GeisterLangeRomantischer Horror

Der verlorene Freund

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

– Jeden Tag beneide ich meine Schulkammeraden. Jeden. Einzelnen. Tag. Warum?

Nun… sie alle haben Freunde. Zumindest behaupten sie, dass sie Freunde haben. Denn ihre Definition von einem Freund ist mir doch sehr schleierhaft. Ist er jemand mit dem man die Streber auf dem Schulhof verprügelt? Ist ein Freund jemand mit dem man sich selbst vor Erwachsenen stark fühlt und so den Mut hat respektlos mit ihnen umzugehen? Ist es eine „coole Aktivität“, wenn man sich nach der Schule das Hirn mit Alkohol und Marihuana zudröhnt? Wenn das die Definition von einem Freund ausmacht, dann haben meine Schulkammeraden wirklich viele Freunde. Und ich hatte dann nie welche.

Und da ich solche Gewohnheiten nicht pflege bin ich halt der Außenseiter auf meiner Schule. Klar habe ich schon versucht mir Menschen mit ähnlichen Interessen zu suchen, doch war ich immer zu schüchtern, um jemanden anzusprechen – ein weiterer Aspekt, den ich an mir hasse. Und das alles nur, weil meine dämlichen Eltern meinten, wir müssen in eine neue Stadt ziehen. Sie meinen es sei wegen der Arbeit meines Dads das Beste. Auf meiner alten Schule hatte ich Personen, mit denen ich mich wirklich gut verstand. Aber jetzt bin ich ganz allein. Wenn das so weitergeht, werde ich bis zum Abschlussball im nächsten Jahr keinen Partner gefunden haben. Gott, warum muss mein Leben immer die Hölle sein. –

Ich legte den Stift zur Seite und klappte frustriert mein Tagebuch zu. Ich richtete meinen Blick auf mein Smartphone. Auf dem Display mit meinem Freund Ben als Hintergrundbild las ich das Datum ab:

28. August 2016.

Es ist schon fast 7 Monate her, seitdem ich mit meinen Eltern von Boston, Massachusetts in die etwa 950 Meilen entfernte Kleinstadt Crownville, Michigan gezogen bin. An sich ist Crownville eine friedliche verschlafene Kleinstadt. Neben kleinen Gemischtwarenläden gibt es auch einen Wal-Mart.

Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, was meine Eltern mir durch den Umzug angetan haben. Durch den Umzug verlor ich meinen besten Freund, Ben, welchen ich seit dem Kindergarten hatte. Ich habe so viele schöne Erinnerungen an diese Zeit mit ihm. Unter anderem meinen ersten Kuss, den ich mit 13 im Boston Central Park hatte. Es war bereits nach Mitternacht und es regnete in Strömen. Dennoch war es der beste Tag meines Lebens. Eigentlich wollte Ben mich in den Ferien besuchen kommen. Leider ist es dazu nie gekommen. Er starb bei einem Autounfall auf dem Weg zu mir. Ich habe mit niemandem über meinen Verlust gesprochen und verdränge immer wieder die Gefühle, die ich zu diesem Ereignis verspüre.

Nachdem ich mir eine Träne von den Augen wischte, blickte ich ein weiteres Mal auf mein Handy. „Oh mein Gott! Schon halb zwölf. Und morgen ist der Abgabetermin für das Referat.“ Schnell machte ich mich bettfertig und stellte den Wecker eine Stunde früher, um das Referat noch fertig zu stellen. Um 05:00 Uhr morgens wurde ich das schrille Geräusch meines Weckers aus dem Schlaf gerissen. Ich fühlte mich, als hätte ich einen Marathon hinter mir. Ich quälte mich aus dem Bett und machte mich langsam fertig für die Schule. In meiner totalen Müdigkeit vergaß ich jedoch das Referat fertig zu stellen.

Während der Busfahrt döste ich noch vor mir hin. Ich wurde eine starke Bremsung des Busses aus meinen Träumen gerissen. Und da war sie. Die Crownville High. Der einzige Ort, welcher der Hölle am nächsten kommt und überhaupt nicht in das friedliche Gesamtbild der Stadt passt. Der kurze Frieden im Bus sollte nicht lange anhalten, denn die „grausamen Lakaien des Teufels“ warteten schon am Eingangstor auf mich.

„Hey Riley. Hast du dieses blöde Politik Referat dabei? Wir müssten es uns… ausleihen.“

Vor mir standen Stacey und ihre Clique, bestehend aus Ashley, Chloe und Sophie. Stacey kräuselte ihr blondes Haar und hatte ein spöttisches Grinsen im Gesicht. Als dachte sie ich würde ihren Sarkasmus nicht verstehen.

„Sorry… aber es ist nicht fertig. Fragt doch Michel. Der Streber hat bestimmt ein hervorragendes Referat. Wenn ihr von mir abschreibt, bekommt ihr mit Glück eine 5.“

Ich presste meine Unterlagen an meine Brust und umklammerte sie mit einem nervösen, aber festen Griff.

„Ich will aber nicht bei Michel abschreiben. Sei doch nicht so selbstkritisch. Zeig mir dein Referat und ich entscheide, ob ich von dir abschreiben will!“

Ihre rechte Hand bewegte sich auf meine Unterlagen zu. Reflexartig schlug ich sie mit der linken Hand zur Seite.

„Das kannst du dir abschminken! Sucht euch jemand anderen, den ihr schikanieren könnt!“

Mit der Schulter stieß ich Stacey zur Seite und eilte in den Flur. Doch durch einen hinterhältigen Stoß von ihr fiel ich zu Boden. Mit mir fielen meine Unterlagen zu Boden und verteilten sich auf dem Flur. Noch bevor ich mich aufrichten konnte, stellte Stacey ihren Fuß auf meinem Rücken ab und verlagerte ihr Gewicht auf diesen Fuß.

„Aww… bist du gestolpert Riley? Du bist aber auch ungeschickt.“

Ich stemmte meine Handflächen auf den Boden und versuchte mich so aus ihren Fängen zu befreien. Ein paar wenige Zentimeter konnte ich mich auch aufrichten, doch sofort drückte mich Stacey wieder zu Boden.

„Es macht euch wohl so richtig Spaß auf anderen herumzutrampeln“, antwortete ich mit erschöpfter, aber gereizter Stimme.

„Was redest du da? Wir trampeln nicht auf dir herum. Sollen Ashley und Sophie dir beim Einsammeln deiner Sachen helfen?“

Sie schnippte mit den Fingern und gab den beiden somit das Zeichen meine Unterlagen und die Tasche zu durchsuchen. Natürlich brachten sie dadurch alles noch mehr durcheinander und verteilten auch noch den Inhalt meiner Tasche auf dem Flur. Andere Mitschüler, die das Geschehen beobachteten, unternahmen entweder gar nichts oder filmten das Ereignis, während sie sich kaputtlachten.

„Keine Spur von diesem blöden Referat. Wie sieht’s bei dir aus, Sophie“, fragte Ashley.

„Noch nichts, aber sieh mal was ich hier habe. Ihr Ta-ge-buch“, entgegnete Sophie mit einer singenden Stimme.

In dem Moment, als sie das sagte, wurde ich knallrot und versuchte erneut mich aufzurichten, doch vergeblich. Stacey war einfach zu stark.

„Echt? Zeig mal“, antwortete Stacey und riss es Sophie aus der Hand. Nachdem sie das Buch kurz näher untersucht hatte, warf sie mir einen bittenden Blick zu und fragte: „Riley, wärst du so nett und würdest es für uns öffnen? Vielleicht befindet sich das Referat hier drin. Bestimmt händigst du es Mr. Brown mit einem Liebesbrief aus. Deshalb verschließt du es in deinem Tagebuch.“

Der gesamte Flur brach in Gelächter aus. Es war so laut, dass sie beinahe die Schulglocke überhörten.

„Wie schade. Der Unterricht beginnt. Und ausgerechnet in der 1. Stunde haben wir Politik. Dann muss ich wohl Mr. Brown mein eigenes Referat aushändigen.“

Stacey nahm ihren Fuß von meinem Rücken und verzog sich kichernd mit ihrer Clique. Beim Gehen warf sie mein Tagebuch in einen Mülleimer. Ich richtete mich mühsam auf und begann damit meine Sachen einzusammeln.

„M-moment, i-ich h-helf dir.“

Die stotternden Worte kamen von Martin, welcher sich neben mir bückte, um mir zu helfen. Martin war das männliche Äquivalent zu mir, nämlich genauso ein Außenseiter.

„Ähm… danke Martin, aber ich schaffe das schon allein.“

Ich führte keinen Blickkontakt mit ihm. Das letzte, was ich gebrauchen könne ist, dass in der Schule das Gerücht aufkommt zwischen mir und Martin wäre etwas. Allein der Gedanke daran ließ mir einen kalten Schauer über den Rücken vorbeiziehen. Ich wollte zwar neue Freundschaften schließen, jedoch bin ich lieber allein, als mit Martin zusammen zu sein.

