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Der Toilettenklopfer – gefangen im Klo

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Nur noch ein kleines Stück. Gleich müsste es durch sein. Auch wenn es wie die Hölle an meinen Handgelenken brennt und alles aufgescheuert ist, sind die Muskeln meiner Unterarme bis zum Zerreißen angespannt. Atmen. Ich muss mich auf meine Atmung konzentrieren. Doch das stellt sich als schwieriger heraus, als ich es mir eingestehen möchte. Ich beiße fest die Zähne zusammen. Es geht nicht anders.

Der Schmerz ist ein pulsierendes Glühen, ein sadistischer kleiner Teufel, der mit glühenden Pfeilen über meine Haut kratzt, diabolisch grinsend. Seine Krallen bohren sich in mein Fleisch. Der Schmerz kommt in Wellen, wie der Holzbalken eines Stegs, an den ich gebunden bin, und der immer wieder von einem See aus Blut umschlossen wird.

Wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Ich stelle fest, dass ich die erste Hand befreien konnte. Dann löst sich auch die andere wie von selbst, während die Kabelbinder zu Boden fallen. Ich betrachte meine Hände. Blut läuft in dünnen Fäden an ihnen herunter – oder besser gesagt, von den Handgelenken, wo sie zusammengebunden waren. Ich weiß nicht, wer dafür verantwortlich ist.

Ich wage nicht, mir auszumalen, in was ich hier hineingeraten bin. Es kann sich nur um eine Verwechslung handeln. Was sonst? Was verspricht man sich von einem 52-jährigen Gemüsehändler? Ich verdiene gerade genug, um über die Runden zu kommen, und war noch nie in kriminelle Machenschaften verwickelt.

Langsam lässt der Schmerz nach. Das Blut wische ich hastig an meiner Hose ab. Mit freiem Zugriff auf meine Hände reiße ich das Paketband von meinem Mund und löse auch die Fesseln an meinen Fußgelenken. Sie hatten mich zuvor auf die Toilette gefesselt – mehr nachlässig als professionell. Nicht, dass mir das jetzt viel helfen würde, denn die Kabinentür ist fest verschlossen. Egal, wie sehr ich dagegen schlage oder schreie, sie bewegt sich keinen Millimeter.

Kacke noch eins! Gottverdammt! Ich muss mich beruhigen!

Die Kabine ist eng, vielleicht 1,5 mal 1 Meter groß. Die Wände reichen bis zum Boden, sodass ich nicht einmal auf dem Boden hindurchkriechen kann, um zur Nachbartoilette zu gelangen. Es scheint fast so, als hätten die Entführer die Tür von außen zubetoniert oder sie mit Steinen in der Größenordnung von Stonehenge verbarrikadiert.

Etwas Luft kommt durch einen etwa fingerbreiten Belüftungsschacht. Ich knie mich hin, presse mein Auge dagegen und versuche, etwas zu erkennen – nichts.

Nach fünf Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlen, brüte ich fieberhaft über die Frage, wer hinter all dem stecken könnte. Mir fällt niemand ein, der mir so etwas antun würde. Ich rüttele wie ein Wahnsinniger an der Türklinke, bis mir der Schweiß in die Augen läuft und das Brennen nur durch mehrfaches Blinzeln nachlässt.

Das Rütteln bringt nichts. Deshalb lehne ich mich mit dem Rücken gegen die Klobrille und trete mit beiden Füßen gegen die Tür. Immer wieder. Reine Zeitverschwendung – die Tür gibt keinen Millimeter nach, so wenig wie ein Hochsicherheitstresor unter einem Vorschlaghammer. Das Einzige, was ich erreiche, ist eine schweißnasse Stirn und ein pochender Puls. Meine Kraft lässt nach.

Ich bin wohl längst nicht mehr so fit wie früher, als ich meinem Vater auf unserem Bauernhof geholfen habe. Damals half ich dabei, das Land umzugraben, Äcker zu düngen, zu bewässern und störrische Ochsen an noch störrischeren Pflügen zu führen. Eine harte, aber schöne Kindheitserinnerung. Merkwürdig, dass ich jetzt ausgerechnet an damals denke, mitten in dieser abstrusen Situation.

Diese Erinnerung ändert jedoch auch nichts daran, dass ich einen Weg hier herausfinden muss.

Ich klettere auf die Kloschüssel und versuche, meine Finger durch den oberen Spalt zu schieben, doch es funktioniert nicht. Obwohl ich alles fieberhaft untersuche, lässt sich nirgendwo hindurchsehen. Auch finde ich keine undichte Stelle, die ich möglicherweise aufbrechen könnte. Kein Durchdringen.

Kapitulierend lasse ich mich wieder hinunter. Sitzend beginne ich zu warten. Und ich warte lange, so lange, bis mich die Müdigkeit überkommt. Meine Augenlider werden schwer, und ich sacke irgendwann zusammen. Schläfrige Dunkelheit.

