
Plauderei mit dem Tod
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Plauderei mit dem Tod
Er sitzt mir schräg gegenüber, hämmert etwas in sein Laptop und singt leise vor sich hin:
„…er troo-ommelt laut, er troo-ommelt laut – er schlägt auf eine Totenhaut…“ Er stockt.
„Nun ja“, sagt er dann und schaut mit leeren Augen unter seiner schwarzen Kapuze zu mir herüber. „Das war mal. Die guten alten Zeiten. Neunzehnvierzehn – Flandern! Junge, was haben wir da abgeräumt.“ Er lehnt sich leicht nach hinten in seinem schwarz bezogenen Drehsessel. Wippt leicht im Sitz.
„Fünfzehn, Achtzehn! – Wir fuhren Sonderschichten. Laufend waren die Sensen stumpf. Wir hatten ein echtes Materialproblem.“
Er schaut zur Decke, dabei rutscht seine Kapuze etwas über den Hinterkopf. Oder sollte ich sagen Hinterschädel? Das nicht vorhandene Gesicht schaut nach oben, die einsam stehenden Zähne in diesem Knochenkopf halten die glühende Zigarette. „Da kann nix mehr passieren!“, sagte er lachend zu mir, als er diese aus seiner Schublade nimmt und schon glimmend zwischen die Zähne schiebt.
„Die guten, alten Zeiten – mmh, mmh! – War meine erste Anstellung. Noch in der Ausbildung. Azubi. Da mussten viele an vielen Stellen gleichzeitig sein, also wurden auch die Frischlinge für diese Aufgabe eingesetzt. War ’ne gute Schule.“
Dabei nimmt er die Zigarette aus den Zähnen, klopft die Asche in eine kleine, einem Sarg ähnelnde Porzellanform und legt das glimmende Teil mit dem Filter nach außen hinein. Er setzt sich mir gegenüber gerade hin, zieht seine Kapuze bis zu den leeren Augenhöhlen vor und beugt sich zu mir.
„Du hast Fragen an mich? – Wer bist du eigentlich? – Wie kommst du hierher? –
Und – was willste wissen?“
„Äh – tja. Wie? Was? Warum? Kann ich im Moment auch nicht beantworten. Aber wenn ich schon mal da bin. Kann ja nix schaden, sich mit dir zu unterhalten. Es ist nicht einfach, Fragen zu formulieren, wenn man dem Tod gegenübersitzt“, gestehe ich ein. „Sag mal, wie wird man eigentlich Tod?“
Er schaut mich an, seine Zähne könnten ein Grinsen zeigen.
„Indem man auf der vollen Autobahn spazieren geht!“ Sieht mein verdutztes Gesicht und lacht schallend los. Ein böses Lachen. Keine Resonanz aus dem Körper. Ich habe das Gefühl, mein Blut gefriert in den Adern. Dabei reißt er die zwei Zahnreihen so weit auseinander, dass es scheint, der Unterkiefer wolle demnächst wegfallen. Seine weite Kutte zuckt und dabei treten die Umrisse seiner Schultern hervor. Nur einzelne… ich sag mal, wie dünne Stangen sieht das alles aus.
„Auch in unserem Job ist man nicht unbedingt todernst“, meint er, „bei solchen Fragen könnt ich mich totlachen.
