GeisteskrankheitLangeMordTiereTod

Blackberry – der Tierfreund

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Und wieder hallo!

Ich bin Blackberry. Oder Nicolai. Oder noch besser: der Psychopath.

Wenn du diese Zeilen liest, bedeutet das, dass du meine richtige Geschichte bereits kennst. Sollte dies nicht der Fall sein, so bitte ich dich, dies nachzuholen.

Allen anderen, die hier verblieben sind, danke ich, dass sie sich erneut dazu entschlossen haben, meiner Erzählung zu lauschen. Ich bin nach wie vor nur einer von viel zu vielen Creepypasta-Killern. Dieser, nennen wir es mal „Titel“, hat inzwischen einen ziemlich bitteren Beigeschmack und ist schon lange nicht mehr so glamourös wie früher. Jemanden zu finden, dem man von seinen Missetaten erzählen kann, ist also äußerst schwierig.

Heute geht es übrigens um einen ziemlich… exzentrischen Kunden, den ich vor ein paar Wochen hatte, und den daraus resultierenden Problemen. Aber alles der Reihe nach…

Der Oktober hatte gerade begonnen und das Blätterwerk der Bäume verwandelte sich allmählich in einen trostlosen, braunen Haufen von toten Sommergrün. Die Tage wurden wieder kürzer, nasser und im Allgemeinem trüber. Viele Menschen mögen den Herbst. Ich nicht. Es ist eine undefinierbare Jahreszeit, weder Sommer, noch Winter, mal warm, mal kalt. Ähnlich wie der Frühling, nur toter.

Ich war gerade auf dem Nachhauseweg von der Berufsschule. Es ging durch ein gepflegtes Neubaugebiet am Stadtrand. Zu Fuß, versteht sich. Mein klappriger VW Golf war gerade in der Werkstatt, und meine Mutter würde mit mir in einem Auto wahrscheinlich gegen den nächstbesten Baum fahren. Nein danke. Da gehe ich lieber zu Fuß, obwohl das bei diesem typischen Herbstwetter nicht gerade ein Hochgenuss war. Es dämmerte bereits, und der eiskalte Wind trieb mir den beständigen Nieselregen mitten ins Gesicht. Die Luftfeuchtigkeit war an diesem Tag geradezu ekelerregend hoch. Ich hatte das Gefühl, die Nässe würde sich durch meine Haut bis an meine Knochen fressen. Mein grau-brauner Flickenmantel brachte da auch nicht viel, ich bereute es bereits, keinen wasserfesten Stoff genommen zu haben.

Der Wind fuhr pfeifend durch die nackten Zweige einer alten Eiche, auf der zwei Raben saßen. Seufzend strich ich mir meine inzwischen nassen, roten Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ich kam mir vor wie in John Carpenters „Halloween“, obwohl mir alle paar Meter fröhliche Passanten begegneten, ausgerüstet mit gigantischen Regenschirmen in allen nur erdenklichen Farben. Autos fuhren an mir vorbei. Kinder in Gummistiefeln sprangen lachend durch die Pfützen und spritzen mich unbeabsichtigt mit Schlamm voll. Ich beachtete sie gar nicht. So viel nasser als ohnehin schon konnte ich ja nicht werden.

„Hey Nico!“ Ein aufgemotztes Motorrad raste urplötzlich an mir vorbei, machte eine Kehrtwendung und hielt mit quietschenden Reifen direkt vor meinen Füßen, die Kinder sprangen erschrocken zur Seite. Der Fahrer nahm seinen Helm ab und schüttelte seine zotteligen, schwarzen Haare. Sein einer silberner Ohrring schimmerte leicht im Licht der inzwischen erleuchteten Straßenlaterne.