„Also dann Martin, ich muss zum Unterricht.“

„A-alles k-klar. M-man s-sieht sich Riley.“

– Natürlich war die erste Stunde eine Katastrophe. Erst musste ich mich Mr. Brown vor der gesamten Klasse erklären, warum ich zu spät gekommen bin, und dann habe ich noch eine 6 bekommen, weil mein Referat nicht nur unfertig, sondern auch noch total zerknittert und an einigen Stellen gerissen war. Es war nämlich nie in meinem Tagebuch, sondern in meiner Tasche. Ich schämte mich dermaßen und wäre am liebsten im Boden versunken. So peinlich es sich auch anhören mag, aber während der Pausen verkroch ich mich in der Mädchentoilette. Dort war ich wenigstens vor noch mehr Blamage sicher.

In der 3. Stunde hatten wir Geschichte. Wir sahen uns eine Doku über die Ureinwohner Lateinamerikas an. An sich war sie genauso langweilig wie jede andere Dokumentation. Zum Beispiel ging es darum, wie die Europäer die Azteken und andere Völker ausrotteten und durch Sklaverei die „neue Welt“ besiedelten. Irgendwann kam auch das Thema Religion und Voodoo der Ureinwohner auf. Ich war nie religiös und glaubte auch bis zu diesem Zeitpunkt nicht an Geister oder ähnliches. Bis in der Doku angeblich „echte“ schwarze Magie von den Priestern, Bocore genannt, gezeigt wurde. Es wurde angeblich gezeigt, wie es möglich sei Tote wieder aufzuerwecken. Das machte mich doch ein wenig neugierig und ich wollte so schnell wie möglich in der Bibliothek Nachforschungen über das Thema Voodoo anstellen. –

Der nächste Tag war, wie jeder andere auch, erneut eine Tortur. Stacey und ihre Clique haben mich wieder zum Gespött der gesamten High School gemacht. Um dem Spott ein wenig zu entrinnen, verkroch ich mich über die Pausen wieder auf der Toilette. Nach der Schule ging ich in die öffentliche Bibliothek von Crownville. In der Abteilung für lateinamerikanische Geschichte fand ich zwar ein paar Bücher, die die Voodoo-Kultur beschrieben, doch enthielten sie keinerlei Informationen oder Anleitungen über schwarze Magie. Ich las nur über die Entstehung des Kults im 18. Jahrhundert auf Haiti und, dass dieser Kult einem Gott und den Loa-Geistern durch Tanz und Opfergaben huldigten. Ich las zwar auch über Voodoo-Puppen, jedoch nur, dass diese zum Heilen von körperlichen Krankheiten verwendet wurden, oder um jemanden zu verfluchen. Trotz meiner vorhandenen Skepsis über das Übernatürliche war ich dennoch frustriert. Immerhin bestand der winzige Funke von Hoffnung, dass ich Ben wiedersehen könne. Ich verschränkte meine Arme auf dem Tisch und lag meinen Kopf auf ihnen ab.

Ich schreckte hoch als ich plötzlich neben mir einen starken Knall vernahm und der Tisch vibrierte.

„Oh Martin, hast du mich erschreckt!“, ich hielt meine Hand an die Brust, „Ich habe fast einen Herzinfarkt erlitten!“

„T-Tschuldigung Riley, d-die B-bücher sind ziemlich s-schwer.“

Ich warf einen kurzen Blick auf die Buchcover.

„Du liest auch über die Voodoo-Kultur?“

„N-naja, ich h-hatte die g-ganze Zeit, seitdem du an u-unserer S-schule bist, das G-gefühl, dass du über einen V-verlust eines M-menschen, der dir viel b-bedeutet, t-traurig bist. Ist ein V-verwandter von dir g-gestorben oder ä-ähnliches?“

„Nein, mein bester Freund. Es war ein Autounfall.“

„T-tut mir l-leid das zu h-hören. In d-diesen B-büchern steht n-nichts, aber ich k-kenne da einen k-kleinen L-laden der sich mit o-okkultem befasst. V-vielleicht finden wir da w-was.“

„Was heißt hier wir?“ Ich wollte mit Martin eigentlich nicht gesehen werden, auch wenn ich ihm für diesen Tipp dankbar war.

„I-ich w-will dir h-helfen. A-Außerdem findest du d-diesen L-laden nicht o-ohne meine H-hilfe.“

Da hatte er allerdings Recht. Ich kannte mich in Crownville echt nicht gut aus. Zudem würde man diesen ominösen Laden bestimmt auch nicht im Internet finden. Etwas zögerlich willigte ich Martins Angebot ein. Von der Bibliothek aus war der Laden etwa acht Kilometer entfernt. Er lag in einer Gasse hinter einem Chinarestaurant und einem Comicbuchladen. Dort hätte ich ihn nie vermutet. Von außen sah es aus, als befände sich hier nur der Hintereingang zu einem der anderen Geschäfte. Doch an der roten Holztür befand sich ein Türklopfer in der Form eines Gargoyles und ein Schild mit der Aufschrift „Mysteries, Occult and more.“

Martin senkte die messingfarbene Türklinke und drückte die Tür nach innen auf. Eine kleine Glocke ertönte beim Eintreten in das dunkle vollgeräumte Geschäft. Wir konnten weder einen Verkäufer sehen, noch hörten wir eine Begrüßung. Ich bekam schon nach wenigen Augenblicken ein mulmiges Gefühl. Überall in den Regalen lagen okkulte Gegenstände wie ein Ouija Brett, Taro Karten, Glaskugeln und mehr. Von der Decke hingen unter anderem Amulette, Traumfänger und Schrumpfköpfe. Wir sahen uns vorsichtig um, bis wir vor einem Regal mit allerhand Büchern standen. Es waren vermutlich an die 1.000 Bücher. Manche Buchrücken waren auf Englisch, andere auf Latein und wieder andere in Sprachen, die ich nicht kannte.

„H-hier Riley, ich g-glaub hier ist w-was.“

Martin hielt ein Buch, auf dem eine mir unbekannte Sprache geschrieben stand, in den Händen. Das einzige Wort, welches ich entziffern konnte, war „Voodoo.“

„Ihr wollt etwas über die dunklen Riten des Voodoo lesen?“

Martin und ich erschraken, als wir eine seichte kratzige Stimme hörten.

„Seid aber gewarnt. Die Kräfte, die ihr damit freisetzen könnt, sind unberechenbar. Benutzen auf eigene Gefahr.“

Ich drehte mich um und vor mir stand eine alte Dame. Sie sah aus, als würde sie aus dem Balkan stammen. Sie hatte einen krummen Rücken, ein faltiges Gesicht und eine lange spitze Nase, mit einer Warze an der Seite. Sie trug ein rotes Kopftuch, sodass ich ihre Harre nicht erkennen konnte.

„Entschuldigen Sie, dass wir uns hier einfach umgesehen haben.“

„Macht euch keine Vorwürfe“, antwortete die Frau, „ihr dürft euch in aller Ruhe umsehen. Wenn ihr was kaufen wollt, sagt mir einfach Bescheid.“

„Eine Frage. Was ist das für eine Sprache auf dem Buch?“

„Das, mein Kind, ist haitianisch, welches auf Haiti weit verbreitet ist. Es ist neben französisch die am meisten gesprochene Sprache auf der Insel.“

Ich war sichtlich verwirrt.

„W-warum ist d-dieses B-buch auf h-haitianisch? Und w-wie g-gelangte es hier h-her?“, fragte Martin. Er war genauso verwirrt wie ich.

„Nun, mit diesem Buch führte der Voodoo-Kult unter anderem seine Rituale durch. Damit die Gläubigen auch verstehen konnten, was der Bocore rezitierte, wurde es in dieser Sprache geschrieben. Mein Urgroßvater bekam es von einem Stammesältesten geschenkt, damit sich die Lehren des Kults auch in anderen Teilen der Welt verbreiteten. Für 30 Dollar gebe ich es euch.“

„Ein letzte Frage hätte ich da noch. Sie sprachen über Riten, die in dem Buch enthalten sind. Über was für Riten reden wir?“

„Ihr scheint an den Schriften sehr interessiert zu sein.“, Die Frau schmunzelte und hielt kurz inne, „Wisst ihr was? Ihr macht nicht den Eindruck, als würdet ihr nichts Unüberlegtes tun. Ihr könnt euch das Buch für die nächste Woche ausleihen. Bringt es mir einfach nach der Woche wieder.“

Wir bedankten uns und verließen das Geschäft.

„Martin, vielen Dank, dass du mir den Laden gezeigt hast“, ich sah Martin in die Augen, während wir die Straße entlang gingen, „aber ab hier ist das meine persönliche Angelegenheit.“

„S-schade. Ich w-wollte wirklich sehen, w-was in dem B-buch s-steht.“

Martin war sichtlich enttäuscht, aber er respektierte meine Entscheidung. Er tat mir ein wenig leid, aber ich wollte auf keinen Fall, dass andere sehen, wie er mein Haus betritt. Zuhause angekommen, googlete ich als erstes die haitianischen Worte, die auf dem Cover des Buches standen.

