LangeTheorieTod

Mein perfekter Moment

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

„Ich hatte ein gutes Leben.“

Zitat von: niemandem, jemals – ohne sich selbst zu belügen.

Das Leben besteht aus Fragmenten, wie ein Puzzle, wobei die Teile klar aufgesplittet sind in glückliche und weniger glückliche, um nicht zu sagen, leidvolle, tragische, düstere, alles Licht verschluckende, die jeden schönen Augenblick, der ihnen vorangegangen ist mit einem allmächtigen Schatten zu überdecken vermögen und deren tiefschwarze Wolken sich nie gänzlich auflösen. Selbst wenn sich eines Tages wieder ein einsamer Sonnenstrahl durch sie hindurchstiehlt, bleiben sie ewig in dem vollständigen Bild hängen, dass im Detail betrachtet farbenfroh, blumig und schön wirken kann, aus der Ferne jedoch immer an die dunklen Stunden erinnern wird.

Jemand sagte einmal, das Leben bestünde aus Leid und nichts als Leid. Selbst jedes Glück trüge Leid in sich, weil wir wüssten, dass es unweigerlich eines Tages endet. Nehmen wir einmal an, dass wäre ausgemachter Schwachsinn, dann bleibt immer noch die Frage, wie viel Glück ein Menschenleben tatsächlich mit sich bringt. Einfache Mathematik, oder?

Vorweg sei gesagt, dass ich hier keine Altersdiskriminierung betreibe, was bedeutet, dass ich weder Neugeborene, die sich über ihr Glücklichsein oder Nicht-Glücklichsein nicht bewusst sind, noch einen altersdementen Siebzigjährigen, der jeden glücklichen Moment seines Lebens vergessen hat, ausklammere.

Siebzig ist allerdings ein passabler Richtwert. Gehen wir also von einem Menschen aus, der siebzig Jahre auf unserem blauen Planeten verbracht und dann das Zeitliche gesegnet hat.

Siebzig Jahre, das sind umgerechnet 25.550 Tage oder 613.200 Stunden.

Nehmen wir weiterhin an, der Mensch schläft am Tag durchschnittlich acht Stunden, das sind schon 204.400, in denen die Person nicht glücklich war – schöne Träume, die glückliche Erinnerungen verarbeiten, werden hier nicht gewertet; fairerweise dafür auch keine Albträume. Übrig bleiben also noch 408.800 Stunden – zweidrittel der Lebenszeit.

Die Schulbildung beginnt für gewöhnlich mit dem sechsten Lebensjahr und das offizielle Renteneintrittsalter liegt aktuell bei fünfundsechzig. Betrachten wir den günstigen Fall, dass unser Proband von Beginn seiner Bildung an, bis zum Ende seines Arbeitslebens nie arbeitslos war, dass macht neunundfünfzig Jahre Schule, Ausbildung oder Abitur, eventuell Studium oder sonstige Weiterbildung und schließlich Arbeit.

Nehmen wir auch hierfür im Schnitt acht Stunden täglich an, wobei die Wochenenden (hundertvier Tage bei ausschließlich zweiundfünfzig Kalenderwochen), Feiertage (Pauschalwert: sieben Tage, weil immer wieder welche auf Wochenenden fallen), Ferien (fünfundsechzig Tage für dreizehn Jahre), Semesterferien (noch mal fünfundsechzig Tage für drei bis vier Jahre – sagen wir vier) und Urlaub (sind wir nett und geben dreißig Tage für zweiundvierzig Jahre) nicht betrachtet werden, das macht 100.968 Stunden die für Schule, Studium und Arbeit draufgehen.

Jetzt kann man mit Fug und Recht argumentieren, dass Schule, Studium und Arbeit nicht gleichbedeutend sind mit Unglück. Andererseits, wer kann schon von sich behaupten zu jeder Stunde dieser Zeiten pures Glück zu erleben? Der Großteil dürfte sich um einen grauen Einheitsbrei bewegen, der mal mehr mal weniger erträglich ist. Sicher, im Idealfall macht der Beruf Spaß, erfüllt einen, stellt zufrieden, aber selbst diese Empfindungen können nie über die Tatsache hinwegtäuschen, dass sich irgendwann eine gewisse Monotonie einstellt, bei der nicht von reiner Glückseligkeit gesprochen werden kann.

Am Ende ist es eben doch immer nur eines, dass uns dazu nötigt morgens aufzustehen und uns dem Alltag zu stellen: Geld. Denn es wächst nicht auf Bäumen und wäre dem so, würde uns die Inflation schneller in den Ruin treiben als wir eine äquivalente Alternative zu dem flüssigen Mittel gefunden hätten.

Aber ich will jetzt nicht über die Notwendigkeit finanzieller Aspekte sprechen, die zwar durchaus ihren Teil zum Glück oder Unglück beitragen können, schlussendlich jedoch nie das ausschlaggebende Glied in der Kette sind, denn selbst ein Mangel dieser zieht nicht gleich Schatten nach sich, während ein Überschuss kein Licht garantiert. Es ist mehr ein individuelles, richtig dosiert, unterstützendes Medikament, dass zur Seligkeit beitragen kann. Ähnlich wie Drogen, aber dazu später mehr.

Worauf ich jedenfalls hinauswill: Selbst, wenn wir davon ausgehen, dass der Siebzigjährige nicht gerade das Mobbingopfer in spe während seiner Schulzeit war, sein Studium erfolgreich über die Bühne gebracht hat und auf der Arbeit halbwegs Erfolge verzeichnen konnte, wird er die meiste Zeit davon nicht gerade vor Freude überschäumt sein.

Gut, vielleicht geschieht dies zu einen gewissen Prozentsatz schon, dem ich jedoch entgegensetzen muss, dass Schule, Ausbildung und Studium im Regelfall nicht in klare Zeiten abgrenzbar sind, da sie oft spätnächtliches Lernen oder Facharbeiten und ähnliches nach sich ziehen. Also beziffern wir ihn doch einfach mal mit einer gut gemeinten zehn.

