ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
„Huuuuuhhhh…hooooooooh…!“ Ein tiefer Atemzug füllt meine Lungen mit frischem Sauerstoff, was einen reflexartigen Husten aus meiner ausgetrockneten Kehle entweichen lässt. Es ist ein Durchblitzen der Stille, ein Impuls aus der Tiefe oder auch nur ein Raunen in der Dunkelheit. Bis eben ist alles bloß in Schwärze getaucht gewesen. Einfach nichts. Wie ein Schlaf, ohne jegliche Erinnerung. Oder wie ein fallender Stein, der die stille, glatte Wasseroberfläche durchdrungen hat und dessen Eintauchen darin perfekt symmetrische als auch kreisförmige Wellenmuster nach sich zieht, die sich langsam abzuschwächen beginnen und letztlich dem Ausklang erliegen.
Ich fühle ein Kribbeln in… Wie waren noch gleich die Worte dafür? Ach ja, jetzt erinnere ich mich wieder… „Hände“ und „Füße“ werden diese Teile des menschlichen Körpers genannt. Und das ist nicht das einzige, was in meinem pochendem Gedächtnis wieder aufkeimt. Es folgen verschiedene Erinnerungen, die meinen Verstand wie ein Kugelhagel durchsieben. Sie bestehen aus Erfahrungen aus meinem Leben, schwierige Zeiten, Menschen die ich geliebt habe, lustige Momente, traurige Momente, nostalgische Kindheitserinnerungen, warme Sommertage, frostige Wintertage und ja… auch die Erinnerung an das was ich getan habe und für das ich zum Tode verurteilt worden bin. All dies schießt mir gerade mit einem Schlag durch Geist und Gedächtnis. Ich fühle einen stechenden Schmerz in der Brust. Dann ein leicht zu beginnendes Pochen… das zuvor kalt und regungslos gewesen ist und sich nun in Wärme übergehend ausdehnt. Gleichzeitig spüre ich kalte Regentropfen, die auf mir niederprasseln und auf meiner schneeweißen Haut herunterlaufen.
Als nächstes ertasten meine Hände eine hölzerne Oberfläche, die mich zu umringen scheint. Einen „Sarg“ hat man diese Kiste genannt, so meine ich. Die Toten werden normalerweise hier reingelegt und bestattet. Doch warum kann ich dann den Regen auf mir fühlen?
Meine Augen beginnen sich zu öffnen. Erst ist die Sicht verschwommen. Doch geht sie nach und nach in zurückgewonnene Sehschärfe über. Nach längerem Öffnen der Augen, ist es mir wieder möglich zu sehen. Langsam richte ich mich auf, bin dabei noch etwas benommen. Das erste was ich tue, ist mir die Arme um mich zu legen. Denn unangenehme Kälte umgibt mich.
Ich beginne umherzuschauen: Ich scheine mich hier auf einem Friedhof zu befinden und sitze in diesem offenen Sarg, der Spuren von Gewalteinwirkungen aufweist. Er muss aufgebrochen worden sein. Ich schätze mal, es war dieser Typ, der gerade vor mir steht und wohl hinter seiner Sonnenbrille überheblich auf mich herabsieht. Es ist ein smart aussehender Anzugträger, schlank, mit dunkelblonden Haaren. Der Typ steht dort lässig vor meinem Grab, mit den Händen in den Hosentaschen. Er scheint auf weitere Reaktionen meinerseits zu warten. Und während im Hintergrund permanenter Regen auf den Grabstein niederprasselt, was winzige, sprühende Wasserfunken an dessen Oberfläche erzeugt, erwidere ich dessen prüfenden Blick, indem eine unangenehme Ruhe liegt.
„Ich dachte schon, dass wird heute nichts mehr. Wollte Ihnen bereits eine höhere Dosis verabreichen, doch wie ich nun sehe, sind Sie endlich wach. Oder besser gesagt – zurück von den Toten.“, sagt der Anzugträger, der mit einer futuristisch aussehenden Spritze zwischen den Fingern spielt und weiter auf mich herabblickt. Dabei ist er nun in die Hocke gegangen.
Der Kerl sieht einmal über mich hinweg, dann wieder zurück und fängt an, weiter zu reden: „Hallo Mr. Sinclair, freut mich Ihre Bekanntschaft zu machen. Erwarten Sie jetzt bitte nicht von mir, dass ich mich Ihnen als ‚Der Teufel‘ vorstelle. Der bin ich nämlich nicht. Ich bin viel mehr ein teuflisch guter Agent, wenn Sie verstehen. Sie sind jetzt sicherlich verwirrt. Doch hier erst mal; meine Karte…“
„Ich wurde mit der Giftinjektion hingerichtet… Bin ich im Jenseits?“, frage ich den Typ und nehme die Visitenkarte langsam entgegen. Auf der Visitenkarte steht: „Ralph Gardener“ und „Hellsgate Inc.“. Ich starre den fremden Mann süffisant an, wartend, ob er auf meine Frage eingehen wird.
„Nein. Das ist sicherlich nicht das Jenseits. Das ist nach wie vor irdischer Boden. Man könnte sozusagen behaupten, dass Sie einfach von der einen Injektionsnadel zur Nächsten gereicht worden sind.“
„Was meinen Sie damit…?“, frage ich, doch beginne zeitgleich zu merken, wie sich mir der Magen herumdreht. Ich übergebe mich zur Seite hinweg.
„Machen Sie sich nichts draus. Das tun die meisten Wiedererweckten, wenn sie unsere Lösung verabreicht bekommen. Unsere künstlichen Enzyme sind dazu in der Lage, den Prozess des Zellenverfalls eines Toten in die gegenteilige Richtung umzukehren, was aufgrund des Sauerstoffmangels normalerweise umgekehrt vonstattengeht und den Zellenverfall des Leichnams in Gang setzen sollte. Durch Hilfe unserer Technologie werden manche Zellen entkernt, recycelt und neu ausgerichtet. Andere, unbrauchbare Zellen werden ausgesiebt und im Magen konzentriert, von wo aus sie ausgeschieden werden können. Die Übelkeit ist völlig normal. Dein Körper reagiert auf die Rekonstruierung des organischen Systems. Keine Sorge, wird wieder nachlassen“, gibt dieser „Gardener“ von sich.
