
Alt sein
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Eigentlich würde ich ja gerne ausziehen. Es ist nicht unbedingt erheiternd, noch immer in der ramponierten Vier-Zimmer-Wohnung zu leben, die man sich vor mehr als zehn Jahren mit seiner Tochter geteilt hat, bevor sie dann mit dem Studium anfing, weg zog, um alles hinter sich zu lassen. Die kargen Lebensumstände, den Tod ihrer geliebten Mutter davor, ihren verbitterten, gebrochenen Vater. Ja, nichts wäre mir lieber, als auch einfach zu verschwinden und anderswo weiter zu machen. Doch solche Überlegungen machen stets kehrt und verziehen sich schleunigst in die hintersten Winkel meiner Gedankenwelt, wenn mein Portemonnaie ihren Weg kreuzt. Alleine, um die Miete hier, in einem halb baufälligen Mehrfamilienhaus im Betonblock eines Kaffs dreißig Minuten Busfahrt entfernt von der Innenstadt, erschöpft die Kapazitäten meiner bescheidenen Rente. Nicht dass ich ohne eine nennenswerte akademische Laufbahn jemals großartige Chancen auf dem Arbeitsmarkt gehabt hätte, aber seit mein linkes Bein durch diesen Unfall auf dem Bau ungefähr so beweglich ist, wie der Krückstock, auf den ich permanent angewiesen bin, sind nennenswerte Einkommensquellen ein Ding der Unmöglichkeit.
So schnell ich kann, schlurfe ich auf meinen drei Beinen (Gottverdammte Scheiße! Wie sehr ich diese Metapher hasse!) durch den dunklen, staubigen Flur, weil meine langsam schwächelnde Blase mal wieder Druck macht. Kurz halte ich vor der geschlossenen Badezimmertür stehen, nehme diesen penetrant
modrigen Gewölbegeruch, wie man ihn aus alten Kellern, Tropfsteinhöhlen und dergleichen kennt wahr und weiche dann wie
üblich auf das kleinere Gäste-WC aus. Mein Badezimmer möchte ich
seit gut einem Jahr aus Ekel nicht mehr betreten. Vielleicht eines
Tages, wenn mir ohnehin alles egal ist, aber nicht heute. Es ist
nicht so, dass es bei mir sonderlich unhygienisch wäre, zumindest
habe ich keine Probleme mit Fruchtfliegen, Schaben, oder gar Mäusen,
aber die besten Motivatoren zum Aufräumen und Putzen sind ein lahmes
Bein und ein kaputter Rücken nun auch wieder nicht. Unter diesen
Umständen erschien mir der anfangs kleine schwarze Fleck an der
gefliesten Innenwand der Dusche nicht allzu schlimm. Ich wusste ja
nicht, was mir das Geld für eine Flasche Allzweckreiniger und etwas
Schrubben erspart hätten.
Nachdem ich mich erleichtert habe,
begebe ich mich zurück in das schmuddlige, vom Glühlampenschein
schwach erhellte Wohnzimmer. Auf dem Weg halte ich abermals kurz beim
Badezimmer und presse mein Ohr gegen die Tür. Das Surren ist zwar
unverkennbar, doch noch ist es schwach und leise. Gut. Ich lasse
mich, unter dem besorgniserregenden Knacken meines Rückgrades, auf
dem faltigen, ausgeblichenen Ledersofa nieder. Zu meiner Rechten
liegt noch immer das fleckige, zerkratze Kissen, auf dem sich der
alte Charlie, mein Kater immer zusammengerollt hat. Bis vor genau
dreizehn Monaten und siebenundzwanzig Tagen war er der letzte, der
mir regelmäßig Gesellschaft geleistet hat. Eigentlich sollte ich da
froh darüber sein, dass ich heute Besuch erwarte, aber ich habe eben
gern meine Ruhe und außerdem mag ich Martin nicht wirklich. Martin
ist sogar ein ziemlicher Unsympath, ein echtes Arschloch, wenn man es
recht bedenkt. So einer, der einen permanent stört, wenn man am
hintersten Tisch in der Kneipe sitzt und einfach sein Bier trinken
möchte. Dauernd versucht er mich in Gespräche zu verwickeln, egal
wie desinteressiert ich mich gebe. Bei seiner permanenten
Anhänglichkeit musste ich einfach irgendwann die Gelegenheit nutzen
und ihn zu mir auf ein Bierchen oder zwei einladen.
Ich muss zwischendurch eingedöst sein.
Die Uhr an der Wand ist zwar schon vor längerer zeit stehen
geblieben, aber durch mein verschmiertes Fenster sehe ich, dass es
draußen etwas dunkler ist. Da höre ich das nervtötende Klingeln
der Tür. Unter Schmerzen stehe ich auf, umklammere den Krückstock,
halte einen Moment inne, um all meine Kräfte zu sammeln, dann humple
ich zu meiner morschen Wohnungstür. Sie ist wie üblich etwas
verklemmt, doch als ich sie schließlich mit einem besonders
kräftigen Ruck öffne, sehe ich direkt in Martins rundliches,
verträumt dümmliches Gesicht. Er lacht und begrüßt mich herzlich.
Ich nicke höflich. Wir geben uns die Hände. „Hör‘ mal.“ sagt
er leicht verlegen, „Ich muss ziemlich dringend pinkeln um ehrlich
zu sein. Ich darf doch sicher mal dein Klo benutzen.“ „Aber
natürlich!“ antworte ich und versuche, dabei nicht allzu
mechanisch zu klingen.
So führe ich Martin durch den Flur,
vorbei am Gäste-WC. Vor dem Badezimmer angelangt, mache ich ihm Platz
und öffne die Tür. Ich sehe noch kurz, wie sich seine Augen vor
Überraschung und Entsetzen weiten, angesichts dieses tiefschwarzen,
unförmigen, pulsierenden Klumpens der mittlerweile fast die gesamte
linke Wand bedeckt, bevor ich ihn mit meinem Krückstock zwischen die
Schulterblätter stoße, direkt in diese undefinierbare Masse hinein
und schließe die Tür, noch bevor er einzusinken beginnt. Von
draußen höre ich die Schreie, das Gurgeln und Spritzen von Blut,
das grässliche Krachen splitternder Knochen. Erschöpft sinke ich
rücklings gegen die Tür und versuche einen kühlen Kopf zu
bewahren. Zumindest muss ich es nicht mit ansehen, das hat mich
damals schon bei Charlie fast um den Verstand gebracht. Natürlich
tut Martin mir leid, obwohl ich ihn nicht mag, doch es darf nicht
anfangen zu surren. Nicht lauter werden in seiner Ungeduld und sich
schließlich vor lauter Hunger von der Wand loslösen und in der
übrigen Wohnung nach Nahrung suchen. Drei Wochen, vielleicht vier,
bis das Surren wieder beginnen wird. Bis dahin habe ich meine Ruhe.
–Therdrer 22:10, 25. Mai 2018 (UTC)