Mustela nivalis: Dunkelheit
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Mein dröhnender Schädel weckt mich. Stöhnend schlage ich die
Augen auf. Oder versuche es. Die Dunkelheit ist allumfassend. Blinzle. Taste
nach meinen Augen, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich offen sind. Langsam
richte ich mich auf. Schwindel erfasst mich. Stöhnend suche ich einen festen
Halt. Meine Hand ertastet eine kühle Steinwand. Lehne meinen Kopf dagegen, bis
sich der Schwindel gelegt hat. Langsam werden meine Gedanken klarer.
Die Erinnerung trifft mich wie ein Faustschlag. Tränen
schießen mir in die Augen. Versuche nicht mehr dagegen anzukämpfen. Hier ist
niemand, der mich sehen könnte. Krampfhafte Schluchzer schütteln meinen Körper,
während ich zulasse, dass die Gefühle mich überrollen. Die kalten Stacheln des
Verrats vermischen sich mit heißer Wut und brennender Verzweiflung. Formen ein
riesiges Meer, das mich zu verschlingen droht. Irgendwann versiegen die Tränen.
Lassen mich leer und ausgedörrt zurück. Meine Kehle ist wund. Das Meer zu einem
Tümpel zusammengeschrumpft. Zumindest fürs erste. Eine seltsame Ruhe überkommt
mich. Atme tief durch. Ich muss einen Weg hier rausfinden.
Methodisch taste ich mich an der Wand entlang. Untersuche
jede noch so kleine Ritze. Meine nackten Füße machen tapsende Geräusche auf dem
Steinboden. Meine gesamte Ausrüstung ist weg. Das nachthemdähnliche Gewand, das
nur dürftig gegen die Kälte schützt, kenne ich nicht. Den Gedanken, dass jemand
mich aus- und umgezogen haben muss, verdränge ich vehement. Langsam bekomme ich
einen Eindruck von dem Raum, in dem ich bin befinde. Er ist klein, vielleicht 6
auf 9 Fuß. In einer Ecke ist ein Loch. Ein Abort, dem Geruch nach. Zu klein, um
sich durchzuquetschen, selbst für mich. Setze meine Erkundung fort. Irgendwann
spüre ich Holz unter meinen Fingern. Scharniere. Ein Schloss. Neue Hoffnung
keimt in mir auf. Ein Schloss kann man knacken. Grinse. Bringe dabei die
Dietriche zum Vorschein, die ich immer in meiner Backe verstecke.
Spezialanfertigung. Kleiner als normal, und rostfrei. Hat mich ein Vermögen
gekostet. Geschickt mache ich mich an die Arbeit. Die Dunkelheit ist kein
Problem. Im Gegenteil.
Bald höre ich das erlösende ‚Klick‘. Adrenalin strömt durch
meine Adern. Mit klopfendem Herzen öffne ich langsam die Tür. Meine an die
Dunkelheit gewöhnten Augen brauchen einen Moment, um sich an das Dämmerlicht anzupassen,
das in dem schmalen Gang herrscht.
„Beeindruckend. Ich hätte erwartet, dass du mehr Zeit
benötigst.“ Sämtliche Luft entweicht aus meinen Lungen. Meine Knie werden
weich. Die neu erwachte Hoffnung wird mit Gewalt aus mir herausgerissen.
Schmerz wütet in meiner Brust. Zerrt an mir, als wolle er mich zerreißen.
Erst als bunte Punkte vor meinen Augen tanzen, denke ich wieder daran zu atmen.
Vor mir steht Stroke.
Die Arme vor der Brust verschränkt, die stechenden Augen auf mich gerichtet.
Sein Blick brennt sich durch mein Gehirn. Wie erstarrt stehe ich da. Er wusste
es. Er wusste genau, was ich tun würde. Er wollte, dass ich es tue. Wollte
wissen, wie schnell ich entkomme. Er streckt eine Hand aus. Zucke zusammen.