Spaß beiseite. Nun, zum Beispiel, wie sich das bei mir ergab. Man wartet im Reich der Toten auf seine nächste Aufgabe. Eines Tages ließ mich der Boss holen und meinte, aufgrund meiner Lebensläufe wäre ich ausgewählt worden, für eine Periode Tod zu spielen. Das ist ungefähr so, wie wenn jemand im Leben als Schöffe ausgewählt wird. Das ist ein Amt, das einem anvertraut wird. Und eine Periode sind immerhin zehn Generationen Mensch. Bei guter Führung im Amt kann man für eine zweite Periode berufen werden. Und dann ist Schluss. Nächste Station ist wieder der normale Lebensablauf.“
„Welche Lebensläufe konntest du vorweisen?“
„Alles bring ich jetzt auf die Schnelle nicht mehr zusammen. Du darfst zum Beispiel bei dem Job keine Angst vor Blut haben. Ich war mal Kreuzritter, Landsknecht, Bauernführer, Henker und zuletzt Metzger. Die Voraussetzungen waren damit zum größten Teil erfüllt. Ich wurde dann um das Jahr 1900 eingesetzt, kam in die Ausbildung und mein erster großer Einsatz war Flandern vierzehn.“
„Machen auch Frauen diesen Job?“
„ES HEISST DER TOD! – NICHT DIE TÖTIN ODER TÖDSE!!!“
Ich habe das Gefühl, er ist etwas ungehalten ob dieser Frage. Fängt sich aber doch rasch wieder.
„Könnte mir das ehrlich auch nicht vorstellen“, brummelt er ruhiger vor sich hin, nimmt die Zigarette mit seinen dürren Fingerknochen und lässt den Rauch nach oben zu den Augenhöhlen heraus. Dabei legt er leicht den Schädel in den Nacken. Ich warte auf das hörbare Ausatmen beim Rauchen. Es bleibt ruhig, der Rauch verzieht sich. Danach drückt er die Kippe in seinem Aschenbecher aus, streift die knöchernen Finger an seinem Umhang ab und schaut mich leer an.
„Wie sind deine Erfahrungen mit den Lebenden?“
„Die interessantesten Begebenheiten passieren eigentlich mit denen, die jemanden umbringen. Wollen oder tun. Zuerst die Frage, wer töten will. Mann oder Frau. Männer sind da recht spontan. Zack und weg. Das fordert dann auch uns ganz schön. Du solltest schon vor Ort sein, sobald dem Burschen da was in den Kopf springt. Dann geht das oft rasend schnell. Jetzt bei einer Frau hast du immer etwas Zeit. Die überlegt zuerst, wie und was, soll’s wehtun oder heimlich passieren. Da sind wir dann bei ein und demselben Fall schon mal öfter vor Ort. Bis das erledigt ist, das kann…“
Das Telefon klingelt.
„Tod 2365! – Ja – Moment bitte.“
Er zieht sein Laptop her. „Wie heißt der noch mal? – ay oder ai, – ach, ey. Moment!
Vier acht sechs neun doppel-drei – jaaa. – Da hab ich ihn. – Ne, hat noch rund 742 Tage. Klar – schick ich raus. – Tschü-üss!
Momentchen, muss da erst was bestätigen. Stehen bei dem zuhause und es ist der Falsche. Gibt dann unnötig Ärger.“
Er tippt was ein, wahrscheinlich eine Mail, und sitzt dann wieder gemütlich.
