
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
„Also eigentlich hat sie ja gesagt, ich soll es euch nicht sagen, aber Jungs, gestern Nacht hatte ich was mit der heißesten Braut Japans“
Die halbe Kneipe jubelt als mein Studienkollege von seiner letzten Bettgeschichte erzählt. Klar, Männer lieben Frauen und noch mehr lieben sie es, über sie zu reden und mit ihnen anzugeben. Und dabei schließe ich mich gar nicht aus. Auch mir tritt ein Schmunzeln aufs Gesicht als ich in TJ’s vom Bier ganz glasige Augen sehe.
„Ach ja? Das hast du mit deinem tollen japanisch verstanden?“, grölt ein anderer Student aus der hinteren Ecke der kleinen Bar, in der wir uns so gut wie jeden Samstag treffen. Dieses Auslandjahr war bisher ein einzig wilder Ritt. Und ich genoss jede einzelne Sekunde davon.
Das Publikum lacht. Ich sehe mich um und merke, dass nur die paar Frauen, die uns ab und zu in dieses Etablissement begleiten, peinlich berührt den Kopf schütteln. Verständlich wenn man sich diese sexistische Horde Testosteronträger ansieht.
„Halt die Schnauze, Sam.“, zischt TJ und hebt sein Glas mit so viel Ruck, dass dessen Inhalt beinahe über den ganzen Tisch schwappt. „Das Mädel war eine Bombe! Haare bis zum Hintern und Kurven, dass einem schwindelig wird. Und dann hatte sie diesen sexy gelb-schwarzen Haarreif… Krasses Teil, Jungs.“
„Wie hieß sie denn?“, fragt ein anderer Mann, der interessiert näher tritt, „und hat sie eine Schwester?“
Wieder brechen die meisten in wildes Gekicher aus. Wenn man als Außenstehender einen Blick in die Kneipe werfen würde, könnte man meinen, dass sie einen Haufen minderjähriger Schulkinder an Alkohol gelassen haben. Dass hier einige der schlauesten Köpfe Amerikas sitzen, merkt man heute Abend nicht. Oder an irgendeinem anderen Samstag.
Hier haben sich heute einige der besten Jurastudenten der Harvard University versammelt, um die tausend Paragraphen aus dem Kopf zu saufen, mit denen wir es täglich zu tun haben. Das sei uns vergönnt.
„Ihr Name? Scheiße man… da fragst du mich was…“, seufzt TJ und kratzt sich am Kopf. Es sieht so aus als würde er angestrengt versuchen sich daran zu erinnern. „Irgendwas mit Jo… Jono…. Joko… Joro… Ja, es war Joro! Sie heißt Joro!“
TJ strahlt als er sich an den Namen der Dame erinnert und merkt nicht, wie still es auf einmal in der gesamten Kneipe geworden ist.
Unser Japanisch hat sich in den letzten Monaten rapide verbessert und anscheinend ist jedem außer TJ klar, was er da gerade von sich gegeben hat.
Der Moment der Stille hält noch ein paar Sekunden an und dann brechen ausnahmslos alle in brüllendes Gelächter aus.
„W-Was?“, fragt TJ verwirrt in die Runde, während wir uns vor Lachen noch immer die Bäuche halten.
„Oh man alter, wie zum Teufel bist du noch nicht in der Dusche ersoffen?“, fragt Sam neben mir und wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Joro heißt Prostituierte. Du hast mit einer Prostituierten geschlafen“
Nach wenigen Augenblicken tritt ein Ausdruck von Schock in TJ’s Augen und er schnappt empört nach Luft. „Hör auf mich zu verarschen, Alter. Sie ist keine Prostituierte. Sie wollte kein Geld“
„Ach, hast du ihr wohl welches angeboten?“, frage ich und heimse dafür einige Lacher ein.
