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DN-AGE Erinnerungen II – Missbraucht

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Hier die chronische Auflistung aller Pastas, die zu dieser Reihe gehören.

DN-AGE Erinnerungen (2270)

DN-AGE Erinnerungen I – Beauftragt
DN-AGE Erinnerungen II – Missbraucht
DN-AGE Erinnerungen III – Gebrochen
DN-AGE Erinnerungen IV – Gerettet
DN-AGE Erinnerungen V – Gefunden
DN-AGE Erinnerungen VI – Psychopaten Lachen Nicht

Containment Project 1 (2270)

Containment Project I – Dies sind die Worte von Publius Septimus Tertio
Containment Project II – The Greasemonkey Diaries
Containment Project III – EXIT
Containment Project IV – Gedanken

Containment Project 2 (2290)

CONTAINMENT PROJECT 2 Teil 1: Nora
CONTAINMENT PROJECT 2 Teil 2: Alexis
CONTAINMENT PROJECT 2 Teil 3: Caelia
CONTAINMENT PROJECT 2 Teil 4: Bromios
CONTAINMENT PROJECT 2 Teil 5: Lavender

 

Ich
wusste nicht, was mich am Piccadilly Circus erwartete, weswegen ich
vorsichtshalber meine Pistole mitnahm. Ich stieg in mein Auto und wies es an,
mich zu der besagten Stelle zu fahren. Doch schon als ich ankam, schwand mein
Gefühl, hier L und V zu treffen, da, wie ihr euch denken könnt, diese beliebte
Kreuzung zu allen Zeiten ziemlich belebt ist. Ich stieg aus meinem weißen
Mercedes Baujahr ‘73 aus, zündete mir eine Zigarette an und schaute mich um.
Doch ich sah nichts. Nichts außer Menschen, gut- und weniger gutbetuchte, die
das Londoner Nachtleben genossen. Ich sah auf die riesige, weltbekannte
Leuchtreklame, deren grelles Licht alle anderen überstrahlte. Die neusten
Autos, die neuesten Telefone, die aktuellen Popstars, die irgendwelchen
nutzlosen Schund anpriesen.

Erst
dachte ich, ich sei zu spät gekommen, oder dass ich nur meine Zeit
verschwendete und wollte zunächst gehen. Doch dann sah ich sie: die zwei
Mädchen von der Parkbank. Sie standen am zentralen Brunnen und bemerkten mich
nicht. Zudem muss ich sagen, dass ich sie nur an ihren Haaren erkannte, da sie
beide nicht ihre vorherige Straßenkleidung, sondern kindertypische Kleider
trugen. Sie warteten einige Sekunde, ehe sie anfingen, backe-backe-Kuchen zu
spielen. Ich schnippte meine Zigarette auf den Boden, trat sie aus und ging
näher. Erst jetzt hörte ich, was sie während ihres Spiels sprachen. Es war ein
Reim – und natürlich ging es dabei um ein Hündchen. Der Anfang fing langsam an:

Siehst
du das Hündchen, das dort im Laden?

Sag
mir für wie viel kann ich es haben?

Ein
Lifers Leben ist nicht viel wert.

Sag
mir denn was dein Herz wohl begehrt.

Dann
wurden sie schneller, man konnte nun das Klatschen ihrer Hände hören:

Will
ein Hündchen süß und klein,

muss
mehr wert als Lifer sein.

Lifer
sind wie Kakerlaken

gibt
es in verschied’nen Arten.

Große,
Kleine, Dumme Schlaue,

alle
spuren Sie bei Haue

Alle
werden Ausgelöscht,

weil
es so das Beste ist.

