgen würde. Die typischen Kapriolen, die ein paranoid panischer Geist eben so schlägt.
Der Schlüssel blieb natürlich unverändert, ebenso wie die Steinplatten, über die er geschabt worden war. Von dem Schirm konnte ich dies wiederum nicht behaupten, der hatte ein paar nicht zu verachtende Schrammen davongetragen. Ich dankte ihm für seine treuen Dienste und warf ihn dann zurück auf den Müll.
Meine Freude über das Zurückerlangen von gepresstem und geschliffenen Metall, sollte nicht von Dauer sein.
Ich verschwendete keine Zeit, sondern rammte das Werkzeug unvermittelt in seinen Bestimmungsort hinein. Ein breites, siegreiches Grinsen legte sich um meine Lippen, als ich die nötige Drehbewegung vollführte und… erstarb. Es hakte. Das dreimal verfluchte Schloss hakte. Ich wandte vorsichtig ein wenig mehr Kraft auf – mein Verstand drehte bereits wieder Kreise der absurdesten Szenarien –, vergebens. Noch mehr, nichts. Noch ein klein wenig mehr, keinerlei Regung.
Okay, cool bleiben, dachte ich bei mir – nur, dass ich das jetzt nicht mehr lustig fand, denn langsam machte sich die Kälte wieder bemerkbar; zwischenzeitlich hatte mein Adrenalinpegel sie mich zumindest ignorieren lassen. Statt mich weiter dagegen zu stemmen, ließ ich ein wenig lockerer, drehte den Schlüssel in die andere Richtung, versuchte es erneut. Zwecklos. Da tat sich rein gar nichts.
Rückblickend weiß ich nicht mehr, wie viele Male ich das Ding hin und her gedreht habe. Mal mit mehr, mal mit weniger Kraft, in unterschiedlichen Rhythmen, mit gutem Zureden, gleichzeitigem gegen die Tür pressen oder an ihr ziehen, als ob es einen geheimen Code oder so gebe, um sie davon zu überzeugen, sich mir zu öffnen. Tat sie nicht. Nur um das an dieser Stelle mal klarzustellen: Diese metallene, rostanfällige Hindernis, besitzt damit mehr Charakterstärke als du je haben wirst… Sorry, ich bin frustriert, verängstigt und am Ende meiner Kräfte. Ist nicht so gemeint. Oder vielleicht doch, weil ich einfach ein Riesenarsch bin. Spielt jetzt auch keine Rolle mehr.
Wo war ich? Ach ja.
Hin und her, hin und her, solange bis ich ohne jede Logik oder dem Hauch von einem System, nur noch an dem Scheißding rüttelte und schüttelte und dagegentrat – was mir im Übrigen einen deftigen Bluterguss, an meinen durch die Latschen nur bedingt geschützten linken großen Zeh bescherte – und schließlich flehte, dass es sich doch bitte, bitte, bitte öffnen möge.
Als Antwort klackte der Mechanismus, aber nicht auf die erhoffte Art.
In meiner Panik musste ich irgendwann vergessen haben, in welche Richtung der Schlüssel zu drehen war, weswegen ich das Schloss, statt es zu öffnen, mit einem zusätzlich zuschnappenden Riegel, hermetisch machte.
Ein Gutes hatte das Ganze: Es ließ mich erschrocken innehalten. Statt weiterer verzweifelter – und zweckloser – Versuche, der Situation mit Gewalt Herr zu werden, probierte ich es noch einmal auf die behutsame, sanfte Schiene. Dumm nur, dass das Karma eine Bitsch ist. Du kannst es dir sicher denken, aber ich schreibe es dennoch in aller Deutlichkeit, damit du dich daran ergötzen kannst:
DAS VERFICKTE DRECKSTEIL BEWEGTE SICH JETZT GAR NICHT MEHR!!!!!
Puh, tut mir leid, das musste mal raus. Jetzt geht es mir besser. Ein wenig. Okay, es geht mir immer noch beschissen. Weiter im Text.
Was folgte war eine Schimpftirade vor dem Herrn. Flüche und Verwünschungen wurden ausgesprochen, einem leblosen Gegenstand unpassende, unangemessene sexuelle und Fäkalbezeichnungen angedichtet, Berufsstände verunglimpft, Rassen und Ethiken besudelt… Wollen wir einen Deal machen? Ich führe das hier jetzt nicht weiter aus und ihr denkt euch euren Teil dazu einfach. Meine Mutter soll sich nicht für die letzten Aufzeichnungen ihres Sohnes schämen müssen.
Gott, wie gerne wäre ich jetzt bei dir Mama… Fuck, ich bin echt erledigt, oder? Muss dass hier noch zu Ende bekommen. Sie kommen langsam näher, ziehen engere Kreise… Mich kriegt ihr nicht, ih______________
Shit, bin scheinbar kurz weggenickt. So müde. So kalt.
Weiter geht’s Buddy, der Mist hier schreibt sich nicht von allein.
Das Schloss rührte sich also nicht mehr… Bei wie viel Dominosteinen sind wir mittlerweile eigentlich? Auch egal, gleich kommt noch einer. Die Krönung des Ganzen, sozusagen. Wobei, nein, die kam erst später. Auf dünnen Beinchen… trippel, trippel, trippel
Konzentration!
Das Schloss rührte sich nicht mehr, genauso wenig wie meine Hoffnung, die lag nämlich als kläglicher Klumpen zitternden Espenlaubs am Grund meiner Seele, wo sie standhaft versuchte, nicht von der immer näher rückenden, pechschwarzen nackten Angst übermannt zu werden. Vergebens.
In meiner Verzweiflung unternahm ich einen letzten Akt der Gewalt. Mit aller Kraft, die ich noch aufzubringen vermochte, stemmte ich mich gegen den Schlüssel. Mit beiden Händen umklammerte ich ihn fest, ignorierte die Pein, die in ihnen pochte und loderte, beachtete die Tränen nicht, die auf meinen Wangen gefroren und sich eiskristallförmig in mein kalkweißes Gesicht gruben. Letzteres lief vor Anstrengung langsam rot an, was die dank der Eiseskälte und den unablässigen Winden ausgelösten Kopfschmerzen explosionsartig steigerte. All dies in Kombination, ließ mich glatt meinen anschwellenden Zeh vergessen, der sich schon bald wieder bemerkbar machen und dafür bedanken sollte, während des Prozesses in den Boden gedrückt worden zu sein.
Meine Anstrengung sollte mit einem Klirren und einem Schmerzschrei belohnt werden. Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum, es kam, wie es kommen musste: Der Schlüssel brach ab. Gefolgt wurde dieses Ereignis, von meinem überraschten Gesicht, dass ungebremst in die Gitterstäbe knallte, während gleichzeitig meine Hand an den scharfkantigen Überresten meiner nun endgültig begrabenen Hoffnung entlangratschte.
Das Metall riss eine Wunde vom ersten Knöchel meines Zeigefingers an, über besagten Finger und den Handrücken hinweg, bis zum Handgelenk runter. Es brannte höllisch, blutete aber kaum. Logisch, meine Extremitäten waren ja quasi bar jeden Lebenssaftes.