Ein Zehntel der Arbeits- und Lernzeit bewerten wir mit tatsächlich rein positiven Momenten, was ungefähr 10.097 Stunden entspricht und 90.871 Stunden an durchschnittlich grauer Langeweile übriglässt.

Insgesamt sind wir also bei 295.271 Stunden von 613.200 eines Lebens, die keinerlei Glück beinhalten, was bereits gut die Hälfte ausmacht. Die Hälfte eines Lebens, die einen, wenn die letzte Stunde schlägt, nicht mit einem Lächeln zurückblicken lassen.

Beschleunigen wir das Ganze ein wenig.

Pendelverkehr, das Hin- und Herreisen – mit welchen Mitteln auch immer – zur Schule, Uni oder zum Arbeitsplatz, die wohl kaum jemand als außerordentlich schöne Erfahrung beschreiben würde: täglich zwei Stunden im Schnitt, macht bei neunundfünfzig Jahren mit der vorangegangenen Annahme 17.618 Stunden sinnlosen Pendelns – Pendeln in der Freizeit, das genauso sinnfrei ist, nicht eingeschlossen.

Dann haben wir noch wöchentliches Einkaufen, was, wenn wir mal ehrlich sind, nur einer Erfüllung der Grundbedürfnisse gleichkommt. Nehmen wir eineinhalb Stunden ab dem achtzehnten Lebensjahr, einmal die Woche, das macht: 4.056 Stunden – Kleidungskäufe und ähnliches werden nicht betrachtet, da beim allgemeinen „Shopping“ durchaus eine gewisse Befriedigung empfunden werden kann; vielleicht nicht reines Gold in Emotionen, aber ich will mal nicht so kleinlich sein.

Einige weitere wenig begeisternde Beschäftigungen sind die tägliche Hygiene und andere Tätigkeiten, die im Bad verrichtet werden. Berechnen wir eine dreiviertel Stunde, kommen wir auf etwas über 19.162 Stunden.

Hinzu kommen weitere Belanglosigkeiten, mit denen wir tagtäglich unsere Zeit ohne nennenswerte Glücksgefühle verschwenden. Sei es, weil wir irgendwo auf einen Freund wartend rumstehen, der sich stark verspätet oder wir etwaigen Dingen des Alltags nachgehen, die zwar sein müssen wir aber überhaupt nicht leiden können; Kochen beispielsweise, die einen lieben es, die anderen hassen es, für viele ist es eine Pflichterfüllung, weil der Mensch nun mal Nahrung zu sich nehmen muss und ja, das Aufwärmen von Essen und sei es Tiefkühlkost, zähle ich hier mit rein.

Die Kleinigkeiten des Lebens halt, durch die mal mehr mal weniger Sandkörner durch das Glas rinnen. Ihnen eine Zahl zuzuschreiben, ist zugegeben nicht ganz leicht. Deswegen rechne ich eine wohlwollende pauschale halbe Stunde pro Tag ein – auch wenn die Tendenz nach oben geht – also 12.775 Stunden gesamt.

Damit wären wir mittlerweile bei 348.882 nicht zwangsläufig negativen aber auch nicht gerade glücklichen Stunden eines Menschen. Bleiben also noch 264.318 Stunden für potenzielles Glück.

Wie viele Menschen sind niemals in ihrem Leben traurig, wegen Trennungen von ihrem Partner oder verstorbenen Familienmitgliedern? Richtig, niemand. Außerdem haben wir noch Stress wegen der Arbeit, Streit unter Liebenden oder Freunden und plötzlich aufkommende Melancholie, wie man sie manchmal einfach hat – da wir von einem Durchschnittsmenschen ausgehen, betrachten wir natürlich keine schwer Depressiven oder dergleichen.

Auch hier fällt es einmal mehr schwer, eine eindeutige Ziffer zu finden. Da mir die Zahlenspielerei langsam zu blöd wird und ich die Hälfte meiner Leserschaft vermutlich schon lange verloren habe, runde ich einfach mal auf und komme zum Punkt, in dem ich mittelmäßige Stunden hinzurechne – solche also, in denen einem keine Pflichten, Routinen, Leerläufe oder dunkle Augenblicke am Empfinden von Glück hindern, die diese Gefühle jedoch einfach nicht mit sich bringen. Sie sind okay, mehr aber auch nicht.

Denn selbst das Nachgehen eines Hobbys in der Freizeit, kann Monotonie mit sich bringen, sich wie eine Pflichterfüllung anfühlen – der Mensch neigt dazu. Angefangenes auch beenden zu wollen – oder man hat es sich nicht einmal selbst ausgesucht, sondern wurde von Bekannten dazu genötigt.

Damit kommen wir auf exakte 489.967 Stunden… oder so. Na gut, runden wir auf. 500.000. Betrachten wir noch einmal die Gesamtzahl an Stunden, die unser Proband mit seinen siebzig Jahren gelebt hat: 613.200, von denen maximal 131.200 Stunden glückliche sind – oder zumindest überdurchschnittlich positiv. Das sind umgerechnet ungefähr 5.500 Tage oder fünfzehn Jahre.

Fünfzehn von siebzig Jahren. Gebündelt wäre eine Ecke des Gesamtbildes eine von Sonnenschein durchflutete Lichtung, während drumherum ein zuweilen im Zwielicht des Tages oder von düsterster Nacht erfüllter Wald liegt. Ein lebloser Wald, in dem kaum ein Vogel je auch nur einen Ton zwitschert, dessen Bäume großflächig eher von kränklichem denn gesunden Grün sind, von denen manch einer gar hier und da blanke Äste zeigt, die krallengleich in den Himmel ragen.

Zugegeben, ein recht überdramatisiertes Bild, aber ich denke ihr wisst trotzdem, worauf ich hinauswill.