Ich
lief auf sie zu und rief, laut genug, dass sie mich hörten, jedoch leise genug,
um keine Aufmerksamkeit zu erregen: „Hey! Ihr da! Ich kenn euch doch! Ihr seid
doch die von der Bank vor meinem Haus!“ Als sie mich sahen, ergriffen sie
schlagartig die Flucht. Instinktiv rannte ich ihnen hinterher und jagte sie in
eine kleine Seitengasse. Dort hielten sie jedoch eine böse Überraschung für
mich bereit: als ich sie beinahe zu fassen kriegte, kam von irgendwo ein Bein
her, welches mich zu Fall brachte. Hart schlug ich auf dem Boden auf, mein
Handy flog mir aus der Tasche, das Display bekam Risse. Instinktiv fasste ich
an meinen Kopf und spürte Blut. Ich wollte mich aufrappeln, wurde jedoch von
etwas am Boden gehalten. Im spärlichen Licht der Gasse sah ich dann auch, was
dieses Etwas war. Es war ein großer, dreckiger Militärstiefel, getragen von
einem jugendlichen Mädchen mit roten Haaren. Basierend auf ihrer Statur und
Größe, nahm ich an, dass sie etwa sechzehn oder siebzehn sein musste. Sie trug
eine enge Jeans, ein T-Shirt und darüber eine Weste. Sie rauchte eine
Zigarette, hielt ein Gewehr in der anderen Hand und schaute mit einem frechen
Grinsen auf mich hinab, ehe sie in die dunkle Gasse sah und rief: „Lavender!
Vanilla! Ihr könnt jetzt rauskommen! Ich hab den Kerl!“ Daraufhin kamen die
beiden Mädchen aus einer noch kleineren Seitengasse. Auch sie trugen nun
Gewehre mit sich, doch ihr Benehmen war vollkommen anders als zuvor. Das
Mädchen namens Vanilla lief zu der Person und sprach: „Hat auch verschissen
lange gedauert. Dafür hab ich verschissen noch mal ‘ne Belohnung verdient!“

„Ich
hab nur noch eine“, gab die Person von sich.

„Her
damit! Is‘ auch das Mindeste, was ich verdien‘, nachdem ich die Scheiße grad
eben gesagt hab‘!“ Die Person rollte ihre Augen, seufzte und holte eine Zigarettenschachtel
aus ihrer Westentasche hervor, welche Vanilla an sich riss und sich die wohl
letzte Zigarette anzündete, ehe sie sich runter zu mir beugte, mir den ersten
Rauch ins Gesicht blies und sprach: „Hast wohl beim Prof nichts gefunden, was?
Macht nichts. Jetzt haben wir ja dich.“ Was dann allerdings geschah, war wohl
nicht teil des Plans gewesen, als Vanilla aufstand. Sie sah kurz das Mädchen
namens Lavender an, welche mir dann mit dem hinteren Teil ihres Gewehrs einen
Stoß gegen den Kopf verpasste. „Verdammte Scheiße, Lavender! Was machst du da?
Jag ihm doch gleich eine Kugel durch den Kopf!“ hörte ich die Person, welche mich
mit ihrem Stiefel noch immer festhielt, sagen, ehe ich das Bewusstsein verlor.

*          *

Als
ich wieder zu mir kam, war es kalt und es roch modrig. Langsam öffnete ich die
Augen, nur um zu  merken, dass ich mich
an einem Stuhl gebunden in einem alten Haus befand. Der Raum, in dem ich war,
hatte außer dem Stuhl keine weiteren Möbel, die Fenster waren von alten
Jalousien verdeckt und das einzige Licht im Raum strahlte durch die Fenster. Sofort
bemerkte ich die Person, welche mir ein Bein gestellt hatte, wie sie mit
angewinkelten Beinen auf einer Fensternische saß und auf die Straße unter ihr
starrte. Ich stöhnte etwas, was ihre Aufmerksamkeit erregt und sie zu mir kam.
„Ah, der Herr Ermittler ist wach! Sehr schön!“

„W-was?“
stotterte ich.

„Tut
mir Leid wegen vorhin. Lavender ist…etwas speziell. Ich hoffe sie hat dir nicht
das Gehirn weggestoßen.“

„W-warum
bin ich festgebunden? Wo sind wir hier?“

„Auch
das tut mir Leid. Vanillas Idee, nicht meine. Aber mit den Helix Töchtern ist
nicht zu Spaßen.“

„Und
wo sind wir hier? Sieht nicht mehr nach der City of London oder The Strand
aus.“

„Southwark“,
sprach sie: „wir sind in Southwark.“

„Southwark?!“
rief ich: „aber das ist ja-“

„Das
Gebiet der Golden Boyz, genau.“

„Und
was tun wir hier? Wollen Sie mich ausliefern? Stecken Sie mit denen unter einer
Decke?“ Daraufhin lachte sie lauthals auf und erwiderte: „Von denen versuchen
wir so weit weg zu bleiben, wie nur irgend möglich! Wir haben dich hierher
gebracht, weil wir etwas von dir wollen.“