„Hast du Mitarbeiter?“
„Natürlich! Hab noch drei Jungs draußen vor Ort und zwei Azubis. Ich mach nur noch den Papierkram hier. Mehr in Verwaltung eben. Wird immer aufwendiger. Protokolle, Statistiken, Meldungen an verschiedene Stellen, Absprachen mit Kollegen in anderen Bezirken. War früher einfacher. Man hatte seine Tagesliste und ging morgens los.“
„Als Kind hatte ich das Märchen von den Gebrüdern Grimm gelesen, der Gevatter Tod, der in seinem Keller die vielen Kerzen stehen hatte. Für jeden Menschen eine. Wie ist das heute?“
„Das war nach dem ersten großen Krieg so nicht mehr zu halten. Die TGW – Tod-Gewerkschaft Weltweit – hatte die Fälle mit den höchsten Verlusten geprüft. Dabei wurde festgestellt, dass die Einschläge der Granaten oft so einen Druck erzeugten, dass sehr viele der umstehenden Kerzen ausgepustet wurden. Auch wenn die erst halbhoch abgebrannt waren. Es wurde dann mit manuellen Listen gearbeitet, die täglich mühsam bearbeitet werden mussten. Aber es blieb unübersichtlich. Erst mit der Einführung von EDV und der Entwicklung der entsprechenden Software wurde es uns möglich gemacht, per Knopfdruck die Fälligkeiten anzuzeigen. Tja, ich habe diese digitale Umstellung mitgemacht und kann sagen, dass wir heute tagesgenau arbeiten. Wir sind à jour.“
Er schaut auf die Uhr, die hinter mir hängt und recht laut tickt. Sie gleicht einer Schwarzwald-Uhr, ist aber tiefschwarz, obendrauf Kreuze statt Tannen. Bei den Anzeigen der Viertelstunden geht leise ein Türchen auf und eine kleine Figur in einer schwarzen Kutte mit einer langen Sense schiebt sich nach vorne. Das geht ohne Schlag. Kein „Juhu“. Und „Kuckuck“ ist nicht. Als der Tod auf die Uhr schaut, ist es gerade Halb und die kleine, schwarze Gestalt steht mit zitternder Sense vor ihrem Gehäuse.
„Geschenk von den Kollegen.“ An seiner Zahnhaltung kann man ein eventuelles Grinsen vermuten.
„Ich muss nun“, sagt er und steht plötzlich auf. Streckt sich und greift nach der Sense, die neben dem Schreibtisch steht.
„Was musst du?“, frage ich überrascht.
„Ich hab heute noch einen Außeneinsatz. Meine Jungs haben da gestern was vermurkst, das muss ich jetzt ausbügeln. Muss noch jemand abholen, den die gestern vergessen haben. Übersehen. Was weiß ich. Willste mit?“
Dabei ist er schon an der Bürotüre und hat diese halb geöffnet. Spontan nicke ich und erhebe mich von meinem Stuhl. Wir laufen einen langen, dunklen, sehr schmalen Flur entlang und stehen unvermittelt im Freien. Der Tod läuft vor mir und es scheint, als würde er keine Schritte machen, sondern einfach nur in seiner Kutte vor mir schweben.
Draußen auf dem Parkplatz steht ein älteres Modell eines Pickup, amerikanische Herstellung. Der Kapuzenmann zeigt auf das Fahrzeug und meint nur lakonisch: „Der da!“ Er hängt die Sense an zwei Ösen über der Ladefläche, auf der auf jeder Seite eine Holzbank an der Ladebordwand angebracht ist. Im Original hängen an den beiden Ösen die Winchester des Fahrers.
„Kannst dich zu mir setzen“, sagt er zu mir und schwebt schon hinters Lenkrad. Die Beifahrertüre ist leicht verklemmt, mit einem Ruck und einem unangenehmen Quietschen, Blech an Blech, ist sie dann auf. Ich steige übers Trittbrett in den Wagen und setze mich auf die durchgehende Bank mit dem zerschlissenen schwarzen Lederbezug. An einigen Stellen zeigt sich die Polsterung, aber das stört wohl niemanden.
„Mitbringsel aus meiner Studienzeit in den Staaten, Ende der Fünfziger. Gute Maschine, knapp dreihundertfuffzig PS. Aber’n Spritsäufer.“
Also hat der Tod auch was für Autos übrig. Ist ja echt menschlich.
Der Motor springt laut dröhnend an, die Automatik setzt er auf „Drive“ und so fahren wir in die Hauptstraße ein. Irgendwie bringt der Tod das Fahrzeug ohne groß zu schauen durch den Verkehr und zieht teilweise auch in Sprüngen an allen vorbei. Ich wundere mich, dass nichts passiert, aber für die da draußen sind wir wohl nicht wirklich real. Das ist schon irre!
Etwas außerhalb der Stadt halten wir vor einem schmucken Einfamilienhaus. Schön angelegter Garten. Alles sehr gepflegt.
