
Linthbary Hotel
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Ich habe keine Gewissheit, dass diese Nachricht jemanden erreicht. Aber komme ich hier nicht bald raus, werde ich verrückt.
Tatsächlich bin ich mir sogar ziemlich sicher, dass sie es nicht tut, und selbst wenn, weiß ich beim besten Willen nicht, wie und ob mir irgendjemand helfen könnte. Trotzdem werde ich versuchen, meine Situation zu beschreiben, und falls diese Nachricht irgendjemanden erreicht, kann er oder sie vielleicht zumindest sich selbst vor einem Schicksal wie meinem bewahren.
Aber wo fange ich an?
Ich befinde mich in einem Hotel mit dem klangvollen Namen „Linthbary Hotel“. Als ich hier ankam sah es aus wie ein altes, aber vor kurzem renoviertes Gebäude im Stil eines alten englisches Landhauses, wenn auch die weißen Säulen vor dem Tor eher an einen griechischen Tempel erinnerten. Es war umgeben von einer riesigen Parkanlage; gepflegte Beete voll roter Rosen, Büsche, die zu Formen und Tieren beschnitten waren und einige dicke, niedrige Bäume, die ihre Schatten auf die verschlungenen Kieswege warfen. Den Weg zu der großen, hölzernen Eingangstür säumten marmorne Statuen; muskulöse Männern und zierliche Frauen mit lockigen Haaren.
Ich spreche in der Vergangenheit, da ich die begründete Annahme habe, dass das „Linthbary“ wahrscheinlich sein Äußeres, ganz sicher aber seinen Standort verändert. Das wird es für Sie natürlich noch schwerer machen, dieses verfluchte Hotel zu erkennen.
Die Eingangshalle war ähnlich ansprechend wie das Äußere: Ein hoher, achteckiger Raum mit marmornen Säulen an jeder Ecke, an den Wänden dazwischen gerahmte Bilder, die allerdings etwas willkürlich zusammengestellt wirkten. In goldverzierten Rahmen befanden sich mittelalterliche Kupferstiche neben Picassos Frauenzeichnungen, Da Vincis Ölgemälde neben Warhols bunten Dosen.
In der Mitte der achteckigen Halle befand sich ein ebenfalls achteckige Rezeptionstresen aus dunklem Holz, der rundum mit goldenen Reliefs verziert war, die mythologische Motive und Schlachtszenen zeigten. Dahinter stand ein Mann, der zwar alt, für sein Alter jedoch sehr gut in Form zu sein schien. Sein dünnes, weißes Haar hatte er zu einem strengen Mittelscheitel gekämmt und auch sein langer, weißer Vollbart wirkte keineswegs ungepflegt. Im Gegenteil, der alte Herr strahlte in seiner samtroten Weste, der dunklen Fliege und dem weißen Hemd mit den goldenen Manschettenknöpfen eine Art altmodische Eleganz aus, als wäre er einer anderen Zeit entsprungen.
Er war außer mir der einzige Mensch in der Halle. Mittlerweile glaube ich sogar, er könnte der einzige echte Mensch sein, der das „Linthbary“ außer mir bewohnt.
Als ich an die Rezeption trat, lächelte er freundlich aber professionell, und begrüßte mich. Seltsamerweise kannte er meinen Namen. Ich schob es darauf, dass das „Linthbary“ anscheinend nicht allzu viele Gäste hatte und sich außer mir wohl für heute keine anderen Gäste angekündigt hatten. Der Rezeptionist sah in seinen Computer, den er für einen Mann seines Alters ( – ich schätze ihn auf mindestens 70 –) mit erstaunlichem Geschick bediente. Währenddessen fiel mein Blick auf das Namensschild, das auf der rechten Seite seiner Weste angeheftet war. „SIMON“ stand darauf, mehr nicht.
„Ist das Ihr Vor- oder Nachname?“, fragte ich, mehr um die unangenehme Stille zu unterbrechen als aus tatsächlichem Interesse. Er sah verwirrt auf, dann sagte er „Ja“, und wandte sich wieder seinem Bildschirm zu.
Schließlich schien er mich endlich gefunden zu haben. „Zimmer 153“, sagte er und überreichte mir eine weiße Schlüsselkarte, in die die Zahl in goldenen Lettern eingraviert war. Wieder lächelte er, doch diesmal war es weder professionell noch wirklich freundlich, es wirkte fast wie eine Maske.