Dann fügt er noch hinzu: „Ob es Ihnen gefällt oder nicht – Sie werden mich nun begleiten müssen. Denn ich habe für Sie bereits einen Arbeitsvertrag unterzeichnen lassen.“
Der Agententyp, der sich wohl selbst gern reden hört, setzt bereits zum nächsten Satz an – doch nun komme ich ihm zuvor: „Halt ! Stopp! Auszeit! Was zur Hölle ist hier eigentlich los?! Und welchen ‚Vertrag‘ soll ich abgeschlossen haben? Soll das eine Art Scherz sein?! Ich kenne meine Rechte!“
Ich war daran, einfach aufzustehen und von hier fort zu marschieren, damit ich diesen Typ hinter mich lassen kann. Allerdings hält mich eine Art unerklärliche „Kraft“ an Ort und Stelle fest.
„Der Vertrag ist bereits geschlossen.“, antwortet mir Gardener. Der einen Arbeitsvertrag von einer sogenannten „Hellsgate Corporation“ vorzeigt – mit meiner Unterschrift.
Weiter erläutert er: „Für Wiedererweckte existiert kein Menschenrechtssystem. Du hast keine Personalien mehr und giltst offiziell als tot. Du hast als Wiedererweckter zwar weitestgehend freie Entscheidungsmöglichkeit, doch solltest du ein Vorhaben tätigen wollen, dass den vertraglichen Gegebenheiten widerspricht, – wie etwa illegal von hier das Weite zu suchen – wird das Nanoüberwachungssystem aktiv werden, das deinen nervlichen Zellen auf der Stelle die entsprechenden, elektrischen Signale durch winzige Nanobots vermittelt. Impulse, die dazu im Stande sind, einen Befehl des Kleinhirns zu simulieren. Alles auf Basis hochmoderner Nanotechnik.“
Es ist alles so surreal, auf eine alberne Weise und auch macht der Kerl mich langsam wütend, der nun dass abfälligste Lächeln aufsetzt, das ich jemals gesehen habe.
„Sie sind nur ein Krimineller…“, er schiebt die leicht abgesenkte Agentenbrille wieder vor die Augen und fügt an: „…Nur ein wiederhergestellter Krimineller. Der nun für seine Sünden Buße tun kann .“
Gardener erhebt sich aus der Hocke. „Sie werden nun mit mir kommen, Sinclair.“
„Wo-wohin bringen Sie mich?“, frage ich. Doch der Wichtigtuer schweigt und ich folge ihm. Obwohl ich nicht will, dackele ich ihm wie ein Schoßhündchen hinterher. Es ist absolut verrückt. Und ich habe keinen Schimmer, was mich erwarten wird.
Am Ende der Straße erwartet uns ein schwarzer Mercedes mit getönten Fensterscheiben. Noch so ein Agententyp hält uns bereits die Tür offen. Wir steigen ins Auto. Gardener sitzt neben mir. Wir fahren los und lassen den Stadtfriedhof hinter uns.
„Dürfte ich nun endlich erfahren, warum ich nach einer verdammten Giftinjektion nun wieder unter den Lebenden weile?“, frage ich und füge noch energisch hinzu: „Es ist unmöglich die Toten wiederzubeleben! Ich hätte gerne Antworten.“
Gardener bricht sein Schweigen: „Vielleicht haben Sie einmal etwas vom Mythos rund um Herbert West vernommen, der Anfang des 20. Jahrhunderts reihenweise Experimente an Leichen durchgeführt hatte. Zwecks dem Versuch diese wiederzuerwecken. Er war tatsächlich der erste Mensch, dem dies gelang. Sogar auf Übersee verschlug es ihn. Wo der Krieg tobte und sich die Leichen nur so türmten, einzig um seine Gier nach neuen, toten Versuchsobjekten befriedigen zu können. Zwar hat er nichts als hirnlose Kreaturen ins Leben zurückgerufen, unbrauchbarer Menschenmüll, doch lieferte es für uns die später nötige Grundlage, um dessen Lösung so weit ausgereift verwenden zu können, dass sie sogar mit unserer Biotechnologie kombiniert werden kann.“
„A-aus was besteht denn diese Lösung eigentlich…?“, frage ich als nächstes.
„Wollen Sie es wirklich wissen?“ Ich nicke.
„Es ist nicht die Lösung selbst oder die Nanobots… Die fundamentalste und wichtigste Zutat sind winzige Parasiten, die sich im Rückenmark festsetzen und das fundamentale Enzym im Toten verbreiten, das dazu in der Lage ist, Spuren zerfallener Zellen zu lesen und ‚reproduzierte‘ Kopien davon zu erzeugen, welche sozusagen fortan als Platzhalter für die toten Zellen dienen. Allerdings reicht dies allein nicht aus, um Menschen mit gesundem Bewusstsein wiederzuerwecken. Nur in Kombination mit der von uns entwickelten Nanostabilisierung fanden wir eines Tages einen Weg, diesen molekularen Prozess soweit stabilisieren zu können, dass die Testobjekte mit dem selben funktionsfähigen Verstand zurückkehrten, mit dem sie aus dem Leben schieden und den sie wie zu Lebzeiten fortan verwenden würden.“ Gardener stützt sich am Fenster ab. Als ich von „Parasiten“ höre, dreht sich mir der Magen abermals herum. Ein Schauder läuft mir den Rücken herunter.
Zögerlich frage ich: „Was für Parasiten…?“
„Wo oder wann West diese unbekannten Parasiten auftrieb, ob er sie vielleicht doch selbst im Labor züchtete, wissen wir nicht genau… Wir vermuten stark einen außerirdischen Ursprung.“, sagt er.
„Doch seien Sie unbesorgt wegen der Parasiten… Sie werden sicherlich zu keiner hirnlosen Kreatur. Unserer Technologie sei Dank. Sie können sich glücklich schätzen.“, gibt Gardener zum Abschluss.
