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Wenn du Sie siehst…

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Vor zwei Monaten fiel mir zum ersten Mal auf, dass irgendetwas nicht stimmte. Rückblickend hätte mir das ganze schon früher auffallen sollen, aber damals konnte ich das alles noch gut genug entschuldigen.

Erst als ich eine Nachricht auf meinem Handy bekam, die mich auf ein neues Video von einem Youtuber aufmerksam machte, wurde ich stutzig. Denn zum einen hatte ich noch nie in meinem Leben eine Benachrichtigung von YouTube bekommen, geschweige denn freiwillig eingeschalten, und zum anderen hatte ich noch nie zuvor auch nur ein einziges Video von dieser Person gesehen.

Nun muss das nichts heißen, das weiß ich selbst. Manchmal spinnt der Algorithmus eben und man bekommt Dinge vorgeschlagen, die man noch nie im Leben gesucht oder überhaupt erwähnt hat. Und dann bekommt man nun mal eine falsche Nachricht, das kann durchaus sein.

Doch als ich die Benachrichtigung antippte, um mir das Profil anzusehen, konnte ich anhand des dünnen roten Balkens erkennen, dass bereits ein Großteil der Videos abgespielt worden war. Von meinem Account.

Das war der Moment an dem ich anfing mir Sorgen zu machen. Schließlich kam es nicht selten vor, dass sich Hacker fremde Accounts zu eigen machten, um dann komische Sachen in deinem Namen zu posten.

Schnell checkte ich meinen Account und sah, dass meine Video-Liste noch immer leer war.

Und mit dem Wissen, war es mir dann auch egal ob ich gehackt worden war oder nicht. Soll sich ruhig jemand in meinem Namen gratis Videos im Internet ansehen. Ich würde mein Passwort früher oder später ändern, doch bis dahin schien mir das ganze nur wenig besorgniserregend.

Bis eine Woche später die nächste komische Nachricht auf meinem Mobiltelefon eintraf. Diesmal war sie von einem Twitter-Account eines Filmstars, den ich zwar mochte, dem ich jedoch nicht folgte. Oder jedenfalls dachte ich das.

Denn als ich die App öffnete, sah ich, dass ich nicht nur dem Film-Star folgte, sondern noch geschätzt 100 anderen Accounts von Menschen mit mindestens D-Promi-Status. Was ja an sich nicht so verrückt scheint, doch mit dem Wissen, dass ich alle meine Social-Media-Accounts sehr privat halte, kam mir das doch recht komisch vor.

Zuerst dachte ich an den YouTube Hacker, der sich bestimmt auch in meine anderen Accounts würde einloggen können, doch da ich für jeden Account ein anderes Passwort verwendete, schien es mir doch recht schwer, gleich zwei meiner Accounts zu knacken. Natürlich nicht unmöglich, aber warum würde man sich über eine Woche Zeit lassen, um mein Twitter-Profil zu hacken? Es gab nichts zu sehen, keine Tweets und keine Bilder. Also warum sollte jemand meinen Account nutzen wollen um irgendwelchen Leuten zu folgen, die sowieso schon eine Followerzahl im 6-stelligen Bereich hatten?

Alles wies darauf hin, dass ich selbst der Übeltäter war. Doch ich würde mich doch daran erinnern all diesen Influencern gefolgt zu sein, oder?

Mein Gedächtnis war zwar noch nie das beste gewesen, doch so schlimm konnte es noch nicht um mich stehen.

Richtig komisch wurde es erst, als meine Erinnerungslücken auch das wahre Leben betrafen.

Vielleicht hätte ich mit der ganzen Sache leben können, hätte es sich nur auf das Virtuelle beschränkt. Auf Follower und Videos. Doch als mich meine Mutter ein paar Tage nach der Twitter Entdeckung anrief, bekam ich es mit der Angst zu tun.

„Hallo Schatz, wie geht es dir?“, fragte mich meine Mutter als ich etwas gehetzt ans Telefon ging. Ich hatte gerade den Staubsauger ausgeschalten, sonst hätte ich das Vibrieren des Handys auf dem Tisch gar nicht gehört. Es war heiß, beinahe 35 Grad. Ich hatte mich für den heißesten Tag der Woche entschieden, um meinen Putzgelüsten nachzukommen.

