
Spieglein, Spieglein
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Als ich Großmutters Haus so vor mir sah, lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. Dieser wurde jedoch weniger durch die unheimliche Atmosphäre hervorgerufen, welche das Gebäude ausstrahlte, sondern mehr noch durch den erbärmlichen Zustand in welchem es sich befand.
Als ich vor einer Woche erfuhr, dass meine Großmutter verstorben sei und mir ihr Haus vermachte, war die Vorstellung ein eigenes Haus zu besitzen schon recht reizvoll, zumal Großmutter stets einen überaus luxuriösen Lebensstil besaß, was hinwieder die Hoffnung in mir aufkommen ließ, einen überaus prächtigen Wohnsitz vorzufinden.
Ich schämte mich, dass ich meine Enttäuschung so schlecht zu verbergen vermochte, doch ich konnte mich einfach noch nicht mit dem Gedanken abfinden, dass meine von Reichtum geprägte Großmutter ihr Dasein in solch einer Bruchbude fristete. Selbst das preiswerteste Altenheim hätte bessere Qualitäten aufweisen können, als es dieses Gebäude tat.
Ich sah mich hilfesuchend nach Rosie um. Sie war die Person, welche mir vom Ableben meiner Großmutter berichtet hatte. Zudem war Rosie über 30 Jahre lang als Dienstmädchen für sie tätig gewesen. Sie war eine überaus freundliche und lebensfrohe Person und der Tod meiner Großmutter hatte ihr offenbar schwer zu schaffen gemacht. Sie schien meine Enttäuschung wohl bemerkt zu haben. Um ehrlich zu sein hätte sie wohl auch blind sein müssen, um es nicht von meinem Gesicht ablesen zu können.
Es ist gewöhnungsbedürftig, aber ich versichere ihnen, dass das Haus nach einer raschen Renovierung schnell wieder in seinem alten Glanz erstrahlen wird.
Ich war etwas verunsichert dies betreffend. Schließlich war ich nicht so wohlhabend wie es meine Großmutter zu Lebzeiten war und eine Renovierung konnte ich mir eigentlich nicht leisten. Zunächst beschloss ich allerdings mir das Vermächtnis meiner Großmutter von innen anzusehen. Vielleicht war es dort ja durchaus ansehnlicher als von außen.
Meine Befürchtung, dass es im Inneren ebenso scheußlich aussah wie vom Äußeren her, bewahrheitete sich ungefähr 30 Sekunden später, als ich die Eingangshalle betrat. Der Putz bröckelte von den Wänden, überall lag Staub und die Möbel waren geradezu eingehüllt in all die Spinnenweben, die sich wie ein Teppich durch das gesamte Haus auszubreiten schienen.
Ich wandte mich zu Rosie um, welche mir nur ein zögerndes Lächeln entgegenbrachte und leicht mit den Schultern zuckte. Mein Begeisterung hielt sich beim ersten Anblick bereits stark in Grenzen, doch nun war sie vollends der Enttäuschung gewichen. Ich war schon beinahe sauer auf meine Großmutter, dass sie mir solch eine Last aufgebunden hatte. Meine einzige Hoffnung war, dass sich in dem Haus noch irgendwelche Möbel und Gegenstände befanden, die für mich von Wert sein konnten.
Als ich die Räume und Flure bei der Suche nach Wertsachen durchforstete, fielen mir all die Spiegel auf, welche an den Wänden hingen und auf den Schränken standen. Mir war zwar bewusst, dass man Spiegel mit Tüchern verdeckte, wenn sie voraussichtlich in der nächsten Zeit nicht mehr gereinigt werden würden, doch die Spiegel, welche hier herumstanden, waren nicht einfach verdeckt… sondern in die Laken, welche um sie herumgewickelt waren, eingenäht.
Ja, ja, die gute Emma und ihre Spiegel. Was war sie doch eitel. Immer wenn sie ausging, stand sie erst fünf Minuten vor jedem einzelnen Spiegel in diesem Haus, um wieder und wieder sicher zu gehen, dass sie sich auch perfekt in Schale geworfen hatte und es ist ihr auch stets geglückt, allen anderen Damen im Raum die Show zu stehlen. Zu schade, dass ihr ihre Eitelkeit letztendlich zum Verhängnis wurde.