„Lass
mich raten: die Welt verändern?“ gab ich frech zurück, mich auf den Wortlaut
des Briefes beziehend. „Du lernst schnell“, grinste sie und stellte sich vor:
„Man nennt mich Marmalade.“

Sie
war also eine Dolly – oder ein Lifer. Ich wollte sie diesbezüglich auch fragen,
doch dann ging hinter mir die Tür auf und ich hörte wie jemand hereinkam. Es
waren natürlich Vanilla und Lavender, doch sahen sie nun vollkommen anders aus.
Sie trugen beide hellblaue, enge Jeans, ein erdbraunes Oberteil und an ihren
Unterarmen, ihrem Hals und ihn ihrem Gesicht hatten sie sich…hellblaue Farbe
geschmiert! Was zum Teufel war hier los? Außerdem trugen sie ihr Haar nun
nichtmehr so, wie junge Mädchen es tragen würden, sondern hatten alles zu einem
einzigen Zopf gebunden, welcher ihre rechte Schulter herunterhing. Vanilla lief
um mich rum, Lavender schien sich wohl im Hintergrund zu halten – vermutlich
hatte sie ihr Gewehr auf mich gerichtet. Warum ich mir unsicher bin, obwohl ich
das alles Monate später aufschreibe? Ich habe nie danach gefragt.

Jedenfalls
beugte sich Vanilla wie zuvor vor mich und sah mich mit einem breiten, aber
dennoch schiefen und verstörenden Grinsen an. „Hören Sie zu“, versuchte ich zu
verhandeln: „wenn Sie Geld wollen, ich gebe es Ihnen. Arbeiten Sie für Maxwell?
Wenn ja, sagen Sie ihm, ich bin mit meinen Ermittlungen noch nicht fertig.“
Daraufhin fing Vanilla hysterisch an zu lachen, stand wieder auf und rief: „Was
ich will?! WAS ICH WILL?! Ich will meinen
alten Körper zurück! Ich will endlich wieder C-Körbchen haben! Ich will von
Enkeln umringt sein! Ich will alt und gebrechlich in meinem Bett sterben!“

„Vanilla,
ganz ruhig“, unterbrach Marmalade: „du bekommst dein altes Leben schon noch
zurück.“ Dann sah sie direkt in meine Augen und meinte in einem ernsten
Tonfall: „Und er wird es dir wiedergeben!“

*          *

Da
ich sie schon an einigen Stellen erwähnt habe, denke ich, dass ich zu den
Lifern ein paar Takte sagen sollte. Ich hatte ja bereits von der „genialen“
Geschäftsidee gesprochen, die zur Erfindung der Loli‑Dolls und der Loli-Doll
Häuser führte. Vor dreißig Jahren hatte DN-AGE dann eine noch „genialere“ Idee:
warum nur langsam altern, wenn man doch für immer jung bleiben kann? So entstanden
die Lifer – junge Frauen, die sich (wie die Loli-Dolls) jung splicten, nun
jedoch für immer. Daher auch der Name: Lifer, bzw. Lifers – man ist bis an sein
Lebensende (welches in diesem Fall nicht natürlich wäre) äußerlich ein junges
Teenagermädchen.

DN-AGE
bewarb es als die perfekte Symbiose und zeichnete ein Bild, das fast schon an
eine Karikatur grenzte: der reiche Geschäftsmann oder Lord, zur Seite seine
ewig junge Begleiterin; eine Sekretärin für das Geschäftliche; als Nanny für
die Kinder; als Spielgefährtin, wenn dies älter wurden – und natürlich als
„minderjährige“ Lustsklavin. Ja, in, denn es wurden ausschließlich Frauen
angeworben. Es sollte eine perfekte Harmonie sein. Eine nie alternde, nie auf
natürlichem Weg sterbende Dienerin; von Generation zu Generation „vererbt“ und
daher der Familie, der sie diente, treu ergeben.