Als Folge dieser finalen Niederlage, tat ich, was ein jeder gestandene Mann an meiner statt getan hätte. Ich sank zu Boden und begann hemmungslos zu weinen, wie ein kleiner Junge, der hingeplumpst war und sich das Knie aufgeschrammt hatte.
So hockte ich da, mit dem Rücken an den eisigen Gitterstäben gepresst, die den Wind, der mir in selbigen blies, schonungslos hindurchließen. Mit einer Arschbacke saß ich auf den verbleibenden Stücken meines Schlüsselbundes, da mein Hintern ungefähr so taub war wie alles andere an mir, merkte ich es kaum. Außerdem war ich viel zu sehr damit beschäftigt, meine zäh auslaufende Hand zu umklammern. Dass mir zudem auch noch der Schädel von dem Aufprall brummte – noch mehr als ohnehin schon – war da nur noch die Kirsche auf der ironischen Schicksalstorte, die das Dessert, welches am besten kalt serviert wurde, abrundete.
Noch war ich jedoch nicht gebrochen, noch brannte das Feuer der Entschlossenheit in mir – auch bekannt als Überlebensinstinkt. Die Flammen bemächtigten mich dazu, mich zusammenzureißen, mich zu erheben, tief durchzuatmen – wobei die kalte Luft meine Lungenflügel zu durchbohren schien – und mit vor Stolz geschwellter Brust erneut, dass zu tun, was ein Mann/Gott meines Standes schon längst hätte tun sollen: Ich rief um Hilfe.
Ich schrie so laut und so lange ich konnte, wobei ich in beiden Kategorien keine Rekorde aufstellte. Es mangelte mir an Kraft. Außerdem brannten meine Atemwege schon nach kürzester Zeit. Jedes Luftholen, um neuerlich meine Stimmbänder an ihre Grenzen zu bringen, ließ mich tausende von Nadeln schlucken.
Als ich nicht mehr konnte, verharrte ich einen Augenblick – irgendwann im Laufe meiner Bemühungen, bin ich aufgestanden, um auf- und abzugehen und dabei in alle Himmelsrichtungen zu brüllen – und lauschte, lauschte auf irgendeine noch so kleine Regung in meiner Umgebung, doch alles was meine bald abgefrorenen Ohren vernahmen, war das Rauschen des unablässig blasenden Windes, welcher an den Fäden meines Lebens zupfte, den Pullover – sprich, meinen Körper – langsam und beständig aufdröselte, bis nichts mehr von ihm blieb, als eine dünne Schnur, die davongetragen wurde.
Ich wartete noch ein wenig länger, wusste längst nicht mehr worauf. Das Geräusch einer sich öffnenden Tür? Eines Fensters, aus dem jemand herausschaut, um zu erfahren, wer da mitten in der Nacht so einen Lärm machte? Oder gleich das Sondereinsatzkommando, dass sich dieses unangenehmen Problems annahm? Vielleicht auch ein Donnergrollen des Himmels, dass mich nichtige Gestalt, die ich in diesem Moment kein Teil der göttlichen Sphären mehr war, endgültig zum Schweigen brachte?
Nichts dergleichen geschah. Meine Existenz war so bedeutungslos geworden, dass niemand, wirklich absolut niemand sich für sie interessierte. Ich war es nicht einmal wert, mit Missachtung aufgrund der Ruhestörung bedacht zu werden.
Vergessen. So fühlte ich mich in dieser Sekunde. Als ob alles, was ich bis dahin erreicht hatte, ohne jeden Sinn und bar jeden Bestands wäre. Ein winziger Tintenklecks in gigantischen Geschichtsbüchern, der langsam verblasste, der nichts hinterließ.
Die Leere, die sich rasend schnell in mir ausbreitete, wurde nur durch die Kälte überholt, welche drauf und dran war, sich bis zu meinen Knochen durchzufressen. Noch ein wenig länger, ich wäre an Ort und Stelle erstarrt. Für die Ewigkeit in Eis geformt. Ein netter Gedanke, wenn meine Skulptur nicht gerade neben dem Hausmüll der Gesellschaft gestanden hätte und dort vermutlich auch verweilt wäre. Solange zumindest, bis der Sommer sie auftaute. Denn wenn der Gestank der Verwesung sich aufgrund der unbarmherzigen Sonneneinstrahlung erst einmal mit dem der übervollen, umliegenden Tonnen mischte, wäre die Bereitschaft sich dieses makabren Kunstwerks endlich zu entledigen, sicher um ein Vielfaches größer.
Hilfe stand also nicht in Aussicht, doch zum – bedeutungslosen – Sterben fühlte ich mich entgegen aller Erschöpfung und dem Gefühl null und nichtig zu sein, noch nicht bereit. Noch war es nicht zu spät, noch war es nicht aussichtslos, noch konnte ich mich zurück in die Aufmerksamkeit dieser Welt katapultieren, ins Rampenlicht zurückkehren, als hell leuchtender Stern wiedergeboren werden! Alles was ich dafür tun musste, war dies: Lange genug überleben – und mich bei erster Gelegenheit dieser grässlichen, zerlumpten Jogginghose entledigen, bevor mich noch jemand darin sah oder schlimmer noch, ein Bild davon aufnahm, es teilte und meinen Ruf damit, selbst im Überlebensfall, für alle Zeiten brandmarkte.
Nun wirst du sagen, und wenn schon! Er soll sich glücklich schätzen überlebt zu haben. Erfrieren ist so ein grässlicher Tod, im Vergleich dazu ist die soziale Vergänglichkeit und die daraus resultierende Folge, des Abtauchens in den Untergrund, in die metaphorische Gosse, den Morast der Gefallenen, der nunmehr glanzlosen, ausgebrannten Sterne, eine Kleinigkeit, etwas, dass man verkraften kann, eine Asche, aus der der Phönix sich erheben sollte, um wenn schon nicht mehr in die höchsten Ränge, dann doch wenigstens in die Mittelschicht aufzusteigen, wieder präsent zu werden. Mit angekratzter Visage, sicher, aber immerhin. Immerhin, er lebt noch.
Eine Einstellung die allein du, zusammen mit deinen Durchschnittskameraden zu propagieren und ernsthaft daran zu glauben fähig bist. Ich gestehe ein, jetzt, kurz vor meinem Dahinscheiden, stimme ich dir in allen Punkten zu. Weiterleben zu dürfen wäre ein Geschenk, welches ich selbst dann noch dankend in Empfang nehmen würde, wenn sich darin eine bereits verwesende Ratte mit dem Hinweis befinden würde, dass ich die nächsten drei Wochen nichts anderes zwischen die Zähne bekommen werde – und ich kann dir versichern, diese garstigen kleinen Biester schmecken selbst frisch, absolut grässlich.
Trippel, trippel trippel. Ganz Recht, ihr seid widerwärtig!
