LangeRomantischer Horror

I chári tou típota – ( Die Gnade des Nichts)

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Fortsetzung und Abschluss von:

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Hypnos stand unter den Sternen und schickte sein Sehnen in unendliche und schweigende Himmel. Zu sehr hatte ihn Orpheus‘ Gesang berührt und er hatte in ihm einen tiefen, stillen Schmerz geweckt. Eine Sehnsucht, die die Tiefen seiner Seele und seines Herzens mit Traurigkeit und Wehmut füllte. Der Gott der Träume hatte ein gebrochenes Herz.

„Selene…“, seufzte er und blickte auf zum Mond. „Du Strahlende. Mit deinem Schweigen liebkost du meinen Schmerz. Sind es meine Tränen, die neben dir am Himmel funkeln? Oder sind es die Splitter meines gebrochenen Herzens? So weit bist du, so unerreichbar. Und doch bereitest du mir auf dem Feld der Träume Nacht für Nacht ein Silberbett. Ach, würdest du mich nur einmal mit deinen Armen aus Mondlicht umfangen. Nur ein Mal über meine Seele streicheln. Ich wäre ein glücklicher Mann und würde mit dieser Erinnerung auf ewig im Land der Glückseligen wandeln… Doch du strahlst unerreichbar über mir und schweigst. Eine ewig unberührbare, ewig reine, ewig ferne Schönheit. Was für eine Ungerechtigkeit. Alle Daimones des Olymp vermögen deiner Anmut nahezukommen, doch ich wandele alleine und verlassen unter deinem Blick. Alles, was mir bleibt ist dein Schweigen, dein Anblick am Nachthimmel und meine Sehnsucht. Ach, mögen meine Tränen ins Firmament fallen und neben dir am Himmel leuchten… Selene… wie fern bist du mir.“

Hypnos sank auf die Knie und ein tiefer Kummer überkam ihn. Zu lange schon liebte er die Mondgöttin. Und zu lange schon blieb sie seinen Liebesschwüren gegenüber stumm.

„Es ist ein Privileg der Unsterblichen, sich in Agonie und Sehnsucht zu baden, ohne darin zu ertrinken zu müssen. Eine ewigwährende Katharsis ist für euch wie eine warme Dusche für euer Ego. Für die Sterblichen ist eine Katharsis keine reinigende Flut. Sie ist für sie eine zehrende und lodernde Flamme, die alles verschlingt und versengt und die sie auszehrt, bis sie schwach und kraftlos sind“, flüsterte eine Stimme. Hypnos fuhr herum. Hatte da wer gesprochen? Bildete er sich die Stimme ein?

„Weinst du noch immer um sie? Um Selene?“ Hypnos zuckte zusammen, als er erneut die Stimme hörte. Sie klang vertraut, doch ihm fiel nicht ein, zu wem sie gehörte. Als er sich umdrehte, stand im Schatten einer Zypresse eine Frau. Sie war ganz unscheinbar. So normal, dass er ihr Gesicht und ihre Augenfarbe gleich wieder vergaß, als er seinen Blick von ihr abwandte. Doch er kannte sie. Sie war Lethe. Sie war das Vergessen. Sie war… wer? Worüber dachte er nach? Führte er Selbstgespräche?

Hypnos schüttelte den Kopf und sah wieder empor zum Mond.

„Hier… Trink… nur einen Schluck… Es ist erfrischend und klar. Aus einer tiefen Quelle…“ Eine Frau stand neben ihm und reichte dem Gott der Träume einen Kelch mit Wasser. „Trink, und nie wieder musst du um sie trauern. Ich nehme dir den Schmerz. Ich gebe dir die Möglichkeit, deine Katharsis zu beenden. Ich schenke dir ein Vergessen.“

Selene vergessen? Die Mondgöttin, die er schon so viele Jahrhunderte liebte? Er schüttelte den Gedanken ab und vergaß die Frau neben ihm sofort wieder, als er seinen Blick zum Himmel wandte. Er konnte sich nicht vorstellen, Selene jemals zu vergessen. Nicht sie. Der Gedanke, nie wieder Schmerz zu verspüren, war verlockend, doch…

„Du brauchst ihn, oder? Den Schmerz“, flüsterte es neben ihm. Hypnos wandte den Kopf und sah die Frau neben sich verwirrt an. Wer war sie? „Würdest du deine Liebe zu ihr vergessen, wäre sie nurmehr ein Felsen im Himmel für dich, der das Licht der Sonne reflektiert. Doch du brauchst etwas, nach dem du dich sehnst, oder? Du brauchst etwas, das du nie erreichen kannst, weil du sonst die Fähigkeit zum Träumen verlierst. Nur wer sich etwas wünscht, träumt. Und nur wem etwas fehlt, wünscht. Ist das dein Fluch, Hypnos? Ich biete dir Erlösung und Vergessen. Der einzige Preis ist, dass du die Fähigkeit zum Träumen verlierst.“ Lethe lachte ein Lachen, das Hypnos direkt wieder vergaß. Nur der Spott und die Demütigung hallte in seinen Gedanken nach.