„Hey Mama, ich bin gerade etwas beschäftigt, kann ich dich später zurückrufen?“, fragte ich schwer atmend zurück.

„Oh, natürlich! Ich wollte dich eigentlich nur fragen, wie dir die Muffins geschmeckt haben, die ich dir Samstag vorbeigebracht habe. Du wolltest mir Bescheid geben, aber hast es anscheinend vergessen.“

Anscheinend hatte ich nicht nur vergessen meine Mutter anzurufen, ich hatte keinerlei Erinnerung daran, dass meine Mutter mich am Samstag besucht hatte.

„Muffins?“, fragte ich ungläubig und machte mich auf in die Küche. Hätte es Muffins gegeben, hätte ich sie sicherlich in die Küche gestellt, doch weder auf dem Küchentresen, noch im Kühlschrank fand ich Anzeichen auf das Gebäck.

„Ja, die in der blauen Tupperbox. Weißt du noch?“

Nein, das wusste ich anscheinend nicht mehr.

Ich öffnete noch einige Schränke und war kurz davor meine Mutter zu fragen, ob sie sich sicher sei mir die Muffins gegeben zu haben und nicht einer ihrer Freundinnen mit denen sie sich jedes Wochenende zum Kaffee traf, als ich die Spülmaschine aufriss und mir ein hellblauer Tupper-Deckel entgegenflog.

Und tatsächlich fand ich die blaue Box, die zum Deckel gehörte, auf der unteren Schiene wieder. Ich nahm sie heraus, um mir sicher zu sein, dass es nicht eine meiner eigenen Boxen war, doch auch die hellen Krümel am Boden deuteten darauf hin, dass es sich hierbei wirklich um die Box meiner Mutter handeln musste.

„Bist du noch dran, Schatz?“, hörte ich die Stimme meiner Mutter an meinem Ohr. Ich erschrak und ließ die Box zurück in die Spülmaschine fallen.

„Ja! Die Muffins, stimmt!“, stotterte ich verlegen und schloss die Spülmaschine, „Die waren toll. Danke, Mama.“

„Vanille mit Schokostückchen, deine Lieblingssorte.“, erinnerte mich meine Mutter stolz.

„Ja genau! Lecker!“, ich versuchte ein Lachen hervorzubringen, doch stattdessen kam aus meinem Hals nur ein erstickter Laut der einem Husten gleichkam.

„Ist alles okay?“, fragte mich meine Mutter daraufhin.

Ich nickte und vergaß, dass sie das ja gar nicht sehen konnte.

Also warf ich ein „Alles gut. Ich rufe dich die Tage nochmal an.“ hinterher und legte auf, ohne die Antwort meiner Mutter abzuwarten.

Ich legte mein Handy auf die Anrichte und versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren. Meine Mutter hatte auf jeden Fall irgendetwas in ihrer Blauen Tupperbox gebracht, das ist sicher. Der Beweis dafür lag ja schließlich direkt vor mir. Ich hatte den Geschirrspüler jedoch seit Freitag nicht mehr geöffnet, da ich mein Geschirr in Eile meist im Spülbecken liegen ließ, um es dann gebündelt einzuräumen. Und zu allem übel war ich am Samstag nicht einmal zuhause gewesen, um die Muffins anzunehmen. Ich hatte eine Doppelschicht im Diner und war von 7:00 bis 18:00 damit beschäftigt, schmutzige Tische abzuwischen und armen Touristen überteuerte und überfettete Burger zu servieren.

Ich war also nicht im Haus.

Wem auch immer meine Mutter die Box in die Hand gedrückt hatte, ich war es nicht. Doch ich lebe allein und eine Mutter würde doch wissen ob ihre Tochter vor ihr steht oder nicht.

Vielleicht hatte sie sich im Tag geirrt und war an einem meiner freien Tage gekommen. Und ich hatte es wie so viele Dinge in letzter Zeit vergessen. Ja, ich hatte vergessen meine Mutter gesehen, meine Lieblingsmuffins gegessen und die Box in die Spülmaschine geworfen zu haben.

Irgendetwas war hier faul, ich konnte mir nur noch nicht erklären, was es war.