Zu dem gegenwärtigen Zeitpunkt, den ich soeben beschreibe jedoch, wäre ich im Traum nicht darauf gekommen, ein derartiges Präsent auch nur eines Blickes zu würdigen. Es wäre der Sekunde, die ich dafür hätte aufbringen müssen, nicht gerecht geworden und hätte sich aufgrund dessen selbst aus dem Raum-Zeit-Gefüge tilgen müssen, um die alles beherrschende Ordnung wiederherzustellen, da die Alternative Anarchie, Chaos und Tod bedeutete. Anders gesagt, ich hätte von dir erwartet, dass du dich für den Frevel, in meinem Glanz zu stehen, vor den nächstbesten Zug wirfst.
Aber lassen wir das.
Damit mein Ruf ruiniert werden konnte, musste ich erst einmal ungeniert (über)leben… okay, der war nix. Weiter im Text.
Mein schockgefrostetes Hirn zermarterte sich, um eine baldige Lösung für unser beider Problem zu finden. Eine aufgrund äußerer Umstände scheinbar unmögliche Aufgabe, da jeder Windzug Nägel durch es hindurchjagte, sie tiefer bohrte, sie sich qualvoll drehen und wenden ließ.
Mittlerweile konnte ich nicht mehr mit Gewissheit sagen, welcher Bereich meines Körpers noch schmerzte, taub oder gar bereits abgestorben war. Mein Verstand arbeitete zäh, wie ein Stundenglas, dessen Hals immer dünner wurde, wodurch Sekunde für Sekunde weniger Sandkörner hindurchrannen – ein Körnchen Sand in der Wüste. War das Glas erst einmal verstopft, hieß es Game Over.
Ein Stück Belanglosigkeit.
Trippel, trippel
Da! Meine Augen erfassten beim Darüber-hinweggleiten etwas, dass ihre Aufmerksamkeit erregte, doch mein Bewusstsein arbeitete zu langsam, als dass ihre Erkenntnis es erreichte. Gerade sahen sie es noch, da war das rettende Objekt auch schon wieder weg. Aus den Augen, aus dem Sinn. Panisch huschten sie zurück, während sich in meinem Kopf – das womöglich letzte – Bild manifestierte: Ich, als sabbernder Idiot, auf der Such nach dieser einen Sache, die direkt vor mir stand, doch war ich unfähig sie zu erkennen.
Seltsamerweise spürte ich in diesem Moment rein gar nichts – nicht nur physisch, sondern auch seelisch, als wäre der Klumpen Eis in meinem Brustkorb, der zuvor noch gelegentlich geschlagen hatte, nun endgültig erstarrt. So sehr, dass nicht einmal mehr der Instinkt des Überlebens und die daraus resultierende Angst ihn anregte.
Erst als ich registrierte, dass meine Äpfel in ihren Höhlen bereits wieder – und seit Längerem – das Objekt meiner Begierde fixierten, machte es einen kleinen Satz; vor Schreck.
Das kann nicht euer Ernst sein, erklärte ich diesen unbrauchbaren Glubschern, worauf sie mit unbeeindruckten Stieren reagierten. Sie vermittelten mir deutlich, dass ihrem Besitzer für andere Ideen die Zeit fehlte.
Ein Container. Einer von vielen. Einer wie alle. Und doch nicht irgendeiner. Es gab eine ganze Reihe von ihnen, drei Stück an der Zahl, doch nur der einer dieser Art, stach durch seine Eigenschaft besonders hervor: Gefaltete Kartons quollen daraus, wie ein Alien-Baby aus dem Rippenkasten seines Wirtes, während Papiere unterschiedlicher Größe, glatt, geknüllt und zerrissen, darum wie Eingeweide einer geschändeten Leiche verteilt lagen. Für Letztere hegte ich nur wenig Interesse, da mein Denkmotor langsam wieder in die Gänge kam und sich auszumalen versuchte, auf wie viel brauchbare Pappe ich wohl aus den anderen beiden Containern kam, sowie Berechnungen über die Maße dieser Räumlichkeiten anstellte.
Es hätte wohl keine Rolle gespielt, wäre mein restlicher Apparat nicht ebenfalls in Bewegung geraten, um auszuführen, was die Schaltzentrale ihm befahl. Stockend und ächzend setzte ich ein Bein vor das andere. Sie fühlten sich nicht länger wie bewegliche Glieder, sondern wie stocksteife Stelzen an.
Ein Blick in den ersten und dann in die anderen beiden Entsorgungsstätten für Papiere und ähnliches, ließ mich jauchzen, ja, das konnte funktionieren. Tür Nummer drei war zwar unbrauchbar, da diese scheinbar während eines regnerischen Tages sperrangelweit offen gestanden hatte, weswegen schon die obersten Schichten sich hoffnungslos durchgeweicht zeigten, doch Nummer zwei bot noch genug trockenes Material, um meinen Plan in die Tat umzusetzen.
Von neuem Eifer gepackt, räumte ich die obersten Lagen Kartonage aus den Containern, wobei ich diese, sofern sie noch zu Paketen gefaltet, geknickt und geklebt waren, bereits so sauber wie möglich auseinandernahm, wobei ich strickt darauf achtete besonders große Stücke im Ganzen zu erhalten.
Dass meine steifgefrorenen Finger und Hände dabei diverse Kratzer und Schürfwunden davontrugen, bemerkte ich kaum. Auch nicht, dass die Schlüsselwunde wieder aufklaffte und dabei mein Dämmmaterial besudelte.
Ja, richtig gelesen. Vermutlich konntest du es dir schon denken. Mein glorreicher Plan sah vor, in einem Container, welcher mit Pappe – welche dank mehrerer Lagen, samt Zwischenräumen, dazu in der Lage war, Wärme zu speichern – ausgekleidet wurde, auf Hilfe wartend zu verharren. Nicht gerade die innovativste Idee, aber immerhin. Immerhin, er wird überleben – dachte er.
Und ja, ich war mir der Tatsache durchaus bewusst, was diese Geschichte meinem Ruf anzutun fähig war. Ich sah schon die Schlagzeilen: Berühmtheit überlebt in Mülltonne oder 10 praktische Tipps, wie Sie Ihren Survival-Container wohnlicher gestalten können, präsentiert Ihnen…, aber soll ich dir was sagen? Es war mir egal. Ich wollte nur noch raus aus dieser gottverfluchten Kälte.
Außerdem arbeitete mein Hirn bereits auf Hochtouren, wie sich aus dieser Story noch Kapital schlagen ließ. Sicher es würde immer Neider geben, die versuchen wollten, meinen Namen durch den Müll zu ziehen, aber schlussendlich war es doch so: Dramatische Geschichten und Kriegsverletzungen verkauften sich immer gut. Sieh es doch mal so: Du ließt diesen Mist hier immer noch, und warum? Weil du dich danach lechzt zu erfahren, was aus deinem Idol geworden ist!
Was hätten die Medien sich überschlagen, um ein Exklusiv-Interview mit mir zu erhalten, inklusive all der ausgeschmückten Details, die so nie passiert sind. Wen juckt‘s? Solange nur das Geld in Strömen fließt. Die Geschichte meines Kampfes gegen die Naturgewalten wäre zur Legende und ich der strahlende Held geworden, der aus ihr hervorging.
