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Tanz der Götter – Geburt

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Kapitel 1

2018 im Dorf Toshima auf der vulkanischen Insel Toshima. 

[[Datei:Ares_kampf_insta.png|thumb|Tanz der Götter
-Ares-]]

Es war März und ein Großteil der Insel war von den Kamelienblumen rot gefärbt. Da 80 Prozent der Insel von Kamelienwälder bedeckt sind, war diese in ein schönes Rot getaucht. 341 Menschen lebten in Toshima, dem gleichnamigen Dorf. Bis vor einigen Jahren zumindest. Jetzt hatte Toshima eine Einwohnerzahl von 343. Es war warm und es roch nach Fisch. Es roch stets nach Fisch. Valeria streckte sich und hörte ihre Rückenwirbel knacken. Sie musste eingenickt sein. Sich die Augen reibend lief sie aus dem Zimmer und fand die Großmutter im Wohnbereich bei einer warmen Tasse Tee. Als die alte Dame Valeria bemerkte, bot sie ihr sogleich eine Tasse an. Valeria bedankte sich und gesellte sich zu ihr.

„Großmutter, weißt du wo Ares ist?“, fragte Valeria, als die Dame ihr eine Tasse reichte. Ihre Hände zitterten. Sie nahm sie ihr ab und nickte dankend. 

„Der Junge ist fischen gegangen“, antwortete die alte Frau sanft. Ihre Stimme klang ebenfalls zittrig und schwach.

„Ach so.“ Valeria nippte an ihrer Tasse. Die gebrechlich wirkende Dame stand auf und ging zu einer Kommode. Aus einer Schublade nahm sie einen schön gearbeiteten Kamm und mit diesem in der Hand steuerte sie auf Valeria zu.

Deine Haare sind schon wieder so zerzaust“, kicherte sie. Valeria lächelte ihr zu. Die kleine, schwache Dame stellte sich hinter Valeria und begann ihr wunderschönes, schulterlanges und schneeweißes Haar zu kämmen. Behutsam führte sie den Kamm.

„Ihr werdet sicherlich irgendwann wieder aufbrechen, du und dein Freund.“ Ihre Stimme klang traurig, als sei sie den Tränen nahe. Valerias Griff um die Tasse verstärkte sich. Ihr Lächeln verschwand und ihre eisblauen Augen starrten ins Nichts.

Sie wusste es. Tief in ihrem Herzen wusste sie, dass der Tag kommen würde, an dem sie weiterziehen mussten. Eigentlich verweilten sie bereits zu lange an diesem Ort. Ihr war bewusst, dass Ares ebenso dachte, nur sprach er es nicht an. Valeria gewöhnte sich bereits an dieses Leben, an die Menschen in diesem Dorf.

„Ich möchte wirklich nicht gehen, aber ich muss“, flüsterte sie und eine einzelne Träne rann über ihre Wange.

„Da hast du aber einen riesigen Fisch gefangen, Ares“, lobte Valeria ihn, als er mit seinem Fang durch die Tür kam. Ares war einen Kopf größer als sie, hatte wunderschöne schwarze Haare, die an den Seiten sehr lang waren, aber dadurch sein symmetrisches Gesicht hervorhoben. Er war muskulös und sein Körper war der eines Zweiundzwanzigjährigen. Jedoch nur äußerlich, denn genau wie Valeria wuchs er nicht mehr, er alterte auch nicht mehr.

Valeria hatte den Körperbau einer Zwanzigjährigen. Er überlegte kurz, wie lange schon, gab aber schnell auf. Sein rechtes Auge war blutrot, das linke smaragdgrün. Das war nicht immer so. Es gab eine Zeit, eine längst vergangene und verblasste Zeit, da war er ein normaler Mensch.

„Ja“, antwortete er kurz und knapp, als er den Fisch ablegte. Er krempelte die Ärmel seines Langarmshirts hoch und begann den Fisch auszunehmen. Er musste bald mit ihr reden. Wie lange wollten sie noch hier bleiben? Sie wusste doch ganz genau, dass sie die Menschen damit in Gefahr bringen würde. Aber das war eben Valeria. Vermutlich dachte sie, dass, wenn etwas passieren würde, sie die Menschen beschützen könnte. Und er war auch noch da. Er war immer da, stets an ihrer Seite. Bis in alle Ewigkeit. Das hatte er sich selbst vor langer Zeit geschworen.

„Das sieht wirklich köstlich aus, Ares, aber der Fisch reicht doch nicht für uns drei“, sagte die alte Dame mit einem Lächeln. Ares schüttelte nur den Kopf.

