Verständnis einer Mutter
ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Meine kleine Josephine war vor genau zwei Wochen vier Jahre alt geworden und hatte den Charakter eines kleinen, nervigen – dennoch liebenswerten Energiebündels. Wenn sie nicht draußen mit unserem Hund herumtollte, saß sie an ihrem kleinen Holztisch und zeichnete mit Wachsmalstiften auf alles, was weiße Farbe hatte. Manchmal, wenn ich nicht aufpasste, litten auch meine herumliegenden Kleidungsstücke darunter. Doch ich beschwerte mich nicht, schließlich war es meine Schuld, wenn ich nicht alle sieben Sachen bei mir hatte. Einige Shirts und Kleider hatten mittlerweile rote Flecken, die nicht mehr rauszuwaschen waren.
Ein wenig überfordert war ich vielleicht. Als alleinerziehende junge Mutter hatte man es nicht immer leicht. Mein Freund hatte kurz nach der Geburt unserer Tochter das Weite gesucht. Er nahm sein Einkommen mit sich, und somit fiel auch die sichere Einnahmequelle weg, welche mich und mein Kind um einiges mehr unterstützt hätte.
Josie bekam alles, was ich ihr geben konnte – sofern es meine wenigen Ersparnisse zuließen, diese auszugeben. Ihr glückliches Gesicht, das Strahlen in ihren kleinen grünen Augen war Belohnung genug und ließ mich jegliche Sorgen vergessen.
Eines Abends, als ich von der Arbeit kam und zu meinen Eltern fuhr, um mein Mädchen aus ihrer Obhut zu holen, da drängte mich meine Mutter mit besorgter Miene in den Flur zurück, während mein Vater aus einem seiner Märchenbücher vorlas, um die Kleine bei Laune zu halten.
„Darcy“, begann sie unbeholfen,“vielleicht solltest du einmal ein ernstes Wörtchen mit Josephine reden.“
Verwirrt durch ihre Worte sah ich sie einfach nur mit gehobenen Brauen an, doch sie schien mir keine ausführliche Erklärung geben zu wollen. Stattdessen legte sie mir bekrizelte Blätter in die Hand und murmelte nur ein „Sieh selbst“, bevor sie mich mit Josie nach Hause gehen ließ. Den Papierstapel legte ich erst einmal auf die Theke in der Küche.
Wie zu erwarten, konnte mein kleines Mädchen trotz der Energie, die sie tagsüber bei ihren Großeltern verbraucht hatte, nicht einschlafen und saß noch eine gute halbe Stunde an ihrem Zeichentisch, ehe sie mit einem roten Wachsmalstift in der Hand einschlief. Rot war ihre Lieblingsfarbe. Rot wie eine Rose. Schön und elegant, wenn man sie am Körper trug. Auch roter Lippenstift war sichtlich begehrt bei Frauen. Ich selbst trug ihn sehr gern. Josie machte es glücklich, besonders, wenn ich ihr erlaubte, ihn auch mal auf den Lippen tragen zu dürfen – und wenn sie glücklich war, dann war ich es auch.
Für diesen Abend brachte ich meine kleine Rose ins Bett und achtete nicht auf die Zeichnungen. Ich war zu müde, weshalb ich kurz danach ebenfalls schlafen ging. Da am nächsten Morgen das Wochenende begann, konnte ich ausschlafen – doch einen erholsamen Schlaf hatte ich nicht. Mitten in der Nacht spürte ich die kalten kleinen Finger meines Mädchens an der Wange und öffnete die Augen, nur um sie zusammen mit ihrem Beschützer, einem Eselplüschtier, am Bett stehen zu sehen.
„Was ist los, meine Rose?“, fragte ich besorgt und richtete mich auf, um sie besser sehen zu können.
„Da stand irgendjemand in meinem Zimmer und hat mich die ganze Zeit beobachtet.“
„Wie sah er denn aus?“
Der ein oder andere hätte vermutlich aus Panik alles Wichtige zusammengepackt und wäre verschwunden oder hätte zumindest nachgesehen – doch ich wusste es besser. Als ich klein war, da war ich genauso. Ich habe Dinge gesehen, die nicht da waren – habe meinen Eltern damit viele Nächte den Schlaf geraubt. Und wenn irgendjemand hier wäre, so hätte unser Hund schon längst reagiert.