Ducke mich, wie in Erwartung eines Schlages. Ein Reflex aus einer früheren
Zeit. Stroke zeigt keinerlei Regung. Nur seine Augen verengen sich eine
Winzigkeit. Ich brauche ein wenig, um zu begreifen, worauf er wartet. Mit
zitternden Fingern händige ich ihm die Dietriche aus. Sehe zu, wie sie in der
Tasche seines Anzugs verschwinden. Nun besitze ich rein gar nichts mehr. Ich muss hier raus. Mein Blick huscht zu der schlichten
Holztür am Ende des Ganges. Wäre ich schnell genug? „Tu dir keinen Zwang an.“
Seine kalte Stimme reißt mich aus meinen Überlegungen. Lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Das Bild
von Billy schiebt sich vor mein geistiges Auge. Blutend. Gebrochen. Sehe zu
Boden. Ich bin kein Kämpfer. Nie gewesen. Sobald es haarig wurde, hat Buck… Eine
Hand an meinem Kinn unterbricht auch diesen Gedankengang. Versuche ihn
abzuschütteln, aber er packt nur fester zu. Zwingt meinen Blick nach
oben. Unsere Gesichter berühren sich fast, so nah steht er vor mir. Seine
dunkle Stimme geht mir durch Mark und Bein. „Ich möchte, dass du dir eines ganz
genau einprägst: Niemand weiß, dass du hier bist. Niemand schert sich um dich. Du.
Gehörst. Mir!“ Zu spät bemerke ich, wie weit er mich zurückgedrängt hat. Mit
einem lauten Knall schlägt die Tür zu.
Ich bin allein. Allein in absoluter Dunkelheit. In völliger
Stille. Jegliches Zeitgefühl ist mir abhanden gekommen. Meine Sinne spielen
verrückt. Höre Dinge, die nicht da sind. Sehe Gestalten, die nicht existieren können.
Immer wieder bin ich kurz davor, mir weh zutun. Um mich zu vergewissern, dass ich
noch da bin. Dass ich noch existiere. Einzig seine Besuche halten mich davon
ab. Er lässt das Licht in meine Dunkelheit. Bringt mir Essen. Redet mit mir. Am
Anfang habe ich ihn abgeblockt. Mich in eine Ecke verkrochen. Geschwiegen. Irgendwann
habe ich es nicht mehr ausgehalten. Habe die Einsamkeit nicht mehr ausgehalten.
Da begann ich mit ihm zu reden. Erst trotzig. Im Versuch, den letzten Funken an
Würde zu bewahren, habe ich ihn beleidigt. Ihn angeschrien. Er ist nie
gewalttätig geworden. Das musste er auch nicht. Er tat das Schlimmste, das er
tun konnte. Immer, wenn ich ausfallend wurde… ist er gegangen. Hat mich allein
gelassen. Allein in der Dunkelheit. Es dauerte nicht lang und ich spielte nach
seinen Regeln. Blieb höflich. Antwortete auf seine Fragen. Es sind immer
Fragen. Fragen über mich. Meine Kindheit. Mein Leben auf der Straße. Als ich
ihm von dem Tag auf dem Marktplatz erzählte, hat er gelächelt. Er hat sich
daran erinnert. An das kleine, abgemagerte Mädchen, das sich getraut hat, Billy
als Erste zu plündern. Mittlerweile freue ich mich auf unsere Gespräche. Ich
freue mich sogar auf ihn. Es ist das einzige, auf das ich mich freuen kann.
Er ist wieder da. Hungrig mache ich mich über das Mahl her.
Versuche dabei, nicht alles in mich hineinzustopfen. Er legt Wert auf
Tischmanieren. Spüre seinen Blick auf mir. Weiß, dass er gleich anfangen wird
zu fragen. „Wie hast du Buck kennengelernt?“ Allein diesen Namen zu hören,
versetzt mir einen schmerzhaften Stich. Sein Verrat nagt noch immer an mir.
Denke nach. „Er war ein Straßenkind, genau wie ich. An dem Tag auf dem
Marktplatz versteckte er sich in der Gasse gegenüber. Nachdem ich Billys Sachen
eingeheimst hatte, war er ziemlich sauer. Er ist mir in eine Gasse gefolgt.