„Kaede-San. Sie wissen doch, dass wir nicht essen müssen“, stimmte Valeria mit ein. Kaede nickte traurig.

„Ich wusste von dem Tag an, als ich euch beide vor meinem bescheidenen Häuschen liegen sah, dass ihr anders seid.“ Kaede legte ihre vom Alter gezeichnete Hand auf Valerias.

„Ich wusste, dass ihr etwas Besonderes seid. Euch hat mir der Himmel geschickt. Und ich bin überaus dankbar, euch begegnet zu sein. Über die Jahre seid ihr für mich zu meinen Kindern geworden.“ Sie weinte, als sie die letzten Worte aussprach. Es waren Worte des Abschieds.

Es war still. Alles schlief. Valeria lag auf ihrem Futon, das Gesicht im Kopfkissen vergraben. Ares saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Er beobachtete sie. Sein Mund öffnete sich, er wollte etwas sagen, entschied sich dann doch dagegen. Er seufzte leise.

„Ich weiß“, flüsterte ihm Valeria zu.

“Morgen“, antwortete er lediglich. Sie nickte nur. Er atmete geräuschvoll aus, stand auf und setzte sich neben sie.

„Wir sind jetzt schon seit acht Jahren hier.“ Sie reagierte nicht. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis…“

„Ich weiß“, unterbrach sie ihn. Den Kopf weiterhin im Kissen vergraben. Er streckte zögernd seine Hand nach ihr aus. Er wollte ihr über den Kopf streicheln, ihr sagen, dass er sie niemals verlassen würde, doch er tat es nicht. Er zog seine Hand wieder zurück, als sie zu ihm aufsah.

„Ich werde mein Leben nicht mit einem Wolf im Nacken fristen.“ Entschlossen war ihr Blick und entschlossen die Worte, die sie sprach.

Am selben Abend 

Er verspürte den Hunger, seit er mit der Fähre übergesetzt war. Dieser Hunger. Was zum Teufel hatten sie mit ihm gemacht? Egal, was er aß, egal, wie viel er aß, es füllte in keiner Weise seinen Magen. Der Hafen von Toshima lag ruhig, einzig das rauschende Wasser durchbrach die Stille.

„Was ist es?!“, schrie er verzweifelt. „Was fehlt mir?“ Der Typ hatte irgendetwas mit ihm angestellt. Er war sich sicher. Seine Hände zitterten unkontrolliert.

„Okay, okay, denk nach. Nachdenken, nachdenken“, wiederholte er, während er seine Hände gegen seinen Schädel schlug.

„Ich war bei dieser scheiß Veranstaltung, dann kam der Typ zu mir. Wir unterhielten uns. Unterhielten uns, worüber nochmal? Argh! Fuck!“, schrie er erneut und schlug sich gegen die Stirn. Er hatte solchen Hunger.

„Ich muss essen. Dann wird es mir bestimmt besser gehen. Aber was essen? Was nur? Nichts hilft.“ Verzweifelt zwang er sich wieder auf die Beine. Er hörte Stimmen in der Ferne, doch noch bevor er die Stimmen hörte, roch er ihr Blut.

Seine Unterlippe zitterte. Seine blutunterlaufenen grünen Augen weiteten sich, seine Atmung beschleunigte sich. Das war es. Das war, was er brauchte. Er strauchelte in die Richtung, aus der er die Stimmen vernahm. Auf der Straße kamen ihm zwei ältere Herrschaften entgegen. Fischer. Ihre Ausrüstung bei sich tragend. Er torkelte, fiel hin, rappelte sich wieder auf und torkelte wie eine Schnapsleiche auf die Männer zu. Vor ihren Füßen fiel er wieder hin. Die Männer erschraken, wollten ihm helfen. Beide legten ihre Ausrüstung ab und beugten sich zu ihm runter.