Die Vögel zwitschern und die Sonne scheint, während ich aus meinem Lieblingstee nippe, einem schwarzen Tee, in meiner Tasse mit dem Rautenmuster. Alles scheint real, wenn auch seltsam unklar – wie fernes Leuchtturmlicht.

Aus dem Haus tritt meine Ehefrau Carmen. Doch etwas stimmt nicht. Die „Tür“, durch die sie normalerweise immer auf die Terrasse hinaustritt, sieht aus wie eine Toilettentür. Höchst ungewöhnliche Architektur, beinah verrückt. Außerdem tritt sie nicht durch die Tür, sondern läuft geradewegs die Hauswand hinunter.

Verblüfft sehe ich, wie sie mit strengem Zeigefinger unter meinen Sitz deutet. Warum? Was ist da?

Ich will fragen, was sie meint, doch bevor ich ein Wort herausbringen kann, bricht die Realität wieder über mich herein.

Ich schrecke hoch. Das kalte Gewicht der Wahrheit trifft mich erneut. Kalte, harte Keramik unter meinem Gesäß. Ich bin immer noch hier.

Doch da ist noch etwas. Ein dumpfes Klopfen.

Es kommt von unten.

Zögernd öffne ich den Klodeckel, und was ich sehe, lässt mich erstarren. In der Schüssel schwimmt ein in Frischhaltefolie eingewickeltes Objekt. Dicht genug verschnürt, dass es nicht mit dem Toilettenwasser in Berührung kommt.

Ich ziehe es vorsichtig heraus. Es ist ein kleines, zusammengerolltes Paket.

Was zum Teufel ist hier los?

Außerdem liegt noch etwas anderes bei: ein Brief.

Ich falte das Blatt auseinander. Meine Hände zittern. Der Text ist maschinell gedruckt, sauber, unpersönlich.

Ich beginne zu lesen:

Hallo,

wir hoffen, dass diese Nachricht Sie bei klarem Verstand und guter Gesundheit erreicht. Die Situation, in der Sie sich befinden, mag für Sie ungewöhnlich und unerwartet erscheinen. Doch bitte seien Sie versichert, dass Ihr Wohlergehen uns am Herzen liegt.

Um Ihre täglichen Bedürfnisse zu sichern, stellen wir Ihnen ab sofort regelmäßig eine Essensration zur Verfügung. Diese Ration besteht aus einem Trinkbeutel sowie einer EPA, welche für eine nahrhafte Mahlzeit sorgt.

Wir bitten um Verständnis und um Entschuldigung, dass Sie sich nun in dieser unangenehmen Lage wiederfinden. Es handelt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen Fehler unsererseits, und wir versichern Ihnen, dass wir unser Möglichstes versuchen werden, Sie von hier zu befreien, bevor der „Klopfer“ Sie erreicht. Haben Sie bitte noch etwas Geduld. Wir arbeiten an dem Problem“

Ich lasse den Brief sinken, die Worte hallen in meinem Kopf wider. Sie haben mir eine Einmannpackung, wie sie in der Infanterie verwendet wird, über die Toilette zugeschickt? Echt jetzt? Und wer in aller Welt ist der „Klopfer“?

Damit soll ich mich also zufriedengeben? Sie haben mich hier eingesperrt – sei es aus Versehen oder nicht – und erwarten nun, dass ich stillhalte, während sie „an dem Problem arbeiten“? Dass sie auch noch von einem „Klopfer“ faseln, setzt dem Ganzen die Krone auf.

Meine Finger umklammern das Papier. Es zittert in meinen Händen, während ein Schwall von Wut in mir aufsteigt. Ich könnte den Brief zerknüllen – doch was würde das ändern?

Es ist vielleicht nicht klug, aus einem Wasserbeutel zu trinken, den mir meine Entführer geschickt haben. Wer weiß, was da drin ist? Doch meine Kehle ist trocken, und ich weiß nicht, wie lange ich schon ohne Wasser auskommen musste. Also nehme ich einen kräftigen Schluck.

Das Esspaket lasse ich unangetastet – Hunger habe ich keinen, nur Übelkeit. In diesem engen Raum möchte ich mich nicht übergeben, auch wenn die Toilette funktioniert.

Ein skurriler Gedanke drängt sich auf: Eigentlich habe ich alles, was man zum Überleben braucht – Wasser, Nahrung, eine Toilette. Doch das macht meine Lage nicht weniger erbärmlich.

Kacke noch eins! Gottverdammt! Den Dreckskerlen, die mir das hier antun, möchte ich am liebsten das Genick brechen!

Ich lege den Kopf in den Nacken und betrachte das kleine Neonlicht über mir an der Decke. Aus irgendeinem Grund erinnert es mich an die gelben Zucchini aus dem Gemüsebestand meines Ladens.

Ich weiß noch genau, wie ich mir vor 20 Jahren fest vorgenommen hatte, den besten Gemüsehandel in der ganzen Stadt zu betreiben – zusammen mit meiner Frau, die für die Buchhaltung zuständig ist.

