Bizarro FictionKreaturenLangeSchockierendes Ende

Brillengläser

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Fast jeder mit einer Sehschwäche kennt das. Über Jahre
hinweg immer die Brille zur Hand, auf der Nase oder morgens die Kontaktlinsen
einsetzen. Zwischendurch die müden Augen reiben und sich an die Schärfe soweit
gewöhnen, dass man keinen Gedanken an
eine neue Brille oder daran, die Augen mal prüfen zu lassen, verschwendet, wenn sich
gefühlt nichts ändert. Auch wenn die neuste Mode mich niemals groß im Griff
hatte, wurde es nach beinahe zehn Jahren doch mal Zeit für eine neue Brille und
eine Überprüfung der Sehschärfe. Meine letzte Brille habe ich mit fünfzehn
bekommen. Fast randlos, eckige Gläser, relativ geringe Stärke. Habe das Ding
immer ungern getragen und mich auf Kontaktlinsen am Tag eingestellt und nachts
mit der Brille arrangiert. Jetzt habe ich einen besseren  Job und ich trage ungern die Linsen, wenn ich
abends noch lange im Büro sitze. Sie kratzen dann meist und das Auge ist unter
dieser dünnen Plastikschicht nicht gut mit Luft versorgt. Wenn ich stundenlang
vor dem Computerbildschirm sitze, ist das meist sehr hinderlich. Also
stand irgendwann doch ein Termin beim Optiker an.

„Bitte schauen Sie direkt auf den Heißluftballon in der
Mitte, Sie dürfen auch blinzeln.“ Quietschte die Frau in dem geblümten
Sommerkleid und dem Namensschild, auf dem „Frau Hansen, Optikerin“ gedruckt war,
vergnügt. „Sehr gut, Herr Andresen, nun wird es ein wenig hell und die Sicht
verschwimmt vielleicht ein wenig. Ahhh, sehr gut. Danke. Wir haben die Daten.“
Ich rieb mir die Augen. Ein wenig hell war stark untertrieben. Ich konnte fast
nichts sehen. Es dauerte eine Weile, bis ich den brünetten Haarschopf auf dem
korpulenten Körper der Frau wieder deutlich sehen konnte. Meine alte
Brille aufgesetzt folgte ich dann der Optikerin in einen separierten Bereich
des Raumes zur Gläserbesprechung. „Sehr schön wir haben Ihre neuen Stärken
ermittelt und leider haben Sie, wie die meisten, eine leichte
Hornhautverkrümmung und die Stärke hat sich leicht, aber merklich
verschlechtert. Gute Nachrichten habe ich aber für Sie: Mit den Gläsern wären
Sie bei einer 125%igen Sehschärfe. Kostet auch nichts extra, aber einige
Details brauchen wir noch, bevor wie die Gläser für Ihr Gestell in Auftrag
geben.“ Ich nickte. Das Gestell, was ich mir ausgesucht hatte, war eine
Nerdbrille. Eigentlich wollte ich das gar nicht, aber sie saß einfach perfekt
und ich dachte immer, solche Modelle würden mir nicht stehen.

Kurzum, ich hatte mich sofort verliebt. Es fühlte sich
leicht, anschmiegsam auf der Nase an. Drückte nirgendwo und ich wirkte mindestens
zwei Studienjahre erfahrener. Der Preis, bei knapp dreihundert Euro, war
eigentlich viel zu hoch für mein Budget. Aber ich hatte bei der letzten echt
gespart. Damals knapp einhundert, die Gläser hatte die Kasse auch noch bezahlt.
Auf diesen Punkt würde die Frau gleich auch zu sprechen kommen und kaum war der
Gedanke zu Ende gedacht, setzte sie auch schon an: „Jetzt bleiben nur noch die
Zusatzleistungen der Gläser zu besprechen. Gehärtet und entspiegelt?“ „Was
kostet der Spaß?“, erwidere ich ein wenig keck. „Nun, beides zusammen liegt bei
hundertdreißig Euro, extra dünne Gläser kosten zwanzig Euro mehr.“
„Hunderfünzig, also. Plus die dreihundert für das Gestell. Nichts für ungut,
aber vierhundertfünfzig Euro. Das ist eine Menge Geld.“ Sie lächelte breiter
und nickte. „Ich verstehe Sie, Herr Andresen. Aber Sie haben Glück. Es gibt
einen Bonus, wenn sie sich für eine neue Verbesserung der Gläser entscheiden.
Das wird vom Produzenten finanziell unterstützt. Es ist noch relativ neu und
noch nicht üblich auf dem Markt. Das Ganze ist ein wenig experimentell, aber ich
denke, Sie sind der Richtige, dem ich das anbieten kann.“ Ich runzelte die
Stirn. Ein weiterer Verkaufstrick? Aber neugierig machte mich das schon. Mal
abgesehen davon, dass ich vermutlich Geld sparen würde, hatte ich dann mal etwas, das
andere nicht haben. Ein bisschen hipstermäßig, aber hey, hatte ich mir nicht
gerade eine solche Brille ausgesucht? „Wie viel spare ich und was ist das für
eine Verbesserung?“, sagte ich dann und ließ meine Neugierde ein bisschen in der
Stimme mitschwanken. „Der Hersteller bietet an, fünfzig Prozent vom Gesamtpreis
zu übernehmen. Für Sie kostet die Brille dann nur noch Zweihundertzwanzig Euro
und Sie erhalten den neuen Lichtfilter in das Glas eingearbeitet.“, sagte sie mit
unüberhörbarem Stolz. Das schien wirklich etwas Besonderes zu sein und sie
schien regelrecht drauf gewartet zu haben, jemandem dieses Angebot machen zu
können. Das machte mich jetzt ein wenig unsicher und ich hakte nach, beschloss
sie direkt auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. „Sie scheinen auf diese
Gelegenheit gewartet zu haben. Warum bieten Sie gerade mir dieses Angebot an?