Um es noch einmal deutlich zu machen: Ein Sechstel eines Durchschnittlebens ist mit Glück bestückt. Fünfzehn Jahre sind toll oder ganz passabel, die restlichen fünfundfünfzig eher so lala bis absolut grauenhaft. Sicher, die Berechnung ist sehr nüchtern, um nicht zu sagen ein wenig pessimistisch, nicht allzu genau – vor allem aufgrund mangelnder, langjährig gesammelter, empirischer Daten – und deswegen als Abzeichnung der Allgemeinheit vermutlich nur bedingt brauchbar. Zur Verteidigung muss ich noch einmal anführen, dass ich dafür recht wohlwollend mit den Zahlen umgegangen bin.

Aber darum soll es hier ja auch gar nicht gehen. Mein Ziel ist nicht, das Unglück der Menschheit zu beweisen, dass überlasse ich anderen, ich will lediglich darauf hindeuten, den Gedanken anstoßen und es damit anderen überlassen, sich ausgiebig mit dem Thema zu befassen, so meine Worte denn gehört oder besser gesagt, gelesen werden.

Abgesehen davon dürften meine mutmaßlich hanebüchenen Zahlen auf einen gewissen Teil unserer Bevölkerung tatsächlich zutreffen. Einige stehen besser da, einige führen sogar ein noch schlechteres Leben, spielt alles nur eine untergeordnete Rolle.

Worauf es ankommt ist jedenfalls – und das lässt sich nicht von der Hand weisen – kein Leben, kein einziges, ist jemals vollkommen gewesen, nicht einmal ansatzweise. Am wahrscheinlichsten ist es sogar, dass die meisten, wenn nicht alle Menschen, die jemals gelebt haben oder noch leben, nicht einmal im Geringsten die Hälfte ihres Lebens glücklich verbracht haben oder noch verbringen werden.

Ist das nicht traurig? Möchte man nicht, bei dieser brutal vorgetragenen Annahme zu weinen oder gar schreien beginnen? Nein? Ja, das habe ich mir gedacht.

Ich höre sie schon, die Klassiker der Antworten auf solche und ähnliche Äußerungen: So ist halt das Leben, werdet ihr sagen. Man kann eben nicht alles haben…, werdet ihr denken. Ihr habt keine Zeit für den Scheiß!, wird euch euer Chef anbrüllen und zurück zur Arbeit schicken oder gleich wegen mangelnder Konzentration bei der Arbeit die Kündigung in die Hand drücken.

Und ich muss euch rechtgeben: So ist das Leben und wer alles hätte, wäre vermutlich auch nicht glücklich, vor allem, weil er schon vergessen hat, was Unglück eigentlich bedeutet. Schatten und Licht, das eine geht ohne das andere nicht. Wer nie wirklich unglücklich war, wird die fragile Natur des Glücklichseins nicht zu schätzen wissen. Zu der Sache mit eurem Vorgesetzten äußere ich mich jetzt mal nicht, außer es ist tatsächlich so gekommen, dann folgt hier meine Entschuldigung dafür, begleitet von der Anmerkung, dass du jetzt mehr Zeit hast, dich meiner Theorie zu widmen.

Also, wollen wir dann weiter?

Dass das Leben so ist, wie ist, haben wir jetzt unstrittig geklärt. Schön. Kommen wir zu der Preisfrage: Warum ist es so, wie es ist?

Stellen wir uns folgende Situation vor: Du sitzt in einer Bahn, auf dem Weg zur Arbeit, nach Hause, in die nächste Bar, um deine Sorgen zu ertränken, obwohl du ganz genau weißt, dass die Penner schwimmen können, oder aus wohin auch sonst.

In deinem Abteil sitzen weitere hundert Fahrgäste um dich herum. Manche sind zu mehrt unterwegs und unterhalten sich gedämmt oder lautstark, die meisten sind mit sich selbst, ihren Büchern oder Smartphones beschäftigt, einer liegt pennend in der Ecke und besetzt damit eine ganze Bank, die eh niemand sonst beanspruchen möchte, weil er Ausdünstungen verbreitet, die darauf schließen lassen, dass er mindestens einen Monat nicht kein sauberes Wasser, geschweige denn Seife gesehen hat. Auch der Grund, warum dieses Abteil mit seinen hundert Insassen noch so leer ist und die anderen gerammelt voll sind. Jeder will schnellstmöglich sein Ziel erreichen, da nimmt man selbst das Risiko in Kauf, dass der Gestank sich in die eigene Kleidung frisst und nur noch atomares Feuer hilft, ihn je wieder loszuwerden.

Halten wir schon einmal fest: Zeit ist ein wesentlicher Bestandteil all dieser Menschen. Der Zug dient als halbwegs sicheres Transportmittel, schnellstmöglich dahinzukommen, wo man hinwill. Laufen kommt nicht nur wegen der Distanz und damit verbundenen Erschöpfung nicht in Frage, sondern auch wegen der Verschwendung einer knappen Ressource, die sinnvoller verbracht werden will. Das Glück wartet schließlich nicht, es ist eher ein weißes Kaninchen, dass ständig zu spät und deswegen nie da ist, wo es eigentlich sein sollte, während man selbst ihm unentwegt blindlings hinterherrennt, ohne zu wissen, wohin der Pfad überhaupt führt.

Richten wir unseren Blick auf einen ganz bestimmten Fahrgast. Nur zu, such dir einen aus, es ist im Grunde egal wen du dir näher ansiehst, das Ergebnis dürfte in jedem Fall ungefähr das gleiche sein.

Und, schon jemanden gefunden?

Ah ja, mal schauen, wen haben wir denn da? Eine Frau mittleren Alters. Sie hält die Augen geschlossen, blendet die Welt um sich herum aus. Aus Kopfhörern, die in ihren Ohren stecken, dröhnt lautstark irgendeine Musik, die ihr dabei hilft. Sie wirkt alles andere als entspannt, spielt ununterbrochen unruhig mit ihren Fingern rum, scheint nicht zu wissen wohin mit ihnen oder sich selbst. Sie will raus, raus aus dem überfüllten, stinkenden Zug. So wie fast alle hier.

Aber das ist nicht alles. Sie will auch raus aus dieser Stadt, raus aus dem Land, raus aus ihrem Leben.