„Juri… Das hier ist eine Spielstraße.“ Er lachte. „Ich weiß. Ich spiele doch hier, siehst du?“ Er ließ den Motor laut aufheulen, die Kinder rannten die dunstige Straße entlang und verschwanden hinter der nächsten Ecke. „So viel Aufmerksamkeit ist nicht gut für´s Geschäft, du Idiot“, sagte ich fest. Juri verzog eine Grimasse. „Immer wachsam, jaja. Kennt man bei dir. Aber wo du grad beim Thema bist…“ Er kramte in der Tasche seiner Lederjacke. „Ich hab ne´ Anfrage von einem neuen Kunden.“ Er überreichte mir einen schnell gekritzelten Zettel. Die Handschrift war kaum zu entziffern. „Der Typ hat mir eine Nachricht über die Website geschickt. Ich als dein Kontaktmann…“, er räusperte sich, „…habe sie gleich aufgeschrieben und bin zu dir gefahren. War gar nicht so leicht, dich zu finden.“

„Ja, im Gegensatz zu dir gehe ich zur Schule. Aber trotzdem danke.“ Ich steckte den Zettel ein und verabschiedete mich. Juri stieg wieder auf sein Motorrad und brauste davon, mich in einer großen Abgaswolke zurücklassend.

Zuhause angekommen, ging ich erst mal duschen. Meine Mutter begrüßte mich kurz, wendete sich dann aber wieder dem Staubsauger zu. Verbissen versuchte sie, mich nicht anzusehen. Ich wünschte, ich könnte ihre innere Abneigung mir gegenüber verstehen. In letzter Zeit wurde es immer schlimmer. Sie schimpfte ja nicht mal mehr mit mir, selbst wenn ich es eigentlich verdient hatte. Aber mir soll´s recht sein. Manchmal ist es ganz praktisch, so empathisch wie ein Staubfussel zu sein.

Nach dem Duschen besorgte ich mir einen kleinen Snack aus der Küche, setzte mich an meinen Schreibtisch und las den Zettel des Auftraggebers. Anhand der Ausdrucksweise konnte ich gleich erkennen, dass es sich um ein Musterbeispiel der menschlichen Spezies auf dem Höhepunkt seiner geistigen Entwicklung handelte:

Hi Blackberry XD!

Durch bloßen Zufall bin ich auf deine wundervolle Seite gestoßen. Ich war echt begeistert. FG Kannst du mir helfen? Genaueres erzähl ich dir später. Mein Problem ist ein bisschen „spezieller“. Du verstehst? nyah (^-^)

Nein. Ich verstand nicht. „Spezieller“. Was war das denn für eine schwammige Aussage? Genervt massierte ich meine Stirn. In diesem Gewerbe hat man echt nur mit komischen Vögeln zu tun. Und was zum Teufel heißt „nyah“? Verlust der Muttersprache oder was?

Am Schluss stand noch der Name und die Adresse des Auftraggebers. Der Ort war nicht gerade um die Ecke, aber mit dem Zug müssten die 200 Kilometer gut zu schaffen sein. Und morgen war endlich Wochenende. Das passte zeitlich gesehen ausgezeichnet. Ich wollte nicht schon wieder eine neue Ausrede für die Berufsschule erfinden müssen…

„Sie wollen zu dem Verrückten?“ Überrascht starrte der ältere Herr mich an. Doch dann huschte ein amüsiertes Lächeln über sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht. „Sie müssen selbst verrückt sein, wenn Sie dahin wollen, Bursche.“ Ich nickte. „Das bin ich wohl. Aber könnten Sie mir trotzdem sagen, wie ich die richtige Adresse finde?“ Der Mann schnaufte wie eine Dampflokomotive, als er sich langsam von der Bank am Straßenrand erhob. „Natürlich kann ich es Ihnen sagen! Dies ist ein kleines Dorf auf dem Lande. Jeder kennt hier jeden! Aber auf manche Bekanntschaften könnte ich echt verzichten. Und so sage ich Ihnen, Bursche: Wenn Sie noch einen Funken menschlichen Verstand besitzen, drehen Sie um und fahren zurück in die Stadt!“

„Ausgeschlossen“, antwortete ich lächelnd. „Ich bin geschäftlich hier.“ Der Mann seufzte. Dann brummte er: „Gehen Sie geradeaus weiter bis zur Kirche. Halten Sie sich dann rechts und folgen Sie dem Pfad durch das Wäldchen, bis Sie zu einem Maisfeld kommen. Und dann immer der Nase nach. Können´s gar nicht verfehlen.“

„Vielen Dank. Einen schönen Tag noch“, sagte ich mit einer leichten Verbeugung. „Jaja…“, knurrte der Mann und ließ sich wieder auf seine Bank nieder.

