ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.
Sie wusste, dass es eine schlechte Idee war, um diese Uhrzeit noch draußen herumzulaufen. Sie kannte die Geschichten und Legenden, aber vor allem kannte sie die Menschen, die die Straßen Rumäniens nachts unsicher machten. Aber sie hatte keine andere Wahl. Die Abschlussfeier hatte sich so lange hingezogen und es war ihr nicht erlaubt gewesen, den Saal zu verlassen, bevor auch der letzte Professor seine Rede gehalten hatte.
„Meine Füße tun weh“, jammerte Constantin, ihr kleiner Bruder, den sie unfreiwilliger Weise hatte mitbringen müssen.
Ihre Eltern arbeiteten viel. Das Geld wuchs schließlich nicht auf Bäumen, wie sie so gerne sagten. Und da Ana normalerweise immer die Babysitterin spielte, sollte das auch heute der Fall sein. Die Abschlussfeier ihrer Universität galt dabei nicht als Ausrede.
Ana schnaufte genervt als Antwort auf Constantins Beschwerde und lief mit starrem Blick weiter die dunkle Straße entlang, die nur von vereinzelten Laternen erleuchtet wurde. Kein Auto begegnete ihnen auf ihrem Heimweg, was Ana zwar etwas komisch vorkam, doch sie war froh darüber von niemandem gesehen zu werden, wie sie mit ihren hochhakigen Schuhen durch die Gegend stolperte.
Auch ihr taten die Füße weh.
Eigentlich war der ganze Abend ganz anders geplant gewesen. Sie und Constantin hätten gegen 20:00 von der Feier verschwinden und den letzten Bus nachhause nehmen sollen. Nur deswegen hatte sie sich für die hohen Schuhe entschieden. Doch die Zeiger der Uhr waren der 8 und der 12 immer näher gekommen, ohne dass ein Ende dieser Veranstaltung in irgendeiner Weise in Sicht gewesen wäre. Und dann, zwei Stunden nach der Abfahrt des letzten Busses, hatte sie endlich ihr Abschlusszeugnis in der Hand und konnte gehen.
Der Abend hing sowieso schon unter einer Wolke aus Enttäuschung. Da Ana dazu gezwungen war, ihren kleinen Bruder bei sich zu haben, würde sie die eigentliche Feier, den einzig schönen Part dieses Abends, verpassen. Constantin sollte schon längst im Bett sein.
Und obwohl sie ihren Bruder eigentlich über alles liebte, war er ihr heute ein Dorn im Auge.
„Wann sind wir endlich da?“, quengelte er wie auf Stichwort und schob sich erneut in Anas Gehirn, die gerade daran dachte, wie all ihre Freundinnen gerade den Spaß ihres Lebens haben mussten.
„Ich weiß es nicht“, murrte sie nur zurück.
Sie wünschte, sie hätte ein Taxi rufen können. Sie hatte zwar keinen einzigen Leu bei sich, doch sie hätte einfach über ihren Schatten springen und irgendjemanden nach Geld fragen können. Und wäre sie nicht so stolz gewesen, hätte sie das Angebot von Elena angenommen, die die beiden hatte heim fahren wollen.
Doch Ana hasste Elena und je mehr ihre Füße schmerzten, desto mehr verfluchte sie sich und die Welt um sie herum.
Es war alles schief gelaufen.
„Wann sind wir endlich da?“, fragte Constantin erneut in diesem quengeligen Tonfall, den sie so hasste.
„Ich weiß es nicht, verdammt!“, schrie Ana daraufhin zurück.
Sie zuckte zusammen als sie den ängstlichen Gesichtsausdruck in den Augen ihres Bruders sehen konnte. Ana hatte ihn noch nie angeschrien. Vielleicht war es der Ton gewesen, den Constantin anschlug, oder die Blasen an ihren Füßen, die sie sich schon längst wundgerieben hatte, oder aber auch das immer stärker werdende Gefühl der Frustration darüber, die Hälfte ihrer Jugend verpasst zu haben, dass sie so wütend werden ließ.