Was ist so besonders an diesem neuen Lichtfilter?“ Ich dachte ihr lächeln
konnte nicht breiter werden, aber jetzt strahlten ihre gebleichten Zähne mit
solcher Intensität, dass ich beinahe geblendet wurde. „Nun, der Lichtfilter hat
in den Labortests gelegentlich zu Übelkeit bei älteren Menschen und Kindern
geführt. Um einen Nutzen daraus zu ziehen müssen, die Träger mindestens
einundzwanzig, körperlich gesund und nicht über vierzig sein. Es funktioniert
ein bisschen wie ein polarisiertes Brillenglas, allerdings ´filtert´ es nicht
direkt das Licht, sondern verstärkt bestimmte Wellenlängen und macht, in
geringem Maße UV und Infrarotlicht sichtbar. Das Ergebnis ist unglaublich.
Leider habe ich nur Simulationen gesehen, wie das Sehgefühl dann ist. Die
vierzig habe ich ja, leider Gottes, schon vor einiger Zeit überschritten.“ Sie
lächelt, diesmal sichtlich gequält, bevor sie fortfährt: „Sonst hätte ich zu
gerne diesen Filter bekommen. Die Farbwahrnehmung ist so viel intensiver,
Tiefenschärfe in nie gekanntem Maße! Überwältigend!  Ich kann Ihnen nur raten, das Angebot
anzunehmen. Ihre Augen werden eine Weile brauchen, um sich daran zu gewöhnen und
mit der Zeit werden Sie immer besser und mehr sehen können. Sobald sich Ihre
Augen auf die neuen Eindrücke eingestellt haben. Die einzige Bedingung ist, dass
Sie regelmäßig, also alle paar Monate mal, zum Testen vorbei kommen und Ihre
Eindrücke von uns aufnehmen lassen. Das ist natürlich kostenlos und es
besteht eine Versicherung, sollte Ihre Brille beschädigt werden, wird sie Ihnen
ersetzt. Was sagen Sie?“

„Unglaublich!“, rief ich aus. Die Brille auf der Nase
angeschmiegt, als hätte sie nur darauf gewartet, auf ihr liegen zu können, sah
ich mich in der Optikerfiliale um. Die Sehschärfe war überragend. Ich konnte
die Kennzeichen der Autos aus fast hundertfünfzig Metern Entfernung ohne
Probleme lesen. Die Farben Rot und Blau waren so intensiv, ich hätte es niemals
für möglich gehalten, so viele Farbnuancen auf einem einfarbigen Vorhang sehen
zu können. Jede Unregelmäßigkeit, jede noch so winzige Falte und Farbabweichung
war überdeutlich hervorgehoben. Als würde ein imaginärer Pfeil, mich auf all
diese Dinge hinweisen die ich vorher niemals auch nur bemerkt hatte. Ich sah
der Optikerin ins Gesicht. Verflucht. Eigentlich war sie sehr dezent geschminkt
doch jetzt sah ich jedes einzelne Pigment, das nicht natürlich war, auf ihrer
Haut. Unwillkürlich erschrak ich ein wenig. Einfach unglaublich. Nahm die
Brille ab und reichte sie der Frau. Diesmal in einem Rosé farbenen Rock und
weißer Bluse. Ohne die neue Brille sah ich die kleinen Unregelmäßigkeiten des
Stoffs nicht mehr. „Ich zahle in bar.“, sagte ich, worauf ein „Wunderbar!“ der
Optikerin folgte. Mir war ein wenig mulmig. Die Eindrücke waren doch sehr
heftig. „Fahren sie in den ersten beiden Tagen besser nicht mit dem Auto, bis
Ihre Augen sich gewöhnt haben. Hier, das ist die Broschüre zu den Gläsern.
Sorgfältig lesen und rufen Sie die Hotline an, wenn sie etwas bemerken oder
unzufrieden sind.“ Sie steckte die Brille in ein edles Holzetui und übergab mir eine teuer aussehende
Tragetasche, während sie mir dankte, das Geld in die Kasse sortierte und mich
an den ersten Termin im Oktober zur Nachbesprechung erinnerte. Ich verließ den
Laden und fuhr nach Hause.

Einkaufen war eine Wucht. Mir sind vorher nie diese
Schummeleien an den Lebensmitteln aufgefallen. Das erste Mal als ich eine
Tomate in der Hand hatte und durch meine Brille begutachtete, bemerkte ich
einen leichten, fast unmerklichen Schimmer auf Ihr. Sie sind offensichtlich mit
einer Art Flüssigkeit besprüht worden, die das Rot um einige Nuancen
verstärkte. Ich wollte das nicht glauben, aber ich sah es ganz deutlich. Das
waren angeblich Bio-Tomanten und doch wurde hier manipuliert! Viel
erschreckender war, dass ich an der Fleischtheke genau sehen konnte, dass auch das Hack und die meisten der anderen
Fleischsorten behandelt worden waren. Eine bodenlose Frechheit. Zum Test nahm
ich die Brille ab und begutachtete die Auslage aus der Nähe nur mit meinen
Augen. Alles unter einem Meter Entfernung, konnte ich problemlos erkennen aber
ohne Brille sah es echt, unbehandelt und echt gut aus. Ich schüttelte den Kopf.