Das Wäldchen entpuppte sich als eine Ansammlung von knallroten Ahornbäumen, die bei jedem Windstoß immer mehr ihrer einstigen Pracht verloren, bis schließlich das nackte, tote Gerippe ihrer Äste zum Vorschein kam. Mir war, als ob die Bäume Blut husten würden, der Boden war bedeckt mit einem Meer aus rot-schwarzen Tropfen, in denen meine Stiefel zu versinken drohten. Mit jedem Schritt wirbelte ich Blätter auf. Der Pfad war kaum noch zu erkennen.

Ich blieb kurz stehen und prüfte noch einmal meine Ausrüstung. Mein großer Rucksack war bis obenhin voll mit allen möglichen Sachen. Neben verschiedenen Messerarten, über Stricke, Spritzen und Skalpelle, bis hin zu Giftampullen, Tabletten und Rasierklingen war so ziemlich alles vertreten, was das Killerherz erfreut. Sogar eine kleine Pistole hatte ich auf der Innenseite meines Mantels versteckt. Bisher war es ganz einfach, das Zeug mit der Bahn zu transportieren, aber wenn die aktuelle Terrorgefahr nicht weiter abnehmen würde, müsste ich mir wohl einen anderen Weg überlegen. Eine Taschenkontrolle war das letzte, was ich gebrauchen konnte.

Aber wenn mein Kunde sich etwas klarer ausgedrückt hätte, müsste ich gar nicht erst so viel Kram mitschleppen. Selbst auf meine Nachfrage hin konnte er mir nicht sagen, wie genau er es haben wollte.

„Das ist ein Geheimnis! (^°^) LOL“

Grimmig packte ich alles wieder zusammen und setzte meinem Weg fort. Irgendwann verschwanden die Ahornbäume, und ich erreichte tatsächlich das Maisfeld. Meine Füße freuten sich über eine einigermaßen begehbare Straße, auch wenn hier und da große Schlaglöcher den grauen Asphalt zierten. Die Sonne verschwand langsam glühend am Horizont, und in der Ferne erkannte ich die Residenz meines Auftraggebers.

Ein altes, ziemlich verfallenes Bauernhaus, mit einer Scheune und Stallungen, inmitten der weiten Felder. In früheren Tagen war es wohl die stattliche Behausung eines wohlhabenden Gutsherren, aber von diesem Glanz war nun kaum noch etwas übrig. Der Zahn der Zeit hatte ganze Arbeit geleistet. Ich empfand es als eine Schande, ein an sich so schönes Gebäude so verkommen zu lassen.

Als ich das Grundstück betrat, stach mir sofort ein ziemlich übler Gestank in die Nase. Es war nicht dieser übliche Bauernhofgeruch von Stroh und den Hinterlassenschaften der Kühe, den viele unverständlicherweise sogar als angenehm empfinden. Nein, es ging eher in die Richtung von Schweinefleisch, welches man zu lange in die Sonne gelegt hatte. Angeekelt ging ich weiter zum Wohnhaus. Aus dem Stall links von mir drangen viele verschiedene Tierlaute. Ein unerträgliches Inferno aus Knurren, Kläffen, Brüllen, Jaulen und Schnauben.

„Was zum Teufel geht da drinnen vor? Klingt ja nach einem ganzen Zirkus!“ dachte ich, als ich schließlich zögerlich die rostige Klingel betätigte.

Keine zwei Sekunden vergingen, da wurde die Tür mit einem solchen Ruck geöffnet, dass ich fast erschrocken zusammenzuckte. Ein großer, dürrer Mann sprang förmlich aus dem Türrahmen und fiel mir freudestrahlend um den Hals, als wäre ich der lange verschollene Verwandte aus dem Bermuda-Dreieck. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Etwas verdattert starrte ich den stürmischen Typen an. Er war nicht viel älter als ich, hatte strohblonde Haare, eingefallene Wangen und war übersät mit tausenden Sommersprossen. Sie zierten nicht nur sein Gesicht, sondern auch Hals und Arme. Mit einem fetten Grinsen im Gesicht ließ er mich schließlich los und rieb sich aufgeregt die Hände.

„Ah, Blackberry, nehme ich an? Wie geht´s, wie steht´s? Ich hoffe, du hast gut hergefunden? Komm doch rein, nur keine Scheu, ich fresse dich schon nicht!“

Irgendwie fühlte ich mich trotzdem nicht unbedingt wohler.