„Hey? Alles in Ordnung mit dir, junger Freund?“, fragte der kleinere Mann mit besorgter Stimme. Der Größere hielt ein wenig Sicherheitsabstand. Der junge Mann mit den zotteligen, roten Haaren, der unnatürlich blassen Haut und der zerschlissenen Kleidung kam ihm sehr suspekt vor. Noch dazu hatte er ihn noch nie zuvor im Dorf gesehen. Ein Tourist? Die Schultern des rothaarigen Mannes zuckten wild. Lachte er? Langsam hob der Rotschopf den Kopf und blickte grinsend in das verstörte Gesicht vor sich. Während der kleinere von beiden in die wahnsinnigen Augen und das wahnsinnige Grinsen starrte, ergriff der andere sofort die Flucht. Das Grinsen wurde immer breiter, die Augen immer größer, bis sie schließlich aus ihren Augenhöhlen platzten und sich ein roter Riss vom Scheitel bis zum Hals des jungen Mannes zog. Der Dorfbewohner zitterte am ganzen Leib. Er wollte rennen, doch war unfähig, seinen Körper bei diesem Anblick zu bewegen. Er starrte lediglich auf das, was sich vor ihm abspielte. Der Riss wurde tiefer und mit einem reißenden Geräusch teilte sich das Gesicht des Mannes in zwei Hälften und es riss immer mehr, immer mehr von seinem Körper zerfetzte und offenbarte etwas anderes, etwas, das sich kämpfend aus dem ursprünglichen Körper schälte. Der Bewohner ging auf die Knie und betete.

„Sieh mich an!“, dröhnte eine unmenschliche Stimme. Der Mann konnte nicht, er konnte es einfach nicht.

„Sieh mich an!“, ertönte die Stimme erneut.

Der geflohene Dorfbewohner rannte, er rannte, so schnell er konnte, zurück ins Dorf. Er sah bereits die ersten Häuser, als ein schmerzerfüllter, qualvoll klingender Schrei in seinen Verstand drang. Das war die Stimme seines Freundes. Er rannte schneller, stolperte und fiel schmerzhaft zu Boden. Der Schotter schürfte etwas von seiner Haut ab und kleine Kieselsteinchen hatten sich in seine Handflächen gebohrt. Egal, aufstehen und weiterlaufen, und zwar so schnell wie möglich.

Gerade als er wieder auf die Beine kam, spürte er eine Präsenz. Dann folgten Schritte auf dem Schotterweg, sie wurden lauter, kamen näher. Jemand näherte sich ihm von hinten. Seine Gedanken rasten, seine Knie zitterten stark, er wusste, wenn das so weiterging, würden sie komplett nachgeben. Als er den Mut aufbrachte, sich umzudrehen, sah er… nichts. Dort war niemand und auch die Schritte waren verstummt. Als sein Verstand wieder zu arbeiten begann, drehte er sich zum Dorf und stürmte darauf zu, aber er kam nur einen halben Schritt weit. Er prallte sofort mit jemandem zusammen. Jemandem, der bis vor wenigen Sekunden noch nicht dort stand. Der Zusammenprall war stark und stieß ihn ab, sodass er rücklings zu Boden fiel. Verängstigt sah er auf und erblickte den ausgeweideten Körper seines Freundes vor sich. Der rechte Arm seines Freundes bewegte sich in einer begrüßenden Geste in die Höhe. Erst jetzt bemerkte der Mann, dass etwas hinter dem geschundenen Körper stand und diesen wie eine Marionette steuerte.

Sein Gesicht war vor Entsetzen verzerrt, Tränen rannen ihm über die Wangen. Das Adrenalin pumpte durch seinen Körper. Erneut sprang er auf die Füße, bereit vor dem, was auch immer dort war, davonzulaufen. Als er sich umdrehte, hörte er, wie der Körper fallen gelassen wurde und mit einem abscheulichen Geräusch aufkam. Er wagte es nicht, sich noch einmal umzudrehen. Er musste es auch nicht, denn er wusste, dass sein Mörder nicht länger dort stand. Er würde sich jetzt ihn holen. Der Gedanke durchlief seinen Verstand in einer Endlosschleife.

Ein plötzlicher scharfer Schmerz durchfuhr sein rechtes Bein und er fiel mit einem Aufschrei zu Boden. Noch bevor er sein Bein überprüfen konnte, spürte er einen zweiten stechenden Schmerz in seiner linken Hand. Als er diese betrachtete, sah er, dass sich drei schwarze, mit Blut überzogene Finger durch diese bohrten und seine Hand somit an Ort und Stelle fixierten. Es dauerte einige Sekunden, bis er realisierte, was gerade geschah, dann kroch der Schmerz unerbittlich seinen Arm hinauf und er schrie aus voller Kehle.

