Kreislauf – Der Anfang im Ende
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Du fällst.
Das ist alles was du spürst. Wie die Schwerkraft an dir zerrt,
dich mit sich hinabreißt, immer tiefer hinab in einen scheinbar nicht enden wollenden Abgrund. Dein Magen dreht sich dir um, du
möchtest schreien, doch kein Ton dringt über deine Lippen. Stumm fällst du immer
weiter, kopfüber hinab. Beißender Wind schneidet dir in dein Gesicht, auf deine
nackten Arme, er lässt deine Kleidung ohrenbetäubend flattern.
Du fällst immer weiter, fragst dich, wie lange du dich bereits
in diesem Zustand befindest und ob er jemals endet. Wie bist du hier überhaupt hergelangt
und wo ist „hier“? Du weißt es nicht, fällst nur immer weiter.
Dann der Aufprall.
Plötzlich schlägst du auf eine unnachgiebige Oberfläche auf,
möchtest schreien vor Schmerz, weil dein Kopf, gefolgt von deinen Schultern und
dann deinem restlichen Körper zerschmettert werden. Doch auch das kannst du nicht,
denn da ist plötzlich nur Eiseskälte und das seltsame Gefühl, doch nicht so
hart aufgeschlagen zu sein, wie du bis eben noch dachtest.
Auf einmal fühlst du dich schwere- und orientierungslos.
Deine Kleidung klebt eng an dir, instinktiv hältst du die Luft an, was dir
vermutlich das Leben rettet.
Wo ist oben, wo ist unten? Du weißt es nicht. Panisch ruckt dein
Kopf in unterschiedliche Richtungen, doch du siehst nur schlierige Schwärze,
keinen Anhaltspunkt. Du willst deinen Körper dazu zwingen sich in Bewegung zu
setzen, doch deine Arme reagieren nicht, der Schmerz des Aufschlags lähmt dich
noch immer.
So treibst du regungslos immer weiter hinab in die
Finsternis, während deine Lungen zu brennen beginnen. Sie schreien nach
Sauerstoff, den du ihnen nicht gewähren kannst. Du weißt, wenn du den Mund
jetzt öffnest, dringt sie hinein, die schwarze Masse, die dich umgibt und sie
wird dich mit ihrer geballten Macht ersticken, wird dich auslöschen.
Du. Darfst. Nicht. Luftholen!
Es kommt wie es kommen musste, dein Körper hält dem Druck
nicht mehr stand, er verlangt nach der Quelle, die ihn unter anderem am Leben
hält. Du reißt den Mund auf, deine Lungen ziehen sich zusammen, gewähren der
Schwärze die dich umgibt Einlass.
Erst erstickt sie deine Schmerzen, dann deine Sinne, solange
bis die Finsternis dich allumfänglich umgibt. Leblos treibst du daher, es ist
vorbei…
Plötzlich packt dich etwas. Du kannst nicht bestimmen woher
es kommt, kannst nicht einmal sagen, worum es sich dabei handelt, doch du spürst
wie du bewegt wirst, wie du auftreibst. Wenn auch nur schwach, schemenhaft, am Rande
deines noch intakten Bewusstseins. Schlierig zieht die Schwärze an dir vorbei,
bis sie auf einmal durchbrochen wird.
Als erstes reißt du die Augen auf, doch du siehst nichts,
nimmst nichts wahr. Dein Körper vermittelt dir die ersten richtigen,
neuerlichen Gefühle. Etwas hat dich fest an den Schultern gepackt und zerrt dich
über einen rauen Boden. Dann kehren die Schmerzen zurück, gerade in dem Moment,
in dem man dich loslässt.
Die Pein veranlasst dich erneut dazu, zu schreien. Dieses
Mal kannst du es, statt jedoch einen Ton hervorzubringen, ergießt sich nur eine
ganze Ladung schwarzer Flüssigkeit aus deinen Lungen, die du husten und prustend
hervorwürgst, während du dich unter höllischen Qualen windest. Beinahe wünschst
du dir, nicht gerettet worden zu sein.