Aber das sind sinnlose Überlegungen. Ich werde nie erfahren, was passiert wäre wenn… Wenn ich dir nur zu Hause geblieben wäre.
Scheiß drauf.
Scheiß auf diesen ganzen VERFICKTEN DRECKSSCHEIß!!!
Und SCHEIß auf DICH!!!
Ich will raus, raus, raus, RAUS!
Fuck…
Ok. Hab mich wieder beruhigt. Ignorier die feuchte Stelle weiter oben und glaub ja nicht, dass ich… ach was soll’s. Ja ich hab‘ geflennt, na und?! Ich krepiere hier sowieso also sch…
Und atmen.
Geht wieder.
Man, ich muss mich zusammenreißen, wenn ich das hier noch beenden will. Es fing so gut an.
Der Anfang.
Das Ende.
Mein Ende.
Es wäre fast lustig, wenn es nicht so traurig und ohrenbetäubend wäre. Dieser verdammte Wurm und dann erst dieses ständige Getrippel. Und das Fiepen! Wie mir dieses Gefiepe auf den Geist geht!
Ich habe jedenfalls zwei von drei Containern ausgeräumt und damit eine beachtliche Menge brauchbarer Dämmstoffe zusammengetragen und vorbereitet. Die Anstrengung hat mich indes nicht nur meine aktuelle Lage kurzzeitig vergessen lassen, sondern auch meine eisigen Glieder wieder etwas belebt – wenn auch nicht viel. Die nächste Böe, die kräftig an den wenigen Kleidern zerrte, welche mich ummantelten, erinnerte mich daran, mich besser zu beeilen.
Als nächsten Schritt warf ich einige der vorbereiteten Kartonagen zurück in den Container, mehrere Lagen davon sollten als Boden dienen. Die folgenden Stücke fungierten als Auskleidung der Wände, wobei ich die vorderen direkt anlegte und weitere hinterherwarf, nur um selbst in die Tonne zu steigen, was sich als schwieriger herausstellte, als ich zuerst angenommen hatte. Die Öffnung lag relativ weit oben und da es im Mittelfeld keinerlei Möglichkeit gab, einen Fuß abzusetzen, musste ich mich aus eigener Kraft hochstemmen. Ich bin beliebe nicht unsportlich, doch die Erschöpfung und Eiseskälte haben mir genug zugesetzt, um diese prinzipiell schaffbare zu einer Mammutaufgabe zu machen.
Nun, ich mag kein ausgestorbenes Rüsseltier sein, aber schlussendlich bin ich doch in mein neues Zuhause eingezogen. So schwer es mir auch fiel, nicht einfach den Deckel zu schließen, bemühte ich mich darum, die restlichen Wände möglichst schnell und präzise auszukleiden. Eine wacklige Angelegenheit blieb es bis zuletzt, von Stabilität konnte keine Rede sein, doch das Gesamtwerk erfüllte seinen Zweck. Allein ein wenig windgeschützt zu sein, gab mir ein Gefühl der Sicherheit und die Zuversicht, lebend aus dieser Situation rauszukommen.
Als ich dann endlich den Deckel schließen konnte, sank mein Mut erneut ins bodenlose.
Mit einem Donnerknall schloss er sich und Dunkelheit umhüllte meine kleine Welt. Die klaustrophobische Enge, ließ meine Fantasie sich vorstellen, ich wäre in einer Gruft eingeschlossen worden, welche ein tonnenschwerer Stein für alle Zeit versiegelt hatte. Ich war gefangen, erneut, hatte mein geräumiges, aber zugiges Gefängnis aus Stahl durch ein winziges, geschlossenes Adäquat aus Kunststoff und Pappe getaucht.
Draußen wütete noch immer der Sturm, ich hörte ihn pfeifen und toben und rasen vor Wut, weil ich es gewagt hatte, mich seiner Gewalt zu entziehen. Darunter: Nichts. Nur tumbe Stille vermengt mit ewiger Finsternis, die sich endlos um mich herum erstreckte. Obgleich der Raum, in dem ich hockte – sitzen war gerade so möglich, liegen allenfalls mit angewinkelten Beinen, an stehen nicht zu denken – begrenzt war, erschien er mir plötzlich so weit wie der Kosmos selbst. Ich glaubte, würde ich die Hand weit genug ausstrecken, ich würde nie auf eine Wand treffen, sondern nur ins Leere greifen. Eine Vorstellung, die mir derartiges Unbehagen bereitete, dass ich meine Arme eng um meinen Körper schlang.
Ich fühlte mich verloren, als befände ich mich in einem nicht enden wollenden Sturz in die Tiefe. Einen Vorteil hatte das Ganze jedoch: Mir war nicht länger kalt, oder zumindest deutlich weniger. Langsam – sehr langsam – stieg die Temperatur in meinem eigens geschaffenen Universum, was mich wiederum die Ermüdung, vor allem aber die Schmerzen spüren ließ, die die Kälte zuvor gänzlich betäubt hatte. Außerdem stieg mir ein strenger Eisengeruch in die Nase. Blut. Meines. Ein Schaudern ging mir durch den ganzen Leib, als mich der leise flüsternde Gedanke packte, dass ich in dieser Tonne sterben und sie mein Grab werden würde, dabei konnte ich nicht einmal sagen, woher dieser unnütze Geistesblitz auf einmal rührte.
Ich hatte es doch geschafft, oder? Immerhin, er hat überlebt…
Um meinen überreizten Nerven und meinem geschundenen Körper ein wenig Ruhe zu geben, legte ich mich, so gut es eben ging, darnieder. Ich glaubte zwar nicht daran Schlaf zu finden, doch als ich die Augenlider schloss, obsiegte die Müdigkeit. Sie legte mein Haupt aufs Schafott, ließ das Fallbeil herabsausen und schickte mich mit einem sauberen Schnitt aus der Realität in den traumlosen Abgrund.
Ein Geräusch riss mich aus meiner seligen Umnachtung, die mich noch Sekunden nach meinem Erwachen glauben ließ, dass alles nur ein Nachtmahr gewesen wäre, ein Schreckgespinst, nichts weiter als eine Ausgeburt meines Unterbewusstseins, dass unsinnige Windungen zu verarbeiten versuchte.
Der Wind, der immer noch um mich herum blies, das Aufkreischen meines Rückens, als ich mich bewegte und die Beine, die ich nicht ausstrecken konnte, weil sie direkt auf ein festes Hindernis stießen, überzeugten mich davon, noch immer ein Gefangener zu sein. Eingeschlossen in Müll, Plastik, Gittern und dem Stoff aus dem Albträume gemacht sind.
Damit einher drängte sich mir die Erkenntnis auf, dass das Geräusch, welches ich noch immer vernahm, mein Ausweg aus dieser eisigen Hölle sein konnte. So schnell es mir nur gelang – also sehr langsam, weil meine Glieder hoffnungslos versteift waren und ich mich wie ein hundert Jahre alter Mann fühlte (und agierte) – richtete ich mich auf, tastete in der absoluten Finsternis nach dem Deckel über mir und stieß ihn auf. Nun, ich versuchte es zumindest. Er rührte sich dabei nur keinen Millimeter.