„Ich habe Orpheus den Trank des Vergessens angeboten, als er in die Unterwelt kam, Hypnos. Er lehnte ihn ab, um eine Seele zu retten, die längst im Elysium ist. Auch er leidet, weißt du? Auch er sehnt sich. Doch während dein Schmerz dir göttliche Kräfte verleiht, ist sein Schmerz und jede Erinnerung, die er hat, eine pure Verschwendung. Pures Leid. Du schaffst dir dein Elysium selber. Streust Mohnblumen über stille Wasser und tränkst mit ihrem Duft die Gemüter derer, die schlafen. Und sie kommen und huldigen dir. Und er? Gib ihm seine Lyra, und er singt seinen Schmerz heraus, dass selbst die Götter weinen. Doch das bedeutet, er muss sich erinnern, wer er ist… warum er herkam. Nimm ihm seine Lyra, und er hat die Chance, sich selbst und seinen Schmerz über die Jahre zu vergessen. Doch bis dahin muss er ihn mit sich tragen auf seiner Reise ins Nichts. Er trägt ihn wie eine große und schwere Last. Du brauchst deinen Schmerz, um ein Gott zu sein. Wozu braucht Orpheus seinen Schmerz? Er tut ihm einfach nur weh, nicht wahr?“ Lethe streichelte sanft über Hypnos Wange. Er schloss die Augen und genoss die Berührung. Sie kam ihm vor wie ein Windhauch, denn er vergaß, dass er gestreichelt wurde.

„Niemand braucht Schmerz. Er erinnert uns nur an das, was wir nicht haben können oder verloren haben. Warum erlöst du ihn nicht davon? Warum gewährst du ihm nicht mein Vergessen? Er trinkt doch aus deinem Kelch.“ Hypnos hörte die Stimme. War sie nur in seinem Kopf? Er schaute sich um. Neben ihm, im Schatten, stand eine Frau, die er nie zuvor gesehen hatte. Wer war sie. Woher kannte sie Orpheus?

„Ich… ich habe ihm… ich…“, murmelte der Gott der Träume und schaute sich verwirrt um. Er hatte vergessen, was er sagen wollte. Was war hier los?

„Es muss enden. Ich werde Hades bitten, ihn endlich zu erlösen…“, flüsterte es aus den Schatten. Als Hypnos sich nach der Stimme umdrehte, erkannte er schemenhaft eine Frau im Schatten der Zypresse. „Oder… hörst du in der Ferne die Schellen? Und Glocken? Wenn du ihn nicht erlöst, wird ER es tun… Aber glaube mir, dann zwinge ich dich, dabei zuzusehen!“ Die Frau im Schatten lachte leise und verschwand.

Hypnos schüttelte den Kopf. Er hatte sie längst vergessen. Doch ein dumpfes, bedrohliches Gefühl blieb in seinen Gedanken zurück. Und die Erinnerung an Orpheus. Wo war er wohl gerade? Wo in der Unterwelt suchte er wohl gerade das Vergessen? Ein Gedanke durchzuckte Hypnos.

„Er muss selbst vergessen!“, rief er und schaute sich um.

Es war niemand da, der ihm zuhörte. Mit wem redete er?

„Wenn man ihm die Erinnerung an sich nimmt, dann ist er ein Schatten durch die Gnade anderer… Aber Erlösung muss man doch durch sich selbst… sich… man… er… was ist hier los?“ Hypnos schaute sich verwirrt um und versuchte sich zu erinnern, worüber er gerade nachgedacht hatte. Er fühlte sich verwirrt. Als er seinen Gedanken vollends verloren hatte, ließ er sich auf die Wiese sinken, genoß den Mondschein und seufzte. „Selene… Du Juwel aus Licht. Streichele meine Seele und schenk mir etwas Schlaf! Ich bin müde. Wirst du meinen Schlaf bewachen? Ach du Schöne… Täglich blendest du mich mit deiner Anmut und doch bist du mir unerreichbar. Wie sehr wünschte ich mir, deine Seele zu liebkosen. Doch mir bleibt nur der Traum davon… Einst werde ich selbst ein Juwel an deinem Himmel sein und neben dir glitzern. Nimm mein Herz, Mene… ich schenke es dir. Es war immer deines.“

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Weit entfernt, irgendwo in den vergessenen Ebenen eines Niemandslands, in denen namenlose Menschen in namenlosen Dörfern lebten und namenlose Tiere durch tiefe und weite Wälder streiften, stand Orpheus auf einem Marktplatz, umringt von Menschen, die mit offenen Mündern gebannt um ihn herum saßen, und sang. Es war ein wundervolles Lied übers Vermissen und Finden im Herzen der Welt. Die Sehnsucht in seinen Melodien vibrierte in der Luft und bewegte die Herzen der Zuhörer. Viele seufzten und erinnerten sich an die Menschen, die ihnen die Herzen gebrochen hatten und die sie liebten. Einige weinten stumm und spürten einen tiefen, alten, beinahe vergessenen Schmerz. Auch wenn er seine Lyra nicht mehr hatte, war Orpheus Gesang machtvoll genug, die Gefühle aller zu rühren, die ihm zuhörten. Die Nachricht von seiner Reise durch die Unterwelt hatte sich herumgesprochen und wo immer er hinkam, umringten ihn die Menschen, versuchten, ihn zu berühren, und hofften darauf, ihn singen zu hören.