Verließ den Laden und kaufte von da an sicher nur noch bei dem Hausschlachter
ein. Wenn dieser nicht trickste, versteht sich. Ich schlenderte durch die
Einkaufsstraße der kleinen Norddeutschen Stadt und genoss die Sonne in meinem
Rücken, das Schwatzen der Leute vor den Cafés und die allgemein heitere
Stimmung. Alles sah so wunderbar aus. Ich traf einige Bekannte und Freunde, die
mir ausnahmslos zu meinem Stilwechsel gratulierten und mir Komplimente für
meine Brille und meine Ausstrahlung machten. Einige von Ihnen schienen ein
wenig müde oder wegen irgendetwas fertig zu sein. Ich sah es ihnen an. Wäre mir
sonst nicht aufgefallen, aber viele waren eindeutig ziemlich… alt. Erst Mitte
zwanzig und doch sah ich sie durch die Brille mindestens fünf bis zehn Jahre
älter. Alle hatten zwar stressige Jobs, machten Fitness zum Ausgleich und
ernährten sich gesund. Trotzdem waren sie Irgendwie alt geworden. Ein wenig
missmutig, ob des Gedankens ich würde wahrscheinlich ähnlich aussehen und die
Zeit würde auch vor mir nicht Halt machen, begab ich mich auf den Heimweg. Wie
der Optikerin versichert, nutzte ich den Bus und fuhr nicht mit meinem Auto.
Sicher ist sicher. Aus Gewohnheit, die ich seit den doch sehr unschönen
Schulzeiten die man als Außenseiter verbringt, nicht abgelegt hatte, setzte ich
mich ganz nach hinten in den Bus. Die Sonne schien zu meiner linken, herrlich,
rötlich in die großen, verschmierten Fenster. Ein Herz mit Initialen war an die
Scheibe geschmiert. Genau wie einige derbe Flüche, die von außen
Spiegelverkehrt die Passanten und Autofahrer brüskieren würden, wenn es sie
gekümmert hätte. Öffentlicher Nahverkehr halt. Ich schob eine angebrochene
Chipstüte vom Sitz neben mir und platzierte meinen Rucksack auf ebendiesem. Der
Bus war fast leer, also nahm ich damit niemandem einen Platz weg. Zur Not würde
ich ihn einfach wieder auf meinen Schoß nehmen. Unwahrscheinlich. Hatten
schließlich keine Rushhour. Laut Fahrplan würde ich etwa dreißig Minuten
brauchen. Ich sah die meiste Zeit aus dem Fenster. Genoss die Farben, die
Eindrücke und merkte, wie ich mich immer mehr daran gewöhnte. Geradezu danach
gierte, immer mehr zu sehen. Ich näherte mich den Randbezirken. Einige große
Plattenbauten und ein eher ärmliches Umfeld ließen den Schluss zu, dass ich meine
Haltestelle möglicherweise verpasst hatte. Bis mir einfiel, dass meine Mietwohnung
einige Straßen weiter, sich bei den klassischen Mittelständlern befand. Glück
habe ich gehabt. Ein guter Freund hatte sie mir vermittelt. Sein Vater,
Immobilienmakler, brauchte möglichst schnell einen vertrauenswürdigen Mieter.
Irgendwas mit den neuen Vorschriften wegen der Flüchtlinge und der Eigentümer
wollte keine Immigranten in der Wohnung, auch wenn das eine verminderte Miete
bedeutete. So wollte er das Objekt schnell belegen. Mir war das ganze
Brimborium um das Thema herzlich egal, ich brauchte eine Wohnung und wenn die
auch noch billig und in einer guten Gegend war, hieß das, einen Lottogewinn
gezogen zu haben. Auch wenn der Vermieter ein verfluchter Fremdenfeind war.
Nehmen, was man kriegen kann. An der
Straße, an der der Bus vorbeifuhr, standen in diesem Teil der Stadt entweder
protzige BMWs oder abgewrackte Kleinwagen. Mit meinem eigenen Auto fuhr ich selten diese
Strecke und nahm die Hauptstraße zu meiner Arbeitsstelle. So sparte ich einige
Minuten und vermied somit auch den Teil der Stadt mit dem schlechten Ruf.

Ein Rucken des Busses riss mich aus meiner Trance. Das
Zischen der hydraulischen Tür ließ meinen Blick auf die Zugestiegenen werfen.
Eine offensichtlich gehbehinderte alte Dame übergab dem Busfahrer mit zitternden
Händen eine Menge kleiner Münzen. Dieser schien sichtlich genervt, ließ es
sich nicht anmerken. Ich sah es aber deutlich an den angespannten
Gesichtsmuskeln von hier aus, mit Hilfe meiner Brille. Wieder staunte ich, was ich
alles bemerkte. Die Frau ging, mehr schlecht als recht in Richtung des nächsten
freien Sitzplatzes und verstaute umständlich Ihre Tasche auf dem Sitz neben
sich. Ihr folgte ein junger Mann in meinem Alter, mit Kapuzenpullover. Warum er
bei den Temperaturen so ein Ding trug blieb mir schleierhaft. Ziemlich
abgerissener Typ. Ein Junkie vielleicht. Ich bekam jetzt leichte Kopfschmerzen.