Augenblicklich brach mir der kalte Schweiß aus. Mittlerweile war die Temperatur in meinem kleinen Häuschen dramatisch gestiegen. Vielleicht nicht saunamäßig, doch genug, dass sie zusammen mit dem geringer gewordenen Sauerstoffgehalt – es gab ja keine Luftlöcher – eine Schwüle erzeugte, die mir, als ich die Tür in die Freiheit nicht zu öffnen vermochte, sprichwörtlich den Atem raubte.
Ich glaubte ersticken zu müssen. Meine Lungen arbeiteten auf Hochtouren, ackerten wie eine Diesellock in rasendem Tempo, wobei sie ihren Rhythmus verloren, ich zu hyperventilieren begann, während gleichzeitig mein Herz von innen gegen meinen Burstkorb, wie ein betrogener Ehemann hämmerte, der drauf und dran war, das Haus samt Besitzer auseinanderzunehmen, wenn ihm nicht sofort Einlass gewährt wurde – die oder den Besitzer/in würde er natürlich trotzdem fachgerecht zerlegen.
Ich drückte so fest ich nur konnte, nach oben, schlug aus, schrie, ohne es zu merken, wobei die Laute meiner eigenen Kehle mir auf den engen Raum in den Ohren klingelten. Die leise Stimme flüsterte mir wieder zu, dass ich hier drinnen verrecken würde. Mit etwas Pech würde die Müllabfuhr später nicht einmal meinen Leichnam entdecken, sondern diesen einfach ungeachtet der sterblichen Überreste eines Umweltsünders, der sich für seinen Verbleib nicht die Biotonne hatte aussuchen können, zusammen mit dem restlichen Gut entsorgen und/oder recyceln. Ich hatte das irrwitzige Bild meines Gesichts vor Augen, welches in die Pappschachtel einer Frühstücksflocken-Verpackung gepresst wurde. Der Traum einer jeden Berühmtheit und Garant dafür, dass die Kinder einer, dann sehr unglücklichen Familie ihr Leben lang eine Therapie benötigen würden…
Mein Schicksal sollte jedoch weit grausamer sein als dies.
Meine Bemühungen wurden schließlich mit einem lauten Ratsch belohnt, als der Deckel sich unter dem Druck schlagartig öffnete. Scheinbar hatte die Luftfeuchtigkeit im Inneren die Ränder bedeckt, wodurch diese von außen zugefroren sind.
Die Freude über mein erfolgreiches Entkommen, war nur von kurzer Dauer, denn die eisige Luft, die mir sofort wieder in den Lungen stach, zwang mir sogleich die Erinnerung auf, dass ich noch lange nicht frei war. Hinzu kam, dass der Wind augenblicklich jede Wärme mit sich nahm, was mich erneut in ein zitterndes, erbarmungswürdiges Bündel verwandelte.
Gleichzeitig keimte aber auch Hoffnung in mir auf, denn ich besann mich des Geräusches, welches mich überhaupt erst aus meinem Schlummer geweckt hatte. Meine Augen zuckten zu der fest verschlossenen Tür herüber, erwarteten bereits die Rettung in Form einer gütigen Person, die in der Umgebung wohnte und wie ich, es nicht hatte länger vor sich herschieben können, seinen Müll rauszubringen. Jedoch, sie wurden bitter enttäuscht. Da war niemand.
Das rhythmische Rasseln eines Müllsacks, welches nicht von dem Sturm herrührte, der an ihm zerrte, sondern von einer Person, die ihn herumtrug, entpuppte sich als… ja, was eigentlich? Ich hörte es noch immer, vermochte allerdings nicht die Quelle dessen auszumachen.
Auch wenn ich mir der Torheit dessen bewusst war, konnte ich nicht anders, als meiner nun entfachten Neugier Folge zu leisten. Ich musste wissen, welche äußeren Umstände da einen Streich mit mir spielten, um es ihnen gegebenenfalls heimzuzahlen. Denn niemand spielte ungeschoren mit dem Gemüt einer grimmigen Gottheit.
Also sammelte ich allen gerechten Zorn, den ich aufbringen konnte in meiner Magengegend, ließ ihn brodeln und kochen, bis er die nötige Hitze erreichte, mir als Motivator zu dienen, als Antrieb, für die bestialische Maschine, der sich besser niemand in den Weg stellte, dem sein oder das Leben seiner Nächsten lieb und teuer war.
Blind vor Hass, wegen allem, wegen dieser dreck… bescheidenen Situation, in die mich die Pfade der Moiren manövriert hatten, sprang ich aus meinem sicheren Versteck, wobei ich leicht umknickte. Der blitzartige Schmerz, der meinen Knöchel hoch durch das gesamte Bein fuhr, warf nur noch mehr schwarze Kohlen in das Feuer, welches diese begierig verschlang.
Leicht humpelnd stolzierte ich zu der Tür, da meine Sinne diese bereits als Ursprung der störenden Geräusche ausgemacht hatten. Und tatsächlich, nunmehr bestätigen mir auch meine Augen, was mein Bewusstsein schon längst erkannt hatte: Es handeltes sich um die vermaledeite Mülltüte, die jemand achtlos außerhalb des Müllhäuschens – also kilometerweit entfernt – platziert hatte. Etwas rumorte darin, was die raschelnden Laute verursachte, welche ich irrtümlich für das Transportieren des Müllsacks gehalten hatte.
Blieb die Frage: Wenn es kein Nachbar war, der sich seiner Hinterlassenschaften entledigen wollte, was war es dann? Und, wollte ich das wirklich so genau wissen?
Den Weg hatte ich freilich nicht umsonst hinter mich gebracht, also lautete die Antwort auf die zweite Erkundung eindeutig ja; ganz gleich der Konsequenzen, die ich daraus ziehen mochte. Die Wut wollte befriedet werden, da gab es kein Vorbeikommen.
Entgegen aller Vernunft verharrte ich also an Ort und Stelle, beobachtete das wilde Treiben in dem Müllsack auf der anderen Seite – auf der das Gras zwar auch nicht grüner war, aber die Luft vermutlich um einiges besser roch – und wartete. Worauf, dass wusste ich selbst nicht so genau. Ich würde es wissen, sobald es so weit war oder vorher von der Kälte niedergestreckt werden. In diesem einen Moment, wäre es mir einerlei gewesen. Ich schätze auch oder gerade Götter, sind dazu fähig sich vor ihrem eigenen Wahnsinn zu verblenden. Im Übrigen bin ich NICHT verrückt, nur um dass mal gleich vorweg klarzustellen…
Obgleich ich zugeben muss, im Verlauf der nächsten Sekunden, die ich hier beschreibe, zwischenzeitig an dem Zustand meines Verstandes gezweifelt zu haben.