Ob ich diesem ganzen Scheiß glauben soll? Zurück bleibt jedenfalls ein unbehagliches Gefühl… Das Auto kommt gerade zum Stehen.
Wir sind wohl am Ziel.
„Was wollen wir in so ’ner schäbigen Bruchbude?“, gebe ich von mir, während wir das heruntergekommene, leer stehende Haus betreten. „Ich hätte mir etwas mehr…“, ich sehe mich um und füg hinzu: „…’Moderne‘ und mehr ‚technischen Kram‘ vorgestellt.“ Dieser Ort ist mehr Kriegsruine, als Firmensitz.
„Seien Sie still. Folgen Sie mir einfach…“, sagt Gardener. Wir betreten ein verstaubtes Kinderzimmer mit siffiger Tapete, die schon einige Flecken aufweist. An der Wand hängt eine merkwürdige Kinderzeichnung von einer Ziege und einem Auge im Hintergrund. Umherwandernder Staub macht sich im geringen Lichteinfall durch die halboffenen, halbkaputten Fenster-Rollos bemerkbar. Eine große, vergilbte Hasenplüschpuppe liegt auf dem halb zerrissenen Teppich. Wir stehen nun vor einem Kleiderschrank und ich habe keinen Schimmer, was wir hier wollen; an diesem Ort.
„Da sind wir, Mr. Sinclair.“ Gardener öffnet den alten Kleiderschrank im Zimmer. Er steigt hinein, durchwandert ein kleines Stück hinter verkommenen Klamotten und löst die Wandplatte von der Wand. Eine Art „Luke“ kommt zum Vorschein. Wir kriechen beide hindurch. Gardener setzt die Platte wieder zurück. Weiter klettern wir in eine ausgearbeitete Kammer, die am Boden etwas aufleuchtet, da sich dort ein Eingabescreen befindet. Gardener gibt den Code ein, was dazu führt, dass sich eine weitere Luke zu öffnen beginnt, unterhalb von uns, mit dampfenden Geräusch. Ich komme mir dabei wie in einem U-Boot vor. Als die Luke aufragt, klettern wir die metallischen Sprossen herunter. Unten angekommen, erwartet uns ein leer stehender, schwach beleuchteter Korridor. Am anderen Ende des Ganges steht ein normaler Aufzug, wie man ihn eigentlich nur in Wohnkomplexen erwarten würde und nicht an solch einem Ort.
Aus mir entweicht nur ein: „Verdammte Scheiße… Wer baut so was?“
Gardener und ich gehen zum Aufzug herüber. Er ruft den Fahrstuhl herbei, mich nach wie vor nicht beachtend. Nach dem Klingelgeräusch, öffnen sich die Schiebetüren. Kurz bevor wir eintreten, dreht sich Gardener plötzlich zu mir um, wobei er die Sonnenbrille wegsteckt und einen Gesichtsausdruck zum Vorschein bringt, als hätte er größte Erwartungen an mich.
„Sind Sie gläubig, Mr. Sinclair? Glauben Sie an die Hölle?“, fragt er mich.
„Ähm ja, an Gott glaube ich. Denke schon, dass Himmel und Hölle existieren…“, antworte ich.
„Hervorragend! Denn ich kann Ihnen versichern – zumindest die Hölle existiert wirklich. Nur nicht ganz in dieser Form, wie Sie es vielleicht denken… Folgen Sie mir.“, gibt er von sich.
Wir betreten den Fahrstuhl. Einzig die Tasten „E“ und „U“ stehen zur Auswahl. Es ist die U-Taste, die er drückt. Mit einem Ruck setzt es den Aufzug in Bewegung.
„Sie werden mir doch wohl nichts antun wollen…?“, frage ich Gardener, mit hochgezogener Augenbraue. Doch der verharrt nur noch regungslos im dunklen Eck des Fahrstuhls. Stillschweigen liegt nun zwischen uns. Abwechselnder Licht und Schatteneinfall, der von den Röhrenlichtern außerhalb des Aufzugs durch die Spalten hereindringt, lässt seine emotionslosen Haifischaugen immer wieder hell und dunkel in Erscheinung treten. In regelmäßigen Abständen. Ich fühle mich zunehmend unwohl. Zum Fick… Ob sie mich foltern werden? Oder ob sie an mir grausame Experimente durchführen? Ich bin komplett ahnungslos. Mir wird mehr und mehr mulmig zumute, denn der Fahrstuhl fährt bereits eine gefühlte Ewigkeit in den Abgrund. So, als ob der Boden kein Ende mehr finden würde. Ich verspüre im Moment den sehr starken Drang, auf den schweigenden Mistkerl loszugehen… Doch sobald ich die Faust balle, dazu geneigt, die nötige Bewegung in Gang zu setzen, folgt wieder diese innere, automatische Unterbindung. Körperliche Auseinandersetzungen scheinen wohl auch gegen den „Arbeitsvertrag“ zu verstoßen.
Der Fahrstuhl muss schon mindestens seit zwanzig Minuten ins finstere, mir unbekannte Untergeschoss fahren, wenn nicht noch länger. Allerdings bemerke ich, wie er nach und nach langsamer wird . Sind wir etwa gleich am Ziel? Auch bemerke ich einen Anstieg der Temperatur. Und in dumpfer Ferne kann ich klimpernde und schlagende sowie hämmernde Geräusche von bearbeitendem Eisen oder dergleichen vernehmen sowie ein schwaches Rauschen…
„Wir sind da, Mr. Sinclair.“, sagt Gardener, der sich nun wieder bemerkbar macht.
„Na da bin ich aber froh…dachte schon, es wird heute nichts mehr.“, entgegne ich.