Setzte kurz die Brille ab und rieb mir die Augen. Dem seltsamen Kerl folgte ein
Anzugträger. Soviel konnte ich ohne Brille erkennen. Auf halber Höhe des Busses
setzte dieser sich dann ebenfalls. Die Brille dann wieder auf der Nase, nahm
ich etwas wirklich merkwürdiges wahr. Wie wenn an einem heißen Tag die Sonne
auf dem Asphalt brennt, die Luft drüber flimmert. So sah es rund um den Platz
wo der Anzugträger Platz genommen hatte aus. Wieder leichte Kopfschmerzen, als
ich mich drauf konzentrierte. Aber diesmal sah ich nicht weg. Das Flimmern wurde stärker, ebenso wie die
Schmerzen. Aber ich wollte mehr sehen. Das war doch nicht normal. Es fühlte
sich so an, als würde mein Auge zwischen zwei verschiedenen Bildern hin und her
springen, zuerst sehr schnell, dann immer klarer werdend. Gerade als ich
glaubte, ich könnte endlich etwas erkennen, schmerzte mein Kopf so stark, dass ich
die Brille doch abnahm und mir an den Kopf fasste. Leise stöhnte ich. Gut, dass 
die Geräusche des Busses das übertönte und so niemanden auf mich aufmerksam
machte. Ich ließ die Brille ersteinmal ruhen und wartete, bis meine Station in
etwa fünf Minuten angezeigt wurde. Ich stand kurz davor auf, die Brille in der
Hand und sah Richtung Tür, während ich mich mir der anderen Hand an der Stange
festhielt. Der Bus wurde langsamer. Nach dem Rucken, das verhieß, dass er
gehalten hatte, setzte ich die Brille wieder auf und wartete den kurzen
Augenblick bis die Tür sich öffnen würde. Aus purer Neugierde sah ich den Mann
im Anzug nochmal über die Schulter hinweg an. Ich konnte nicht anders. Schrie: 
„Verdammte Scheiße! Was ist denn mit dir kaputt!?!“ Der Anzugträger war immer
noch von dem Flimmern umgeben, aber ich sah ganz deutlich was dahinter lag.
Eine haarige, schwarze Fratze. Ein Reiszahnbewährtes Maul, von Ohr zu Ohr, wenn
es welche gehabt hätte. Keine Nase nur dieses riesige, offene Maul unter den
vielen, vielen Augen, die zunächst in alle Richtungen zugleich starrten. Aber
dann richteten sich alle auf mich. Das Maul öffnete sich noch weiter. Beinahe
wie ein erstauntes Ächzen grollte es mich an. Ich stolperte, floh geradezu
nach Draußen. Weg von diesem… Was auch immer das war. Den Rest des Weges
rannte ich zu meiner Wohnung. Sah mich immer um. Ich hatte so riesige Panik von
der Kreatur verfolgt zu werden. Sobald ich in der vermeintlichen Sicherheit
meiner vier Wände war, schloss ich alle Fenster, Türen, zog Vorhänge zu und
verkroch mich in der Stube. Der Schock ließ dann langsam nach. Sobald ich nicht
mehr zitterte, goss ich mir einen Kaffee auf und rauchte eine Zigarette nach
der anderen. Eigentlich hatte ich das schon massiv reduziert aber wer kann mir
das nach solch einem Erlebnis verübeln? Ich nahm die Broschüre zu den
Brillengläsern zur Hand. „In Fällen von Kopfschmerzen und leichten
Wahrnehmungsstörungen, legen Sie eine Brillenlose-Zeit von mehreren Stunden
ein. Danach verschwinden die meisten Beschwerden von alleine. Für nähere
Informationen rufen sie die Hotline an. Bei anhaltender Übelkeit, Kopfschmerzen
und anderer Nebenwirkungen, auch nach einer Ruhephase, konsultieren sie bitte einen
Augenarzt.“ Echt toll, dachte ich. Was sollte ich den Mitarbeitern denn da
sagen? „Hallo junge Frau, wissen sie, echt komisch. Bin Busgefahren und durch
Ihre Brille habe ich ein scheißverfluchtes Monster gesehen, das mich fast zu Tode
erschreckt hat!“… Nein, ich brauchte Ruhe. Das musste eine Stressreaktion sein,
oder einfach eine Halluzination. Ich habe mir das so sehr gewünscht und mit
diesem Gedanken fand ich endlich auch Ruhe bis zum nächsten Tag.

Ich musste arbeiten und sollte heute noch auf Autofahren
verzichten. Logisch, dachte ich mir. Wenn ich so eine Scheiße beim Fahren
passiert wäre, hätte man mich auf jeden Fall vom Asphalt kratzen müssen. Die
Alternative war, dass ich wieder in einen Bus steigen musste und das war bei
Weitem nicht so einfach wie sonst. Nackte Panik trifft es wohl, was ich empfand
als ich an der Haltestelle den Bus aus der Entfernung kommen sah. Ich war
versucht, einfach die Brille für die Dauer der Fahrt abzulegen, wollte aber
nicht wie ein Blindfisch dort sitzen und allem ausgeliefert sein was
möglicherweise dort lauerte. Es dauerte nicht lange. Höchstens drei Stationen
weiter und zwei bevor ich aussteigen musste, als eine Frau zustieg. Zunächst
war wieder nur dieses Flimmern um ihren Kopf zu sehen und ich bekam wieder
Kopfschmerzen. Diesmal wusste ich, dass es etwas schreckliches Bedeuten, etwas
verbergen musste und ich senkte den Blick. Nichts anmerken lassen. Einfach ignorieren.