Was meinen sie?
Rosie sah mich mit großen Augen an und wurde plötzlich ganz blass um die Nase.
Hat man es ihnen denn nicht erzählt?
Was erzählt?
Die gute Emma hatte sich in den letzten Tagen sehr, nunja… verändert wissen sie?
Ich verstehe nicht recht. Was meinen sie mit ‚verändert‘?
Naja, ich entdeckte sie eines Morgens dabei, wie sie vor dem großen Spiegel in ihrer Eingangshalle stand und wie versteinert in diesen hineinstarrte. Sie sah sie ja öfters im Spiegel an, aber diesmal war da etwas in ihren Augen. Dieser Ausdruck, das war keine Eitelkeit, welche sie dazu brachte in den Spiegel zu sehen. Stattdessen wirkte es mehr wie… Angst. Auf dem Gesicht ihrer Großmutter hatte sich die pure Angst breit gemacht und in den nächsten Tagen wurde sie immer paranoider und ängstlicher. Mit jedem Tag wurde sie blasser und blasser um die Nase und sie hatte schon bald tiefblaue Augenringe und einen beängstigenden, glasigen Blick.
Eines Nachts, es war die Nacht ihres Todes, erwachte ich durch ein seltsames Geräusch. Es klang wie ein weinerliches Klagen. Als ich in Emmas Zimmer trat, lag sie nicht in ihrem Bett. Stattdessen fand ich sie unten im Keller, wo sie sämtliche Dinge von früher aufbewahrte. Sie hatte sich seit Jahren nicht mehr dort unten aufgehalten und als ich hinunter kam, um sie zu fragen, was in Gottes Namen sie dort tat, rannte sie mir plötzlich aus der Dunkelheit entgegen und blieb zitternd vor mir stehen. Ihr Blick war glasiger als sonst und ihre Haut war leichenblass. Für ungefähr fünf Sekunden starrte sie mich an. Dann hauchte sie mir kaum verständlich ein paar Worte ins Ohr. Sie sagte, dass ihr Spiegelbild ihr nicht gehorchen würde. Dann rannte sie weiter die Treppe hinauf und als ich ihr folgte sah ich, wie sie sämtliche Spiegel in Laken zu wickeln begann und diese dann zunähte.
Ich habe sie noch nie zuvor so gesehen. Als ich sie letztendlich dazu bewegen konnte, sich ins Krankenhaus zu begeben, war sie mit den Nerven schon vollkommen am Ende. Sie bewegte sich kaum noch und auf dem Weg ins Hospital war sie wie eingefroren. In dem Moment als wir sie jedoch in eines der Zimmer brachten, begann sie plötzlich wild zu schreien und zu toben. Sie forderte lautstark, dass man den Spiegel aus dem Zimmer entfernen solle, was die Ärzte dann auch tun wollten. In dem Augenblick, als eine der Schwestern den Spiegel abhängte, rief Emma, dass ‚es‘ aufgehört hatte runter zu zählen. Kaum hatte sie ihren Satz beendet, setzte ihr Herz aus und sie starb. Die Ärzte sagten mir kurz darauf, dass sie aufgrund hohen Stresses einen Herzinfarkt erlitten hatte. Als Auslöser des Stresses gaben sie später eine starke Paranoia und Angstzustände an. Aber das war keine einfache Paranoia. Deine Großmutter hatte etwas in den Spiegeln gesehen. Etwas, das sie letztendlich in den Wahnsinn getrieben hatte und sie niemals wieder gehen lassen wollte.
Wie gebannt hatte ich der seltsamen Geschichte von Rosie gelauscht. War es womöglich nur eine altersbedingte Schizophrenie, welche meiner Großmutter letztendlich den Tod brachte oder war es tatsächlich ein ungewöhnliches Phänomen, welches sie heimgesucht hatte? Langsam setzte ich meinen Weg durch das Haus fort. Vorbei an all den zugenähten Spiegeln, welche nun umso merkwürdiger und unheimlicher auf mich wirkten.