Lachend schob er mich ins Haus, nahm mir Tasche und Mantel ab und führte mich, ohne dass ich protestieren konnte, ins Wohnzimmer. Dort verfrachtete er mich auf ein großes, altes Sofa, das aussah, als hätte sich ein Regenbogen in allen möglichen Pastelltönen übergeben.

„Ähm, ich bin hier richtig, oder?“ fragte ich schließlich, nachdem mein energischer Gastgeber mir Tee mit Zitrone und warmen Plätzchen serviert hatte. „Aber selbstverständlich, Blackberry“, antwortete er und setzte sich mir gegenüber in einen buntkarierten Sessel. „Warum fragst du?“ Ich räusperte mich und versuchte dabei meine Professionalität wiederzufinden. „Nun… normalerweise weisen meine Kunden nicht unbedingt eine solch gesunde Lebensfreude auf wie du zurzeit. Hat das eventuell „spezielle“ Gründe?“

„Ah!“ Er sprang auf. „Gut, dass du fragst!“ Wie von der Tarantel gestochen rannte er durch den Raum zu einem großen Bücherregal, welches die gesamte rechte Seite des Wohnzimmers ausfüllte und bis unter die Decke ging. Zielgerichtet zog er einen dicken, schwarzen Ordner heraus und drückte ihn mir in die Hand. „DAS ist der Grund, weshalb ich deine Dienste benötige, Blackberry.“

In dem Ordner befanden sich Zeitungsartikel, offizielle Berichte, aber auch handgeschriebene Notizzettel, in alphabetischer Reihenfolge sortiert. Neugierig öffnete ich eine Seite, die mit einem roten Band markiert war.

„Ein Foto?“

Er seufzte schwer. „Ja… Ist es nicht grausam?“ Ich begutachtete das Bild erneut. Tatsache, es war wirklich kein schöner Anblick. Das war´s aber auch schon.

Ich legte den Ordner beiseite und wendete mich wieder meinem Kunden zu. Ich bemerkte eine leichte Rötung in seinen Augen, und erstaunlicherweise traten sogar ein paar Tränen hervor. Seine Stimme zitterte vor Wut.

„Im Jahr 2016 starben etwa 750 Millionen Tiere in Massentierhaltungen. Und das allein in Deutschland.“

Ich nickte. „Und?“

Er starrte mich an. „Und was?“

Ich schüttelte genervt den Kopf. „Ist DAS der Grund, warum ich hier bin?“

„Ja!“ sagte er fest und holte erneut das Foto hervor. Es zeigte eine Schweinezucht. Wenn man das denn so nennen konnte. Eine dreckige, graue Halle, die eher einer Konservenfabrik ähnelte als einer Zucht. Metallisch und kalt. Viele der Tiere waren übergroß und standen oder eher lagen von ihrem eigenem Gewicht erdrückt auf engstem Raum. Eingepfercht in der Reihe, wartend auf den Augenblick der Schlachtung. Wie auf einem Fließband. Diese Tiere wirkten so unnatürlich, so überzogen deformiert. Aber besonders beeindruckt war ich noch nicht. Es waren viele dieser Bilder im Umlauf, man kannte eigentlich jede noch so schmutzige Einzelheit.

„So ganz verstehe ich das noch nicht“, gab ich schließlich zu.

Mein Kunde setzte sich wieder. Er war immer noch rot.

„Massentierhaltung ist der größte Skandal in der Menschheitsgeschichte! Wenig Platz, unzureichende Ernährung und im Ganzen die unnatürlichsten Umstände, die man sich nur vorstellen kann. Viele Tiere sterben, bevor sie überhaupt „schlachtfertig“ sind. Die Anderen werden dort gewaltsam den Haltungsformen angepasst: Hörner, Schwänze, Schnäbel und zum Teil auch Zähne werden ohne Betäubung gekürzt oder abgetrennt. Bei Kühen werden die Hörner bereits im Kalbsalter durch ein Brenneisen oder durch ein ätzenden Mittel entfernt. Und als ob das Ganze noch nicht genug wäre, werden die Tiere, um sie trotz unpassender Haltung leistungsfähig zu erhalten, quasi ständig routinemäßig mit Antibiotika vollgepumpt. Das ist doch kein Leben!“

