ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Langsam und bedächtig ging Katarzyna durch den schimmernden Wald. Die schneeweißen Birken beschrieben ihren Weg und säumten den Pfad wie Säulen eines vergessenen Tempels. Kühler Winterwind fuhr ihr durch das schwarze Haar und trieb ihr einige kalte Schneeflocken ins Gesicht. Mit einer schnellen Handbewegung wischte sie den Frost von ihrem Antlitz und ging ruhig weiter, weiter in den Wald hinein.
Die klirrende Kälte des nächtlichen Winters machten ihr nichts aus, im Gegenteil. Sie liebte die Kälte, den Winter, den Schnee und all die Schönheit, die sie in sich trugen. Waren es die mannigfaltig schillernden Schneeflocken, die stetig wie ein perldiamantener Regen auf die karge Tundra fiel und die Welt mit reinem Tuch verhüllte oder die Lieder, die der pfeifende Wind zu ihren Ohren trug, alles daran war wundervoll. Noch nie hatte sie die Kälte gestört, in keinem Alter ihres jungen Lebens.
Ihre Mutter sagte ihr oftmals, dass sie für den russischen Winter geboren und eine wahre Tochter dieses Landes sei, weil sie all diese Facetten des für einige recht trostlos monumentalen Landes wie ein Kind zu lieben und zu schätzen schien. Winterstern hatte ihre Mutter sie oftmals genannt, und ihr dabei mit strahlender Fröhlichkeit in die Augen gesehen. Für sie war das etwas unglaublich Wunderbares, und sie wiederholte es meist mehrmals am Tag. Katarzyna jedoch hasste es, so von ihrer Mutter verhätschelt und hochgepriesen zu werden. Es war für sie nichts Besonderes, diese Vorlieben zu haben und ihnen offenkundig nachzugehen.
Die schimmernden Birken um sie herum schmiegten sich gemächlich dem Wind an und schienen sich erhaben vor Katarzyna zu verbeugen. Das taten sie immer, wenn sie in den dunklen Mondesstunden durch ihre Gefilde wanderte und sich an der Schönheit der Natur berauschte, als hätten sie sie in ihrem Wald als Ehrengast akzeptiert und fühlten sich in der Verantwortung dazu, ihr Ehrfurcht zu gebieten.
Katarzyna liebte diese Vorstellung. Ein Mitglied von so etwas Wunderschönem wie diesem winterweißen Birkenwald zu sein. Ein Traum … eine wundervolle Vorstellung. Wanderern eine so schöne Augenweide zu sein wie ihr die Gesamtheit des Waldes bereitete ihr ein wärmendes Gefühl im Herzen, und je länger sie darüber nachdachte, desto entspannter und fröhlicher wurde sie. Sogar eine kleine Freudensträne huschte geschwind über ihre schneeweiße Wange und erstarrte nach einigen Minuten zu glänzendem Eis, einem schillernden Edelstein.
Der Wind umspielte ihre Ohren mittlerweile endlich wieder mit wundervollen Melodien, und langsam, ganz im Takt, tanzte sie bedachtig über den verschneiten Waldweg hinüber und summte das Lied des Windes nach. Es klang wie ein Tanz, war monumental, doch trotzdem so voller Melancholie. Und nicht allein der Wind trug zu diesem Lied seinen Teil, der ganze Wald schien zu einem Orchester gewandelt worden zu sein. Ruhig und entspannt rauschten die Nadeln der hohen Tannen, zierlich tippelten kleine Tierchen über die vereisten Äste und ihr Schritt ging fest und monoton, wie ein natürlicher Rhythmus, den ihr der Geist dieses alten Waldes eingab.
Allmählich versank Katarzyna in süßen Träumen und gedachte all der alten Zeit, all den Dingen, die sie hier erlebt hatte. Die gespielten Kämpfe mit Stöckern als Schwertern und Schneebällen als Kanonenkugeln, das Baden im eiskalten Bach, die Liebeleien im verschneiten Unterholz … ihr gesamtes Gedächtnis breitete alle Erinnerungen vor ihr wie auf einer Decke aus und beschwor das leuchtende Bild von Nikolai, ihres alten Geliebten, aus den Tiefen ihres Geistes heraus.
Er war genauso naturverbunden gewesen wie sie. Katarzyna hatte ihn auf einer ihrer nächtlichen Wanderungen hier angetroffen und sich zuerst versteckt, da sie glaubte, er wolle ihr etwas Böses. Doch nichts von alledem passierte. Er reichte ihr nur seine Hand und zog sie aus dem kratzigen Dickicht heraus. Allein der glänzende Mond, der ihr Versteck vollkommen ausgeleuchtet hatte, sorgte dafür, dass Nikolai sie dort entdeckte. Als vom Schicksal gewollt hatten die beiden es später genannt.