Ich will dir ein wenig von ihr erzählen. Das erste was sie machen wird, sobald sie in zehn Minuten ihre ersehnte Ausstiegshaltestelle erreicht, ist, sich eine Zigarette anzünden. Der Tabak beruhigt ihre Nerven. Anders als der Blick in die Schachtel: letzter Sargnagel. Sie weiß, es ist schon die zweite Packung an diesem Tag, sie weiß, dass sie eigentlich weniger rauchen sollte, vor allem da sie es sich nicht leisten kann und dennoch wird ihr erster Gang, statt wie geplant direkt nach Hause, der zum Kiosk sein, um sich versorgen zu können.

Außerdem gibt ihr das noch ein paar Minuten länger in trügerischer Freiheit, denn du musst wissen, zu Hause wartet ihr Ehemann, der vermutlich schon sein drittes Bier und eine damit verbundene Scheißwut in seinem Bauch hat. Wird er sie verprügeln, fragst du dich? Nein, dass traut er sich nicht, noch nicht. In ein paar Jahren wird er sie vermutlich das erste Mal schlagen, vielleicht Gefallen daran finden und dann nie wieder damit aufhören, wenn sie ihn nicht vorher in den Wind schießt, was sie sich wiederum nicht wagt, weil er ihr trotz aller Mängel eine gewisse Stabilität liefert. Eine Konstante, in einer sonst hoffnungslos chaotischen Welt.

Zudem sind da ja noch die Kinder. Zwei an der Zahl, süße Bälger. Der Ältere hat sich schon wieder in der Schule geprügelt, dass wird sie aber erst am nächsten Tag erfahren, wenn sie ihn in aller Herrgottsfrühe hinbringt, um danach schnell genug zu Hause zu sein, das Frühstück für den Mann vorzubereiten bevor er aufwacht, weil er den Tag sonst direkt mit schlechter Laune startet und aus drei schnell vier bis fünf Bier am Abend werden, die ihn noch unerträglicher als sonst machen.

Ein Bilderbuchleben also. Ich könnte das hier noch ewig weiterführen, aber ich denke du verstehst, wo die Reise hinführt. Die Spirale wird sich ewig weiter hinabdrehen, bis sie das Abstellgleis erreicht. Eine Abhängigkeit verknüpft sich mit der anderen, jedes augenscheinliche Durchatmen ist nur Spiel auf Zeit, ehe der Teufelskreis von vorn beginnt. Sie hat es bei ihren Eltern gesehen, sie wird es bei ihren Kindern erleben, es gibt kein Entrinnen und dennoch läuft sie immer weiter in diesem Labyrinth ohne Ausgang, in dem sie eines Tages jämmerlich verrecken wird.

Ich frage dich, wenn sie jetzt aufblicken, dir direkt in die Augen sehen und zusammenbrechen würde, was würdest du tun? Sie sitzt da, sieht dich flehend an, während brennend heiße Tränen ihre Wangen hinablaufen, weil sie es einfach nicht mehr erträgt, weil sie sich nicht mehr erträgt.

Soll ich es dir sagen? Du würdest beschämt wegsehen, dich ein paar Minuten schlecht fühlen und sie danach vergessen. Du hast genug eigene Probleme, mit denen du dich rumschlagen musst.

Und hey, ich mache es dir nicht zum Vorwurf. So ist es nun mal, das Leben. Jeder trägt sein Kreuz allein und verdammt, das Ding ist echt schwer und wird von Jahr zu Jahr schwerer. Da wird wohl kaum jemand verlangen, dass wir uns auch noch die Kreuze anderer aufhalsen, oder? Nein, ganz bestimmt nicht. Ganz im Gegenteil, es wird regelrecht erwartet, dass du die Last allein und ohne jedes Maulen trägst. Flennen kannst du zu Hause, wenn du die Haustür verlässt, vergiss deinen Hut alias, die Maske nicht. Setz ein Lächeln auf, nimm deinen tonnenschweren Koffer und dann setz dich in das schnellste Transportmittel, um wie alle anderen, dem Kaninchen hinterherzurasen. Jeder für sich, in einer Welt der Anonymität.

Würde das Aufbrechen unserer grauen Gesellschaft das Unglück beenden? Ganz sicher nicht. Egoismus lässt sich nicht ausmerzen, es wird immer jemanden geben, der sich über andere erhebt, um den Berg aus Leichen zu besteigen und schließlich ihren Gipfel zu erreichen. Nur, dass es nicht nur ein Berg, sondern ein Gebirgsmassiv ist und jeder Höhepunkt den Blick auf einen noch höheren freimacht.

Das Glück und das Streben danach, sind beide unendlich. Und das ist das Problem. Irgendwann stoßen wir immer auf Grenzen, auf Mauern die andere vor uns hochgezogen haben. Entweder wir kapitulieren und lernen mit dem Zustand zu leben, in dem wir uns befinden, wobei die Gefahr groß ist, den Berg wieder herunterzufallen oder wir reißen die Wände mit bloßen Händen ein, nur um auf die nächste und übernächste zu treffen, bis sich eine stählerne, mit Dornen gespickte Barriere vor uns aufbaut, an der wir uns die Haut aufreißen und eher alle Knochen brechen, als sie zu überwinden, während von oben jemand auf uns herablacht, der es weiter geschafft hat.

Du glaubst ich übertreibe schon wieder? Ok, nehmen wir doch Spaßeshalber einfach mal eine Mauer aus der Gleichung raus und schauen was passiert.

Die Gesellschaft hat sich, trotz ihrer schieren Größe, dem allumfassenden Internet und unterschiedlichen Schichten, die sich nicht nur aber doch vordergründig durch finanzielle Macht auszeichnet, nicht in eine Richtung entwickelt, in der jeder für sich oder maximal in einem kleinen Kreis von Menschen lebt, die er bereit ist an sich heranzulassen, während jeder außerhalb dieses Rings bleiben kann wo der Pfeffer wächst.