Angeworben
wurden die jungen Frauen vor allem aus den unteren Einkommensschichten und
unter den Armen. Dies wurde von den sogenannten ‚Groomern‘ ausgeführt, deren
Arbeit es auch war, die zukünftigen Lifer auf ihr neues Leben als Dienerin
vorzubereiten.

Natürlich
geschah dies nicht unter Hand oder dergleichen. Es wurde angepriesen und
beworben. Und auf eine makabre Art und Weise muss ich sagen, ziemlich fair.
Falls ihr die Werbung noch nicht gesehen habt, hier die Zusammenfassung: Es
fing alles an, indem man sich auf eine Stelle als Lifer bewarb. Nachdem die
Groomer einen von der Praktik überzeugt hatten, füllte man einen Bewerbungsbogen
aus. Und hier kommt die Fairness ins Spiel. Die Groomer, wie auch die Werbung,
weisen explizit auf drei Punkte hin: zum einen, dass der Vorgang (zumindest zum
gegenwärtigen Zeitpunkt) nicht rückgängig gemacht werden kann, selbst wenn man
vom Lifer-Sein keine Lust mehr hatte. Zudem wurde in der Werbung betont, dass man
während der unfruchtbar gemacht wird – man hat also keine Chance, jemals Kinder
zu haben. Was mich auch zu dem dritten, letzten und (wie ich finde) fairsten
Punkt bringt: es wird ausdrücklich betont, dass man zwischen Bewerbung und
Prozedur ein Jahr oder zwei Jahre Zeit hat, sich alles noch einmal genau zu
überlegen und eventuell von der Bewerbung zurückzutreten.

Doch,
wie man sich vorstellen kann, taten das nicht viele und so verschrieben sich
weltweit zigtausende junge Frauen (vor allem aus den verarmten Ghettos und
Ländern der Dritten Welt) zu einem Leben in, wie einige meinten und nun stärker
meinen, Knechtschaft. Was uns zum heutigen Tag bringt.

Menschen
sind eben keine Roboter. Menschen haben einen eigenen Willen und funktionieren
leider nicht auf Knopfdruck oder nach Plan. Etwas, das DN-AGE auf zweierlei
Arten erfahren sollte. Zum einen aufgrund der Lifer selbst. Wie gesagt, viele
von ihnen kamen aus ärmlichen Verhältnissen, vom Versprechen einer besseren Zukunft
angeworben. Ein Lifer verdiente im Schnitt 1.700 £ pro Monat, das macht
etwa 1.200 £ netto. Das Restliche Geld steckte man in deren Lebensunterhalt und
vor allem in den sogenannten ‚Familienbeitrag‘. Das waren 400 £ pro Monat,
welche an die verarmten Familien daheim gingen. Aber…nun ja…irgendwann änderte
sich das. Die Lifer wurden…egoistisch. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend,
vergaßen viele ihre ursprüngliche Herkunft und schafften es zum Teil sogar,
ihren Hausherren davon zu Überzügen, den Familienbetrag einzubehalten.

Das
zweite Problem war natürlich die Gesellschaft an sich. Heute, wie auch in der
Antike, hatte die Jugend schon immer die Moral der Alten hinterfragt. So auch
in den reichen Schichten, in denen vermehrt Kritik an der Lifer-Praxis aufkam –
vor allem, nachdem DN-AGE eine Produktlinie zehn- bis zwölfjährige Lifer auf
den Markt brachte! Daraufhin wurden in zahlreichen Ländern Gesetze erlassen, welche
erst die Schaffung neuer Lifer verbot, später auch den Besitz von Lifern an
sich. Nachwirkend, versteht sich. Bald danach wurden zahlreiche Lifer
buchstäblich ihrem Schicksal überlassen und auf die Straße gesetzt. Und dennoch
hatte ich, wie auch viele Andere, das Gefühl, dass es jährlich mehr wurden. Was
zu einem Gerücht führte, dass sich mehr und mehr verbreitete: angeblich hatte
eine der Gangs es geschafft, einen Spitzel bei DN-AGE einzuschleusen, um das
Rezept zur Herstellung der Lifer zu stehlen und dann Lifer selbst herzustellen.