Vor etwa zehn Jahren lief der Laden noch gut. Die Hürden für den Einstieg in den selbstständigen Gemüsehandel waren in den 70er Jahren niedrig. Es waren keine Qualifikationen nötig, um Fuß zu fassen, die Nachfrage war groß. Damals errichteten die Städte zentrale Großmärkte, Straßen wurden ausgebaut, und die Verfügbarkeit von Transportmitteln war günstig. Für kleine Händler wie mich bot die Zeit des wirtschaftlichen Aufstiegs eine einmalige Chance. Ich war froh, nicht in einer Fabrik oder auf einer Baustelle zu enden.

Doch heutzutage ist es für uns Mittelständler – den einfachen Mann – immer schwieriger, über die Runden zu kommen. Die Betriebskosten steigen: Strom, Wasser, Miete. Die Preise auf dem Großmarkt schwanken und machen die Kalkulation schwer. Unnötig komplizierte bürokratische Auflagen verursachen Lieferprobleme, besonders bei saisonalem Gemüse. Kundenzufriedenheit sinkt, der Gewinn schrumpft – von der Steuerbelastung gar nicht erst zu reden.

Für all die jahrelange Schufterei sollte am Ende eine faire Rendite herausspringen, nicht Rückenschmerzen und Gelenkprobleme. Doch stattdessen wird die Altersarmut ignoriert, während Milliarden in die Kriegsindustrie fließen, um an irgendeinem Arsch der Welt geostrategische Stellvertreterkriege zu führen.

Ich möchte gar nicht weiter darüber nachdenken. Meine Nerven, meine Moral und mein Blutzucker sind ohnehin auf einem Tiefpunkt. Lieber denke ich an die Möglichkeiten meiner Rettung.

Bestimmt macht sich Carmen längst Sorgen. Wahrscheinlich hat sie mein Verschwinden schon bei der Polizei gemeldet. Vielleicht suchen sie gerade nach mir – mit Spürhunden, Hubschraubern und dem ganzen Quatsch, wie im Film. Ich hoffe es.

Ich hoffe auch, dass dieses Dilemma Carmens Herz nicht zu sehr belastet oder ihre Nerven überstrapaziert. Mit 61 ist sie schließlich auch nicht mehr die Jüngste.

Erneut schlage und rüttle ich an der Tür. Sie lässt sich nicht öffnen – warum sollte sie auch? Das hier ist nicht „Sesam, öffne dich“. Ein abgedroschenes, aber passendes Zitat kommt mir in den Sinn: „Die Definition von Wahnsinn ist: immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“

Resigniert lasse ich mich zu Boden sinken, umklammere meine Beine und rolle mich zu einer Kugel zusammen – ein letzter Versuch, mich von all dem Schlechten in der Welt abzuschirmen. Doch es ist vergebens. Die Toilettenwände thronen weiterhin über mir, starr und verächtlich.

Die Stille, anfangs nur bedrückend, verwandelt sich nach und nach in einen bohrenden Ohrwurm. Jede Sekunde dehnt sich ins Unermessliche, und das Warten wird zur Ewigkeit.

Mein Magen beginnt zu knurren, und ich werfe einen Blick auf das EPA. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal etwas gegessen habe. Dem Gefühl nach könnte es ein oder zwei Tage her sein – schwer zu sagen. Ich fühle mich geschwächt. Bevor sich der Hunger zu einer stillen Qual aufbaut, nehme ich das Paket mit leicht zittrigen Händen und reiße es auf. Es ist schmal und in gutem Zustand.

Eine Anleitung fällt mir als Erstes ins Auge:

  1. Entfernen Sie die Verpackung und legen Sie den Essensbeutel in den beigelegten chemischen Heizbeutel.
  2. Geben Sie die vorgegebene Menge Wasser in den Heizbeutel. Bitte achten Sie darauf, dass die Markierung nicht überschritten wird.
  3. Verschließen Sie den Heizbeutel sorgfältig und warten Sie etwa fünf Minuten.

Ich nehme das verschnürte Paket auf den Schoß. Tatsächlich handelt es sich um ein EPA wie es in der Infanterie verteilt wird. Das Rascheln des Plastiks beruhigt mich beinahe. Der erste Blick in den Inhalt ist unspektakulär, aber jede Komponente bedeutet etwas – Nahrung, Ablenkung, wenn auch minimal.

Mein Augenmerk fällt zuerst auf die Tüte mit der richtigen Menge Wasser. Mich erwartet ein chemischer Prozess, der das Hauptgericht erhitzen wird. Ich öffne das Hauptgerichtspaket und aktiviere das Heizelement. Das Zischen und Knistern beginnt sofort – die chemische Substanz reagiert mit dem Wasser. Der Beutel bläht sich auf, Gase entweichen. Hitze wird freigesetzt. Ich halte den Beutel geschlossen und warte. Die Minuten ziehen sich. Langsam lässt das Zischen nach.