„Ihr seid scheiße“, murmelt TJ zur Antwort, „Und nur neidisch, weil ihr keine abbekommen habt“
Danach ritten wir noch eine ganze Zeit auf TJ und seinen schlechten Sprachkenntnissen herum. Für uns gab es in dieser Nacht nichts Lustigeres als den Gedanken, dass TJ in Erwartung an die große Liebe mit einer Prostituierten geschlafen hatte.
Hätten wir gewusst, was noch passieren würde, hätten wir uns nicht darüber lustig gemacht. Dann hätten wir ihm gratuliert und einfach unseren Mund gehalten.
Denn nach einem blöden Kommentar zu viel stürmte TJ aus der Kneipe und verschwand wutentbrannt in der Nacht. Mit Kritik konnte er noch nie so wirklich umgehen. Wir alle dachten er würde direkt nachhause laufen und uns am nächsten Tag mit einem sauren Gesichtsausdruck im Büro begrüßen.
Doch TJ kam in dieser Woche nicht zur Arbeit.
Und drei Tage später fand man seine Leiche mit dem Gesicht nach unten im Wasser des Joren no taki schwimmen.
Einen Monat ist das ganze nun her und ich fühle mich immer noch schuldig. Es heißt, er sei im betrunkenen Zustand ins Wasser gefallen, von der Strömung des Wasserfalls erfasst und ertränkt worden. Die Bewohner der Präfektur Shizuoka warnten schon seit Generationen davor dem Gewässer zu nahe zu treten. Man würde ergriffen, eingesogen und letztendlich verschluckt werden, sagen sie.
Und trotzdem bin ich heute hier und lege einen kleinen Straus Anemonen zwischen die Sträucher. TJ hätte das alles lächerlich gefunden, aber es beruhigt meine Seele, denn ich schien der Einzige zu sein, dem sein Tod nicht innerhalb einer Woche vollkommen egal geworden war.
Ich mochte TJ, auch wenn es viele Gründe gab ihn nicht zu mögen.
Und nun starre ich ins Wasser. Es hat etwas Magisches an sich, so wie es sich in sanften Wellen hin und her bewegt. Das Rauschen des Wasserfalles lullt mich beinahe ein, so rhythmisch schmiegt es sich an den Schaum der ab und zu an den Rand des großen Teiches gespült wird.
Darum ist es auch nicht überraschend, dass ich beinahe kopfüber ins kalte Nass falle, als ich hinter mir eine weibliche Stimme höre. „Geh nicht zu nah ans Wasser. Das ist gefährlich“
Wie gern hätte ich sie jetzt auf die Ironie dieses Satzes hingewiesen, da sie mich doch so erschreckt hatte, dass ich beinahe ins Wasser gestürzt wäre.
Doch eigentlich hatte sie recht. Ich war ziemlich nahe an den Rand herangetreten und so stolpere ich ein paar Schritte nach hinten, um etwas Abstand zwischen mich und den Tod zu bringen.
„Ähm… danke“, murmele ich als ich wieder einen festen Boden unter den Füßen habe und blicke in das Gesicht, das mich gerade vor dem Ertrinken retten wollte.
Mir stockt beinahe der Atem als ihre strahlend blauen Augen auf meine treffen. Sie ist schön, keine Frage, aber sie scheint keine Einheimische zu sein. Jedenfalls erinnert ihr Aussehen eher an die westliche Kultur. Strohblonde Haare, bis zu den Schulterblättern und lange Beine, die sie in ihrem kurzen grellgelben Kleid mit schwarzen Streifen zur Schau stellt. Genau mein Typ, wenn man mich gefragt hätte. Aber das hat man nicht. Trotzdem kann es nicht schaden, wenn ich mein Glück versuche.
„Ich bin Harland“, sage ich und strecke meine Hand aus, um ihre zu schütteln. Sie macht keine Anstalten die Geste zu erwidern und vollführt stattdessen eine leichte Verbeugung, so wie es hierzulande typisch ist.