Ein gedämpfter Schrei hallte wider. Ares schrak hoch. Angestrengt lauschte er, doch alles schien ruhig und normal zu sein. Mit leisen Schritten ging er zum einzigen Fenster im Raum und sah hindurch. Nichts Ungewöhnliches zu sehen, dachte er und wand sich wieder ab. Er sah zu Valeria. Sie schlief seelenruhig. Aus dem Flur hörte er, wie sich eine Tür öffnete und kurz darauf wieder geschlossen wurde. Hatte Kaede-San das Haus verlassen? Ares öffnete die Tür zum Flur einen Spalt und lugte hinaus. Er warf Valeria erneut einen Blick zu, als wolle er sichergehen, dass sie in Sicherheit war und betrat dann den dunklen Flur. Er schloss die Tür hinter sich und steuerte auf die Eingangstür zu. Er streckte seine Hand nach dem Türgriff aus. Als seine Finger das kalte Metall berührten, hielt er plötzlich inne. Was war das eben für ein Geräusch? Er presste ein Ohr gegen die Holztür und horchte. Nein, das Geräusch kam nicht von außerhalb des Hauses. Es klang nach einem gedämpften Kratzen. Sofort machte er kehrt und lief schnellen Schrittes zu Valeria zurück. Wenn es hier eine Bedrohung gab, musste er schnellstmöglich zu ihr zurück. Sie war alles, was zählte, selbst wenn es ein Fehlalarm wäre. Ihr Leben zu schützen, sie bis in den Tod zu verteidigen, hatte für ihn oberste Priorität. Alle anderen waren für ihn nicht von Bedeutung, auch wenn das hart klang, es entsprach der Wahrheit und er machte auch kein Geheimnis daraus.

Laut schob er die Tür auf und sah nach ihr. Sie lag noch immer schlafend in ihrem Futon. Er lief zu ihr rüber.

„Valeria, wach auf!“, äußerte er in einer normalen Lautstärke. Als sie dies nicht weckte, hockte er sich vor sie und rüttelte behutsam an ihren Schultern.

„Wach auf!“, wiederholte er, und als sich ihre Augen öffneten, sah sie ihn schlaftrunken an.

„Was ist denn los?“, wisperte sie ganz verschlafen. Sie rieb sich mit den Handballen über beide Augen.

„Ich habe ein ungutes Gefühl. Ich glaube etwas stimmt nicht“, antwortete er und blieb dabei völlig ruhig. Die leichte Benommenheit des Schlafes verschwand und sie sah ihn mit ernstem Gesichtsausdruck an. Wenn Ares das Gefühl hatte, dass etwas falsch war, lag er in neun von zehn Fällen richtig. Sie vertraute seiner Intuition. Und sie vertraute auch ihm, uneingeschränkt, blind.

„Kaede-San?“, erkundigte sie sich erschrocken.

„Ich weiß es nicht. Ich glaube, sie hat das Haus verlassen“, gab er zurück, stand auf und lief zu ihrer sorgsam gefalteten Kleidung. Er hob diese auf und reichte sie Valeria, die sich aufgerichtet hatte.

„Zieh dich bitte um!“, bat er sie und erhob sich augenblicklich wieder. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, begann Valeria sofort damit, sich ihrer Kleidung zu entledigen. Ein wenig überrumpelt und peinlich berührt, drehte er ihr sofort den Rücken zu. Sie hätte zumindest warten können, bis er den Raum verlassen hatte, dachte er, während er durch die Tür zurück in den Flur schritt. Als was sah sie ihn? Ob Mensch oder nicht, so war er noch immer ein Mann und nun… Das gehörte sich einfach nicht. Er seufzte. Wie konnte er jetzt solche Gedanken haben? Das war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt. Seine Gedanken brachen ab, als Valeria zu ihm in den Flur trat.

Sie trug ihre lange, dunkle Röhrenjeans und die schwarzen Stiefelletten, einen grauen, relativ dünnen Langarmpulli und darüber einen längeren, schwarzen Kapuzenponcho. In dieser Montur würde sie nicht direkt auffallen. Als sie vor acht Jahren vor ihrem Haus zusammenbrachen, war die Kleidung der beiden völlig hinüber. Kaede hatte immer wieder neue Kleidung für die beiden gekauft. Das war für die alte Frau völlig selbstverständlich, obwohl sie nie viel Geld besaß. Manchmal gingen sie auch zusammen in die Stadt. Valeria hatte einmal ein Outfit für Ares zusammengestellt. Er gab es nicht zu, aber er mochte es sehr und er trug die Sachen, die sie für ihn auswählte, sehr oft. Er trug das schlichte, schwarze, figurbetonte Langarmshirt mit Kapuze und dem goldenen Reißverschluss in der Mitte, darüber den blau-gelben Hoodie mit dem Schrägzipper-Design und dem asymmetrischen Kragen, die helle Jeans mit dem gewollt zerrissenen Look am rechten Oberschenkel und die blauen, einfachen Low-Sneakers. Aus Dankbarkeit begannen Ares und Valeria ihre Schuld bei ihr abzuarbeiten. Doch jetzt mussten sie fort. Sie mussten gehen und nahmen nur mit sich, was sie am Leibe trugen. Ares nahm Valeria an die Hand und zusammen verließen sie das Haus. Valeria fiel auf, dass Kaedes Schuhe nicht vor dem Eingang standen. Also hatte sie wirklich das Haus verlassen?