Er holte noch einmal tief Luft, ehe er fortfuhr: „Besonders schlimm ist es bei den Hühnern! Um das Risiko für Verletzungen in der Massentierhaltung zu minimieren, werden den kleinen Küken meist ohne Betäubung die Schnäbel mit einem heißen Messer abgeschnitten. Danach kommen sie in einen sogenannten ausgestalteten Käfig, wo jedes Huhn im Schnitt 800 cm² Platz hat! Das ist quasi ein DIN-A4-Blatt pro Huhn, obwohl allein ihre Flügelspannweite 80 cm beträgt! Und stell dir nun vor: Männliche Küken sind zu diesem Zeitpunkt meist schon tot! Da sie keine Eier legen können und sich auch nicht als Masthähnchen eignen, werden sie bereits kurz nach dem Schlüpfen durch Vergasen oder Schreddern getötet! Durch SCHREDDERN!“

Ich nahm mir noch ein weiteres Plätzchen. Die waren erstaunlicherweise echt lecker…

„Gehe ich recht in der Annahme, dass ich irgendeinen Großfabrikanten für Geflügelbrust „entfernen“ soll? Darauf bin ich eigentlich nicht spezialisiert…“

„Nein nein!“ fiel er mir ins Wort. „Es geht schon noch um mich!“

Ich stellte meine Teetasse und den inzwischen leeren Keksteller beiseite und beugte mich etwas vor. „Ich höre…?“

Inzwischen war die Nacht herein gebrochen. Dunkle Wolken jagten über den Himmel und schoben sich immer wieder wie gespenstische Schattenmonster vor den vollen Mond. Es war unerträglich windig, aber ansonsten trocken. Blätter tanzten vor meinen Augen. Die Dachbalken und Fensterläden knarrten. Weiter hinten im Dorf bellte ein Hund. Ich stand draußen auf der maroden Veranda und starrte in die Finsternis. Und ich dachte nach.

Einen so abgedroschenen Plan hatte ich noch nie gehört. Nannte man mich Psychopath, so war dieser Kunde ein Wahnsinniger. Alle anderen Kunden vor ihm arbeiteten alle nach demselben emotionalem Prinzip, welches ich trotz fehlender Empathie rational verstehen konnte. Sorgten Trennungsschmerz oder Liebeskummer für den Sterbewunsch, so war das in der Tat für mich erklärlich. Geldsorgen oder Depressionen waren ebenfalls logisch nachvollziehbare Gründe. Alle vor ihm waren Menschen in Not, die keinen Ausweg mehr sahen und denen ich helfen konnte. Aber dieser Kunde war anders. So sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte seinen Gedankengängen nicht folgen.

Aber ich hatte den Vertrag, ebenso wie er, unterschrieben. Nun galt auch für mich kein Zurück mehr. Ich seufzte kurz, setzte mein charmantes Lächeln auf und betrat wieder das Haus. Mein Auftraggeber sah von seinem Laptop auf und lächelte ebenfalls. „Geht´s los?“

„Ja.“

Aufgeregt stand er auf und führte mich nach draußen Richtung Stall. Ein alter Fachwerkbau, mit traditionellem Strohdach und großen, eisernen Toren, die allerdings von innen verschlossen zu sein schienen. Mit jedem Schritt auf das Gebäude zu wurde das Tiergeschrei lauter, der Gestank intensiver. Mein Kunde nahm davon scheinbar keine Notiz, zielgerichtet ging er um das Gebäude herum, bis zu einer hohen, rostigen Metalltreppe an der Rückseite des Stalls, ähnlich einer Feuertreppe an großen Wohnkomplexen.

„Hier ist es“, sagte mein Kunde und stieg mit mir die Stufen hinauf. Oben angekommen, öffnete er eine etwas kleinere Holztür ins Innere des Gebäudes.