„Gumo“, sagt sie.
Also doch eine Japanerin.
„Nett dich kennen zu lernen, Gumo. Was treibt dich hierher?“, ich versuche locker zu klingen, doch sie macht mich nervös. Das passiert mir oft in der Gegenwart schöner Frauen.
„Spazieren“, antwortet sie, „die Gegend hier ist ganz schön. Ich mag den Wasserfall. Was machst du hier?“
„Oh…“, na klar hätte ich mit einer Gegenfrage rechnen müssen, doch das habe ich nicht und jetzt weiß ich nicht was ich ihr sagen soll. ‚Mein Freund ist letzten Monat hier ertrunken und ich glaube ich bin nicht ganz unschuldig an der ganzen Sache, willst du mit mir ausgehen‘? Nein, das ist kein guter Plan. „Ist eine lange Geschichte“, sage ich stattdessen und trete verlegen von einem Fuß auf den anderen. Na toll, jetzt habe ich es bestimmt versaut. So dummes Rumglucksen beeindruckt doch kein Mädchen wie sie!
Zu meiner Überraschung kichert die junge Frau und hält sich dabei eine ihrer zierlichen Hände vor den Mund. Sie ist etwas blass, aber das sind hier so gut wie alle Frauen.
„Die würde ich gerne hören. Vielleicht beim Abendessen?“, fragt sie und klingt dabei kein bisschen verlegen. Ich auf der anderen Hand spüre, wie ich rot werde. Darauf war ich am allerwenigsten vorbereitet.
„J-Ja gerne!“, stottere ich und will mich am liebsten gleich wieder Ohrfeigen. Wenn ich es jetzt noch versaue, werde ich mir das nie verzeihen. Doch Gumo lächelt mich nur verständnisvoll an und scheint in keinster Weise abgestoßen von meiner Unbeholfenheit. Nein, sie scheint diesen Auftritt sogar zu genießen. Soll mir nur recht sein.
„Hast du ein Handy dabei, dann kann ich dir meine Nummer geben und wir-…“, fange ich an, doch Gumo unterbricht mich.
„Ich besitze kein Handy, aber komm einfach heute Abend um 7 zu mir.“, sagt sie und bevor ich irgendwelche Fragen stellen kann, zieht sie einen kleinen Rucksack hinter ihrem Rücken hervor den ich bis dato noch gar nicht bemerkt hatte und steckt ihre Hand hinein. Kurze Zeit später zieht sie einen kleinen Zettel hervor und reicht ihn mir mit beiden Händen.
Ebenfalls mit beiden Händen nehme ich den Zettel an. Es ist zwar keine Visitenkarte, wird aber bestimmt als solche behandelt und ich habe mich heute schon oft genug lächerlich gemacht, indem ich die kulturellen Gepflogenheiten missachtet habe.
Auf dem Zettel steht in feinsäuberlichem Kursiv eine Adresse, die mir auf den ersten Blick nicht bekannt vorkommt. Doch mit der Hilfe von Google Maps würde ich das bestimmt rechtzeitig finden.
„Also um 7?“, frage ich nochmal, nur um sicher zu gehen. Gumo nickt zur Antwort und lächelt mir erneut zu.
Ich hinterfrage gar nicht wie schnell das alles gegangen ist. Dass ich innerhalb von 10 Minuten ein Date organisiert habe, für das ich mich nun so bald wie möglich fertigmachen will.
Nein, ich verabschiede mich von der schönen Frau mit einer kleinen Verbeugung und winke ihr hinterher als sie den Teich entlang im Gebüsch verschwindet. Erst als ich ihr gelbes Kleid nicht mehr sehen kann nehme ich den Pfad in die entgegengesetzte Richtung und mache mich auf in die Stadt.
Nicht ein einziges Mal frage ich mich, warum Gumo einen Zettel mit ihrer Adresse griffparat im Rucksack mit sich trägt.