Nun kommt der Aufzug endgültig zum stehen. Untermalt von einem albernen Klingeln. Gardener stellt sich vor die noch geschlossene Tür und baut sich vor mir auf. Er möchte wohl noch was loswerden…
„Oben sagte ich Ihnen, dass die Hölle zwar real ist, doch nicht in der Vorstellung, wie sie in den meisten Köpfen existiert…“ Er dreht sich zur Tür herum. „Ich sage Ihnen, mein Guter…“, die Aufzugtür beginnt sich zu öffnen, „Die Hölle ist ein Konzern. Herzlich willkommen bei der Hellsgate Corporation.“
Er verlässt mir voraus den Fahrstuhl und tritt ins feurige Licht. Ich tue es ihm gleich. Und was ich hier erblicke, schockiert und beeindruckt mich gleichermaßen. Nie hätte ich gedacht, dass so etwas unter der Erde existieren würde. Was in Dreiteufelsnamen… Was mir in diesen unterirdischen Hallen entgegen kommt, ist das Brummen von Baggern, das Wuseln tausender, mit Helmen bedeckter Bauarbeiter, das Abklopfen von dickem Gestein, das Verlegen und Aufpeitschen von Kabelelektrik, das Schweißen von komplexen Metallstücken, der Funkenregen automatischer Kreissägen und ein enormer Temperaturanstieg, der sicherlich auch dem härtesten zu schaffen macht. Wir schlängeln uns zwischen all den Bauarbeitern hindurch, die, ohne sich zu beklagen, mit nichts anderem beschäftigt scheinen, als den ganzen Tag den Hammer zu schwingen. Ein Arbeiter fährt einen Schubkarren umher, ein anderer verlegt irgendwelche Rohre, ein weiterer seilt sich wo ab und wieder ein anderer sieht sich mit mehreren Helmträgern zusammen einen Plan an und gestikuliert wild. Andere ziehen Stahlplatten hinter sich her, wieder andere bedienen diverse Maschinenteile. Da hier so eine brütende Hitze vorherrscht, kann man wirklich von einer schweißtreibenden Arbeit sprechen. Gardener hingegen scheint die Hitze wohl absolut nichts auszumachen. Er läuft ganz normal vorwärts und führt mich weiter ins innere der Halle.
„Zum Teufel… was ist das hier alles?! Sprechen Sie, Gardener!“, gebe ich von mir, während wir weiter spazieren.
„Na schön, Sinclair…“, sagt er.
„Wir, die Hellsgate Corporation, sind ein verdeckter Schattenkonzern, dem es über Jahre hinweg gelang, eine ganze Bunkerbaustruktur im tiefen Untergrund zu errichten, bis zu diesem Stadium, das Sie nun sehen können. Was von all diesen 25.000 Arbeitern aufgebaut wird, soll bereits in wenigen Jahren zu einer Bunkermetropole beziehungsweise zu einer konformen Sicherheitsstadt werden. Eine Sicherheitsstadt für ein geheimes Bündnis, das aus Teilen der einflussreichsten und reichsten Menschen des Planeten besteht. Das sind die Billionenschweren Investoren, die mit ihren Finanzspritzen all dies erst ermöglichen und zu einem späteren Zeitpunkt hier ansiedeln werden. Wer da alles drinsteckt, müssen Sie nicht wissen… Selbst die hohe Temperatur wird später kein Problem mehr darstellen, da hochmoderne Klimaregulatoren installiert sein werden. Sie müssen wissen: Wir sind ein Konzern, der weiß seine Kunden zufrieden zu stellen. Auch sind wir ein gut verborgener Konzern. Bis auf die besagten Investoren, weiß niemand von unserer Existenz und umgekehrt, weiß keiner von den Investoren. Niemand kann unsere Aktivität oder den Geldfluss dahinter zurückverfolgen. Und wenn Sie, als jemand der wie alle anderen Arbeiter hier eigentlich als ’nicht existent‘ gilt, darüber nachdenken, dürfte Ihnen auch klar werden, warum das so ist.“, erklärt mir Gardener, der dabei abfällig zu mir nach hinten schielt.
Als nächstes drücken wir uns an einem Arbeiter vorbei, dem Gardener mit einem kumpelhaften „Hey Fred! Alles klar bei dir?“ auf die Schulter tippt, während ich über die Schilderungen Gardeners nachdenke. Der Arbeiter winkt mit rauchender Kippe im Mund zurück und schraubt danach weiter an seinem Werkzeug herum, während wir an ihm vorbei gehen.
Dann gibt er noch gleichgültig von sich: „Denken Sie daran, Sinclair… Immerhin müssen wir für den ‚Tag des jüngsten Gerichts‘ gewappnet sein.“
Wie jemand der bis eben unter dem Einfluss der Hypnose gestanden hat und nur unter einem bestimmten Code-Wort zu sich kommt, trifft dieses Stichwort mein Gedächtnis wie ein niederschmetternder Hammerschlag. Ich beginne zu schwanken, doch fange mich gleich wieder. Kurz vor meiner Hinrichtung, machte es überall die Runde. Jeder hatte im Gefängnis darüber gesprochen. Es ist bei mir nur deshalb nicht präsent gewesen, weil ich mich damals nur noch auf die Hinrichtung konzentriert hatte und einzig mein Ende durch meine Gedanken gegeistert war. Jetzt erinnere ich mich wieder… Was mich zur selben Zeit erschaudern wie auch meinen Puls ansteigen, ja förmlich rasen lässt vor Fassungslosigkeit und surrealem Unglaube.
„Ihr verdammten Mistkerle… Während an der Oberfläche das reinste Chaos vorherrschen wird, verschanzt sich die globale Elite heimlich im Riesenbunker.“, gebe ich von mir und füge hinzu: „Mit verdammten Klimaregulatoren!“
Inzwischen sind wir an einer abgelegenen Stelle angekommen, in der nur vereinzelte Arbeiter mit der Spitzhacke tätig sind. Gardener bleibt ab hier an stehen, wendet sich wieder mir entgegen und erwidert: „Dass Sie es sich leisten können, den moralischen Zeigefinger anzuheben, bezweifle ich. Sie sind schließlich ein verurteilter Mörder. In dieser künstlich von Menschenhand erschaffenen Hölle, können Sie zumindest so etwas wie ‚Buße‘ tun und ihren Beitrag zum Erhalt der Menschheit leisten.“
„Was wissen Sie schon, was damals geschehen ist?! Ich habe außerdem meine Verurteilung erhalten! Ich wurde hingerichtet! Und ihr habt mich gegen meinen Willen ins Leben zurückgeholt!“, antworte ich, dem Tränen in die Augen steigen und der Gardener am liebsten erwürgen würde, wenn mein Nervensystem nicht unter Fremdeinwirkung stünde.