Vorsichtig öffne ich den Beutel. Ein Geruch steigt auf – warm, würzig. Das Gericht besteht aus Gemüse, Nudeln und Fleischstücken. Der erste Bissen ist eine Erleichterung, nicht nur für meinen Magen, sondern auch für meinen Geist. Es ist nicht herausragend, aber akzeptabel. In diesem Moment zählt nichts anderes.

Neben dem Hauptgericht entdecke ich eine kleine Dose, die aus der Packung hervorragt. Die Paste darin ist streichzart und lässt sich leicht auf das beiliegende Knäckebrot verteilen. Der Geschmack überrascht mich – salzig, herzhaft; ein bizarrer Luxus in dieser sterilen Umgebung.

Ein weiterer Lichtblick ist ein Riegel aus Früchten und Nüssen – süß, energiereich. Auch eine kleine Packung Pistazien ist dabei – unscheinbar, aber befriedigend.

Zum Schluss bereite ich mir einen Tee zu. Himbeeraroma, heiß und dampfend. Der Becher liegt warm in meinen Händen. Ein Hauch von Normalität, flüchtig, aber wohltuend. Trotzdem bleibt ein Rest Misstrauen.

Jeder Bissen, jeder Schluck lässt mich lebendig fühlen. Als ich die Verpackungsreste beiseitelege, spüre ich, wie die Zeit weiterfließt. Doch ich warte, warte und warte. Unbarmherzig.

Ich schlage die Augen auf, atme tief durch, und plötzlich bin ich wieder da – der Tag beginnt. Die Morgendämmerung ist mein Taktgeber, die Straßen noch still, bevor die ersten Kunden kommen. Obst und Gemüse werden in Kisten gepackt. Es ist mühsam, aber zufriedenstellend.

Der Stand ist kaum aufgebaut, da kommen schon die ersten Neugierigen. Es werden immer mehr, so viele, dass ich mich kaum traue, mich umzusehen. Irgendjemand muss mir doch dabei helfen! Aber nein, das hier ist mein Job, mein kleiner Laden des Vertrauens. Heute sind es die Paprika und die frischen Kräuter, die die Aufmerksamkeit der Leute anziehen. „Die besten Kräuter weit und breit“, sage ich einem Kunden, der misstrauisch über das Basilikum blickt. „Und diese Paprika? Voller Geschmack. Meine Frau sagt immer, sie schmecken nach Sonne.“

Er fragt, wie ich denn auf diese Spezialitäten komme, und ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Carmen. Ich sehe sie vor mir, wie sie damals an meinem Stand stehen blieb, weil ich – anstatt Äpfel oder Tomaten – ausgerechnet Paprika und Kräuter besonders anpries. Sie bemerkte das, blieb stehen, und wir kamen ins Gespräch. Sie meinte, ich solle es wagen, meine Nische zu finden. „Jeder verkauft Tomaten. Aber deine Paprika, das ist etwas Besonderes. Du machst es richtig.“

Daraus wurde ein Gespräch, aus einem Gespräch ein Kaffee, aus einem Kaffee ein gemeinsamer Spaziergang. Und aus uns wurde eine Familie. Junus, Max, Jana – unser ganzer Stolz. Was waren sie als Kinder noch fasziniert von den Farben des Marktes.

Ich erzähle all das dem Kunden, der zuhört und dann nickt. „Das klingt wie eine gute Entscheidung“, sagt er. „Die beste meines Lebens“, erwidere ich.

Als ich an diesem Abend nach Hause komme, bin ich erschöpft, aber zufrieden. Carmen ist in der Küche und bereitet etwas vor. „Heute gibt’s Hähnchen mit Reis!“, ruft sie fröhlich. Ich lasse mich auf den Stuhl sacken und betrachte das Mahl, das Carmen auf dem Küchentisch platziert. Ich bin dankbar und möchte gerade den ersten Bissen nehmen, als sie den vollen Teller wieder abräumt und in den Müll kippt. Merkwürdig.

„Heute gibt’s Hähnchen mit Reis!“ ruft sie, und stellt mir einen neuen Teller hin. Erneut möchte ich essen, und erneut räumt sie ab.

„Was gibt’s denn nun?“, frage ich neugierig.

„Heute gibt’s Hähnchen mit Reis!“ Das selbe Spiel – neuer Teller, neue Portion. Erneut kratzt sie alles in den Müll.

„Gibt wohl was anderes – aber was?“

Ein neuer Teller wird vor mir platziert.

„Hähnchen mit Reis.“

„Lecker. Und morgen?“

„Hähnchen mit Reis.“

„Und heute Abend?“

„Hähnchen mit Reis, deine Leibspeise.“

„Mmmh … und zum Frühstück?“

„Hähnchen mit Reis, Liebling.“

„Und zum Mittagessen?“

„Was du dir gewünscht hast: Hähnchen mit Reis.“

„Wunderbar. Und übermorgen?“

„Natürlich Hähnchen mit Reis.“

Hähnchen mit Reis. Es wiederholte sich wie ein Mantra, das zwischen den Wänden hallte. Reis. Hähnchen. Knusprige Haut. Meine Gedanken kreisten in Schleifen, als ob ich mich selbst hypnotisieren wollte. Wie viel Zeit wohl vergangen ist?