Trotz dieses Eindrucks bedankte ich mich und betrat den Fahrstuhl, der sich hinter der Rezeption befand, direkt gegenüber der Eingangstür. Erst in der Kabine fiel mir auf, dass ich die Handtasche, in der sich mein Portemonnaie und mein Handy befanden, im Auto vergessen hatte. Mir war gar nicht aufgefallen, dass mich Herr Simon ( – ob das nun sein Vor- oder Nachname war – ) weder nach meinem Ausweis noch nach meiner Bestellbestätigung gefragt hatte. Ich überlegte, ob ich noch einmal zurücklaufen sollte, beschloss aber, dass ich erstmal meinen Koffer aufs Zimmer bringen und Geld und Handy einfach später holen würde.
Ich könnte mich jedes Mal ohrfeigen, wenn ich an meine Naivität zurückdenke. Ich hätte misstrauischer sein müssen. All die merkwürdigen Umstände hätten mich misstrauisch machen müssen: Dass ich noch nie vom „Linthbary Hotel“ gehört hatte, obwohl es keine zehn Kilometer von meiner Wohnung entfernt lag, dass Herr Simon meinen Namen kannte und keinerlei Nachweis für meine Buchung sehen wollte, dass es von der Eingangshalle keinen anderen Weg in die anderen Teile des Hotels zu geben schien als den Fahrstuhl, weder ein Treppenhaus noch abgehende Gänge. Ich ließ mich blenden vom günstigen Preis und dem angenehmen Ambiente.
Als ich meine Etage erreichte, hatte ich meine Zimmernummer vergessen. Also sah ich auf die Karte: „143“ stand darauf. An der Wand hing ein Schild, das laut Aufschrift zu Zimmern „110-150“ wies.
Der Gang war im Vergleich zur Eingangshalle erstaunlich schmucklos. Reihenweise identische, braune Türen waren in die kahle, weiße Wand eingelassen, doch weder Bilder noch Figuren oder Blumentöpfe zierten den Gang. Die Decke war ebenso weiß wie die Wände, alle zwei Meter warf eine kleine quadratische Deckenlampe ihr kaltes Licht herab. Der Boden war mit einem erstaunlich einfarbigen, roten Wollteppich ausgelegt.
Nach etwa zehn Metern traf ich auf eine Kreuzung mit einem anderen Gang, so dass ich nun drei mögliche Richtungen zum Weitergehen hatte. Jeder der Gänge war mit einem Schild versehen. Auf dem nach links stand „Zimmer 120-140“, auf dem geradeaus „Zimmer 130-150“. Ich sah noch einmal auf meine Karte und stellte fest, dass ich mich offenbar verlesen hatte, denn darauf stand
eindeutig „134“. Aber wie sollte das gehen? Mein Zimmer konnte schlecht in zwei Richtungen gleichzeitig liegen. Vielleicht führte der Gang im Kreis, so dass es keinen Unterschied machte, welchem Schild ich folgte? Aber das ergab keinen Sinn. So würde doch niemand ein Gebäude anordnen.
In meiner Verzweiflung folgte ich dem rechten Gang, der exakt so aussah wie der erste und laut Schild zum „Spa-Bereich“ führte.
Der Eingang zum Spa-Bereich lag am Ende des Ganges, eine braune Doppeltür ohne Fenster. Es war ein achteckiger Raum von der gleichen Größe wie die Eingangshalle, ebenfalls mit Säulen an jeder Ecke, nur dass dieser Raum komplett gefliest war und sich in der Mitte ein Pool befand, auf dem sich das Licht einer riesigen, runden Deckenlampe spiegelte. Kunstvolle Mosaike schmückten die Wände. Rund um den Pool standen hölzerne Liegestühle. Eine junge Frau im weißen Bikini lag auf einem von ihnen kurz neben dem Eingang, während im Wasser zwei Kinder spielten, die zu alt aussahen, um ihr zu gehören, doch der Eindruck mochte täuschen. Verlegen fragte ich sie, ob sie mir helfen könne, mein Zimmer zu finden. Sie legte mit einem Stöhnen das Sodoku-Heft beiseite, mit dem sie sich bis eben beschäftigt hatte und ich schilderte ihr meine Lage. Sie warf einen Blick auf meine Karte und meinte trocken, dass ich im falschen Stockwerk sei. Sie hielt mir die Karte vor die Nase und deutete mit dem Finger darauf. „Zimmer mit einer Sieben am Anfang sind im siebten Stock.“ Ungläubig sah ich sie an, dann auf meine Karte. Tatsächlich musste ich die Sieben versehentlich als Eins gelesen haben, denn dort stand ganz klar „734“.