Das Herz schlug mir bis zum Hals. Es war warm und so würde es niemandem
wundern, wenn ich schwitzte. Immer wieder blicke ich kurz auf. In der Hoffnung
diese Frau oder was es war, würde aussteigen bevor ich gleich raus musste. So
müsste ich nicht sehen was sich unter dem Flimmern verbarg. Diese Hoffnung
wurde jäh gebrochen, als sie ihre Sachen raffte und zur Tür ging. An genau der
Haltestelle an der ich auch aussteigen würde. Mit schweißnassen Händen griff
ich immer wieder neu an die Henkel meiner Arbeitstasche. Rückte die Brille
immer wieder ein Stück nach unten, blickte über die Ränder. So sah ich die Frau
nur verschwommen, der dunkelbraune Haarschopf war zu erkennen aber immerhin
kein Flackern, kein Flimmern, keine Monsterfratze. Ich stellte mich zitternd
neben sie. Tat so als wäre alles okay. Dann sah sie mich an. Und jetzt, aus der
Nähe erkannte ich sie. Es war noch viel schlimmer. Meine Arbeitskollegin. Marie.
„Mensch! Niklas, du bist das! Freut mich dich so früh schon zu sehen!“, strahlt
sie. Ich sehe sie konsequent über die Ränder der Brille an, versuche
unauffällig diese langsam abzunehmen und in meine Hemdtasche zu stecken,
während ich ein sehr gezwungenes Lächeln aufsetzte. „Hey Marie, wie waren die
letzten Tage? Viel zu tun?“, versuche ich betont locker zu erwidern. Die Türen
des Busses öffneten und wir stiegen aus. Die Brille schon fast in meiner Tasche
und halbblind, hoffe ich, sie bemerkt nichts von meinen zitternden Händen.
„Nöö, alles ganz entspannt. Fährst doch sonst nie Bus?“, sagt sie, als würde sie
versuchen zu flirten. „Hast du eine neue Brille? Zeig mal!“ Fuck, denke ich.
„Jaaa, ist neu. Bekomme aber ein wenig Kopfschmerzen. Muss mich wohl noch
gewöhnen. Zeige ich später okay?“, sagte ich und versuchte unbemerkt meinen
Schritt zu beschleunigten. „Ganz ruhig,“, lacht sie, „wir haben noch Zeit.
Vielleicht noch einen Kaffee im Pausenraum?“ Jetzt überlegte ich fieberhaft wie
ich da wieder raus kam. „Ähhhm, ich weiß nicht. Hat sich bestimmt eine Menge angestapelt auf meinen Schreibtisch und wollte früher Feierabend machen…“
Selbst ohne Brille sah ich ihren enttäuschten Gesichtsausdruck, der meinen
Worten folgte. Sie schien wirklich Interesse an mir zu haben. Vielleicht
Interesse wie das einer Spinne, die einer Fliege auflauert. Oder vielleicht
doch einfach Menschliches und ich bildete mir das alles nur ein. Sie sah mich
schon eine ganze Weile so an und vielleicht mochte sie mich wirklich. Hatte
aber jetzt erst den Mut geschöpft, mich direkt anzusprechen. Verdammt, ich
wusste wirklich nicht was ich machen sollte. „Du hör mal, bin nicht ganz auf
der Höhe,“ sagte ich ein wenig gequält und es klang echt, war ja auch wahr.
„Vielleicht ist ein Kaffee gar nicht schlecht.“ Ich würde die Brille einfach
nicht aufsetzten. Nicht sehen was hinter dem Flimmern ist. Das konnte ich nicht
mehr, wenn ich an meinem Tisch saß und arbeiten musste, aber so war der Schrecken
vorerst vor mir verborgen. „Au fein, ja dann mal los. Hoffentlich haben die
Frühaufsteher uns was übrig gelassen.“ Scherzte sie, lachte und geht fröhlich
mit mir Richtung Eingang des Bürogebäudes.

Ich schob den Zeitpunkt, zu dem ich die Brille wieder
aufsetzten musste, soweit wie möglich vor mir her. Der Kaffee und das Gespräch
mit Marie waren angenehm, trotz der Umstände und dem Gedanken was ich da
möglicherweise vor mir hatte. Als es Zeit wurde, mit der Arbeit zu beginnen und
an meinem Tisch ging, musste ich aber die Brille aufsetzen. Ich vermied den Blick in
Richtung Maries Schreibtisch, obwohl ich aus dem Augenwinkel ihren in meine
Richtung des Öfteren bemerkte. Stumpf und ohne Pause arbeitete ich den Stapel mit
den Rechnungen und Verwaltungsaufgaben ab und konnte so eine Stunde früher
gehen. Das geschaffte Arbeitspensum war wichtig. Gute, flexible Arbeitszeiten.
Ein weiterer Vorteil gegenüber meines vorigen Jobs, in einem Fachgeschäft für
Computerzubehör, das an feste Öffnungszeiten gebunden gewesen war. Nun konnte
ich kommen und gehen, wann ich wollte, solange die Arbeit erledigt wurde. Ich
setzte die Brille ab, denn ich wusste, ich würde an Marie vorbeigehen müssen,
wenn ich das Gebäude verließ. Im Vorbeigehen schenkte ich ihr ein Lächeln. Mehr
aus einem Impuls heraus, sie hatte mir ja nichts getan und möglicherweise war
das alles ja auch nur eine einmalige Sache und dementsprechend nur eine
Halluzination gewesen. Ich wurde, als ich Richtung Innenstadt unterwegs war,
eines besseren belehrt. Ich konnte ja nicht immer blind herumlaufen. Meine
alte Brille war zuhause verstaut und so hatte ich keine Wahl, als mit der neuen
die Einkäufe der nächsten Tage zu erledigen. Ich würde nur Fertigfutter besorgen, dachte ich. Die Erfahrung mit dem
angeblichen Bio-Gemüse und Fleisch, war mir dann doch noch zu nah.