Wir standen auf einer höher gelegenen Metallplattform, etwa fünf Meter über dem glatten Betonboden. Rechts von uns führte eine weitere Treppe nach unten, welche allerdings mit einem Metallgitter abgesperrt worden war. Die Lampen flackerten. An der Decke hingen beeindruckende Ansammlungen von Spinnweben. Und als ich meinem Blick nach unten schweifen ließ, erkannte ich die Ursache für das ohrenbetäubende Konzert:

In den kleinen Stallboxen, rechts und links des Mittelgangs verteilt, standen Tiere. Und zwar alle möglichen Tiere. Ich erkannte zwei dürre Dobermänner, die sich durch das Gitter, das ihre Boxen voneinander trennte, ankläfften. Gegenüber davon lagen Schweine grunzend im Stroh. Mehrere Katzen strichen unruhig durch eine Box, welche zusätzlich mit einem Maschendrahtzaun nach oben hin abgesichert war. Hühner rannten aufgescheucht in gleich drei Boxen umher. Und in der hintersten Ecke meinte ich sogar einen Marderhund gesehen zu haben.

Auf unserer sicheren Plattform war bereits alles aufgebaut worden. Der benötigte Computer stand bereits hochgefahren auf einem Klapptisch. Die Videokamera hing einsatzbereit an der Balustrade. Und die Seile lagen dadrunter.

„Hat der PC hier denn auch Internetzugang?“ „Klar“, antwortete mein Auftraggeber, während er sein Hemd auszog. „Läuft sogar ziemlich gut. Hab alles schon gestern getestet. Ach ja, meine Kontaktdaten und die nötigen Passwörter stehen auf dem Zettel unter der Tastatur.“
Ich nickte und schnappte mir die Seile. „Halten die denn?“ Er zuckte die Achseln. „Müssen sie wohl.“

Wir stiegen die Treppe hinab zu den Boxen. Die Tiere wurden bei unserem Anblick immer unruhiger, einige kauten an ihren Gitterstäben. „Es ist alles in Ordnung, meine Lieblinge! Papa geht´s gut!“ Er lachte. Ich stimmte höflichkeitshalber mit ein.

In der Mitte des Stalls angekommen, legte er sich auf den Boden. Er hatte sich bereits bis auf die Jogginghose ausgezogen. Ich fesselte seine Arme und Beine. Die groben Seile schnitten tief in sein Fleisch, doch er grinste noch immer wie ein Honigkuchenpferd. Jedes der Seile befestigte ich an vier Eckpfeilern der Stallboxen. Ähnlich wie beim mittelalterlichem Vierteilen. „Kannst du dich auch wirklich nicht mehr rühren?“ fragte ich. „Es ist alles perfekt“, antwortete mein Kunde. „Danke.“

„Na dann…“, erwiderte ich und stieg die Treppe wieder hoch zur Plattform. Vorher verschloss ich noch fest das hohe Gitter am Fuße der Treppe. Dann schaltete ich die Kamera ein und verstellte sie so, dass sie genau auf meinen Kunden gerichtet war, der gefesselt im Mittelgang des Stalls wartete. Natürlich achtete ich penibel darauf, nicht selbst im Bild zu sehen zu sein.

„Okay!“ rief ich. „Sie filmt!“

Mein Kunde räusperte sich und versuchte, so gut es eben ging, in die Kamera zu lächeln.
„Sehr geehrte Damen und Herren! Ich begrüße Sie zur heutigen Show. In meinen letzten Videos habe ich ja bereits über die Zustände in der Massentierhaltung und deren Auswirkungen berichtet. Heute möchte ich Sie zum letzten Mal in die bedeutende Welt des Tierschutzes einladen!“

Er räusperte sich erneut. „Dies ist eine Nachricht an alle zuständigen Bürohengste da draußen! Ich werde ein Exempel statuieren, und zwar an mir selbst, zum Wohle aller Lebewesen, die in der Knechtschaft der Lebensmittelindustrie gefangen sind! Seht mein Leiden und denkt darüber nach, was die Tiere erleiden müssen!“

Ich gähnte leise. Was für ein wunderbar einstudierter Text…

Er fuhr fort: „Hinterher werde ich auch diese Tiere hier in die Freiheit entlassen, die ihnen zusteht, so wie es alle Menschen auf dieser Welt tun sollten…!“