„Was ist mit Kaede-San?“, fragte sie ihn. Er gab ihr keine Antwort. Als sie bemerkte, dass sie in Richtung des Hafens liefen, riss sie sich von ihm los. Verwundert sah er sie an.

„Ich gehe nicht. Nicht bevor ich mich vergewissert habe, dass es Kaede gut geht“, sagte sie in einem ernsten Tonfall. Er sah ihr einige Sekunden lang in die Augen und nickte schließlich zustimmend. Gemeinsam machten sie kehrt, doch stoppten abrupt, als sie einen wilden, lauten Schrei vernahmen. Das klang nicht nach einem Menschen, dachte Ares. Valeria sah sich um. In keinem Haus brannte Licht, niemand war auf den Straßen und dann bemerkte sie eine Spur auf dem Boden. Sie zog sich vom benachbarten Haus die Straße entlang, bis sie plötzlich endete. Sie näherte sich der Spur und untersuchte diese. Valeria brauchte die dunkle Spur nicht zu berühren, sie wusste, dass es Blut war, sie konnte es riechen. Etwas schoss plötzlich an ihr vorbei und streifte dabei ihre linke Wange. Der kleine Schnitt, der dabei entstand, blutete, doch die Wunde schloss sich augenblicklich von selbst. Ares hechtete zu ihr und wie ein Schild bäumte er sich vor sie auf. Sie spürte seinen Zorn.

„Komm raus! Sofort!“, forderte er den unsichtbaren Gegner auf. Ein verzerrt klingendes, heiseres Gelächter ertönte und eine Gestalt, welche sich in den Schatten der Häuser verbarg, offenbarte sich ihnen.

„Wer seid ihr denn?“, kicherte die Gestalt, während sie in den Lichtkegel der Straßenlaterne trat. Valerias Augen weiteten sich.

„Was ist das?“, flüsterte sie Ares zu, dieser schüttelte nur mit dem Kopf. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Noch nie bekämpft.

Vor ihnen stand eine wahre Abscheulichkeit. Das Wesen war etwas größer als Ares selbst. Es sah aus wie ein Mann, sein roter Schopf war zerzaust und Strähnen standen in sämtlichen Richtungen ab. Seine Arme und Finger waren länger als die eines Menschen und auch die Haut, die über und über mit Blut bedeckt war, war mit schwarzen, pulsierenden Adern überzogen. Es trug nichts weiter als eine zerrissene Hose, welche ebenfalls in Blut getränkt war. Blanke Reißzähne blitzten hervor. Das Gesicht wirkte wie ein Totenschädel mit roten Haaren. Es hatte keine Nase, das Lippenfleisch war verschwunden und aus den großen, schwarzen Augenhöhlen funkelten sie zwei Punkte an, ähnlich wie die Augen einer Katze bei Nacht. Als müsse es etwas beweisen, fuhr das Wesen lange, scharfe und pechschwarze Krallen aus seinen Fingerkuppen. Ares blinzelte nicht einmal. Er stand regungslos und gelassen vor Valeria.

„Hätte ich gewusst, dass es so geil werden würde, hätte ich es schon viel eher getan“, sprach das Wesen amüsiert.

Valeria trat vor Ares, die Hände zu Fäusten geballt. Jede Faser ihres Körpers war angespannt.

„Was hast du getan? Was bist du?“, fragte sie es. Ihre Stimme klang angsteinflößend. Das Wesen lachte.

„Oh Junge, was bist du denn für eine Schönheit?“

„Antworte!“, sagte sie bedrohlich. Das Wesen verbeugte sich kurz, dann sah es Valeria wieder an.

„Mein Name ist Vincent. Ich bin, nein, ich war mal ein Mensch.“ Vincent kam einige Schritte auf sie zu. Ares schritt ebenfalls auf es zu. Das ließ Vincent innehalten.

„Und du bist dann wohl ihr Stecher?“, lachte Vincent höhnisch. Valerias Zorn wuchs. Sie lief unbeirrt auf Vincent zu, der noch immer lachte. Sie blieb mit wenigen Zentimetern Abstand vor ihm stehen und strich mit ihrem Zeigefinger über seine Brust. Sie betrachtete das Blut. Vincent grinste.

„Bist wohl eine von der Sorte, die ohne langes Fackeln rangeht, was?“, zischte er belustigt. Sie hielt ihm ihren Finger entgegen.