Gardener versucht mich auf seine nüchterne, arrogante Art zu beschwichtigen: „Hören Sie, Mr. Sinclair… In genau sieben Jahren steht der Tag des jüngsten Gerichts bevor und mindestens 90% der Menschen an der Oberfläche werden diesen nicht überstehen. Hier unten werden zu großen Teilen die klügsten und einflussreichsten Köpfe des Planeten Schutz suchen. Diese werden zu einem späteren Zeitpunkt – nach dem Tag des jüngsten Gerichts – an die Oberfläche zurückkehren und dem kläglichen Rest der Menschheit beim Wiederaufbau vorheriger, funktionierender Strukturen verhelfen. Wenn es nicht zurück in die Steinzeit gehen soll, muss gesunde Aristokratie vorherrschen. Sie, Mr. Sinclair, als Teil des Hellsgate Projekts erweisen der Menschheit gewissermaßen einen großen Dienst.“
Gardener klopft mir auf die Schulter, ehe er abzieht und mich hinter sich lässt. Aus der Distanz folgt noch mit leichtem Zynismus: „Nehmen sie die biologische Hülle, oder was wir ‚Leben‘ nennen, für nicht allzu wichtig. Am Ende stehen wir doch alle unter willkürlicher Fremdeinwirkung. Ob es sich dabei um Massenkonsum, religiös imaginäre Zugehörigkeit, Idealismus und Vorbildfunktion, ideologische oder politische Einstellungen handelt macht dabei auch keinen Unterschied mehr. Bis zum Tod hin, lastet sich der Mensch sein Sklavendasein selbst auf und ich persönlich finde; dann sollte es erst recht bis über jenen Tod hinausgehen. Wir sehen uns, Mr. Sinclair.“ Nach diesen Worten verschwindet Gardener im Strom der Arbeiter.
So sehr ich auch dagegen ankämpfe… So sehr ich auch verzweifle… Wie einprogrammiert greife ich nach der Spitzhacke. Wie einprogrammiert setze ich mir einen der Helme auf. Ich nähere mich dem Steinbruch und beginne instinktiv den Stein an der richtigen Stelle zu klopfen. Und das voraussichtlich für eine sehr sehr lange Zeit…
…
Wir haben nun das Jahr 2039. Gott… Es ist Ewigkeiten her, seitdem ich von Hand etwas auf Papier geschrieben habe… Sieben Jahre um genau zu sein. Ich sitze gerade im Zimmer der Arbeitersiedlung. Mein Zimmergenosse und Arbeitskollege Joe hat mir dieses Notizbuch besorgt, in das ich fortan meine Gedanken niederschreibe und die Ereignisse aus meinem Alltag festhalten werde. Warum ich das tue? Einfach so. Ohne besonderen Grund. Es spricht nicht gegen den Arbeitsvertrag und das Kontrollsystem lässt es zu. In all den Jahren habe ich die Erfahrung machen können, dass dieses System vor allem dann aktiv wird, wenn man versucht zu flüchten, wenn man daran ist die Arbeitsschicht zu verschlafen, wenn man zu lange während der Arbeitsschichten bummelt oder wenn plötzliches Gewaltpotenzial aufkeimt, wie sich beispielsweise mit einem Aufseher oder Kollegen prügeln zu wollen. Meine Ehrliche Meinung? Man gewöhnt sich irgendwann an alles. Zum Teufel… Das Kontrollsystem hat so gesehen sogar etwas positives: Die, wie sie sagten, Nano-Upgrades in unserem „Hippocampus“ (ein Teil des Gehirns, der Informationen abspeichert oder so) sorgte schon zu Beginn haargenau dafür, dass wir automatisch wussten; wie unsere täglichen Arbeitsschritte aussahen, die Namen der Kollegen, wie die Arbeitszeiten eingeteilt waren, in welchen Zimmern wir bei den Arbeiterunterkünften wohnen würden und selbst banalere Dinge wie; wo sich die Konservennahrung befand, wie lange uns so etwas wie Freizeit zur Verfügung stand oder über welche Themen wir uns unterhalten durften. Es ist eigentlich ganz praktisch und im Prinzip unterscheidet es sich kaum von meinem weit früherem Knastleben, welches Jahre zurückliegt.
Ich habe in den Jahren oft an meine Familie gedacht. Oder zumindest das, was damals davon noch übrig war. Und auch an Maya habe ich oft denken müssen… Ralph Gardener habe ich in all den Jahren nur selten zu Gesicht bekommen. Vielleicht ist er irgendwann ersetzt worden oder vielleicht mussten einfach keine weiteren Arbeiter mehr aus ihren Gräbern rekrutiert werden, wer weiß das schon. Letztlich stieg die Arbeiterzahl auf insgesamt 30.000 und hielt sich so bis heute, zur Fertigstellung der großen Bunkerstadt „Osmium“. Die unterirdische Bunkerstadt, die von den Untoten errichtet worden ist, so könnte man sagen… Die Stadt ist wirklich eindrucksvoll geworden. Müsste ich es mit wenigen Stichworten beschreiben, wäre es: monumental, metallisch, glasig und sogar pflanzlich. Man kann es förmlich fühlen, dass hier drin Billionensummen stecken müssen… Es ist wie Science-Fiction. Die Bonzen sind übrigens seit zwei Wochen eingetroffen und haben Osmium besiedelt. Der Tag des jüngsten Gerichts wird wohl bald bevorstehen. Ich selbst habe zwar noch keinen der Neu-Bewohner Osmiums zu Gesicht bekommen, denn die meisten Arbeiter, einschließlich meiner Wenigkeit, hausen auf einer anderen Tunnelebene und kommen mit der großen Stadt nur dann in Berührung, wenn Wartungs-, oder Reinigungsarbeiten anstehen, doch so manch ein bereits dort gewesener Arbeiter munkelt, man hätte unter anderem militärisch aussehende Leute erkannt, einige hochrangige Personen aus internationaler Politik, den Kopf eines großen Finanzinstituts, den Entwickler irgendeiner Technologie, einen milliardenschweren Immobilieninhaber, irgendwelche Vorstände, irgendwelche Chinesen im Anzug, ganze Familien mit ihren Kindern und sogar einen Öl-Scheich hätte man gesehen, der dort umhergewandert sei. Die verschiedensten Personen mit jede menge Geld scheinen dort angesiedelt…
Was ich davon halten soll? Ganz ehrlich: Es ist mir egal. Ich betrachte mich selbst als das, was ich eigentlich sein sollte und das ist: T-O-T – Tot. Es geht mich nichts mehr an, was die Lebenden noch so treiben. Na ja… Vielleicht ist diese Ansicht doch etwas zu dick aufgetragen… Denn ich muss gestehen, ich bin ein klein wenig stolz, meinen Teil zum Projekt Osmium beigetragen zu haben. Aber auch nicht zu stolz… Denn immerhin hat Hellsgate dafür gesorgt, dass meine reale letzte Ruhe bis heute verwehrt geblieben ist. Ich beende das Schreiben für heute. Werde langsam müde, gehe schlafen.