*          *

„Bei
allem nötigen Respekt, aber ich bin Privatermittler, kein Genetiker“, versuchte
ich zu erklären: „Ich weiß nicht mal, wie das normale Splicen funktioniert,
geschweige denn, was man in den Liferstoff tut.“  Dies war scheinbar jedoch  nicht das, was Lavender hören wollte, da sie
mir danach sofort das Gewehr an den Kopf hielt. „Ich weiß“,  sagte ich in Todesangst: „ich bin nicht in
der Position, hier irgendetwas zu verlangen – aber es wäre doch in meinem und vor
allem, in Ihrem Interesse, wenn Sie dieser reizenden Dame bitte das Gewehr
abnehmen würden.“ Vanilla sah mich immer noch mit diesem schiefen Grinsen an
und erwiderte: „Wie können Sie es wagen, einer Helix Tochter befehle zu
erteilen?! Ich sollte Ihnen die Zunge rausreißen und sie Ihnen zum Fraß
vorsetzen! Ich sollte-“

„Vanilla“,
rief Marmalade, noch immer am Fenster stehend: „bind ihn los. Lavender, gib mir
deine Waffe.“ Vanilla lief erzürnt hinüber zu Marmalade und sprach: „Der Kerl
is‘ unsere Beute – wir können mit dem machen, was wir wollen!“

„Bind
ihn los und nimm ihr die Waffe ab!“ befahl Marmalade in einem strengeren Ton
als zuvor, woraufhin mich Vanilla widerwillig losband und Lavender trotzig das Gewehr
abnahm, ehe mich Marmalade zu sich zum Fenster zitierte.

„Sieh
mal“, sprach sie und öffnete einen der Jalousie-Schlitze. Ich spähte durch und
sah die Straße unter uns. Nahe dem Haus, in dem wir uns befanden, stand eine
Laterne, welche die Umgebung erhellte und den Blick auf ein kleines Mädchen
freigab, vom Aussehen her wohl nicht älter als elf oder zwölf. Ihre Haare waren
blond, ihre Kleidung schmutzig und in Fetzen. Sie hatte keine Schuhe an und
schien verwirrt und allein zu sein. Doch als ich sie mit einer Flasche Alkohol
sah, wusste ich, dass dies kein kleines Mädchen war. Es war eine der unzähligen
Lifer, die man ihrem Schicksal überlassen hatte und nun heimat- und obdachlos
und als leichte Beute durch die Straßen Londons wanderten. „Sieh sie dir an“,
sprach Marmalade mit trauriger Stimme: „Allein. Verlassen. Desillusioniert. So geschieht
es mit tausenden überall auf der Welt. Wenn sie den reichen Pinkeln in der City
und in ihren Anwesen lästig werden, schmeißt man sie einfach weg. Wie Müll.
Junge Frauen, die anderweitig großartiges Vollbringen könnten. Die anderweitig
zwar nicht viel zum Leben, aber dennoch ein Leben haben. Für die meisten ein
Leben in Armut, ja. Aber dennoch ein Leben in-“ Marmalade stoppte abrupt. Ich
fragte, was denn los sei und sie deutete auf die Straße, auf der sich nun zwei
junge Männer dem vermeintlichen Mädchen näherten und anfingen, es zu
drangsalieren.

„Na
sie mal, was wir da haben, Cecil!“ sprach einer von ihnen, während der andere
sein Gewehr nahm, es über seine Schultern schlang und lachte: „Hat auch lang
gedauert, oder Murphy? Wenigstens müssen wir für die hier nix zahlen.“

„Na
du kleine Lifer-Schlampe?! Brauchst es gut und dringend, was?“ meinte Murphy
spöttisch und fing an, am Kleid des Lifers zu ziehen.