Ich kam der Sache einen Schritt näher, als ich am Freitag darauf meine beste Freundin Kelly beim einkaufen traf. Das war eine schöne Überraschung, denn ich hatte sie seit der Geburt ihrer Tochter Zoe nicht mehr gesehen. Und jetzt stieß ich mit meinem Einkaufswagen beinahe gegen ihren, als ich um die Ecke bog um zu den Getränken zu gelangen.

Die Begrüßung fiel freudig aus und ich konnte es kaum erwarten der kleinen Zoe zum ersten Mal in das pausbackige Gesicht zu sehen. Schon seit ich von Kellys Schwangerschaft wusste wartete ich darauf, das kleine Ebenbild meiner besten Freundin in den Armen zu halten.

Während Kelly über Kindergartenplätze und den Klatsch und Tratsch der letzten Woche redete, beugte ich mich nach vorn um in die Trageschale zu spitzen, in der Zoe lag. Kelly warf mir einen komischen Blick zu.

„Was machst du da?“, fragte sie mich, als meine Verrenkungen denen eines Akrobaten gleichkamen.

„Ich hab dich echt lieb Kelly, aber ich kann dir einfach nicht zuhören bis ich die kleine Zoe gesehen habe! Komm, ich wollte eigentlich die Erste sein die sie sieht und jetzt bin ich wahrscheinlich die letzte!“, sagte ich lachend.

„Was meinst du?“, fragte Kelly, doch sie trat einen Schritt zurück, damit ich um den Wagen treten und dem Kind ins Gesicht sehen konnte, „Du warst doch eine der ersten. Neben den Hebammen und Tom natürlich. Du hast uns doch ein paar Tage nach der Entbindung besucht.“

Zoe war die perfekte Mischung aus Mutter und Vater. Sie hatte die tiefblauen Augen von Tom geerbt, gepaart mit der filigranen Stubsnase ihrer Mutter. Ich war so entzückt vom Anblick dieses Kindes, dass ich beinahe verpasst hätte, was Kelly mir da sagte.

„Nein, habe ich nicht. Ich musste doch ein paar extra Schichten übernehmen, erinnerst du dich?“

„Ja, aber du warst gegen Abend bei mir und meintest, dass Mal dich früher hat gehen lassen. Du hattest Zoe im Arm und ich habe sogar ein Foto von euch gemacht.“, sagte Kelly daraufhin und kramte ihr Handy aus der Wickeltasche.

Während sie die Fotos in ihrer Galerie durchsuchte, trat kalter Schweiß auf meine Stirn. Kelly musste sich geirrt haben. Ich weiß ganz genau, dass ich nach Zoes Geburt so gut wie jeden Tag gearbeitet habe. Ich hatte mich noch so schrecklich darüber aufgeregt, dass mein Boss Mal keinen Ersatz für mich finden konnte. Und Kelly meinte noch, ich solle mir keinen Stress machen. Dass ich Zoe früh genug sehen würde.

Während ich noch panisch überlegte, ob sich in meiner Erinnerung nicht doch noch ein Fetzen dessen befand, was ich angeblich getan hatte, hielt Kelly mir das Display ihres Handys unter die Nase.

„Die kleine Zoe mit ihrer stolzen Tante Marina“, sagte sie mit einem Lächeln.

Sie sagte meinen Namen. Doch die Frau auf dem Display… das war nicht ich. Sie sah mir zum Verwechseln ähnlich, doch das war nicht ich. Es dauerte einige Sekunden, bis ich das realisierte. Alles passte so perfekt ins Bild, dass ich beinahe selbst davon überzeugt war darauf zu sehen zu sein, doch es fehlte ein entscheidendes Detail.

Am Tag von Zoes Geburt hatte ich mich so stark mit meinem Glätteisen verletzt, dass ich mir Verbrennungen ersten Grades zugezogen hatte. Ich musste die Wunde sogar ärztlich versorgen lassen. Noch heute hatte ich einen grausig roten Fleck an der Stelle, wo die Haut noch nicht vollständig vernarbt war. Und mit den Haaren in einem Zopf gebunden, hätte man diese Wunde definitiv sehen müssen. Oder ein Pflaster, verdammt. Aber da war nichts. Mein Hals schien Makellos, genau wie das Lächeln auf meinem Gesicht.