Eintrag Ende.
Heute sind wieder Wartungsarbeiten angestanden. Ein Arbeitertrupp ist drüben gewesen. Gerade eben sind sie zurückgekehrt. Carl geht es nicht so gut. Was ungewöhnlich ist: Denn „krank“ zu werden war immer etwas, dass uns in all den Jahren nie betroffen hatte. “Durch regelmäßige Gesundheitschecks des Nanosystems seien wir dagegen immun und immer zur absoluten Höchstleistung fähig“, hieß es aus dem Management. Ich persönlich vermute, es könnte die Anspannung vor dem morgigen Tag sein… Denn Morgen ist es soweit – „der Tag des jüngsten Gerichts“ wird für die Menschen der Oberfläche hereinbrechen. Gott… Ich kann es immer noch nicht so richtig fassen… es war in den Arbeitsjahren noch alles so weit weg… es war immer so surreal… Dort oben muss jetzt schon unfassbares Chaos vorherrschen. Ganz sacht, kaum hörbar und wenn alles still ist, hallen die Stimmen und Rufe von den Menschen der Oberfläche sogar zu uns herunter. Die Tumulte der armen Seelen dort oben erzeugen ebenfalls eine schwache Vibration, die dann etwas stärker zu spüren ist, wenn man sein Ohr an die Felswand hält. Was mir allerdings gerade psychisch am meisten zu setzt, ist ein hauchdünnes Rinnsal, das ich bis jetzt dabei beobachten konnte, wie es an einer Stelle des Höhlengesteins aus einem verborgenen Winkel austritt, oben an der Wand, kaum sichtbar. Ein dunkles Gefühl überkommt mich, nachdem es sich als hauchdünne Blutspur im Dunkeln zu erkennen gegeben hat. So erstaunlich es auch klingen mag, irgendwie hat es sich seinen Weg bis in den tiefsten Untergrund voran gebahnt… Die Vorbereitungen auf morgen allein sind wohl schon ausreichend, dass sich oben anarchische Zustände zutragen müssen. Wie dem auch sein… Möge Gott den noch Lebenden Morgen gnädig sein. Für heute war es das. Lege mich nun hin.
Eintrag Ende.
Das Donnergrollen raunt quer durch das Gestein… Es ist unerträglich. Der Tag des jüngsten Gerichts muss in diesem Moment begonnen haben… Dass das Grollen an den Wänden trotz des massiven Gesteins und der stählernen Konstruktion soweit im Untergrund so unerträglich sein würde, hätte ich niemals für möglich gehalten…! Der ganze Boden scheint zu beben und zu vibrieren als würde gleich alles zusammenstürzen! Selbst die Bonzen werden anscheinend unruhig, wie es Gerüchte die Runde machen. Mein Zimmerkumpane Joe läuft vor Anspannung im Zimmer auf und ab. Ununterbrochen. Wie ein Irrer. Ebenso bröseln immer wieder kleinere Steine von der Tropfstein artigen Decke und wir hoffen in diesem Moment einfach nur, dass das architektonische Sicherheitskonzept dem stand hält. Ich liege in meinem Bett und halte mir mit dem Kissen das andere Ohr zu, während mich ein altes Gefühl heimsucht, das ich lange nicht mehr gespürt habe… Nein, nicht direkt Angst…mehr ein Gefühl innerlicher Zerrissenheit. Ein Gefühl innerlich zu zersplittern.
Ich geriet wieder in Streit mit Maya.
Ich war wieder beim Dealer an der Straßenecke.
Ich warf mir ein weiteres mal das scheiß Meth ein.
Ich raste wieder mit 80 Km/h durch die Stadt.
Mir lief nochmal das acht jährige Mädchen vor das Auto.
Ich musste abermals den Eltern des getöteten Kindes im Gerichtssaal gegenübertreten.
Ich wurde noch einmal zum Tode verurteilt.
Im Knast bekam ich noch einmal die Sondermeldungen mit, dass bislang unentdeckte und bedenklich große Asteroidenteile in genau sieben Jahren auf der Erde einschlagen würden. Was sich fortan als „Tag des jüngsten Gerichts“ in aller Munde befinden würde. Riesige Asteroidensplitter, gegen die selbst das Militär nichts ausrichten können wird, hieß es. Ja…noch mal hinrichten…und noch ein weiteres mal hinrichten…und dann noch mal hinrichten! Das ist, was nun am besten wäre. Eintrag Ende.