Irgendwann beruhigst du dich, dein Hals brennt wie Feuer,
deine Lungen gieren immer noch hektisch nach Luft, dein Herz rast, aber es geht
halbwegs. Selbst die Schmerzen lassen ein wenig nach.
Erschöpft lässt du dich zurückfallen, endlich kehrt auch
dein Sehsinn wieder.
Über dir hängt ein bleierner, schwerer, grau-schwarzer
Himmel. Es ist dunkel, nicht Nacht, aber auch weit von hellem Tageslicht entfernt.
Es scheint beinahe so, als würde der Himmel selbst, jegliches Licht aus der
Umgebung ziehen und sie so im dunstigen Grau zurücklassen.
Eine Weile lang starrst du regungslos zu dieser grauen Masse
hinauf, sie deprimiert dich, erdrückt dich, doch du kannst den Blick einfach
nicht abwenden. Deine Atmung hat sich mittlerweile reguliert, obgleich deine
Lungen immer noch brennen. Der harte, raue Untergrund auf dem du liegst, sollte
dich eigentlich dazu veranlassen dich erheben zu wollen, doch einfach nur hier
zu verharren, scheint dir im Moment leichter. Du glaubst nicht die Kraft zum
Aufstehen zu haben.
Um den Kopf zu drehen, dafür reicht es jedoch. Er ruckt nach
rechts, wodurch du erstmalig einen Blick auf deinen Retter erhaschen kannst. Viel
erkennen kannst du jedoch nicht.
Die fremde Gestalt steht einfach nur da, starrt in die
Richtung, in die in diesem Moment deine Füße zeigen, vermutlich auf das Wasser,
aus dem er oder sie dich gerettet hat. So sehr du dich auch bemühst, du kannst
das Gesicht der Person nicht ausmachen. Es liegt in einer Art Nebel, den deine
Augen partout nicht durchdringen wollen.
So liegst du also da, starrst eine gefühlte Ewigkeit zu dem
Fremden hinauf. Irgendwo in deinem Innern empfindest du das Bedürfnis dich zu
bedanken, doch mehr aus Pflichtgefühl, denn aus wirklicher Dankbarkeit. Du
weißt nicht warum, doch du befürchtest nicht wirklich gerettet worden zu sein,
meinst, dass der Tod eine Gnade gewesen wäre. Bald schon sollst du erfahren,
woher dieses Gefühl rührt…
Irgendwann – du kannst nicht sagen, wie lange du schon so da
liegst. Minuten? Stunden? Vielleicht Tage? – dreht die fremde Gestalt sich
einfach um. Sie würdigt dich keines Blickes, zieht einfach in entgegengesetzte
Richtung von dannen, entschwindet in die graue Dunkelheit, weit weg von diesem
trostlosen Ort.
Du willst aufspringen, willst ihr hinterherrennen, doch dein
Körper gehorcht dir noch immer nicht. Er ist zu lethargisch, zu erschöpft, zu
wund und überhaupt, was sollte es bringen? Einfach nur hier zu liegen, war doch
so viel einfacher, oder nicht?
Du sinnierst darüber, während einsam die Brandung unter
deinen Füßen gegen den Fels schlägt, auf dem du liegst. Irgendwann wirst du dir
deiner immer noch nassen Kleidung gewahr, weil ein rauer Wind aufzieht, welcher
dich frösteln lässt. Wenn du dich nicht bald in Bewegung setzt, erfrierst du
noch. Obgleich dir das kaum als vollwertiges Argument erscheint, sich unbedingt
aufrichten zu müssen, die Last auf dich zu nehmen, tust du es. Nicht aus einem
bestimmten Grund heraus, sondern weil du dich von einer inneren Stimme leiten
lässt, die es von dir verlangt. Auf diese Stimme zu hören, war einfacher, als
sich gegen sie zu wehren. Sich gegen sie zu wehren, würde eine deutlich höhere
Kraftanstrengung nach sich ziehen, die zu leisten, du definitiv nicht bereit
bist.