Ich hielt die Luft an. Wie sollte ich Kelly sagen, dass die Frau auf dem Bild nicht ich war. Dass sie einer Fremden, die beinahe eins zu eins so aussah wie ich ihr Kind anvertraut hatte? Sie würde mir nicht glauben. Ich glaube mir ja selbst kaum und hätte es dieses Foto nicht gegeben, so hätte ich wahrscheinlich auch diese Sache auf meine schlechte Erinnerung abgespeist.

Aber egal wie ich die ganze Situation auch drehte, ich fand keine logische Erklärung für alles. Zuerst das Telefonat mit meiner Mutter und jetzt das?

Was hatte das zu bedeuten?

„Oh ja, natürlich.“, sagte ich schließlich und zwang mich zu einem Lächeln, „Tut mir leid, Kels, ich bin in letzter Zeit etwas neben der Spur.“

„Wundert mich nicht, so wie du arbeitest.“, kommt es von Kelly, „Du brauchst mal eine Pause. Ein paar Tage frei und so.“

„Du hast ja Recht.“, seufzte ich. Das hatte sie wirklich. Je länger ich über dieses Foto nachdachte, desto mehr wurde mir bewusst, wie überfordert ich war.

„Ich muss jetzt weiter“, sagte Kelly schließlich und nach einer kurzen Verabschiedung schoben wir unsere Einkaufswägen aneinander vorbei. Ich traute mich nicht noch einmal zu Zoe zu sehen.

Bevor ich jedoch weiter gehen konnte, hielt mich Kelly noch einmal auf. „Steht unsere Verabredung am Montag noch?“, fragte sie.

Ich musste sie wohl sehr verwirrt angesehen haben, denn sie fügte hinzu: „Wir sind zum Abendessen verabredet, du Dummerchen.“ Sie verdrehte lächelnd die Augen. „Du solltest dir echt einen Kalender anschaffen.“

Ich tat so als würde ich mich daran erinnern und in diesem Moment kam mir eine entscheidende Idee.

„Oh verdammt… Es tut mir leid, Kelly, aber ich habe meiner Mutter versprochen ihr beim Backen zu helfen. Da ist dieses Kirchentreffen nächste Woche und Mama hat versprochen ewig viel Gebäck mitzubringen und jetzt kommt sie ohne meine Hilfe nicht mehr hinterher!“, log ich. Ich setzte noch ein enttäuschtes Seufzen oben drauf, um mein Schauspiel glaubhafter zu machen.

Kelly gab mir einen „Du bist zu gut für diese Welt“-Blick und winkte schließlich ab.

„Das lasse ich nochmal durchgehen.“, sagte sie, „Aber nur wenn du versprichst dich auch zu amüsieren.“

„Versprochen. Danke, du bist die Beste!“, sagte ich.

„Ich weiß“

„Ach, und Kels?“, zog ich ihre Aufmerksamkeit ein letztes Mal auf mich bevor wir unserer Wege gingen, „Falls wir uns vor Montag nochmal sehen, kannst du bitte nichts von der Absage erwähnen und so tun als würden wir noch immer Verabredet sein?“

Pure Verwirrung trat in Kellys Blick als sie ihren Mund öffnete um mir endlos viele Fragen zu stellen, doch ich unterbrach sie bevor sie irgendetwas sagen konnte.

„Bitte, frag lieber nicht. Ich erzähl dir alles später, aber es gibt da so etwas was ich ausprobieren möchte. So etwas wie… ein soziales Experiment. Ja genau, ein Experiment! Und dafür ist es wichtig, dass du genau das machst was ich dir gerade gesagt habe.“

Kelly schien kurz darüber nachzudenken. Dies war nicht die erste komische Bitte meinerseits die sie in den 12 Jahren unserer Freundschaft erhalten hatte und so schien sie auch diese nicht besonders zu hinterfragen.

„Also einfach so tun als würden wir uns weiterhin sehen, aber nicht kommen? Man, auf die Erklärung bin ich ja mal gespannt“, sagte sie schließlich.

Ich hätte sie in diesem Moment am liebsten Umarmt. Gelobet sein die Freunde, die dir blind vertrauen können.

Nun konnten wir uns endlich verabschieden und ich konnte meinen Einkauf beenden. Die ganze Zeit über dachte ich an dieses Foto. Es sah so normal aus und genau das machte mir Angst. Hätte ich mich nicht verbrannt, hätte ich niemals irgendeinen Unterschied zwischen mir und der Frau auf dem Bild erkennen können.