Auf meine Frage hin sah mein Mädchen betreten auf ihren Beschützer und zuckte mit der Schulter, ein Zeichen dafür, dass es nur Einbildung gewesen sein konnte. Ich lächelte und bot an, dass sie für diese Nacht mit bei mir schlafen dürfe. Natürlich freute sie sich, nicht allein bleiben zu müssen, und war schneller wieder eingeschlafen, als ich bis drei zählen konnte.
Am darauf folgenden Morgen war meine Kleine allerdings auch die erste, die wach war, und rüttelte mich aufgeregt wach.
„Mama, wir müssen schauen, ob da noch jemand da ist“, flüsterte sie.
Ich grummelte einige Male, ehe ich mich dazu bringen konnte aufzustehen. Es war nicht leicht mit einem Kind, aber diese eine Sache konnte ich getrost übersehen.
Zu zweit, Hand in Hand durchsuchten wir also ihr Zimmer. Unter dem Bett, im Schrank – ja, sogar in ihrer Spielzeugkiste, die bis zum Rand mit Spielzeug gefüllt war, suchten wir. Wie zu erwarten fanden wir nichts, und Josie schien bereits alles wieder vergessen zu haben, als ich den Frühstückstisch deckte und sie an ihrem üblichen Platz zu malen anfing.
Aus reiner Neugierde besah ich ihre Zeichnung. Ein großes Strichmännchen in grau und schwarz. Meine Rose setzte gerade mit ihrem roten Stift an und fing an wie wild Kreise auf den Körper des Männchens zu malen. Ich beobachtete es noch eine Weile, ehe ich ihr meine Frage stellte: „Was zeichnest du denn da Schönes?“
Josie war so sehr vertieft in ihre Tätigkeit, dass sie mich gar nicht hörte und erst reagierte, als sie mit ihrem kleinen Kunstwerk fertig war. Stolz hielt sie es in meine Richtung und fing an zu erklären.
„Ich habe die Person rot gemalt, damit sie mich in Ruhe lässt, wenn sie das nächste Mal zu mir kommt.“
Ich lachte bei ihrer blühenden Fantasie und versicherte ihr, dass sie das alles nur geträumt hätte, da sonst der Hund gebellt hätte. Fürs Erste gab sie sich damit zufrieden, wollte jedoch ihre Zeichnung an der Tür hängen haben. Da es ja nicht schaden konnte, tat ich ihr den Gefallen. Daraufhin konnte ich die nächsten Nächte durchschlafen. Als es wieder soweit war, gab ich meine Rose tagsüber bei meinen Eltern ab, um arbeiten gehen zu können. Meine Mutter erzählte zu dieser Zeit relativ wenig über Josies Zeichnungen, weshalb ich auch die, die bereits bei mir auf der Theke lagen, komplett vergaß.
Es vergingen ungefähr fünf Wochen, und Josies Verhalten hatte sich ein wenig verändert. Sie spielte nur noch sehr selten draußen und saß die meiste Zeit am Tisch, um mit ihrem roten Stift zu zeichnen. Mittlerweile kaufte ich ihr nur noch die rote Variante, worüber sie sich sehr zu freuen schien.
Einmal zeichnete sie sogar ein Männchen, welches einen Hund durch einen Gang trug. Mir gefiel es, da es mich stark an die Zeit erinnerte, als unser Hund noch kleiner war und immer von mir getragen werden musste – weil die Wohnung hier und da Stufen besaß, über welche das Tier nicht springen konnte.
Ich sah meinem Mädchen ein wenig beim Zeichnen zu, währenddessen dachte ich an meine Mutter zurück, die ihre Bilder sonst immer gelobt hatte – jetzt allerdings kein Wort mehr darüber verlor.
„Hat Oma eigentlich einmal was zu deinen schönen Malereien gesagt?“, fragte ich interessiert.
Josie schüttelte nur den Kopf.
„Bei Oma und Opa male ich nicht mehr.“
Meine Rose erklärte mir, dass meine Mutter nur schimpfen würde. Die Bilder wären blutrünstig und keineswegs das, was ein kleines Kind zeichnen sollte. Blutrünstig vermutlich deshalb, weil sie so gern mit rot malte. Meine Mutter schien es als Blut zu sehen, und selbst wenn Josie die Absicht hatte, eben genau das in ihre Bilder einzubringen, so wusste sie nicht, was es zu bedeuten hatte – so wie ich, als ich in ihrem Alter war. Ich verstand das.