„Sereyal ak majik nwa nan vodou“. Das bedeutet so viel wie „Rituale und schwarze Magie des Voodoo“. Ich öffnete vorsichtig das Buch. Die Blätter waren ziemlich vergilbt, teilweise beschädigt und klebten öfter aneinander. Die erste Ernüchterung war, dass kein Inhaltsverzeichnis vorhanden war. Aber um ehrlich zu sein habe ich das bei einem Buch von einem Stammesvolk auch nicht erwartet. Es handelt sich ja nicht um ein wissenschaftliches Buch oder so. Neben Text füllten auch Symbole, Skizzen und teils groteske Zeichnungen die Seiten. Ich meinte anhand von mehreren untereinanderstehenden Zahlen auch Rezepte zu sonderlichen Tränken oder ähnlichem deuten zu können.

„Bei all dem Text bin ich ja bis zu meinem Lebensende nicht fertig mit dem Übersetzen“, dachte ich mir, „Ich kann doch nicht den ganzen Text in Google eingeben und mir erneut durchlesen.“ Dann kam mir plötzlich ein Gedanke in den Sinn. „Ich habe doch die Möglichkeit bei der Google-Translator-App meine Kamera zu verwenden, um die Worte direkt zu übersetzten.“ Ich öffnete die App, stellte die zu übersetzende Sprache auf haitianisch ein, und öffnete über die App die Kamera.

Ich scannte mit meinem Smartphone jeweils die Worte, die auffallend groß und kursiv geschrieben waren, in der Hoffnung, dass dies die Überschriften für die jeweiligen Riten waren. Und tatsächlich, es waren in der Tat Überschriften. Während ich die Überschriften scannte, las ich von harmloseren Praktiken, wie der Herstellung von Heiltränken, der Kräuterkunde und der Huldigung der Loa, jedoch mehr und mehr über verstörende und grausame Praktiken. Auf der einen Seite wurde die Einbalsamierung von Köpfen erläutert, aus denen dann Schrumpfköpfe hergestellt würden. Auf der nächsten Seite wurde beschrieben, wie mit einem Ketzer umgegangen werden solle. Hierbei sollten Nägel durch seine Arme und Beine an einen Baum geschlagen werden, während sein Rücken den Stamm berührte. Dann wurde ihm ein Staub aus Aztekensalbei ins Gesicht gepustet, welches Halluzinationen bei der Person auslöste. Die Person sollte so direkt mit den Loa in Kontakt treten und auf „den rechten Pfad“ geführt werden. Würde diese Zeremonie keinen Erfolg haben, so wurde der Person die Kehle durchgeschnitten und für ein weitaus grausameres Ritual vorbereitet.

An diesem Punkt war mir speiübel und ich bereute, dass ich dieses Buch aufgeschlagen hatte. Voller Abscheu, die ich zu diesem Zeitpunkt empfand, stieß ich es mit voller Wucht zu Boden, wodurch es mit den Seiten zum Boden zeigend fiel. Für den Abend hatte ich genug von der Voodoo-Kultur und legte mich schlafen. Zum Glück war am nächsten Tag Samstag, weshalb ich bis 13:00 Uhr ausschlafen konnte. Naja, ausgeschlafen war ich trotzdem nicht. Die Nacht wurde ich von Albträumen über die grotesken Riten, die in dem Buch beschrieben wurden, geplagt. Völlig schlaftrunken quälte ich mich aus dem Bett, um mich im Bad frisch zu machen. Meine Füße schlufften auf dem Teppichboden entlang, als ich plötzlich stolperte und zu Boden fiel. „Ahh… ich Dummkopf. War ja klar, dass ich über das Buch falle.“ Ich hob es auf und legte es auf dem Schreibtisch ab.

Nachdem ich mich im Bad frisch gemacht hatte und mich umgezogen hatte setzte ich mich an den Schreibtisch, um weiter in dem Buch zu lesen. Ich hatte zwar immer noch ein ungutes Gefühl, jedoch wollte ich unbedingt einen Weg finden, um Ben zurückzubekommen. Auf der bereits aufgeschlagenen Seite war bereits eine Überschrift, weshalb ich sie sofort scannte. Ich konnte meinen Augen kaum glauben. Auf der Seite stand „Nekromansi“, also Totenbeschwörung. Ich scannte sofort die gesamte Seite, um zu erfahren, wie dieses Ritual vonstattengeht. Dieses Ritual muss nachts unter klaren Sternenhimmel durchgeführt werden. Zudem benötigt man noch eine Voodoo-Puppe, an der ein Objekt, welches die zu beschwörende Person identifiziert, angebracht wird. Ich las erstmal bis zu diesem Punkt und bereitete alles für das Ritual vor. Ich fertigte eine Puppe aus Baumwolle an, an der ich mit Hanffäden ein Bild von Ben befestigte. Da in Crownville durch die Stadtbeleuchtung kein klarer Sternenhimmel möglich ist, ging ich auf ein etwa zehn Kilometer entferntes Feld. Es war bereits nach Mitternacht.

Auf dem Feld angekommen breitete ich die Utensilien für das Ritual aus. Aus Zweigen und Ästen formte ich eine Feuerstelle. Da die Ernte schon vorüber war brauchte ich mir keine Sorgen machen, dass ich alles in Brand stecken würde. Ich entzündete das Holz und schlug in dem Buch nach was die nächsten Schritte waren. Als nächstes sollte man die Puppe fest den Händen halten und die Worte „Mwen akeyi ou Loa“ aufsagen. Das bedeutet so viel wie „ich heiße euch Loa willkommen“. Dann sagt man „Mwen pèdi yon nanm ke mwen vle reprann“, was „Ich habe eine Seele verloren, die ich wiedererlangen will“ bedeutet. Nun soll man sich mit einem Messer in einen Finger schneiden und das Blut über den Kopf der Puppe träufeln lassen. Dabei wiederholt man dreimal den Namen „Legba“. Ist dies geschehen und man spürt einen leichten Hauch hinter sich, so ist bis jetzt alles richtig verlaufen. Spürt man statt einem Hauch ein Stechen im Nacken muss man sofort aufhören und dreimal „Eskize m Legba“ sagen. Das bedeutet „Entschuldige Legba“. Hat man dies gesagt muss man der Puppe den Kopf abreißen und ihn im Feuer verbrennen. Damit ist das Ritual gescheitert und man darf nie wieder versuchen diese Person ins Leben zurückzuholen.

Ich führte die Schritte bis zu diesem Punkt durch. Als ich dreimal den Namen „Legba“ aufrief spürte ich einen leichten Hauch. Ich erschrak und wollte mich umdrehen. Doch ich widerstand dem Drang, da ich wusste, dass ich alles richtig gemacht hatte. Nun sagte ich die Worte „se konsa’l ye“ oder „so sei es“ auf. Ich nahm die ganze Puppe und warf sie ins Feuer. Die Flamme verfärbte sich hellblau und ich hörte hinter mir ebenfalls die Worte „se konsa’l ye“. Damit war das Ritual abgeschlossen. Ich verabschiedete mich durch die Worte „Orevwa Legba“.

Aus den Schriften ging hervor, dass es einige Tage dauern würde, bis die Person von den Toten zurückkäme. Auch ging aus ihnen hervor, dass die Person mich finden würde, egal wo ich mich zu diesem Punkt aufhalten würde. Ich konnte meine Vorfreude gar nicht in Worte fassen. Endlich würde ich Ben wiedersehen. Ich konnte es kaum abwarten!

Natürlich waren die kommenden Tage bis dahin wieder der blanke Horror für mich. Ich wurde von Stacey und ihrer Clique geschubst, getreten und mit Essensresten beworfen. Alles zur Belustigung der tobenden Menge auf dem Flur. Der Einzige, der immer zu mir hielt und mir aufhalf war Martin. Martin und ich redeten wie immer nicht viel in der Schule. Auch wenn die Gerüchte über eine Beziehung zwischen mir und Martin schon umhergingen, versuchte ich jeglichen Kontakt mit ihm zu meiden, um die Gerüchte nicht noch zu bestätigen.

In der sechsten Stunde hatten wir Englisch bei Mr. Gatsby. Ich konnte mich überhaupt nicht auf seinen Unterricht konzentrieren, da ich andauernd von Staceys Clique mit Papierbällen beworfen wurde. Das Einzige was ich mitbekam war, dass wir zu morgen eine Interpretation zu dem Buch Moby Dick verfassen sollten. Zuhause angekommen war ich jedoch zu erschöpft und aufgewühlt, um mich mit der Hausaufgabe zu befassen. Ich setzte meine Kopfhörer auf und drehte die Lautstärke bei dem Song „Boulevard of Broken Dreams“ von Green Day voll auf. Ich drückte mein Gesicht ins Kopfkissen und fing an zu weinen.

„Wäre doch jetzt nur Ben an meiner Seite!“, brüllte ich in mein Kopfkissen, „Vermutlich war dieses Ritual doch nur ein großer Schwindel. Vielleicht habe ich mir das alles nur eingebildet.“ Ich suchte nach logischen Erklärungen für das Geschehene in der Nacht des Rituals. Vergeblich.