Constantin war in diesem Jahr gerade einmal neun Jahre alt geworden. Und seit neun Jahren war es Ana gewesen, die immer nur hatte zurückstecken müssen. Sie war diejenige, die ihren Freundinnen in der Schule hatte absagen müssen, um mit Constantin zum Kinderarzt zu gehen. Sie war diejenige, die stundenlang an seinem Bett sitzen musste, wenn er krank war. Und sie war diejenige, die seit neun Jahren keine Sekunde mehr für sich allein haben durfte. Sie war die große Schwester, und das wurde von ihr erwartet.
Ana und Constantin waren mittlerweile stehen geblieben und Ana spürte, wie sich die Kälte der Nachtluft langsam durch ihren dünnen Blazer fraß. Sie hasste sich auch dafür, keinen warmen Mantel angezogen zu haben.
Für ein paar Sekunden sahen sich die beiden nur an. Der Ausdruck von Angst war aus Constantins Blick gekrochen und wurde ersetzt durch einen Anflug von Schabernack, den Kinder nun mal immer im Kopf haben.
Ana wusste, was jetzt kommen sollte und betete zu allen Göttern dieser Welt, dass Constantin ihr diesen Blödsinn ersparen würde.
Sie griff nach vorne, um seinen Arm zu packen, doch er war schneller und bevor sie sich versehen konnte, rannte er einfach los.
„Constantin, bleib stehen!“, rief sie ihm nach, doch egal ob er sie hörte oder nicht, er rannte einfach weiter, so schnell wie seine kleinen Füße ihn tragen konnten.
Ana seufzte. Natürlich musste genau das jetzt passieren. Das hatte gerade noch gefehlt, um diesen ohnehin schrecklichen Abend zu einem kompletten Desaster zu machen.
„Denk positiv“, sagte sie sich als sie schließlich weiter lief, „wenigstens ist er in die richtige Richtung gelaufen.“
Constantin war die Art von Kind, die ständig ausrissen, um eigene Abenteuer zu erleben. Und bestimmt würde er auf direktem Wege nachhause laufen und vor verschlossener Türe bereits auf sie warten, mit einem Grinsen im Gesicht, das ganz klar zeigte, wie überlegen er sich in diesem Moment fühlte.
Er würde nicht einfach ohne Plan in die Nacht rennen. Er kannte schließlich auch die ganzen Gruselgeschichten, die man sich am Abend erzählte.
Langsam stakste Ana weiter. Es hatte keinen Sinn ihm hinterher zu rennen. Er war schneller als sie, auch ohne die Highheels. Wäre der Boden nicht so eisig kalt, hätte sie die Dinger schon längst ausgezogen.
Und eigentlich war sie ganz froh darüber, allein zu sein. Ihr dröhnte der Schädel von der Kälte und sie hätte ein weiteres Wort aus Constantins Mund einfach nicht ausgehalten. Sie schämte sich dafür, aber an Tagen wie diesen wünschte sie sich manchmal, dass er einfach verschwinden würde.
Alles, was sie jetzt noch hörte, war das Klacken ihrer Absätze auf dem Asphalt in einem Rhythmus, der mit jeder Kreuzung, die sie hinter sich ließ, schneller wurde. Ihr war nicht nur kalt, sondern es bereitete ihr auch Unbehagen so ganz allein im Dunkeln zu laufen.
Nur noch zwei Mal abbiegen und dann würde sie schon die Cremefarbende Fassade ihres Elternhauses sehen. Jetzt war es nicht mehr weit.
Doch plötzlich mischte sich unter die Kälte und die Angst ein weiteres Gefühl. Sie war kurz davor die letzte Kurve zu passieren, da fing ihr Herz an wie wild zu schlagen. Es war, als wäre sie die Hälfte der zurückgelegten Strecke gerannt, so stark pochte das Organ in ihrer Brust.