Der Gedanke bereitete mir Gänsehaut.

An diesem Tag ging ich nicht mehr zur Arbeit. Ich vergaß sogar gänzlich mich abzumelden und als mir Mal eine Nachricht sendete, meldete ich mich für den Rest der Woche und die gesamte folgende Woche krank.

Mein Gehirn klammerte sich noch immer daran, dass es für diese ganze Sache eine Erklärung geben musste. Und ich wusste auch schon, wie ich dieser ein Stück näherkommen konnte.

Das Wochenende zog sich wie Kaugummi und trotzdem fühlte ich mich nicht bereit als Montag schließlich eintraf.

Ich hatte die ganzen Details noch im Supermarkt mit Kelly abgeklärt, jedenfalls das wann und wo, und so stand ich dann schließlich um 17:00 ein paar Meter entfernt von unserem Lieblingsitaliener in der Innenstadt. Ich hatte mich auf eine der Bänke gesetzt, die das Restaurant anvisierten, doch von einer Reihe an Zierpflanzen verdeckt wurde. Ich musste mich in ungemütliche Positionen drehen um durch die grünen Blätter zu spitzen.

Ich war eine Stunde zu früh gekommen. Zuhause hielt ich es nicht mehr aus. Ich fühlte mich von meinem eigenen Spiegelbild verfolgt und verpönt und außerdem wollte ich sicher gehen, dass ich auf jeden Fall früher hier wäre, als wer auch immer gleich auftauchen würde um sich mit meiner besten Freundin zu treffen.

Ich trug eine übergroße Jacke in der ich so sehr schwitzte wie schon lange nicht mehr und eine Sonnenbrille. In diesem Aufzug fühlte ich mich wie in einem Klischee Spionagefilm.

Der Gedanke daran ließ mich Lächeln, doch dieses Verschwand wieder, als ich eine schlanke Frau mit schulterlangen Haaren auf das Restaurant zugehen sah.

Sie trug eine übergroße, olivgrüne Jacke über schwarzen Shorts und eine Sonnenbrille im Gesicht, verdeckt von glatten blonden Haaren.

Sie trug meine Klamotten, meine Brille und ihre Haare lagen genau so wie meine. Ich sah sie jedoch nur von der Seite und so konnte ich meine Theorie nicht zu hundert Prozent bestätigen.

Am liebsten wäre ich aufgestanden um mir die Frau von vorne anzusehen, doch irgendetwas hielt mich fest. Es war, als hätte sich die Bank unter mir zu Eis verwandelt und ich wäre festgefroren. Die Kälte die sich durch meinen Körper bahnte passte ziemlich gut dazu.

Die Frau hätte sich nicht umdrehen müssen. Egal was meine Rationalität mir auch sagte, ich wusste bereits womit ich es zu tun hatte. Teilweise, jedenfalls, denn glauben wollte ich das ganze noch immer nicht.

Ich presste meine Augen zusammen um meine Gedanken für einen Moment ruhig zu halten. Ich musste mich konzentrieren.

Und in diesem Moment drehte sich die blonde Frau um. Nein… ICH drehte mich um. Denn jetzt wo ich ihr Gesicht sah, war ich mir sicher, dass sie mein absolutes Ebenbild verkörperte. Ich sah sie nur aus der Ferne, doch das genügte schon um mein mulmiges Gefühl, welches sich immer weiter ausgebreitet hatte seit die Frau aufgetaucht war, zu bestärken.

Die Fremde ließ ihren Blick durch die Gegend schweifen, wahrscheinlich auf der Suche nach Kelly und plötzlich trafen sich unsere Augen durch die grünen Blätter der Pflanze hinter der ich mich versteckte. Zwar trug sie eine Sonnenbrille und ich konnte ihre Augen nicht direkt sehen, doch an der Art wie mein Herz einen Schlag aussetzte wusste ich, dass sie mich entdeckt hatte. Dieser Moment, der eigentlich nur wenige Sekunden andauerte fühlte sich unendlich lang an. Es war, als würden die Augen der Fremden Löcher in mein Gesicht bohren. Als würde sie durch meine fleischliche Hülle hindurch direkt in meine Seele sehen. Doch dann drehte sie sich weg, einfach so, und sah zurück ins Innere des Restaurants. Schließlich warf sie einen Blick auf ihr Handgelenk. Sie trug keine Uhr, ich trug nämlich auch keine, und dann machte sie sich schnellen Schrittes auf in Richtung einer Seitenstraße, wo sie letztendlich auch verschwand.