„Momentchen mal!“ schaltete ich mich ein. „Ich fürchte, daraus wird nichts.“

Mein Kunde starrte mich an, entgeistert darüber, dass ich es gewagt hatte, ihm in die Aufnahme zu pfuschen. „Entschuldige dafür“, sagte ich. „Aber das geht leider nicht. Es verstößt gegen meine Prinzipien, unbeteiligte Menschen mit in die Angelegenheit einzubeziehen. Diese Tiere hier sind, deiner Aussage von vorhin nach zu urteilen, total ausgehungert. Wenn ich sie freilassen sollte, könnten andere dadurch gefährdet werden. Mit einem hungrigen wilden Hund ist nicht zu spaßen…“

„Das ist doch der Sinn der Sache! Alle sollen bezahlen…!“

„Nee nee, das geht nicht. Mein guter Ruf wäre damit zunichte. Außerdem: Tierschutz ist ja schön und gut, aber alles hat seine Grenzen. Tut mir wirklich leid.“

Ich schaute ihm genau in die Augen. Er erbleichte unter meinem strengen Blick, dem selbst Mutter und Juri nichts entgegenzusetzen haben. „A… aber…“, setzte er an, doch ich fiel ihm erneut ins Wort:

„Nachdem das nun geklärt sein sollte, bin ich hier fertig.“

„W…was?!“

„Lass dich nicht weiter stören! Deine Lieblinge warten auf dich.“

„Hey, warte…!“

„Bis denne.“

Ich drückte den Knopf. Mit einem lauten Quietschen öffneten sich die Gitter vor den Boxen.

„BLACKBERRY…!!“

Mein Kunde schrie noch einmal zu mir auf, ehe sich seine Tiere auf ihn stürzten.

Der Hunger ist ein alltäglicher, aber grauenvoller Begleiter. Erst ein dumpfes Gefühl im Bauch, dann das Stechen, wenn sich der Magen zusammenzieht, die überschwellige Übelkeit, der unerträgliche Schmerz. Schmerzen, die sich andere gar nicht vorstellen können. Um dem grausamen Hungertod zu entgehen, tut man alles. Menschen werden zu Tieren und Tiere… werden zu Bestien.

Die Dobermänner waren die ersten, die über ihr Herrchen herfielen. Sie gruben ihre scharfen Zähne in sein Fleisch, ich hörte Sehnen reißen und Knochen brechen. Ausgehungert begannen sie zu fressen, ihr schwarzes Fell war vom Blut verklebt, welches unaufhörlich aus dem Körper des Unglücklichen quoll. Er schrie und schrie, doch als einer der Hunde mit seiner Schnauze tiefer in seine Brust vordrang und ein Organ zerbiss, drang nur noch ein ersticktes Krächzen aus seiner Kehle. Immer größere Fleischbrocken verschwanden im gierigen Schlund der Hunde.

Sie bissen und rissen und schlürften und schluckten und kauten und fraßen ihn mit Haut und Haaren auf.

Schließlich strichen sie mit gefüllten Bäuchen davon, sich die Lefzen leckend. Sie hinterließen eine unförmige, rote Masse aus Knochen und Fleischresten und zerfetzter Haut, über die nun die anderen Tiere herfielen.

Die Katzen leckten gierig den roten Lebenssaft, der sich bereits auf dem kalten Betonboden ausgebreitet hatte, die Schweine stürzten sich auf die Reste des zerrissenen Körpers und begannen genüsslich darauf herumzukauen, ihr Schmatzen hallte durch den Raum. Der Marderhund wetteiferte mit den Hühnern um einen Unterschenkelknochen, an dem noch Sehnen und Fleischstückchen hingen.

Nach sechs Minuten und achtundvierzig Sekunden war von meinem ehemaligen Auftraggeber nichts mehr übrig. Nicht einmal das Skelett verschmähten die ausgehungerten Tiere. Das Einzige, was von seiner einstigen Existenz zeugte, war ein großer, roter Fleck am Boden.

Nachdem das Festmahl vorbei war, gingen die Tiere aufeinander los. Ich stand über ihnen und beobachtete das Schauspiel. War das wirklich nötig gewesen? War dies wirklich der einzige Weg, um sich heutzutage Gehör zu verschaffen? Vermutlich.

