MittelMord

Monster in Weiß

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

Drei

Ich denke an Gefunkel in der Dunkelheit.

Das Hochzeitskleid steht an einer Schaufensterpuppe aufgehängt in der Ecke meines Zimmers. Der Schleier ist am Halsstumpf der Puppe befestigt, und über die Schultern drapiert. Die flachen Schuhe stehen vor dem Kleid, mit den Zehen zueinander deutend. Absätze hätten mich zu alt aussehen lassen.

„Lächel’ doch mal, es ist dein großer Tag! Und dein Kleid ist so schön.“

Ich wende meinen hohlen Blick zurück zur Kamera. Das Kleid ist ein Monster aus Tüll, Schichten und Rüschen. Das Blumenmuster ist eines der hässlichsten Dinge, die mir jemals unter die Augen gekommen sind, und erinnert mich an den muffigen Geruch des Sofas meiner Großmutter.

Mein Vater verzieht hinter der Kamera das Gesicht, als mein eigenes weiterhin steinern bleibt. Er drückt den Knopf einmal, zweimal, es blitzt, einmal, zweimal. Dann seufzt er tief.

„Meinetwegen. Wir versuchen’s morgen nochmal, ja? Wir brauchen schöne Bilder, Liebes.“

Er klappt das Stativ zusammen und klemmt es sich unter den Arm. Die Kamera verstaut er ordnungsgemäß in ihrer Tasche- sie war teuer, er will nicht riskieren, dass sie beschädigt wird- und verlässt dann widerwillig den Raum.

Ich starre das weiße, glitzernde Monster mit Hass in den Augen an. Was für ein widerliches Ding. Es wiegt zu viel, um vernünftig getragen zu werden, wahrscheinlich um zu verhindern, dass ich weglaufe, sobald ich es anhabe, und vergrößert mein Volumen um etwa das dreifache.

„Fick dich“, beschimpfe ich es. Das Kleid bleibt leise.

Ich gleite aus dem Bett und gehe zu meiner Zimmertür, gegen die ich mein Ohr presse. Das Badezimmer liegt den Flur hinunter links, und ich will heute niemanden mehr sehen. Aber mich trifft Stille, also öffne ich die Tür und gehe ins Bad.

Mir sieht eine Fremde aus dem Spiegel entgegen. Übertrieben goldrosa Augenlider, viel zu viel Lippenstift, eine unannehmbare Menge an Kontour und Bronze und weiß Gott was mir unsere blöde Zofe ins Gesicht geschmiert hat. Ich drehe den Wasserhahn auf und warte, bis das Wasser heiß ist, und dann schrubbe ich, bis etwas, das schon fast ich sein könnte, unter all dem Dreck hervorkommt. Meine Fleckige, gereizte Haut leuchtet mir aus dem Spiegel entgegen. Ich habe noch nie besser ausgesehen.

Als nächstes ziehe ich alle Pins aus meinen Haaren. Das dauert eine Weile, denn die Hochsteckfrisur, die sie mir aufgedrängt haben, ist genauso voluminös wie das Kleid. Mein Skalp brennt am Ende der Tortur von der Entlastung.

Das schlichtere und trotzdem schrecklich aussehende Kleid, das ich für Fotos anziehen soll, werfe ich über den Rand der Badewanne. Stattdessen schlüpfe ich in einen Bademantel.

Ich schalte das Licht ab und drücke mein Ohr gegen die Tür, bevor ich meinen Rückweg antrete. In den Sekunden der Dunkelheit stelle ich mir vor, dass da etwas glitzert, und ich will wissen, was.

Stille erwartet mich draußen. Ich stelle sicher, dass ich alles so verlasse, als wäre ich nie hier gewesen, inklusive des Kleids, das ich leider mitnehmen muss, und verschwinde zurück in mein Zimmer.