Instantnudeln waren gesundheitlich nicht unbedingt besser, aber so vermied ich
auf die Mogelpackung reinzufallen und ich zog dann die ehrliche, ungesunde
Küche vor. Ohne Zwischenfälle erledigte ich meine Einkäufe und machte mich
durch eine Seitenstraße, die parallel zur Einkaufmeile verlief, auf in Richtung
des Busbahnhofs, einige hundert Meter die Straße runter. Aus dem Augenwinkel, am
Rand der Brillengläser, sah ich etwas. Beinahe zu schnell um es zu erfassen.
Ein Huschen, wie wenn eine Katze in ein Gebüsch verschwindet und man das nur am
Rande mitbekommt. Nur, war das sehr viel größer als eine Katze gewesen. Groß.
Schwarz, haarig, langestreckt. Ein Hund vielleicht. Ein großer Hund, der sich
lautlos und flink wie eine Katze bewegt. Ich blieb stehen. Warf einen Blick auf
mein Handy. Halb neun. Langsam ging die Sonne unter. Anfang September wird
jeder Tag ein wenig kürzer und so scheinen die rötlichen Sonnenstrahlen in
meinem Rücken das letzte Licht des Tages. Die Bewegung kam aus einer Zufahrt
eines Mehrfamilienhauses. Im Schatten. Ich sah die Mülltonnen und dahinter…
dahinter lauerte etwas. Jetzt sah ich es deutlicher, es lugte ein Stück hinter
den Tonnen hervor. Es musste mir bis zu Brust gehen, wenn ich die Mülltonnen
als Maß nahm. Ich wich zurück. Das „Ding“ kam noch weiter hervor. Es sah, das, 
ich es sah! Ein langgezogener Körper, drahtig, schwarzes Fell, das an vielen
Stellen ausgefallen war und dort wuchsen eitrige Geschwüre. Sie pulsierten! Oh
mein Gott, sie pulsierten! Es öffnete das lange Maul, eine Mischung aus
Krokodil und Hundekopf, Reihen fingerlanger, gelber Zähne und Augen, dutzende
Augen sahen mich an. Fixierten mich als potenzielle Beute. Ich wusste es! Ich
wagte nicht die Brille abzusetzen, ich würde es nicht kommen sehen. Sich gegen
etwas Unsichtbares verteidigen? Wie sollte das gehen? Aber vielleicht konnte es
mich dann auch nicht mehr sehen. Ich wollte das nicht riskieren. Langsam wich
ich immer weiter zurück, dann spurtete ich los! Immer schneller, meine Beine
pumpten wie die eines Sprinters bei den Olympischen Spielen. Scheiße, ich hätte
wahrscheinlich alle überholt! Ich hörte erst auf, als ich beinahe in eine Gruppe
von Menschen an der Bushaltestelle gerannt war. Keuchend, mit schmerzender
Brust und beinahe heulend vor Angst, Schmerz und Verzweiflung sank ich zu
Boden. Einige Leute gucken mich an als wäre ich irre, aber ich wusste es
besser. Da war dieses „Ding“ gewesen. Das war keine verfluchte Halluzination!
Ich hatte auf meiner Flucht einige meiner Einkäufe verloren die ich in einem
Beutel hatte, aber meine Arbeitstasche hatte das Meiste und Wichtigste
beinhaltet. Die Tütennudeln und Suppen. Diese würden mich für die nächsten Tage
versorgen.

Ich kam zuhause an, rief meinen Arbeitgeber an und sagte ich
wäre krank. Sprach das auf den Anrufbeantworter der Personalabteilung. Ich
würde, sobald ich wieder einigermaßen auf den Beinen war, ein Attest vom Arzt
besorgen. Jetzt hatte ich für einige Tage wenigstes meine Ruhe, oder besser
gesagt, die Sicherheit meiner Wohnung. Ich konnte nicht mehr rausgehen. Ich
dachte, ich könnte es. Aber als ich mich beruhigt hatte, wieder eine halbe
Schachtel Zigaretten in Kette geraucht, und ohne nachzudenken in meiner
halbvollen Kaffeetasse ausgelöscht hatte, riskierte ich einen Blick aus dem
Fenster. Ich hatte nichts erwartet, aber gehofft nichts zu sehen. Das tat ich
auch nicht. Zunächst. Stundenlang saß ich dort. Alles dichtgemacht, nur ein
kleiner Spalt durch den ich auf die Straße blicken konnte. Dort! Ein Huschen!