Die Frau fügte hinzu, ich könne den Fahrstuhl gleich hier nehmen. Wie in der Lobby befand sich auch hier ein Zugang zu einem Fahrstuhl, wohl für Gäste, die direkt von den Zimmern zum Pool wollten. Ich betrat die Kabine und suchte nach dem Knopf mit der Sieben, musste jedoch feststellen, dass keiner der Knöpfe Zahlen besaß. Ein Dutzend blanker, weiß leuchtender Kreise starrte mir entgegen.
Ich trat aus der Tür, um die Frau im weißen Bikini erneut um Hilfe zu bitten, doch sie war verschwunden. Auch die spielenden Kinder waren fort, ob es nun ihre waren oder nicht. Ich stieg wieder in den Fahrstuhl und sah erneut auf die Karte, um sicher zu sein, dass die erste Ziffer wirklich eine Sieben war. Das war sie: „784“ verkündete die Karte. Mir kam etwas komisch an dieser Zahl vor, aber ich konnte nicht sagen, was. In Ermangelung von Zahlen zählte ich die leeren Knöpfe bis zum siebten ab und drückte darauf.
Die Türen schlossen sich, der Fahrstuhl fuhr, die Türen öffneten sich. Beide. Der Fahrstuhl hatte sowohl vorn als auch hinten Türen und beide öffneten sich und gaben den Blick auf zwei weitere identische Gänge frei. Diesmal war keiner von beiden beschildert.
Ich machte einen Schritt nach draußen und der Fahrstuhl schloss sich, dann sah ich wieder auf meine Karte: „478“. „478“? Ich war nie gut darin, mir Zahlen zu merken, aber diesmal war ich mir sicher, dass eben noch eine andere dort stand. War die Karte verhext?
Unsinn. Wahrscheinlich war die Zahlenanzeige elektronisch und die Elektronik hatte einen Fehler, auch wenn mir nicht klar war, wie man eine Gravierung elektronisch verändern konnte. Sicher war nur, dass irgendetwas hier ganz und gar nicht stimmte. Wenn ich nur irgendjemanden vom Hotelpersonal treffen würde, könnte ich vielleicht um eine neue Karte bitten, vielleicht bekam ich sogar einen Rabatt für die Unannehmlichkeiten.
Aber im Moment wusste ich ja nicht einmal, wo ich war. Ich ging also weiter den Gang hinauf, während ich die Zahl auf meiner Karte genau im Auge behielt, als ich plötzlich ins Leere trat und unsanft auf dem roten Teppichboden landete.
Ich rappelte mich auf und sah mich um. Wieder wurde der Gang gekreuzt, diesmal jedoch von oben nach unten. Voraus führte der Gang schräg abwärts, gleichzeitig führte hinter mir in etwa drei Meter Höhe in der Decke ein weiterer schräg nach oben. Ein Schild nach unten wies zu „Zimmer 940-340“, auf dem am oberen Gang stand „Speisesaal“.
Ich konnte mir das nur als Schnapsidee irgendeines modernen Architekten erklären. Warum sonst sollte jemand Gänge derart absurd anordnen?
Ich wusste, dass es mit der kaputten Karte wohl kaum einen Sinn hatte, weiter vergeblich zu versuchen, mein Zimmer zu finden. Aber im Speisesaal musste es einfach Mitarbeiter geben, und wenn es nur eine Köchin oder ein Kellner war. Da ich keine Leiter oder Treppe sah klopfte willkürlich ich an eine der identischen Türen, Nummer 458 ( – ich hatte aufgegeben, die Zählung der Zimmer zu verstehen – ), um zu fragen, wie zum Teufel ich vom Boden aus in einen Gang in der Decke gelangen sollte.
Ein unfassbar dicker Mann im weißen Bademantel, dessen Alter ziemlich undefinierbar war, öffnete mir die Tür. „Ja“, dröhnte seine tiefe, heisere Stimme. Er atmete heftig; offenbar hatte ihn schon der Weg vom Bett, Sessel oder wo auch immer er gesessen hatte bis zur Tür sämtliche Kräfte gekostet.