Kaum dass du dich jedoch schleppend zur Seite drehst, um deinen
müden Körper hochzuhieven, spürst du wieder die Schmerzen, die dich noch immer
plagen. Kaum hochgestemmt, brichst du auch schon wieder zusammen. Zu dem feinen
Film Wasser, welcher immer noch an deiner Haut klebt, gesellt sich dir
ausbrechender Schweiß. Dir ist eisig kalt und glühend heiß zugleich, du fühlst
dich wie im Fieberwahn.
Am liebsten würdest du dich wieder in deine Ursprungssituation
zurückbegeben, doch die Stimme ist erbarmungslos. Sie fordert dich auf weiter
zu machen, nicht anzuhalten, so schwer es auch fällt. Du leistest Folge, obgleich
du sie verfluchst, ja, aus den tiefsten deiner Seele bereits zu hassen beginnst.
Irgendwie schaffst du es schließlich, deinen zitternden,
bebenden Leib aufzurichten, aufzustehen und nicht gleich wieder zusammenzubrechen.
Du atmest tief ein und fühlst dich tatsächlich ein bisschen besser. Die Luft
ist gut, auch wenn das Atmen immer noch leicht brennt.
Gleichwohl fühlst du dich jedoch seltsam leer, als würde dir
ein notwendiger Kraftstoff fehlen, der dich antreibt, der dich befeuert, um den
Strapazen, die vor dir liegen, trotzen zu können. Und sie lagen da, oh ja und
wie sie das taten! Du kannst nicht sagen, woher du das weißt, doch so ist es.
Es gibt immer Strapazen, immer Hindernisse, immer Schwierigkeiten, nie war es
leicht, nie problemlos schaffbar, so hatte Gott oder wer auch immer, das Leben
schlichtweg nicht konzipiert.
Du blickst hinaus auf das Meer aus Schwärze, dass dich
beinahe verschlungen hat. Ruhig geht es dahin, schwappt in regelmäßigen
Abständen zu dir heran, ohne dich zu erreichen. Du lässt dich nicht täuschen,
auch wenn es friedlich wirkt, spürst du die Gefahr, die von der See ausgeht.
Sie giert nach dir, lauert auf dich, um dich erneut hinab zu reißen in ihre
unendlichen Tiefen. Vorsichtshalber machst du ein paar Schritte rückwärst und
fühlst dich gleich ein bisschen wohler, dann drehst du dich um und der Moment des
Wohlfühlens geht auch schon wieder dahin.
Hinter dir befindet sich… nichts.
Du stehst auf einem grauen Felsen, der umringt wird von
grauem Sand, welcher sich ewig in die Ferne zu erstrecken scheint. Egal wo du
auch hinblickst, nichts als Sand. Kein einziger Wegweiser, kein Anhaltspunkt,
kein Baum, kein Haus, kein Schild, nicht einmal ein Grasbüschel, einfach nichts.
Der einzige Fixpunkt dieser schier endlosen Weiten, stellt das Meer hinter dir
dar.
Instinktiv weißt du, wenn du jetzt geradeaus losmarschierst,
hinein in die Wüste, welche sich vor dir erstreckt, wirst du den Weg nie zurückfinden.
Du wirst dich verirren und elendig verrecken. Mit Eiseskälte erreicht dich das
Bewusstsein, dass dir nur eine Möglichkeit bleibt.
Erneut drehst du dich um, schaust auf das Meer, schaust nach
links, schaust nach rechts und stellst fest, dass es ich zu beiden Seiten
gleichlang erstreckt, ohne eine maßgebliche Richtungsänderung zu machen. Du
wendest dich wieder nach links, springst von deinem sicheren Felsen herab und
läufst in der Hoffnung irgendwann einen anderen Ort zu erreichen einfach los.