Die wildfremde Frau, die wir eben noch betrachtet haben, sieht dich also flehend an, bricht in Tränen aus und… Oh Wunder, bevor du auch nur einen Schritt machen kannst, sind schon drei Leute um sie, die sie in den Arm nehmen wollen, die sie fragen, was den los sei, die sie umsorgen, ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen und das alles, ohne dass es jemand auch nur im Entferntesten seltsam finden würde.

Der ganze Zug erfährt ihre Lebensgeschichte, alle fühlen mit, man ist sich einig: Der Mann muss weg oder sich wenigstens um hundertachtzig Grad wenden. Ihr wird sowohl eine Paartherapie als auch Rechtsbeistand und wie es der Zufall so will, auch gleich ein neuer Job geboten, bei dem sie mal eben das doppelte verdient. Ach, wie schön das Leben doch sein kann.

Oder?

Im Laufe der Erzählung und des Wegs nach oben, stoßen wir auf ein Problem, auf eine andere Grenze. Die Kinder. Die Frau fühlt sich nicht nur bereits seit Jahren völlig überfordert mit ihnen, sondern auch immer noch nicht bereit. Kurzum, sie liebst sie nicht einmal, wünschte sich in ihren dunkelsten Momenten, sie hätte sie nie bekommen, aber jetzt sind sie nun mal da. Was soll sie tun?

Betretendes Schweigen. Darauf weiß nun wirklich keiner einer Antwort. Und wenn wir mal ehrlich sind, kann das auch niemand verlangen, oder? Sie hat die Kinder bekommen, sie ist die Mutter, da gibt es nichts mehr zu überlegen. Ein stummes das hättest du dir vielleicht vorher überlegen sollen, Liebes, hängt über aller Köpfe, während gleichzeitig die Überlegung angestellt wird, dass das Job-Angebot vielleicht doch ein wenig voreilig ausgesprochen wurde. Der Kerl verlässt unbemerkt von allen anderen, bei der nächstbesten Gelegenheit den Zug, um der peinlichen Rücknahme des Angebots aus dem Weg zu gehen.

Und so zerbröselt es wieder. Die Kinder wird sie nicht so ohne weiteres los, die Mauer steht wie ein Fels in der Brandung vor ihr. Es gäbe Möglichkeiten, sicher, eine – aus gesellschaftlicher Sicher – verwerflicher als die andere. Aber was dann? Wie lange würde sie weiterklettern, bis die nächste Wand kommt? Würde sie überhaupt auch nur ein kleines Stück aufsteigen? Ist es nicht wahrscheinlicher, dass der Absturz auf dem Fuß folgt, entweder, weil sie ihre geliebten Kleinen auf einmal doch vermisst oder weil das Gesetz ihr auf die Schliche kommt und sie in ein dunkles Loch steckt, aus dem es so bald kein Entrinnen mehr gibt?

Kleiner Schwenk: Gesetze. Noch so eine riesige, unüberwindbare Festung, die das Glück für sich pachten, als wären sie Gott und könnten über alles und jeden richten.

Sie werden gemeinschaftlich als notwendig erachtet, um für Ordnung zu sorgen. Die Freiheit des Menschen muss eingeschränkt werden, um die Zufriedenheit aller zu wahren oder zumindest das heilige Leben an sich zu schützen. Ganz gleich wie besudelt es auch sein mag, so sehr man es auch durch den Dreck gezogen und darauf rumgetrampelt hat, das Leben, muss bis zum bitteren Ende, mit allen Mitteln bewahrt werden.

Verlange ich, dass alle Gesetze fallengelassen werden müssen und Anarchie vorherrschen soll, um Glück für alle zu ermöglichen? Nein, ganz sicher nicht. Aber es ist ein nettes Gedankenspiel, findest du nicht?

Stellen wir uns zumindest eine Lockerung oder andere Auslegung vor. Statt der Frau mit den beiden Kindern und dem Säuferehemann, betrachten wir den Durchschnittstypen zwei Bänke weiter. Ein ausdrucksloses, bleiches Gesicht, untersetzte Statur, farblose Kleidung. Ein Typ, den du ansiehst und gleich wieder vergisst. Ob du dich eher an ihn erinnern würdest, wenn du wüsstest, dass er insgeheim manchmal das Bedürfnis verspürt, einen anderen Menschen zu töten? Und wir reden hier nicht von der, ich würde meinen Chef am liebsten umbringen-Art, sondern das Bedürfnis, nach dem Gefühl der absoluten Macht.

Er trägt das schon lange mit sich herum, ist kein Soziopath, auch niemand der „den Kick“ braucht oder sonst irgendeinen nennenswerten Grund für sein Verlangen anführen kann. Sein Leben ist bisher auf geraden Bahnen verlaufen, hier und da ein Schlinger, aber weitgehend zufriedenstellend, was vermutlich daran liegt, dass er generell keine sonderlich hohen Ansprüche hat. Ja, es gibt auch sie, Menschen, die das endlose Streben nicht empfinden, die nehmen was sie bekommen und sich gelassen auf der Stelle niederlassen, die sie erreicht haben, so weit unten sie auch liegen mag.

Aber diese eine Sache, sie lässt ihn einfach nicht los. Immer wieder ertappt er sich dabei, es sich vorzustellen. Nicht mal blutig oder außerordentlich brutal, sondern schnell und sauber. Klick, und aus die Maus. Er würde den Berg noch ein paar Schritte hochgehen, sich erneut niederlegen und das Kaninchen andere jagen lassen.

Aber es geht nicht, nicht ohne sein stabiles Leben in den Grundfesten zu erschüttern. Er weiß von sich selbst, dass er niemals fähig wäre, so weit und durchdacht zu planen, dass er tatsächlich jemanden töten könnte, ohne dass er wenig später dafür festgenommen wird. Und so weit zu gehen, dafür ist er einfach nicht bereit.