Kaum zu glauben, aber es ist vorbei. Wir haben tatsächlich einen verdammten Asteroidenhagel überstanden und gehören vermutlich zum kläglichen Rest weniger Überle… Wie war noch gleich das Wort dafür… Ähm ja, jetzt weiß ich es wieder: Es war „Überlebender“ – wir gehören zum kläglichen Rest weniger Überlebender der Menschheit, das wollte ich schreiben. Leider fällt es mir gerade überhaupt schwer, mich aufs Schreiben zu konzentrieren. Seit den ganzen Erschütterungen habe ich ein komisches Stechen im Kopf, das hoffentlich bald wieder verschwindet. Ein paar wenige Dinge muss ich allerdings noch los werden: Owen hat mich eben in Erfahrung gebracht, dass sich wohl drüben bei den Bonzen, während des Bebens, einer der Stahlträger löste und beim herunterfallen irgendetwas zertrümmert hat. Es gibt zwar keine Verletzten und ansonsten hat das architektonische Sicherheitskonzept standgehalten, doch habe ich irgendwie ein sehr ungutes Gefühl bei der Sache… Keinen Schimmer, was für ein apokalyptisches Ausmaß die Asteroidenteile oben hinterlassen haben. Oder ob es überhaupt Überlebende an der Oberfläche gibt, die sich vielleicht in irgendwelchen anderen Bunkern verschanzen konnten… Wenn es diese geben sollte, hoffe ich mal, dass sie sich mit reichlich Gasmasken eingedeckt haben, denn die Luft dürfte wohl für die nächsten Jahre verpestet sein. Mir geistern übrigens momentan die damaligen Worte von Gardener durch den Kopf, als er meinte; „die wenigen Überlebenden bräuchten Führungsriege für den Wiederaufbau“. Ob der Zweck die Mittel bei der ganzen Sache tatsächlich geheiligt haben soll, diese Frage bleibt für mich nach wie vor unbeantwortet… Vielleicht war es doch die richtige Entscheidung, den betuchten global Playern den Arsch zu retten. Immerhin bringen sie ja auch nötiges, technisches Know How mit, mit dem der große Wiederaufbau menschlicher Zivilisationen beschleunigt werden könnte (hoffe ich mal). Dann wiederum… Kann man denen trauen? Dass sie die jetzige Lage nicht für sich selbst und zur Machtfestigung missbrauchen? Korrupt waren sie doch schon vor dem allem hier… Ich weiß auch nicht. Mal sehen, was noch folgen wird… Ich lege mich wieder hin.
Eintrag Ende.
Okay. Ich wollte den heutigen… den heutigen.. ach… wie war das Wort noch gleich… Ich wollte es für den heutigen Eintrag eigentlich gut sein lassen. Doch etwas von außerhalb des Zimmers hatte mich eben aufgeweckt… Joe kann es schon mal nicht gewesen sein, er pennt weiterhin in seiner Ecke. Es war eine Art Streichen oder Kratzen an der Tür, mit folgenden Schleifschritt, der irgendwann abließ und sich in blinder Ferne, distanziert auflöste. Das mulmige Gefühl, welches mich bereits schon über den ganzen Abend begleitet und wie ein beobachtender, rotäugiger Rabe aus der Schattenwelt über mir nistete, hat sich soeben nochmal deutlich verstärkt. Denn als ich eben die Tür öffnete, um dem Geräusch von eben auf den Grund zu gehen, hatte ich im dunklen Gang zwar nichts entdecken können, doch habe ich einen plötzlichen, weit distanzierten, komischen Schrei vernommen… Kann nicht sagen, was das war, mitten in der Nachtruhe. Was ich allerdings sagen kann: Über die Jahre hinweg fängt man irgendwann damit an, auf das zu hören, was die düsteren, gefühlskalten Gesteinsschichten zur Decke hin einem so zuflüstern. Und was sie im jetzigen Moment für dunkle Botschaften durch die Gänge tragen, soll nichts sehr gutes verheißen…
Eintrag Ende.
Ich… bin ein weiteres Mal wach geworden. Diesmal hat es an der Tür geklopft. Ich habe aufgemacht und wer mir entgegen getorkelt kam, ist George gewesen. Mein ungutes Gefühl bestätigte sich nun durch besorgniserregende Umstände, die mir durch George zu Teil wurden… Denn, wie ich es gerade von ihm erfahren habe, der extra aus den hinteren Arbeiterunterkünften zu uns herüber marschiert kam, gehe es Bryan scheinbar nicht besonders gut. Um ehrlich zu sein, gehe es ihm sogar sehr schlecht. Er habe sich übergeben müssen und liegt jetzt völlig ausgelaugt in seinem Bett. Genauso sei es bei einigen weiteren Zimmerkumpanen, die ebenso körperliche Beschwerden zu beklagen hätten… Wollte mich gerade mit George über nötige Maßnahmen beraten, als plötzlich noch Isaac zu uns gestoßen kam. Das erste dass er tat, war die alte Holztür hinter uns zu zuwerfen und uns mit wildem Blick anzusehen. Er… Er ist voller Blut gewesen. Sein oberer Teil der Kleidung war voll damit, was uns zuerst entsetzt zurückweichen ließ. Es sei nicht sein Blut, ist der Versuch gewesen, uns zu beruhigen. Er war dran, uns noch von weiteren Geschehnissen zu berichten, was uns wie ein Schlag in die Magengrube getroffen hat. So hätten mehrere Arbeiter Carl fest fixieren müssen, da er zuvor nicht mehr damit aufgehört hatte, dessen Stirn an die Zimmertür zu schlagen, bis es blutete, wodurch Isaacs Overall auch so besudelt wurde. Kevin sei bissig geworden und hätte sich selbst den Finger abgenagt, worauf ihm der Mund verbunden wurde… Ein Keim der endlosen Angst scheint in diesem Augenblick in uns allen heranzuwachsen. Moment… bei den Arbeitern herrscht gerade irgendein größerer Aufruhr. Ich… Ich muss das Notizheft eben mal kurz bei Seite legen, um nachzusehen, was da gerade los ist…
Eintrag Ende.