Was bleibt dir auch anderes übrig?
_____
Einige Stunden später – zumindest nimmst du an, dass bereits
Stunden vergangen sein müssen, sicher kannst du dir jedoch nicht sein –, drehst
du dich erstmalig um. Den Felsen hast du lange hinter dir gelassen, du siehst
ihn nicht länger. Da ist nur Sand und Wasser, genauso wie vor dir. Du setzt deinen
Weg fort.
Die Frage, wo du dich hier befindest und wie du hier
hergekommen bist, stellst du dir erst gar nicht, weil du befürchtest bei zu
langem Nachdenken darüber, den Verstand zu verlieren. Dies ist nicht die Realität,
wie du sie kennst. Deine Welt ist nicht grau – im metaphorischen Sinn vielleicht,
aber nicht in Wirklichkeit –, deine Welt besteht nicht nur aus Wüste, Strand
und Meer. Sie ist facettenreich, farbenfroh, grausam und kalt. Aber das hier?
Das ist einfach nur Irrsinn, trist, trostlos, grau… leer.
Die einzigen Geräusche die du vernimmst, sind die See, die
in ihrem steten Rhythmus an den Strand schwappt, so wie deine Schuhe, welche
sich knirschend durch den Sand bewegen und eklige, feuchte Geräusche von sich
geben, weil sie hoffnungslos durchgeweicht sind. Kurzzeitig hast du überlegt
sie abzulegen, doch jedoch dagegen entschieden. Wer wusste schon, ob du sie
noch brauchen würdest.
Seltsamerweise verspürst du trotz deiner langen Reise keinen
Hunger und auch keinen Durst. Da ist ein Verlangen, keine Frage, doch dieses
ist tiefer, abgründiger. Du sehnst dich nach deinem Treibstoff, ohne genau
bestimmen zu können, worum es sich dabei handelt. An etwas anderes kannst du
kaum denken, da dein zittriger, schweißdurchtränkter Körper dich immer wieder daran
erinnert. Du stinkst unangenehm, ignorierst diesen Umstand jedoch
geflissentlich. War ja nicht so, dass es neben dir hier irgendjemanden geben
würde, der sich daran hätte stören können.
Nach einigen weiteren hundert Metern – sicher bist du dir
bei dieser Schätzung zwar nicht, aber was machte das schon? – bleibst du abrupt
stehen. Etwas stimmt nicht…
Du blickst nach rechts, zu der schwarzen See, die anders als
noch vor wenigen Sekunden auf einmal nicht mehr ruhig dahintreibt, sondern ganz
im Gegenteil, zu tosen beginnt.
Für einen Unbeteiligten, der erst wenige Minuten hier verbracht
hat, wäre der Unterschied vermutlich kaum merklich gewesen, doch du, der du
bereits mehrere Stunden – oder Tage? Wochen? – hier verbracht hast, siehst ihn
sofort.
Die Oberfläche wirkt auf einmal rauer, unruhiger, brodelnd,
als würde sie sich auf etwas vorbereiten… auf einen Angriff, wie du auf einmal
erschrocken feststellst.
So schnell wie es dann geschieht, kannst du kaum reagieren. Plötzlich
wird das Wasser spiegelglatt, stoppt jegliche Bewegung und zieht sich dann
binnen weniger Sekunden zurück, soweit, dass du es kaum noch sehen kannst. Doch
du weißt, dieser Zustand wird nicht lange anhalten und du sollst rechtbehalten.
Schon einen Wimpernschlag später, den du immer noch damit
verschwendest still stehen zu bleiben und den dümmlich dreinblickenden
Beobachter zu spielen, kommen die Wassermassen zurück. Wellenartig, gewaltig,
aufbrausend, alles auf ihrem Weg verschlingend. Sie werden nicht kurz vor dir
anhalten, nicht wenige Meter vor dir zusammenbrechen, sie werden dich überrollen,
verschlingen und mit sich reißen.