Später hat er immer behauptet, dass er mich abmurksen wollte, aber das glaube
ich nicht. Buck war nicht der Typ dafür. Jedenfalls standen wir uns gegenüber,
als ein paar ältere Kinder in die Gasse kamen. Sie hatten mich auch gesehen und
wollten das Gleiche wie Buck. Nur mit weniger Skrupel. Buck und ich haben uns
angesehen. Irgendwie haben wir uns sofort verstanden und zusammen schafften wir
es, die anderen fertigzumachen. Ich teilte Billys Zeug mit ihm. Von da an waren
wir unzertrennlich. Jedenfalls bis…“ – „Bis er dich an mich verraten hat.“ Wieder der
Stich. Ich zwinge mich zu einer leisen Zustimmung. Er erwartet immer eine
Antwort. Eine winzige Veränderung in seinem Blick verrät mir seine Neugier.
Mittlerweile kenne ich sein Gesicht besser als mein eigenes. Besser als Bucks.
„Hasst du ihn?“ Eine gute Frage. Horche in mich hinein. Suche nach den
Gefühlen, die ich mit Buck verbinde. Seit unseren Gesprächen bin ich gut darin
geworden meine Gefühle zu analysieren. Zu verstehen, warum ich wann wie gehandelt
habe. Man könnte sagen, er hat mir dabei geholfen, mich besser kennenzulernen.
„Nein. Da ist Enttäuschung. Schmerz. Aber kein Hass. Wie könnte ich ihn
hassen?“ Er nickt kurz. Sein Mund verzieht sich in der Andeutung eines Lächelns. Ein warmes Gefühl macht sich in mir breit. Wann es mich
das erste Mal glücklich gemacht hat, ihn zufriedenzustellen, weiß ich nicht
mehr. Nur, dass es von Mal zu Mal stärker wurde. Sein seltenes Lob sauge ich
auf wie ein Schwamm. Er greift nach dem Essenstablett. Das Gespräch ist für
heute beendet. An der Tür bleibt er stehen. „Wem gehörst du?“ Diese Frage stellt er jedes Mal. Ich kenne die erwartete Antwort. Zuerst weigerte ich mich. Dann gab ich sie nur, weil er sie
hören wollte. Jetzt verschafft sie mir ein Gefühl von Sicherheit. Zeigt mir
meinen Platz in unserer winzigen Welt. „Euch.“ Als Belohnung lässt er die Tür
offen, während er das Tablett aufräumt. Ein paar wertvolle Momente mehr Licht.
Doch die folgende Dunkelheit ist unvermeidlich.
„Möchtest du nach
draußen?“ Erstarre, die Gabel auf halbem Weg zu meinem Mund. Sehe ihn perplex an. „Was?“ Raus? Wie meint er das? Nach draußen? Den
Himmel sehen? Den Wind an meinem Gesicht fühlen? „Du hast mich verstanden.“
Natürlich. Er wiederholt sich nicht gerne. Ich starre ihn weiter an. Habe schon
lange nicht mehr an die Welt außerhalb meiner Steinwände gedacht. Geschweige
denn geglaubt, ich würde sie je wiedersehen. „Ich… ich weiß nicht… Ihr… wollt
mich nach draußen lassen?“ Mein ungläubiger Gesichtsausdruck scheint ihn zu
amüsieren. Er schmunzelt. „Ich wüsste nichts, was dagegenspräche. Sicherlich wirst du dich vorbildlich benehmen.“ Ganz langsam sickert die Erkenntnis in
mein Gehirn. Draußen. Ich darf nach draußen! „J-ja natürlich! Ich werde euch
nicht enttäuschen.“ – „Na dann…“ Er macht eine einladende Geste. Mühsam rappele ich mich auf. Die Zeit in
der Dunkelheit hat meinen Muskeln nicht gutgetan. Auf zitternden Beinen bewege
ich mich vorsichtig zum Türsturz. Kurz davor bleibe ich stehen. Vergewissere
mich, dass er es wirklich ernst meint. Langsam, ganz langsam setze ich einen Fuß über die Schwelle. Stehe im Gang. Plötzlicher Schwindel überkommt mich. Kurz bevor meine Beine unter mir nachgeben, umfassen mich
starke Arme. Sehe nach oben. Direkt in smaragdgrüne Augen. Er lächelt nicht,
aber ich sehe die Wärme in seinem Blick. Mehr getragen als selber gehend bewältige ich die steile Treppe. Eine gefühlte Ewigkeit später stehen wir auf
einem Balkon. Mein Herz klopft in meiner Brust. Keuche. Es ist Nacht. Ein kühler
Wind streicht mir durch die Haare. Der Vollmond taucht die vor uns liegende Stadt in silbriges
Licht. Tief atme ich die frische Luft ein. Tränen verschleiern seinen Blick.