In dem Moment, in dem die Tür ins Schloss fällt, überkommt mich eine schreckliche Erschöpfung. Man kann nur so lange Kontrolle vortäuschen, bis der Körper unter einem nachgibt. Ich hänge das schlichte Kleid zurück in den Schrank, weil ich für jede Falte bezahlen müsste, zeige dem extravaganten Kleid den Mittelfinger, und setze mich an das Fenster. Selbst wenn ich wollte, könnte ich mich nicht ins Bett bewegen, denn alle meine Glider versagen mir den Dienst. Ich sitze für einige Zeit gelähmt da, und sehe der Landschaft beim Verändern zu. Sie wäre so viel schöner, wenn sich das Fenster öffnen lassen würde…

Punkt sieben Uhr öffnet sich die Tür einen Spalt. Jemand steckt seinen Kopf herein- entweder Papa oder die Zofe- um zu sehen, ob ich drin bin, und schließt die Tür wieder. Ein Klicken, ein Knacken, und ich bin eingeschlossen.

Sie haben dazugelernt. Ich würde immer versuchen, wegzulaufen.

In zwei Wochen ist mein siebzehnter Geburtstag. In zwei Tagen heirate ich.

Ich habe mich am längsten gewehrt. Ich bin die mittlere Schwester von drei, die einzige, die noch nicht verheiratet ist, und diejenige, die es mit dem höchsten Alter hinter sich bringt. Mein zukünftiger Ehemann ist ebenfalls spät dran, denn er ist siebenundsechzig Jahre alt. Er wollte mich eigentlich nicht haben, weil ich zu alt bin, um als dummes Gör gefügig geschlagen zu werden, doch als er den Preis gesehen hat, lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Mein Vater hatte ihm gesagt, dass ich bereits weibliche Züge habe, und das hat ihn endgültig auf mich versessen gemacht.

Mir wird schlecht. Unwillkürlich verziehe ich das Gesicht, als sich ein bitterer Geschmack auf meiner Zunge ausbreitet.

„Fick dich. Ich hasse dich“, zische ich wieder meinem Hochzeitskleid zu. Es reagiert nicht, und das macht mich wütend. Sie haben es in die Ecke meines Zimmers gestellt, um mir bewusst zu machen, worauf ich warte. Eine drohende Botschaft, die über mir hängt wie Nebel über den Straßen… oder wie eine Leiche am Strick. Und es sitzt da, und starrt mich mit diesem bescheuerten Schleier an.

„Ich würde dich anzünden, wenn ich es könnte“, keife ich, „Sei froh, dass ich für dich bezahlen müsste! Sei froh, dass ich kein Feuerzeug habe! Scheißding.“

Alles Schimpfen und Schreien bringt sich nichts. Das Kleid sitzt nur in der Ecke und wartet, so wie ich.

Verzweifelt werfe ich mich in die Kissen und vergrabe mein Gesicht darin. Ich will nicht, dass das Hochzeitskleid sieht, wie ich weine.

Zwei

„Lächeln! Schön gerade sitzen! Zeig dich ein bisschen her, schön bist du ja!“

Mein zukünftiger Mann, jetziger Verlobter, setzt alles daran, mich dazu zu bringen, mich zu übergeben. Ständig leckt er sich über die Lippen, starrt mich überall an, außer in meine Augen. Ich behandle ihn genauso, wie ich meinen Vater und ihn seit sieben Monaten behandle: ich starre ausdruckslos und schweige. Sie hassen es.

Endlich gibt er auf. Er wringt mit den Händen und dreht sich brisk um, um wie ein aggressiver Stier auf- und abzugehen, stampfend, mit der Grazie einer Dampfwalze.

„Nutzloses Weib!“

Papa sieht mich vom Türrahmen aus missbilligend an, aber ich verrate ihm nichts. Kein Wort hat er von mir verdient.

„Die Schwestern von dem Mädchen wären tausend Mal besser gewesen. Die wären bestimmt nicht so stur gewesen.“

Mit stummen Hass in den Augen starre ich ihm hinterher, wie er von links nach rechts und wieder nach links geht. Meine Schwestern habe ich seit dem Tag ihrer Hochzeit nicht mehr wiedergesehen. Insgeheim frage ich mich, ob Papa, falls Mama noch da wäre, einfach weiter Töchter machen würde, die er verkaufen kann.