An diesem Abend ging ich nicht runter, um zu Abend zu essen. Ich schlief so wie ich war ein. Am nächsten Morgen musste meine Mutter mich wecken, da ich auf keinen meiner Wecker reagierte. Zumindest war ich schon angezogen. Ich schnappte meine Schultasche, die ebenfalls bereit war, und machte mich auf den Weg zur Schule. Im Bus döste ich zu der Musik meiner Spotify-Playlist vor mir her. Ich wurde durch das abrupte Bremsen des Busses aus meinen Träumen gerissen. Mit schweren und kontrollierten Schritten bewegte ich mich auf die großen Schwingtüren des Haupteinganges der High School zu. Auf dem Flur passierte es dann wieder. Außerhalb meines Blickwinkels schubste mich eine Person gegen die Spinde.

„Hi Riley. Na, wie geht´s dir?“

Es war Stacey. Sie drückte ihre rechte Hand gegen die Spinde und sah mir direkt in die Augen.

„Was willst du?“, fragte ich mit einer leisen, aber wütenden Stimme.

„Nichts Wildes. Ich wollte gerne deine Englischhausaufgabe ansehen. Weißt du, ich benötige für den Schluss noch ein wenig… Inspiration.“ Stacey grinste.

„Sorry, aber ich habe die Hausaufgabe nicht. Hatte gestern zu viel zu tun.“

„Oh Riley. Ich dachte wir seien Freundinnen. Und als deine Freundin erwarte ich, dass du mir auch mal unter die Arme greifst. Aber was soll´s,…“, Stacey nahm ihre Hand vom Spind und kehrte mir den Rücken. Ich sah, wie sich ihre Hände zu Fäusten formten. „… dann muss ich wohl zu Plan B übergehen.“

Stacey holte aus und verpasste mir einen heftigen Schlag ins Gesicht. Wie ein nasser Sack fiel ich zu Boden. Ich fasste mir an die Nase und realisierte, dass sie blutete. Stacey drehte mich rücklings und hielt mich mit ihrer linken Hand am Kragen fest, während sie mit ihrer Rechten weiter auf mich einschlug.

„Du kleines Miststück! Du wirst für immer eine Außenseiterin bleiben. Du hast hier auf dieser Schule überhaupt nichts zu suchen. Es ist wohl besser, wenn ich dich hier an Ort und Stelle umbr…“

Staceys Worte stockten. Die Spannung in ihrer linken Hand ließ locker und ich schlug mit dem Kopf auf den Boden. Ich drehte mich zur Seite, um Blut auf den Boden zu spucken. Nach wenigen Sekunden richtete ich meinen Blick erneut auf Stacey und konnte meinen Augen kaum trauen. Eine Person mit dreckiger, zerrissener Jeans und ohne Schuhe hielt Stacey im Würgegriff. Sie schmetterte Stacey mit einer fast schon übermenschlichen Kraft gegen die Spinde. Trotz, dass die Person über keinerlei trainierte Muskeln verfügte, zertrümmerte sie ihren Schädel mit nur drei Schlägen. Dann warf sie Stacey zu Boden und tat etwas überaus Grausames. Sie biss ihr die Kehle durch. Eine Blutfontäne spritze aus ihr und hinterließ nach wenigen Sekunden eine Pfütze aus Blut. Doch damit nicht genug! Es sah so aus, als würde die Person das Fleisch von ihrem Hals nagen. Währenddessen konnte ich ein paar Merkmale an ihrem Gesicht erkennen. Sie hatte kurze, verzottelte schwarze Haare. Ihre Stirn war von mehreren Platzwunden gezeichnet, aus denen der Eiter an den Wangen entlangfloss. Die Augäpfel waren kreidebleich, doch die vielen Blutgefäße ließen sie rot wirken. Die Pupillen waren pechschwarz. Ich dachte ich würde in einen tiefen, dunklen Abgrund blicken. An ihrer linken Wange bemerkte ich, dass Haut fehlte und eine große Fleischwunde dort klaffte. Es mag sich verrückt anhören, aber ich hatte das Gefühl, als käme die Person mir bekannt vor. Also fragte ich mit einer zitternden Stimme:

„B-ben? Bist du es?“

Die Person richte augenblicklich ihren Blick auf mich. Nachdem sie ihren Bissen heruntergeschluckt hatte, schnaubte sie und holte tief Luft. Dann bewogen sich ihre Lippen, um folgende Worte zu formen:

„Ri…ley…, i…ch bin… es…. Dan…ke, dass du mi…ch zu…rück…geholt hast.“

Ich konnte meinen Ohren kaum glauben. Es war tatsächlich Ben! Das Ritual war ein Erfolg! Sein Aussehen erklärte ich mir damit, dass er aus seinem Grab gestiegen ist und sich erst regenerieren müsse, bevor er wieder wie ein „Mensch“ aussehen würde. Doch meine Freude hielt nicht lange an. Ein paar Jungs des Footballteams stürzten sich auf Ben, um ihn aufzuhalten. Dies stellte sich jedoch als ihr größter Fehler heraus. Trotz, dass die Jungs die stärksten der High School waren, hatten sie keine Chance gegen Ben. Einer nach dem anderen fiel Bens enormer Rage zum Opfer. Dem einen biss er die Kehle durch, dem anderen brach er das Genick, als wäre es ein Strohhalm. Der letzte verfiel in Panik und wollte wegrennen. Doch Ben packte ihn am Fuß und riss ihn zu Boden. Dann schlug er seinen Kopf so lange gegen den Boden, bis sein Schädel nur noch aus einer unerkenntlichen Masse bestand.

Die anderen Schüler gerieten in Panik und flohen in alle Richtungen des Flures. Ben war in einem Blutrausch, und ich konnte ihn nicht aufhalten. Trotz, dass ich mich freute Ben wiederzusehen, war ich doch fassungslos, was ich da zurück ins Leben geholt hatte. Ich wollte den Horror jedoch nicht wahrhaben und dachte das alles wäre nur ein Traum. Plötzlich packte mich jemand am Arm und zerrte ich um eine Ecke. Es war Martin.

„Riley, w-wir m-müssen hier w-weg!“

„Ich gehe nicht ohne Ben!“, erwiderte ich.

„D-das ist n-nicht Ben. D-das ist ein M-monster. K-komm m-mit. Ich bringe d-dich in S-sicherh…“

Ich schrie auf. Ben hatte seine Faust durch Martins Brust gerammt. Martin sackte in sich zusammen und um ihn herum bildete sich eine Blutlache.

„Ben, du musst damit aufhören! Bitte! Tu es für mich!“

Doch Ben hörte nicht auf mich. Er beugte sich über Martins Körper und begann sein Fleisch aus der offenen Wunde zu entreißen. Ich hielt meine Hände vor die Augen und weinte. „Das wollte ich doch alles nicht! Ich wollte doch nur Ben wiedersehen und kein Massaker an der Schule anrichten. Ich habe ein Monster erschaffen! Bitte lass diesen Albtraum enden!“ Plötzlich hörte ich einen lauten Knall vor mir. Ich zuckte zusammen und schielte durch meine Finger, um zu sehen, was gerade passierte. Aus einigen Metern Entfernung richtete eine Person in blauer Uniform eine Waffe auf Ben.

„Hey du Freak, leg deine Hände hinter den Kopf und dreh dich langsam um!“

Es war unser Schulwachmann, Mr. Smith.

„Wird´s bald?! Steh auf und dreh dich um!“

Mr. Smith zeigte keine Anzeichen von Furcht. Er fühlte sich mit der Pistole in seinen Händen überlegen. Ben richtete sich langsam auf und drehte sich um. In seinen Händen hielt er noch einen Fleischbrocken.

„Großer Gott.“

Mr. Smith war fassungslos. Ohne es zu merken, senkte er seine Arme. Er hielt kurz inne. Dann hob er wieder die Waffe und drückte ab. Er traf Bens Schulter. Doch er bewegte sich ungehindert auf ihn zu.

„B-bleib stehen!“

Mr. Smith wurde nervös. Er drückte erneut ab. Und wieder. Und wieder. Beim fünften Schuss traf er die Stelle, an der sich das Herz befand. Doch Ben schritt ohne Einschränkungen voran. Als er sich in seiner Reichweite befand, stürzte sich Ben auf ihn und packte seinen Kopf. Ben übertrug all seine Kraft in die Arme und schlussendlich riss er Mr. Smith den Kopf ab. Dann nagte er das Fleisch von Teilen seiner Wirbelsäule ab. In dem Moment nahm ich all meinen Mut zusammen und nutzte die Gelegenheit, um zur Waffe zu rennen. Als ich sie in den Händen hielt schluchzte ich.

„Ben, es tut mir leid. Aber wir sehen uns gleich wieder.“

Ich drückte ab. Die Kugel durchbohrte seinen Schädel. Ben fiel auf die Leiche von Mr. Smith. Ich hielt kurz inne. Dann hob ich meinen Arm und hielt die Pistole an meine Schläfe. Ich atmete tief durch und lächelte zum Abschied. Eine letzte Träne lief an meiner Wange vorüber. Dann sah ich plötzlich nur noch Dunkelheit und mein Körper fühlte sich so leicht an. Mir ist auf einmal so kalt.Der verlorene Freund

– Jeden Tag beneide ich meine Schulkammeraden. Jeden. Einzelnen. Tag. Warum?