Mein Kopf ist zu beschäftigt damit, dem toten TJ dafür zu danken, dass er uns auf diese makabere Weise zusammengeführt hat. Danach gilt meine Aufmerksamkeit nur noch der Uhr und dem Ticken, dass sie jede Sekunde von sich gibt. Die Zeit bis 7 wird sich wie Kaugummi dahinziehen, das weiß ich schon jetzt.
Ich soll mit meiner Vermutung auch recht behalten und so stehe ich schon eine ganze Stunde vor der abgemachten Zeit vor Gumos Haus und warte. Ich war so aufgeregt, ich musste mich einfach schon auf den Weg machen. In meiner Studentenunterkunft hätte ich es keine Sekunde länger ausgehalten.
Nun stehe ich hier und hüpfe nervös von einem Bein aufs andere. So wirklich besser geht es mir hier nicht. An meiner Aufregung hat die frühe Ankunft nichts geändert.
Während ich zum gefühlt tausendsten Mal von meinem linken auf das rechte Bein wechsle, öffnet sich die Tür zur kleinen Hütte vor mir und ein Schopf blonder Haare taucht aus dem Inneren auf.
„Du bist zu früh“, murmelt Gumo und ihre Augenbrauen ziehen sich leicht zusammen, doch kurz darauf erscheint auch schon wieder das Lächeln auf ihrem Gesicht, welches sie mir heute Mittag bereits einige Male geschenkt hatte und ich fühle die Erleichterung in mir aufsteigen.
„Was soll ich sagen, ich konnte es einfach nicht mehr abwarten.“
Gumo öffnet mir die Tür und ich laufe beinahe direkt in ein Spinnennetz hinein, als ich mich ducke um das Häuschen zu betreten. Die japanischen Türbögen sind nicht für 1,90 große Amerikaner gestaltet worden und das spüre ich hier jeden Tag.
Drinnen ist es ziemlich dunkel, fällt mir schnell auf. Alles was ich sehe sind vage Schemen eines kleinen Esstisches in der Mitte des sonst leer scheinenden Zimmers. Wenn ich die Augenlider so weit zusammenpresse, dass ich nur noch minimale Sicht habe, kann ich die Shoji-Wände ausmachen, die den Raum als solchen abtrennen. Die japanischen Häuser, die ich während meines Aufenthaltes bisher gesehen habe, waren alle relativ sporadisch eingerichtet. Doch Gumo schien das Extrem eines Minimalisten zu sein.
„Könnten wir vielleicht das Licht anmachen?“, frage ich und spüre die junge Frau hinter mir, „ich habe so schlechte Augen“
Ich setze ein verlegenes Lachen hinterher in dem kläglichen Versuch mein Unbehagen zu verbergen.
Denn jetzt, wo ich hier im abgedunkelten Haus einer völlig Fremden stehe, wird mir so richtig bewusst wie blöd diese ganze Aktion doch ist. Was habe ich mir dabei gedacht, ich kenne sie doch kaum. Und was ist die erste Regel beim Dating mit Fremden? Das erste Date findet an einem öffentlichen Platz mit vielen Menschen statt. Und nicht in einem alten Häuschen am Rande der Präfektur. Vorsicht ist schließlich besser als Nachsicht, hat meine Mutter immer gesagt.
Aber jetzt ist es zu spät, um noch vorsichtig zu sein. Je länger die Stille andauert, desto nervöser werde ich.
Ein schmerzhafter Stich in meinen Nacken führt meine Gedanken in eine ganz andere Richtung. Denn jetzt bin ich nicht mehr nur nervös, nein, in jeder Ecke meines Bewusstseins breitet sich vollkommene Panik aus als ich blitzschnell nach hinten greife und eine Hand auf die schmerzende Stelle lege. Innerhalb weniger Sekunden fühle ich, wie sich Hitze von meinem Nacken in meinen gesamten Körper ausbreitet. Es ist die Art von Hitze, die dich glauben lässt, dass das Blut in deinen Adern auf einmal zu flüssiger Lava geworden ist. Die Art von Hitze bei der ein Fieber wie Schüttelfrost wirkt.
Ich möchte Schreien, denn mein Körper verbrennt auf einmal von innen, doch plötzlich ist mein Mund so lahm, dass er sich nicht einmal ein Stück weit öffnen lässt. Meinem Mund folgt mein Kopf, der nun nach vorne sackt und mit ihm mein Gesamter Körper. Den Aufprall spüre ich noch, doch dieser Schmerz ist dumpf. Meine Arme und Beine haben ihren Dienst aufgegeben, ich kann mich nicht mehr bewegen. Kein Stück.
Und nach wenigen Minuten, die sich jedoch wie Stunden anfühlen, erlöst mich die Ohnmacht von meinen Schmerzen und süße Dunkelheit umschließt alle meine Sinne.
Als ich wieder zu mir komme kann ich gerade einmal meine Augen öffnen. Es kostet mich einiges an Kraft, aber das Licht, welches sich mir zeigt, ist Motivation genug. Doch sehen kann ich selbst mit geöffneten Augen nicht viel, denn mein Kopf ist noch immer zu starr, um ihn zu heben. Alles was ich sehe ist eine weiße Masse, die sich über meinen gesamten Körper ergießt. Ich stehe aufrecht. Wie, ist mir ein Rätsel. Ich versuche alle Kraft zusammen zu nehmen und wenigstens meine Arme oder Beine zu bewegen, doch es rührt sich nichts. Ich weiß jedoch nicht, ob das noch dem lähmenden Gift zuzuschreiben ist, welches Gumo mir injiziert hat, oder an dieser harten Masse, die meinen gesamten Körper umgibt. Das Zeug scheint so fest zu sein wie Blei, so als hätte man mich geschmolzen und in eine menschliche Form gegossen.
Schreien kann ich ebenfalls nicht. Alles was ich von mir geben kann ist ein leises Stöhnen der Anstrengung als ich erneut versuche meinen Kopf zu heben.
Und plötzlich höre ich ein leises Klopfen, welches immer näher kommt. Wobei es doch kein Klopfen ist. Es hört sich so an als würden viele kleine Beine über Holz tippeln. Doch egal was es ist, es kommt direkt auf mich zu. Und ich kann es nicht einmal sehen.
Das Geräusch hört erst auf als wer oder was auch immer bei mir ist, direkt vor mir steht. Und als eine zarte Hand mein Kinn umgreift und unpassend sanft nach oben navigiert, wünsche ich mir auf der Stelle komplett zu erblinden.
Denn vor mir steht Gumo. Oder… sitzt… oder… existiert. Ich weiß nicht wie ich das, was sie ist beschreiben soll. Doch jetzt weiß ich, was dieses leise klopfende Geräusch verursacht hat. Es waren die acht langen, spitz zulaufenden Beine, die zu einem riesigen, schwarzen, ovalen Körper gehören. Ich traue meinen Augen nicht. Das ist ein Traum. Der schlimmste und realste Albtraum den ich je erlebt habe, aber ganz sicher nur ein böser, böser Traum.
Gumo grinst mich an, doch von der liebreizenden jungen Frau ist beinahe nichts mehr übrig. Sie hat zwar noch den Oberkörper und das Gesicht eines Menschen, doch jedes Fünkchen Menschlichkeit ist aus ihrem Blick gekrochen und wurde ersetzt durch etwas, was ich nur als stechenden Hunger bezeichnen kann.
Sie leckt sich die Lippen als stünde vor ihr die köstlichste Speise der Welt und vielleicht war ich das ja auch für sie.
„Was-…“, ich kann meinen Mund leicht öffnen, doch um einen ganzen Satz von mir zu geben bin ich noch zu schwach. Ich habe so viele Fragen.