„Orpheus!“, riefen sie. „Orpheus! Die Götter haben dich gesegnet. Apollon selbst gab dir deine Stimme. Sing für uns!“

Und Orpheus sang. Und er vergaß nicht. Er fand nicht die heilende Gnade der Selbstauslöschung. Seit er Apollon getroffen hatte, suchte er das Vergessen. Doch er hatte das Gefühl, er war mehr er selbst als jemals zuvor. Und der Gedanke an Eurydike und der Schmerz, der mit dem Gedanken an sie verbunden war, folgte ihm, wohin er auch ging. Er trug ihn mit sich. Und er drückte zentnerschwer auf Orpheus Schultern. Der Schmerz fraß an seiner Seele, wie ein Drache aus Feuer und Eis. Er zehrte ihn auf. Er drückte auf sein Gemüt, und jeder Schritt, den er tat, war unendlich anstrengend und schwer. Doch er war immer Orpheus. Der Sänger. Götterliebling. Der in die Unterwelt gestiegen war, um seine Geliebte aus den Fängen des Todes zu befreie,n und der nun selbst ein Gefangener der Unterwelt war. Er konnte kein Vergessen finden, da die Welt sich daran erinnerte, wer er war.

Und so zog er umher, rastlos und müde, und sang für die Menschen, die ihn erkannten, seinen Schmerz hinaus. Er war der Pilger mit dem gebrochenen Herzen.

Müde schleppte er sich vom Marktplatz zum Ortsausgang. Er musste die Dörfer künftig vermeiden. In ihnen wohnten die Seelen, die sich nicht vergessen wollten. Sie wollten keine Schatten werden, die durch die Unterwelt streiften. Sie wollten nicht ins Elysium. Sie wollten ihre Existenz fortführen, wie sie es in der Welt der Lebenden getan hatten.

Orpheus wollte abseits der Dörfer in die Wälder gehen, wo die Schatten und Geister der Toten umherwanderten und sich mit jedem Schritt mehr vergaßen. Bis sie nurmehr ein Gefühl von Wehmut und Sehnsucht waren. Ohne Namen. Ohne Gesichter. Schatten. Sie würden nicht seinen Namen rufen. Sie hatten kaum mehr eine Stimme. Vielleicht würde er dort das Vergessen finden. Apollon hatte ihm keinen Gefallen getan, als er ihm seine Lyra zurückgab.

Am Ortsausgang stand eine Gestalt im Schatten eines Baumes. Sie schien eine Frau zu sein. Orpheus ging näher zu ihr und vergaß sie, als er einen Moment auf den Boden sah. Er blickte überrascht auf, als sie ihn ansprach.

„Du musst durstig sein, Wanderer.“ Sie hielt ihm einen Kelch mit Wasser hin. „Trink! Es wird deine Seele und deinen Körper erfrischen. Und es wird dich vergessen lassen, wer du bist.“

Orpheus schüttelte den Kopf. „Und dann werde ich zum Schatten?“, fragte er die Frau.

Sie lächelte. „Suchst du nicht das Vergessen?“

„Ich suche das Vergessen in mir. Ich suche nicht die Hand, die mir einen Schierlingsbecher reicht und es Gnade nennt.“ Orpheus versuchte freundlich zu klingen. Er sah verlegen zur Seite und vergaß die Frau im Schatten. Der junge Sänger wandte sich ab und ging auf den Waldrand zu. Lethe sah ihm nach. Neben ihr erschien ein Licht. Es leuchtete immer heller. Sie wandte den Kopf und sah Apollon neben sich stehen. Er lächelte ihr zu.

„Warum hast du so ein Interesse an ihm, Lethe?“ Seine Stimme klang freundlich und sanft.