Meine Geduld sollte recht bald belohnt werden – viel länger hätte ich wohl auch nicht durchgehalten; der brennende Ofen des Zorns verrauchte allmählich. Das Geraschel vor mir wurde immer hektischer und strebte eindeutig nach oben. Gebannt starrte ich den Sack voll Unrat an, jeden Moment musste es so weit sein, da er sein Geheimnis vor mir lüften würde.
Der obere Teil wölbte sich ein wenig, dehnte sich aus und kippte plötzlich aufgrund der Gewichtsverlagerung vornüber, mir entgegen um. Aus der nunmehr am Boden liegenden Öffnung, kullerte etwas heraus, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Das Eiswasser, dass nun durch meinen Körper strömte, war kälter als die Winde um mich herum jemals hätten sein können. Ich erstarrte und fixierte ungläubig weiter das Objekt vor mir.
Es handelte sich um einen menschlichen Schädel. Rosige Haut umspannte ihn, der Mund war weit zu einem ewig verstummten Schrei geöffnet, ein Auge fehlte, das klaffende Loch starrte zu mir herauf. Das Schlimmste dabei waren weder die Tatsache, dass ich wenige Stunden Witze über entsorgte Leichenteile gemacht hatte, noch, dass es sich generell um abgetrennte Überreste eines Menschen handelte. Am meisten Gräuel bereitete es mir, dass dieser Schädel viel zu klein war. Viel zu klein, um einem erwachsenen Mann zu gehören.
Jemand hatte seinen viel zu jungen Nachwuchs zerstückelt und die Einzelteile dem Müll überlassen. Mir drehte sich der Magen um. Der Inhalt dessen kam mir allerdings erst hoch, als ich sah, wie etwas Pelziges seine kleine Nase aus dem klaffenden Loch, in dem sich ein Auge hätte befinden sollen, herausstreckte.
Eine Ratte hatte sich in dem Schädel eingenistet.
Das war zu viel. Ich drehte mich davor weg und erbrach alles, was sich in meinem Inneren befand, vor die Biotonne – knapp daneben ist auch vorbei. Als nur noch Galle kam, mein Magen immer noch rebellierend aber versuchte, noch mehr nach oben zu schicken, was mich in Schüben verkrampfen ließ, wagte ich einen erneuten Blick. Auch wenn sich alles in mir dagegen strebte, ich musste es einfach wissen, musste mit Sicherheit erfahren, ob jemand in meiner direkten Umgebung zu einer solch ekelerregenden Tat fähig gewesen war. Auf die zweite Frage, diesbezüglich, hätte ich wohl nie eine Antwort erhalten: Warum hatte ausgerechnet ich derjenige sein müssen, der die Spuren dessen entdeckte? War ich nicht bereits genug gestraft?
Zu meinem Entsetzen, lag der Schädel noch immer da, keine Einbildung so weit. Auch die Ratte, existierte in der Realität und nicht allein in meiner überreizten Fantasie. Mittlerweile hatte sie sich komplett herausgezwängt. Fett war sie und offenkundig sehr zufrieden mit sich selbst. Aus ihren schwarzen Knopfaugen schaute sie interessiert zu mir hinauf, als wolle sie mir etwas mitteilen.
Mir schauderte. Ich hasse Nagetiere aller Art, insbesondere aber Ratten. Widerliche Biester. Dreckig. Meiner Aufmerksamkeit noch weniger wert, als du es wärst, stündest du jetzt vor mir. Ich fragte mich unweigerlich, warum dieses Vieh überhaupt hier draußen war, worauf mein Hirn direkt eine Erklärung lieferte – woher auch immer es diese hervorkramte; unnützes Ding! Ratten überwintern zwar, halten aber keinen Winterschlaf. Vermutlich befand dieser kleine Geselle sich auf einem der wenigen kurzen Tripps nur Nahrungssuche, für seinen Bau.
Bei näherer Betrachtung des pelzigen Ungetüms, fiel mir etwas auf. Sein Fell glänzte nicht, es war matt und trocken, was es nicht hätte sein dürfen, wenn es sich kurz zuvor durch die Eingeweide eines kleinen Körpers gefressen hatte – mir wurde direkt wieder übel. Meine Augen huschten zurück zu dem Schädel und da brach die Erkenntnis endlich wie ein milder Sommerregen in meinen Verstand ein: Eine Puppe! Ich hatte im Zwielicht der Nacht, fälschlicherweise den abgetrennten, beschädigten Kopf einer verdammten Kinder-Puppe für echt gehalten!
Vor Erleichterung fing ich nervös an zu kichern, was sich schnell in schallendes Gelächter wandelte. Ich kam mir unendlich dumm vor.
Der Zustand hielt nicht lange an, denn die nächste Böe machte mir einmal mehr bewusst, dass ich meine Hände schon längst nicht mehr spürte. Bevor ich mich wieder in mein kuschliges Heim begab, warf ich noch einen letzten Blick auf meinen spitznasigen Kumpanen. Er saß noch immer da, musterte mich, verfolgte mich mit dem tiefen Schwarz, dass seine Sehorgane ausmachte.
Eiseskälte lief mir den Rücken herunter, während ich von dieser winzigen Kreatur beobachtet, zurück in die Finsternis kroch.
Sie sind wieder näher gekommen. Dies missratenen kleinen…
Kommt nur, kommt nur, ich erwarte euch. Glaubt nicht, dass ich so leicht aufgeben würde, oh nein, mich kriegt ihr nicht, hört ihr, mich KRIEGT IHR NICHT!
Trippel, trippel, trippel
Hihihi, dass ist lustig.
Trippel, trippel, FIEP, KREISCH.
Ja schrei nur, SCHREI so laut du willst, sie werden JA DOCH NICHT KOMMEN UM DIR ZU HELFEN. Weil sie GARSTIG sind, oh ja, GARSTIGE kleine BIESTER!
Mein Zahnfleisch blutet. Fühl‘ mich elend. Wie lange bin ich schon hier? Muss hier raus. Brauch was Anständiges. Einer von diesen Joghurt-Dingern, garantiert ohne Gräten… ähm, aus freiem Anbau, oder so. Keine Ahnung.
Will schlafen.
Einfach schlafen.
Mami, hol mich hier raus.
Bitte…
Ignorier die Zeilen hierüber bitte einfach. Ich würde sie ja herausreißen, aber dafür mangelt es mir an Papier.
Also, weiter im Text.
Habe ich übrigens schon erwähnt, dass ich nicht, unter gar keinen Umständen, keineswegs, niemals nicht, verrückt bin? Ja? Gut. Ich tu’s noch mal. Ich bin nicht, ich wiederhole NICHT, verrückt. Klar so weit? Super.
Jetzt aber wirklich.