Daraufhin hatten sie begonnen, sich öfter zu treffen und gemeinsam die unendliche Schönheit der Natur und insbesondere dieses Waldes zu erkunden. Jeden Baum und jede Höhle, jedes Tier und jede versteckte Stelle, sie fanden alles und behielten ihr Wissen stets für sich. Die geheimen Plätze wurden oftmals zu Schauplätzen von romantischer Zweisamkeit und unverbrauchter Leidenschaft, und Katarzyna dachte wehmütig daran zurück.
Sie hatte ihn geliebt, mit ihrem ganzen von russischer Kälte und Naturmagie durchwobenem Herzen. Unbedingt hatte sie es ihm sagen wollen, mit aller Kraft, doch über sich brachte sie es leider nie. Meistens, weil sie sich in ihrem Inneren aus unerfindlichen Gründen dafür schämte und stetig davon ausging, nicht gut genug für ihn zu sein. Sie selbst fand sich zwar nicht hässlich, doch in ihren Augen schien ihr Körper nicht den Ansprüchen von Nikolai gerecht zu werden, sodass ihre Schamgefühle sie jedes Mal von ihrem Ziel fortrissen, ihm ihre wahren Gefühle zu offenbaren. Und mit langsam trauriger Melancholie begann Katarzyna darüber nachzudenken, dass sie niemals wieder die Chance dazu erhalten sollte.
Mittlerweile war sie von ihrem Weg abgekommen und stand nun vor dem großen See inmitten des Waldes. Seine Oberfläche war gefroren, und der Mond spiegelte sich in gespenstischer Schönheit darin. Nikolai hatte ihn immer „Schwanensee“ genannt, obwohl im Anbetracht der Kälte gar keine Schwäne darauf lebten. Er konnte nicht erklären weshalb oder warum, aber sein Gefühl sagte ihm, dass dies der Name dieses Ortes war. Als hätten es ihm die uralten Birken und der singende Wind nächtlich eingeflüstert.
Zwei kleine Tränen tropften auf das frostzerfressene Ufer und erstarrten langsam zu Eis. Katarzyna hatte nunmehro eine unbändige Trauer eingeholt, und gedankenverloren starrte sie auf den weißen Horizont. Dort, wo sie Nikolai zum letzten Mal gesehen hatte.
Er hatte ihr etwas zeigen wollen, auf der kleinen Insel inmitten des Sees. Es wird dir gefallen, ganz sicher! hatte er zu ihr noch gesagt und war danach schnellen Schrittes über den vereisten See gerannt. Der Mond lächelte mystisch auf Katarzyna herab, wie in der schicksalshaften Nacht des vereisten Sees, und erleuchtete ihr Gesicht mit Trauer und Melancholie.
Nikolai hatte damals die Dicke des Eises falsch eingeschätzt und war an der tiefsten Stelle urplötzlich eingebrochen. Er ertrank jämmerlich, und alle Versuche Katarzynas, ihn ins Leben zurückzuholen, scheiterten kläglich. Drei Tage lang hatte sie bei seinem Leichnahm in der Kälte des Winters verharrt, und wurde nur durch die Gewalt zweier Polizisten diesem Ort entrissen. Kläglich hatte sie geweint, und vor vereisten Tränen hatte ihr Gesicht im Angesicht des Mondes geleuchtet, wie ein gebrochener Winterstern.
Mit vertränten Augen ging Katarzyna weiter und setzte ihre Füße auf die vereiste Oberfläche. Sie war fest und solide, doch sie wusste genau, dass das nicht für den gesamten See zutraf. Schnell entledigte sie sich all ihrer Kleidung und wanderte langsam über den glänzenden See. Gefühlvoll umspielte der kalte Wind ihren nackten Körper und begann erneut damit, ein sanftes Lied zu singen. Wehmütig lächelte Katarzyna im Anbetracht dessen musikalischer Schönheit und richtete ihren Blick auf einen klaffenden Spalt in der weißen Eisdecke unter ihren Füßen. Hier war Nikloai eingebrochen.
Mit einem Anflug von einkehrender Ruhe stellte sie sich an den Rand des kreisförmigen Loches und starrte in die schwarzen Tiefen. „Der Winterstern wird nun die Welt verlassen. Doch dafür seine eigene und einzige Welt endlich wiedersehen“, hauchte sie lächelnd und sprang in die kalten Fluten.
Und kaum da das Leben sie verlassen hatte und ihr lebloser Körper nach unten trieb, wurde der Wind intensiver und begann ein klagendes Lied zu pfeifen, das bis heute nicht mehr diesen Wald und den glänzenden Schwanensee verlassen hat.
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