„Weil ich ein Herz habe, Apollon. Sein Schicksal rührt mich. Er hat das Vergessen verdient.“ Sie nahm einen Schluck aus dem Kelch. „Den Unsterblichen sind die Schicksale der Menschen egal, solange sie ihnen nur Tempel bauen und Gold opfern. Du strahlst auf die Menschen herunter. Du bist Feuer. Nichts wird dich jemals durchdringen oder verletzen. Du hast die Macht, zu erschaffen und zu vernichten. Ich bin ein Fluss. Ich fließe dahin. Ich habe einen Anfang und ein Ende. Und wenn dein Feuer alle Quellen austrocknet, dann werde auch ich vergehen. Mir baut man keine Tempel. Und dennoch nehme ich am Schicksal der Menschen Anteil. Ich höre mir ihre Geschichten an, bevor ich ihnen das Wasser reiche und sie vergessen lasse. Gnade ist ein selbstloser Akt. Sie erwartet nichts. Sie ist einfach Gnade. Doch ihr Götter suhlt euch in dem, was euch ausmacht. Was wird wohl von euch bleiben, wenn niemand mehr zu euch betet?“

„So viel Zorn.“ Apollon klang betrübt. „Ich hoffe für die Götter, dass dein Wasser auch bei dir wirkt… Ich dachte wirklich, ich tue ihm etwas Gutes, als ich ihm seine Lyra wiedergab.“

„Die Götter sollten sich weniger in die Schicksale der Menschen einmischen. Was Orpheus jetzt bevorsteht, ist dein Verdienst“, flüsterte Lethe.

„Du mischst dich doch selbst in die Schicksale der Menschen ein, wenn du ihnen den Trank des Vergessens einflößt. Wo ist Hypnos?“, fragte Apollon die Göttin des Vergessens.

Lethe lachte. „Er ist ein Wolf geworden und heult den Mond an. Bald schon werde ich ihn zu mir rufen, damit er sieht, was Orpheus erwartet.“ Die Göttin verschwand.

„Warum sprechen Götter nur immer in Rätseln?“ Apollon seufzte und blickte Orpheus nach, der den Waldrand erreicht hatte und zwischen den Bäumen verschwand.

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Es war kühl im Schatten der Bäume und der würzige Duft der Kiefern und Zypressen lag erfrischend in der Luft. Orpheus genoß die Stille, hielt einen Moment inne und versuchte sich zu orientieren. Er hatte kein Ziel. Keinen Ort, zu dem er gehen wollte. Darum ging er einfach geradeaus und ließ seine Gedanken treiben. Was hatte er nicht schon alles erlebt, seit er in der Unterwelt war. Er war vor Monstern geflüchtet, durch riesige Höhlen gewandert, die bis zu den Fundamenten der Welt reichten. Er hatte Götter getroffen und war lange umhergewandert. Er war ein Schatten gewesen und er war ein gefeierter Sänger. Er hatte seine große Liebe gesucht und ein Echo gefunden. Er hatte genug für mehrere Leben erlebt.

Eurydike… ob sie im Elysium wandelte? Erlöst von allem Schmerz im ewigen Frühling? Oder irrte sie noch in der Unterwelt umher? Ein Schatten, selbstvergessen, unscheinbar.                                  

Orpheus seufzte schwer. Auch er wünschte sich Erlösung. Ein Ende. Die Unterwelt war an sich kein schlimmer Ort. Es war die Ferne der Erlösung, die den einzelnen Seelen zur Folter wurde. Er hätte Lethes Trank trinken können, als er die Unterwelt vor vielen, vielen Jahren betrat. Er hätte sich selbst vergessen können. War es ein Fehler gewesen, ihn damals abzulehnen?

Fernes Lachen riss Orpheus aus seinen Gedanken. Er hielt inne und lauschte in den Wald. In der Ferne waren Menschen. Er hörte Stimmen und Musik. Leise ging er darauf zu und kam bald an eine Lichtung, die mit Gras und Blumen bewachsen war. Ein kleiner Bach plätscherte über die Lichtung, auf der ein Fest im Gange war, wie Orpheus es noch nicht gesehen hatte. Satyren, Menschen und Nymphen spielten auf Trommeln, Flöten und Leiern eine berauschende Musik und tanzten leichtbekleidet über die Wiese. Sie gossen einander Wein in den Mund und aßen Trauben an vollen Reben. Die Satyren neckten und jagten die Frauen, die sich lachend nur zu gerne von ihnen fangen ließen. Es war ein rauschhaftes Fest. Auf großen Tischen standen Wein und allerlei Köstlichkeiten. In der Mitte der Lichtung stand ein goldener Thron. Er war mit Girlanden umwickelt und mit Weinreben geschmückt. Rechts von ihm lag ein Zicklein. Links von ihm ein Panther. Auf dem Thron saß ein junger Mann. Nicht älter als Orpheus selbst. Das lange Haar fiel ihm lockig auf die Schultern und eine leichte Tunika wurde von einer Brosche in Form eines Weinblattes zusammengehalten. Der Mann hatte einen Kranz aus Weinreben und Efeu auf dem Kopf und schaute mit klaren, blauen Augen auf das bunte Treiben.

Orpheus stand im Schatten der Bäume am Rande der Lichtung. Er war sich unsicher, ob er sich zu erkennen geben sollte oder einfach weiterziehen. Vermutlich war weiterziehen das Beste. Er kannte weder die Feiernden noch den Anlass des Festes. Er wandte sich um, doch ein Ruf brachte ihn dazu, sich erneut umzudrehen. Eine der tanzenden Frauen hatte ihn entdeckt und zeigte mit dem Finger in seine Richtung. Die Musik verstummte und die Blicke der Feiernden richtete sich auf ihn. Auch der Mann, der König des Festes, hatte sich ihm zugewandt.