Endlich schaltest du. Du ignorierst deine Schmerzen, deinen
zitternden Leib, deine Schwäche, deine Antriebslosigkeit. Alles was jetzt noch
zählt ist wegzukommen, von dieser unkontrollierbaren Regung des schwarzen
Meeres.
Du drehst dich nach links, rennst los und kommst gerade einmal
drei Schritte weit, ehe dein Fuß in dem weichen Sand unter dir einsackt und
dich stolpern lässt. Sanft fängt Selbiger dich auf, doch waren potenzielle
Schmerzen des Sturzes das Letzte, was dich gerade interessieren. Ehe du dich
aufrappeln kannst, ergießt sie sich auch schon über dich, die erste Welle.
Krachend geht sie auf dich nieder, mit einer Gewalt, als
würde ein Vorschlaghammer in deinen Rücken und auf deine Glieder geprügelt. Es treibt
dir die Luft aus den Lungen, lässt dich erstarren vor Kälte und was am schlimmsten
ist: Während die schwarze Flüssigkeit sich zurückzieht, reißt sie dich mit.
Mit Händen und Füßen wärst du dich, krallst dich in den Sand
fest, welcher sofort bröckelnd gelockert wird, so dass er dir keinen Halt
bietet. Glücklicherweise ist das Wasser schneller als du, weswegen es
irgendwann von dir lässt. Viel Zeit zum Erholen hast du jedoch nicht. Schon
rappelst du dich wieder auf – schaffst es dieses Mal auch – und rennst erneut
los. Du hast gerade erst die verlorene Strecke wettgemacht, da bricht auch
schon die nächste Welle drohend über dir heran, du spürst ihren Schatten über
dir hängen, noch bevor sie über dir zusammenbricht und dich in die Knie gehen
lässt. Die Schmerzen sind kaum zu ertragen.
Erneut krallst du dich im Sand fest. Die Welle schwindet,
ohne dich fortzunehmen. Dieses Mal… die nächste wird nicht so gnädig sein,
dessen bist du dir sicher. Du musst hier weg, weiter, immer weiter, bevor das
tosende Meer dich zerreißt.
Doch du kannst nicht mehr, deine Kräfte sind aufgebraucht.
Du zitterst nicht länger, du schüttelst dich regelrecht. Neben dem Wasser läuft
der Schweiß dir schon wieder in Strömen herab. Hättest du einen Spiegel vor
dir, du hättest dich totenbleich wie du dich fühlst, vermutlich kaum wiedererkannt.
Und dennoch… die Stimme in dir verlangt mit fordernder,
ruhiger Stimme, dass du weitergehen musst, dass du dich dagegenstemmen musst.
Du tust, was man von dir verlangt, obwohl du nicht mehr willst, obwohl du dich
lieber ergeben willst. Obwohl du dich selbst, lieber aufgeben willst…
Da du nicht glaubst, noch einmal aufstehen zu können, gehst
du einfach auf Knien weiter. Schleppst deinen halbtoten Körper immer weiter.
Eine Hand vor die andere, die Knie nachziehend, bewegst du dich nur quälend
langsam voran, während eine Welle nach der anderen auf dich niedergeht, dich
immer weiter zu Boden drückt, dich immer wieder zurückreißt.
Doch du gibst nicht auf, weil du zu schwach bist, dich gegen
die Stimme zu wehren, weil sie die Leitung übernommen hat.
Dann kommt er, der Moment, der dir einen Ausweg offenbart. Einen
Ausweg, aus dieser vertrackten, kräfteraubenden, unmöglich zu überlebenden
Situation, in der man nur immer und immer wieder auf dich einschlägt, in der
Eindrücke auf dich niedergehen, die dich schlicht unter sich begraben, in der
die Qualen kaum mehr auszuhalten sind.