Weißt du was das Problem ist, wenn du weißt, dass du nicht verrückt bist, dir aber unerklärliche Dinge widerfahren? Nein? Nun, es ist ganz einfach. Die einzig logische Erklärung lautet in diesem, Fall, dass du, der du bei absolut klarem Verstand bist, in eine abnormale, abgedrehte Scheiße gerutscht bist und vermutlich darin ersticken wirst. Ganz recht. Ersticken in Fäkalien. Eklig oder? Glaub mir, es kommt noch wilder.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, den Deckel meines Zuhauses öffnete – dieses Mal ohne Schwierigkeiten – und mich als erstes das grelle Licht der strahlenden Sonne begrüßte, welche das Land zumindest ein wenig erwärmte, stellte ich direkt fest, dass der Sturm sich gelegt hatte. Es war immer noch kalt, keine Frage, aber erträglicher. Deutlich erträglicher. Und dass der Tag bereits angebrochen war, stimmte mich mutig, schon bald aus diesem rattenversuchten Höllenloch zu entkommen. Immerhin – er hatte überlebt – würde im Laufe des Tages schon jemand an dem Häuschen vorbeikommen, wenn schon nicht um seinen Müll rauszubringen, dann doch, um zur Arbeit zu gehen oder anderen Aktivitäten nachzugehen, die ein Verlassen der Wohnung bedingten.
Da meine Zeit und der Platz auf meinen Papieren langsam knapp wird, kürzen wir das hier ein wenig ab, ja?
Ich hab gewartet. Lange. Stunden. Mich immer wieder in meine Tonne zurückgezogen, diese aber nur halb zugemacht, den Blick in alle Richtungen offengehalten. Und was war? Nichts. Rein gar nichts. Niemand. Keine Menschenseele. Nicht einmal ein Anzeichen davon. Als der Morgen sich langsam dem Mittag neigte, habe ich es auf einen erneuten Versuch mit Ruhestörung ankommen lassen. Ich habe gebrüllt, gegen Container gehämmert, mir schwere Objekte aus ihnen gesucht und sie gegen die Gitterstäbe meines Gefängnisses geworfen. Die Reaktion? Stille. Allumfassende, nicht brechbare, ver… – ach scheiß drauf! – verfickte Stille!
Mittlerweile habe ich eine Ahnung, was hier los ist. Nein, zwei Ahnungen. Zwei Ideen, zwei Ansätze, zwei… Eine verrückter als die andere. Aber nicht wie ich, oh nein, ich bin nicht, bin NICHT verrückt.
Dazu später mehr.
Wie es weitergeht, erfahren Sie nach der Werbepause.
Hahaha, ich alter Scherzkeks.
Ok, jetzt aber erns haft.
Shit, der Stift gibt auch lang de G is au
FUCK!
Ok. Neuen Bleistift gefunden, halb zerbrochen, egal. Noch mal Glück gehabt.
Ich sollte langsam zum Punkt kommen, oder? Es geht mit mir zu Ende, selbst wenn diese garstigen Biester mich nicht holen kommen, bin ich erledigt. Habe keine Kraft mehr, aber noch einen Ausweg. Oh ja Baby, Papa geht mit einem Knall von der Bühne.
Vorher aber noch ein paar Dinge. Ein paar viele vielleicht. Mal sehen.
Ich habe den ganzen Tag getobt, geweint, mich in den Schlaf gewiegt, bin wieder ausgerastet, habe mir Prellungen noch und nöcher zugezogen, mich völlig, ganz und gar ausgebrannt. Die Quittung? Irgendwann bekam ich Hunger. Mordsmäßigen. Du kannst dir denken, wohin das führt, und ich will es gar nicht beschönigen. Scheiß auf meinen Ruf, der ist eh im Arsch und interessiert bald keine Sau mehr.
Ich habe die Biotonne geplündert. So, jetzt ist es raus. Ein halb angeknabberter Apfel, war noch das appetitlichste, was ich daraus gefischt habe – er war leicht gammlig und hat den Geruch des restlichen, weit mehr vergangenen Mülls angenommen, aber wenigstens den Magen beruhigt. Im Laufe der nächsten… Zyklen, habe ich diese Tonnen noch häufiger geöffnet. Du kannst dir vorstellen, dass es mit der Zeit immer widerwärtiger wurde.
Brot, dass schon vor Entsorgung schimmlig war? Gut, dass ich was zum Abschaben gefunden habe, um den Pelz wenigstens grob zu entfernen.
Vergammeltes, schon leicht verflüssigtes Fleisch? Hey, irgendwann ist man nicht mehr wählerisch – immerhin, es war Winter und nicht Hochsommer; hätte schlimmer sein können.
Die Krönung war wohl eine völlig abgelatschte Einlegesohle für Schuhe aus Leder, weil der Restmüll nichts brauchbares mehr hergegeben hat. Das Ding hat nicht nur nach Käse gerochen, dass kann ich dir sagen und ich musste verdammt lange darauf kauen, um auch nur ein Stück runterzubekommen. Hat das Grummeln in der Bauchgegend wenigstens ein wenig reduziert, der hat dann allerdings auch ewig damit kämpfen müssen. Ich habe bestimmt eine Stunde oder so in meiner Scheiß-Tonne festgesessen.
Ja, du liest richtig, im Laufe der Zeit habe ich mir einen Container für mein Geschäft freigeräumt. Warum ich nicht einfach in eine Ecke des Müllhäuschens verrichte, fragst du dich? Nun, weil ich seit geraumen Tagen oder Wochen oder keine Ahnung, befürchten muss, dass mir in diesem mehr als schutzlosen Augenblick, plötzlich eine garstige, fette, pelzige Ratte am Sack hängt! Zu viele Details? PECH gehabt!
Scheiße, jetzt flenne ich schon wieder. Dabei habe ich nicht einmal mehr Tränen, die ich vergießen könnte, weil ich total ausgetrocknet bin. Ausgetrocknet und ausgehungert. Weißt du, womit ich mich lange Zeit über Wasser gehalten habe – ha! – mit Niederschlag, der sich in Dellen der Containerdeckeln gesammelt hat. Besser als Müll zu fressen, dass kann ich dir versichern.
Oh, und falls es noch nicht klar geworden sein sollte – ich weiß, ich schreibe mittlerweile etwas wirr, fällt mir schwer, mich zu konzentrahieren; hehe – ja, ich verbringe bereits, keine Ahnung, ein paar Jahre in diesem versifften Müllhäuschen? Die Sonne ist verdammt häufig über mir auf- und niedergegangen, das Einzige was sich nicht geändert hat, ist die Jahreszeit. Es ist immer noch – nuklearer? Upps, ein frühzeitiger Hinweis auf eine meiner drei (oder waren es zwei?) Vermutungen, hihi – Winter.
Bevor wir aber zu dem Grund für mein Hier-Eingesperrt-Sein kommen – göttliche Intervention? Nummer vier! Nein, es sind die Dominosteine, garantiert sind es diese schwarz-weißen, kleinen Steinchen, in Reih und Glied, jaja –, noch etwas anderes. Ich will dir von meinen Mitbewohnern erzählen. Bruder Ratte. Und Schwester Ratte. Und Mama Ratte. Und Papa Ratte. Und… ach du weißt schon. Es sind Ratten, ok? Kleine, braune, pelzige Dinger, mit süßen kleinen Näschen, pechschwarzen Äuglein. Neugierig, verspielt, mörderisch, niedlich, hassenswert, intelligent – scheiße intelligent – und eine reichhaltige – Streitpunkt! – Nahrungsquelle.