„Heda“, rief er mit einer klaren Stimme über die Lichtung und winkte ihn zu sich heran. „Komm heraus! Sei ein Gast an meiner Tafel und bereichere unser Zusammensein mit deiner Geschichte!“

Verlegen trat Orpheus auf die Lichtung und wurde neugierig von den Feiernden gemustert. Der Mann auf dem Thron winkte ihn erneut heran. Orpheus ging auf ihn zu und verneigte sich vor ihm. „Bist du ein Gott?“, fragte er.

Die Entourage lachte. „Ein Gott?“, entgegnete der junge Mann lachend. „Darüber streiten sich die Olympier. Ich bin Dionysos.“

Orpheus erstarrte vor Ehrfurcht. Natürlich hatte er von Dionysos gehört und von seinen wilden und rauschhaften Festen. Er senkte den Blick und schaute verlegen zu Boden.

„Aber nicht doch. Deine Verlegenheit ehrt mich. Wir sind hier alle gleich.“ Dionysos musterte Orpheus. „Ich kenne dich. Ich habe dich in Mazedonien singen hören, nicht wahr? Bist du nicht Orpheus? Liebling von Apollon?“

Als die Feiernden Apollons Namen hörten, buhten sie und lachten. Dionysos hob beschwichtigend die Hände und die Menge verstummte.

Orpheus wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte. Darum schwieg er. Dionysos lächelte ihn an.

„Wie lange schon wanderst du durch die Unterwelt, mein Freund? Hast du nie die Gnade des Vergessens erfahren?“, fragte er. Als Orpheus den Kopf schüttelte, wandte der Gott des Weins sich an die Feiernden. „Und wollt ihr wissen, warum er nicht vergessen kann?“ Die Satyren und Nymphen jubelten.

„Gebt ihm eine Lyra!“, rief Dionysos. Eine junge Frau eilte herbei, reichte Orpheus eine Lyra. Sie errötete, als er sie ansah.

„Was für eine Ehre ist es, dich an meiner Tafel zu haben. Sing für uns, Orpheus! Ein einziges Mal. Ich werde dir dafür eine Belohnung gewähren“, bat Dionysos.

Orpheus sah das Instrument in seinen Händen traurig an. Er war in die Wälder gegangen, um Stille zu finden. Ruhe. Vergessen. Doch selbst hier fand er nur Erinnerung und Schmerz. Wer war er, einem Gott eine Bitte abzuschlagen?

Er schlug die Lyra an und mit dem ersten Ton strömte Magie über die Lichtung. Eine zauberhafte, wirbelnde Magie voller Emotionen. Goldenem Licht gleich. Sie ergriff jeden, der zuhörte. Selbst der Bach hörte auf zu murmeln und es schien, als neigten sich selbst die Bäume, um seinem Spiel zu lauschen. Dionysos schloss die Augen. Eine Träne rann aus seinen Augen.

Dann begann Orpheus zu singen. Eine tiefe, wehmütige Melodie aus den tiefsten Tiefen seines Herzens. Es war ein Lied über die Suche nach Eurydike. Die Zuhörer weinten leise und hielten einander an den Händen.

Als das Lied nach einer Weile verstummte, schwiegen die Zuhörer ergriffen. Auch Dionysos selbst hing seinen Gedanken nach. Dann, nach einer Weile, stand er auf, verneigte sich vor Orpheus und applaudierte. Auch die Satyren, Menschen und Nymphen aus seinem Gefolge jubelten und klatschten.

„Wahrlich, Apollons Licht leuchtet in dir und es fließt in jeder deiner Melodien aus in die Welt. Du hast uns bereichert… an erinnerungen, Gefühlen und Tränen. Hades selbst wird weinen, wenn ein Echo deines Liedes durch das Wehklagen der Vergessenen und Verlorenen an seine Ohren dringt… Hab Dank, Meistersänger. Ich hatte dir eine Belohnung versprochen, Orpheus…“, begann der Gott des Rausches und des Weins und verstummte, als Lethe, Apollon und Hypnos die Lichtung betraten. Dann lächelte er. „Was für ein Tag. Was für Gäste bei meinem bescheidenen Fest. Ich wollte gerade unserem Meistersänger seine Belohnung geben.“

Lethe ging auf Dionysos zu und schloss ihn in die Arme. Er küsste sie auf die Wange und Lethe stellte sich hinter seinen Thron. Apollon und Hypnos standen zwischen den Feiernden und schauten zu.