Gänsehaut, die nicht nur von den Temperaturen hervorgerufen wurde, machte sich über ihre Arme breit und ihr wurde übel. Ihr Magen flirrte in ihrem Bauch.
Sie hatte dieses Gefühl schon einige Male in ihrem Leben gefühlt.
Wie das eine mal kurz bevor John aus der 12b vom Dach der Schule sprang. Oder als ihre Uni-Freundin Maria mit Tränen in den Augen vor ihrer Tür stand und ihr einen positiven Schwangerschaftstest in die Hand drückte, nur wenige Tage bevor ihre Eltern sie schließlich zu einer Abtreibung zwangen.
Das Gefühl, dass sehr bald etwas sehr Schlimmes passieren würde.
Zögerlich bog Ana bei der nächsten Kreuzung links ab und sah sofort, was ihr dieses Gefühl hatte sagen wollen.
Constantin war nicht bis zu ihrem Haus gerannt. Er war anscheinend stehen geblieben, um doch noch auf sie zu warten und nun waren seine Füße nur wenige Zentimeter vom Bordstein zur Straße entfernt. Und vor ihm, auf dem schwarzen Asphalt, stand ein ebenso schwarzer Lastwagen. Je näher Ana dem Fahrzeug und ihrem Bruder kam, desto besser konnte sie sehen, dass es sich bei dem Wagen nicht um einen Laster handelte. Nein, es war ein Krankenwagen. Ein pechschwarzer Krankenwagen.
Wären die Laternen in dieser Seitenstraße nicht so hell, hätte Ana den Wagen wahrscheinlich nicht einmal gesehen. Und auf einmal wurde die Stille der Nacht so drückend, dass es beinahe alle Luft in Anas Lungen hinaus drückte.
Dieses Bild vor ihren Augen hatte etwas Bedrohliches. Eine Nacht sollte nie so still sein.
Das Gefühl der Bedrohung wuchs in Anas Brust und Bauch als sie sich langsam ihrem Bruder näherte, der wie hypnotisiert nach vorne auf eines der kleinen Fenster im Krankenwagen starrte.
„C-Constantin“, hauchte sie und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Das Geräusch ihrer Absätze klang in dieser Stille wie Pistolenschüsse aus nächster Nähe. Und irgendetwas sagte ihr, dass jeder Ton, den sie verursachte, Gefahr bedeutete.
Ihr Blick huschte zur Fahrerkabine des Krankenwagens, doch auch hinter der Scheibe war nichts als Schwärze zu sehen. Der Wagen schien verlassen.
Nur noch ein paar Schritte, dann konnte sie ihren Bruder packen und von dem Wagen wegziehen. Ana wusste selbst nicht, warum dieser Krankenwagen so viel Angst in ihr auslöste. Doch an der Art, wie ihr Bruder an der kalten Außenfassade hinaufstarrte wusste sie, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugehen konnte.
„Geh von dem Wagen weg.“, flüsterte sie erneut, doch auch ihr Flüstern klang unglaublich laut in der Stille der Nacht. Mit jedem Wort, dass sie sprach, sendete sie eine kleine Wolke aus warmem Nebel mit, doch Constantin reagierte noch immer nicht auf die Anwesenheit seiner Schwester
Ana streckte ihre Arme aus. Nur noch einen kleinen Schritt und sie könnte ihn in die Arme schließen. Und dann würde sie rennen, egal wie schlimm ihre Füße schmerzten.
Doch genau in dem Moment, als ihre Finger den Saum der Winterjacke berührten, die ihr Bruder trug, öffneten sich die Türen des Krankenwagens wie die Flügel eines Raben. Ana zuckte vor Schreck zurück und prallte mit dem Hinterkopf gegen den Seitenspiegel des Wagens. Und genau das, war ihr Fehler gewesen. Denn während sie vom stechenden Schmerz, der durch ihren Schädel zuckte wie gelähmt war, schoben sich zwei dünne Arme durch die offenen Türen und umpackten den kleinen Jungen, der noch immer komplett erstarrt vor ihr stand.