Nun… sie alle haben Freunde. Zumindest behaupten sie, dass sie Freunde haben. Denn ihre Definition von einem Freund ist mir doch sehr schleierhaft. Ist er jemand mit dem man die Streber auf dem Schulhof verprügelt? Ist ein Freund jemand mit dem man sich selbst vor Erwachsenen stark fühlt und so den Mut hat respektlos mit ihnen umzugehen? Ist es eine „coole Aktivität“, wenn man sich nach der Schule das Hirn mit Alkohol und Marihuana zudröhnt? Wenn das die Definition von einem Freund ausmacht, dann haben meine Schulkammeraden wirklich viele Freunde. Und ich hatte dann nie welche.

Und da ich solche Gewohnheiten nicht pflege bin ich halt der Außenseiter auf meiner Schule. Klar habe ich schon versucht mir Menschen mit ähnlichen Interessen zu suchen, doch war ich immer zu schüchtern, um jemanden anzusprechen – ein weiterer Aspekt, den ich an mir hasse. Und das alles nur, weil meine dämlichen Eltern meinten, wir müssen in eine neue Stadt ziehen. Sie meinen es sei wegen der Arbeit meines Dads das Beste. Auf meiner alten Schule hatte ich Personen, mit denen ich mich wirklich gut verstand. Aber jetzt bin ich ganz allein. Wenn das so weitergeht, werde ich bis zum Abschlussball im nächsten Jahr keinen Partner gefunden haben. Gott, warum muss mein Leben immer die Hölle sein. –

Ich legte den Stift zur Seite und klappte frustriert mein Tagebuch zu. Ich richtete meinen Blick auf mein Smartphone. Auf dem Display mit meinem Freund Ben als Hintergrundbild las ich das Datum ab:

28. August 2016.

Es ist schon fast 7 Monate her, seitdem ich mit meinen Eltern von Boston, Massachusetts in die etwa 950 Meilen entfernte Kleinstadt Crownville, Michigan gezogen bin. An sich ist Crownville eine friedliche verschlafene Kleinstadt. Neben kleinen Gemischtwarenläden gibt es auch einen Wal-Mart.

Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, was meine Eltern mir durch den Umzug angetan haben. Durch den Umzug verlor ich meinen besten Freund, Ben, welchen ich seit dem Kindergarten hatte. Ich habe so viele schöne Erinnerungen an diese Zeit mit ihm. Unter anderem meinen ersten Kuss, den ich mit 13 im Boston Central Park hatte. Es war bereits nach Mitternacht und es regnete in Strömen. Dennoch war es der beste Tag meines Lebens. Eigentlich wollte Ben mich in den Ferien besuchen kommen. Leider ist es dazu nie gekommen. Er starb bei einem Autounfall auf dem Weg zu mir. Ich habe mit niemandem über meinen Verlust gesprochen und verdränge immer wieder die Gefühle, die ich zu diesem Ereignis verspüre.

Nachdem ich mir eine Träne von den Augen wischte, blickte ich ein weiteres Mal auf mein Handy. „Oh mein Gott! Schon halb zwölf. Und morgen ist der Abgabetermin für das Referat.“ Schnell machte ich mich bettfertig und stellte den Wecker eine Stunde früher, um das Referat noch fertig zu stellen. Um 05:00 Uhr morgens wurde ich das schrille Geräusch meines Weckers aus dem Schlaf gerissen. Ich fühlte mich, als hätte ich einen Marathon hinter mir. Ich quälte mich aus dem Bett und machte mich langsam fertig für die Schule. In meiner totalen Müdigkeit vergaß ich jedoch das Referat fertig zu stellen.

Während der Busfahrt döste ich noch vor mir hin. Ich wurde eine starke Bremsung des Busses aus meinen Träumen gerissen. Und da war sie. Die Crownville High. Der einzige Ort, welcher der Hölle am nächsten kommt und überhaupt nicht in das friedliche Gesamtbild der Stadt passt. Der kurze Frieden im Bus sollte nicht lange anhalten, denn die „grausamen Lakaien des Teufels“ warteten schon am Eingangstor auf mich.

„Hey Riley. Hast du dieses blöde Politik Referat dabei? Wir müssten es uns… ausleihen.“

Vor mir standen Stacey und ihre Clique, bestehend aus Ashley, Chloe und Sophie. Stacey kräuselte ihr blondes Haar und hatte ein spöttisches Grinsen im Gesicht. Als dachte sie ich würde ihren Sarkasmus nicht verstehen.

„Sorry… aber es ist nicht fertig. Fragt doch Michel. Der Streber hat bestimmt ein hervorragendes Referat. Wenn ihr von mir abschreibt, bekommt ihr mit Glück eine 5.“

Ich presste meine Unterlagen an meine Brust und umklammerte sie mit einem nervösen, aber festen Griff.

„Ich will aber nicht bei Michel abschreiben. Sei doch nicht so selbstkritisch. Zeig mir dein Referat und ich entscheide, ob ich von dir abschreiben will!“

Ihre rechte Hand bewegte sich auf meine Unterlagen zu. Reflexartig schlug ich sie mit der linken Hand zur Seite.

„Das kannst du dir abschminken! Sucht euch jemand anderen, den ihr schikanieren könnt!“

Mit der Schulter stieß ich Stacey zur Seite und eilte in den Flur. Doch durch einen hinterhältigen Stoß von ihr fiel ich zu Boden. Mit mir fielen meine Unterlagen zu Boden und verteilten sich auf dem Flur. Noch bevor ich mich aufrichten konnte, stellte Stacey ihren Fuß auf meinem Rücken ab und verlagerte ihr Gewicht auf diesen Fuß.

„Aww… bist du gestolpert Riley? Du bist aber auch ungeschickt.“

Ich stemmte meine Handflächen auf den Boden und versuchte mich so aus ihren Fängen zu befreien. Ein paar wenige Zentimeter konnte ich mich auch aufrichten, doch sofort drückte mich Stacey wieder zu Boden.

„Es macht euch wohl so richtig Spaß auf anderen herumzutrampeln“, antwortete ich mit erschöpfter, aber gereizter Stimme.

„Was redest du da? Wir trampeln nicht auf dir herum. Sollen Ashley und Sophie dir beim Einsammeln deiner Sachen helfen?“

Sie schnippte mit den Fingern und gab den beiden somit das Zeichen meine Unterlagen und die Tasche zu durchsuchen. Natürlich brachten sie dadurch alles noch mehr durcheinander und verteilten auch noch den Inhalt meiner Tasche auf dem Flur. Andere Mitschüler, die das Geschehen beobachteten, unternahmen entweder gar nichts oder filmten das Ereignis, während sie sich kaputtlachten.

„Keine Spur von diesem blöden Referat. Wie sieht’s bei dir aus, Sophie“, fragte Ashley.

„Noch nichts, aber sieh mal was ich hier habe. Ihr Ta-ge-buch“, entgegnete Sophie mit einer singenden Stimme.

In dem Moment, als sie das sagte, wurde ich knallrot und versuchte erneut mich aufzurichten, doch vergeblich. Stacey war einfach zu stark.

„Echt? Zeig mal“, antwortete Stacey und riss es Sophie aus der Hand. Nachdem sie das Buch kurz näher untersucht hatte, warf sie mir einen bittenden Blick zu und fragte: „Riley, wärst du so nett und würdest es für uns öffnen? Vielleicht befindet sich das Referat hier drin. Bestimmt händigst du es Mr. Brown mit einem Liebesbrief aus. Deshalb verschließt du es in deinem Tagebuch.“

Der gesamte Flur brach in Gelächter aus. Es war so laut, dass sie beinahe die Schulglocke überhörten.

„Wie schade. Der Unterricht beginnt. Und ausgerechnet in der 1. Stunde haben wir Politik. Dann muss ich wohl Mr. Brown mein eigenes Referat aushändigen.“

Stacey nahm ihren Fuß von meinem Rücken und verzog sich kichernd mit ihrer Clique. Beim Gehen warf sie mein Tagebuch in einen Mülleimer. Ich richtete mich mühsam auf und begann damit meine Sachen einzusammeln.

„M-moment, i-ich h-helf dir.“

Die stotternden Worte kamen von Martin, welcher sich neben mir bückte, um mir zu helfen. Martin war das männliche Äquivalent zu mir, nämlich genauso ein Außenseiter.

„Ähm… danke Martin, aber ich schaffe das schon allein.“

Ich führte keinen Blickkontakt mit ihm. Das letzte, was ich gebrauchen könne ist, dass in der Schule das Gerücht aufkommt zwischen mir und Martin wäre etwas. Allein der Gedanke daran ließ mir einen kalten Schauer über den Rücken vorbeiziehen. Ich wollte zwar neue Freundschaften schließen, jedoch bin ich lieber allein, als mit Martin zusammen zu sein.