„Dann gib ihm seine Belohnung, mein Sohn“, sagte Lethe und lächelte. „Ich habe Hypnos und Apollon dazugebeten, um diesen Moment zu genießen.“

Orpheus war verwirrt und fühlte sich unwohl. Er hatte das Gefühl, ein Spielball zu sein. „Herr, ich brauche keine Belohnung. Für Euch singen zu dürfen war Ehre genug. Wenn es Euch recht ist, werde ich einfach gehen“, sagte er leise.

„Und wohin willst du gehen?“, fragte Dionysos ihn.

„In die Wälder, um dort das Vergessen zu suchen.“  Orpheus spürte wieder diese Last auf seinen Schultern.

„Und glaubst du, die Welt wird dir das Vergessen schenken, das du suchst?“ Dionysos lächelte sanft.

Orpheus wusste es nicht. Er hatte schon einmal vergessen, bis Apollon ihn wieder an sich erinnerte. Doch seitdem streifte er durch die Unterwelt und erinnerte sich an alles. Orpheus zuckte die Schultern und sah Dionysos hilflos an.

„Die Unterwelt hat dich singen gehört, Orpheus. Jeder Stein, jeder Baum, jedes Tier, jeder Mensch, jeder Schatten wird sich an dich erinnern und deinen Namen rufen, wo immer er dich auch sieht und spürt. Niemand wird dich vergessen lassen, weil keiner dich und deine Musik gehen lassen will. Du wirst ewig durch die Welt streifen und dein Fluch ist es, auf ewig zu wissen, wer du bist.“ Der Gott des Weins lachte. „Ich mache dich zu einem Gott. Du wirst unsterblich sein. Orpheus, der göttliche Sänger, der selbst die Stürme besänftigt. Du kannst mit mir durch die Welten ziehen und die Menschen werden dir zu Füßen liegen und dich anbeten, wenn sie dich singen hören. Du bist jetzt schon unsterblich. Denn die Welt lässt dich nicht sterben. Du hast die Chance, etwas besseres daraus zu machen.“

Ein Gott sollte er sein? Er? Orpheus? Ein absurder Gedanke. Alles, was er wollte, war Frieden und Ruhe.

„Es ist nicht viel.“ Dionysos reichte Orpheus einen Kelch mit Wein. „Trink nur einen Schluck! Der Wein ist meine Göttlichkeit. Sie wird dich durchströmen und dich unsterblich machen. Du wirst auf ewig singen.“

„Und auf ewig leiden“, sagte Hypnos dumpf. „Du bist nur der, der du bist, durch das Leid, das du erfahren hast. Die Wesen in der Unterwelt wollen nichts hören über die Schönheit der Welten. Sie wollen nur, dass du ihren eigenen Schmerz fütterst. Nimm sein Angebot an und du wirst auf ewig die schönsten Lieder singen, aber auch auf ewig leiden… Glaub mir, Orpheus! Ich weiß, wovon ich rede.“

Der Gott des Weins und des Rausches lachte. „Ein geringer Preis für die Göttlichkeit. Das ist mein Geschenk an dich: Die Wahl! Du kannst dich entscheiden, mein Angebot anzunehmen, und noch heute wirst du ein Gott an meiner Tafel sein. Du kannst dich entscheiden in die Unterwelt zu gehen und das Vergessen zu suchen, doch du wirst von allem, was dort existiert, erkannt werden und wirst dich niemals selbst verlieren… oder… und das ist ein Geschenk, das ich nicht vielen mache: Ich schenke dir Vergessen.“

Orpheus hatte genug von den Spielchen der Götter.

„Dann schenkt mir endlich das Vergessen“, sagte er heftig. „Ich habe genug. Genug gelitten, genug erinnert und genug gesucht. Auch wenn es nicht mein Vergessen ist… ich bin es leid zu sein. Ich habe keine Kraft mehr in den Gliedern. Bitte, Dionysos, gewährt mir das Vergessen!“ Er sank auf die Knie und senkte den Kopf.

„So sei es.“ Dionysos lächelte und winkte zweien seiner Begleiter zu. Sie traten hinter Orpheus und hielten ihn fest. Gemurmel entstand unter der Festgesellschaft.

„Solange du singst, wird die Welt sich deiner erinnern. Sie wird dich vergessen, wenn du nicht mehr singst. Bringt mir seine Zunge auf einem Silbertablett!“

Panik durchschoss Orpheus und er wand sich und versuchte aus dem Griff der Satyren zu entkommen. Doch ihr Griff war eisern. Eine Nymphe mit einem Messer in der Hand ging auf Orpheus zu. Er schrie und drehte den Kopf zur Seite. Doch einer der Satyren hielt seinen Kopf fest und drückte ihm den Mund auf. Der Schmerz war grauenhaft und schoss glühend durch seinen Körper, als die Nymphe ihm die Zunge herausschnitt. Orpheus versuchte zu schreien, doch er schluckte Blut  und hustete.

Hypnos sank entsetzt auf die Knie und verbarg das Gesicht in den Händen.