Ich empfehle sie mit Ketchup. Alles schmeckt besser mit Ketchup. Hab‘ leider keinen hier. Auch keinen Senf. Ranzige Remoulade, aber die ist alle.
Sie sind überall. Nein ernsthaft, sie sind ÜBERALL. Ein ganzer Teppich von ihnen, bewegt sich wie ein wogendes Meer, als riesiges Kollektiv, genau vor meiner Haustür – also der gitternen, nicht der kunststoffenen… Du weißt schon. Ich schreibe nur noch Bullshit, oder? Egal. Lies‘ einfach weiter. Tu es. Mir zuliebe.
Erst war es nur eine – eine wie alle! Du erinnerst dich? Die aus dem Baby-Schädel. Bin mir mittlerweile nicht mehr sicher, ob es wirklich nur eine Puppe war… Sie ist dort geblieben. Hat mich unentwegt beobachtet. Ist mir erst gar nicht aufgefallen, als es dann aber so weit war. Tja, man, ich kann dir verklickern, die hat mir eine Scheiß-Angst eingejagt. Fixierte mich unablässig mit ihren schwarzen Kieselsteinen. Was sollte ich denn machen? Ich hatte Hunger. Solchen Hunger. Und die Tonnen waren langsam leer und der Gestank nicht mehr zu ertragen. Also meiner. Ich rieche wie eine Tonne. Ich bin Müll. Weniger als Müll.
Ich bin der Müll-Gott!
Jedenfalls habe ich das Biest angelockt. Keine Ahnung mehr, womit. Vielleicht mit einem Sack? Hah! Hab ihr eins übergebraten. Sie hat noch gezuckt, als ich meine Zähne in ihr Fleisch geschlagen habe. Widerwärtig. Dreckig. Aber sättigend. Mit einem Minzblatt vielleicht…
War ein Fehler. Hat die ganze Sippschaft auf den Plan gerufen. Ab und zu schnappe ich mir noch eine von ihnen. Was bleibt mir auch anderes? Aber sie sind immer da, starren mich an, warten, warten auf den richtigen Moment. Nachts klopfen sie gegen meinen Container. Laufen auf dem Deckel hin und her. Trippel, trippel, trippel. Und schmieden Pläne mit ihren grellen Stimmchen. Fiep, fiep, fiep. Sie wollen mich herauslocken, aber das können sie vergessen. Nicht nachts, nachts sind sie mächtig, nachts sind sie göttlich und ich nur der dumme Idiot, die personifizierte Nichtigkeit, die Müll produziert und diesen rausbringen muss.
Tagsüber aber, oh ja, tagsüber da können sie mir nichts. Das Licht gehört MIR. MIR ALLEIN! Ich stehe darin, glänze darin, ERSTRAHLE darin!
Ich werde sie mit meinem Licht vernichten, wartet’s nur ab…
Ihr seid neidisch. Allesamt Neider, die mich fallen sehen wollen. Den Stern. Ihr wollt ihn vom Himmel herunterreißen, ihn seines Firmaments berauben!
Oder ihr seid tot und wenn ihr tot sein, dann weil die Ratten euch gefressen haben. Oder weil ihr verbrannt seid, in atomarem Feuer.
Vielleicht sind es doch die Dominosteine… nein, das ist Unsinn. Es sei denn. Ja, der Plan, der Plan einen Gott zu stürzen, MICH zu stürzen! Ihr habt das hier gelesen, oder? Ich habe euch die Vorlage gegeben und ihr habt es umgesetzt! Habt mich in eine Falle gelockt, in MEINE Falle.
Aber ich sage euch was. Die Ratten. Jaja, die Ratten, sie sind mein Geschenk an euch, schön verpackt, mit einem Schleifchen drum. Sie haben euch gefressen, euch allesamt. Vertilgt haben sie euch, Hautfetzen für Hautfetzen, Fleischstück für Fleischstück und Knochensplitter für Knochensplitter. Und jetzt bin ich allein, alleiniger Herrscher, alleiniger Mensch auf Erden und verspeise die Ratten, die zuvor euch vernichtet haben. Betreibe ich damit indirekten Kannibalismus? Uh, das gefällt mir. Ich fresse die Menschheit und scheiße sie in eine Tonne, weil ich GOTT bin!
Alles was ich je wollte, war zu schreiben. Ich wusste schon immer, dass ich ein Talent dafür habe, keine Gabe, keine Allmacht vielleicht, aber Talent. Die Autoren-Ader hat stets in mir pulsiert. Bevor sie jedoch zutage gefördert werden konnte, habe ich alles bekommen, was man sich wünschen kann. Was du dir wünschst. Was jeder sich wünscht. Es ist ein sinnloses Wünschen. Es macht nicht glücklich. Es zwingt nur auf.
Berühmtheit ist zum Kotzen. Mir ist zum Kotzen. Mir ist übel vor Hunger.
Es ist traurig. Das einzige Werk, dass ich je zu Papier gebracht habe, wird mein Abschiedsbrief sein. Es hat so gut angefangen, nicht meisterhaft, aber gut, oder? Bitte sag‘ mir, dass es gut war. Vergiss das Ende, verbrenn es, lösch es aus, behalte mich als fähigen Autor in Erinnerung. Als jemandem mit Potenzial. Das wäre schön. Es wäre etwas von WERT.
Es ist traurig. Ich bin nur einer wie alle. Kein Stern, kein strahlendes Licht. Nur einer wie alle. Ein Niemand, mit Träumen und Wahnvorstellungen.
Es ist wahrhaft traurig, dass der Mensch zu Lebzeiten dazu verdammt ist, nicht zu erkennen, dass all sein Streben zu Höherem, nicht nur zum Scheitern verurteilt, sondern auch völlig sinnlos ist. Hätte ich mich doch nur mit dem begnügt, was ich hatte – Talent – statt nach dem zu greifen, nach dem jeder eifert – Ruhm, Anerkennung, Macht… Geld.
Es ist traurig.
Und übrigens: Ich bin nicht verrückt. Nicht allein zumindest. Wir alle sind es.
Ich werde jetzt gehen. Für immer. Auf wiedersehen, schöne, tote, nagerversuchte Welt.
Ich bin vielleicht nicht in atomaren Feuer untergegangen, genauso wenig wie die Ratten, aber wir werden trotzdem brennen. In der Hölle. Mein neues Zuhause. Ein Knall. Yeah Baby.
Pappe ist guter Zunder. Schön trocken. Habe irgendwie Brandverstärker und ein funktionierendes Feuerzeug aufgetrieben. Werde die Tür nachts offen lassen. Sie einladen. Kommt nur, kommt nur. Trippel, trippel. Fiep, fiep. Ihr werdet kreischen, für mich, für euren GOTT.
Götter können nicht brennen. Götter sterben niemals wirklich.
Es ist nicht tot, was ewig liegt.
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Bis zum nächsten Mal.
Euer Müll-Gott