„Wo ist dein Verlobungsring?!“

Der alte Mann rauscht an mir vorbei und greift das Stück Silber und Kristall vom Nachttisch.

„Anstecken!“, keift er, reißt meine Hand am Handgelenk hoch, und zwängt ihn auf meinen Ringfinger- auf den falschen, im Übrigen. So wie er es hasst, dass ich ihn anschweige, so hasst er es auch, dass ich seinen Ring nicht trage.

Papa und mein Verlobter diskutieren hitzig im Flur. Meine Hand schließt sich zur Faust, und der Ring sitzt falsch, denn er gräbt sich in mein Fleisch und zwickt meine Haut ein. Der Schmerz fühlt sich gut an.

Angewidert starre ich auf das Silber hinunter. Der Ring ist fast so schlimm wie das Kleid, aber ich kann das Kleid nicht in eine Schublade stopfen und so tun, als würde es nicht existieren.

Dumpf dringt der Streit von Papa und meinem Verlobten durch die Wände. Ich starre taub aus dem Fenster. Die Landschaft dahinter sieht hässlicher aus als sonst. Papa hat das Fenster zugeklebt, als ich zum ersten Mal versucht habe, wegzulaufen. Er war nur für fünf Minuten weg, um mit unserem Nachbarn zu tratschen, was ehrlich gesagt sein eigener Fehler war. Ich hatte meine Sachen gepackt und bin aus der Tür gelaufen, doch er hat meine Schritte gehört und ist mir nachgelaufen. Ich habe mich in der Gartenhütte versteckt und leise gehofft, dass er einfach vorbeigeht. Zehn Minuten lang bin ich im Dunkeln gestanden, habe das glitzernde Ding in der Ecke angestarrt, was das Einzige war, was Licht reflektiert hat. Es war hypnotisierend, der kleine Fleck Licht im Dunkeln. Ich denke oft daran.

In der elften Minute- zumindest hat sich es wie die elfte angefühlt- hat Papa die Tür aufgerissen und mich an den Haaren zurück ins Haus gezerrt. Seitdem verschließt er immer die Türen, wenn er nicht persönlich da ist, um mich vom Wegrennen abzuhalten, und hat mein Fenster zugeklebt.

Der Streit draußen verstummt abrupt mit einem lauten Knall einer zugeschlagenen Tür. Für einige Sekunden ist es leise, dann öffnet Papa die Tür.

„Warum lächelst du nicht, Süße?“

Weil ich dich hasse, will ich ihn ankeifen. Ich schweige.

„Du hast Glück! Dein Mann ist reich, du wirst niemals in deinem Leben arbeiten müssen!“

Er wird mich schlagen. Und er wird Kinder wollen. Ihr alle verkauft Mädchen. Ihr seid alle gleich.

Wieder vergehen einige Sekunden der Stille zwischen uns, die sich dehnen wie Kaugummi in meinen Haaren. Papa verschwindet einfach nicht, und dann reißt mir der Geduldsfaden.

„Du glaubst also, dass ich ein glückliches Mädchen bin?“ Ich verwende das Wort Mädchen absichtlich.

„Natürlich“, sagt Papa und lächelt dabei breit. Irgendwie will ich ihn seine Zähne schlucken lassen.

„Wieso fühle ich mich dann nicht so?“

„…was?“

„Wenn ich so glücklich bin, wieso fühle ich mich dann miserabel? Wieso fühle ich mich wie der unglücklichste Mensch auf Erden? Warum habe ich das Gefühl, dass mein Untergang naht und ich ihm nicht entkommen kann? Sag mir, wenn ich so verdammt viel Glück habe, warum fühle ich mich dann so, als würde ich sterben wollen?“

Auf das hat er keine Antwort, also verzieht er nur das Gesicht und steht auf.

„Wenn du weiter so störrisch sein willst, dann tu das meinetwegen. Es ist nicht meine Zukunft, der du ins Gesicht spuckst.“

Er verlässt das Zimmer und schließt die Tür. Wut keimt so schnell in mir hoch, dass ich eines der Kissen auf meinem Bett packe und es gegen die Tür schleudere. Dann bereue ich, dass ich überhaupt mit ihm gesprochen habe, falle auf die Knie und weine. Dieses Mal ist es mir egal, ob das Kleid zusieht.