Die Nymphe brachte Dionysos Orpheus‘ Zunge. Der sah sie fasziniert an. „Die Zunge des Sängers. Wie viele Herzen hat sie gerührt? Wieviele Lieder gesungen? Ich werde sie später essen.“

Orpheus wimmerte.

Dionysos stellte die Zunge beiseite und ging auf Orpheus zu. „Auch wenn du nicht singen kannst… so kannst du doch immer noch deine Lyra spielen und die Welten verzaubern. Wenn du willst, dass dich die Welt vergisst, damit du vergessen kannst, dann darfst du keine Lyra mehr spielen.“

Ein Satyr kam mit einer Säge auf Orpheus zu. Er wand sich panisch und wimmerte entsetzt, als ihm klar wurde, was ihm bevorstand.

„Habt doch Gnade!“, flehte Hypnos.

Apollon legte dem Gott der Träume die Hand auf die Schulter. „Ich befürchte, die wird ihm gerade zuteil“, sagte er leise und sah zu, wie der Satyr dem schreienden Orpheus die Hände absägte. Sie fielen vor ihm auf den Boden.

„Du sollst fortan in der Welt nicht mehr nach dem Gesicht von Eurydike suchen. Es ist Zeit, dass du sie vergisst. Damit du deinen eigenen Schmerz vergessen kannst. Such nicht mehr in den vorüberziehenden Schatten ein längst vergangenes Glück!“ Dionysos nickte Lethe zu.

Sie zog eine Nadel aus ihrem Gewand und ging auf den schluchzenden Orpheus zu. Sie kniete sich vor ihn, küsste ihn auf die Wange und streichelte ihm über die Haare. „Wie viel Leid haben diese Augen gesehen? Wie viel Hoffnung? Wie viele Tränen haben sie geweint? Und wie viele Gesichter haben sie abgesucht, in der Hoffnung, darin einen geliebten Menschen zu finden? Es ist Zeit, dass sie aufhören zu suchen.“ Sie küsste Orpheus Stirn und stach ihm die Nadel in die Augen.

Der Schmerz war fürchterlich und durchfuhr Orpheus wie ein glühender, sengender Stich. Dann war er blind.

Lethe ging zu Apollon und gab ihm die Nadel. „Er soll nicht mehr in fremden Stimmen die Erinnerung an Eurydike suchen. Geh zu ihm und erlöse ihn von den Versuchungen der Welt!“

Apollon schluckte und nahm die Nadel. Dann ging er zu Orpheus, der die Schritte näherkommen hörte, und stach die Nadel in seine Trommelfelle.

Orpheus brüllte auf und hörte fortan nie wieder etwas.

Er hörte den Satyr nicht, der auf ihn zukam und ihm die Beine absägte. Er spürte nur den Schmerz, und als er nicht mehr hörte, nicht mehr sah und seine Hände nicht mehr spürte, erkannte er die Gnade darin. Es war das Vergessen, welches er immer gesucht hatte. Die Stille. Das Nichts. Die Erlösung.

Hypnos, von Grauen geschüttelt, sah einen Moment auf den geschundenen Orpheus und sah sein blutiges Gesicht lächeln.

„Nun, Hypnos… Nun ist es an dir. Du, der du sein Freund bist. Gib ihm die Gnade, sich selbst zu vergessen!“ Dionysos hielt Hypnos ein goldenes Messer hin.

Hypnos schluckte. Er wusste, dass der Gott des Rausches recht hatte. Es war brutal, doch es war effektiv. Ein effektiver Weg zu vergessen. Und er wusste, dass Lethe recht hatte… Er, der Gott der Träume, brauchte seinen Schmerz, um der zu sein, der er war. Für Orpheus, den Sänger, dem Wanderer in der Unterwelt, war sein Schmerz Folter. Er nahm Dionysos das Messer aus der Hand und ging auf Orpheus zu. Der lag röchelnd und lächelnd vor ihm im Gras. Um ihn herum lagen seine Hände, seine Beine und seine Augen. Hypnos kniete sich neben ihn und streichelte dem jungen Mann sanft übers Haar. Orpheus spürte die Berührung und genoss die Liebe, die davon ausging.

Dann nahm Hypnos das Messer und stieß es Orpheus tief ins Herz.

Schmerz durchzuckte Orpheus. Ein tiefer, gleißender Schmerz, der ihn komplett ausfüllte. Dann spürte er, wie alle Erinnerung, aller Schmerz, alles Leben aus ihm herausblutete und eine Stille und wohltuende Leere in ihn hineinsickerte. Orpheus starb. Er hörte auf zu existieren.

Der zerstückelte Leichnam des jungen Mannes lag auf der Lichtung. Hypnos kniete weinend neben ihm. Die Festgesellschaft jubelte und stimmte einen wilden, ekstatischen Tanz um seine Leiche an.