Zuerst dauert der Moment zu lange, doch dann blinzele ich schläfrig. Die Luft riecht schal. Es braucht einen Moment, bis ich mich wieder orientieren kann. Die verschachtelte Kabine, das kalte Porzellan unter mir – und die Erkenntnis, dass ich immer noch hier bin, weckt in mir ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit.

Ich betrachte die Wände der Toilette: sie sind mit Kritzeleien bedeckt. Nichts Hilfreiches, nur Trivialitäten: Postleitzahlen, kaum lesbare Namen, Bandencodes. Ein Herz umrahmt „Tobi und Mira“, an anderer Stelle sind Möpse gemalt, links oben ein Pimmel. Schimpfwörter fehlen natürlich auch nicht.

Langeweile zwingt mich, jedes Bild und jeden Ausdruck zu zählen. Wie viel Zeit mag wohl vergangen sein? „13, 14, 15, 16, 17, 18, 19 …“

Mist, bei 68 komme ich ins Stocken. Ich fange von vorne an.

„94, 95, 96, 97, 98 …“ – bei der 99 bleibe ich plötzlich stehen. Ein Satz in der unteren Ecke zieht meine Aufmerksamkeit an: „Freiheit auch auf engem Raum.“

Frust überkommt mich, mein Blut kocht. Ich trete wieder gegen die Tür, schlage dagegen, obwohl ich weiß, dass es nichts bringt. Aber es fühlt sich irgendwie befreit an.

Als ich mich wieder beruhige, greife ich zur Klopapierrolle unter dem kleinen Klappfach und beginne, jedes Blatt zu zählen. Ein weiterer dummer Zeitvertreib. Ziehen, zählen, ablegen. Ziehen, zählen, ablegen. Während sich unter meinen Füßen ein immer größer werdender Berg aus Toilettenpapier auftürmt. „37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46 …“

Ich widme viel Zeit der „noblen Aufgabe der Klopapierforschung“. Das Ergebnis: 150 Blätter, 4-lagig. Ob alle Klopapierrollen gleich viele Blätter haben? Wenn Supermarkt-Gurken nach EU-Richtlinien einen bestimmten Krümmungsgrad einhalten müssen, würde es mich nicht wundern, wenn auch Klopapier genormt ist.

Wenn doch nur ein breiter Spalt oberhalb der Kabine wäre, könnte ich mit den Soßenresten aus dem EPA einen Hilferuf schreiben und vor die Tür werfen … Wobei, Schwachsinn. Wenn jemand draußen auftaucht, könnte ich genauso gut um Hilfe schreien. Auf diese Idee bin ich noch nicht gekommen. Vielleicht hilft es?

„HALLO?“

„IST DA DRAUßEN IRGENDWER??“

„ICH BRAUCHE HILFE!“

„HALLO?!“

Ich weiß nicht, wie lange ich schon schreie. 30 Minuten? 45? Meine Kehle brennt, vom Schreien kaputt. Nichts. Keine Antwort, kein Echo. Kein Wunder, hier in dieser Kammer. Ein schlechter Scherz. Ein Scherz, der sich anfühlt wie ein endloser Kreis. Wie lange soll ich bitteschön hier verharren, wenn sich die Zeit dehnt wie ein alter Kaugummi?

Ich nutze den Moment der nagenden Zermürbung und kehre in mich, wartend, bis die Stille plötzlich von einem Geräusch durchbrochen wird. Für einen Bruchteil einer Sekunde hatte ich das Gefühl, die Wände flimmerten, wie die ruckelnde Framerate eines Computerspiels. Mit 52 habe ich eigentlich nichts mit Videospielen am Hut, aber ich habe es bei meinem Sohn Junus gesehen, als er als Kind noch auf Windows 95 spielte.

Ich höre hektische Schritte, das Rascheln von Herbst- oder Winterkleidung, und eine sich schließende Tür irgendwo nebenan. Dann das Geräusch eines sich öffnenden Reißverschlusses, ein erschöpftes Keuchen, und dann – für eine Weile – plätschert Wasser. Als der Reißverschluss wieder zugeht, betätigt jemand die Toilettenspülung, und ein fröhliches Lied setzt ein, das die Erleichterung des Mannes zu unterstreichen scheint.

Gerade als sich die Schritte entfernen wollen, rufe ich: „Hallo?“

Die Schritte stoppen abrupt, verwirrt scheinen sie nach links und dann nach rechts zu trappeln. Schließlich nähern sie sich meiner Richtung und verharren vor meiner Kabine. „Wer zur Hölle ist da?“, ruft ein Mann, scheinbar noch jung.

„Gott sei Dank … Kannst du mir vielleicht irgendwie hier raushelfen?“, gebe ich freudig und zugleich verzweifelt von mir.

„Was? Was zum …“

„Hör mal, versuch einfach, die Tür von außen aufzumachen, okay? Ich sitze hier schon seit Stunden fest …! Wenn nicht schon seit Tagen!“

Ich höre, wie ein paar Türen geöffnet werden, allerdings nebenan von mir – nicht da, wo ich mich befinde. „Yo, wo bist du? Willst du mich auf den Arm nehmen?“

„Gleich hier! Letzte Kabine!“, antworte ich, meine Stimme drängender.

„Alter, hier sind drei Kabinen. Ich habe sie alle geöffnet. Sonst nur Fließwand. Verarscht du mich gerade mit einem Tonband oder so? Lustig, Bro!“, erwidert er verdutzt. „Als ob dein Arsch hinter Beton sitzen würde, haha. Niemals.“

„Das ist kein Scherz, Junge! Du musst mir raushelfen! Ich bitte dich!“

„Sorry, Bro. Ja, Pranks sind immer witzig und so. Aber muss weiter. Hau rein!“

„Nein! Warte!“, brülle ich gegen die Tür hämmernd. „Warte verdammt! Nein! Warte, um Himmels Willen!“

Doch ich höre nur noch eine Hintertür ins Schloss fallen. Stille kehrt zurück.

„Scheiße!“, fluche ich ein letztes Mal.

Und dann: die vertraute, ohrenbetäubende Stille.

Was jetzt?

Ich schließe die Augen, versuche, den Schweiß von meiner Stirn zu wischen, als ein schweres Atmen in der Nähe zu hören ist. Es ist nicht der junge Mann, aber die Schritte – sie kommen zurück. Diesmal langsamer, bedächtiger, als ob derjenige Zeit brauchte, um sich zu sammeln. Der jüngere Kerl ist fort, doch irgendetwas in mir hatte das Gefühl, er könnte zurückkehren. Doch als ich mich der Tür nähere, wird mir klar, dass es nicht er ist. Es sind andere Schritte, schwer und unbeholfen, die sich jetzt direkt vor meiner Kabine aufhalten.

„Hallo?“ rufe ich erneut, mein Herz schlägt schneller, als der schwere Atem, den ich gehört habe, plötzlich abrupt stoppt. Die Schritte verharren – nur für einen Moment. Dann ist da das Klopfen.

Ein kurzes, schnelles Klopfen – verursacht von kräftigen Knöcheln, das die ganze Kabine erfüllt und mich zusammenzucken lässt. Die Wände um mich herum wackeln, und im nächsten Augenblick sehe ich es. Ein Szenario, das unter normalen Umständen völlig unmöglich erscheint – die Wände rücken näher, fast unmerklich, aber genug, dass ich die Luft aus den Lungen pressen kann. Ich fühle mich beengt, die Atemluft wird knapp. Was ist gerade passiert?

„Hörst du mich? Hast du das gerade gemacht?“, frage ich perplex.

Stille. Keine Antwort. Nur das Geräusch von Stiefeln, die sich langsam entfernen. Dann quietscht eine Tür in der Ferne, wird geöffnet und dann wieder zugeschlagen. Es ist vorbei. Doch was bleibt, ist die Frage, wer dieser Fremde war und warum sich alles so seltsam anfühlt.

Ich fühle mich unwohl. Äußerst unwohl.

– –

Stunden müssen vergangen sein. Ist Zeit überhaupt noch von Bedeutung? Nur das Drängen meines Körpers erinnert mich daran, dass ich noch existiere. Jedes Mal, wenn ich aufstehe, die Hosen öffne und Wasser lasse, durchbohren triviale Gedanken mein Gehirn wie ein abgefeuerter 44er-Kaliber den Schädel eines Selbstmörders. Es ist ein mechanischer Ablauf, bei dem ich kaum noch anwesend bin. Aber irgendwie muss die Zeit totgeschlagen werden.

Das Plätschern der Spülung verklingt mit einem leisen Zischen – das Ende eines weiteren sinnlosen Moments. Meine Augen folgen den Fliesen auf dem Boden, ziehen sich an ihren schmutzigen, grauen Reihen entlang wie an einem Faden, der ins Nichts führt. Ohne nachzudenken, zähle ich sie.

Welche Firma stellt solche Fliesen her? Wie gelangen Fliesen in öffentliche Toiletten? Wer verlegt sie? Hat sich jemals ein Architekt Gedanken darüber gemacht, wie lange jemand auf diese Fliesen starren könnte? Vielleicht spielt das keine Rolle – genauso wenig wie ich in diesem Raum. Was passiert, wenn ich für immer hier bleiben muss? Womöglich wäre der Tod eine Erlösung. Eine Flucht vor der Sinnlosigkeit. Oder wäre er nur ein Übergang in eine andere Form der Gefangenschaft?