„Also dann Martin, ich muss zum Unterricht.“

„A-alles k-klar. M-man s-sieht sich Riley.“

– Natürlich war die erste Stunde eine Katastrophe. Erst musste ich mich Mr. Brown vor der gesamten Klasse erklären, warum ich zu spät gekommen bin, und dann habe ich noch eine 6 bekommen, weil mein Referat nicht nur unfertig, sondern auch noch total zerknittert und an einigen Stellen gerissen war. Es war nämlich nie in meinem Tagebuch, sondern in meiner Tasche. Ich schämte mich dermaßen und wäre am liebsten im Boden versunken. So peinlich es sich auch anhören mag, aber während der Pausen verkroch ich mich in der Mädchentoilette. Dort war ich wenigstens vor noch mehr Blamage sicher.

In der 3. Stunde hatten wir Geschichte. Wir sahen uns eine Doku über die Ureinwohner Lateinamerikas an. An sich war sie genauso langweilig wie jede andere Dokumentation. Zum Beispiel ging es darum, wie die Europäer die Azteken und andere Völker ausrotteten und durch Sklaverei die „neue Welt“ besiedelten. Irgendwann kam auch das Thema Religion und Voodoo der Ureinwohner auf. Ich war nie religiös und glaubte auch bis zu diesem Zeitpunkt nicht an Geister oder ähnliches. Bis in der Doku angeblich „echte“ schwarze Magie von den Priestern, Bocore genannt, gezeigt wurde. Es wurde angeblich gezeigt, wie es möglich sei Tote wieder aufzuerwecken. Das machte mich doch ein wenig neugierig und ich wollte so schnell wie möglich in der Bibliothek Nachforschungen über das Thema Voodoo anstellen. –

Der nächste Tag war, wie jeder andere auch, erneut eine Tortur. Stacey und ihre Clique haben mich wieder zum Gespött der gesamten High School gemacht. Um dem Spott ein wenig zu entrinnen, verkroch ich mich über die Pausen wieder auf der Toilette. Nach der Schule ging ich in die öffentliche Bibliothek von Crownville. In der Abteilung für lateinamerikanische Geschichte fand ich zwar ein paar Bücher, die die Voodoo-Kultur beschrieben, doch enthielten sie keinerlei Informationen oder Anleitungen über schwarze Magie. Ich las nur über die Entstehung des Kults im 18. Jahrhundert auf Haiti und, dass dieser Kult einem Gott und den Loa-Geistern durch Tanz und Opfergaben huldigten. Ich las zwar auch über Voodoo-Puppen, jedoch nur, dass diese zum Heilen von körperlichen Krankheiten verwendet wurden, oder um jemanden zu verfluchen. Trotz meiner vorhandenen Skepsis über das Übernatürliche war ich dennoch frustriert. Immerhin bestand der winzige Funke von Hoffnung, dass ich Ben wiedersehen könne. Ich verschränkte meine Arme auf dem Tisch und lag meinen Kopf auf ihnen ab.

Ich schreckte hoch als ich plötzlich neben mir einen starken Knall vernahm und der Tisch vibrierte.

„Oh Martin, hast du mich erschreckt!“, ich hielt meine Hand an die Brust, „Ich habe fast einen Herzinfarkt erlitten!“

„T-Tschuldigung Riley, d-die B-bücher sind ziemlich s-schwer.“

Ich warf einen kurzen Blick auf die Buchcover.

„Du liest auch über die Voodoo-Kultur?“

„N-naja, ich h-hatte die g-ganze Zeit, seitdem du an u-unserer S-schule bist, das G-gefühl, dass du über einen V-verlust eines M-menschen, der dir viel b-bedeutet, t-traurig bist. Ist ein V-verwandter von dir g-gestorben oder ä-ähnliches?“

„Nein, mein bester Freund. Es war ein Autounfall.“

„T-tut mir l-leid das zu h-hören. In d-diesen B-büchern steht n-nichts, aber ich k-kenne da einen k-kleinen L-laden der sich mit o-okkultem befasst. V-vielleicht finden wir da w-was.“

„Was heißt hier wir?“ Ich wollte mit Martin eigentlich nicht gesehen werden, auch wenn ich ihm für diesen Tipp dankbar war.

„I-ich w-will dir h-helfen. A-Außerdem findest du d-diesen L-laden nicht o-ohne meine H-hilfe.“

Da hatte er allerdings Recht. Ich kannte mich in Crownville echt nicht gut aus. Zudem würde man diesen ominösen Laden bestimmt auch nicht im Internet finden. Etwas zögerlich willigte ich Martins Angebot ein. Von der Bibliothek aus war der Laden etwa acht Kilometer entfernt. Er lag in einer Gasse hinter einem Chinarestaurant und einem Comicbuchladen. Dort hätte ich ihn nie vermutet. Von außen sah es aus, als befände sich hier nur der Hintereingang zu einem der anderen Geschäfte. Doch an der roten Holztür befand sich ein Türklopfer in der Form eines Gargoyles und ein Schild mit der Aufschrift „Mysteries, Occult and more.“

Martin senkte die messingfarbene Türklinke und drückte die Tür nach innen auf. Eine kleine Glocke ertönte beim Eintreten in das dunkle vollgeräumte Geschäft. Wir konnten weder einen Verkäufer sehen, noch hörten wir eine Begrüßung. Ich bekam schon nach wenigen Augenblicken ein mulmiges Gefühl. Überall in den Regalen lagen okkulte Gegenstände wie ein Ouija Brett, Taro Karten, Glaskugeln und mehr. Von der Decke hingen unter anderem Amulette, Traumfänger und Schrumpfköpfe. Wir sahen uns vorsichtig um, bis wir vor einem Regal mit allerhand Büchern standen. Es waren vermutlich an die 1.000 Bücher. Manche Buchrücken waren auf Englisch, andere auf Latein und wieder andere in Sprachen, die ich nicht kannte.

„H-hier Riley, ich g-glaub hier ist w-was.“

Martin hielt ein Buch, auf dem eine mir unbekannte Sprache geschrieben stand, in den Händen. Das einzige Wort, welches ich entziffern konnte, war „Voodoo.“

„Ihr wollt etwas über die dunklen Riten des Voodoo lesen?“

Martin und ich erschraken, als wir eine seichte kratzige Stimme hörten.

„Seid aber gewarnt. Die Kräfte, die ihr damit freisetzen könnt, sind unberechenbar. Benutzen auf eigene Gefahr.“

Ich drehte mich um und vor mir stand eine alte Dame. Sie sah aus, als würde sie aus dem Balkan stammen. Sie hatte einen krummen Rücken, ein faltiges Gesicht und eine lange spitze Nase, mit einer Warze an der Seite. Sie trug ein rotes Kopftuch, sodass ich ihre Harre nicht erkennen konnte.

„Entschuldigen Sie, dass wir uns hier einfach umgesehen haben.“

„Macht euch keine Vorwürfe“, antwortete die Frau, „ihr dürft euch in aller Ruhe umsehen. Wenn ihr was kaufen wollt, sagt mir einfach Bescheid.“

„Eine Frage. Was ist das für eine Sprache auf dem Buch?“

„Das, mein Kind, ist haitianisch, welches auf Haiti weit verbreitet ist. Es ist neben französisch die am meisten gesprochene Sprache auf der Insel.“

Ich war sichtlich verwirrt.

„W-warum ist d-dieses B-buch auf h-haitianisch? Und w-wie g-gelangte es hier h-her?“, fragte Martin. Er war genauso verwirrt wie ich.

„Nun, mit diesem Buch führte der Voodoo-Kult unter anderem seine Rituale durch. Damit die Gläubigen auch verstehen konnten, was der Bocore rezitierte, wurde es in dieser Sprache geschrieben. Mein Urgroßvater bekam es von einem Stammesältesten geschenkt, damit sich die Lehren des Kults auch in anderen Teilen der Welt verbreiteten. Für 30 Dollar gebe ich es euch.“

„Ein letzte Frage hätte ich da noch. Sie sprachen über Riten, die in dem Buch enthalten sind. Über was für Riten reden wir?“

„Ihr scheint an den Schriften sehr interessiert zu sein.“, Die Frau schmunzelte und hielt kurz inne, „Wisst ihr was? Ihr macht nicht den Eindruck, als würdet ihr nichts Unüberlegtes tun. Ihr könnt euch das Buch für die nächste Woche ausleihen. Bringt es mir einfach nach der Woche wieder.“

Wir bedankten uns und verließen das Geschäft.

„Martin, vielen Dank, dass du mir den Laden gezeigt hast“, ich sah Martin in die Augen, während wir die Straße entlang gingen, „aber ab hier ist das meine persönliche Angelegenheit.“

„S-schade. Ich w-wollte wirklich sehen, w-was in dem B-buch s-steht.“

Martin war sichtlich enttäuscht, aber er respektierte meine Entscheidung. Er tat mir ein wenig leid, aber ich wollte auf keinen Fall, dass andere sehen, wie er mein Haus betritt. Zuhause angekommen, googlete ich als erstes die haitianischen Worte, die auf dem Cover des Buches standen.