Jetzt kommen wir ins Spiel. Nehmen wir die Mauer nicht weg, das wäre wirklich zu viel des Guten, aber bauen wir eine Tür ein, ja? Eine schmale, die zu durchschreiten eine lange und professionelle, psychologische Prüfung verlangt, so wohl vor, als auch nach dem Hindurchgehen. Nehmen wir zusätzlich an, eine lange Zeit bewährte – wenn auch moralisch zumindest fragwürdige – Methode der Bestrafung für extrem schwere Verbrechen, würde wieder eingeführt werden: Die Todesstrafe.

Du kannst sicher eins uns eins zusammenzählen, oder? Unser sonst zufriedener Freund, bekäme die Gelegenheit seine Gelüste nach einem ausgiebig erstellten psychologischen Gutachten, zu stillen. Danach würden ihn noch ein paar Monate Therapie erwarten und das wäre es. Er hätte sein Ziel erreicht, sein Stück vom „Glück“ – so pervers das an dieser Stelle auch klingen mag – erlangt und könnte sich ruhigen Gewissens zur Ruhe setzen.

Das ist moralisch nicht vertretbar sagst du? Die Gesellschaft würde dergleichen nie akzeptieren, meinst du? Kann sein, darüber zu richten, will ich mir nicht erlauben, dafür aber auf die Vergangenheit hinweisen, in der das Hängen/Köpfen/oder sonst wie Hinrichten von Verbrechern noch ein öffentliches Spektakel war. Alles eine Frage der geschichtlichen Entwicklung und damit einhergehenden Wandel im Denken und Empfinden der Menschen.

Und hey, möchtest du dich etwa anmaßen zu behaupten, du wüsstest, dass das Beiwohnen eines solchen Ereignisses, nicht zur Senkung der Kriminalität geführt hat, sei es nun, aufgrund der Abschreckung oder gar, weil das Beobachten des Todes, der Drang danach diesen selbst zu bringen, gemindert wurde? Wäre es sogar möglich, dass dieses blutige Schauspiel, der Allgemeinheit zu höherem „Glück“ oder zumindest zur Minderung des eigenen Elends und damit des „Unglücks“ verholfen hat?

Nur ein Gedankenspiel, wie gesagt. Und ein drastisches noch dazu. Ähnliche Beispiele wären auf so ziemlich jedes Gesetz anwendbar. Der Mensch, die Gesellschaft, höhere Instanzen, sie alle sind sehr erfindungsreich, wenn es darum geht, Mauern zu errichten, die es anderen oder sich selbst schwer bis unmöglich machen, Höheres zu erreichen.

Wir sehen also, wir blockieren einander aus unterschiedlichsten Gründen. Unser eigenes Streben wirft anderen Stöcke zwischen die Beine, unser Egoismus hindert uns Leid zu mindern, die Einschränkung der Freiheit lässt uns, uns nicht entfalten und dann gibt es auch noch die, die einzig aus Frust oder niederen Gelüsten, andere mit sich hinabziehen; schlimmstenfalls nicht einmal bewusst.

Wenn das Glück unerreichbar scheint, das Kaninchen immer zu schnell ist, zeigt sich manch einer gerne bereit, einen anderen Ausweg zu suchen. Einen bequemeren, würde manch einer jetzt behaupten, wobei ich nicht finde, dass hier von „Bequemlichkeit“ gesprochen werden kann, denn das klingt beinahe so, als wäre es leicht, diesen Weg zu gehen, dabei ist das genaue Gegenteil der Fall. In der Regel ist der Pfad, der dahin führt, ein beschwerlicher und zermürbender, der schlussendlich keine andere Möglichkeit als diese eine zu bieten scheint, der jedes letzte Aufraffen unmöglich macht.

Da Aufgeben aber auch keine Option darstellt, gibt derjenige, der so tief gefallen ist, sich anderen Dingen hin. Einer Illusion von Glückseligkeit, einem Regenbogen, an dessen Ende kein Topf voll Gold, sondern lediglich ein schwarzer, teerartiger Morast wartet, aus dem es kein Entkommen mehr gibt.

Ganz recht, ich rede von Drogen oder Süchten im Allgemeinen.

Erinnerst du dich noch an den Schlafenden, am anderen Ende des Zuges, der selbigen mit seinem Körpergeruch verpestet? Klar tust du das, wie könntest du diesen Gestank auch ausblenden. Ich will dir jetzt nicht auch noch seine tragische Lebensgeschichte auftischen, die dich vermutlich eh nicht interessiert. Dein Bild über ihn ist eindeutig: Ein versoffener Penner, der sich selbst entschieden hat, so tief zu fallen.

Hat er das? Ja, natürlich. Wir sind bis zu einem gravierenden Grad alle selbst für unser Leben, dessen Ablauf, unsere Entscheidungen und den daraus resultierenden Konsequenzen verantwortlich. Das Individuen und Umstände, in die sie geboren werden, einander bedingen und immer in Abhängigkeit zueinander existieren, darf allerdings auch nicht vergessen werden. Kaum eine Entscheidung hat nur Einfluss auf das eigene Leben, sondern meist auch auf das anderer, ohne, dass diese etwas dagegen tun könnten.

Und dennoch, sich dem Alkohol soweit hinzugeben, war seine Entscheidung. Die einzige Alternative mochte gewesen sein, sich vor den nächsten Zug zu schmeißen, aber hey, er hatte die Wahl und er hat gewählt, so ist das Leben.

In seiner kleinen, traurigen Welt, die nur noch aus Rausch, Schlaf und dem schrecklichen Zwischenzustand besteht, in dem er sich häufiger dabei ertappt, seinen eigenen Namen vergessen zu haben und in dem sein ganzes Streben darin besteht, seine Form des trügerischen „Glücks“ zu erlangen, existiert kein Berg mehr, den zu erklimmen sich lohnen würde. Das Einzige was er noch besteigt, sind kleine Hügel, die er sich hochschleppt und von denen er sich erhofft, am „Gipfel“ genug Geld zusammengekratzt zu haben, um sich die nächste Flasche leisen zu können.