Dionysos trat auf den weinenden Gott der Träume zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Um etwas zu bekommen, muss man etwas geben. Das weißt du. Auch um etwas zu vergessen, muss man etwas geben. Die Gnade des Nichts ist nicht umsonst. Wer so ein mächtiges Geschenk erhält, muss sehr viel dafür aufgeben. Alles. Frag dich selbst, wenn du unter den Sternen liegst und um Selene weinst, ob es nicht das war, was er die ganze Zeit brauchte. Du, Apollon, Lethe… vielleicht wolltet ihr alle das Gute für ihn, doch ihr habt ihm nur das angeboten, was ihr selbst brauchtet. Ich habe ihm Erlösung gegeben… und nun geh… Ich sehe einen Weg, der sich in den Frühling auftut.“ Dionysos lächelte Hypnos an und zeigte auf den Rand der Lichtung. Dort stand ein Schatten. Ein Umriss… ein Schemen… Hypnos sah ihn an und nickte tränenblind.

„Danke“, sagte er und Dionysos nickte lächelnd.

Hypnos stand auf und ging auf den Schatten zu. Der Schatten sah ihn nicht, er wusste nicht, wer er war. Er wusste nicht einmal, wer er selbst war. Er war einfach nur da.

„Komm mit mir! Ein Frühling wartet auf dich.“ Hypnos sah, wie der Schatten ihm folgte.

Vor ihnen, zwischen den Bäumen, tat sich ein silberner Pfad auf. Blumen wuchsen an seinem Rand und ein lauer, wohltuender Wind brachte einen süßen Duft mit sich. In der Ferne glänzte ein warmes Licht. Elysium. Nach all den Jahren.

Hypnos ging voran und der Schatten folgte ihm.

Dann endete der Wald und vor ihnen fiel eine weite Ebene sanft ab. Wälder raunten in der Ferne und weite Wiesen, auf denen Blumen wuchsen, wogten in einem sanften Wind. Weit entfernt schimmerte das Meer unter einer warmen Sonne. Die Insel der Glückseligen. Der Weg endete vor einem Tor aus Steinsäulen, um die blühender Efeu und Weinreben rankten.

„Spürst du die nahe Flut, mein Freund?“ Tränen standen Hypnos in den Augen. „Kannst du den Wind spüren, der vom Meer kommt und deinen Körper liebkost? Er bringt eine wundersame Kühle mit sich, der deine Seele tränkt. Du kannst davon trinken, soviel du magst. Und saftige, süße Trauben essen. Sie wachsen nur eine Handweit von dir entfernt.“

Der Schatten sah nichts davon und er spürte auch nichts. Er fühlte gar nichts.

„Weiße Wolken ziehen über den Himmel, hörst du?“, sagte Hypnos unter Tränen. „Wie Segelschiffe mit geblähten, weißen Segeln, die aus den fernen Ecken der Glückseligkeit neues Glück für die Frühlingslande bringen. Sie segeln über viele Himmel.“ Er lächelte, als er sah, wie Vögel über ihn hinwegzogen.

„Deine Reise hat jetzt ein Ende. Es ist Zeit zu feiern und Zeit, die große Ruhe zu genießen. Über uns ziehen die Vögel aus den wilden und rauen Landen in den ewigen Frühling. Sie wissen, wohin ihre Wege sie führen, und sie wissen, wie sie ihre Wege gehen müssen… Hörst du? Sag deiner Seele, sie braucht sich nicht fürchten, sag deiner Seele, sie darf jetzt Frieden und Glück finden! Geh… Geh durch das Tor!

Der Schatten ging durch das Tor und betrat nach so langer Zeit endlich das Elysium. Als er die Schwelle überschritten hatte, fiel alles Düstere, Dunkle und Schattenhafte von ihm ab und in einem leuchtenden, goldenen Licht trat Orpheus, der Liebling der Götter, ins Elysium ein. Eine Gestalt erwartete ihn dort. Auch sie war wie aus Licht. Durchscheinend, golden leuchtend.  Sie lächelte und strich sich eine Locke aus dem Gesicht.

„Da bist du ja“, sagte Eurydike und schloss Orpheus in die Arme.

Hypnos blieb am Tor zurück und sah, wie Orpheus und Eurydike die Wiese hinunter zum Meer gingen. Er wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Es mochte noch eine Ewigkeit dauern, bis er das Elysium betreten konnte. Bis dahin würde er der Gott der Träume bleiben.

Er wandte sich um und sah einen silbrigen Schein zwischen den Bäumen des Waldes. Ein funkelndes Geräusch begleitete den Silberschein. Gebannt bliebt Hypnos stehen. Das Leuchten kam näher. Eine Gestalt trat aus dem Wald. Ihr langes, silbernes Haar fiel ihr lang über die Schultern. Diamanten waren hineingeflochten. Sie trug ein langes weißes Kleid, in das Silberfäden gewebt waren.

Sie hatte beinahe weiße Haut und ein feines, filigranes Gesicht. Als sie Hypnos mit ihren wunderschönen, grauen Augen anschaute, raubte es ihm fast den Atem.

Sie lächelte ihn an.

„Selene…“, flüsterte er.

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