„Hey,
lass mich in Ruhe!“ rief sie und in ihrer Stimme konnte man hören, dass sie
schon sehr betrunken war. Cecil nahm sein Gewehr und stocherte dem Lifer mit
dem Lauf an den Beinen herum. „Wo kommst du denn her Kleine? Aus nem Werk? Oder
direkt von der Fick‑Farm?“

„Wird
nicht albern, Cecil“, meinte Murphy: „Jeder weiß, dass Fick‑Farm Girls dort nicht
mehr rauskommen. Die hier kommt von woanders her.“

„Ich
hoffe nicht aus irgend ‘nem Drecksloch“, meinte Cecil abfällig, woraufhin er
mit dem Lauf seines Gewehrs im Gesicht des Lifers herumfuchtelte und fragte:
„Ich frag mich, ob du wirklich so ne kleine Schlampe bist, wie die in der City
immer sagen. Hast bestimmt schon viele gehabt, was? Bist nich mehr so eng,
oder?“

„Bestimmt
auch voll mit Krankheiten“, sprach Murphy: „Wer weiß, wo die gesteckt hat.“
Cecil legte sein Gewehr ab, griff das „Mädchen“ hart am Hals und begutachtete
sie, indem er ihr Gesicht mit seiner anderen Hand hin und her bewegte. „Na…“ sprach
er skeptisch: „bisschen dreckig, aber ansonsten ganz ansehnlich.“ Dann griff er
dem Lifer mit der linken Hand unter das Kleid, fing an zu grinsen und sah zu
Murphy: „Jackpot, Murphy.“

„Geht
weg!“ rief der Lifer mit angetrunkener Stimme, doch die beiden lachten nur und
Murphy sprach: „Wieso denn? Wir zeigen dir jetzt mal, wie man richtig Spaß
hat!“ Obwohl wir von unserer Position keine exzellente Sicht hatten, konnte ich
sehen, wie Cecil zwei Spritzen aus seiner Hosentasche nahm, sie dem „Mädchen“ vor
das Gesicht hielt und grinste: „Weiß du, was das ist, Kleine?“ Währenddessen
stellte sich Murphy hinter sie, hielt sie fest und Cecil fuhr fort: „Das ist
Shaggy-Fit. Naja, nix Offizielles,
jedenfalls. Eigne Mixtur, kann für nix Garantieren. Aber die Wirkung ist
die gleiche: macht dich in fünf Minuten zu ner
geilen kleinen Ficksau!“

„Nein,
kein Shaggy-Fit! Bitte kein Shaggy-Fit!“ rief sie voller Angst und ich konnte
die Wut spüren, wie sie in mir hochkochte, als ich sah, wie Cecil der Kleinen
eine der Spritzen in den Hals jagte und sich selbst die zweite in den Oberarm.
„Wollen wir sie hier gleich auf der Straße klar machen?“ fragte Murphy, ehe
Cecil sich kurz umsah und sprach: „Nein, wir gehen da rein.“ Dann zeigte er auf
das Haus, in dem wir uns befanden.

„Verdammte
Scheiße!“ rief Marmalade leise: „Die kommen hier rein!“ Ich sah mich um und
merkte, dass sich an der Wand gegenüber dem Fenster ein Wandschrank befand. Ich
öffnete ihn und atmete innerlich auf als ich merkte, dass er groß genug für uns
drei war. „Da rein!“ rief ich und wir versteckten uns während wir hörten, wie
die anderen Drei die Treppen hinaufliefen. Wir hörten, wie sich die Tür zu
unserem Zimmer öffnete und Murphy sprach: „Hier drin? Auf dem Boden, dreckig
und schäbig?“

„Bist
du dumm, oder was?“ erwiderte Cecil: „suchen wir uns ne Couch oder ‘n
Schlafzimmer.“

„In
Ordnung“, gab Murphy zurück: „ich schau mal, was hier noch so rumliegt.“

Es
hatte scheinbar nicht lange gedauert, bis sie ein Zimmer fanden, welches
anscheinend das Zimmer neben unserem war. Es dauerte auch nicht lange, bis sich
die Wirkung der Droge genannt Shaggy-Fit entfaltete und wir allerlei
Sexgeräusche aus dem Zimmer hörten. Zunächst war es noch recht züchtige
Geräusche: Stöhnen, lustvolles Schreien und dergleichen. Doch nach einer Weile
wurde es seltsam. Wir hörten ein Klapsen, das immer von einem herzzerreißendem
Schrei gefolgt wurde. Das Schreien und Stöhnen der zwei Männer und ein  panisches Schreien des Lifers. Ich wollte aus
dem Wandschrank ausbrechen, die beiden Typen verprügeln und das „Mädchen“ befreien,
doch Marmalade hielt mich davon ab. So leise wie sie nur konnte, flüsterte sie:
„Nein! Wir müssen abwarten, bis sie fertig sind. Wenn wir Glück haben, ist es
bald vorbei.“  Doch noch ehe sie diese
Worte fertiggesprochen hatte, weiteten sich ihre Augen, als wir einen lauten
Knacks hörten – und wir beide wussten, was es war.