Doch auch dieser Weg verlangt Schmerzen. Gleißend hell geht
er dir durch die Hand, welche sich gerade erst wieder in den Sand gearbeitet
hat. Erschrocken reißt du sie hoch und förderst noch etwas anderes zu Tage.
Etwas, dass sich in deine Haut gebohrt hat und nun dort feststeckt. Etwas, dass
leise zu dir flüstert, während es faszinierend funkelt. Verlockend ist es.
Gleichwohl aber auch so unendlich gefährlich, so zerstörerisch. Das weißt du
nur zu genau.
Du richtest dich auf, um die andere Hand frei zu haben, um
die Nadel, die sich dir in die Hand gebohrt hat, entfernen zu können. Eigentlich
hast du dazu keine Zeit, doch irgendwie spürst du, dass du sie dir trotzdem
nehmen kannst, dass sie sich just in diesem Augenblick verbiegt, ganz so, wie
du es benötigst.
Du starrst die Nadel an, welche mit einer dünnen Spritze verbunden
ist. Alles wird sich deinem Willen fügen, wenn du diesen Weg weiter bestreitest,
dann brauchst du dich nicht mehr zu fürchten, brauchst nicht mehr wegzulaufen, nicht
deinen Qualen erliegen.
Dein Blick huscht nach oben, weiter in die Ferne. Einmal
darauf aufmerksam geworden, siehst du hunderte, funkelnder Nadeln aus dem Sand
hervorstechen. Es wird wehtun, sich an ihnen entlang zu hangeln, doch anders als
der weiche Sand, werden sie nicht nachgeben. Wie Rettungsanker, wirst du dich
an sie klammern können, wirst dich vergleichsweise spielend leicht aus dieser
vertrackten Situation arbeiten können.
Die Wirkung der ersten Nadel lässt nach, du hörst sie
bereits wieder heranrauschen, die tosende See, gewaltiger nun, bedrohlicher.
Sie brüllt und schreit und kreischt, macht sich bereit, sich an dir zu laben, dich
zu zermalmen, dir jeden Knochen zu brechen, doch durchzukauen und verkrüppelt
und verstümmelt wieder auszuspucken. Glaubst du, sie wird dir danach Ruhe gönnen?
Oh nein, das wird erst der Anfang sein! Es wird immer so weiter gehen, immer wieder
wird sie dich zu fassen bekommen, dir gerade genug Zeit geben, dich halbwegs zu
erholen und dann erneut hervorbrechen.
Dein Blick stählt sich. Achtlos wirfst du die Nadel weg und
lässt dich nach vorne fallen. Zwei neuerliche Spritzen werden durch deine Hände
gejagt, du zischst leise, es ist ok, es ist erträglich.
Erneut beginnst du dich vorzuarbeiten, vor zu schleppen. Mit
jedem Stich wächst deine Widerstandskraft gegenüber der See. Sie hämmert immer
noch auf dich ein, doch du spürst es kaum noch. Sie zerrt nicht mehr an dir,
sondern klopft nur dumpf an den Rand deines Bewusstseins.
Mit jedem Schritt spürst du auch die Stiche weniger und das
obwohl immer mehr Nadeln sich in deinen Körper bohren. Viele bleiben einfach
hängen, an deinen Händen, Armen, Beinen und Füßen. Sie dringen mühelos durch Kleidung
und Schuhe. Nicht wenige brechen auf deinem Weg ab, wodurch einzelne
Metallsplitter in deiner Haut verharren, weiter hineingetrieben werden, durch
deinen Körper wandern. Du merkst es kaum. Der Kraftstoff betäubt alles.
Irgendwann brichst du zusammen. Erneut umschließt Schwärze dich,
dieses Mal jedoch, ist es eine gute Finsternis, eine die du willkommen heißt,
die dich sanft in ihre Arme nimmt und davonträgt, hinaus aus dieser kalten,
grausamen Welt, hinein in ein farbenfrohes Reich, in dem kein Leid regiert,
sondern nur Zufriedenheit.