„Danke.“ Das Wort ist nicht mehr als ein Lufthauch. Aber ich weiß, dass er
mich gehört hat.
Nach viel zu kurzer Zeit gehen wir wieder hinein. Aber nicht
zurück in die Dunkelheit. Er führt mich in ein Zimmer, dass auf mich wirkt, wie ein Palast. Es hat ein Bett, einen
Schrank mit Kleidung, ein angrenzendes Badezimmer… und ein Fenster. Nachdem er
mich allein gelassen hat, stehe ich einfach nur da. Sehe nach draußen.
Beobachte, wie sich die Sterne verschieben und die die Sonne langsam hinter dem Horizont auftaucht. Ihr Licht schmerzt mir in den Augen. Trotzdem muss ich mich fast gewaltsam von diesem Anblick losreißen. Nachdem
ich mich, wie aufgetragen, gewaschen habe, falle ich erschöpft in das weiche
Bett. Bin eingeschlafen, bevor mein Kopf das Kissen berührt.
Seit dieser Nacht gehen wir regelmäßig nach draußen.
Unternehmen Spaziergänge. Bauen meine Muskeln wieder auf. Zu Beginn hatte ich
Panik anderen Menschen zu begegnen. Aber jedes Mal war er da. Hat
mich beruhigt. Mich beschützt. Die Tatsache, dass alle einen großen Bogen um ihn machen, hilft.
Bald bin ich stark genug, um alleine zu gehen. Ich darf sogar eigenständig
kleine Ausflüge über die Dächer machen. Der Gedanke, nicht in das Haus
zurückzukehren, kommt mir nie. „Kann ich dir
vertrauen?“ Er legt das edle Silberbesteck beiseite, mit dem er eben noch sein Dinner verzehrt hat.Völlig überrumpelt sehe ich von meinem Teller auf. Allein diese Frage zu hören
kommt mir absurd vor. Beinahe lächerlich. Ich, ihn verraten? Mein Gehirn
weigert sich, den Gedankengang zu Ende zu führen. Erwidere seinen Blick. Er wartet
auf eine Antwort. „Natürlich könnt Ihr mir vertrauen! Ich würde Euch niemals hintergehen!“
Seine Mundwinkel verziehen sich kurz zu einem bitteren Lächeln. Sofort breitet
sich wieder das warme Gefühl in mir aus. „Ich wurde schon von denen verraten,
die mir am nächsten waren. Wie kann ich sicher sein, dass es mir bei dir nicht
ebenso ergeht?“ Die Wärme verfliegt so schnell, wie sie gekommen ist. Kälte tritt an ihre Stelle. Tränen
verschleiern meinen Blick, während sich vertraute Stacheln in mein Herz bohren. Wie konnten sie nur? Wie konnten sie ihm das antun?
Natürlich ist er misstrauisch. Einen solchen Schmerz ertragen zu müssen… Ich
muss ihm zeigen, dass ich anders bin! „Sagt mir, was ich tun muss, um Euch
meine Loyalität zu beweisen.“ Sein Zögern bricht mir beinahe das
Herz. „Egal was?“ Nicke entschlossen. Er schiebt einen zusammengefaltetes Stück Papier über
den Tisch. Eine Adresse. Mir klopft das Herz bis zum Hals. Ich darf nicht
versagen! „Was muss ich tun, wenn ich dort bin?“ Wortlos legt er einen weiteren
Gegenstand auf den Tisch.
Die Wohnung ist verwahrlost. Überall stehen und liegen leere Ginflaschen. Auf dem Boden zusammengekauert erkenne ich eine Gestalt. Langsam
nähere ich mich ihr. Plötzlich kommt Leben in die Gestalt. Sie sieht auf.
Blutunterlaufene Augen starren mich aus einem frühzeitig gealterten Gesicht an. Weiten sich vor Überraschung. Lächelnd ziehe ich den
Dolch.
„Hallo, Buck.“by
Mustela nivalis: