
Tulpenlüge
Ein Traum wird wahr - oder?
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Meine Tochter ist seit dem letzten Jahr verschwunden. Heute hat man sie lebend wiedergefunden.
„Sir, wir haben Ihre Tochter gefunden“, sagte ein zuversichtlicher, aber aufgeregter Kriminalbeamter am Telefon, „sie ist am Leben und wohlauf. Sie müssen sofort auf die Wache kommen.“
Ich starrte ungläubig aus dem Fenster und betrachtete den wunderschönen Tulpengarten neben der Waldgrenze, den ich zum Gedenken an meine Tochter Tuli gepflanzt hatte, die vor genau zwölf Monaten zusammen mit ihrer Mutter spurlos verschwunden war.
„Sir?“
Die Stimme am Telefon ließ mich leicht aufschrecken und holte meine Gedanken aus den beängstigenden Erinnerungen zurück.
„Äh …“. Ich hielt inne, um mich zu räuspern und die Knoten zu massieren, die sich in meinem Nacken gebildet hatten.
„Sind Sie sicher? Sind Sie sicher, dass sie es ist?“
„Ja, Sir, die Fingerabdrücke stimmen überein.“
„Und ihr Muttermal, haben Sie es identifiziert?“
„Ein dunkles tulpenförmiges Mal hinter ihrem linken Ohr. So haben wir sie identifiziert. Sir, das ist sie wirklich, es ist Tuli.“
„Was ist mit ihrer Mutter, ähm – meiner Frau?“, fragte ich, immer noch auf den Tulpengarten fixiert, um den ich mich im letzten Jahr fast jeden Tag gekümmert hatte.
„Derzeit gibt es keine Spur von Ihrer Frau, aber wir suchen sie. Sollen wir Ihnen ein Auto schicken? Tuli sagt, sie will Sie unbedingt sehen!“
„Ich … ich bin auf dem Weg.“
Ich fuhr zum Polizeirevier. Ungläubig über den Tag, den ich nie für möglich gehalten hatte. Ich zwickte mich und gab mir dann eine Ohrfeige, um sicherzugehen, dass dies kein Traum war. Sie war schon so lange weg, dass selbst die optimistischsten Menschen sich damit abgefunden hatten, ihren Tod zu akzeptieren.
„Daddy!“, rief Tuli, als ich durch die Tür kam.
„Das muss ein Traum sein“, dachte ich mir, als ich sie auf mich zukommen sah. Tuli sah genauso aus wie an dem Morgen, an dem ich sie das letzte Mal gesehen hatte: strahlend, putzmunter, und sie trug sogar dasselbe lilafarbene Sommerkleid, das sie vor all den Monaten getragen hatte.
Das kann nicht real sein.
Sie brach in meinen Armen zusammen und der süße Duft ihres vertrauten blumigen Haarsprays drang in meine Nase ein und verwirrte meine Sinne.
Die Menschen jubelten, klatschten, umarmten und einige weinten sogar über das scheinbar unmögliche Wiedersehen. Ich fuhr mit dem Daumen hinter ihr linkes Ohr, über das tulpenförmige Muttermal, welches ihren Namen erahnen ließ.
Alle Anwesenden verschwanden in einem unscharfen Hintergrund. Wie konnte ich der Einzige sein, dem diese Merkwürdigkeiten auffielen?
Wie konnte ein junges Mädchen ein Jahr lang vermisst werden, ohne dass es gewachsen war oder sich verändert hatte? Wie konnte sie die gleiche Kleidung tragen und so gepflegt sein? Wie kann es sein, dass ihre blonden französischen Zöpfe noch genau so aussehen wie am letzten Schultag?
Das junge Mädchen schaute mir in die Augen, ihre strahlend blauen Augen trafen meine. Sie lächelte und zwinkerte mir auf eine dunkle und spöttische Art zu, die mir sagte, dass sie wusste, wie gefangen ich war.
Dieses Mädchen kann unmöglich meine Tochter sein, denn ich habe vor einem Jahr gesehen, wie das Leben aus diesen panischen blauen Augen gewichen ist, als ich sie zu Tode erstickt habe. Ich habe sie neben ihrer Mutter begraben, in ihrem lila Kleid, in der Nähe der Waldgrenze, wo ich den Tulpengarten angelegt hatte.
Original: R-M-Staniforth