Es ist furchtbar! In der gesamten Arbeitersiedlung ist das reinste Chaos ausgebrochen! Türen werden eingeschlagen, die Zimmer verwüstet, brüllend in den Gängen gerannt, abartige Selbstverstümmelungen praktiziert, andere schlagen auf ihre Kollegen ein, bei manchen scheinen ganze Körperteile von selbst abzufallen und andere versuchen sich gegenseitig tot zu beißen! Haben alle komplett den Verstand verloren! …Alle wahnsinnig… Dinge laufen komplett aus Ruder… Habe Joe aussperren müssen… Versucht die verschlossene Tür gewaltsam einzuschlagen… Da…! Der Stuhl! Ich muss…
…
Neue Seite: Es ist wahrlich eine Weile her… Seitdem ich das letzte Mal hier bei den baufälligen Arbeitersiedlungen gewesen bin… Nur noch recht verschwommen erinnere ich mich an ihn… Richtig… Sinclair war sein Name. Ich habe dieses Tagebuch und diesen Bleistift auf dem Boden gefunden. Es hat wohl ihm gehört. Anscheinend hat er hier gewohnt, in diesem schäbigen Zimmer. Vor sieben Jahren, weit vor dem Tag des jüngsten Gerichts, hatte ich dessen Leiche ausgegraben und ihn für den Konzern rekrutiert. Es war ein leicht regnerischer, bewölkter Tag, an dem ich ihm die modifizierte Lösung verabreichte und ihn ins Leben zurückholte… Doch nun, Mr. Sinclair, haben Sie ihn wieder gefunden und an sich genommen: Den wohlverdienten Frieden. Ein weiteres mal hole ich Sie sicher nicht zurück. Da können Ihre leblos glasigen Augen dort in der mit Blut besudelten Ecke noch so ins Nichts starren… Machen Sie es gut.
Diese hirnlosen Kreaturen sind immer noch zu großen Teilen dort draußen… Sie schleichen vor der Tür herum… Stöhnend und sabbernd halten diese Horden nach allem Ausschau, dass noch am Leben als auch essbar sein könnte. Darunter auch meine bescheidene Anwesenheit. Mal sehen, wie lange ich ihnen noch entgehen kann… So bedauerlich… So kurz vor dem Ziel alles verloren zu haben. Letzten Endes war Projekt „Osmium“ ein Fehlschlag. Nicht einmal im Ansatz hätten wir auch nur erahnen können, dass sich durch das unterirdische Beben ausgerechnet dort ein Stück des bearbeiteten Höhlengesteins lösen würde, wo ausschließlich zu einem bestimmten Winkel zur Decke hin die Gabelung zweier Stahlträger ihre größte, doch zugleich unwahrscheinlichst zu treffende Schwachstelle segregiert hielten, was dazu führte, dass sich einer der Stahlträger löste. Beim Herunterstürzen drehte er sich schwungvoll um 270 Grad und nahm dabei so einen ungünstigen Winkel an, dass er durch die Zentrifugalkraft schon fast „Hieb und Stich artig“ ein ganzes Stück des Kontrollraumes einriss, dabei zerstörte er nicht nur die Außenwand des Raumes, er zerstörte etwas viel fataleres… Er zerstörte, was sich innerhalb des Raumes befand – der Zentralcomputer der Nanostabilisierung für die 30.000 Wiedererweckten. Was folgte, war natürlich katastrophal… Es ist schon fast der Beleg dafür, dass Gott nicht würfelt.
Die Arbeiter verloren in kürzester Zeit den Verstand. So schnell, dass wir es nicht rechtzeitig schafften, die Tore vollständig zu schließen. Zuerst wüteten sie gegeneinander, ehe sie folglich uns witterten. Und was soll ich sagen…? Wir wurden von den untoten Arbeitern überrannt. Eine ganze Armee dieser Irren stürmte zu uns herüber. Als hätten sie Tollwut oder als hätten sie Dämonen im Kopf. In dieser Größenordnung konnten sie Osmium schneller einnehmen, als wir es jemals für möglich hielten… Sie drangen in die künstlichen Kuppel-Gärten und Wohnungen ein. Töteten alles und jeden. Übereinander, untereinander, kriechend und kletternd… Es ist ein gieriger Tsunami aus dämonischen Fressern gewesen, der mit blutdürstigen Klauen alles zerfetzte und zerteilte, was er zu greifen bekam. Sicher… Wir hatten einige Söldner und Sicherheitskräfte an unserer Seite, deren täglicher Beruf es zuvor war, mit scharfen Waffen umzugehen und ohne zu zögern zu schießen. Und natürlich hatten wir uns so lange wie möglich auch mit Kriegsgerät gegen diese Bastarde verteidigt, doch gegen die schiere Masse war auf lange Sicht nicht mehr anzukommen. Erschossen wir einhundert von denen, rückten zweihundert neue nach. Die unzerstörbare, große Stadt „Osmium“ ist gefallen. Sie wird nie mehr die selbe sein; überall liegen Tote und Körperteile und diese sabbernden Irren schlurfen immer noch wachsam in der Gegend herum.
Keine Ahnung, wem die Flucht gelang und wem nicht. Die meisten Bewohner Osmiums sind jedenfalls entweder erschlagen, zerrissen oder gefressen worden. Wie lange ich mich hier noch verschanzen kann, ist ungewiss… Die Hölle jedenfalls ist real. Sie existiert wie in den biblischen Zeilen, hier unter der Erde. An diesem Ort. Mit all den Schergen Satans. Verdammt… Sie haben mich gefunden… Schlagen gegen die Tür. Sie sind hier. Ich habe nur noch diese eine Kugel übrig. Ich werde mich lieber erschießen, als diesen Kretins gegenüber zu treten und mich von ihnen zerreißen zu lassen.
Die Menschheit steht nun am tief schwarzen Abgrund… Welch Ironie… Zu was der Asteroid nicht im Stande gewesen ist, hat letztlich menschliches Versagen vollendet. Ich denke, tief im Inneren haben wir von Anfang an gewusst, dass wir zum Scheitern verurteilt sind.
Der Mythos um Herbert West – dem Grundbausteinleger der Wiedererweckung – scheint sich wiederholt zu haben. Eine Kugel… Ich verabschiede mich.
„Das kriechende Chaos… Ich bin der letzte… Ich werde es der lauschenden Leere verkünden…“