Ich denke an die Geschichten von Menschen, die irgendwo festsaßen – in Gefängnissen, in Ruinen. Ihre Schreie mussten endlos andauern. Ich hatte immer geglaubt, ich wäre ein Zuschauer, ein Beobachter von außen. Aber jetzt, wo ich selbst hier bin, begreife ich: Es gibt keine andere Seite. Es gibt nur diesen Moment und die Leere.

Und in dieser Leere geschieht etwas.

Ich starre auf die Fliesen. Ich höre Schritte. Langsam. Schwer. Zum Fürchten vertraut.

Die Erinnerung schlägt mir in die Brust. Die Schritte werden lauter, wie Trommeln, die meinen Verstand übertönen. Mein Blick fällt auf die hauchdünne Ritze unter der Tür. Der Schatten ist zurück.

„Hallo?“, frage ich, meine Stimme rau und brüchig.

Wieder keine Antwort. Nur keuchendes Atmen, als würde jeder Zug den Typen anstrengen. Ich schließe die Augen, hoffe, es verschwindet. Doch das Atmen bleibt – nah, näher.

„Kannst du mir helfen?“, flehe ich.

Das Atmen bricht ab. Stille. Dann das Klopfen.

Heftig, rhythmisch, viel zu laut. Die Schläge lassen die Kabine erbeben, mein Rücken stößt gegen die Wand. Und dann rücken die Wände näher.

Nur ein paar Zentimeter, doch genug, um mir den Atem zu nehmen. Panik steigt auf, mein Blick huscht durch den engen Raum. Mein Verstand weigert sich zu realisieren.

„Was … was tust du da?“, presse ich hervor.

Der Schatten bewegt sich. Die Stiefel setzen sich langsam in Bewegung, entfernen sich. Das Quietschen einer Tür, ein metallisches Knallen.

Stille.

Die Kabine bleibt eng, die Luft drückend. Ich sitze da, unfähig, mich zu rühren, während eine einzige Frage in meinem Kopf kreist: Wer ist er – und was passiert hier?

– –

„Warum siehst du nicht mal nach?“, fragt sie.

„Wo nach?“, frage ich.

Sie spült das Geschirr, ist mir mit dem Rücken zugewandt. Ich nippe mit der einen Hand aus einer Tasse Kaffee, mit der anderen blättere ich in einem unbedeutenden Tagesblatt herum, auf ihre Antwort wartend.

„Liebling, muss ich dir das jetzt echt erklären?“ Eine gewisse Ermattung liegt in ihrer Stimme, während sich ein sauberes Glas an das nächste reiht und sich mein Kopf neugierig in ihre Richtung dreht. „Sieht wohl ganz danach aus. Keinen Schimmer, wovon du redest.“

Sie sagt: „Denk doch mal nach.“

Ich überlege: „Meinst du etwa …?“

„Ganz genau.“

„Den Kindern geht’s gut. Sieh doch, sie spielen im Garten.“

Ich deute zum Fenster hinaus, durch das helles Tageslicht strömt. Die Kinder kreischen vergnügt im Grünen.

„Nein, du Holzkopf!“, sie dreht sich vorwurfsvoll zu mir um. „Ich meinte die Notiz aus dem Spülkasten.“

„Ähm … was?“

„Jetzt sieh doch endlich nach …!“

Ich höre auf die Stimme, und sofort drehe ich mich um und bemerke, dass der Deckel des Kastens völlig gelockert ist und sich kinderleicht abnehmen lässt. Zwischen Rohren, kleinen Ventilen und Hebeln versteckt ziehe ich einen eingeschweißten Brief heraus, der dort schon die ganze Zeit gelegen haben musste und den ich augenblicklich zu lesen beginne:

Sehr geehrter Herr Kaya,

wir möchten uns aufrichtig für die besonderen Umstände entschuldigen, in denen Sie sich derzeit befinden. Es ist uns bewusst, dass Ihre aktuelle Lage ungewöhnlich und sicherlich belastend ist. Wir bitten Sie, Ruhe zu bewahren und die Situation mit Bedacht zu betrachten.

Manche Elemente Ihrer Umgebung könnten Ihnen inzwischen aufgefallen sein – insbesondere die wiederkehrenden Geräusche oder die Bewegungen Ihrer unmittelbaren Umgebung. Diese Phänomene sind Teil eines größeren Zusammenhanges, den wir Ihnen hier nicht in voller Tiefe erläutern können. Dennoch möchten wir betonen, dass sie weder zufällig noch unbeabsichtigt auftreten.

Die Konstruktion Ihres Aufenthaltsortes und die wiederkehrenden Elemente haben eine Funktion, die Ihnen vielleicht nicht direkt erkennbar ist. Ihr Erscheinen und ihre Auswirkungen sind fest verankert in einer komplexen Struktur, die sich derzeit leider außerhalb unserer Kontrolle befindet. Wir arbeiten jedoch daran, die bestehende Situation zu analysieren und die Dynamiken zu verstehen.