„Ich will wissen, wessen Blut das ist“, forderte sie. Sie kannten die Antwort, Ares und sie, doch es musste sein. Sie musste es von ihm hören. Vincent beugte sich zu ihr hinunter und sein Gesicht näherte sich ihrem, so lange, bis sie sich beinahe berührten. Sie roch seinen faulen Atem. Diese Situation zwang Ares in seine Kampfhaltung. Er würde nicht zulassen, dass dieses Ding Valeria auch nur berührte.

„Du bist ganz schön mutig, meine Hübsche. Wollen wir doch mal sehen, ob du immer noch so mutig bist, nachdem ich dir deine schöne, weiche Haut vom Gesicht geschält habe“, sprach er ruhig und setzte mit seiner rechten Pranke zu einem schnellen und tödlichen Angriff an. Valeria wich diesem mit einer natürlich wirkenden Leichtigkeit aus. Dabei hielt sie den Blickkontakt aufrecht. Ein faszinierter Laut entwich ihm.

„Sieh mal einer an. Die Schlampe hat nicht nur die große Klappe“, lachte er.

„Ihr seid also auch keine Menschen, nehme ich an?“ Valeria hielt ihm lediglich ihren blutverschmierten Finger entgegen. Ihr Blick sprach Bände. Vincent lachte lauthals. Das Gelächter hallte durch die Straßen. Doch dann blieb es ihm im Halse stecken, als ein lauter Schlag dem wahnsinnigen Lachen ein Ende setzte. Ares‘ Faust bohrte sich in seine Magengrube. Sie war nicht einmal mehr zu sehen. Vincent spuckte Blut. Als sein Blut den Boden berührte, kristallisierte es sofort und kleine, rote Splitter schimmerten im Licht. Valeria betrachtete diese ungläubig. Ares zog seine Faust aus dem Magen der Abscheulichkeit und Vincent hielt sich augenblicklich die schmerzende Stelle, während er zurückwich.

„Was bist du?!“, schrie Valeria aufgebracht. Vincent hustete stark und spuckte noch mehr Blut aus. Dann begann er wieder zu lachen, erst leise, dann immer lauter werdend. Plötzlich hob er seinen Kopf und starrte mit einem wahnsinnigen Blick Ares an.

„Ich reiße dir deine scheiß Eingeweide aus dem Körper, werde sie fressen und dich blutleer trinken, du Wichser! So, wie ich es mit diesen Dorftölpeln getan habe!“, brüllte er und stürzte sich wie ein Raubtier auf Ares, ohne Valeria zu beachten. Ares hob schützend seinen rechten Arm, in den sich Vincent sofort verbiss. Ein kurzer Schmerzensschrei entfuhr seinen Lippen. Er hörte und spürte, wie Vincent seinen Knochen durchbiss. Blut floss aus der Wunde und bedeckte seinen Arm. Mit seinem gesunden Arm versuchte er Vincent auf Abstand zu halten. Eine seiner Pranken schnellte auf Ares‘ Kehle zu, packte diese und schnürte ihm die Luft ab. Valeria rannte zu ihm, stoppte aber, als sie ihn grinsen sah. Auch Vincent, der noch immer nicht von seinem Arm abließ, war sichtlich verwirrt.

Im nächsten Moment kristallisierte das Blut auf Ares‘ Arm und überzog diesen samt Hand mit vielen spitzen, stumpfen, kleinen und großen kristallähnlichen harten Steinen. Einer der roten Steine durchbohrte Vincents Gaumen und ließ ihn zurückschrecken. Erschrocken ließ er von Ares ab. Dieser atmete tief durch, als sich die Pranke von seiner Kehle löste. Ares drehte entspannt seinen Kopf, überdehnte die Bänder im Halswirbelbereich und ließ es damit laut knacken. Der rote Abdruck auf seiner Kehle verschwand spurlos. Er hob seinen kristallisierten, blutroten rechten Arm und drehte ihn hin und her, als würde er ihn Vincent präsentieren.

„Sprachlos?“, fragte Valeria Vincent spöttisch, als sie seinen entgeisterten Gesichtsausdruck sah. Das war er wohl. Sprachlos.

„Was du eben gesagt hast…“, begann Valeria, als sie langsam auf ihn zuschritt. Vincent fasste sich, sah sie an, doch bewegte sich nicht vom Fleck.

„…dass du diese Dorfbewohner getötet hast. Dass du ihr Fleisch gefressen und ihr Blut getrunken hast.“ Sie blieb vor ihm stehen, krempelte den rechten Ärmel hoch, streckte ihren Arm zur Seite aus und ballte die Hand zur Faust. Vincent, noch immer stumm, sah sie nur an.