Eins

Es ist erst vier Uhr früh und die Zofe zupft bereits an meinen Haaren herum.

Die Luft im Zimmer ist aufgebraucht— das ist sie zwar bereits seit Wochen, doch heute ist es besonders schlimm. Ich und die Zofe schwitzen beide. Ich hasse sie, und weiß, dass es nicht wirklich ihre Schuld ist, und hasse sie trotzdem.

Wir schweigen einander an. Das ist alles, was wir einander zu sagen haben.

Ich starre auf den Boden, wo ein Farbfleck sich neben dem Bett im Holz verewigt hat. Als ich vierzehn war, habe ich auf dem Bett gemalt und gekleckst. Aus Angst, dass Papa es sehen könnte, habe ich dann geschrubbt, bis meine Hände und knie wund waren. Geschlagen wurde ich trotzdem dafür. Eigentlich hätte ich mir auch das Schrubben ersparen können…

Ich wollte Künstlerin werden. Vielleicht Lehrerin. Stattdessen führt mich mein Schicksal in die Arme eines Mannes, der mich zuerst einsperren, und dann finanziell von ihm abhängig machen wird. Ich werde an dem Tag meiner Hochzeit meine Freiheit verlieren, und nie wieder frische Luft schmecken.

Die Zofe drückt mir auf die Schultern. Erst denke ich, dass sie an meiner Kleidung etwas richten möchte, was keinen Sinn macht, denn ich ziehe das weiße Monstrum in der Ecke erst in etwa neun Stunden an, wenn die Hochzeit beginnt.

Erst als ich zu ihr hochsehe, bemerke ich, dass sie nur meine Aufmerksamkeit wollte. Tränen stehen in ihren Augen. Sie kniet sich vor dem Bett hin und wickelt ihre Arme um mich.

Mehrere Sekunden lang sitze ich wie angefroren, dann kommen die Tränen. Die Zofe, deren Namen ich nicht einmal weiß, drückt mich fest und gibt mir den einzigen Trost, den ich seit Monaten bekommen habe.

Wir sitzen und weinen in erzwungener Stille. Mein Vater schläft natürlich noch und würde die Zofe umbringen, wenn wir ihn aufwecken würden. Nach einigen Sekunden löst die Zofe langsam die Umarmung, dann drückt sie einen Kuss auf meine Stirn und geht. Die Tür fällt ins Schloss.

Ich wische mir die Tränen vom Gesicht und atme durch. Noch darf ich weinen— wenn die Zofe in etwa zwei Stunden wiederkommt, um mein Gesicht wieder anzuschmieren und mir ins Kleid zu helfen, darf ich mir keine Tränen mehr erlauben. Zwar will Vater mich vor der Hochzeit nicht schlagen— zumindest nicht im Gesicht— weil ein blaues Auge oder ein Bluterguss auf der Wange schwer zu überschminken ist, doch wenn mein Gesicht bereits durch verwischtes Make-Up und Tränen ruiniert ist, wird es ihn weniger kümmern.

Fast wäre ich mir durch die Haare gefahren. Ich fange mich im letzten Moment und presse stattdessen die Hände auf mein Gesicht.

In der Stille realisiere ich etwas; als die Zofe mein Zimmer verlassen hat, gab es nur ein Knacken.

Ich rutsche vom Bett, gehe zur Tür und drücke die Klinke. Sie springt auf.

Mit offenem Mund und aufgerissenen Augen starre ich den Flur dahinter an. Sie hat es vergessen. Sie hat vergessen, die Tür abzuschließen, und jetzt kann ich abhauen.

Ich zögere keine Sekunde lang. Es interessiert mich nicht, was auf mich wartet, solange es nicht dieses Haus ist. Auf leisen Sohlen schleiche ich an Vaters Zimmer vorbei, die Treppen hinunter und zur Vordertür. Ich rüttle— verschlossen— doch ich finde den Schlüssel relativ schnell auf der Kommode im Wohnzimmer.