Nun war es, als wäre die Kälte verschwunden und ich konnte mich wieder bewegen.

Ich musste ihr nach!

Wenn ich wissen wollte, was hier los war, dann war sie der Schlüssel zur Antwort.

Ich sprang auf, ignorierte meinen von der Verdrehung schmerzenden Nacken und rannte der Frau nach.

Ich rannte vorbei an komisch dreinblickenden Passanten und bog in die Seitenstraße ein, doch weit und breit war niemand zu sehen. Die lange Gasse war menschenleer, rechts und links nur alte Wohnhäuser die dicht an dicht keinen Platz für Verstecke ließen.

Verdammt, wo zum Teufel war sie hin?

Ich hatte mich auf jeden Fall nicht versehen. Das, auf dem Foto auf Kellys Handy, war nicht ich. Es war die Frau die so eben auf offener Straße verschwunden war.

Danach dachte ich noch sehr viel an diese Frau die genau so aussah wie ich. Wer war sie? Woher kam sie?

Im laufe der nächsten Wochen rief ich bei allen Freunden und Verwandten an, um zu erfahren, ob es weitere Interaktionen wie mit Kelly im Krankenhaus gegeben hatte. Es lief mir immer noch eiskalt den Rücken hinunter, wenn ich daran dachte, dass diese Fremde Zoe in den Armen gehalten hatte.

Einmal fragte ich sogar meine Mutter, ob ich einen Zwilling hatte, von dem ich nichts wusste. Natürlich hatte ich daran gedacht, denn obwohl mir mein Gefühl etwas anderes sagte, versuchte mein Kopf noch immer eine rationale Erklärung für alles zu finden. Das Gespräch mit meiner Mutter verlief wie eine Achterbahn. Zuerst war sie verwirrt und wollte wissen, wie ich auf so etwas käme. Ich überlegte mir eine schlechte Lüge, was dazu führte, dass meine Mutter erst wütend wurde, und dann anfing mich voller Sorge anzusehen.

„Ist wirklich alles okay bei dir?“, fragte sie mich, „Du bist so durch den Wind in letzter Zeit! Und jetzt kommst du mit so etwas um die Ecke? Ich mache mir Sorgen um dich.“

Ich versuchte ihr zu erklären, dass es nichts gäbe, worüber sie sich sorgen müsse. Ich schob die altbekannte „ich bin nur müde und überarbeitet“-Ausrede vor und beendete das Gespräch bevor meine Mutter sich auch nur verabschieden konnte. An der Art, wie sie auf meine Frage reagiert hatte, wusste ich, dass ein Zwilling ausgeschlossen war.

Damit verschwand auch meine letzte Hoffnung auf Frieden. Was zum Teufel sollte ich machen? Das hier war nicht normal. Die Frau sah mir nicht nur ähnlich, sie war mir 1 zu 1 aus dem Gesicht geschnitten und sie versuchte sich in mein Leben einzumischen.

Je mehr ich darüber nachdachte, desto plausibler waren die vergangenen Ereignisse. Ich hatte nicht vergessen, dass meine Mutter mir Muffins gebracht hatte. Die fremde Frau hatte sie angenommen und meine Mutter hatte nichts gemerkt. Genau so wenig wie Kelly im Krankenhaus.

Sie konnte ganz einfach meinen Platz einnehmen und so tun als wäre sie ich. Alles komplett unbemerkt.

Der Gedanke daran lies mich nicht mehr los. Wie oft hatte diese Frau schon mein Leben gelebt, ohne dass ich es bemerkt hatte? Und wie lange lief das ganze schon?

Verdammt, die Geschichte machte mich wirklich verrückt. Auf einmal sah ich sie – sah ich mich –  überall. Beim einkaufen sah ich mein Gesicht hinter einem Regal hervorgucken. Kurz darauf ließ ich eine Flasche Essig fallen, die auf dem Boden zerbrach und sowohl den Gang als auch meine Schuhe und Hose komplett mit der stinkenden Flüssigkeit tränkte.