„Wirst du bitter bereuen. Ich werde dich in der Hälfte zerteilen, dir den Kopf abschlagen und zuletzt dein Herz herausreißen. Und das Beste daran ist, wie du sicherlich selbst festgestellt hast, dass du all die damit verbundenen Schmerzen spüren wirst, selbst wenn sich deine Wunden regenerieren sollten.“ Als sie ihren Satz beendet hatte, sah sie ihn verächtlich und mit einem bedrohlichen Funkeln in den Augen an. Den Arm noch immer ausgestreckt. Dann öffnete sie ihre Faust und grinste ihn an.

„Werde Zeuge MEINER Geburt!“, sagte sie mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. Es folgte ein Anblick, der Vincent bis ins Mark erschüttern sollte. Ein langer, tiefer und roter Riss entstand in der Mitte ihrer Handfläche und zog sich bis zum Unterarm. Ein reißendes Geräusch teilte den Arm sowie die Hand in zwei Hälften. Blut spritzte, ergoss sich über den Boden. Während der gesamten Zeit blieb Valeria ruhig, Vincent fortwährend angrinsend. Etwas Spitzes, Rotes presste sich aus der halbierten Hand. Weiter, immer mehr kam zum Vorschein. Langsam erkannte Vincent das Objekt als eine blutrote, durchscheinende Klinge. Das Blut bildete langsam mehrere Pfützen, in die immer mehr Blut heruntertropfte. Als man die Klinge als solche erkannte, schloss sich der Riss am Unterarm. Die Risse schlossen sich letztlich komplett, als die Klinge vollständig geboren wurde. Alles an diesem Schwert war blutrot und der Knauf war, wie bei Ares‘ Arm, kristallisiert. Das Blut unterhalb des Griffes kristallisierte sich ebenfalls, bis sich ein massiv wirkendes, rotes Steingebilde ergab. Die Steine glänzten wie wunderschöne Rubine. Sie umfasste den Griff fest und stieß die Klinge in den Boden.

„Ich weiß ja nicht, was du für einer bist, aber du wirst bemerkt haben, dass wir uns stark unterscheiden, oder?“, sagte sie ihm zuzwinkernd. Vincent wich einen Schritt zurück. Stumm starrte er das Schwert an. Plötzlich eine Kehrtwende, Vincent ergriff die Flucht. Er sprang in die Höhe, wurde aber augenblicklich seitlich von Ares attackiert. Ares versetzte ihm mit seiner rechten Faust einen harten Schlag, der Vincent mit enormer Geschwindigkeit durch Kaedes Haus krachen ließ. Ziegel flogen, Holz splitterte, die Front des Hauses stürzte in sich zusammen. Nachdem Vincent die letzte Wand durchbrochen hatte, landete er regungslos im Garten.

„Ares!“, begann Valeria als sie ihr Schwert aus dem Boden zog. Er erwartete ihre Befehle.

„Ich möchte, dass du nach Kaede-San und Überlebenden suchst. Bring sie in Sicherheit! Am besten zum Hafen. Beschütze sie!“, erklärte sie und lief in Richtung des zerstörten Gebäudes, ohne eine Antwort abzuwarten. Schweigend sah er ihr kurz nach und tat dann, wie ihm befohlen wurde.

Glas splitterte unter ihren Sohlen, als sie um das Haus herum zum Garten lief. Als sie um die Ecke bog, sah sie Vincent noch immer regungslos in Schutt und Glas liegend.

„Stellst du dich jetzt tot?“, fragte sie ihn trocken. Sie näherte sich ihm. Er öffnete schlagartig die Augen und wich vor ihr zurück. Sie richtete ihr Schwert auf ihn. Er schielte auf die Spitze. In seinem Kopf echoten ihre Worte.

„Ich werde dich in der Hälfte zerteilen, dir den Kopf abschlagen und zuletzt dein Herz herausreißen. Und das Beste daran ist, wie du sicherlich selbst festgestellt hast, dass du all die damit verbundenen Schmerzen spüren wirst, selbst wenn sich deine Wunden regenerieren sollten.“

Er schluckte. Sie senkte die Klinge wieder und kam auf ihn zu. Er fiel auf die Knie. Überrascht zog Valeria eine Augenbraue hoch. Er wird doch wohl nicht etwa… dachte sie amüsiert. Sie behielt Recht.