Als ich meinen Blick wieder nach vorne richtete, erblickte ich die alte, morsche Tür, welche sich am Ende des Ganges befand. Ich kannte dieses Haus nicht und hatte keine Ahnung wohin die Tür führte, doch ich war mir sicher, dass sich hinter ihr jenes Kellergewölbe befand, aus welcher meine Großmutter in ihrer Todesnacht, panisch vor Angst geflüchtet war. Als ich die Tür öffnete, bewahrheitete sich diese Vermutung und ich blickte eine lange Treppe hinab, welche tief in die Dunkelheit führte.
Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen und begab mich Stufe für Stufe weiter in den finsteren Keller hinein. Einen Lichtschalter hatte ich nicht gesehen, doch dafür erwartete mich am Ende der Treppe eine kleine Laterne, mit einer daneben liegenden Schachtel Streichhölzer. Nachdem ich den Docht der Kerze, welche sich in der Laterne befand, angezündet hatte, setzte ich meinen Weg durch den Keller fort. Um mich herum lagen alte Bilder und verstaubte Vasen. Auch einige Bücher waren zu sehen und zudem noch ein paar Besen, Lappen und rostige Eimer.
Dann stand ich plötzlich vor ihm. Das Licht meiner Lampe wurde von dem großen Spiegel, welcher gegenüber von mir an der Wand lehnte, reflektiert und ließ den Anschein erwecken, als würde er mich ebenfalls begutachten wollen. Ich sah am Spiegel hinunter und entdeckte am Boden einen kleinen Zettel. Als ich ihn aufhob, erblickte ich aus dem Augenwinkel etwas ungewöhnliches. Ich befand mich noch in der Hocke, als ich wieder in den Spiegel sah. Das Gefühl, welches meinen Körper schlagartig durchströmte, ließ sich nicht mit Worten erklären. Was sich mir in diesem Augenblick bot, war jenes Grauen, welches auch meine Großmutter heimgesucht haben musste.
Mein Spiegelbild stand einfach nur da… aufrecht! Vor Entsetzen ließ ich den Zettel wieder fallen und taumelte zurück, doch mein Spiegelbild blieb seelenruhig an jener Stelle stehen, an welcher es sich schon vorher befand. Ein breites Grinsen hatte sich auf seinem Gesicht abgezeichnet und seine Augen waren weit aufgerissen. Mein Blick fiel wieder auf den Zettel, welcher vor dem Spiegel gelegen hatte. Der Text wurde mit zittrigen Händen verfasst, das erkannte ich sofort. Es hört nicht auf zu grinsen!
Mein Blick richtete sich wieder starr auf mein Spiegelbild, welches mich mit seinem starren und glasigen Blick musterte. Es neigte den Kopf und blinzelte zweimal, bevor es folgende Worte sprach.
5 Tage, 20 Stunden, 35 Minuten, 47 Sekunden
Meine Augen weiteten sich. In diesem Moment erinnerte ich mich an die letzten Worte meiner Großmutter. ‚Es hat aufgehört runter zu zählen.‘ hatte sie gesagt und während ich vor Angst wie gelähmt war hörte ich weiterhin diese unheimliche, hauchende Stimme.
5 Tage, 20 Stunden, 35 Minuten, 46 Sekunden… 45 Sekunden… 44 Sekunden
Ich hielt mir die Ohren zu und wandte mich um, als ich urplötzlich Rosie ins Gesicht blickte. Auch in ihren Augen hatte sich die pure Angst breit gemacht. Eine einzelne Träne der Angst kullerte über ihre Wange. Sie versuchte zu sprechen, doch ich konnte sie kaum verstehen. Alles was ihr entwich war ein leises, weinerliches Wimmern. Langsam kam sie näher an mein Ohr heran und krallte sich in meine Schulter. Ihr Herz raste und ihr Atem wurde immer schneller, während sie mir leises ins Ohr flüsterte.
5, 4, 3, 2, 1 …