„Sereyal ak majik nwa nan vodou“. Das bedeutet so viel wie „Rituale und schwarze Magie des Voodoo“. Ich öffnete vorsichtig das Buch. Die Blätter waren ziemlich vergilbt, teilweise beschädigt und klebten öfter aneinander. Die erste Ernüchterung war, dass kein Inhaltsverzeichnis vorhanden war. Aber um ehrlich zu sein habe ich das bei einem Buch von einem Stammesvolk auch nicht erwartet. Es handelt sich ja nicht um ein wissenschaftliches Buch oder so. Neben Text füllten auch Symbole, Skizzen und teils groteske Zeichnungen die Seiten. Ich meinte anhand von mehreren untereinanderstehenden Zahlen auch Rezepte zu sonderlichen Tränken oder ähnlichem deuten zu können.

„Bei all dem Text bin ich ja bis zu meinem Lebensende nicht fertig mit dem Übersetzen“, dachte ich mir, „Ich kann doch nicht den ganzen Text in Google eingeben und mir erneut durchlesen.“ Dann kam mir plötzlich ein Gedanke in den Sinn. „Ich habe doch die Möglichkeit bei der Google-Translator-App meine Kamera zu verwenden, um die Worte direkt zu übersetzten.“ Ich öffnete die App, stellte die zu übersetzende Sprache auf haitianisch ein, und öffnete über die App die Kamera.

Ich scannte mit meinem Smartphone jeweils die Worte, die auffallend groß und kursiv geschrieben waren, in der Hoffnung, dass dies die Überschriften für die jeweiligen Riten waren. Und tatsächlich, es waren in der Tat Überschriften. Während ich die Überschriften scannte, las ich von harmloseren Praktiken, wie der Herstellung von Heiltränken, der Kräuterkunde und der Huldigung der Loa, jedoch mehr und mehr über verstörende und grausame Praktiken. Auf der einen Seite wurde die Einbalsamierung von Köpfen erläutert, aus denen dann Schrumpfköpfe hergestellt würden. Auf der nächsten Seite wurde beschrieben, wie mit einem Ketzer umgegangen werden solle. Hierbei sollten Nägel durch seine Arme und Beine an einen Baum geschlagen werden, während sein Rücken den Stamm berührte. Dann wurde ihm ein Staub aus Aztekensalbei ins Gesicht gepustet, welches Halluzinationen bei der Person auslöste. Die Person sollte so direkt mit den Loa in Kontakt treten und auf „den rechten Pfad“ geführt werden. Würde diese Zeremonie keinen Erfolg haben, so wurde der Person die Kehle durchgeschnitten und für ein weitaus grausameres Ritual vorbereitet.

An diesem Punkt war mir speiübel und ich bereute, dass ich dieses Buch aufgeschlagen hatte. Voller Abscheu, die ich zu diesem Zeitpunkt empfand, stieß ich es mit voller Wucht zu Boden, wodurch es mit den Seiten zum Boden zeigend fiel. Für den Abend hatte ich genug von der Voodoo-Kultur und legte mich schlafen. Zum Glück war am nächsten Tag Samstag, weshalb ich bis 13:00 Uhr ausschlafen konnte. Naja, ausgeschlafen war ich trotzdem nicht. Die Nacht wurde ich von Albträumen über die grotesken Riten, die in dem Buch beschrieben wurden, geplagt. Völlig schlaftrunken quälte ich mich aus dem Bett, um mich im Bad frisch zu machen. Meine Füße schlufften auf dem Teppichboden entlang, als ich plötzlich stolperte und zu Boden fiel. „Ahh… ich Dummkopf. War ja klar, dass ich über das Buch falle.“ Ich hob es auf und legte es auf dem Schreibtisch ab.

Nachdem ich mich im Bad frisch gemacht hatte und mich umgezogen hatte setzte ich mich an den Schreibtisch, um weiter in dem Buch zu lesen. Ich hatte zwar immer noch ein ungutes Gefühl, jedoch wollte ich unbedingt einen Weg finden, um Ben zurückzubekommen. Auf der bereits aufgeschlagenen Seite war bereits eine Überschrift, weshalb ich sie sofort scannte. Ich konnte meinen Augen kaum glauben. Auf der Seite stand „Nekromansi“, also Totenbeschwörung. Ich scannte sofort die gesamte Seite, um zu erfahren, wie dieses Ritual vonstattengeht. Dieses Ritual muss nachts unter klaren Sternenhimmel durchgeführt werden. Zudem benötigt man noch eine Voodoo-Puppe, an der ein Objekt, welches die zu beschwörende Person identifiziert, angebracht wird. Ich las erstmal bis zu diesem Punkt und bereitete alles für das Ritual vor. Ich fertigte eine Puppe aus Baumwolle an, an der ich mit Hanffäden ein Bild von Ben befestigte. Da in Crownville durch die Stadtbeleuchtung kein klarer Sternenhimmel möglich ist, ging ich auf ein etwa zehn Kilometer entferntes Feld. Es war bereits nach Mitternacht.

Auf dem Feld angekommen breitete ich die Utensilien für das Ritual aus. Aus Zweigen und Ästen formte ich eine Feuerstelle. Da die Ernte schon vorüber war brauchte ich mir keine Sorgen machen, dass ich alles in Brand stecken würde. Ich entzündete das Holz und schlug in dem Buch nach was die nächsten Schritte waren. Als nächstes sollte man die Puppe fest den Händen halten und die Worte „Mwen akeyi ou Loa“ aufsagen. Das bedeutet so viel wie „ich heiße euch Loa willkommen“. Dann sagt man „Mwen pèdi yon nanm ke mwen vle reprann“, was „Ich habe eine Seele verloren, die ich wiedererlangen will“ bedeutet. Nun soll man sich mit einem Messer in einen Finger schneiden und das Blut über den Kopf der Puppe träufeln lassen. Dabei wiederholt man dreimal den Namen „Legba“. Ist dies geschehen und man spürt einen leichten Hauch hinter sich, so ist bis jetzt alles richtig verlaufen. Spürt man statt einem Hauch ein Stechen im Nacken muss man sofort aufhören und dreimal „Eskize m Legba“ sagen. Das bedeutet „Entschuldige Legba“. Hat man dies gesagt muss man der Puppe den Kopf abreißen und ihn im Feuer verbrennen. Damit ist das Ritual gescheitert und man darf nie wieder versuchen diese Person ins Leben zurückzuholen.

Ich führte die Schritte bis zu diesem Punkt durch. Als ich dreimal den Namen „Legba“ aufrief spürte ich einen leichten Hauch. Ich erschrak und wollte mich umdrehen. Doch ich widerstand dem Drang, da ich wusste, dass ich alles richtig gemacht hatte. Nun sagte ich die Worte „se konsa’l ye“ oder „so sei es“ auf. Ich nahm die ganze Puppe und warf sie ins Feuer. Die Flamme verfärbte sich hellblau und ich hörte hinter mir ebenfalls die Worte „se konsa’l ye“. Damit war das Ritual abgeschlossen. Ich verabschiedete mich durch die Worte „Orevwa Legba“.

Aus den Schriften ging hervor, dass es einige Tage dauern würde, bis die Person von den Toten zurückkäme. Auch ging aus ihnen hervor, dass die Person mich finden würde, egal wo ich mich zu diesem Punkt aufhalten würde. Ich konnte meine Vorfreude gar nicht in Worte fassen. Endlich würde ich Ben wiedersehen. Ich konnte es kaum abwarten!

Natürlich waren die kommenden Tage bis dahin wieder der blanke Horror für mich. Ich wurde von Stacey und ihrer Clique geschubst, getreten und mit Essensresten beworfen. Alles zur Belustigung der tobenden Menge auf dem Flur. Der Einzige, der immer zu mir hielt und mir aufhalf war Martin. Martin und ich redeten wie immer nicht viel in der Schule. Auch wenn die Gerüchte über eine Beziehung zwischen mir und Martin schon umhergingen, versuchte ich jeglichen Kontakt mit ihm zu meiden, um die Gerüchte nicht noch zu bestätigen.

In der sechsten Stunde hatten wir Englisch bei Mr. Gatsby. Ich konnte mich überhaupt nicht auf seinen Unterricht konzentrieren, da ich andauernd von Staceys Clique mit Papierbällen beworfen wurde. Das Einzige was ich mitbekam war, dass wir zu morgen eine Interpretation zu dem Buch Moby Dick verfassen sollten. Zuhause angekommen war ich jedoch zu erschöpft und aufgewühlt, um mich mit der Hausaufgabe zu befassen. Ich setzte meine Kopfhörer auf und drehte die Lautstärke bei dem Song „Boulevard of Broken Dreams“ von Green Day voll auf. Ich drückte mein Gesicht ins Kopfkissen und fing an zu weinen.

„Wäre doch jetzt nur Ben an meiner Seite!“, brüllte ich in mein Kopfkissen, „Vermutlich war dieses Ritual doch nur ein großer Schwindel. Vielleicht habe ich mir das alles nur eingebildet.“ Ich suchte nach logischen Erklärungen für das Geschehene in der Nacht des Rituals. Vergeblich.