Am selben Abend brachte ich meine Kleine ins Bett und las ihr eine Geschichte aus einem Kinderbuch vor, als sie mich plötzlich darum bat, unseren Hund an diesem Abend bei ihr schlafen zu lassen. Als ich fragte, warum, gab sie nur als Antwort, dass etwas passieren könnte. Da ich mir sicher war, sie würde mich die Nacht wieder wecken, wenn ihr Wunsch nicht erfüllt würde, gab ich ihrer Bitte nach und ließ den Hund im Zimmer bleiben – öffnete jedoch das Fenster, da er doch etwas streng roch, und in einem kleinen Zimmer konnte das sehr unangenehm werden.
Ich drückte meiner Rose einen letzten Kuss auf die Stirn und ging anschließend selbst schlafen.
Zu meiner Überraschung wurde ich kurz nach drei von Josie geweckt, welche ganz verheult und zitternd vor mir stand. Recht besorgt, da dies noch nie passiert war, schnellte ich hoch und nahm ihr Gesicht in meine Hände.
„Was ist los, meine Kleine? Ein Albtraum?“
Mein Mädchen, von Heulkrämpfen geschüttelt, zeigte nur auf ihr Zimmer und bekam kein Wort heraus. Unbeholfen stand ich auf, nahm sie an der Hand und lief langsam auf das Zimmer zu. Sie sträubte sich nicht, sondern zerrte mich urplötzlich zum offenen Fenster – von welchem aus man fünf Stockwerke hinunterblicken konnte. Als ich erneut fragte, was los sei, zeigte sie nur nach unten auf die spärlich beleuchtete Straße. Doch ich konnte nichts erkennen und versuchte sie deshalb zu beruhigen, was mir nach unzähligen Minuten auch gelang. In dieser Nacht schlief sie wieder bei mir.
Josie war sehr ruhig am nächsten Morgen. Sie lachte nicht und aß nicht, sondern fing sofort an zu zeichnen. Ich machte mir zunehmend Sorgen und versuchte mit ihr zu reden, doch sie blieb stumm. Gerade als ich den Abwasch machte, klopfte es an der Tür. Mrs Clark, eine alte Dame aus dem ersten Stock, sah mich entrüstet vom Flur aus an. In der einen Hand hielt sie zittrig ihr Haustelefon.
„Wie geht es Ihrem Hund?“, fragte sie entgeistert, dabei sah sie mich nicht einmal an, sondern steckte direkt ihre Nase durch den Türrahmen.
Durch ihr unhöfliches Verhalten antwortete ich eher barsch, dabei gar nicht wirklich achtend, was ich da sagte.
„Was hat Sie das zu interessieren?“
Mrs. Clark sah mich mit beleidigter, jedoch gleichzeitig besorgter Miene an.
„Ist Ihnen eigentlich bewusst, was passiert ist? Ein toter Hund liegt vor der Eingangstür des Gebäudes, und er sah genauso aus wie Ihr Hund.“
Geschockt riss ich die Augen auf. Mir fiel ein, dass ich ihn am heutigen Tag noch nicht gesehen hatte. Er hatte sein Futter auch noch nicht angerührt. Zusammen mit Mrs. Clark, die bereits die Polizei gerufen hatte, machte ich mich auf den Weg nach unten, um mir einen Überblick vom Szenario verschaffen zu können. – Und sie hatte recht, es war mein Hund, der da zermatscht auf der Straße lag, als wäre er aus dem Zimmer im fünften Stock gefallen. Überall waren Blut und Innereien auf dem Pflaster verteilt. Mein Frühstück kam mir wieder hoch, weshalb ich mich in den nächstbesten Busch übergeben musste. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Meine Augen waren wässrig. Er war doch gerade mal ein Jahr alt gewesen. Und meine Rose? Sie hatte das mit ansehen müssen. Es kostete mich enorme Überwindungskraft, nicht auf der Stelle zusammenzubrechen.
Als die Polizisten auftauchten, stellten sie mir einige Fragen, die ich jedoch nicht beantworten konnte. Vermutlich war es meine Schuld. Ich habe das Fenster offen gelassen, und er ist rausgesprungen. Bestimmt konnte ich mit einer hohen Geldstrafe rechnen. Die Polizisten sagten allerdings, sie würden mich in den nächsten Tagen zurückrufen, wenn sie sich über die Geldstrafe geeinigt haben.