Nur eine Katze. Warte, wirklich nur eine Katze? Ja doch, grau-getigert. Ziemlich fett. Sie setzte sich auf
den Wall eines Hauses, schräg gegenüber. Trotz der Dunkelheit, konnte ich alles
sehr gut erkennen. Die Straßenlaternen hätte ich gar nicht gebraucht. Die
Brille verstärkte anscheinend auch die Nachtsicht, ich sah alles scharf. Konnte
die Nuancen der Dunkelheit sehr gut voneinander unterscheiden. Wäre ich nicht
so verängstigt gewesen, wäre ich begeistert ob der großartigen Möglichkeiten
die das bot. Doch in dieser Situation wünschte ich, nicht zum ersten Mal, ich
hätte einfach nur den höheren Preis für die Brille bezahlt und hätte nichts von
diesen Kreaturen gewusst. Da, die Katze bewegte sich. Ihr Fell steht von Körper
ab. Selbst durch die Scheiben hörte ich ihr lautes Jaulen und Kreischen. Sie floh vor etwas! Hecktisch blicke ich in
die entgegengesetzte Richtung. Hielt Ausschau nach dem, wovor die Katze geflohen
ist. Ein Schatten. Oh mein Gott, dort auf dem Dach vom Haus! Es sah aus wie
eine Spinne, aber mit einem Kopf der
aussah wie die Fangblätter der Venusfliegenfalle. Senkrecht am fetten Rumpf und
sich immer wieder abwechselnd öffnend und schließend. Es schien sich in
Lauerstellung zu begeben und ich sah dann auch, was es sich als Beute ausgesucht
hatte. Wie aus den Schatten heraus, sah ich tentakelartige Glieder, sich
langsam über die Straße vortastend. Eine Kreatur, pferdeähnlich, aber statt der
Hufe diese Tentakel. Es robbte, glitt und schlingerte über den Boden und hinter
ihr tauchten weitere auf! Sie glitten durch die Häuserwände durch, kamen aus
dem Boden, als wäre da keine feste Materie. Das Spinnenmonster auf dem Dach setzte
zum Sprung an. Mit einem gewaltigen Satz ergriff es eine der Tentakelpferde am
Kopf. Kein Geräusch war zu hören. Als wäre die Straße leer. Die Wesen stoben
auseinander, purzelten und glibberten mit ihren wabbeligen Gliedern
übereinander um der räuberischen Kreatur zu entkommen, während es mit ihren
Artgenossen beschäftigt war. Ich sah Gedärme, purpurnes Blut überall. Die Beute
wurde in Fetzten gerissen und gierig von den tellereisern aussehenden Kiefern
verschlungen, nachdem es in mundgerechte Stücke zerteilt war. Die Stille war
unglaublich. Ich sah was passierte, völlig geschockt, angeekelt, mir wurde
schlecht. Ich hörte ein Auto aus der Entfernung, aber dieses Gemetzel war
absolut lautlos. Als würde man einen Horrorfilm mit ausgeschaltetem Ton sehen. Was
sah ich da? War das eine Realität die mir bis jetzt verborgen geblieben war?
Existierten diese Dinge schon immer, parallel zu unserem Sein? Warum gab es,
ich nenne sie mal, Pseudo-Menschen, die normal erscheinen, aber offensichtlich
nicht ganz normal sind. Diese Gedanken rasten durch meinen Kopf und ich wand
mich dem Fenster ab, vor dem immer noch lautlos das Spinnenvieh das
Tentakelpferd auseinander nahm. Wenigstens störten mich keine Geräusche, das
half aber nichts. Ich fand, ob der Grauen die ich gesehen hatte, keinen Schlaf.

Völlig fertig und mit heruntergerutschter Brille stand ich
gegen sieben Uhr aus meinem Bett auf. Ein innerer Zwang hielt mich davon ab, meine alte
Sehhilfe wieder aufzusetzen und endlich wieder ein normales Leben, ohne diese
Kreaturen zu führen. Das hinter mir lassen. Vergessen. Offensichtlich tat ich
das nicht. Wie könnte ich das? Jetzt wo ich das gesehen hatte, immer fürchtete
das etwas unsichtbares um mich oder
durch mich hindurch schlich. Mit Klauen, Fängen, Tentakeln, Reißzähnen und wer
weiß noch was für absurde Glieder. Meine fettigen Haare, völlig durchgeschwitzte
Kleidung und mein Geruch, der zweifelsohne furchtbar sein musste, kümmerte mich
nicht. Beinahe kriechend bewegte ich mich auf das Wohnzimmer zu. Einer inneren
Eingebung folgend wollte ich prüfen, ob über die Nacht sich die Welt normalisiert
hatte. Also warf ich zuerst einen Blick aus dem kleinen Spalt in meinem
Fenster. Ich dachte ich hatte gestern einen Eindruck aus der Hölle gesehen.
Aber als ich meine Augen knapp über die schmale Leiste der Fensterbank gehoben
hatte, war das noch viel, viel schlimmer als ich erwartet hatte. Die Welt wie
ich sie kannte, war überlagert, überwuchert von einer mir bis dato unbekannten
und unbegreiflichen Welt. Autos fuhren, Häuser und Gärten waren immer noch da,
doch es war mehr. Zwischen und über den Häusern, Bäumen, auf der Straße,
wuchsen abartige Pflanzen in den unfassbarsten Formen und Farben. Tiere, die
sich jeglicher Beschreibungsmöglichkeit entzogen wuselten überall, glitten
durch die Passanten. Die meisten Kreaturen beachteten die Menschen nicht, die
dort absolut nichts von alle dem wahrnahmen. Aber hier und da, sah es so aus
als würden einige der Größeren Kreaturen an den Menschen schnüffeln, versuchen
nach Ihnen zu greifen mit albtraumhaften Klauen. Diese glitten meist ohne Schaden
durch sie hindurch, aber dann sah ich wie ein hundeähnliches Tier, ähnlich dem, 
das mich in der Seitengasse so verstört hatte, einen älteren Mann berührte.
Dieser keuchte plötzlich, fasste sich an die Stelle, nah seines Herzens wo die
Kreatur ihn gestreift hatte. Er sackte ein wenig zusammen. Beinahe als hätte er
einen Anfall. Sollte ich ihm helfen? Eigentlich hätte ich das müssen!