_____
Du erwachst schlagartig, reißt die Augen auf, ohne sie
wirklich zu öffnen. Stellst fest, dass du sie nie geschlossen hattest. Dennoch
hast du nichts gesehen, nicht aktiv zumindest. Jetzt, da dein Bewusstsein wieder
an die Oberfläche gedrungen ist, merkst du erstmalig nach… wie viel Zeit ist
vergangen? Du weißt es immer noch nicht, jetzt noch weniger als zuvor.
Du bewegst dich, läufst stoisch über den Strand. Rechts von
dir das Meer, links von dir die Wüste. Wann bist du aufgestanden? Wann hat die
schwarze See aufgehört, dich zu malträtieren? So sehr du deinen Verstand auch
um eine Antwort bemühst, er will sie einfach nicht hervorbringen. Da ist nur
Leere oder besser: Vergessen. Ein dunstiger Nebel hat all das ausgelöscht, was
du nicht hast sehen und spüren wollen, jetzt, da du aus diesem Zustand erwacht
bist, fragst du dich, ob du das wirklich gewollt hast, doch es fällt dir
schwer, darauf eine klare Antwort zu finden. Das Denken selbst fällt dir
schwer, du fühlst dich Instinkt geleitet, wie ein Tier, auf der Suche nach
Beute, um nicht zu verhungern. Alles andere, spielt keine Rolle.
Am Rande deiner Aufmerksamkeit geschieht etwas, dass dich
zur Seite sehen lässt. Zum Meer, oder genauer gesagt, an eine Stelle, weit
darüber. Etwas hängt dort, mitten in der Luft, mitten in dem bleiernen, grau-schwarzem
Himmel, etwas, was dort nicht hingehört. Bei näherer Betrachtung fällt dir auf,
dass dieses Objekt überhaupt nicht hängt, es bewegt sich. Quälend langsam zwar,
doch unwidersprechlich, stürzt es hinab.
Ein Gefühl der Vertrautheit macht sich in dir breit, du
kannst nicht sagen, woher es rührt. Wieder meldet sich dein Instinkt: Du musst
weiter, du wirst erwartet.
Du widersprichst nicht, setzt dich einfach wieder in Bewegung,
während die See ungerührt von dem, was um sie herum geschieht, ruhig neben dir
ihre Schwärze an den Strand spült.
_____
Irgendwann erreichst du ihn schließlich, deinen
Bestimmungsort. Und keine Sekunde zu spät. Das Objekt ist bereits gefährlich
nahe an die Oberfläche des Meeres geraten. Jeden Moment würde es hineinstürzen
und dann… tja, was dann?
Es beobachtend stehst du auf einem Felsen, der erneut ein Gefühl
der Vertrautheit in dir wachgerufen hat. Aus keinem bestimmten Grund hebst du
eine Hand, betrachtest sie und erkennst sie als die deine. Doch dann, für den Bruchteil
einer Sekunde, scheint sie dir auf einmal fremd. Fremd und doch gleichzeitig…
vertraut… schon wieder?
Bruder.
Ein einziges Wort, dass sich rasend seinen Weg durch deinen
Verstand bohrt. Schlagartig wird dir alles klar. Es fällt dir wieder ein, woher
du das fallende Objekt kennst, woher du den Felsen kennst und wichtiger als das:
Was du zu tun hast.
Du musst tun, was er so viele Male zu vor für dich getan
hat. Dein Bruder hat dich wieder und wieder und immer wieder gerettet, dich aus
der Scheiße gezogen, dich verteidigt, dir glauben gemacht, dass du es schaffen
kannst, selbst dann, wenn du wieder einmal deiner Schwäche erlegen bist.
Jetzt ist es an dir. Er ist nicht hier, um dich zu retten,
also musst du dir selbst helfen. Du ballst die Hand zur Faust, ehe du dich zeitgleich
mit dem fallenden Körper, in das Meer stürzt.