Das ist auch eine Form der Spirale. Eine Einbahnstraße. Ein Teufelskreis. Wie viel wahres Glück er wohl in seinem Leben gehabt hat? Ein Sechstel der bisherigen Lebenszeit? Mehr? Weniger…? Wie wahrscheinlich ist es, dass es sich noch einmal, nur ein einziges Mal wirklich und wahrhaftig mehrt? Höchst unwahrscheinlich. Er ist ein Parasit, der an seinem eigenen Leben saugt, bis nichts mehr davon übrig ist; bis er den Weg zu Ende gegangen und in die ewige Dunkelheit gefallen ist.

Ist das nicht traurig? Zum Weinen?

Nicht? Du kennst kein Mitgefühl? Kümmerst dich nur um dich selbst? Scheiß auf den Rest und vor allem scheiß auf mich und mein dummes Gequatsche? Ok. Eine Frage habe ich aber noch – Spoilerwarnung: es werden wahrscheinlich mehr als nur eine. 😉

Wann warst du das letzte Mal glücklich? Was, du bist es gerade? Fühlst dich aufgrund meiner lächerlich präsentierten Theorie erhaben, weißt zu schätzen was du hast und bist vollauf zufrieden? Das mag gut sein.

Ok, nächste Frage – hupps… Wie lange glaubst du hält das an?

Ganz recht, nicht ewig. Das zu behaupten, würde bedeuten dich selbst zu belügen. Aber hey, was wäre das Leben ohne Unglück, nicht? Wir erinnern uns, an die zwei Seiten der einen Medaille. Wer das Unglück nicht ehrt, ist das Glück nicht wert.

Dann habe ich hier noch eine für dich: Wenn dein Glück das demnächst oder auch erst ein paar wundervollen, erfüllten Jahren geendet ist, glaubst du es kehrt wieder?

Der Optimist in dir, sagt selbstverständlich ja, tut es. Auf jeden Fall. Ohne jeden Zweifel. Ohne jeden geringsten Zweifel. Absolut. Definitiv. Yes, Sir!…

Oder?

Stell‘ es dir einfach vor, lass es dir auf der Zunge zergehen. Du bist wie alt? Dreißig? Vierzig? Sagen wir vierzig. Sagen wir du hast recht und die nächsten zehn Jahre, werden die tollsten deines Lebens. Sagen wir dein Glück endet dann abrupt. Sagen wir, ab da an, geht alles nur noch abwärts, steil bergab, ohne Bremse, ohne Chance auf eine Umkehr. Sagen wir du wirst siebzig. Sagen wir du verbringst die letzten zwanzig Jahre deines Lebens damit, dem weißen Kaninchen hinterherzurennen, während dir Jahr um Jahr, mehr und mehr die Puste ausgeht, die Beine lahm werden, dein Körper alt und schwach und grau und leblos wird. Dir tut alles nur noch weh, du bist ständig mies drauf, bist der alte Griesgram, den die Kinder aus der Nachbarschaft fürchten. Niemand mag dich, alle betrachten dich als Ballast und wenn du endlich deinen letzten stinkenden Atemzug getan hast, weil dir im Laufe der letzten fünf Jahre die Zähne verfault sind, du nicht das Geld für neue zusammenbekommen und die Krankenkasse sich quergestellt hat, wird man leise jubilieren.

Endlich ist der alte Sack weg, wird man sagen. Hat sich ja ganz schön Zeit gelassen…, wird man denken. Der Arsch hat mich vor Jahren gekündigt und mir mein Leben versaut!, wird einer korkenknallend posaunen.

Wofür wird es dann gewesen sein, das Streben? Du wirst immerzu gehofft haben und auch, wenn du es dir bis zum Ende nicht eingestanden hast, wird deine Hoffnung sich langsam zur Verzweiflung gewandelt haben. Denn die beiden liegen ähnlich nah beieinander wie Glück und Unglück.

Die wichtigste Frage, die nach deinem Ableben bleibt, die aber niemand stellt, weil es keine Menschenseele auch nur einen feuchten Furz interessiert ist: Hat er ein gutes Leben gehabt?

Und, hast du?

Ich will langsam zum Ende kommen – oder vielmehr muss ich das – und dir ein wenig von mir erzählen.

All die hier aufgeführten Dinge, habe ich schon vor Jahren für mich erkannt. Nicht schlagartig, sondern jedes Jahr ein wenig mehr. Die Erkenntnis, ist wie die Zeit im Stundenglas, langsam in meinen Verstand gesickert, tut es sogar jetzt noch, während ich diese Zeilen verfasse.

Als ich erstmalig darauf stieß, mir der ganzen Misere bewusst wurde, habe ich noch in der verrückten Idee gelebt, das Puzzle beeinflussen, die Fragmente manipulieren zu können. Es muss doch möglich sein, einzelne Teile zu separieren, habe ich bei mir gedacht. Eine zauberhafte Vorstellung, nicht wahr? Beinahe so, als könnte man, wenn man auf seine Vergangenheit zurückblickt, nicht einfach nur die Details betrachten und müde lächeln, während man die Schatten drumherum zu ignorieren versucht, sondern die dunklen Flecken wirklich gänzlich ausblenden, sie ausklammern, tilgen, ausradieren.

Ich will dir etwas verraten, was du sicherlich schon weißt: Es ist nicht möglich. Das Leben ist vielschichtig, farbenfroh und düster-grau zugleich. Du kannst nicht die eine Seite betrachten, ohne auch die andere im Blickfeld zu haben. Glückseligkeit lässt sich nicht bündeln und als reines Destillat genießen, es ist immer durchtränkt von den schwarzen Klumpen dessen, was einmal war oder sich bereits am Himmel zusammenbraut.

Das Leben ist eine Komposition aus Höhen und Tiefen – um die poetische Note daran, noch einmal auf die Spitze zu treiben.

Als mir das klar wurde, sind mehrere Dinge nacheinander geschehen und in mir vorgegangen, wobei ich meine Aufzählung auf die wichtigsten Aspekte beschränken möchte.