„Entschuldigen Sie“, sagte ich, im höflichsten Tonfall, den meine Nerven zuließen, „Könnten sie mir sagen, wie ich von hier zum Speisesaal komme?“ Er sah mich kurz an, als hätte ich ihn gerade gefragt, wie man Klopapier benutzt, dann deutete er mit seinem wurstigen Zeigefinger in den Tunnel nach unten. „Nein, der Gang nach oben führt zum Speisesaal. Ich habe das Schild gesehen. Aber der befindet sich, naja, an der Decke.“
„Aber Sie sind doch an der Decke!“, blaffte er und knallte mir die Tür vor der Nase zu.
Verwirrt starrte ich einen Moment die geschlossene Tür an, dann blickte ich unter mich. Putz. Weißer, nackter Putz. Ich schaute nach oben und sah über mir den allgegenwärtigen roten Wollteppich. Ich schien mich tatsächlich an der Decke zu befinden.
Was war hier los? Hatte ich vielleicht nicht bemerkt, dass dies eins von diesen Abenteuer-Hotels war, in denen sich die Gäste absichtlich reinlegen und erschrecken ließen. War ich in einen aufwendigen Streich geraten? Irgendwas für die versteckte Kamera?
Auf jeden Fall befand ich mich laut Schild nun auf direktem Weg zum Speisesaal. Was immer hier gespielt wurde, wenn ich einfach weiterging, musste es sich irgendwie auflösen.
Abgesehen davon, dass der Gang zum Speisesaal schräg nach unten (oder oben) verlief, fiel mir auf, dass er deutlich schmutziger und heruntergekommener war als die anderen. Die Türen und Wände wiesen zahlreiche Schäden auf, als wäre etwas Schweres mehrfach dagegen gestoßen. Es gab Kratzer, Beulen und Flecken aller Art, sowohl eingetrocknete als auch relativ frische, und Staub war offenbar auch schon lange nicht mehr gewischt worden.
Am Ende befand sich wieder eine Doppeltür, diesmal jedoch aus rostigem Metall, die im Vergleich zu allem anderen im „Linthbary Hotel“ seltsam plump wirkte.
Ich drückte gegen die Tür, die sich nur schwer öffnen ließ; offenbar lag etwas auf dem Boden davor. Ein Schwall unangenehmer Gerüche schlug mir aus dem Inneren entgegen, eine Mischung aus verfaultem Essen und Stallgeruch.
Der Raum selbst bot selbst für diesen Ort ein bizarres Bild. Es war wieder einer der immergleichen achteckigen Räume wie die Lobby und der Spa-Bereich, nur wiesen die Wände und Säulen hier teils starke Schäden auf. Von einer Säule war sogar kaum mehr als der Sockel übrig.
Der Boden war übersät von umgeworfenen Tischen und verschiedensten schmutzigen Tellern. Die, die aus Porzellan waren, waren größtenteils zerbrochen, die aus Metall verbogen. Darauf und dazwischen waren Essensreste verteilt; soweit ich es erkennen konnte hauptsächlich Fleisch, Knochen und dazugehörige Soßen.
Gegenüber der Tür befand sich wie bei den anderen Räumen dieser Art die Öffnung für den Fahrstuhl, nur dass hier sowohl Türen als auch Türrahmen fehlten.
Mehr noch, sie schienen regelrecht aus der Wand gerissen worden zu sein, denn die Kanten des klaffenden Loches waren unregelmäßig und zeigten Teile der darunter liegenden Dämmung und Verkabelung. Dafür war vor dem Loch ein dicker, roter Samtvorhang angebracht, hinter dem sich offenbar ein kaputter Lüfter befand, der immer wieder aus und an zu gehen schien.
Ich wollte zuerst laut rufen, ob jemand da wäre, doch eine innere Stimme riet mir davon ab. Stattdessen ging ich auf den Vorhang zu, langsam, vorsichtig, den zahlreichen Tellern und Flecken ausweichend. Je näher ich der Öffnung kam, desto weniger glaubte ich, dass sich tatsächlich ein Lüfter dahinter befand. Das Geräusch war zu laut, zu regelmäßig schwoll es an und ab. Außerdem wurde der unangenehme Geruch stärker und stärker, als befände sich ein ganzer Kuhstall in dem Schacht.
Meine Hand war nur noch Zentimeter von dem roten Stoff entfernt, als ich ein Geräusch von der Tür hörte. Ich warf mich hinter einen der umgeworfenen Tische. Ein Mann betrat den Raum.