„Verfickte
Scheiße, Cecil! Deswegen nehme ich kein Shaggy! Jetzt hast du sie plattgemacht,
du Hurensohn! Komm, wir verschwinden! Die wird eh niemand vermissen!“

Vanilla
öffnete langsam den Wandschrank und sie und Lavender traten heraus. Es war
klar, was sie vorhatten, doch da sie so groß wie zwölfjährige Mädchen waren,
wusste ich nicht, wie sie gedachten, gegen zwei ausgewachsene Männer
vorzugehen.  Ich bat den beiden meine
Hilfe an, doch sie lehnten vehement ab, bevor die beiden mich wieder zu
Marmalade in den Wandschrank schickten. Ich kann nur sagen, wie sie es getan
hatten, weil sie es mir im Nachhinein erzählten.

Sie
versteckten sich hinter der von Cecil und Murphy aufgelassenen Tür und machten
Geräusche, um die beiden in das Zimmer zu locken. Dabei halfen auch einige
Steine, welche Lavender in den Raum schmiss. Natürlich funktionierte es und die
beiden Arschlöcher rannten wieder die Treppe herauf und stürmten in das Zimmer.
Lavender und Vanilla nutzten daraufhin ihre Chance, als die beiden Männer verwirrt
im Raum standen und zückten zwei scharfe Messer. Dann schlichen sie sich hinter
die beiden Männer, griffen ihnen an die Knöchel und zogen sie nach unten. Dann
sprangen Lavender und Vanilla auf die beiden und stachen so lange zu, bis die
beiden Arschlöcher keinen Mucks mehr von sich gaben.

Clever,
zugegeben, doch was sie daraufhin machten, wirkte auf mich nicht nur
befremdlich, sonder auch etwas ekelerregend. Als die beiden Männer tot und in
ihrem eigenen Blut lagen, drehten Lavender und Vanilla sie um und schnitten
ihnen die Zungen heraus und sammelten das Blut ihrer Opfer in Behältern, welche
sie in einem anderen Raum des Hauses versteckt hatten. Ich wollte die beiden
fragen, weshalb sie dies taten, doch Marmalade nahm mich zur Seite und wir
gingen in das Nebenzimmer, wo ich den Schock meines Lebens bekam.

Ich
muss zugeben, als Privatermittler schon
einiges gesehen und miterlebt zu haben. Ehemänner, die ihre Kinder und
ihre Frau kaltblütig erschießen, zerstückeln und dergleichen. Psychopaten, die
Frauen unter Drogen setzen, vergewaltigen und danach abstechen und zerstückeln,
Tierquälerei, Gruppenvergewaltigung und noch vieles mehr. Doch dieses Bild, das
mich im Nebenzimmer vor mir entfaltete, wird mich mein Leben lang verfolgen.

Als
dieses Haus noch bewohnt war, war dies wohl das Schlafzimmer gewesen. Doch
außer einem verrosteten Bett mit einer gammligen Matratze befand sich nichts
mehr darin, das von dem einstigen hohen Standard in diesem Stadtteil zeugte. Auf
der Matratze lag nun ein scheinbar junges Mädchen. Nackt und mit leblosen,
toten Augen. Ihr gesamter Unterleib war bedeckt mit Blut und auf ihrem Rücken
befanden sich zahlreiche Kratzer und Schürfwunden, alle wohl Ergebnis des
Klatschens und Schreiens, das wir vorhin gehört haben. Ihr blondes, lockiges
Haar war ebenfalls mit Blut und auch mit Sperma bedeckt, wie auch ihr Gesicht
und der Großteil ihres Körpers. Das war einfach zu viel für mich und ich musste
mich erst einmal übergeben, ehe ich Marmalade fragte, warum wir das nicht verhindert
hatten. „Weil es so oder so passiert wäre“, gab sie fast schon kaltherzig
zurück und ich fuhr sie an: „Was sagst du da?! Wir hätten es verhindern können!
Ich bin ein ausgewachsener Mann und du bist auch nicht gerade klein! Wir hätten
die beiden Pisser erwischen und die Kleine retten können!“