Zum einen, habe ich angefangen einen Scheiß auf gesellschaftliche Konventionen zu geben. Wenn ich traurig bin, dann weine ich, selbst in aller Öffentlichkeit. Wenn ich wütend bin, dann schreie ich, obgleich es mir schon manches Streitgespräch mit meinen Nachbarn eingebracht hat. Und wenn ich mich freue, dann lache ich, auch wenn meine Umgebung mich dafür nicht selten als einsamen Irren abstempelt.

Weiterhin, halte ich mich brav an alle geltenden Gesetze und Vorschriften – hast du jetzt wirklich geglaubt, ich wäre zum Rebellen geworden? Dafür bin ich zu arm und ist mir meine Freiheit zu lieb.

Was den Umgang mit Suchtmitteln aller Art anbelangt – hierzu zählt nicht nur materiell konsumierbares –, habe ich mich zwar mehrfach dem Feuerwasser hingegeben, es aber niemals soweit getrieben, dass ich nicht mehr aus dem Sumpf herausgekommen wäre. Mit anderen Süchten halte ich es ähnlich, auch wenn es nicht immer leicht fällt. Das Wichtigste jedoch: Ich lasse mich dafür nicht verurteilen. Vielmehr gehe ich offen damit um, das Erleichtert auch den Umgang, weil der schale Geschmack etwas Verwerfliches zu tun, sich in Wohlgefallen auflöst, ohne dabei jedoch zur Leichtfertigkeit zu kippen, die mich nachlässig werden lassen würde.

Die richtige Dosierung hilft mir an dieser Stelle, den wichtigsten Aspekt oder vielmehr, das Ziel zu verfolgen: Seit geraumer Zeit jage ich das Kaninchen.

Ich warte nicht länger, renne ihm aber auch nicht hinterher. Wenn überhaupt lege ich mich auf die Lauer, ein ganzes Waffenarsenal in petto, um es im günstigen Augenblick zu erlegen. Konfettisprühend soll es auseinanderplatzen und mich mit Glück überhäufen, für ein paar Sekunden zumindest. Denn wenn das erst einmal erreicht ist, wird es auseinanderbrechen. Alles. Der Berg stürzt in sich zusammen, das unendliche Glück bleibt hoch am Himmel hängen und wird in unerreichbare Ferne rücken.

Das Kaninchen lässt sich, selbst verblutend am Boden liegend, nicht halten.

Um die Metapher aufzulösen: Wenn das Kaninchen, also das Glück erlegt ist und ich es, zumindest für einen winzigen Moment aufnehmen kann, dann habe ich den obersten aller Gipfel erreicht – oder zumindest einen schönen Schein dessen, denn es gibt immer einen noch höheren Berg, einen Zaun, auf dessen anderer Seite das Gras noch grüner und das Kaninchen noch fetter und saftiger ist – und bin ich erst einmal oben gewesen, gibt es nur noch einen Weg: Abwärts.

Selbst wenn es anders wäre, selbst wenn ich noch einmal die Gelegenheit bekommen würde, erneut hinaufzusteigen, ich würde nie wieder so hoch kommen. Dieser eine Moment, dieser perfekte Augenblick, würde ewiglich als Stern im Himmel der Erinnerungen hängen und auf mich herablächeln.

Anfangs würde ich mich vielleicht noch daran erfreuen, zurücklächeln können, doch je mehr Zeit ins Land zieht, wird das fröhliche Lachen zu einem bösartigen Gelächter. Hämisch wird der Stern mit seiner diabolischen Fratze auf mich herabgrinsen, jeden meiner späteren, kleineren, unbedeutenderen Erfolge müde abwinken und mir gehässig aufzeigen, was ich einst hatte und nie wieder besitzen werde.

Das Streben und Hoffen wird zum Klammern und Verzweifeln und die letzten Jahre vor dem unausweichlichen Ende, zur Höllenqual.

Und danach? Tja, das weiß niemand. Ein Leben nach dem Tod? Das Paradies? Die wahre Hölle? Eine andersartige, ätherische Existenzform oder ewiges Nichts? Was es auch ist, es wird mich so oder so ereilen, ohne, dass ich etwas dagegen unternehmen könnte, deswegen kümmert es mich nicht. Das Nichts, so schrecklich es auch klingt, hätte sogar etwas Tröstliches in sich, immerhin bedeutet es, dass ich davon nichts mehr mitbekomme. Alles was war, wäre vergangen, bedeutungslos, nur noch für meine Hinterbliebenen von Relevanz.

Seltsam, wie eine solche Vorstellung grauenhaft und friedlich zugleich klingen kann.

Wenn du, wer auch immer du sein magst, diese Zeilen hier liest, werde ich es jedenfalls bereits herausgefunden haben – oder auch nicht, wenn es nichts mehr herauszufinden gibt, weil nichts mehr ist, zumindest für mich…

Ganz recht, ich bin vergangen, habe mein Leben gelebt und es beendet. Ich habe das Kaninchen gejagt und erschossen. Es war ein glorreicher Augenblick. Ein magischer, nahezu perfekter Moment.

Ich will nicht ausbreiten, wie es dazu gekommen ist. Dieses Geheimnis, geht allein mich etwas an und ich nehme es mit ins Grab. Finde deinen eigenen Weg glücklich zu werden und entscheide, wie es danach weitergehen soll. Für mich gab es nach der erfolgreichen Jagd nur noch eines zu tun: Den Moment solange wie möglich festhalten und Abschied nehmen, bevor die Verzweiflung mich verzehren kann und diesen einen wunderbaren, geballten Akt des Glücks zunichtemacht.

Das Gift, dass ich meinem Körper zugeführt habe, entfaltet gerade rechtzeitig seine Wirkung. Ich spüre, dass ich rapide schnell schwächer werde, müde. Es fällt mir schwer die Augen aufzuhalten, noch schwrer en Stift zu führn.

Konzentration!

Ich———-

Habe ich einen Fhlr gmacht?

Weitre schönre,, prfektre Momente vrpsst?

Kaninchen. Jagen. Noch einmal. Weiter!

Kann nicht dnken

Schrben fllt schw

müde—-

Hil

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