Was passiert mir?
Wer bist du?
WAS bist du?
Doch ich bleibe stumm, während Gumos Augen an meinem gefesselten Körper herabwandern. Ich möchte meinen Kopf wegdrehen, damit ich diese abnormale Spinnenkreatur nicht mehr ansehen muss. Ist sie mehr Mensch als Spinne, oder mehr Spinne als Mensch, frage ich mich unwillkürlich.
Sie tritt ein paar Schritte zur Seite und jedes Mal, wenn eines ihrer schwarz-gelb gestreiften Spinnenbeine den Boden berührt, hallt ein „tok“ durch den gesamten Raum. Selbst erlahmt bekomme ich noch Gänsehaut.
Plötzlich hebt Gumo ihre Vorderbeine. Sie sind sehr viel länger als ihre Hinterbeine und könnten mich wahrscheinlich noch erreichen, würde sie am anderen Ende des Raumes stehen. Sie sind so lang, dass sie sich unnatürlich nach hinten abknicken, um mit der Spitze den Ansatz meines Kokons aufschneiden können. Sie gleiten durch die harten Fesseln wie durch Butter und auf einmal liegen beide meiner Arme frei. Wenn ich sie doch nur bewegen könnte…
Eines ihrer angehobenen Beine streicht vorsichtig über meinen Oberarm. Es ist hart wie ein Fingernagel. Ich sehe wie Gumos Spinnenartiger Hinterkörper erwartungsvoll hin und her zuckt. Mir ist schlecht, doch ich versuche mich nicht zu übergeben, denn meinen Mund weit genug öffnen, um meinen Magen zu entleeren ist noch lange nicht möglich.
Ich höre, wie aus Gumos Mund ein leises Rasseln entweicht. Ihr Blick ist starr auf das Fleisch meines linken Armes gerichtet, an dem immer noch ihr langes Bein rauf und runter zieht.
Ich weiß, was auf mich zukommt und ich kann mich nicht wehren. Ich spüre ihre Beine auf mir und ich kann sie nicht abschütteln. Ich sehe, wie ihr Mund meinem Arm immer näher kommt und ich kann nicht zurückschrecken als sie mit einem Mal nach vorne zuckt und ihre Zähne in mein weiches Fleisch gräbt.
Die Schmerzen, die daraufhin folgen sind unbeschreiblich.
Das Brennen ist zurück und zieht sich in Sekundenschnelle durch meinen Körper, doch viel schlimmer ist der Biss, gefolgt von einem Reißen, welches Muskeln von Knochen trennt und Arterien spaltet.
Ich höre einen Schwall an Blut auf den Boden klatschen. So, wie es sich anhört, haben sich auch ein paar Fleischstückchen in der roten Suppe verirrt.
Mehr denn je will ich jetzt schreien, den Schmerz ein wenig lindern, doch aus meinem Mund kommt ein Ton, der einem kraftvollen Summen wohl am ähnlichsten erscheint.
Und selbst dieser wird verdeckt von dem Geräusch meiner brechenden Knochen. Ja, ich kann sie laut und deutlich zersplittern hören als Gumo mit einem Biss meinen linken Arm von meinem Körper trennt.
All das höre und spüre ich, doch ich kann es nicht sehen, da Gumo noch immer mein Kinn fest umschlossen nach oben hält. Ich weiß nicht, ob ich ihr dafür dankbar sein sollte.
Ich schließe die Augen und bete dafür erneut in Ohnmacht zu fallen. Diese Schmerzen… der Gedanke an dieses zerfetzte Stück Fleisch, welches einmal mein Arm gewesen war… das alles ist zu viel für mich.
Ich weiß, dass ich hier sterben werde, warum denn nicht jetzt sofort?
Es ist ihr Gift, welches mich wach hält, denke ich.
Wie Adrenalin ist es durch meinen gesamten Körper gezogen und hält meine Organe und mein Hirn auf Trapp.