An diesem Abend ging ich nicht runter, um zu Abend zu essen. Ich schlief so wie ich war ein. Am nächsten Morgen musste meine Mutter mich wecken, da ich auf keinen meiner Wecker reagierte. Zumindest war ich schon angezogen. Ich schnappte meine Schultasche, die ebenfalls bereit war, und machte mich auf den Weg zur Schule. Im Bus döste ich zu der Musik meiner Spotify-Playlist vor mir her. Ich wurde durch das abrupte Bremsen des Busses aus meinen Träumen gerissen. Mit schweren und kontrollierten Schritten bewegte ich mich auf die großen Schwingtüren des Haupteinganges der High School zu. Auf dem Flur passierte es dann wieder. Außerhalb meines Blickwinkels schubste mich eine Person gegen die Spinde.

„Hi Riley. Na, wie geht´s dir?“

Es war Stacey. Sie drückte ihre rechte Hand gegen die Spinde und sah mir direkt in die Augen.

„Was willst du?“, fragte ich mit einer leisen, aber wütenden Stimme.

„Nichts Wildes. Ich wollte gerne deine Englischhausaufgabe ansehen. Weißt du, ich benötige für den Schluss noch ein wenig… Inspiration.“ Stacey grinste.

„Sorry, aber ich habe die Hausaufgabe nicht. Hatte gestern zu viel zu tun.“

„Oh Riley. Ich dachte wir seien Freundinnen. Und als deine Freundin erwarte ich, dass du mir auch mal unter die Arme greifst. Aber was soll´s,…“, Stacey nahm ihre Hand vom Spind und kehrte mir den Rücken. Ich sah, wie sich ihre Hände zu Fäusten formten. „… dann muss ich wohl zu Plan B übergehen.“

Stacey holte aus und verpasste mir einen heftigen Schlag ins Gesicht. Wie ein nasser Sack fiel ich zu Boden. Ich fasste mir an die Nase und realisierte, dass sie blutete. Stacey drehte mich rücklings und hielt mich mit ihrer linken Hand am Kragen fest, während sie mit ihrer Rechten weiter auf mich einschlug.

„Du kleines Miststück! Du wirst für immer eine Außenseiterin bleiben. Du hast hier auf dieser Schule überhaupt nichts zu suchen. Es ist wohl besser, wenn ich dich hier an Ort und Stelle umbr…“

Staceys Worte stockten. Die Spannung in ihrer linken Hand ließ locker und ich schlug mit dem Kopf auf den Boden. Ich drehte mich zur Seite, um Blut auf den Boden zu spucken. Nach wenigen Sekunden richtete ich meinen Blick erneut auf Stacey und konnte meinen Augen kaum trauen. Eine Person mit dreckiger, zerrissener Jeans und ohne Schuhe hielt Stacey im Würgegriff. Sie schmetterte Stacey mit einer fast schon übermenschlichen Kraft gegen die Spinde. Trotz, dass die Person über keinerlei trainierte Muskeln verfügte, zertrümmerte sie ihren Schädel mit nur drei Schlägen. Dann warf sie Stacey zu Boden und tat etwas überaus Grausames. Sie biss ihr die Kehle durch. Eine Blutfontäne spritze aus ihr und hinterließ nach wenigen Sekunden eine Pfütze aus Blut. Doch damit nicht genug! Es sah so aus, als würde die Person das Fleisch von ihrem Hals nagen. Währenddessen konnte ich ein paar Merkmale an ihrem Gesicht erkennen. Sie hatte kurze, verzottelte schwarze Haare. Ihre Stirn war von mehreren Platzwunden gezeichnet, aus denen der Eiter an den Wangen entlangfloss. Die Augäpfel waren kreidebleich, doch die vielen Blutgefäße ließen sie rot wirken. Die Pupillen waren pechschwarz. Ich dachte ich würde in einen tiefen, dunklen Abgrund blicken. An ihrer linken Wange bemerkte ich, dass Haut fehlte und eine große Fleischwunde dort klaffte. Es mag sich verrückt anhören, aber ich hatte das Gefühl, als käme die Person mir bekannt vor. Also fragte ich mit einer zitternden Stimme:

„B-ben? Bist du es?“

Die Person richte augenblicklich ihren Blick auf mich. Nachdem sie ihren Bissen heruntergeschluckt hatte, schnaubte sie und holte tief Luft. Dann bewogen sich ihre Lippen, um folgende Worte zu formen:

„Ri…ley…, i…ch bin… es…. Dan…ke, dass du mi…ch zu…rück…geholt hast.“

Ich konnte meinen Ohren kaum glauben. Es war tatsächlich Ben! Das Ritual war ein Erfolg! Sein Aussehen erklärte ich mir damit, dass er aus seinem Grab gestiegen ist und sich erst regenerieren müsse, bevor er wieder wie ein „Mensch“ aussehen würde. Doch meine Freude hielt nicht lange an. Ein paar Jungs des Footballteams stürzten sich auf Ben, um ihn aufzuhalten. Dies stellte sich jedoch als ihr größter Fehler heraus. Trotz, dass die Jungs die stärksten der High School waren, hatten sie keine Chance gegen Ben. Einer nach dem anderen fiel Bens enormer Rage zum Opfer. Dem einen biss er die Kehle durch, dem anderen brach er das Genick, als wäre es ein Strohhalm. Der letzte verfiel in Panik und wollte wegrennen. Doch Ben packte ihn am Fuß und riss ihn zu Boden. Dann schlug er seinen Kopf so lange gegen den Boden, bis sein Schädel nur noch aus einer unerkenntlichen Masse bestand.

Die anderen Schüler gerieten in Panik und flohen in alle Richtungen des Flures. Ben war in einem Blutrausch, und ich konnte ihn nicht aufhalten. Trotz, dass ich mich freute Ben wiederzusehen, war ich doch fassungslos, was ich da zurück ins Leben geholt hatte. Ich wollte den Horror jedoch nicht wahrhaben und dachte das alles wäre nur ein Traum. Plötzlich packte mich jemand am Arm und zerrte ich um eine Ecke. Es war Martin.

„Riley, w-wir m-müssen hier w-weg!“

„Ich gehe nicht ohne Ben!“, erwiderte ich.

„D-das ist n-nicht Ben. D-das ist ein M-monster. K-komm m-mit. Ich bringe d-dich in S-sicherh…“

Ich schrie auf. Ben hatte seine Faust durch Martins Brust gerammt. Martin sackte in sich zusammen und um ihn herum bildete sich eine Blutlache.

„Ben, du musst damit aufhören! Bitte! Tu es für mich!“

Doch Ben hörte nicht auf mich. Er beugte sich über Martins Körper und begann sein Fleisch aus der offenen Wunde zu entreißen. Ich hielt meine Hände vor die Augen und weinte. „Das wollte ich doch alles nicht! Ich wollte doch nur Ben wiedersehen und kein Massaker an der Schule anrichten. Ich habe ein Monster erschaffen! Bitte lass diesen Albtraum enden!“ Plötzlich hörte ich einen lauten Knall vor mir. Ich zuckte zusammen und schielte durch meine Finger, um zu sehen, was gerade passierte. Aus einigen Metern Entfernung richtete eine Person in blauer Uniform eine Waffe auf Ben.

„Hey du Freak, leg deine Hände hinter den Kopf und dreh dich langsam um!“

Es war unser Schulwachmann, Mr. Smith.

„Wird´s bald?! Steh auf und dreh dich um!“

Mr. Smith zeigte keine Anzeichen von Furcht. Er fühlte sich mit der Pistole in seinen Händen überlegen. Ben richtete sich langsam auf und drehte sich um. In seinen Händen hielt er noch einen Fleischbrocken.

„Großer Gott.“

Mr. Smith war fassungslos. Ohne es zu merken, senkte er seine Arme. Er hielt kurz inne. Dann hob er wieder die Waffe und drückte ab. Er traf Bens Schulter. Doch er bewegte sich ungehindert auf ihn zu.

„B-bleib stehen!“

Mr. Smith wurde nervös. Er drückte erneut ab. Und wieder. Und wieder. Beim fünften Schuss traf er die Stelle, an der sich das Herz befand. Doch Ben schritt ohne Einschränkungen voran. Als er sich in seiner Reichweite befand, stürzte sich Ben auf ihn und packte seinen Kopf. Ben übertrug all seine Kraft in die Arme und schlussendlich riss er Mr. Smith den Kopf ab. Dann nagte er das Fleisch von Teilen seiner Wirbelsäule ab. In dem Moment nahm ich all meinen Mut zusammen und nutzte die Gelegenheit, um zur Waffe zu rennen. Als ich sie in den Händen hielt schluchzte ich.

„Ben, es tut mir leid. Aber wir sehen uns gleich wieder.“

Ich drückte ab. Die Kugel durchbohrte seinen Schädel. Ben fiel auf die Leiche von Mr. Smith. Ich hielt kurz inne. Dann hob ich meinen Arm und hielt die Pistole an meine Schläfe. Ich atmete tief durch und lächelte zum Abschied. Eine letzte Träne lief an meiner Wange vorüber. Dann sah ich plötzlich nur noch Dunkelheit und mein Körper fühlte sich so leicht an. Mir ist auf einmal so kalt.

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