„Ja.
Ja, das hätten wir“, gab sie zurück: „doch ich wollte, dass du das hier
siehst.“

„Du
bist krank!“ zischte ich vor Wut: „ihr seid alle krank!“ Sie nahm zunächst
keine Notiz von mir, sondern inspizierte die Leiche auf irgendetwas, ehe sie
mich ansah und meinte: „Glaubst du, das hier ist ein einzelner Vorfall? Glaubst
du, so etwas passiert nur ab und zu? Alle Jubeljahre einmal?“ Dann lief sie auf
mich zu und sah mir mit stechenden Augen ins Gesicht: „Das hier passiert zu
jeder Stunde. An jedem Tag. Jeden Monat und jedes Jahr. Ich bin mir ziemlich
sicher, das hier passiert jetzt gerade, während wir sprechen.“

„Also…ich
höre nichts“, gab ich sarkastisch von mir, doch sie meinte nur: „Andere sind
weitaus diskreter als diese beiden Wichser hier.“

In
diesem Moment kamen Lavender und Vanilla in das Zimmer. Ich sah zu, wie Vanilla
ein Handy herausholte und anfing, Lavender zu filmen, wie sie ein Skalpell nahm
und die Leiche inspizierte bis sie fand, wonach sie suchte: das Tattoo. Es
befand sich hinten am Nacken und war zunächst Dank der Haare und dem vielen Blut
nicht sichtbar. Ich sah zu, wie Lavender mit dem Geschick eines Chirurgen das
Skalpell manövrierte und das Tattoo als Hautfetzen vom Hals des Mädchens
trennte. „Ge…gestattet mir, wenn ich frage“, sprach ich zögerlich: „aber w…was
machen Sie da?“ Ihr Handy immer noch in der Hand haltend, sah sie nur kurz in
meine Richtung und meinte lakonisch: „Beweismittel sammeln. “

„Beweismittel?
Für was?“

„Für
dich“, sprach Marmalade: „Damit du eine fundierte Grundlage hast.“

„Grundlage
wofür?“

„Revolution“,
meinte Vanilla, erneut sehr lakonisch, ehe sie ihr Handy ausmachte und sie und
Lavender das tote Mädchen in eine Decke einwickelten, welche die beiden zuvor
im Haus gefunden hatten. Daraufhin holte Lavender einen kleinen Topf mit einem
merkwürdigen, hellblauen Puder, welches sie großzügig auf die Decke auftrug und
Vanilla Dinge in einer Sprache sagte, die ich nicht verstand.

„Was
geht hier vor sich?“ fragte ich Marmalade leise, welche zurückgab: „Sie
geleiten den Geist des Mädchen von dort, wo er gekommen war.“ Ich verstand
nicht, was Marmalade damit meinte, doch stellten sich mir nun tausend Fragen
auf einmal. Anfangs dachte ich, ich wäre von irgendeiner politischen
Gruppierung entführt worden. Doch war es in Wahrheit eine Art Sekte? Und wenn
ja, war Vanilla der Guru? Oder einfach nur eine willige Gehilfin? Oder war es
wirklich eine echte Religion, mit der ich hier zu tun hatte? Und wenn ja, war
Vanilla eine Art Priesterin?

Jedenfalls
sah sie meine Verwirrtheit und wandte ihre Aufmerksamkeit zu mir. Instinktiv
kniete ich nieder, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. Sie nahm den Topf von
Lavender und sah mich an: „Ich weiß nicht, ob wir dir trauen können. Ich weiß
nicht, ob ICH dir trauen kann. Aber um dich zu beruhigen, Cherrypies Tod war
kurz und schmerzlos. Was Anderen von uns nicht vergönnt ist.“

„Ich
versteh nicht“, sagte ich, ohne erst nachzudenken. Doch glücklicherweise
schienen es die richtigen Worte gewesen zu sein, da Vanilla in den Topf griff,
etwas von dem Puder herausholte, meine Hände bestrich und sagte: „Wir wollen
dir etwas zeigen.“

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