Gumos Gesicht erscheint wieder vor meinem. In ihrem Mund hält sie die Hälfte meines Handballens und lächelt wieder so komplett emotionslos vor sich hin. Sie legt den Kopf in den Nacken und lässt das Fleisch in ihren Mund sinken, wo sie es schließlich ohne zu kauen verschlingt. Jetzt spüre ich doch die Galle in mir aufsteigen.
Ihr Vorderbein wandert hinauf zu meinem Gesicht, wo sie sanft meine Wange berührt. Dann drückt sie fester und fester zu, bis die Spitze ihres Beines meine Haut durchsticht und ich sie auf meiner Zunge spüre. Ich kann nicht mehr beurteilen, wie sie schmeckt, denn als sie sich in meine Zunge bohrt und diese durch meinen geöffneten Mund nach draußen schiebt, bekomme ich das, was ich mir die ganze Zeit über gewünscht habe.
Ich werde ohnmächtig.
Ich spüre, dass mir meine Zunge genommen wurde, als ich aus meinem Dauerschlaf erwache. Nun kann ich nicht einmal mehr Worte Formen, wenn diese biologische Narkose abebbt. Doch ich bezweifle so oder so, dass Worte mich vor dieser Spinnen-Kreatur gerettet hätten.
Gumo muss spüren, dass ich wach bin, denn dieses ekelhafte Tappen auf dem Holzboden kommt zügig auf mich zu und plötzlich steht sie wieder vor mir, in ihrer ganzen Größe. Sie überragt mich um einige Zentimeter. Ihr Kopf muss sich nach unten beugen, um mir in die Augen zu sehen. Um ihren Mund ist noch immer das Blut ihrer letzten Mahlzeit geschmiert. Mein Blut.
Ich würde ihr am liebsten sagen, dass sie aufhören soll zu lächeln, was in der Ernsthaftigkeit der Situation wie eine sehr lächerliche Bitte erscheint, doch es macht mich verrückt diese schöne Frau im Spinnenkörper und mit blutigem Mund lächeln zu sehen.
Warum muss sie auch warten, bis ich wach bin? Hätte sie ihren Job nicht beenden können, als ich noch friedlich geschlummert habe? Hätte sie mich nicht im Schlaf komplett verschlucken können?
Sie beugt sich nun zu meinem rechten Arm und als sie den Kopf senkt sehe ich einen gelb-schwarzen Haarreif in ihren goldenen Locken stecken. Das erinnert mich an etwas, doch ich kann den Gedanken einfach nicht zu fassen kriegen.
Als sie sich erneut an meinem warmen Fleisch labt ist die Erinnerung sowieso schon wieder vergessen.
Jetzt ist da nur noch Schmerz.
Das Brennen ihres Giftes, welches mich die nächsten paar Stunden lang wachhalten wird.
Das Wissen, dass nun auch mein rechter Arm in ihrem Maul verschwindet.
Wieder kann ich nichts von mir geben, um die Schmerzen zu lindern. Ich muss sie aushalten und darauf warten, dass ihr blutgetränktes Gesicht wieder in mein Blickfeld tritt, um dort ihren letzten Bissen des Tages herunterzuwürgen.
Innerhalb der nächsten Tage sollte ich herausfinden, dass sie es mag, wenn ich dabei zusehe, wie sie jedes meiner Körperteile einzeln verspeist.
Sie genießt meinen gebrochenen Blick auf sich, wenn sie ihren Unterkiefer unmenschlich weit öffnet, um meinen Fuß in ihren Rachen gleiten zu lassen.
Jedes Mal erwache ich aus der rettenden Ohnmacht, nur um die Qualen des Vortages erneut zu durchleben.
Und jedes Mal, wenn ich die Augen öffne, wünsche ich mir, dass es nun endlich das letzte Mal gewesen ist.
Autor: Grabesstille (Podcast)