Du siehst nur Schwärze, weißt nicht wo du bist und bist dir
doch sicher, dass du nur weiter voranstreben musst, dass du nur schwimmen musst,
immer weiter und weiter, bis du dich selbst erreicht hast. Schemenhaft erkennst
du immer wieder deine eigenen, rudernden Arme vor dir, die sich kämpferisch
ihren Weg durch das eiskalte Wasser bahnen, welches dir die Glieder taub werden
lässt. Immer wieder hast du den Eindruck, nicht deine eigenen, sondern die Arme
und Hände deines Bruders zu sehen. Er gibt dir die Kraft, die du brauchst, um nicht
auf halber Strecke zu versagen.
Schließlich erreichst du den Körper, erreichst deinen Körper. Du packst ihn, zerrst ihn mit dir, schwimmst mit ihm zurück zu dem Felsen, von dem du instinktiv weißt, wo er sich befindet. Wie ein Rettungsseil, steht er griffbereit immer genau an dieser Stelle. Alles was du tun musst, ist die Hand nach ihm auszustrecken.
Du streckst sie aus, du erreichst ihn, du rettest dich
selbst. Schleifst dich auf den Felsen, auf dem du dich krümmend und windend von
der Pechschwärze des Lebens befreist, die dich immer wieder zu ersticken droht,
die dir ein ums andere Mal, zu viel geworden ist, dich zu den Verlockungen eines
einfacheren Weges getrieben hat.
Du starrst auf sie hinaus, während du gleichzeitig zum Himmel
schaust.
Du erkennst es nun. Die See ist so viel mehr als nur das
Leben, dass dich deiner Meinung nach quält. Sie ist gleichzeitig auch ein Teil
von dir, deine Gefühle, deine Gedanken, die dich immer wieder überwältigen,
kaum Platz zum Atmen lassen.
Es ist stark, dass Meer, doch nicht unbezwingbar. Du hast
sie gesehen, die Seelenwüste, die sich so unendlich weit ausgebreitet hat. Sie hat
das Wasser austrocknen lassen. Vergleichsweise zu deinem früheren Selbst, ist
das, was du hier vor dir siehst, ein Tümpel. Kaum mehr der Rede wert. Wenn sich
nichts ändert, wird es bald schon gänzlich verschwunden sein und dann? Woran
wirst du dich dann orientieren?
Nirgendwo ran, erkennst du verbittert. Du wirst dich in dir
selbst verirren. Alles was dir dann noch bleibt, sind die spitzen Nadeln, die
überall verlockend aus dem Wüstensand heraus funkeln.
Doch dies ist nicht mehr dein Problem. Ebenso wenig dass,
deines Bruders, der dich gegen seinen Willen bereits aufgegeben hat. Er hat dich
einmal zu oft gerettet, jetzt ist er selbst mit seinen Kräften am Ende, kann nicht
länger, muss sich erholen. Es liegt an dir, oder besser gesagt, an deinem Ich,
welches dir gerade zu Füßen liegt und dumm Löcher in den grauen Himmel starrt.
Es liegt an ihm, den Kreislauf zu durchbrechen, den Weg entlangzuschreiten,
den du bereits hinter dich gebracht hast und einen Ausweg zu finden, welcher
nicht in Betäubung endet. Denn Betäubung bringt nur Vergessen mit sich und wenn
du erst einmal alles vergessen hast, dann regt sich kein Lüftchen mehr in deiner
Seele und erst recht keine See. Dann wird der Wüstensand dich restlos austrocknen
und nichts als eine verdorrte Leiche übriglassen.
Du wendest dich von der See ab. Es wird Zeit.
Dein Weg endet hier. Du wanderst hinaus in die endlose, leere,
graue Wüste.
Dein Weg beginnt gerade erst von Neuem. Unter Qualen und
Schweißausbrüchen erhebst du dich, um dem Meer zu folgen und den Kreislauf
erneut zu bestreiten.