Danach sah ich sie in so gut wie jedem Geschäft, an den Straßenecken an denen ich vorbeifuhr und manchmal sogar vor meinem Küchenfenster. Sie kauerte hinter einem Busch und dachte, ich würde sie nicht sehen. Aber ihr Kopf war da, mit meinen Augen, kerzengerade an der Seite des Busches. Wie unnatürlich sie sich verdreht haben musste, um mich von dieser Position aus zu beobachten.

Ja, sie beobachtete mich.

Sie verfolgte mich seit dem Moment, an dem ich sie das erste Mal gesehen hatte.

Irgendwann war ich mir nicht einmal mehr sicher, dass mein Spiegelbild mein eigenes war. Deshalb hängte ich sie ab. Alle Spiegel und alles was sich Spiegeln konnte hängte ich ab. Ich wollte mich nicht sehen. Woher sollte ich auch wissen, dass das wirklich ich war?

Und immer, wenn ich es schaffte sie zu entdecken, passierten schreckliche Dinge. Es fing harmlos an. Jetzt im Nachhinein glaube ich, dass auch der Essig-Unfall mit ihr zu tun hatte. Danach zerbrach ich noch viele Sachen. Teller und Gläser, kleine Figuren und mehr. Alles nicht so schlimm und definitiv ersetzbar.

Bis, kurz nachdem ich sie eines Abends an der Straßenecke auf dem Weg zum Waschsalon sah, die Bremsen meines Autos klemmten. Ich war kurz vor einer roten Ampel und hatte versucht, langsamer zu fahren um noch rechtzeitig halten zu können. Doch egal wie viel Kraft ich anwendete um das Pedal zu drücken, es funktionierte nicht. Es bewegte sich keinen Millimeter und das Auto wurde nicht langsamer. Ich stemmte mich dagegen, doch das Pedal blieb an Ort und Stelle.

Ich schrie als ich über die rote Ampel raste und von allen Seiten brach ein großes Hupkonzert aus. Ich hörte Bremsen quietschen und sah mich bereits im hohen Bogen durch die Frontscheibe schmettern, doch der Gegenverkehr geriet ins stocken und ich konnte gerade so einem von der Seite anfahrenden Audi ausweichen, dessen Fahrer mich wütend anschrie. Ich schaffte es über die Kreuzung und sobald ich wieder auf offener Straße war, funktionierten meine Bremsen auch wieder. Ich suchte nach der Fremden im Rückspiegel, doch sie war bereits verschwunden.

Ich bin nicht verrückt, ich weiß, dass sie etwas damit zu tun hatte.

Ich kann von Glück reden, damals nicht gestorben zu sein. Ich verlor lediglich meinen Führerschein für ein paar Monate und musste ein saftiges Bußgeld bezahlen. Schmerzhaft, aber noch zu verkraften.

Natürlich habe ich irgendwann versucht diese Frau zu finden und zu konfrontieren. Ich konnte ja nicht ewig damit leben, von ihr verfolgt und verflucht zu werden.

Doch jedes Mal, wenn ich ihr irgendwie näherkam, verschwand sie.

Das fiel mir auf, als ich am dritten Tag an dem ich sie in meinem Garten sehen konnte – und sich kurz darauf mein Fernseher ohne Grund von der Halterung an der Wand löste und in mehrere Einzelteile zersprang – genug hatte. Rasend vor Wut und Frustration rannte ich durch die Vordertüre hinaus in den Garten. Ich suchte den gesamten Rasen, jeden Busch, jeden Baum gründlich ab, bevor ich akzeptieren musste, dass sie weg war.

Und so lief es jedes Mal, wenn ich sie suchte. Wenn ich sie im Supermarkt hinter einem anderen Regal sah, brauchte es lediglich die paar Sekunden in denen ich darauf zu ging, damit sie wieder verschwinden konnte. Nicht nur einmal brachte ich meine Frustration verbal hervor und erntete dafür verstörte Blicke von anderen Einkäufern.

Schließlich gab ich es auf diesem Ding hinterher zu jagen. Es war schneller als ich.

Das Rollo in der Küche habe ich irgendwann dauerhaft geschlossen, damit ich sie nicht sehen muss, aber sie findet andere Wege, andere Fenster, durch die sie mich beobachten kann. Auch wenn ich die Wohnung mittlerweile komplett abgedunkelt habe, so spüre ich, wie sie mich anstarrt.