Der Tod steigt aus dem Wagen. „Warte kurz!“ Greift die Sense von der Halterung und schwebt Richtung Haus. Vor dem Briefkasten, aus dem schon die Poststücke zipfelweise hervorschauen, bleibt er stehen. Steckt sich eine Zigarette, die seltsamerweise schon brennt, zwischen die Zähne. Eine weiße Rauchwolke umhüllt seine Kapuze. Jetzt öffnet sich die Haustüre und ein älterer, grauhaariger Mann schlurft durch den Garten Richtung Briefkasten. Der Tod hält die Sense gerade, der Mann kommt auf ihn zu, erkennt ihn wohl. Sein Gesicht zeigt einen erstaunten Ausdruck, wie es scheint, möchte er etwas sagen. Er hebt den rechten Arm, der Schlüsselbund entgleitet seiner Hand und fällt zu Boden. Mit dem Zeigefinger zeigt er auf den Tod, der mit seiner Sense einen gnadenlosen Streich vor dem Alten ausführt. Dieser schaut nun entgeistert, sperrt den Mund auf, seine rechte Hand geht zur Brust. Es scheint, als wolle er tief Luft holen, dann kippt er einfach um. Liegt auf dem Gartenweg vor dem Briefkasten. Über seinem leblos daliegenden Körper erhebt sich eine Gestalt, die ihm in jeder Weise ähnelt. Ist das die Seele oder der Geist dieser Person?
Der Tod winkt diesem Etwas und es folgt ihm durch das geschlossene Gartentor. Über die Straße zum Pickup. Die Kutte zeigt mit seinem knochigen Zeigefinger auf die Bank auf der Laderampe und das Etwas schwingt sich leichtfüßig auf den zugewiesenen Platz. Die Sense ist wieder an ihren Ösen aufgehängt, mein Fahrer klappt die Türe zu. Im Garten gegenüber sind Menschen zu dem leblos daliegenden Körper geeilt und brechen in Tränen und Trauer aus.
„Und jetzt?“, frage ich meinen Fahrer.
„Den muss ich jetzt im Empfangshaus fürs Totenreich abgeben.“
Dabei legt er zwei zusammengefaltete DIN A4-Seiten auf die Ablage vor der Windschutzscheibe des Autos.
Im gleichen Tempo, wie wir hierher gekommen sind, rast er weiter in mir unbekannte Gefilde. Die Landschaft wird immer grüner, der Himmel immer blauer. Und alles menschenleer.
Ein großes, weißes Haus kommt in Sicht. Groß, wuchtig. Langgestreckt. Es ähnelt einem Barockschloss. Hohe Fenster, pompöser Eingangsbereich mit einer mehrstufigen breiten Treppe. Goldverzierungen auf der Eingangstüre.
„Komm mit!“, sagt er nur, nimmt die beiden Papierblätter und steigt aus. Der Mitfahrer auf der Ladefläche steht unvermittelt neben mir. Dann gehen wir los. Leicht schwebt der Knochenmann vorneweg. Wir beide kommen nach und stehen in einer Halle mit fünf von jungen Damen besetzten Schaltern mit dem Schild „Anmeldung“. Vor jedem steht eine Schlange von zehn bis fünfzehn dieser körperlosen Personen. Papiere werden geprüft und gestempelt. Die Personen, die abgefertigt sind, werden von Mitarbeitern in weißer Kleidung freundlich empfangen und weggeführt.
Der Tod gibt unserem Begleiter den einen Schein, den anderen hält er mir hin.
„Dann macht’s mal gut!“ sagt er, klopft mir mit seiner Knochenhand auf die Schulter und dreht sich um.
„He“, rufe ich, nun etwas entsetzt, „nimmst du mich nicht mehr mit in die Stadt?“
„Ha ha“, höre ich aus der Kutte ein Lachen ohne Atem, „glaubst du denn, man plaudert umsonst mit dem Tod?“