Ruhig baute ich die Kamera ab und zog das Bildmaterial auf den PC, während unter mir die Hölle losbrach. Ich stellte das Video, unter dem Namen meines Kunden versteht sich, auf verschiedene soziale Netzwerke, unter anderem auch auf YouTube. Ich wusste zwar, dass ein solches Video innerhalb von 24 Stunden gelöscht sein würde, aber wie heißt es so schön: Das Internet vergisst nie. Außerdem war das der ernste und ausdrückliche Wunsch meines Kunden gewesen. Er wollte die Leute schocken, um sie zum Tierschutz zu bewegen.

Eine Schlussfolgerung, die für mich jeglicher menschlicher Intelligenz spottet.

Zum dem Zeitpunkt konnte ich noch nicht ahnen, welche schwerwiegenden Probleme dieses Video später für mich herbeiführen würde. Aber dazu ein anderes Mal mehr…

Nachdem meine Arbeit getan war, sah ich auf meine Uhr. Kurz nach Mitternacht, vielleicht würde ich doch noch meinen Zug erwischen. Und diesmal war sogar mein Hemd sauber geblieben. Eine erfreuliche Tatsache. Aber was sollte ich nun mit den Tieren anfangen…?

Ich stand zwischen den Bäumen und beobachtete aus weiter Ferne mein Werk. Ein glühender, roter Punkt in der Finsternis. Er krümmte und dehnte sich, wuchs heran und verschwand für eine einzelne Sekunde, ehe er wieder leuchtend hell erschien. Dicke, schwarze Schwaden zogen vor den Mond, der Wind entfachte den Punkt erneut und trieb heiße Funken in meine Richtung. Ich schaute auf meine Uhr. Nicht mehr lange, dann sollten die Flammen vom Stall aus auf die Scheune übergreifen. Die Mehlstaubkonzentration in der Luft sollte nun ihren optimalen Punkt erreicht haben.

Es war ein echter Glücksfall, dass ich eine derartige Menge an Mehlsäcken in der alten Scheune aufgefunden hatte. Backen ist für viele ein durchaus erfreuliches Hobby, doch erstaunlicherweise weiß nur ein kleiner Bruchteil der Menschen, mit welchen Gefahrgütern sie da arbeiten. Nicht nur Mehl. Auch Zucker oder sogar Kakaopulver und Kaffee.

Der rote Punkt breitete sich aus, er wuchs und wandelte seine einst unscheinbar wirkende Gestalt zu einer Blüte, einer Rose, mit der strahlenden Schönheit der Sonne. Sie öffnete ihre Blüten, vertrieb die Dunkelheit und schob Asche und Flammen vor sich her. Die Dunkelheit der Nacht wurde von einem tiefen Grollen zerrissen. Die Bäume, bei denen ich stand, neigten ihre Häupter vor Ehrfurcht im heißen Wind, im Dorf barsten Fensterscheiben, Autos heulten sirenenhaft. Doch dann, so schnell sie gekommen war, fiel die Rose in sich zusammen. Dies war der Augenblick, in dem ich mich zurückzog…

Sieh mich nicht so an, lieber Leser. Du weißt genauso gut wie ich, dass es keine andere Wahl gegeben hätte. Tiere wie diese würden in unserer modernen Welt unweigerlich ihr Ende finden. Hätte ich sie freigelassen, würden sie vermutlich weitere Menschen anfallen, bis ein von der Gemeinde und Politik bestellter Jäger sie erlegt hätte. Sogenannte Tierschutzvereine wären auch keine Lösung. Unzähmbare Tiere, die bereits ein Menschenleben auf dem Gewissen haben, werden ohne Kompromisse eingeschläfert. Und sie ihr Leben lang in diesem Stall eingesperrt zu lassen, bis sie jämmerlich verhungern, ist ebenfalls nicht gut. Nein. Da finde ich es jedenfalls “humaner”, sie gleich unschädlich zu machen. Das erspart den Tieren weitere Qualen und Strapazen und der Gemeinde wertvolle Gelder.

Klingt sehr hochmütig, nicht wahr? Es heißt, der Mensch soll sich nicht selbst zum Gott erklären und über andere Leben richten, doch so sind wir nun mal. Das liegt in der Natur des Menschen, dem grausamsten Lebewesen auf Erden.
Und weißt du was, lieber Leser?

Es macht verdammt viel Spaß, Gott zu spielen…

Autor:

Bewertung: 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Überprüfen Sie auch
Schließen
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"