Statt der roten Weste trug er einen teuer aussehenden Anzug in der selben Farbe, doch sein bärtiges Gesicht erkannte ich sofort: Es war Simon, der Rezeptionist.
In bester Kellnerhaltung trug er einen Teller auf einer Hand, auf dem eine Keule von irgendeinem Tier lag; ein wenig Soße war darüber gegossen und ein Büschel Petersilie darauf drapiert worden. Auch er wich im Gehen dem Unrat auf dem Boden aus, stellte sich dabei jedoch deutlich geschickter an als ich, als hätte er dies schon hunderte Male gemacht.
Kurz vor dem Vorhang blieb er stehen und holte einen kleines, goldenes Glöckchen aus seinem Jackett hervor, welches er mit einer eleganten Bewegung zum Leuten brachte.
Der Luftzug hinter dem Vorhang verstummte kurz, nur um dann schneller und lauter zu werden. Simons Körper spannte sich an. Ich hörte ein Rascheln aus dem Schacht, spürte, wie der ganze Raum von schweren Schritten erschüttert wurde, bis sich der schwere Vorhang schließlich beiseiteschob.
Ich musste mir die Hand auf den Mund pressen um nicht laut aufzuschreien, als sich eine riesige, monströse Hand aus dem Loch schob. Sie war dunkel, behaart und groß genug um meinen Kopf vollständig zu umschließen.
Grob griff sie die Keule von Simons Teller, der diesen fallen ließ und einige Schritte nach hinten taumelte.
Eine zweite Hand schob langsam den Rest des Vorhangs beiseite und enthüllte das, was dahinter lag.
Ich weiß nicht, wie ich beschreiben soll, was ich in diesem Moment sah. Ich weiß nicht, ob man das, was ich sah wirklich als „Gesicht“ oder auch nur als „Kopf“ bezeichnen kann. Ein gigantischer, dunkler, unförmiger Klumpen, wie ein Sack, in den man Löcher geschnitten hatte, und aus den Löchern, unter zwei langen, spitzen Auswüchsen blickten diese widerlichen, gelbstichigen Augen, blitzten Reihe um Reihe riesiger, zermalmender Zähne hervor.
Ich konnte nicht dort bleiben. Ich ertrug den Anblick nicht, den stechenden Geruch und das widerliche Schmatzen und Knacken als die Knochen der Keule zwischen den Zähnen zerbrachen. Ich sprang auf und rannte. Ein Brüllen, das meinen Kopf zum Bersten bringen wollte, dröhnte aus dem Schacht, gefolgt von dem Geräusch schwerer Hände, die auf Geschirr und Essensreste aufschlugen. Ich hörte das Scharren der Füße, als das Ding aus seiner Höhle hervorkroch, das Kratzen der Hörner an den Wänden des Schachts und dann an der Decke des „Speisesaals“, doch ich drehte mich nicht um. Ich rannte. Durch die eiserne Tür und durch den Gang nach unten. Sprang aus dem Gang an der Decke herab und lief weiter geradeaus. Von links und rechts öffneten sich die identischen Zimmertüren. Männer und Frauen in weißen Kleidern, Anzügen und Badehosen versperrten mir den Weg, doch ich stieß sie beiseite, während das Stampfen und Kratzen hinter mir den Gang erschütterte.
Einige Meter vor mir kam endlich die Aufzugtür in Sicht, die sich in diesem Moment öffnete. Das bärtige Gesicht von Simon starrte mich verwirrt an, als ich ihn packte und aus der Kabine schleuderte. Ich hämmerte verzweifelt auf die unbeschrifteten Knöpfe ein, bis die Aufzugtüren sich quälend langsam zu schließen begannen. Im Gang flogen Türen und Menschen in Weiß umher, während der Kopf des Monsters darüber schnaufte und brüllte. Der dumpfe Aufschlag eines massigen Körpers erschütterte den Aufzug im selben Moment als er sich mit einem leisem Surren in Bewegung setzte.
Ich sank erleichtert auf den Boden und atmete tief ein- und aus, fing an zu weinen, dann zu lachen. Erst als sich die Aufzugtüren wieder öffneten bemerkte ich meinen Fehler.
Ich hatte mir nicht gemerkt, welchen der identischen, blanken Knöpfe ich gedrückt hatte. In meiner Panik hatte ich nicht darauf geachtet, nichts hatte gezählt außer dem Monster und davon wegzukommen, doch nun hatte ich endgültig die Orientierung verloren.