Es scheint wie ein Wunder, dass der Schlüssel wirklich passt, und sich drehen lässt, und dass die Tür aufgeht. Irgendetwas sollte schiefgehen, mich im letzten Moment aufhalten und verdammen, doch ich verlasse ungehindert das Haus. Meine nackten Füße spüren nasses, kaltes Gras.

Ich hechte durch unseren Garten. Mehrere hundert Quadratmeter Grünfläche mit dem Zelt für meine Hochzeit und der Gartenhütte mit dem glitzernden Ding daneben. Fast erwarte ich, dass mein Vater aus dem Zelt auftaucht und mich fasst, doch ich bin alleine hier draußen.

Gerade als ich den Zaun erreiche und beginne, darüber zu klettern, realisiere ich, dass die Zofe nicht vergessen hat, die Tür abzuschließen, sondern es absichtlich gemacht hat. Dann, dass Vater die Zofe dafür töten wird, dass ich wegen ihr ausbüxen konnte. Dann, dass sie es gewusst hat, und für mich in Kauf nehmen wird.

Auf halbem Weg über den Zaun halte ich inne. Langsam lasse ich mich wieder auf das Gras sinken, dann sinke ich auf die Knie und lehne die Stirn an den Draht.

Mein Blick wandert langsam zur Gartenhütte.

Noch während meinem Weg dorthin durchlaufe ich alle Möglichkeiten, die ich habe, doch sie alle laufen auf dasselbe heraus: Ich kann nicht gehen, ohne dass die Zofe für mich stirbt. Wenn sie so ist wie ich, wird sie nicht die Chance oder die Mittel haben, um wegzulaufen. Wahrscheinlich hat sie Kinder, die sich auf sie verlassen.

Zwar kann ich nicht weglaufen, aber ich kann— ich muss— herausfinden, was da in der Hütte geglitzert hat.

Ich öffne die Tür. Mondlicht flutet die Gartenhütte.

Das Ding funkelt mich an. Meine Augen funkeln zurück.

Null

Die Zofe hat ein langsam anschwellendes Auge und einen roten Handabdruck auf der Wange. Trotzdem kümmert sie sich tapfer um mein Make-Up.

Sie tut mir Leid. In ihren Augen hat sie grundlos die Tür für mich offen gelassen und büßen müssen, obwohl ich nicht weggelaufen bin. Am liebsten würde ich mich bei ihr entschuldigen.

Sie entscheidet mit einer letzten Schicht Lippenstift, dass ich fertig bin. In stiller Einigung entscheiden wir, dass ich keinen Blick in den Spiegel brauche; wir wissen beide, wie schrecklich ich aussehe.

Sie zieht die Schaufensterpuppe mit dem weißen Monstrum in die Mitte des Raumes und beginnt, es aufzumachen. Es wird zugeschnürt, was kompliziert ist und unnötig lange dauert. Sobald es locker genug dafür ist, zieht sie es von der Puppe und hält es mir hin, stetig darauf bedacht, keine Falten darin zu machen.

Ich lasse den Bademantel von meinen Schultern fallen und steige in das Maul des Monsters. Es verschlingt mich von Hals bis Schuhspitze, mit Massen von schwerem, dichten Stoff, der mir den Atem in der Lunge zerdrückt.

Die Zofe beginnt, es langsam zuzuschnüren. Sie ist vorsichtig dabei, zerrt nicht daran, macht es nicht enger, als es sein muss. Das Band bindet sie zu einer Schleife, die an meinem unteren Rücken hängt. Schlussendlich geht sie um mich im Kreis und zupft Details zurecht.

„Wie heißt du?“, frage ich sie leise.

Sie starrt mich verschreckt an, als hätte ich sie angeschrien. Nach einem langen Zögern und einem vorsichtigen Blinzeln sagt sie, „Sophia.“

„Danke, Sophia“, sage ich.

Sophia zwingt sich zu einem Lächeln.

„Mach das nicht“, murmle ich, „Niemand hier hat es verdient.“

Es weicht von ihrem Gesicht. Die Wut in ihren Augen passt besser in ihr Gesicht.

„Was ist dein Name?“, fragt sie.

„Marie.“

„Viel Glück, Marie“, sagt Sophia, küsst mich auf die Stirn und geht dann auf den Flur.

„Sie ist fertig“, sagt sie laut.

„Wurde aber auch Zeit.“

Ich werde allein in meinem Zimmer gelassen, während Vater sich fertig macht. Schließlich steht er im Türrahmen und starrt mich an.

Ich hasse dich, denke ich.

„Bringen wir’s hinter uns“, knurrt er.

Ich gehe zu ihm und hake mich ein. Meine Hände sind krampfhaft im Stoff, Tüll und der Spitze des weißen Monstrums vergraben, das mich in seinen Zähnen hat. Jeder, der dort draußen auf uns wartet, wird nur eine nervöse Braut sehen, einen Teil der Charade.

Vater hat erzählt, dass ich mich auf diese Hochzeit freue, dass ich es kaum erwarten kann, meinem zukünftigen Mann Besitz über mich zu übertragen. Alle Gäste glauben, ich bin glücklich. Spitze, Glitzer und Tüll kann einiges verstecken.

Das Zelt steht immer noch in der Mitte des Gartens, nun gefüllt mit Freunden von Vater, Kollegen, vergangenen Kunden. Insgeheim frage ich mich, ob ich meine Schwestern in der Menge sehen werde.

Vater führt mich mit strengem Schritt zwischen den Sesseln, die unter dem Zelt aufgestellt wurden, hindurch. Der Altar wartet gegenüber, ein Podium mit einem Buch, an das ich den Glauben verloren habe, und ein Mann, den ich hasse, dem ich in wenigen Augenblicken gehören werde.

Ich bemerke die Musik erst, als ich am Altar stehe und sie ausgeht.

„Versammelte Gäste“, sagt der Priester, „Wir sind hier versammelt, um die Einigung zweier Seelen zu bezeugen.“

Der Rest fließt in eines meiner Ohren hinein und beim anderen wieder hinaus.

Erst als Vater mir den Ellbogen in die Schulter rammt, sehe ich auf.

„Lass dein verdammtes Kleid los“, murmelt er.

Ich verkrampfe meine Hände fester.

Das Kissen mit den Ringen wird zwischen mich und den alten Mann, der mich gekauft hat, gelegt.

Mein Verlobter wird angesprochen. Ich blende seinen Namen aus, weil ich ihn nicht wissen will. „Lege nun dein Eheversprechen ab“, sagt der Pfarrer.

Wir haben beide diesen Text auswendig gelernt.

„Vor Gottes Angesicht nehme ich dich als meine Frau“, sagt er, „Ich verspreche dir die Treue in guten und in schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis der Tod uns scheidet.“

Er nimmt den Ring vom Kissen und steckt ihn an meinen Ringfinger.

„Maria“, sagt der Pfarrer, „Lege nun dein Eheversprechen ab.“

„Vor Gottes Angesicht“, sage ich, „nehme ich dich als meinen Mann.“ Der Ring um meinen Finger liegt wie eine Kette um meine Kehle.

Mein Käufer grinst mich an, als hätte er gewonnen.

„Ich verspreche dir die Treue in guten und in schlechten Tagen“, sage ich, und fühle, wie mein Herz zu hämmern beginnt. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus, und ich sehe Angst in seinen Augen. „In Gesundheit und Krankheit.“

Meine Hände lösen sich von dem Stoff des Kleides. Anstatt zu dem Ring greife ich unter die Schichten von Spitze und Tüll. Meine Finger wickeln sich um den Griff von dem Ding, das in der Hütte geglitzert hat.

Ich hebe die Axt über meinen Kopf.

„Bis der Tod uns scheidet.“

Bewertung: 4.8 / 5. Anzahl Bewertungen: 4

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Ähnliche Artikel

2 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Überprüfen Sie auch
Schließen
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"