Es gibt eine spezifische Einschränkung, die wir offen ansprechen müssen: Der Prozess, der sich in Ihrer Umgebung entfaltet, ist nicht reversibel. Was genau dies bedeutet, entzieht sich möglicherweise Ihrer gegenwärtigen Vorstellungskraft, aber wir versichern Ihnen, dass es sich dabei um eine äußerst seltene Entwicklung handelt, die unser Team zutiefst beschäftigt.

Ihre Geduld und Aufmerksamkeit in dieser außergewöhnlichen Lage wissen wir sehr zu schätzen. Wir sind bemüht, in den verbleibenden Momenten so weit wie möglich Unterstützung zu leisten – auf welche Weise auch immer dies möglich ist.

Wir bedauern aufrichtig, dass es zu dieser Situation gekommen ist, und versichern Ihnen, dass Ihre Erfahrung für künftige Entwicklungen eine Rolle spielen wird.

Mit größtem Bedauern,

Programmierabteilung

Ich bohre meine zittrigen Finger minutenlang in das Schriftstück, ohne zu wissen, ob ich ins Nichts oder auf das Papier starre. Ich möchte schreien, mir die Haare ausreißen, um mich schlagen. Nichts davon will ich glauben. Nichts davon kann wahr sein. Das muss ein kranker Scherz sein.

Dachte ich zumindest – bis gerade eben. Als zum dritten Mal schwere Stiefel vor der Kabine stehen bleiben.

Ein Klopfen ertönt.

Wieder kommen die Wände näher.

Wieder verschwinden die Stiefel.

Ich wage kaum zu atmen. Die Wände rücken nun so nah, dass ich meine Arme beugen muss, um sie überhaupt links und rechts an die Wände zu pressen. Mein Brustkorb hebt und senkt sich schneller, die Luft wirkt dick, schwer. Mir wird schummrig, der Raum schwindet.

Und dann bricht es über mich herein wie ein Donner, laut und unbarmherzig. Die bittere Wahrheit, die Realität, die ich nicht mehr leugnen kann. Etwas zieht sich in mir zusammen, ein tiefer, kalter Knoten, der droht, alles nach außen zu kehren. Ich klammere mich an meinen Magen, spüre die Säure in meiner Kehle aufsteigen. Ein Würgen, ein Reflex, den ich kaum unterdrücken kann.

Die Fliesen unter mir schwanken wie ein schiefer Boden, und ich will nichts mehr, als dass dieser Albtraum endet.

– –

Ich schätze, mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Seit über 12 Stunden haben sie mir kein EPA mehr gegeben. Wie auch? Die Wände sind inzwischen so nah, dass die Kloschüssel in Trümmern liegt und ich mich nicht einmal mehr drehen kann. Bald war’s das.

– –

Der Klopfer war wieder da.

Jetzt sind die Wände direkt vor meinen Augen. Mein Kopf lässt sich nur noch zur Seite neigen, meine Schultern sind verkeilt. Das Atmen wird schwerer, flacher. Die Schmerzen in meiner Brust, meinen Knien und Fußgelenken sind unerträglich. Aber das Schlimmste ist die Zeit – diese endlose, quälende Zeit, die nicht vergeht.

Tränen rinnen in unregelmäßigen Abständen über mein Gesicht, trocknen, nur um wieder zu fließen. Schreien kann ich nicht mehr.

Lebt wohl.

– –

Schlagartig hole ich tief Luft, meine Lungenflügel bis zum Zerreißen angespannt. Ich sitze immer noch auf dem Klo. Es war nur ein Albtraum – aber einer, der mir den Atem raubt und mein Herz wie verrückt schlagen lässt, so real fühlte er sich. Wenn man so lange in einer winzigen Kabine eingesperrt ist, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich solche Schrecken in die Gedanken schleichen.

Nein, … in all der Zeit ist mir keine Menschenseele begegnet. Kein junger Mann, der sich in der Kabine nebenan erleichterte. Kein ominöser „Toilettenklopfer“.

Ich habe keine Ahnung, wie lange ich hier schon festsitze. Monate? Jahre? Die Zeit scheint endlos. Mein Bart ist struppig, ergraut und reicht mir bis zur Brust – ebenso wie mein Haar. Meine Fingernägel sind zu Krallen geworden, wie die eines dunklen Magiers. Um mich türmen sich die Papierfetzen unzähliger EPAs. Nach der Nummer 238 habe ich aufgehört zu zählen.

Ob Behörden wohl jemals die Suche nach mir aufgegeben und mich für tot erklärt haben? Nach dieser Ewigkeit hier … vermutlich ja.

Sollte ich eines Tages doch noch befreit werden – was ich kaum noch zu hoffen wage –, würde ich zuerst meine geliebte Frau umarmen, mit einem Lächeln bis über beide Ohren. Danach würde ich in meinen Gemüseladen stürmen und den Duft all der vertrauten Gemüsesorten tief in mich aufsaugen.

Dafür wäre ich dankbar. So dankbar …

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