„Bitte! Bitte verschone mich! Ich flehe dich an!“, winselte er. Valeria stöhnte genervt und hob ihr Schwert in die Luft. Sie hielt es einhändig über ihrem Kopf. Er flehte, winselte und krächzte. Angewidert sah sie ihn an.

„Auch deine Opfer wollten nicht sterben. Wie viele hast du getötet? Wie viele haben dich um Gnade angefleht? Wie vielen hast du Gnade gewährt? Ich weiß nicht, was du bist, aber du hast dich nicht unter Kontrolle. Falls du Erbarmen bei mir suchst, solltest du wissen, dass du nicht fündig wirst. Widerlicher Abschaum“, sprach sie verächtlich und spuckte auf ihn.

Er wollte etwas sagen, doch die Klinge fiel bereits schnell und präzise auf ihn herab. Wie angekündigt teilte sie ihn in zwei. Ein Blutschwall ergoss sich, färbte das Gras, die Wände und alles um sie herum rot. Sie wartete kurz, bis er sich so weit regenerierte, dass sie ihr zweites Versprechen einlösen konnte. Sein Kopf setzte sich wieder zusammen und er winselte. Als sie erneut zum Schlag ausholte, sprang Vincent auf die Beine und verschwand auf dem Dach des Hauses. Sie sah ihm nach. So ein Idiot, dachte sie. Er zögerte das Unvermeidliche hinaus. Sie sprang ebenfalls auf das Dach und wurde bereits von ihm erwartet. Sie legte den Kopf schief und lächelte.

Er brachte sich in eine Kampfposition und starrte sie wütend an. Valeria strich mit ihrer linken Hand über die Klinge und bereitete sich genauso auf einen Angriff vor. In diesen Positionen verharrten beide einige Sekunden, bis Vincent zum Sprung ansetzte. Er stürmte auf sie zu, griff sie mit seiner rechten Pranke an. Valeria wich zur Seite aus und trennte seinen Arm mit einem Schwung vom Rest des Körpers. Sein Arm flog im hohen Bogen davon und landete im Garten. Er schrie auf. Sie nutzte seine Untätigkeit, um ihm einen weiteren Schlag zu versetzen. Ein eleganter Schwung mit ihrem Schwert schlug ihm den Kopf von seinen Schultern. Der Körper sank auf die Knie und sein Kopf rollte über das Ziegeldach. Sie schwang das Schwert erneut und das von der Klinge tropfende Blut spritzte geräuschvoll auf die Ziegel. Dieses Mal wartete sie nicht auf seine Regeneration. Sie packte den Körper an den Schultern und warf ihn rücklings um. Dann positionierte sie sich über seinem Brustkorb, winkelte ihren linken Arm an, sog die Luft scharf ein und rammte ihre Hand in seine Brust. Sie wiederholte diese Tätigkeit vier Mal, bis sie schließlich sein Herz zu fassen bekam. Er sollte leiden. Sie wollte, dass er litt. Sie riss sein Herz aus der Brust und betrachtete es. Sein Blut kristallisierte und überall lagen kleine, rote Splitter. Das Herz pulsierte in ihrer Hand.

„Irgendwelche letzten Worte bevor ich dich in Stücke reiße?“, fragte sie den Kopf. Sie bekam keine Antwort. Sie wusste, dass er nicht antworten konnte, doch er hörte, sah und spürte alles. Das war ihre Grausamkeit. Ihr Griff um sein Herz verstärkte sich. Fester, immer fester. Es schlug unerbittlich gegen ihre Hand. Nicht mehr lange, dachte sie lächelnd. Sie beendete das Ganze und löste auch ihr letztes Versprechen an ihn ein. Das Herz zersprang mit einem widerlich feuchten Geräusch in ihrer Faust. Angewidert ließ sie die Reste fallen und betrachtete den Körper. Er rührte sich nicht mehr, regenerierte sich nicht. Zögernd kehrte sie ihm den Rücken.

Sie sprang vom Dach zurück in den Garten, lief einige Schritte rechts um das Gebäude und hielt in ihrer nächsten Bewegung inne. Sie sah einen kleinen Körper mit dem Gesicht im Gras liegen. Ihre Hände zitterten und ihre Augen wurden feucht. Der regungslose Körper lag nahe der Wand des Hauses, hinter der der einstige Flur war. Die kleine faltige Hand berührte die Wand, die Fingerkuppen waren blutig und einige Fingernägel waren abgebrochen. Dünne, blutige Kratzspuren waren an der Wand erkennbar.

In diesem März waren es nicht nur die Kamelienblumen, die Toshima in ein Rot tauchten.

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Tanz der Götter-Blut

Dianart18

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