Für mein kleines Mädchen nahm ich mir die nächste Woche komplett frei. Wegen des Geldes machte ich mir später Gedanken, erst einmal war Josie wichtiger. Doch es war schwerer als gedacht, sie auf andere Gedanken zu bringen. Ständig zeichnete sie. Das letzte Bild, welches sie an einem Abend zeichnete, war dem Bild sehr ähnlich, auf dem sie das Männchen mit dem Hund gemalt hatte. Der Unterschied lag darin, dass das Männchen diesmal kein Tier, sondern ein kleineres Männchen trug. Es lief auf ein Fenster zu, wo es anscheinend Ausschau halten wollte. Ich lobte sie dafür, wie schön es doch aussah, doch urplötzlich fing sie zu weinen an.
Bis zum Abend hörte sie nicht auf. Erst als sie vor Erschöpfung eingeschlafen war, war es wieder vollkommen ruhig. Ebenfalls von jeglicher Energie verlassen, legte ich meine schlafende Rose in mein Bett und mich daneben. Binnen weniger Sekunden war ich eingeschlafen.
Ein Albtraum weckte mich am nächsten Morgen. Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass Josie nicht mehr in meinem Bett war. Ich sah in ihrem Zimmer nach. Nichts. An ihrem üblichen Platz. Nichts. In der Küche. Nichts. Voller Panik rief ich ihren Namen. Erst in meiner Wohnung, dann in den Gängen des Wohnkomplexes – dabei war es mir egal, ob ich die Nachbarn störte oder nicht Als ich jede Ecke des Hauses abgesucht hatte und sogar einige Mitbewohner gefragt hatte, aber keine Antworten fand, lief ich nach draußen – nur um das Schrecklichste mit ansehen zu müssen, was eine Mutter je erleben kann.
Josie lag in Rot getränkt auf dem kalten Asphalt, die Augen weit aufgerissen, Teile ihres Körpers zerschmettert. Ihr toter Blick bohrte sich durch meine Seele. Ich schrie. So laut, dass meine Stimmbänder zu reißen drohten. Ohne einen klaren Kopf zu fassen, rannte ich nach oben, an den neugierigen Nachbarn, welche aus ihren Wohnungen blickten, vorbei. Ich schnappte mir mein Telefon und rief die Polizei, den Krankenwagen. Alles, ich versuchte alles – auch wenn ich wusste, dass es bereits zu spät war.
Ich konnte und wollte nicht akzeptieren, dass meine Rose sich das Leben genommen hat. Nicht in diesen jungen Jahren. Daran hätte sie noch gar nicht denken können.
Wie in Trance wühlte ich in allen möglichen Schränken herum, auf der Suche nach etwas, das meine Rose wieder lächeln lassen könnte. Mein Verstand wollte nicht wahrhaben, dass sie tot war.
Mein Blick blieb an dem Stapel Zeichnungen auf der Theke hängen. Diese hatte ich von Mutter mitbekommen und sie wurden vor alldem gemalt. Was hatte ich verpasst? Gab es eine Veränderung in den Bildern? Hätte ich es eher erkennen können? Fragen, die mich zu erschlagen drohten.
Ich besah den Stapel, jedes Bild überflog ich, doch eines fiel mir besonders ins Auge. Mama stand darauf, darunter ein Strichmännchen, welches genauso aussah, wie jene, die meine Rose in letzter Zeit genutzt hatte, daneben ein kleineres Männchen. Unter diesem stand in kindlicher Handschrift „Ich„. Meine Augen weiteten sich. Ich verstand – ich verstand, was sie die ganze Zeit über versucht hatte, mir zu sagen.
Ich stolperte nach hinten, mein Blickfeld verschwamm durch erneute Tränen, die sich ansammelten, meine Knie gaben nach, und ich verlor den Halt. Den Schmerz nahm ich nur stumpf wahr. Meine Stimme versagte, als ich versuchte einen verzweifelten Schrei nach draußen zu lassen, doch es gelang nicht. Josephine hatte mir die ganze Zeit über erzählt, was passieren würde, und ich dumme Mutter hatte es nicht ernst genommen. Mein Verstand setzte aus, und meine Wahrnehmung verabschiedete sich vollkommen.
Ich war diejenige, die sie getötet hat. Ich habe beide getötet. Ich habe es getan.
Ich bin ihr Mörder.