Ich weiß nicht, wieviel Zeit seit diesem ersten Zusammentreffen mit dem Ding vergangen ist. Es könnten Wochen sein, Monate, vielleicht Jahre. Es gibt hier drin nichts, woraus man darauf schließen könnte. Obwohl die Fassade reihenweise Fenster besaß, scheint es hier drin kein einziges zu geben und die kaltweiße Beleuchtung in den Gängen bleibt stets dieselbe. Hin und wieder finde ich Räume mit etwas Essbarem, in einem anderen fand ich das Papier, auf dem ich das hier schreibe, doch bin ich nie zweimal auf denselben Raum gestoßen. Wenn das Hotel es erlaubt, verbringe ich die Nacht in einem der Zimmer und versuche die Tür mit allem zu verbarrikadieren, was ich darin finde. Nicht, dass mich das wirklich retten würde, wenn das gehörnte Ding aus dem Speisesaal mich jemals finden sollte. Seit meinem ersten Zusammentreffen höre ich es täglich auf den Gängen, das Kratzen seiner Hörner an den Wänden und der Decke, sein Brüllen, das durch den Gang hallt, als würde es nach mir rufen. Ich weiß nicht, wie es von Etage zu Etage gelangt, doch es tut es und es gibt keinen Ort, an dem es mich nicht erreichen könnte.
Ich habe in der Zeit, in der ich hier bin, einiges gelernt und gesehen. Ich habe versucht, das System hinter den Fahrstühlen zu verstehen, doch nach nicht einmal einem Tag festgestellt, dass es sinnlos ist. Die Anzahl und Anordnung der unbeschrifteten Knöpfe ist in jeder einzelnen Kabine unterschiedlich. Ich habe versucht, systematisch jeden Knopf durchzuprobieren und in jeder Etage eine Markierung an der Wand zu machen. Ich habe keine einzige der Markierungen je wiedergefunden. Entweder verschwinden sie oder die Fahrstühle fahren willkürlich Etagen an, ohne dass der gedrückte Knopf irgendeine Bedeutung hat.
Ich hatte gehofft, dass die Menschen in Weiß mir vielleicht helfen könnten, doch leider stellte sich heraus, dass man keine wirklichen Gespräche mit ihnen führen kann. Ich weiß nicht einmal, ob sie tatsächlich Lebewesen sind oder es vielleicht früher einmal waren, oder ob sie nur Illusionen sind, die einen noch tiefer in diesen Irrgarten hineinzuführen sollen. Sie spüren keinen Schmerz, wehren sich nicht, egal, was man ihnen antut und sie verschwinden, sobald man sie aus dem Blickfeld verliert.
Und auch über den Namen des Hotels habe ich etwas herausgefunden. „Linthbary“ ist kein Familienname. Es ist ein Anagramm, ein Labyrinth aus Buchstaben, wenn man so will. Und genau dafür steht es: ‚Labyrinth‘. „SIMON“ könnte für ‚Minos‘ stehen, den sagenumwobenen griechischen König, der auf seiner Insel ein Labyrinth bauen ließ um seinen Sohn, den Minotaurus, darin gefangenzuhalten, und ihm Menschenopfer zum Fraß vorwarf.
Hat sich diese alte Legende auf irgendeine Weise in unserer Zeit fortgesetzt? Oder ist es schlicht ein kranker Scherz der Entität, die diesen Ort geschaffen hat? Dieses Ding, das vielleicht der alte Mann ist, vielleicht das Monster oder vielleicht dieser ganze, verfluchte Ort selbst an dem ich immer mehr vergesse wer und wo ich war und den Verstand verliere wie meinen roten Faden. Und genau dafür steht es: ‚Labyrinth‘. Ich hatte mir gemerkt, welchen Knopf ich nicht gedrückt hatte. Er könnte der einzige echte Mensch sein, der das „Linthbary“ außer mir bewohnt. Mittlerweile glaube ich sogar, er war außer mir der einzige Mensch in der Halle.
Ich komme hier nicht raus, aber ich werde bald verrückt. Ich habe diese Gewissheit, dass keine Nachricht jemanden erreicht.
Ich liebe es! Habe es heute mal vertont.
Höre bloß nicht auf mit schreiben die Stories sind der Hammer. Vor allem der Name Linthbary Hotel.. Die Idee ist geil