Die Arme umschlagen den Torso des Jungen, ganz langsam, wie Würgeschlagen.
Endlich hatte sich Ana wieder gefangen und blinzelte die schwarzen Punkte, die nach ihrem Aufprall am Spiegel in ihr Sichtfeld getreten waren, hinfort. Sie schrie, denn jetzt war es egal ob ihre Worte die Nacht durchschnitten. Vielleicht würde sie irgendjemand hören und ihr helfen.
So schnell sie konnte stieß sie sich vom Boden ab und machte einen Satz nach vorne um ihren Bruder aus den dürren, tentakelartigen Armen zu befreien.
Die Arme, so schwarz wie die Lackierung, schienen sich daran nicht zu stören und schließlich zogen sie Constantin in die gähnende Dunkelheit des Krankenwagens. Alles ging ganz schnell. Anas Bruder verschwand mit einem unmenschlich schnellen Ruck, so als hätte der Wagen ihn einfach aufgefressen. Sie sah nur, wie sein Kopf von der Geschwindigkeit nach hinten Sackte, als wäre er nichts weiter als eine leblose Puppe, die nicht mehr wog als eine Feder.
Ana sprang ins Leere.
Schmerz durchzuckte ihre Füße und bevor sie noch einen weiteren Schritt machen konnte, fuhr der Krankenwagen mit quietschenden Reifen davon.
Wer oder was auch immer in diesem Wagen gesessen hatte, wollte Ana nicht. Es wollte nur ihren kleinen Bruder.
Natürlich versuchte Ana so schnell sie konnte hinter dem Wagen her zu hetzen, in der Hoffnung wenigstens ein Nummernschild oder ähnliches zu sehen, womit sie der Polizei später den entscheidenden Hinweis geben konnte, um ihren Bruder zu retten. Doch als sie um die Ecke des Hauses bog, hinter der der Wagen verschwunden war, sah sie nichts weiter als die leere Straße umrahmt von hellen Laternen.
Er war weg.
Würde man Ana heute fragen, wie sie den Rest der Nacht und den Rest ihres Lebens verbrachte, so würde man keine klare Antwort bekommen können.
Sie weiß nicht, wie sie es in dieser Nacht zurück nachhause geschafft hatte.
Sie weiß auch nicht, wer letztendlich die Polizei alarmierte.
Doch woran sie sich erinnert, ist der Morgen danach.
Der Morgen, an dem die Leiche ihres kleinen Bruders gefunden wurde.
Ganz verlassen, in einem großen, vom Frost ganz weißen Feld lag er da und sah so friedlich aus, als würde er nur schlafen. Das sagt zumindest die Polizei.
Denn sie könnten es nie übers Herz bringen, der trauernden Familie die Wahrheit zu erzählen.
Sie hatten den kleinen Jungen nämlich nackt, mit aufgeschlitztem Bauch vorgefunden. Eine Lache aus geronnenem Blut war der einzige Grund, warum man ihn überhaupt entdeckt hatte. Seine Haut hatte nämlich dieselbe weiße Farbe des Frostes angenommen, so eiskalt war der kleine Körper bereits.
Das erschreckendste an der ganzen Sache – so die Beamten – war jedoch, dass dem Opfer jedes einzelne Organ aus dem inneren seines Körpers entfernt wurde. Vor ihnen lag nur noch eine leere Hülle und so sollte er auch begraben werden, denn keines der verschwundenen Organe tauchte je wieder auf.
Im inneren, begraben unter einem Haufen gebrochener Rippen, befand sich nur ein kleiner Frischhaltebeutel, in dem knapp 20.000,00 Leu steckten, und der die Aufschrift „“Für das Begräbnis““ in krakeliger Kinderhandschrift trug.
Autor: Grabesstille (Podcast)