Krankenwagen rufen, Polizei. Irgendjemanden! Aber da schien der Alte sich schon
wieder gefangen zu haben und setzte seinen Weg fort. Aber jetzt folgten ihm
dutzende Kreaturen auf Schritt und Tritt. Heulend brach ich zusammen. Was
konnte ich denn jetzt groß machen? Ich wollte nicht mehr sehen was es gibt, aber
ich wollte auch nicht in Ungewissheit leben, wann mich eines dieser Wesen
berührt. Wer weiß, vielleicht warten sie, dass derjenige stirbt und sie
übernehmen den Körper! Jaa, das könnte doch sein! Das ist vielleicht der wahre
Hintergrund von Leuten sie sich plötzlich seltsam verhalten! Die werden
übernommen, besessen.  Ich merkte, wie mir
wieder alles zu viel wurde. Schwindelig, schlecht. Meine Sicht wurde
schlechter. Ich verlor das Bewusstsein. Schlafmangel und die wahre Natur der
Dinge zu sehen, zu wissen, ist keine leichte Bürde.

Ich erwachte durch das Türklingeln. Sehr energisch, sehr
lange wurde der Klingelknopf immer wieder gedrückt. Als würde man versuchen
einen Toten zu wecken. Nicht weit von der Realität, dachte ich. Keuchend
rappelte ich mich auf. Meine Schulter tat weh. Musste darauf gelandet sein, als
ich Ohnmächtig wurde und mein Nacken schmerzte von der unnatürlichen Haltung in
der ich zusammengesunken war. Dementsprechend rieb ich mir den einige Male und
rücke die verfluchte Brille gerade. „Wer ist da?“, rief ich heiser und mit
brechender Stimme. „Marie“, ertönte es gedämpft von der anderen Seite der
massiven, hölzernen Eingangstür. „Scheiße!“, dachte ich. Jetzt stand auch noch
eines dieser Dinger vor meiner Tür. „Was willst du?“ Meine Stimme, war jetzt
fester. Ich würde dieses Wesen nicht einlassen. „Du bist nicht zur Arbeit
gekommen, die Abteilungsleitung sagte du wärst krank. Wollte nach dir sehen.“
Es klang ehrlich besorgt. Was für ein Spiel spielte sie? „Ja, bin ich. Bleib
lieber draußen. Nicht, dass du dich ansteckst.“ Das war plausibel. Gut gemacht.
Doch dann antworte sie: „Komm schon. Ich will nur helfen, bitte!“ Warum war sie
so hartnäckig? Wusste sie, dass ich wusste, dass sie nicht menschlich war?
Würde sie mich holen kommen? Fuck. Ich zog mich zurück. Blieb ihr eine Antwort
schuldig. Ich würde sie gleich, wenn sie ging von außen beobachten und wissen
was sich hinter ihrem Hübschen Gesicht verbarg. Sie blieb noch eine ganze
Weile. Dann gab sie wohl doch auf und wandte sich zum Gehen. Als letztes sagte
sie noch traurig: „Ich will dir nur helfen.“ Dann hörte ich ihre Schritte sich
von der Tür entfernen. Ich eilte ins Badezimmer, von dem Fenster aus war der Eingangsbereich zu erkennen. Ich
sah wieder diese pflanzenartigen Strukturen überall wuchern, kleine Schwarze
Wesen auf dem Boden wuseln. Gut, das ich keinen Schritt nach draußen getan
habe. Aber diese Kreaturen mieden Marie. Sie flohen regelrecht. Ich sah nur
ihren Rücken, aber da wo ihr Kopf war… ein strahlendes weißes reines Licht! So
hell, so wunderschön, dieses Licht vertrieb alles aus meinem Kopf. Was waren
diese Monster schon im Vergleich zu dieser Perfektion! Wo Schatten ist, gibt es
auch Licht. Diese Frau war Licht. Das einzige was ich jemals noch erblicken
wollte. All die Schrecken, all das Grauen, alle Monster waren es wert, einen
Blick auf dieses Licht zu erhaschen. Es strahlte pures Glück, absoluten
Frieden, vollendete Sehnsucht aus. In eine Welt der Dämonen, hatte ich einen
Engel gesehen. Und jetzt, jetzt wusste ich. Ich war verloren. Ich konnte dort
nicht rausgehen, Marie folgen. Die Kreaturen hatten meine Fähigkeit zu sehen
bemerkt. Steuerten auf mein Haus zu. Anders als bei den anderen Häuser, schien
es als konnten sie meins nicht betreten. Als würde es geschützt werden. Aber
ich wusste, sobald ich vor die Tür trat werden sie über mich herfallen. Ich
schickte meine einzige Hoffnung weg und die Gewissheit, sie würde mir keine
zweite Chance geben entlud sich in einem verzweifelten Schrei. Ich Schreie
immer noch. All meine Wut, meine Trauer, mein Versagen heraus. Warum hatte ich
sie nicht angesehen? Warum hatte ich ihr keine Chance gegeben? Ich verhungere
hier. Ich kann nicht mehr nach draußen sehen. Die Kreaturen haben jedes
Fenster, jeden Spalt überwuchert. Ich kann niemandem etwas erzählen. Die Helfer
würden mich einweisen, rauszerren, versuchen mich in eine Anstalt zu sperren
aber sobald ich diese Tür öffne, bin ich tot. Also werde ich warten.
Verzweifelt warten. Auf einen Engel der doch noch Erbarmen mit mir hat.

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