Einkaufen gehe ich nur noch selten und kaufe dann Lebensmittel, die sich lang halten, damit ich meinen nächsten Ausflug so weit wie möglich hinauszögern kann. Denn sobald ich einen Fuß nach draußen setze, sehe ich sie wieder. Und dann wird sie versuchen mich umzubringen. Ich weiß es.

Sie hat es bereits versucht. Die letzten Tage hat sie mir eine Stolperfalle nach der anderen beschafft. Wörtlich wie auch metaphorisch. Ich muss sie nicht einmal mehr sehen dafür.

Sie stellt die Möbel um, wenn ich schlafe, damit ich im Dunkeln darüber stolpere. Vielleicht soll ich mir das Genick brechen. Sie vertauscht auch meine Medikamente im Badezimmer. Jeden Tag liegen sie umgetauscht oder an einem ganz anderen Ort, damit ich die falschen nehme.

Ich weiß nicht einmal wie lange es her ist, seit ich meine Mutter, Kelly oder irgendjemanden sonst gesehen habe.

Niemand ruft an, niemand kommt vorbei und immer, wenn ich das Handy zum Ohr führe, ist die Verbindung weg. Aber es funktioniert, denn in letzter Zeit klingelt es alle paar Stunden. Auch wenn ich das Handy auf lautlos stelle, so klingelt es trotzdem. Doch wenn ich den Anruf annehme, höre ich das tuten des Freizeichens. Ich weiß, dass es das ganze inszeniert.

Nur die Mailbox geht noch. Komischerweise gehen alle eingehenden Anrufe direkt auf den Anrufbeantworter, aber überraschen tut mich das ganz und gar nicht. Es will nicht, dass ich mit anderen reden kann.

Und dadurch weiß ich auch, was es vorhat.

Denn während ich in diesen verschissenen Wänden vor mich hinvegetiere, lebt es mein Leben und niemandem fällt es auf.

Mal hat letzte Woche angerufen. Sie ist traurig über meine Kündigung und wünscht mir viel Glück für die Zukunft.

Ich hätte meinen Job nie gekündigt. Ich brauchte das Geld.

Vor ein paar Tagen hörte ich eine Nachricht von meiner Mutter ab. Sie sagte mir, wie sehr sie sich über das Geschenk gefreut hat, welches ich ihr zum Geburtstag vorbeigebracht habe. Natürlich war ich nicht dort. Selbst wenn ich mich daran erinnert hätte ihr zum Geburtstag zu gratulieren, ich hätte sie nicht einmal anrufen können.

Manchmal öffne ich die Vordertür, um zu sehen ob sie noch auf der anderen Straßenseite steht und hinter eine Laterne huscht sobald sich unsere Augen treffen. Jedes einzelne verdammte mal ist es, als würde ich in einen Spiegel starren.

Gerade als ich wieder die Tür schließe um ihr Gesicht aus meinem Gehirn zu vertreiben hallt ein lauter Knall, gefolgt von splitterndem Glas durch den Flur. Wäre ich nicht schon an herunterfallende Gegenstände gewöhnt, hätte ich mich zu Tode erschrocken.

Ich drehe mich um und sehe, dass der körperlange Spiegel gegenüber der Garderobe auf dem Boden liegt. Das Bettlaken, mit dem ich versucht habe ihn zu bedecken, liegt halb unter, halb über den großen Splittern der spiegelnden Oberfläche. Ich seufze.

7 Jahre Pech.

Ich knipse das Licht an, um mich im Dunkeln nicht auch noch an einer der Scherben zu schneiden.

Das ich hier ausblute könnte ihr wohl so passen!

Ich wickele das Bettlaken um meine Finger und nehme die erste große Scheibe in die Hände. Ohne es zu wollen sehe ich hinein. Ich sehe schrecklich aus. Seit Tagen habe ich nicht geduscht und meine sonst so schönen Haare fallen mir strähnig ins aufgedunsene Gesicht. Meine Augen zeigen den Schmerz der letzten Tage, die schlaflosen Nächte.

So traurig sehen sie mich an, dass ich mich fast nicht mehr wiedererkenne.

Und als die Frau im Spiegel den Kopf zur Seite dreht, und sich ihr Mund zu einem hungrigen Grinsen verzerrt, würde ich am liebsten sterben.

Autor: Grabesstille (Podcast)

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